Der Insider
Thriller
Der neue Thriller mit Ex-Cop Vincent Ruiz und Psychologe Joe O'Loughlin
Als der ehemalige Polizist Vincent Ruiz eines Abends in einer Londoner Bar beobachtet, wie eine junge Frau von ihrem gewalttätigen Freund bedroht wird, muss er...
Als der ehemalige Polizist Vincent Ruiz eines Abends in einer Londoner Bar beobachtet, wie eine junge Frau von ihrem gewalttätigen Freund bedroht wird, muss er...
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Produktinformationen zu „Der Insider “
Der neue Thriller mit Ex-Cop Vincent Ruiz und Psychologe Joe O'Loughlin
Als der ehemalige Polizist Vincent Ruiz eines Abends in einer Londoner Bar beobachtet, wie eine junge Frau von ihrem gewalttätigen Freund bedroht wird, muss er eingreifen. Doch obwohl er Holly Knight für die Nacht Unterschlupf bietet, ist sie am nächsten Morgen verschwunden - und mit ihr einige wertvolle Gegenstände. Bei dem Versuch, sie aufzuspüren, stößt er nur auf Hollys Freund, der brutal ermordet wurde. Ruiz steht vor einem Rätsel: In welche Machenschaften ist Holly Knight verstrickt? Zur gleichen Zeit spürt der berühmte Journalist Luca Terracini einer Serie von Banküberfällen in Bagdad nach. Dass zudem immer wieder große Summen an wichtiger Wiederaufbauhilfe verloren gehen, könnte damit in direktem Zusammenhang stehen. Luca macht sich auf die Suche nach der Wahrheit - ein gefährliches Unterfangen, das ihn bis nach London zu Vincent Ruiz führt.
Als der ehemalige Polizist Vincent Ruiz eines Abends in einer Londoner Bar beobachtet, wie eine junge Frau von ihrem gewalttätigen Freund bedroht wird, muss er eingreifen. Doch obwohl er Holly Knight für die Nacht Unterschlupf bietet, ist sie am nächsten Morgen verschwunden - und mit ihr einige wertvolle Gegenstände. Bei dem Versuch, sie aufzuspüren, stößt er nur auf Hollys Freund, der brutal ermordet wurde. Ruiz steht vor einem Rätsel: In welche Machenschaften ist Holly Knight verstrickt? Zur gleichen Zeit spürt der berühmte Journalist Luca Terracini einer Serie von Banküberfällen in Bagdad nach. Dass zudem immer wieder große Summen an wichtiger Wiederaufbauhilfe verloren gehen, könnte damit in direktem Zusammenhang stehen. Luca macht sich auf die Suche nach der Wahrheit - ein gefährliches Unterfangen, das ihn bis nach London zu Vincent Ruiz führt.
Lese-Probe zu „Der Insider “
Der Insider von Michael Robotham... mehr
»Hast du schon mal jemanden getötet?«
»Schon oft.«
»Hattest du Angst?«
»Nein.«
»Nie?«
»Es ist nicht schwer, ein Leben auszulöschen, wenn man selbst kein Leben gehabt hat. Doch um Rache oder Hass geht es dabei gar nicht. Und vergiss das mit dem ›Auge um Auge‹. Gleichheit ist etwas für die Schwachen und Dummen. Du musst nur abdrücken ... ganz einfach. Ein Finger, eine Bewegung ... «
»Wer war dein erstes Opfer?«
»Eine Schülerin.«
»Warum?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass es an dem Tag sehr heiß war. Das werde ich nie vergessen. Die grelle Sonne, den Staub auf den Blättern des Aprikosenbaums. Es war gerade Aprikosenzeit. Im allerletzten Moment verlangsamt sich alles - die Autos, die Busse, die Stimmen auf der Straße. Alles wird still, und man hört nur seinen eigenen Herzschlag, das Blut, das sich durch immer engere Kanäle presst. Nichts ist mit diesem Moment vergleichbar.«
»Warum nennt man dich den Kurier?«
»Ich überbringe Nachrichten.«
»Du tötest Menschen?«
»Menschen töten jeden Tag. Krankenschwestern setzen Spritzen. Chirurgen bringen Herzen zum Stillstand. Metzger schlachten Tiere. Du tust hier etwas Gutes. Du und die anderen, ihr werdet berühmt. Ihr werdet dafür sorgen, dass man sich an diesen Tag immer und ewig erinnern wird, ein Datum, das keine Erklärung braucht. Geschichte wird gemacht. Geschichte wird verändert. Irgendwo fängt all das an. Es beginnt mit einer Idee. Es beginnt mit dem Glauben an eine Sache.«
»Warum ich?«
»Die anderen werden auch geprüft werden.«
»Wirst du es filmen?«
»Ja, hier ist die Pistole. Sie beißt nicht. Das ist die Sicherung. Wenn du den Schlitten nach hinten ziehst, wird das Projektil in die Kammer geladen.«
»Und niemand sieht mein Gesicht?«
»Nein. Du kommst durch die Tür. Er wartet. Auf einem Stuhl. Er wird dich kommen hören. Er wird betteln. Achte nicht auf seine Worte. Setz den Lauf auf seinem Hinterkopf auf und zieh ihm die Kapuze ab. Zwing ihn, in das rote Licht der Kamera zu blicken, auf den Tropfen elektrifizierten Bluts.«
»Soll ich irgendwas sagen? Ein Gebet sprechen?«
»Es kommt nicht darauf an, was du sagst, sondern darauf, was du tust.«
1
Bagdad
Das Wichtigste, was Luca Terracini als Auslandskorrespondent gelernt hatte, war, eine Geschichte aus dem Blickwinkel eines anderen zu erzählen. Das Zweitwichtigste war, wie man mit einer Dose Thunfisch und einem Paket Nudeln Spaghetti marinara zubereitete.
Es gab natürlich noch anderes, wovon das meiste mit dem Überleben in einem Kriegsgebiet zu tun hatte: Verabrede dich mit keinem, dem du nicht absolut vertraust. Verlasse nie das Haus, ohne dich zu vergewissern, dass draußen keine verdächtigen Fahrzeuge herumstehen. Gehe nicht davon aus, dass ein Ort, der gestern sicher war, heute auch noch sicher ist.
