Das Vermächtnis der Wanderhure
Marie ist überglücklich, denn sie ist wieder schwanger. Als ihre Todfeindin Hulda davon erfährt, schmiedet sie einen gemeinen Plan: Marie wird entführt, offiziell aber für tot erklärt. Doch Marie kämpft um ihre Freiheit....
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Produktinformationen zu „Das Vermächtnis der Wanderhure “
Marie ist überglücklich, denn sie ist wieder schwanger. Als ihre Todfeindin Hulda davon erfährt, schmiedet sie einen gemeinen Plan: Marie wird entführt, offiziell aber für tot erklärt. Doch Marie kämpft um ihre Freiheit. Unter großen Gefahren gelingt ihr die Flucht.
Iny Lorentz - dieser Name ist Garantie für spannende und opulente Historien-Bestseller Made in Germany. Neue Abenteuer von Marie und Michel!
Iny Lorentz - dieser Name ist Garantie für spannende und opulente Historien-Bestseller Made in Germany. Neue Abenteuer von Marie und Michel!
Lese-Probe zu „Das Vermächtnis der Wanderhure “
Das Vermächtnis der Wanderhure von Iny LorentzErster Teil
Die Entführung
1
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Schreie von Kriegern und Pferden hallten misstönend in Maries Ohren, und über dem Schlachtenlärm lag der Klang hussitischer Feldschlangen, die Tod und Verderben in die dicht gedrängten Reihen der deutschen Ritter spien. Sie sah böhmisches Fußvolk in blauen Kitteln mit kleinen, federgeschmückten Hüten wie die Woge einer Sturmflut auf das eisenstarrende kaiserliche Heer zurollen. Zwar schützten sich die Angreifer nur durch Lederpanzer und kleine Rundschilde, doch sie schienen zahllos zu sein, und über ihren Köpfen blitzten Hakenspieße und die Stacheln der Morgensterne.
Nun vernahm sie Michels Stimme, der seine Leute zum Standhalten aufforderte. Dennoch löste sich an anderen Stellen die Formation der Deutschen auf, und ihre Schlachtreihe bröckelte wie ein hart gewordener Laib Brot, den man mit den Händen zerreibt, um ihn an die Schweine zu verfüttern. In diesem Moment begriff Marie, dass Kaiser Sigismund die Seinen in eine vernichtende Niederlage geführt hatte. Sie stöhnte auf und zog Trudi enger an sich.
Da stürmte einer der fliehenden Ritter direkt auf sie zu. Sein Visier stand offen, und sie erkannte Falko von Hettenheim. Er blieb vor ihr stehen und wies mit dem Daumen auf Michel, der von einer dichten Traube böhmischer Rebellen umzingelt war. »Diesmal opfert sich dein Mann für den Kaiser. Gleich wird er krepieren, und nichts kann dich mehr vor meiner Rache schützen!« Marie versteifte sich und tastete nach dem Dolch, den sie in einer Falte ihres Kleides verborgen hielt, mochte die Waffe auch im Vergleich zu dem Schwert des Ritters eine Nadel sein. Falko von Hettenheim hob die Klinge zum Schlag, hielt aber mitten in der Bewegung inne und lachte auf.
»Ein schneller Tod wäre eine zu leichte Strafe für dich, Hure. Du sollst leben und dabei tausend Tode sterben!« Er griff mit der gepanzerten Rechten nach Trudi, riss das Kind an sich und wandte sich hohnlachend ab.
Mit einem verzweifelten Schrei wollte Marie ihm folgen, um ihre Tochter zu retten. Im gleichen Augenblick packte jemand sie an der Schulter und schüttelte sie kräftig.
»Wacht auf, Herrin!«
Marie schreckte hoch und öffnete die Augen. Da gab es keinen Falko von Hettenheim mehr, auch keine Böhmen und keine deutschen Ritter, sondern nur ein friedliches grünes Ufer und einen träge fließenden Strom. Sie selbst befand sich auf einem schlanken, von zwei hurtigen Braunen getreidelten Flussschiff und sah Anni und Michi vor sich stehen, die sie sichtlich besorgt musterten.
