Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod.Folge.1
Die deutsche Sprache kennt zwar nur vier Fälle, aber dafür über tausend Zweifelsfällle: Heisst es Pizzas oder Pizzen? Die oder das Nutella? Wurde gewinkt oder gewunken?
Auf diese und viele andere Fragen finden Sie hier Antwort. Hinreissend komisch und...
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Die deutsche Sprache kennt zwar nur vier Fälle, aber dafür über tausend Zweifelsfällle: Heisst es Pizzas oder Pizzen? Die oder das Nutella? Wurde gewinkt oder gewunken?
Auf diese und viele andere Fragen finden Sie hier Antwort. Hinreissend komisch und klug hat Bastian Sick Licht ins Dunkel der deutschen Sprachregelungen gebracht, die mit der Rechtschreibreform nicht gerade einfacher geworden sind. Dieses Buch präsentiert die grossartige Spiegel-Online-Kolumne ''Zwiebelfisch'', die Woche für Woche Leser amüsiert, schockiert, belehrt und begeistert.
Das Hörbuch mit zwei CDs und 153 Minuten Laufzeit ist im Audio-Verlag erschienen.
Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod vonBastian Sick
LESEPROBE
Die oder das Nutella - diese Frage hat schon TausendeGemüter am Frühstückstisch bewegt. Seit Generationen wird in Wohnküchendebattiert, gezankt und gestritten. Der, die, das - wieso, weshalb, warum -welchen Artikel haben Markenartikel?
Am Morgen sitzt das junge Paar am Frühstückstisch. Er rührt- noch reichlich unausgeschlafen - in seinem (deutschen!) Kaffee und liest, nurum sich nicht unterhalten zu müssen, in einem drei Wochen alten Magazin. Sieschmiert sich ordentlich Butter aufs Brötchen, streift sich kontrollierend überdie Problemzonen und der Hüftgegend und sagt dann zu ihm: "Kannst du mir maldie Nutella rüberreichen?" Und als hätte er nur darauf gewartet, kommt es wieaus der Pistole geschossen: "Du meinst ja wohl das Nutella." - "Nein",stellt sie richtig, "ich meine die Nutella!" - "Produktnamen sindgrundsätzlich sächlich", behauptet er. "Wie kommst du denn darauf?", fragt siefassungslos, "es heisst doch schliesslich die Haselnusscreme!" - "Es heisstaber trotzdem das Nutella. Glaub mir, Schatz, isso!"
"Isso" ist die Kurzform für "Ich schrei sonst" und bedeutetsinngemäss: "Weitere Argumente fallen mir im Moment nicht ein." Damit ist dasThema jedoch noch lange nicht vom Tisch. Die oder das Nutella - diese Frage hatschon zu manch hitzigen Debatten geführt. Weiblich oder sächlich, aber ganzbestimmt nicht nebensächlich. Intakte Wohngemeinschaften sind sich deswegenurplötzlich in die Haare geraten, glückliche Beziehungen sind daran zerbrochen;kaum ein Scheidungsanwalt, der nicht schon einen "Nutella"-Fall gehabt hätte.Eine definitive Lösung des Problems ist bis heute nicht in Sicht. Eines stehtfest: So einfach, wie es sich der Mann mit seiner Erklärung macht, ist esnicht.
Nach dem Frühstück springt er unter die Dusche, anschliessendstylt er sich die Haare und cremt sich mit seiner Lieblings-"Looschn" ein."Schatz, die Nivea ist alle", ruft er in männertypischer Hilflosigkeit, "habenwir noch irgendwo eine neue?" Sie spielt die Überraschte: "Die Nivea?Hast du nicht eben behauptet, Produktnamen seien prinzipiell sächlich?" - Du,ich habs leider eilig und absolut keinen Nerv auf deine Spielchen. Also, woist die Nivea?" - "Im Unterschrank - wo auch das Colgate und dasAlways stehen!", erwidert sie gelassen. Der Punkt geht an sie. Um dasGeschlecht eines Produktnamen bestimmen zu können, muss man sich Klarheitdarüber verschaffen, was das Produkt darstellt. Namen wie Colgate, Blendamed,Sensodyne, Elmex und Dentagard sind weiblich, weil sie für die weiblichenBegriffe Zahnpasta und Zahncreme stehen.