Diese Sicherheitsmaßnahmen wurden von allen westlichen Korrespondenten befolgt, aber Luca hatte im Laufe der Jahre noch ein paar eigene hinzugefügt, die letztendlich auf drei entscheidende Überlebensregeln hinausliefen: natürliche Feigheit, mehrere Hundert-Dollar-Scheine, die in den Saum seiner Hosenbeine eingenäht waren, und ein gesundes Misstrauen, da man in diesem Land mit den absurdesten Dingen rechnen musste.
Der erste Gebetsruf ertönt. Sonnenaufgang. Luca ist vom Lärm der Waschmaschinen, Fernseher und Klimaanlagen geweckt worden, die alle gleichzeitig zum Leben erwacht sind. Da die Regierung die Stromversorgung nur stundenweise garantieren kann, springen die Geräte zu wahllosen Tag- und Nachtzeiten an und vereinen sich zu einer seltsamen Symphonie aus Musik und Metall.
Er streift sein T-Shirt ab, schöpft mit einer Kelle Wasser aus einem Eimer und gießt es sich über den Kopf. Tropfen rinnen aus seinem kurzen dunklen Bart über seine Brust bis runter zu den Genitalien. Draußen ist es schon jetzt dreißig Grad warm, und wenn die Sonne erst einmal auf die ganze Seite des Gebäudes knallt, können auch die Fensterläden die Hitze nicht mehr abwehren.
Er trocknet seine Haare und zieht ein dünnes Baumwollhemd an, schlicht und billig. Er kleidet sich wie ein Iraker und versucht, auch so zu klingen. Seine Schuhe sind nicht westlich, seine Sonnenbrille wirkt nicht zu ausländisch.
Er schiebt die Hand unter die Matratze und zieht eine kompakte halbautomatische 9-Millimeter-Pistole hervor, die er in einem kleinen Holster in seinem Kreuz verstaut. In seinem Büro zieht er das Handy von dem Aufladekabel, nimmt seine Kameraausrüstung, öffnet die Wohnungstür, wirft einen Kontrollblick in den Flur und nimmt dann die Hintertreppe.
Ein Wachmann döst hinter seinem Tresen in der Halle. »Sabah al-khair, Ahmed.«
Der Wachmann schreckt hoch und greift nach seinem Gewehr. Luca hebt mit gespielter Angst die Hände, und der Wachmann grinst ihn an.
»Hast du die Stadt sicher gemacht, Ahmed?«
»Ich habe zwei Dutzend Bomben entschärft.« »Ausgezeichnet. Sieh nur zu, dass du sie nicht recyclest.« Der Wachmann steht lachend auf. Sein Gürtel ist offen, seine
Wampe hängt unbehindert heraus.
Luca klappt sein Handy auf und ruft Jamal an.
»Wo bist du?«
»Zwei Minuten von dir.«
Er blickt durch die mit Klebeband geflickten Fenster, die Sicht auf die Straße ist durch fünf Meter hohe Betonschutzmauern verdeckt. An den beiden nächstgelegenen Straßenkreuzungen sind Kontrollpunkte eingerichtet, die die Illusion von Sicherheit vermitteln. Wie bei seinen Überlebensregeln hat Luca auch einen an die Gewalt angepassten körperlichen Survival-Modus entwickelt. Sein Herz pocht nicht mehr wie wild, wenn eine Granate explodiert, und er duckt sich nicht mehr, wenn eine Salve über seinen Kopf hinwegpfeift.
Die meisten seiner Kollegen residieren in sicheren Hotelanlagen oder in der Internationalen Zone (der ehemaligen Green Zone) und suchen Sicherheit in der Menge, was ebenfalls eine Illusion ist. Saubere Laken, kaltes Bier, kabelloses Breitband und Satellitenfernsehen - - modernes Werkzeug für den modernen Reporter.
Die Bombenanschläge von vor einem Monat waren eine Begrüßungslektion gewesen. Die erste Explosion hatte das Sheraton Ishtar getroffen, die Betonschutzmauern umgeblasen und einen fünf Meter tiefen und zehn Meter breiten Krater hinterlassen. Der Regen aus Glas und Metall hatte Autos zerfetzt und die Außenterrassen und Höfe der Fischrestaurants am Fluss mit Schutt eingedeckt.
Drei Minuten später ging eine Bombe in der Nähe des Baby lonHotels hoch, noch einmal sechs Minuten später riss eine weitere Bombe die Fassade des al-Hamra-Hotels ein. Im Sheraton starben vierzehn Menschen, im Babylon sieben und im al-Hamra sechzehn, darunter ein Polizist, der Luca einmal geholfen hatte, einen neuen Akku für sein Handy zu besorgen.
Luca war bei dem Hotel eingetroffen, als die Rauch- und Staubwolke noch über die Skyline wehte und der Duft von frischem Eukalyptus sich mit dem widerlich süßlichen Geruch brennenden Fleischs vermischte. Zwei Frauen wurden unter den Trümmern gefunden; eine war blutüberströmt. Möge Gott die Regierung töten, schrie sie, als man sie barg.
Alltag in Bagdad.
Eine SMS auf Lucas Handy: Dreißig Sekunden. Vorderseite.
Kurz darauf hält ein verbeulter Skoda 130 vor dem Wohnblock, am Steuer ein junger Mann. Direkt hinter ihm bremst ein zweiter Wagen - ein Toyota HiLux -, das »Verfolgungsfahrzeug«.
Luca rennt gebückt aus dem Haus. In dem Moment, in dem die Wagentür zuschlägt, tritt Jamal schon aufs Gaspedal und umkurvt schleudernd die Betonbarrikaden. Der HiLux ist direkt hinter ihnen, bereit, im Falle einer Attacke einzugreifen.
Der Skoda ist ein Bagdad-Klassiker: Die Windschutzscheibe ist völlig zerkratzt, auf dem Armaturenbrett klebt ein Stück alter Teppich und verblasste Bilder von Schia-Märtyrern. Unter der Kühlerhaube verbirgt sich der Acht-Zylinder-Motor eines Chrysler 340, und die Türen sind von innen mit Eisenplatten verschweißt, Panzerung nach irakischer Art.