»Was ist mit Euch, Frau Marie? Seid Ihr krank?«, fragte der Junge.
»Nein, mir geht es gut. Ich bin wohl kurz eingeschlafen und habe schlecht geträumt.« Marie erhob sich, brauchte aber die helfende Hand ihrer Leibmagd, um sicher auf den Beinen zu stehen. »Schlechte Träume nicht gut.« Inzwischen vermochte Anni sich zwar fließend auszudrücken, aber wenn sie sich aufregte, fiel sie in ihr früheres Stammeln zurück.
Marie lächelte ihr beruhigend zu und trat an den Rand der Barke. Während sie den grünen Auwald betrachtete, der an dieser Stelle bis in den Strom hineinwuchs und die Pferde zwang, durch das Wasser zu laufen, glitten ihre Gedanken wieder zu dem Traum zurück. Sie hatte ihn so intensiv erlebt, dass sie den Geruch des verschossenen Pulvers noch in ihrer Nase zu spüren glaubte. Darüber wunderte sie sich, denn Michel und sie waren den böhmischen Verwicklungen fast unversehrt entkommen, und es bestand auch keine Gefahr, wieder hineingezogen zu werden. Den Verräter Falko von Hettenheim hatte die Strafe des Himmels ereilt, und ihr Ehemann weilte auf Kibitzstein, dem Lehen, das Kaiser Sigismund ihm verliehen hatte. Sie aber hatte sich aufgemacht, ihre Freundin Hiltrud auf deren Freibauernhof in der Nähe von Rheinsobern zu besuchen.
Gerne hätte sie den Besuch bis ins Frühjahr aufgeschoben, um auf dem Rückweg nicht in kaltes, stürmisches Herbstwetter zu geraten. Doch dann hatte sie zu ihrer und Michels übergroßen Freude festgestellt, dass sie schwanger war. Sie wollte Michels Patensohn Michi jedoch persönlich nach Hause bringen, denn Hiltrud hatte ihren Ältesten seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen, und ohne den Jungen hätten Michel und sie in Böhmen ein grausames Ende gefunden. Marie war Hiltrud überaus dankbar, dass die Freundin ihr bei jener Flucht aus der Pfalz ihren Sohn mitgegeben hatte, obwohl diese nicht von ihrem Plan überzeugt gewesen war.
Nun würde Hiltrud zugeben müssen, dass Marie damals Recht gehabt hatte. Das war auch anderen klar geworden, zuvorderst Pfalzgraf Ludwig, der sie nach dem angeblichen Tod ihres Mannes neu hatte vermählen wollen. Doch als Falko von Hettenheim behauptet hatte, Michel sei von Hussiten umgebracht worden, war sie überzeugt gewesen, dass er log. Sie wusste, dass der Ritter ihrem Mann den Aufstieg neidete, und hatte deswegen sofort vermutet, er habe Michel verletzt in den böhmischen Wäldern zurückgelassen, damit dieser einen qualvollen Tod in hussitischer Gefangenschaft erleide. Dieser Ahnung war sie nach Osten gefolgt, und sie hatte tatsächlich Recht behalten. Michel hatte dank der Hilfe friedlicher Tschechen überlebt, und gemeinsam war es ihnen schließlich sogar gelungen, dem Kaiser eine Botschaft von treu gebliebenen böhmischen Adeligen zu überbringen.
»Du bist heute aber sehr in Gedanken.« Anni blickte Marie verwundert an, denn ihre Herrin und Freundin war normalerweise gelassen und aufmerksam. Ihr Sinnieren musste wohl mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängen. Sie wusste, dass Frau Marie und ihr Mann sich diesmal einen Sohn erhofften, dem Michel das Lehen würde vererben können. Mit Trudi gab es schon eine Tochter, aber die würde später einen Ritter heiraten und Herrin auf dessen Burg werden. Der Kaiser hatte zwar erlaubt, dass sie das Lehen erben konnte, doch selbst dann würde es keine weiteren Adler auf Kibitzstein geben, sondern den Sippennamen eines anderen Geschlechts.