Ariel, Omo, Dash, Persil und Lenor hingegen sind sächlich,weil es das Waschmittel heisst. Bifi ist weiblich, weil man an dieSalami denken soll, Labello ist männlich, weil es der Lippenstift heisst,Tempo und Kleenex sind sächlich, weil dahinter das Papiertaschentuchsteckt. Ausnahmen bilden gelegentlich solche Produktnamen, die sich ausbekannten Hauptwörtern zusammensetzen: der Weisse Riese (obwohl dasWaschmittel), der General (obwohl das Putzmittel), der Flutschfinger(obwohl das Speiseeis). Doch auch diese Ausnahmeregel gilt nicht immer:Bei einigen Markennamen ist das dahinter stehende Produkt einfach zu mächtig,es dominiert selbst dann noch das Geschlecht des Namens, wenn dieser seineigenes Geschlecht hat. Dies ist zum Beispiel bei Bieren der Fall. Die sindimmer sächlich, selbst wenn sie "König" ("Das König unter den Bieren") oder "Urquell"heissen. Ähnliches gilt für Automarken und -modelle. Sie sind fast immermännlich*, auch wenn der Rasensport das Golf und die spanische Feier dieFiesta heisst - als Markennamen haben diese Hauptwörter gegen die Übermacht desmännlichen Wortes "Wagen" keine Chance. Unsere Nachbarn, die Franzosen,verfahren übrigens nach dem gleichen Prinzip: Bei ihnen sind alle Automarkenweiblich (la DS, la Peugeot, la Volkswagönn), weil es la voiture heisst.
Somit findet man in der deutschen Sprache sowohl dasAstra (Bier) als auch den Astra (Auto). Wer Astra trinkt und Astrafährt, kann die Sterne sehen, denn "astra" ist der Plural des lateinischenWortes "astrum", und das bedeutet "Sten". Auch Zigarettenmarken sinddurchgehend gleichen Geschlechts, nämlich weiblich, daran vermögen weder dasKamel noch der Prinz etwas zu ändern. Medikamente sind - als Heilmitteloder Packung gesehen - sächlich: das Aspirin, das Viagra. Wenn jedoch eineeinzelne Pille gemeint ist, kann es durchaus auch die Aspirin oder dieViagra heissen.
In grammatischer Hinsicht ist die Haselnuss eine ziemlichharte Nuss - nicht nur als Creme, sondern ach zwischen Waffeln: Heisst es dasoder die Hanuta? Man mag argumentieren, dass Hanuta die Abkürzungfür HAselNUssTAfel sei - und dass die Tafel ja nun unbestreitbar weiblich sei.Doch wer weiss denn schon, dass der Name Hanuta ein Akronym** ist? Wenn hanutaweiblich ist, weil "Tafel" weiblich ist, dann müsste eigentlich auch Duploweiblich sein; denn werben die Hersteller nicht mit dem Slogan, dass es sich umeine Praline handelt? Eine besonders lange sogar?
Trotzdem sind Schokoriegel in der Regel sächlichenGeschlechts: Kitkat, Mars, Bounty; Snickers; Milky Way, Twix - wann immer mansie mit Artikel nennt, so ist es "das". Obwohl es doch der Schokoriegel heisst.Aber Mars, Bounty und Co. gibt es schon länger, als es das Wort "Schokoriegel"gibt. Früher sagte man dazu noch "Süssigkeiten" oder "Naschwerk". Einesprachwissenschaftlich fundierte Begründung, warum Schokoriegel immer sächlichsind, hat der Verfasser dieses Textes momentan nicht zur Hand. Daher bedient ersich des ultimativen Arguments: Isso! Und damit zurück zur Anfangsfrage:
Bei Ferrero, dem Hersteller von Nutella, hat man die Fragenach dem Geschlecht des Markennamens natürlich schon oft gehört. Auf der firmeneigenenHomepage gibt es daher einen erklärenden Eintrag, der den Kunden allerdingsauch nicht vollständig befriedigen kann: "Nutella ist ein im Markenregistereingetragenes Phantasiewort", heisst es dort, "das sich einer genauen femininen,maskulinen oder sachlichen Zuordnung entzieht."