Jamal fährt, als wäre er in Le Mans am Start, und kleidet sich wie ein schwuler Cowboy mit karierten Hemden und Western-Jeans. Vor der Invasion war er Medizinstudent. Doch in dem folgenden Chaos wurden die Computer der Universität gestohlen und die Akten durch ein Feuer zerstört. Jetzt kann er nicht mehr beweisen, dass er einen Abschluss in Naturwissenschaften abgelegt und drei Jahre Medizin studiert hat.
Jamals Cousin Abu fährt den HiLux. Er ist schon etwas älter und sieht aus wie ein Rammbock, mit einer Pistole unterm Hemd und einer abgesägten Schrotflinte im Schoß. In den vier Jahren, die sie jetzt zusammenarbeiten, hat Luca kaum mehr als ein Dutzend Worte mit Abu gewechselt. Jamal übernimmt das Reden. Auf einer belebten Hauptverkehrsstraße fahren die Wagen Stoßstange an Stoßstange und bahnen sich ihren Weg zwischen ächzenden Lkws, Transportern, Mopeds und Fahrrädern.
»Es hat wieder einen Überfall gegeben«, sagt Jamal. »Wann?«
»In der Nacht. Sie haben die Bank angezündet.«
»Wo?«
»In Karrada.«
»Ich will dorthin.«
»Was ist mit der Pressekonferenz?«
»Die haben bestimmt noch immer keine Regierung gebildet.« Luca parodiert den ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi. »Heute sind wir einer Einigung einen Schritt näher gekommen. Die alten Fehden werden allmählich begraben, und die Gespräche finden in vertrauensvoller Atmosphäre statt. Ich bin der Verfassung verpflichtet und fest überzeugt, dass der Irak die Regierung bekommen wird, die er verdient.«
Jamal lacht. »Eines Tages schmeißen sie dich aus dem Land.« »Leere Versprechungen.«
Jamal ruft Abu in dem HiLux an. »Wir fahren nach Karrada. «
»Adresse?«
»Immer dem Rauch nach.«
Die beiden Wagen umrunden den Firdos-Platz und fahren auf der staubigen zweispurigen Ausfallstraße nach Süden, vorbei an Lehmgebäuden und kleinen Pfaden neben Grundstücken mit Fässern und Stacheldraht
Früher kam ihm Bagdad fremd vor, aber inzwischen schüchtert die Andersartigkeit des Ortes Luca nicht mehr ein - das Gewirr von Sprachen, das Gemisch von Düften und das Sonnenlicht von der Farbe zähflüssigen Honigs. Ein Bus ist liegen geblieben. Fahrgäste stehen auf dem Bürgersteig und diskutieren mit dem Fahrer. Die Männer ziehen an Zigaretten und blasen Rauchwolken aus, die von einer Brise verweht werden. Die Frauen sind zarte unbekannte Wesen in Schwarz mit unbestimmbaren Körpern und tanzenden Augen.
Jamal zieht ein Kaugummi aus der Tasche, schaltet das Radio ein und trommelt den Rhythmus auf dem Lenkrad mit, als ein heimischer Popsong ertönt. Er und Luca sind im Laufe der Jahre Freunde geworden, doch diese Freundschaft hat Grenzen. Luca war noch nie bei Jamal zu Hause und hat auch nie seine Frau und seine beiden kleinen Söhne getroffen. Es gibt Leute, die nicht wissen dürfen, dass Jamal und Abu für einen amerikanischen Journalisten arbeiten. Sunniten, Schiiten, Widerstandskämpfer. Dort lauert der Tod. Und Fehden sind der Nationalsport der Iraker.
Eine schwarze Rauchwolke steigt in den weißen Himmel vor ihnen. Normalerweise ist Karrada eine sichere Oase mit Straßenhändlern und vereinzeltem üppigem Grün. Jetzt haben Polizei und Feuerwehr eine Kreuzung abgeriegelt, und Schläuche winden sich zuckend über den Asphalt wie schwarze Pythons. Einige sind so abgenutzt und porös, dass sie das Pflaster statt des rauchenden Gebäudes besprühen.
Die Zweigstelle Zewiya der al-Rafidain-Bank ist völlig ausgebrannt, die Fenster sind mit dunklem Ruß umrandet, der wie Tränen einer Schönheitskönigin an den blassen Mauern hinunterrinnt.
Jamal parkt den Skoda, und Luca nimmt seine Kamera aus dem Rucksack. Er macht Abu ein Zeichen, der bei den Wagen wartet und das Geschehen aus der Distanz beobachtet.
»Wie viele sind das jetzt?«
»Sechs in den letzten zwei Monaten.«
»Und in diesem Jahr?«
»Achtzehn.«
»Bald gibt es keine Banken mehr zum Überfallen.«
Auf der anderen Straßenseite steht eine Gruppe von halbwüchsigen Jungen, die sich lachend gegenseitig schubsen und übermütig Aufmerksamkeit erregen wollen. Die älteren Männer ermahnen sie, ein wenig Respekt zu zeigen.
Eine Sirene ertönt, ein Konvoi trifft ein. Vier Militärfahrzeuge schlängeln sich zwischen den Feuerwehrautos hindurch. Sie eskortieren einen weißen Polizeiwagen mit blauen Türen, der am Straßenrand hält. Metall knirscht unter seiner Karosserie. Luca erkennt den Mann auf dem Beifahrersitz: General Khalid al-Uzri, Kommandeur der Nationalpolizei. Zwei uniformierte Beamte drängeln sich, ihm die Tür zu öffnen.
Al-Uzri steigt aus, streckt die Arme, lässt seine Wirbel knacken und dreht den Kopf von einer Seite zur anderen. Zigarettenqualm hängt über ihm wie eine persönliche Wolke. Er trägt schwarz-blaue Tarnkleidung, Barett und Epauletten mit Kranz und Stern. Er winkt ab, als man ihm einen Schirm anbietet, und schreitet durch den Nieselregen aus den Schläuchen bis zu der Fassade der Bank, die er mustert, als wollte er ein Angebot für das Gebäude abgeben.
Der Kommandant des Löschzugs kommt heraus. Seine Uniform wirkt zu groß für ihn, so als würde er die Kleidung seines Vaters tragen. Er schüttelt al-Uzri die Hand und küsst ihn auf beide Wangen.
»Verluste?«, fragt der General.