»Da hat eben ein Langohr das andere Esel genannt«, spöttelte Marie über Anni, die jetzt ebenfalls gedankenverloren vor sich hin starrte, und bat sie, ihr ein wenig mit Wasser vermischten Wein zu bringen. Während ihre Magd den Becher suchte, der von der als Tisch dienenden Frachtkiste gefallen und über das Deck gerollt war, versuchte Marie, die düstere Vorahnung abzuschütteln. Die Tatsache, dass sie ausgerechnet von dem ehrlosen Mörder und Verräter Falko von Hettenheim geträumt hatte, erschien ihr als schlechtes Omen.
Um die Bilder des Traums wegzuschieben, richtete sie ihre Gedanken auf die Ankunft in Rheinsobern. Sie fieberte dem Wiedersehen mit ihrer alten Freundin entgegen, von der sie von ihrem siebzehnten Lebensjahr an bis zu dem böhmischen Abenteuer nie lange getrennt gewesen war. Damals, vor mehr als anderthalb Jahrzehnten, hatte Hiltrud ihr das Leben gerettet, und sie waren gemeinsam als Ausgestoßene, als wandernde Huren, von Markt zu Markt gezogen und hatten ihre Körper so oft wie möglich verkaufen müssen, um überleben zu können. Als sich ihr Geschick nach fünf Jahren gewendet hatte, war aus Hiltrud eine geachtete Freibäuerin und aus ihr die Ehefrau eines Burghauptmanns geworden, den der Kaiser nach einer verlustreichen Schlacht zum freien Reichsritter ernannt hatte. In Augenblicken wie diesem erschien Marie ihr und Michels Aufstieg zu steil, und ihr schwindelte allein bei dem Gedanken an ihren neuen Stand und die Pflichten und Rechte, die dieser mit sich brachte.
Mit einem Mal fragte sie sich, was ihr Vater wohl zu alledem gesagt hätte. Als sie siebzehn gewesen war, hatte er es als das größte Glück angesehen, sie mit dem illegitimen, vermögenslosen Sohn eines Reichsgrafen verheiraten zu können. Doch der war ein ebenso gewissenloser Schurke gewesen wie Falko von Hettenheim und hatte mit seinen Intrigen dafür gesorgt, dass sie nicht in ein geschmücktes Brautbett gelegt, sondern der Hurerei beschuldigt und verhaftet worden war. Schwer verletzt wurde sie aus der Stadt vertrieben, während ihr Verlobter ihren Vater um sein Vermögen brachte. Sie hatte überlebt, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, sich irgendwann an ihrem Verderber rächen zu können. Das war ihr auch gelungen, indem sie sich den wütenden Protest der zum Konzil nach Konstanz gereisten Huren über die Zustände in der Stadt zunutze gemacht und Kaiser Sigismund selbst dazu gezwungen hatte, sie zu rehabilitieren. Da jedoch niemand wusste, was man mit einer wieder zur Jungfrau erklärten Hure anfangen sollte, hatte man sie kurzerhand mit ihrem Jugendfreund Michel verheiratet, und gegen ihre Erwartungen war sie mit ihm sehr, sehr glücklich geworden.
»Ich weiß nicht, wer das größere Langohr von uns beiden ist, Marie. Du denkst zu viel nach. Das ist nicht gut für das Kleine, das du in dir trägst.« Nach ihren gemeinsamen Erlebnissen in Böhmen als Sklavinnen der Hussiten konnte Anni sich nicht daran gewöhnen, ihre Freundin mit jener Ehrerbietung anzureden, die einer Burgherrin und Gemahlin eines Ritters zukam, und Marie verlangte es auch nicht von ihr.
Nun lachte sie leise auf. »Du tust ja gerade so, als hättest du bereits ein Dutzend Kinder geboren!«
Anni war knapp fünfzehn und immer noch ein recht schmales Ding. Dennoch hatte sie schon Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt, wenn auch recht unfreiwillige.