Manchmal ist eben einfach Phantasie gefragt - nicht nur beider Suche nach neuen Namen, sondern auch bei der Suche nach einem passendenGeschlecht - oder einer Möglichkeit, die Geschlechterfrage zu umgehen: "Schatz,reich mir doch bitte mal das Nutella-Glas rüber!"
* Abgesehen vonIsetta, DS, Corvette und einigen Cabrios.
** Akronym =Initialwort; so steht zum Beispiel "Haribo" für Hans Riegel, Bann, und "Hakle"für Hans Klenk.
© Verlag Kiepenheuer & Witsch
Autoren-Porträtvon Bastian Sick
Bastian Sick, geboren 1965, Studium derGeschichtswissenschaft und Romanistik, Tätigkeit als Lektor und Übersetzer; von1995-1998 Dokumentationsjournalist beim SPIEGEL-Verlag, ab Januar 1999Mitarbeiter der Redaktion von SPIEGEL ONLINE. Dort seit Mai 2003 Autor derKolumne "Zwiebelfisch".
Interview mit Bastian Sick
Nach Ihrem überwältigenden Erfolgmit dem Buch "Der Dativ ist dem Genitiv sein Tod", in dem Sie unseren"Sprachmissbrauch" witzig und lehrreich kommentieren, gibt es nun die "Folge 2".Was gibt es Neues zu berichten?
Die deutscheSprache ist ja nicht nur überaus lebendig und vielseitig, sie ist auch sehrkomplex und stellt uns immer wieder vor neue Rätsel. In der zweiten Folge des"Dativs" geht es um so gewichtige Themen wie gefühlte Kommas, den traurigenKonjunktiv, den geschundenen Imperativ; es geht um verschwundene Fälle, falscheFreunde, verdrehte Redensarten und um die Leidenschaft der Deutschen fürHäkchen. Eine Leidenschaft, die sehr viel Leiden schafft.
"Zwei Espressi, bitte!" oder "ZweiEspressos, bitte!"? Laut Duden stimmt beides. Aber wer will schon denOberlehrer geben, wenn er zwei Kaffee möchte? Soll man lieber Pizze(n)bestellen?
Stimmt,beides ist richtig. Wenn Fremdwörter sich lange genug in Deutschlandaufgehalten und Eingang in unsere Alltagssprache gefunden haben, werden sienicht mehr als fremd empfunden und nach den Regeln der deutschen Grammatikbehandelt. Das ist ein ganz natürlicher Vorgang, andere Kulturen halten esgenauso. In Italien ist ein Espresso übrigens immer ein "caffè". Das, was wirDeutschen unter Kaffee verstehen, würde ein Italiener niemals anrühren.
EineSprachkolumne kann immer nur ein Streiflicht auf einzelne Aspekte werfen, siekann unmöglich die unendlichen Weiten unseres sprachlichen Universumsvollständig ausleuchten. Ich bin ja auch nicht angetreten, um den Deutschen dasFunktionieren ihrer Sprache grundsätzlich neu zu erklären. Das ist nach wie vorAufgabe der Schulen. Übrigens habe auch ich mit vielen Formularen meine liebeNot. Der Staat kümmert sich um vieles, aber nicht um die Verständlichkeit undLesbarkeit seiner Formulare.
Was halten Sie von den Bestrebungen,die Rechtschreibreform zurückzunehmen? So bietet sich immerhin die schöneChance zu sagen: "Verdammt, das habe ich doch immer so geschrieben!" (Was oftbedeutet, dass man es schon immer falsch gemacht hat.)