»Drei Tote.«
»Und das Geld?«
»Weg.«
Der General wischt sich Tropfen von seinem Ärmel und sieht Luca an.
»Sie sind Fotograf?«
»Ja, General«, antwortet Luca auf Arabisch.
»Heute arbeiten Sie für die Polizei.«
Luca wechselt einen Blick mit Jamal, der den Kopf schüttelt. Luca ignoriert ihn. Er folgt dem General und dem Feuerwehrmann über eine Rampe und stapft durch ölig schwarze Pfützen und um Haufen glimmender Trümmer herum.
Die große Rolltür hat sich unter der Hitze verbogen. Dahinter liegen zwei Leichen. Wachmänner. Sie sehen aus wie weggeworfene Schaufensterpuppen mit geschmolzenem schwarzem Fleisch. Der Gestank attackiert Lucas Sinne. Galle kommt ihm hoch. Er schluckt heftig, der Kaffee nagt an seinem Magen.
Al-Uzri hockt sich neben die Leichen. »Es ist das Protein«, sagt er nüchtern. »Wenn es verbrennt, verklebt es die Kleidung und die Lungen.«
Er hält einen Schädel und wendet ihn, als ob er an einem Marktstand die Festigkeit einer Melone prüfen würde.
Einer seine Adjutanten sagt: »Laut Dienstplan waren letzte Nacht sechs Wachmänner hier.«
»Wo sind die anderen?«
»Wir suchen sie noch.«
»Diese Männer wurden erschossen. Machen Sie Fotos davon.«
Der General richtet sich auf, geht weiter und wischt sich am Mantel des nächsten Feuerwehrmanns die Hände ab.
Der Tresorraum aus Beton hat eine schwere Metalltür, die von den Flammen kaum angesengt ist. Sie lässt sich leicht öffnen. In dem Raum dahinter befindet sich nur eine einzelne aufgebrochene Metallkiste. Eine Handvoll US-amerikanische Banknoten schwimmen in einer schmutzigen Pfütze.
Der General verlässt den Tresorraum und geht zur Treppe. Feuerwehrleute haben Leitern zu den oberen Stockwerken aufgestellt.
»Trägt die mein Gewicht?«, fragt al-Uzri.
»Jawohl, Sir.«
Der General zeigt auf Luca. »Sie gehen zuerst.«
Der Journalist klettert die Leiter hoch und steigt über ein Stück eingebrochenen Fußboden. Eine Toilette ist durch die Decke gekracht und hochkant auf einer Schwelle gelandet. Dahinter erkennt Luca einen langen Flur mit Büros zu beiden Seiten. Die Computer auf den Schreibtischen sind zu modernen Skulpturen geschmolzen.
Vor einem der Büros bleibt der Feuerwehrhauptmann stehen. Es dauert einen Moment, bis Luca begreift, dass er etwas fotografieren soll. An einem Metallschreibtisch sitzt eine Leiche, deren steife halbe Arme sich zu dem geborstenen Fenster strecken. Sie ist bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, die Haut eingefallen und ledrig, die Gesichtszüge verzerrt, der Mund zu einem Schrei geöffnet. Zwischen den Zähnen, die unnatürlich weiß wirken, quillt eine geschwollene Zunge hervor.
Al-Uzri geht um die Leiche herum und begutachtet sie von allen Seiten. In seinen feuchten braunen Augen liegt Staunen, aber kein Entsetzen. Luca atmet stoßweise durch den Mund.
»Das ist einer der Zündpunkte«, sagt der Feuerwehrmann. »Irgendjemand hat die Leiche mit Benzin übergossen und eine Spur durch den Flur bis zu der Tür gelegt.«
Al-Uzri ist hinter die verkohlte Leiche getreten. Er zieht ein kleines Schweizer Armeemesser aus dem Mantel und klappt es auf. Mit ruhiger Hand legt er die scharfe Seite der Klinge an den Nacken der Leiche und löst etwas, einen in die Haut eingegrabenen Draht. Eine Garrotte.
Er nickt Luca zu. Weitere Fotos werden gemacht.
Er klappt sein Messer zu und zündet sich eine Zigarette an.
In seinen Augen kann man gar nichts lesen. Luca kennt diesen Blick von Soldaten, die solche Grausamkeiten schon so oft gesehen haben - dass sie nichts mehr wirklich schockieren kann.
»Üble Sache«, sagt der Feuerwehrmann. »Haben Sie genug gesehen?«
Der General nickt und wendet sich an Luca. »Liefern Sie die Fotos an mein Büro. Sie sind Eigentum der irakischen Polizei.«
Er steigt die Leiter hinunter, stapft zurück durch die Pfützen und die Rampe hinauf, wo er nur kurz stehen bleibt, um die Watte aus seinen Nasenlöchern zu pusten. Luca folgt ihm nach draußen und beobachtet, wie die Fahrer hastig am Steuer ihrer Wagen Platz nehmen und sich auf die Abfahrt vorbereiten.
»Verzeihung, General. Ich habe eine Frage zu dem Überfall.«
Der Kommandeur dreht sich um.
»Ihr Name?«
»Luca Terracini. Ich bin amerikanischer Journalist.« »Sie sprechen sehr gut Arabisch, Mr. Terracini.«
»Meine Mutter war Irakerin.«
Al-Uzri zündet sich eine neue Zigarette an und schirmt sie gegen den Nieselregen aus Löschwasser ab. Er nimmt sich einen Moment Zeit, den Journalisten zu betrachten.
»Die meisten Ihrer Kollegen tragen Kevlar-Westen und sind in Gruppen unterwegs. Glauben Sie, die Tatsache, dass Sie eine irakische Mutter haben, schützt Sie in irgendeiner Weise?«
»Nein, Sir.«
»Dann sind Sie vielleicht besonders mutig.«
»Nein, Sir.«
Feuchtigkeit sickert an Lucas Rücken hinunter. Es könnte Schweiß sein. »Der Filialleiter wurde gefoltert.«
»Allem Anschein nach.«
»Wissen Sie, wie viel Geld geraubt wurde?«
»Nein.«
»Was ist mit den anderen Sicherheitsleuten passiert?« »Vielleicht haben sie die Räuber verfolgt.«
»Vielleicht sind sie mit dem Geld abgehauen.«
Die lecken Feuerwehrschläuche haben die Zigarette des Ge-
nerals gelöscht. Er starrt auf die durchgeweichten Überreste.