»Das habe ich nicht, aber ich weiß, dass es nicht gut für dich ist, so lange zu grübeln. Wir hätten Trudi mitnehmen sollen. Sie hätte dir deine Grillen längst schon ausgetrieben.«
Für einen Augenblick fühlte Marie, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie vermisste ihre kleine Tochter, mit der sie durch halb Böhmen gezogen war, doch da Michel so lange auf sein Kind hatte verzichten müssen, war Trudi bei ihm geblieben. Mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck sah sie Anni an. »Mach dir nicht so viele Sorgen um mich. Die meisten schwangeren Frauen haben ihre Launen. In spätestens einer Stunde lache ich wieder mit dir um die Wette.«
»Das will ich hoffen!« So ganz nahm die junge Tschechin ihrer Herrin den bevorstehenden Stimmungswechsel nicht ab, denn Marie wirkte so bedrückt, als wäre ihr etwas Böses begegnet. Dabei hatte sie gehofft, ihre Freundin würde sich beim Anblick der Gefilde freuen, in denen sie lange gelebt hatte. Doch je näher sie Rheinsobern kamen, umso schwermütiger wurde Marie.
Als Anni mit dem leeren Becher ihrer Herrin nach hinten ging, um ihn neu zu füllen, sagte sie zu Michi: »Ich hoffe, deiner Mutter gelingt es, Frau Marie aufzuheitern. So gefällt sie mir gar nicht.«
Michi nickte, ohne richtig hinzuhören. Der Stimmbruch lag hinter ihm, und er spürte plötzlich Sehnsüchte, die ihm vor einem Jahr noch völlig fremd gewesen waren. In seinen Träumen stellte er sich vor, wie er Anni das züchtige graue Gewand einer Leibmagd auszog und mit der Nackten Dinge trieb, die er nicht einmal in der Beichte zu erwähnen wagte.
»Mama wusste mit Frau Maries Launen immer umzugehen. Und denke ja nicht, dass sie früher keine gehabt hätte. Die Herrin kann sturer sein als ein Ochse, und wenn sie ein Ziel ins Auge gefasst hat, gibt sie nicht eher auf, bis sie es erreicht hat. An deiner Stelle würde ich mir keine Gedanken machen.«
»Ich mache mir Sorgen!«, betonte Anni und schnaubte enttäuscht, weil Michi sie nicht ernst nahm.
Als sie weitergehen wollte, streckte er die Hand aus und berührte sie am Hintern. Im gleichen Augenblick schnellte das Mädchen herum und versetzte ihm eine Ohrfeige, die noch am gegenüberliegenden Ufer zu hören gewesen sein musste. Michi verlor das Gleichgewicht, setzte sich auf den Hosenboden und starrte verdattert zu Anni hoch, die mit zornblitzenden Augen über ihm stand.
»Mach das nicht noch einmal!«, warnte sie ihn.
»Jetzt tu nicht so, als wärst du eine unbefleckte Jungfrau. Ich weiß, dass du bereits unter Männern gelegen bist.« Michi traten vor Beschämung und Wut die Tränen in die Augen. Einen Herzschlag später mischten sich die des Schmerzes hinzu, denn das Mädchen hatte erneut zugeschlagen, und diese Ohrfeige hinterließ Spuren auf seiner Wange.
»Ich habe mich nicht freiwillig unter diese Kerle gelegt, und einen wie dich werde ich gewiss nicht an mich heranlassen. Wenn du es noch einmal versuchst, sage ich es Frau Marie.«
Jetzt zog Michi den Kopf zwischen die Schultern, denn in diesen Dingen verstand Marie keinen Spaß. Da sie selbst das Opfer einer Vergewaltigung geworden war, hasste sie Männer über alles, die Frauen zwangen, ihnen gefällig zu sein. Dabei hatte er Anni keine Gewalt antun, sondern sie nur necken wollen. Wobei er natürlich ein wenig darauf gehofft hatte, sie würde irgendwann einmal in der Nacht zu ihm kommen, damit er sich bei ihr als Mann beweisen konnte.
»Musst du deshalb so toll zuschlagen? Ich wollte doch gar nichts von dir.« Er stand auf, wandte dem Mädchen den Rücken zu und gesellte sich zu den Schiffern. Drei der Männer kümmerten sich um die Zugleine und unterstützten die Fahrt, indem sie den Rumpf mit langen Stangen von Untiefen fernhielten, während der vierte am Ruder stand und das Boot so am Treidelpfad entlangsteuerte, dass die Pferde es gut in Fahrt halten konnten. Die vier hatten den kleinen Zwischenfall mit angehört und rieten Michi nun lachend, sich nichts daraus zu machen.
