Der siebte Sohn
Gut behütet, tief unter der Wüste Nevadas ruht das spektakulärste Geheimnis der Menschheit. Mit Hilfe des ehemaligen FBI-Agenten Will Piper soll es nun gelüftet werden, so schrecklich es auch sein mag. Aber Wills Feinde drohen, ihm das Liebste zu nehmen, was er besitzt.
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Gut behütet, tief unter der Wüste Nevadas ruht das spektakulärste Geheimnis der Menschheit. Mit Hilfe des ehemaligen FBI-Agenten Will Piper soll es nun gelüftet werden, so schrecklich es auch sein mag. Aber Wills Feinde drohen, ihm das Liebste zu nehmen, was er besitzt.
Tief unter der Wüste Nevadas ruht ein ungeheuerliches Geheimnis - die Bibliothek der Toten. Nur wenige wissen von ihrer Existenz. Zu gross sind ihre Macht und die Gefahr, die von ihr ausgeht. Ein Buch jedoch fehlt - es birgt den Schlüssel zum letzten, zum entscheidenden Rätsel. Seit sechs Jahrhunderten ist der Band verschollen. Als er dann überraschend bei einer Auktion in London auftaucht, wird der ehemalige FBI-Agent Will Piper in eine atemlose Jagd um Leben und Tod hineingezogen. Nur er kann das Geheimnis um den siebten Sohn lösen und der Welt die Wahrheit sagen, so schrecklich sie auch sein mag. Doch ist die Menschheit bereit, ihrem Schicksal ins Auge zu blicken?
Glenn Coopers Debüt, "Die Namen der Toten", war ein internationaler Bestseller und wurde in 29 Sprachen übersetzt.
Der siebte Sohn von Glenn Cooper
Kapitel 1
Nach über dreißig Jahren als Antiquar verspürte Toby Parfitt nur noch dann ein wohliges Kribbeln der Vorfreude, wenn er die Hände vorsichtig in eine frisch hereingekommene Kiste steckte.
Der Raum, in dem bei Pierce & Whyte neu angelieferte Bücher ausgepackt und katalogisiert wurden, befand sich im Tiefgeschoss des Londoner Auktionshauses. Toby mochte das gemütliche, alte Arbeitszimmer mit seinen glattpolierten Eichentischen, den Schwanenhalslampen und gepolsterten Hockern vor allem wegen seiner Stille. Abgeschirmt vom Lärm der Kensington High Street war das lauteste Geräusch hier das Rascheln der Holzwolle, die er mit beiden Händen aus der Kiste nahm und in den Abfalleimer fallen ließ. Dann aber drang auf einmal asthmatisches Atmen an sein Ohr, ein unangenehmes, dünnbrüstiges Schnaufen.
Er drehte sich um, blickte in das verpickelte Gesicht von Peter Nieve und quittierte dessen Anwesenheit mit einem flüchtigen Kopfnicken. Tobys Entdeckerfreude war nun leider nicht mehr ungetrübt, aber er konnte dem jungen Mann ja nicht gut sagen, dass er Leine ziehen sollte.
«Ja. Ich habe gerade eben die erste Kiste aufgemacht.»
«Hoffentlich sind auch alle vierzehn da.»
«Warum zählen Sie sie nicht einfach durch? Dann wissen Sie es.»
«Wird gemacht, Toby.»
Diese Formlosigkeit war grauenvoll. Toby! Nicht Mr. Parfitt. Nicht Sir. Nicht einmal Alistair. Toby. So hatten ihn früher nur seine engsten Freunde nennen dürfen. Die Zeiten hatten sich definitiv geändert – und zwar zum Schlimmeren –, aber Toby hatte nicht die Kraft, sich dieser Entwicklung entgegenzustemmen. Wenn ein junger Mitarbeiter sich schon nach zwei Jahren anmaßte, den Chefantiquar beim Vornamen zu nennen, dann musste man das wohl stoisch erdulden. Qualifizierte Fachkräfte waren schwer zu finden, und bessere Leute als den jungen Nieve mit seinem Kunstgeschichte-Diplom von der Uni Manchester konnte man heutzutage für zwanzigtausend Pfund im Jahr kaum bekommen. Immerhin war er in der Lage, sich jeden Tag eine Krawatte umzubinden und ein sauberes Hemd anzuziehen, auch wenn die Hemdkragen immer viel zu weit für seinen dünnen Hals waren und deshalb sein Kopf so aussah, als hätte man ihn auf einen Holzstock gesteckt.