»Es ist nicht ratsam, solche Beschuldigungen zu äußern.«
»Das ist der achtzehnte Banküberfall in Bagdad in diesem
Jahr. Besorgt Sie das?«
Der General lächelt, ohne die Mundwinkel groß zu bewegen. »Ich finde es beruhigend, dass jemand mitzählt.«
Seine Wagentür wird aufgehalten, der Motor läuft. Er rutscht auf den Beifahrersitz und weist den Fahrer mit einer knappen Geste an loszufahren. Der Konvoi setzt sich in Bewegung und schlängelt sich wieder zwischen den Feuerwehrwagen hindurch, unter dem Klang einer weiteren Sirene in einer Stadt, in der die Sirenen ununterbrochen heulen.
...
Übersetzung: Kristian Lutze
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
»Hast du schon mal jemanden getötet?«
»Schon oft.«
»Hattest du Angst?«
»Nein.«
»Nie?«
»Es ist nicht schwer, ein Leben auszulöschen, wenn man selbst kein Leben gehabt hat. Doch um Rache oder Hass geht es dabei gar nicht. Und vergiss das mit dem ›Auge um Auge‹. Gleichheit ist etwas für die Schwachen und Dummen. Du musst nur abdrücken ... ganz einfach. Ein Finger, eine Bewegung ... «
»Wer war dein erstes Opfer?«
»Eine Schülerin.«
»Warum?«
»Daran kann ich mich nicht mehr erinnern. Ich weiß nur noch, dass es an dem Tag sehr heiß war. Das werde ich nie vergessen. Die grelle Sonne, den Staub auf den Blättern des Aprikosenbaums. Es war gerade Aprikosenzeit. Im allerletzten Moment verlangsamt sich alles - die Autos, die Busse, die Stimmen auf der Straße. Alles wird still, und man hört nur seinen eigenen Herzschlag, das Blut, das sich durch immer engere Kanäle presst. Nichts ist mit diesem Moment vergleichbar.«
»Warum nennt man dich den Kurier?«
»Ich überbringe Nachrichten.«
»Du tötest Menschen?«
»Menschen töten jeden Tag. Krankenschwestern setzen Spritzen. Chirurgen bringen Herzen zum Stillstand. Metzger schlachten Tiere. Du tust hier etwas Gutes. Du und die anderen, ihr werdet berühmt. Ihr werdet dafür sorgen, dass man sich an diesen Tag immer und ewig erinnern wird, ein Datum, das keine Erklärung braucht. Geschichte wird gemacht. Geschichte wird verändert. Irgendwo fängt all das an. Es beginnt mit einer Idee. Es beginnt mit dem Glauben an eine Sache.«
»Warum ich?«
»Die anderen werden auch geprüft werden.«
»Wirst du es filmen?«
»Ja, hier ist die Pistole. Sie beißt nicht. Das ist die Sicherung. Wenn du den Schlitten nach hinten ziehst, wird das Projektil in die Kammer geladen.«
»Und niemand sieht mein Gesicht?«
»Nein. Du kommst durch die Tür. Er wartet. Auf einem Stuhl. Er wird dich kommen hören. Er wird betteln. Achte nicht auf seine Worte. Setz den Lauf auf seinem Hinterkopf auf und zieh ihm die Kapuze ab. Zwing ihn, in das rote Licht der Kamera zu blicken, auf den Tropfen elektrifizierten Bluts.«
»Soll ich irgendwas sagen? Ein Gebet sprechen?«
»Es kommt nicht darauf an, was du sagst, sondern darauf, was du tust.«
1
Bagdad
Das Wichtigste, was Luca Terracini als Auslandskorrespondent gelernt hatte, war, eine Geschichte aus dem Blickwinkel eines anderen zu erzählen. Das Zweitwichtigste war, wie man mit einer Dose Thunfisch und einem Paket Nudeln Spaghetti marinara zubereitete.
Es gab natürlich noch anderes, wovon das meiste mit dem Überleben in einem Kriegsgebiet zu tun hatte: Verabrede dich mit keinem, dem du nicht absolut vertraust. Verlasse nie das Haus, ohne dich zu vergewissern, dass draußen keine verdächtigen Fahrzeuge herumstehen. Gehe nicht davon aus, dass ein Ort, der gestern sicher war, heute auch noch sicher ist.
Diese Sicherheitsmaßnahmen wurden von allen westlichen Korrespondenten befolgt, aber Luca hatte im Laufe der Jahre noch ein paar eigene hinzugefügt, die letztendlich auf drei entscheidende Überlebensregeln hinausliefen: natürliche Feigheit, mehrere Hundert-Dollar-Scheine, die in den Saum seiner Hosenbeine eingenäht waren, und ein gesundes Misstrauen, da man in diesem Land mit den absurdesten Dingen rechnen musste.
Der erste Gebetsruf ertönt. Sonnenaufgang. Luca ist vom Lärm der Waschmaschinen, Fernseher und Klimaanlagen geweckt worden, die alle gleichzeitig zum Leben erwacht sind. Da die Regierung die Stromversorgung nur stundenweise garantieren kann, springen die Geräte zu wahllosen Tag- und Nachtzeiten an und vereinen sich zu einer seltsamen Symphonie aus Musik und Metall.
Er streift sein T-Shirt ab, schöpft mit einer Kelle Wasser aus einem Eimer und gießt es sich über den Kopf. Tropfen rinnen aus seinem kurzen dunklen Bart über seine Brust bis runter zu den Genitalien. Draußen ist es schon jetzt dreißig Grad warm, und wenn die Sonne erst einmal auf die ganze Seite des Gebäudes knallt, können auch die Fensterläden die Hitze nicht mehr abwehren.
Er trocknet seine Haare und zieht ein dünnes Baumwollhemd an, schlicht und billig. Er kleidet sich wie ein Iraker und versucht, auch so zu klingen. Seine Schuhe sind nicht westlich, seine Sonnenbrille wirkt nicht zu ausländisch.