Einer klopfte ihm zum Trost auf die Schulter. »Weißt du, mein Junge, in der Nacht sind alle Katzen grau. Da ist es egal, ob das Weib, auf dem du liegst, jung oder alt ist. Hauptsache, du kannst dein bestes Stück in einem warmen Frauenspalt versenken. Im nächsten Ort wohnt eine saubere Hure, die einem so patenten Burschen wie dir sicher gerne zeigen wird, wie er seinen Schwengel rühren muss. Was meinst du, sollen wir dich zu ihr bringen?«
»Nein, danke!« Michi schüttelte unter dem Lachen der Schifferknechte den Kopf. Er wäre ja gerne mit den Männern gegangen, doch der Ort lag schon zu nahe bei Rheinsobern, und er fürchtete, dieser Ausflug würde daheim bekannt werden. Sein Vater würde vielleicht darüber hinwegsehen, doch der Mutter dürfte er danach eine Weile nicht unter die Augen treten. Zu der Angst, seine Familie dummem Gerede auszusetzen, kam noch die Scheu, sich bei der Hure zu blamieren.
Die Einzige, die nichts von Annis Schlagfertigkeit und den Kommentaren der Schiffer wahrgenommen hatte, war Marie, die sich wieder in ihren Erinnerungen verlor. Sie musste an Falko von Hettenheim denken, und es war ihr, als ginge auch von dem Toten noch eine Bedrohung für sie aus.
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Steinerne Furt, 86167 Augsburg
Schreie von Kriegern und Pferden hallten misstönend in Maries Ohren, und über dem Schlachtenlärm lag der Klang hussitischer Feldschlangen, die Tod und Verderben in die dicht gedrängten Reihen der deutschen Ritter spien. Sie sah böhmisches Fußvolk in blauen Kitteln mit kleinen, federgeschmückten Hüten wie die Woge einer Sturmflut auf das eisenstarrende kaiserliche Heer zurollen. Zwar schützten sich die Angreifer nur durch Lederpanzer und kleine Rundschilde, doch sie schienen zahllos zu sein, und über ihren Köpfen blitzten Hakenspieße und die Stacheln der Morgensterne.
Nun vernahm sie Michels Stimme, der seine Leute zum Standhalten aufforderte. Dennoch löste sich an anderen Stellen die Formation der Deutschen auf, und ihre Schlachtreihe bröckelte wie ein hart gewordener Laib Brot, den man mit den Händen zerreibt, um ihn an die Schweine zu verfüttern. In diesem Moment begriff Marie, dass Kaiser Sigismund die Seinen in eine vernichtende Niederlage geführt hatte. Sie stöhnte auf und zog Trudi enger an sich.
Da stürmte einer der fliehenden Ritter direkt auf sie zu. Sein Visier stand offen, und sie erkannte Falko von Hettenheim. Er blieb vor ihr stehen und wies mit dem Daumen auf Michel, der von einer dichten Traube böhmischer Rebellen umzingelt war. »Diesmal opfert sich dein Mann für den Kaiser. Gleich wird er krepieren, und nichts kann dich mehr vor meiner Rache schützen!« Marie versteifte sich und tastete nach dem Dolch, den sie in einer Falte ihres Kleides verborgen hielt, mochte die Waffe auch im Vergleich zu dem Schwert des Ritters eine Nadel sein. Falko von Hettenheim hob die Klinge zum Schlag, hielt aber mitten in der Bewegung inne und lachte auf.
»Ein schneller Tod wäre eine zu leichte Strafe für dich, Hure. Du sollst leben und dabei tausend Tode sterben!« Er griff mit der gepanzerten Rechten nach Trudi, riss das Kind an sich und wandte sich hohnlachend ab.
Mit einem verzweifelten Schrei wollte Marie ihm folgen, um ihre Tochter zu retten. Im gleichen Augenblick packte jemand sie an der Schulter und schüttelte sie kräftig.