Als Nieve nun auch noch wie ein kleines Kind laut bis vierzehn zählte, musste Toby sich wirklich zusammenreißen, um nicht aus der Haut zu fahren. «Alle da.»
«Da bin ich aber froh.»
«Martin meint, Sie werden mit der Ausbeute bestimmt zufrieden sein.»
Toby fuhr nur noch selten persönlich zu Kunden und überließ diese Aufgabe meist seinem Stellvertreter Martin Stein. Als eingefleischter Stadtmensch wehrte er sich mit Händen und Füßen dagegen, hinaus aufs Land zu fahren, und tat es nur, wenn es galt, ernstzunehmenden Konkurrenten wie Christie’s oder Sotheby’s Raritäten vor der Nase wegzuschnappen.
«Keine Sorge», versicherte Toby dem Geschäftsführer immer wieder, «wenn ich von einer Second Folio von Shakespeare oder einer Erstausgabe von Brontë oder Walter Raleigh Wind bekomme, bin ich wie der Blitz vor Ort, selbst wenn es in der tiefsten Provinz irgendwo in Shropshire sein sollte.» Er wusste, dass das Material aus Cantwell Hall immer recht ordentlich war, aber diesmal hatte Stein ihn extra darauf hingewiesen, dass er sich auf eine Überraschung gefasst machen sollte.
Lord Cantwell war ein typischer Kunde des Auktionshauses: ein lebender Anachronismus, der sein altes Landgut dadurch zu retten versuchte, dass er von Zeit zu Zeit ein paar Möbel, Bilder, Tafelsilber oder alte Bücher verkaufte, um die horrenden Steuern und Abgaben zahlen zu können. Seine kostbaren Stücke ließ der alte Junge nur in renommierten Häusern versteigern, und wenn es um Bücher, Karten und Autographen ging, war Pierce & Whytes nun mal eine der ersten Adressen.
Toby griff in die Innentasche seines maßgeschneiderten Chester-Barrie-Anzugs und holte ein Paar dünne, weiße Baumwollhandschuhe heraus. Seit sein Chef ihn vor Jahrzehnten zu seinem Schneider in die Savile Row geschickt hatte, kleidete Toby sich in das feinste Tuch, das er sich leisten konnte. Kleidung spielte in seinem Beruf eine ebenso große Rolle wie eine gepflegte Erscheinung, weshalb Tobys Schnurrbart stets präzise gestutzt war und er jeden Dienstag mittags seinen Friseur aufsuchte, um sein graumeliertes Haar nachschneiden zu lassen.
Wie ein Chirurg streifte er sich die Handschuhe über und griff nach den ersten Büchern in der Kiste. «Also gut. Dann wollen wir mal schauen, was wir hier haben.»
An den Buchrücken erkannte er sofort, was er vor sich hatte. «Aha! Alle sechs Bänder von Freemans The History of the Norman Conquest. 1877–1879, wenn ich mich recht erinnere.» Er schlug den Buchdeckel auf und betrachtete die Titelseite. «Hervorragend! Eine Erstausgabe. Wie steht es mit den anderen Bänden? Man bekommt ja oft gemischte Ausgaben angeboten.»
«Alle ebenfalls Erstausgaben, Toby.»
«Wunderbar. Dann werden sie wohl sechs- bis achthundert Pfund bringen.»
Er nahm alle sechs Bücher vorsichtig heraus und begutachtete ihren Zustand, bevor er wieder in die Kiste griff. «Hm, das ist schon etwas älter.» Es war eine schöne lateinische Bibel, Antwerpen, 1653, in ziemlich verschlissenes Kalbsleder mit eingeprägten goldenen Buchstaben gebunden. «Schönes Stück», murmelte er. «Ich würde sagen, hundertfünfzig bis zweihundert.»
Die nächsten sechs Bände entlockten ihm weniger Begeisterung. Es waren spätere Ausgaben von Ruskin und Fielding in ziemlich schlechtem Zustand, aber als er eine bestens erhaltene Erstausgabe von Frasers Journal of a Tour Through Part of the Snowy Range of the Himala Mountains, and to the Source of the Rivers Jumna and Ganges aus dem Jahr 1820 zutage förderte, schlug sein Herz schon wieder schneller. «Wunderbar! Seit Jahren habe ich keins von diesen in so gutem Zustand gesehen! Dreitausend, ohne Probleme. Das macht Freude! Sagen Sie mal, Nieve, sind in der Lieferung eigentlich auch Inkunabeln?»