Er schiebt die Hand unter die Matratze und zieht eine kompakte halbautomatische 9-Millimeter-Pistole hervor, die er in einem kleinen Holster in seinem Kreuz verstaut. In seinem Büro zieht er das Handy von dem Aufladekabel, nimmt seine Kameraausrüstung, öffnet die Wohnungstür, wirft einen Kontrollblick in den Flur und nimmt dann die Hintertreppe.
Ein Wachmann döst hinter seinem Tresen in der Halle. »Sabah al-khair, Ahmed.«
Der Wachmann schreckt hoch und greift nach seinem Gewehr. Luca hebt mit gespielter Angst die Hände, und der Wachmann grinst ihn an.
»Hast du die Stadt sicher gemacht, Ahmed?«
»Ich habe zwei Dutzend Bomben entschärft.« »Ausgezeichnet. Sieh nur zu, dass du sie nicht recyclest.« Der Wachmann steht lachend auf. Sein Gürtel ist offen, seine
Wampe hängt unbehindert heraus.
Luca klappt sein Handy auf und ruft Jamal an.
»Wo bist du?«
»Zwei Minuten von dir.«
Er blickt durch die mit Klebeband geflickten Fenster, die Sicht auf die Straße ist durch fünf Meter hohe Betonschutzmauern verdeckt. An den beiden nächstgelegenen Straßenkreuzungen sind Kontrollpunkte eingerichtet, die die Illusion von Sicherheit vermitteln. Wie bei seinen Überlebensregeln hat Luca auch einen an die Gewalt angepassten körperlichen Survival-Modus entwickelt. Sein Herz pocht nicht mehr wie wild, wenn eine Granate explodiert, und er duckt sich nicht mehr, wenn eine Salve über seinen Kopf hinwegpfeift.
Die meisten seiner Kollegen residieren in sicheren Hotelanlagen oder in der Internationalen Zone (der ehemaligen Green Zone) und suchen Sicherheit in der Menge, was ebenfalls eine Illusion ist. Saubere Laken, kaltes Bier, kabelloses Breitband und Satellitenfernsehen - - modernes Werkzeug für den modernen Reporter.
Die Bombenanschläge von vor einem Monat waren eine Begrüßungslektion gewesen. Die erste Explosion hatte das Sheraton Ishtar getroffen, die Betonschutzmauern umgeblasen und einen fünf Meter tiefen und zehn Meter breiten Krater hinterlassen. Der Regen aus Glas und Metall hatte Autos zerfetzt und die Außenterrassen und Höfe der Fischrestaurants am Fluss mit Schutt eingedeckt.
Drei Minuten später ging eine Bombe in der Nähe des Baby lonHotels hoch, noch einmal sechs Minuten später riss eine weitere Bombe die Fassade des al-Hamra-Hotels ein. Im Sheraton starben vierzehn Menschen, im Babylon sieben und im al-Hamra sechzehn, darunter ein Polizist, der Luca einmal geholfen hatte, einen neuen Akku für sein Handy zu besorgen.
Luca war bei dem Hotel eingetroffen, als die Rauch- und Staubwolke noch über die Skyline wehte und der Duft von frischem Eukalyptus sich mit dem widerlich süßlichen Geruch brennenden Fleischs vermischte. Zwei Frauen wurden unter den Trümmern gefunden; eine war blutüberströmt. Möge Gott die Regierung töten, schrie sie, als man sie barg.
Alltag in Bagdad.
Eine SMS auf Lucas Handy: Dreißig Sekunden. Vorderseite.
Kurz darauf hält ein verbeulter Skoda 130 vor dem Wohnblock, am Steuer ein junger Mann. Direkt hinter ihm bremst ein zweiter Wagen - ein Toyota HiLux -, das »Verfolgungsfahrzeug«.
Luca rennt gebückt aus dem Haus. In dem Moment, in dem die Wagentür zuschlägt, tritt Jamal schon aufs Gaspedal und umkurvt schleudernd die Betonbarrikaden. Der HiLux ist direkt hinter ihnen, bereit, im Falle einer Attacke einzugreifen.
Der Skoda ist ein Bagdad-Klassiker: Die Windschutzscheibe ist völlig zerkratzt, auf dem Armaturenbrett klebt ein Stück alter Teppich und verblasste Bilder von Schia-Märtyrern. Unter der Kühlerhaube verbirgt sich der Acht-Zylinder-Motor eines Chrysler 340, und die Türen sind von innen mit Eisenplatten verschweißt, Panzerung nach irakischer Art.
Jamal fährt, als wäre er in Le Mans am Start, und kleidet sich wie ein schwuler Cowboy mit karierten Hemden und Western-Jeans. Vor der Invasion war er Medizinstudent. Doch in dem folgenden Chaos wurden die Computer der Universität gestohlen und die Akten durch ein Feuer zerstört. Jetzt kann er nicht mehr beweisen, dass er einen Abschluss in Naturwissenschaften abgelegt und drei Jahre Medizin studiert hat.
Jamals Cousin Abu fährt den HiLux. Er ist schon etwas älter und sieht aus wie ein Rammbock, mit einer Pistole unterm Hemd und einer abgesägten Schrotflinte im Schoß. In den vier Jahren, die sie jetzt zusammenarbeiten, hat Luca kaum mehr als ein Dutzend Worte mit Abu gewechselt. Jamal übernimmt das Reden. Auf einer belebten Hauptverkehrsstraße fahren die Wagen Stoßstange an Stoßstange und bahnen sich ihren Weg zwischen ächzenden Lkws, Transportern, Mopeds und Fahrrädern.