»Wacht auf, Herrin!«
Marie schreckte hoch und öffnete die Augen. Da gab es keinen Falko von Hettenheim mehr, auch keine Böhmen und keine deutschen Ritter, sondern nur ein friedliches grünes Ufer und einen träge fließenden Strom. Sie selbst befand sich auf einem schlanken, von zwei hurtigen Braunen getreidelten Flussschiff und sah Anni und Michi vor sich stehen, die sie sichtlich besorgt musterten.
»Was ist mit Euch, Frau Marie? Seid Ihr krank?«, fragte der Junge.
»Nein, mir geht es gut. Ich bin wohl kurz eingeschlafen und habe schlecht geträumt.« Marie erhob sich, brauchte aber die helfende Hand ihrer Leibmagd, um sicher auf den Beinen zu stehen. »Schlechte Träume nicht gut.« Inzwischen vermochte Anni sich zwar fließend auszudrücken, aber wenn sie sich aufregte, fiel sie in ihr früheres Stammeln zurück.
Marie lächelte ihr beruhigend zu und trat an den Rand der Barke. Während sie den grünen Auwald betrachtete, der an dieser Stelle bis in den Strom hineinwuchs und die Pferde zwang, durch das Wasser zu laufen, glitten ihre Gedanken wieder zu dem Traum zurück. Sie hatte ihn so intensiv erlebt, dass sie den Geruch des verschossenen Pulvers noch in ihrer Nase zu spüren glaubte. Darüber wunderte sie sich, denn Michel und sie waren den böhmischen Verwicklungen fast unversehrt entkommen, und es bestand auch keine Gefahr, wieder hineingezogen zu werden. Den Verräter Falko von Hettenheim hatte die Strafe des Himmels ereilt, und ihr Ehemann weilte auf Kibitzstein, dem Lehen, das Kaiser Sigismund ihm verliehen hatte. Sie aber hatte sich aufgemacht, ihre Freundin Hiltrud auf deren Freibauernhof in der Nähe von Rheinsobern zu besuchen.
Gerne hätte sie den Besuch bis ins Frühjahr aufgeschoben, um auf dem Rückweg nicht in kaltes, stürmisches Herbstwetter zu geraten. Doch dann hatte sie zu ihrer und Michels übergroßen Freude festgestellt, dass sie schwanger war. Sie wollte Michels Patensohn Michi jedoch persönlich nach Hause bringen, denn Hiltrud hatte ihren Ältesten seit mehr als zwei Jahren nicht gesehen, und ohne den Jungen hätten Michel und sie in Böhmen ein grausames Ende gefunden. Marie war Hiltrud überaus dankbar, dass die Freundin ihr bei jener Flucht aus der Pfalz ihren Sohn mitgegeben hatte, obwohl diese nicht von ihrem Plan überzeugt gewesen war.
Nun würde Hiltrud zugeben müssen, dass Marie damals Recht gehabt hatte. Das war auch anderen klar geworden, zuvorderst Pfalzgraf Ludwig, der sie nach dem angeblichen Tod ihres Mannes neu hatte vermählen wollen. Doch als Falko von Hettenheim behauptet hatte, Michel sei von Hussiten umgebracht worden, war sie überzeugt gewesen, dass er log. Sie wusste, dass der Ritter ihrem Mann den Aufstieg neidete, und hatte deswegen sofort vermutet, er habe Michel verletzt in den böhmischen Wäldern zurückgelassen, damit dieser einen qualvollen Tod in hussitischer Gefangenschaft erleide. Dieser Ahnung war sie nach Osten gefolgt, und sie hatte tatsächlich Recht behalten. Michel hatte dank der Hilfe friedlicher Tschechen überlebt, und gemeinsam war es ihnen schließlich sogar gelungen, dem Kaiser eine Botschaft von treu gebliebenen böhmischen Adeligen zu überbringen.