Wie jedeReform hat auch die Rechtschreibreform gute und schlechte Seiten. Zu denVorzügen, die sich sicherlich auch durchsetzen werden, zählen die neuess/ss-Regelung (hinter kurzem Vokal ss, hinter langem Vokal ss) und dieGrossschreibung von substantivierten Adjektiven (im Dunkeln, im Stillen, imAllgemeinen). Unbefriedigend und verwirrungstiftend (oder: Verwirrung stiftend)ist die Neuregelung der Getrennt- und Zusammenschreibung. Ein Verb wie"stilllegen" wird weiterhin in einem Wort geschrieben, aber "lahm legen" mussman jetzt in zweien schreiben. Das ist nicht unbedingt logisch.
Getrenntschreibungen, Ablösung desGenitivs durch den Dativ, Apostrophe überall - was schmerzt Sie am meisten? Undwas könnte man zur "Arterhaltung" der deutschen Sprache tun?
Was ich ammeisten bedauere, ist die Tatsache, dass wir in fast allen Bereichen unsereAntennen ausschliesslich auf Amerika ausgerichtet haben. Die USA sind ein wundervollesLand, aber Europa hat mindestens genauso viel zu bieten. Was wissen Sie überaktuelle französische Popmusik? Wann haben Sie zuletzt einen schwedischen Filmim Kino gesehen? Warum wird jede noch so dümmliche amerikanische Sitcom fürsdeutsche Fernsehen synchronisiert, während sehenswerte Produktionen aus Spanienund Italien bei uns nie gezeigt werden? Wir sind zu kritiklosen Anbetern der amerikanischenKultur geworden, das schlägt sich auch in der Sprache nieder, vor allem in derWerbung und im Management. Es würde unsere Kultur stärken und bereichern, wennwir uns darauf besännen, dass wir ein Teil Europas sind - und nicht bloss einSatellit der USA.
Kennen Sie auch ein positivesBeispiel, bei dem der Sprachgebrauch die Regeln "besiegt" hat?
Es gibt zahllose solcher Beispiele. Die Regeln sindja kein in Beton gegossenes, starres Fundament, sondern passen sich früher oderspäter dem veränderten Gebrauch an. Wir sprechen heute nicht mehr wie vorhundert Jahren, folglich wurden auch die Regeln seitdem immer wiederaktualisiert. Es passiert ständig, dass Wörter in einem anderen Sinne gebrauchtwerden, als es die Wörterbuchdefinition zulässt. Zum Beispiel "realisieren": Dasbedeutete lange Zeit nur "verwirklichen". Heute hat es, wie im Englischen auch,die Bedeutung "sich einer Sache bewusst werden". Früher liessen sich nur Städteund Gebäude evakuieren, denn "evakuieren" bedeutet "leer machen". Heute kannman auch Menschen evakuieren. Ob solche Definitionserweiterungen tatsächlich positivsind, weiss ich nicht, aber sie finden nun mal statt. Sprachwandel erfolgt nachäusserst demokratischen Prinzipien - was die Mehrheit für nützlich erachtet, dassetzt sich durch, allen alten Regeln zum Trotz.
Gibt es eine grammatische Regel, mitder auch Sie Ihre Schwierigkeiten haben? (So ein Eingeständnis würde uns alleberuhigen)
Selbstverständlich, ich muss ständig imGrammatikduden nachschlagen. Meine Leser stellen mir bisweilen sehr verzwickteFragen, die ich erst nach längerer Recherche beantworten kann. Durch meine Arbeitlerne ich immer irgendetwas Neues hinzu, das macht sie für mich gerade sospannend!
Die Fragen stellte Mathias Voigt,Literaturtest.
- Autor: Bastian Sick
- 2004, Nachdruck, 240 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462034480
- ISBN-13: 9783462034486
- Erscheinungsdatum: 19.08.2004
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