Am verdutzten Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes erkannte er, dass Toby gerade eine seiner Wissenslücken aufgedeckt hatte. «Inkunabeln? Wiegendrucke? Früher Buchdruck vor 1500? Fällt der Groschen?»
Tobys gereizter Ton brachte den jungen Mann so sehr in Verlegenheit, dass er rot wurde. «Ach, natürlich, Inkunabeln. Nein, es sind keine dabei. Aber dafür was Handgeschriebenes, das ziemlich alt zu sein scheint.» Er deutete hilfsbereit in die Kiste hinein. «Da, das ist es. Seine Enkelin hätte es am liebsten nicht hergegeben.»
«Wessen Enkelin?»
«Die von Lord Cantwell. Sie hat übrigens eine tolle Figur.»
«In diesem Hause ist es nicht üblich, Kommentare über den Körperbau unserer Kunden abzugeben», erwiderte Toby mit ernster Miene und holte das Buch aus der Kiste.
Es war erstaunlich schwer; so schwer, dass er beide Hände brauchte, um es aus der Holzwolle zu heben und auf den Tisch zu legen.
Schon bevor er es aufklappte, spürte er, wie sein Mund trocken wurde und sein Pulsschlag sich beschleunigte. Instinktiv wusste er, dass dieses dicke, schwere Buch etwas ganz Besonderes darstellte. Gebunden war es in weiches, altes Kalbsleder in einem hellen, von Flecken übersäten Schokoladenbraun und roch ganz leicht nach überreifen Früchten, Feuchtigkeit und Schimmel. Die Maße waren außergewöhnlich: fünfundvierzig Zentimeter hoch, dreißig Zentimeter breit und knappe dreizehn Zentimeter dick. An die zweitausend Seiten, schätzte Toby. Was das Gewicht anbelangte, so kam ihm das Buch schwerer vor als eine Zwei-Kilo-Packung Zucker. Der Einband war unmarkiert bis auf eine einzelne, von Hand vorgenommene Prägung auf dem Buchrücken: 1527.
Seltsam entrückt bemerkte Toby, wie beim Aufschlagen des Buches seine rechte Hand zu zittern begann. Der Rücken knarzte nicht, was darauf hinwies, dass es bis vor kurzem in Gebrauch gewesen sein musste, und auf der Innenseite des Leders klebte ein gelblicher Bogen unbeschriebenen Papiers. Ein Frontispiz oder Titelblatt gab es nicht, und schon die erste Seite, deren gelbliches Pergament sich ein wenig rau und uneben anfühlte, war ohne jede Überschrift mit kleinen, handgeschriebenen Buchstaben und Zahlen gefüllt. Schwarze, mit Federkiel geschriebene Tinte. Spalten und Reihen. Mindestens hundert Namen, gefolgt von immer zwei Datumsangaben. Toby nahm die große Anzahl an visuellen Informationen nur flüchtig wahr, bevor er die Seite umblätterte. Dann die nächste. Und noch eine. Er schlug das Buch in der Mitte auf, dann kurz vor dem Ende, bevor er sich schließlich die letzte Seite ansah. Er stellte im Kopf eine grobe Schätzung an, aber weil es keine Seitenzahlen gab, konnte er nur raten: Alles in allem mussten in dem Buch mindestens hunderttausend Namen aufgelistet sein.
«Erstaunlich», flüsterte er.
«Martin konnte nichts damit anfangen. Er meinte, es sei vielleicht eine Art Einwohnerregister. Haben Sie eine Idee, was es sein könnte?»
«Ideen habe ich schon, aber irgendwie wollen sie nicht so recht passen. Sehen Sie sich mal die Seiten an.» Er hob eine einzelne an. «Das ist kein Papier, wissen Sie. Das ist Vellum, ein extrem hochwertiges Pergament. Ich kann es zwar nicht hundertprozentig sagen, aber es fühlt sich so an, als wäre es aus der Haut von ungeborenen Kälbern, die sorgfältig geschabt, in Kalklauge gebeizt und dann zum Trocknen aufgespannt wurde. Das war die Crème de la Crème des Pergaments, die nur für wertvolle, illuminierte Handschriften benutzt wurde und nicht für ein hundsordinäres Stadtregister.»