»Es hat wieder einen Überfall gegeben«, sagt Jamal. »Wann?«
»In der Nacht. Sie haben die Bank angezündet.«
»Wo?«
»In Karrada.«
»Ich will dorthin.«
»Was ist mit der Pressekonferenz?«
»Die haben bestimmt noch immer keine Regierung gebildet.« Luca parodiert den ehemaligen Ministerpräsidenten Iyad Allawi. »Heute sind wir einer Einigung einen Schritt näher gekommen. Die alten Fehden werden allmählich begraben, und die Gespräche finden in vertrauensvoller Atmosphäre statt. Ich bin der Verfassung verpflichtet und fest überzeugt, dass der Irak die Regierung bekommen wird, die er verdient.«
Jamal lacht. »Eines Tages schmeißen sie dich aus dem Land.« »Leere Versprechungen.«
Jamal ruft Abu in dem HiLux an. »Wir fahren nach Karrada. «
»Adresse?«
»Immer dem Rauch nach.«
Die beiden Wagen umrunden den Firdos-Platz und fahren auf der staubigen zweispurigen Ausfallstraße nach Süden, vorbei an Lehmgebäuden und kleinen Pfaden neben Grundstücken mit Fässern und Stacheldraht
Früher kam ihm Bagdad fremd vor, aber inzwischen schüchtert die Andersartigkeit des Ortes Luca nicht mehr ein - das Gewirr von Sprachen, das Gemisch von Düften und das Sonnenlicht von der Farbe zähflüssigen Honigs. Ein Bus ist liegen geblieben. Fahrgäste stehen auf dem Bürgersteig und diskutieren mit dem Fahrer. Die Männer ziehen an Zigaretten und blasen Rauchwolken aus, die von einer Brise verweht werden. Die Frauen sind zarte unbekannte Wesen in Schwarz mit unbestimmbaren Körpern und tanzenden Augen.
Jamal zieht ein Kaugummi aus der Tasche, schaltet das Radio ein und trommelt den Rhythmus auf dem Lenkrad mit, als ein heimischer Popsong ertönt. Er und Luca sind im Laufe der Jahre Freunde geworden, doch diese Freundschaft hat Grenzen. Luca war noch nie bei Jamal zu Hause und hat auch nie seine Frau und seine beiden kleinen Söhne getroffen. Es gibt Leute, die nicht wissen dürfen, dass Jamal und Abu für einen amerikanischen Journalisten arbeiten. Sunniten, Schiiten, Widerstandskämpfer. Dort lauert der Tod. Und Fehden sind der Nationalsport der Iraker.
Eine schwarze Rauchwolke steigt in den weißen Himmel vor ihnen. Normalerweise ist Karrada eine sichere Oase mit Straßenhändlern und vereinzeltem üppigem Grün. Jetzt haben Polizei und Feuerwehr eine Kreuzung abgeriegelt, und Schläuche winden sich zuckend über den Asphalt wie schwarze Pythons. Einige sind so abgenutzt und porös, dass sie das Pflaster statt des rauchenden Gebäudes besprühen.
Die Zweigstelle Zewiya der al-Rafidain-Bank ist völlig ausgebrannt, die Fenster sind mit dunklem Ruß umrandet, der wie Tränen einer Schönheitskönigin an den blassen Mauern hinunterrinnt.
Jamal parkt den Skoda, und Luca nimmt seine Kamera aus dem Rucksack. Er macht Abu ein Zeichen, der bei den Wagen wartet und das Geschehen aus der Distanz beobachtet.
»Wie viele sind das jetzt?«
»Sechs in den letzten zwei Monaten.«
»Und in diesem Jahr?«
»Achtzehn.«
»Bald gibt es keine Banken mehr zum Überfallen.«
Auf der anderen Straßenseite steht eine Gruppe von halbwüchsigen Jungen, die sich lachend gegenseitig schubsen und übermütig Aufmerksamkeit erregen wollen. Die älteren Männer ermahnen sie, ein wenig Respekt zu zeigen.
Eine Sirene ertönt, ein Konvoi trifft ein. Vier Militärfahrzeuge schlängeln sich zwischen den Feuerwehrautos hindurch. Sie eskortieren einen weißen Polizeiwagen mit blauen Türen, der am Straßenrand hält. Metall knirscht unter seiner Karosserie. Luca erkennt den Mann auf dem Beifahrersitz: General Khalid al-Uzri, Kommandeur der Nationalpolizei. Zwei uniformierte Beamte drängeln sich, ihm die Tür zu öffnen.
Al-Uzri steigt aus, streckt die Arme, lässt seine Wirbel knacken und dreht den Kopf von einer Seite zur anderen. Zigarettenqualm hängt über ihm wie eine persönliche Wolke. Er trägt schwarz-blaue Tarnkleidung, Barett und Epauletten mit Kranz und Stern. Er winkt ab, als man ihm einen Schirm anbietet, und schreitet durch den Nieselregen aus den Schläuchen bis zu der Fassade der Bank, die er mustert, als wollte er ein Angebot für das Gebäude abgeben.
Der Kommandant des Löschzugs kommt heraus. Seine Uniform wirkt zu groß für ihn, so als würde er die Kleidung seines Vaters tragen. Er schüttelt al-Uzri die Hand und küsst ihn auf beide Wangen.
»Verluste?«, fragt der General.
»Drei Tote.«
»Und das Geld?«
»Weg.«
Der General wischt sich Tropfen von seinem Ärmel und sieht Luca an.
»Sie sind Fotograf?«
»Ja, General«, antwortet Luca auf Arabisch.
»Heute arbeiten Sie für die Polizei.«
Luca wechselt einen Blick mit Jamal, der den Kopf schüttelt. Luca ignoriert ihn. Er folgt dem General und dem Feuerwehrmann über eine Rampe und stapft durch ölig schwarze Pfützen und um Haufen glimmender Trümmer herum.
Die große Rolltür hat sich unter der Hitze verbogen. Dahinter liegen zwei Leichen. Wachmänner. Sie sehen aus wie weggeworfene Schaufensterpuppen mit geschmolzenem schwarzem Fleisch. Der Gestank attackiert Lucas Sinne. Galle kommt ihm hoch. Er schluckt heftig, der Kaffee nagt an seinem Magen.
Al-Uzri hockt sich neben die Leichen. »Es ist das Protein«, sagt er nüchtern. »Wenn es verbrennt, verklebt es die Kleidung und die Lungen.«
Er hält einen Schädel und wendet ihn, als ob er an einem Marktstand die Festigkeit einer Melone prüfen würde.
Einer seine Adjutanten sagt: »Laut Dienstplan waren letzte Nacht sechs Wachmänner hier.«
»Wo sind die anderen?«
»Wir suchen sie noch.«
»Diese Männer wurden erschossen. Machen Sie Fotos davon.«
Der General richtet sich auf, geht weiter und wischt sich am Mantel des nächsten Feuerwehrmanns die Hände ab.