Er blätterte weitere Seiten auf und deutete mit seinem behandschuhten Zeigefinger auf verschiedene Spalten. «Sieht so aus, als wäre das eine Aufstellung von Geburts- und Todestagen. Sehen Sie sich zum Beispiel mal diesen Eintrag hier an: Nicholas Amcotts 13 1 1527 natus. Das ist einfach: Ein gewisser Nicholas Amcotts wurde am 13. Januar 1527 geboren. Und gleich daneben wieder ein Datum mit dem Vermerk mors, also der Todestag von Mr. Amcotts. Aber gleich darunter chinesische Schriftzeichen, und dann Kaetherlin Banwartz, vermutlich ein deutscher Name, und der nächste ist in arabischer Schrift, wenn ich mich nicht täusche.»
In kürzester Zeit hatte Toby griechische, portugiesische, italienische, französische, spanische und englische Namen gefunden, sowie Einträge in kyrillischer, hebräischer, swahilischer, griechischer und chinesischer Schrift. Bei manchen Sprachen konnte er nur raten und murmelte etwas über ausgefallene afrikanische Dialekte.
Er presste nachdenklich seine in weißer Baumwolle steckenden Fingerspitzen zusammen. «Welche Stadt soll 1527 eine so unterschiedliche Bevölkerung aufgewiesen haben, ganz zu schweigen von der unglaublich hohen Anzahl an Namen? Und dann sind da noch das Pergament und die relativ einfache Bindung, die mir überhaupt nicht zum 16. Jahrhundert passen wollen. Dieses Buch fühlt sich viel eher nach Mittelalter an.»
«Aber es ist mit 1527 datiert.»
«Richtig, das stimmt. Aber mein Bauchgefühl sagt mir nun mal was anderes, und Leute wie wir können es sich nicht leisten, ihrem Bauchgefühl zu misstrauen. Ich denke, wir sollten den Rat von Experten einholen.»
«Wie viel ist das Buch denn Ihrer Meinung nach wert?»
«Keine Ahnung. Aber es ist mit Sicherheit etwas Besonderes und ziemlich einzigartig obendrein. Sammler lieben so etwas, und deshalb sollten wir uns zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Gedanken über den Wert dieses Stücks machen. Wir werden mit Sicherheit gutes Geld damit verdienen.» Er trug das Buch vorsichtig zum hinteren Ende des langen Tisches und legte es abseits von den anderen auf eine Art Ehrenplatz.
«Und jetzt lassen Sie uns den Rest von Cantwells Material ansehen», sagte er zu Nieve. «Danach geben Sie die einzelnen Stücke in den Computer ein, und wenn Sie damit fertig sind, sehen Sie alle Bücher Seite für Seite durch, ob Sie vielleicht Briefe, Autographen, Geldscheine oder Briefmarken finden. Wir wollen den späteren Käufern doch nichts schenken, oder?»
Am Abend, als Nieve längst gegangen war, kehrte Toby noch einmal in den Keller zurück. Mit raschen Schritten ging er an den drei langen Tischen mit der Lieferung aus Cantwell Hall vorbei und würdigte die sauber aufgereihten Bücher keines Blickes. Momentan interessierten sie ihn nicht mehr als ein Stapel alter Klatschmagazine. Er steuerte schnurstracks auf das eine Buch zu, das seine Gedanken den ganzen Tag über beschäftigt hatte, und legte langsam seine nun nicht mehr in Handschuhen steckenden Hände auf das glatte Leder seines Einbands. Später würde er immer wieder erzählen, dass er in diesem Augenblick eine Art körperliche Verbindung mit diesem leblosen Gegenstand gespürt hatte – ein Gefühl, das zu einem Mann, der sonst keine Neigung zu übernatürlichen Dingen hatte, eigentlich nicht so recht passen wollte.
«Was bist du?», fragte er laut und blickte sich um, ob er auch wirklich allein war. Das Reden mit Büchern wäre seiner Laufbahn bei Pierce & Whyte bestimmt nicht gerade förderlich. «Willst du mir nicht dein Geheimnis offenbaren?»
Copyright © 2010 by Rowohlt Verlag GmbH, Reinbek bei Hamburg
- Autor: Glenn Cooper
- 2010, 448 Seiten, Masse: 11,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Thomas Merk
- Übersetzer: Thomas Merk
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499249294
- ISBN-13: 9783499249297
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