Der Tresorraum aus Beton hat eine schwere Metalltür, die von den Flammen kaum angesengt ist. Sie lässt sich leicht öffnen. In dem Raum dahinter befindet sich nur eine einzelne aufgebrochene Metallkiste. Eine Handvoll US-amerikanische Banknoten schwimmen in einer schmutzigen Pfütze.
Der General verlässt den Tresorraum und geht zur Treppe. Feuerwehrleute haben Leitern zu den oberen Stockwerken aufgestellt.
»Trägt die mein Gewicht?«, fragt al-Uzri.
»Jawohl, Sir.«
Der General zeigt auf Luca. »Sie gehen zuerst.«
Der Journalist klettert die Leiter hoch und steigt über ein Stück eingebrochenen Fußboden. Eine Toilette ist durch die Decke gekracht und hochkant auf einer Schwelle gelandet. Dahinter erkennt Luca einen langen Flur mit Büros zu beiden Seiten. Die Computer auf den Schreibtischen sind zu modernen Skulpturen geschmolzen.
Vor einem der Büros bleibt der Feuerwehrhauptmann stehen. Es dauert einen Moment, bis Luca begreift, dass er etwas fotografieren soll. An einem Metallschreibtisch sitzt eine Leiche, deren steife halbe Arme sich zu dem geborstenen Fenster strecken. Sie ist bis zur Unkenntlichkeit verkohlt, die Haut eingefallen und ledrig, die Gesichtszüge verzerrt, der Mund zu einem Schrei geöffnet. Zwischen den Zähnen, die unnatürlich weiß wirken, quillt eine geschwollene Zunge hervor.
Al-Uzri geht um die Leiche herum und begutachtet sie von allen Seiten. In seinen feuchten braunen Augen liegt Staunen, aber kein Entsetzen. Luca atmet stoßweise durch den Mund.
»Das ist einer der Zündpunkte«, sagt der Feuerwehrmann. »Irgendjemand hat die Leiche mit Benzin übergossen und eine Spur durch den Flur bis zu der Tür gelegt.«
Al-Uzri ist hinter die verkohlte Leiche getreten. Er zieht ein kleines Schweizer Armeemesser aus dem Mantel und klappt es auf. Mit ruhiger Hand legt er die scharfe Seite der Klinge an den Nacken der Leiche und löst etwas, einen in die Haut eingegrabenen Draht. Eine Garrotte.
Er nickt Luca zu. Weitere Fotos werden gemacht.
Er klappt sein Messer zu und zündet sich eine Zigarette an.
In seinen Augen kann man gar nichts lesen. Luca kennt diesen Blick von Soldaten, die solche Grausamkeiten schon so oft gesehen haben - dass sie nichts mehr wirklich schockieren kann.
»Üble Sache«, sagt der Feuerwehrmann. »Haben Sie genug gesehen?«
Der General nickt und wendet sich an Luca. »Liefern Sie die Fotos an mein Büro. Sie sind Eigentum der irakischen Polizei.«
Er steigt die Leiter hinunter, stapft zurück durch die Pfützen und die Rampe hinauf, wo er nur kurz stehen bleibt, um die Watte aus seinen Nasenlöchern zu pusten. Luca folgt ihm nach draußen und beobachtet, wie die Fahrer hastig am Steuer ihrer Wagen Platz nehmen und sich auf die Abfahrt vorbereiten.
»Verzeihung, General. Ich habe eine Frage zu dem Überfall.«
Der Kommandeur dreht sich um.
»Ihr Name?«
»Luca Terracini. Ich bin amerikanischer Journalist.« »Sie sprechen sehr gut Arabisch, Mr. Terracini.«
»Meine Mutter war Irakerin.«
Al-Uzri zündet sich eine neue Zigarette an und schirmt sie gegen den Nieselregen aus Löschwasser ab. Er nimmt sich einen Moment Zeit, den Journalisten zu betrachten.
»Die meisten Ihrer Kollegen tragen Kevlar-Westen und sind in Gruppen unterwegs. Glauben Sie, die Tatsache, dass Sie eine irakische Mutter haben, schützt Sie in irgendeiner Weise?«
»Nein, Sir.«
»Dann sind Sie vielleicht besonders mutig.«
»Nein, Sir.«
Feuchtigkeit sickert an Lucas Rücken hinunter. Es könnte Schweiß sein. »Der Filialleiter wurde gefoltert.«
»Allem Anschein nach.«
»Wissen Sie, wie viel Geld geraubt wurde?«
»Nein.«
»Was ist mit den anderen Sicherheitsleuten passiert?« »Vielleicht haben sie die Räuber verfolgt.«
»Vielleicht sind sie mit dem Geld abgehauen.«
Die lecken Feuerwehrschläuche haben die Zigarette des Ge-
nerals gelöscht. Er starrt auf die durchgeweichten Überreste.
»Es ist nicht ratsam, solche Beschuldigungen zu äußern.«
»Das ist der achtzehnte Banküberfall in Bagdad in diesem
Jahr. Besorgt Sie das?«
Der General lächelt, ohne die Mundwinkel groß zu bewegen. »Ich finde es beruhigend, dass jemand mitzählt.«
Seine Wagentür wird aufgehalten, der Motor läuft. Er rutscht auf den Beifahrersitz und weist den Fahrer mit einer knappen Geste an loszufahren. Der Konvoi setzt sich in Bewegung und schlängelt sich wieder zwischen den Feuerwehrwagen hindurch, unter dem Klang einer weiteren Sirene in einer Stadt, in der die Sirenen ununterbrochen heulen.
...
Übersetzung: Kristian Lutze
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2012
by Wilhelm Goldmann Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
... weniger
Autoren-Porträt von Michael Robotham
Before writing full-time Michael Robotham was an investigative journalist in Britain, Australia and the US. He is the pseudonymous author of 10 best-selling non-fiction titles, involving prominent figures in the military, the arts, sport and science. He lives in Sydney with his wife and 3 daughters.
Bibliographische Angaben
- Autor: Michael Robotham
- 2012, 538 Seiten, Masse: 13,5 x 21,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzer: Kristian Lutze
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442312507
- ISBN-13: 9783442312504
- Erscheinungsdatum: 03.04.2012
Rezension zu „Der Insider “
"Gewürzt mit ironischen Szenen und einem reichen Arsenal an Action."
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