»Du bist heute aber sehr in Gedanken.« Anni blickte Marie verwundert an, denn ihre Herrin und Freundin war normalerweise gelassen und aufmerksam. Ihr Sinnieren musste wohl mit ihrer Schwangerschaft zusammenhängen. Sie wusste, dass Frau Marie und ihr Mann sich diesmal einen Sohn erhofften, dem Michel das Lehen würde vererben können. Mit Trudi gab es schon eine Tochter, aber die würde später einen Ritter heiraten und Herrin auf dessen Burg werden. Der Kaiser hatte zwar erlaubt, dass sie das Lehen erben konnte, doch selbst dann würde es keine weiteren Adler auf Kibitzstein geben, sondern den Sippennamen eines anderen Geschlechts.
»Da hat eben ein Langohr das andere Esel genannt«, spöttelte Marie über Anni, die jetzt ebenfalls gedankenverloren vor sich hin starrte, und bat sie, ihr ein wenig mit Wasser vermischten Wein zu bringen. Während ihre Magd den Becher suchte, der von der als Tisch dienenden Frachtkiste gefallen und über das Deck gerollt war, versuchte Marie, die düstere Vorahnung abzuschütteln. Die Tatsache, dass sie ausgerechnet von dem ehrlosen Mörder und Verräter Falko von Hettenheim geträumt hatte, erschien ihr als schlechtes Omen.
Um die Bilder des Traums wegzuschieben, richtete sie ihre Gedanken auf die Ankunft in Rheinsobern. Sie fieberte dem Wiedersehen mit ihrer alten Freundin entgegen, von der sie von ihrem siebzehnten Lebensjahr an bis zu dem böhmischen Abenteuer nie lange getrennt gewesen war. Damals, vor mehr als anderthalb Jahrzehnten, hatte Hiltrud ihr das Leben gerettet, und sie waren gemeinsam als Ausgestoßene, als wandernde Huren, von Markt zu Markt gezogen und hatten ihre Körper so oft wie möglich verkaufen müssen, um überleben zu können. Als sich ihr Geschick nach fünf Jahren gewendet hatte, war aus Hiltrud eine geachtete Freibäuerin und aus ihr die Ehefrau eines Burghauptmanns geworden, den der Kaiser nach einer verlustreichen Schlacht zum freien Reichsritter ernannt hatte. In Augenblicken wie diesem erschien Marie ihr und Michels Aufstieg zu steil, und ihr schwindelte allein bei dem Gedanken an ihren neuen Stand und die Pflichten und Rechte, die dieser mit sich brachte.
Mit einem Mal fragte sie sich, was ihr Vater wohl zu alledem gesagt hätte. Als sie siebzehn gewesen war, hatte er es als das größte Glück angesehen, sie mit dem illegitimen, vermögenslosen Sohn eines Reichsgrafen verheiraten zu können. Doch der war ein ebenso gewissenloser Schurke gewesen wie Falko von Hettenheim und hatte mit seinen Intrigen dafür gesorgt, dass sie nicht in ein geschmücktes Brautbett gelegt, sondern der Hurerei beschuldigt und verhaftet worden war. Schwer verletzt wurde sie aus der Stadt vertrieben, während ihr Verlobter ihren Vater um sein Vermögen brachte. Sie hatte überlebt, weil sie fest davon überzeugt gewesen war, sich irgendwann an ihrem Verderber rächen zu können. Das war ihr auch gelungen, indem sie sich den wütenden Protest der zum Konzil nach Konstanz gereisten Huren über die Zustände in der Stadt zunutze gemacht und Kaiser Sigismund selbst dazu gezwungen hatte, sie zu rehabilitieren. Da jedoch niemand wusste, was man mit einer wieder zur Jungfrau erklärten Hure anfangen sollte, hatte man sie kurzerhand mit ihrem Jugendfreund Michel verheiratet, und gegen ihre Erwartungen war sie mit ihm sehr, sehr glücklich geworden.
»Ich weiß nicht, wer das größere Langohr von uns beiden ist, Marie. Du denkst zu viel nach. Das ist nicht gut für das Kleine, das du in dir trägst.« Nach ihren gemeinsamen Erlebnissen in Böhmen als Sklavinnen der Hussiten konnte Anni sich nicht daran gewöhnen, ihre Freundin mit jener Ehrerbietung anzureden, die einer Burgherrin und Gemahlin eines Ritters zukam, und Marie verlangte es auch nicht von ihr.
Nun lachte sie leise auf. »Du tust ja gerade so, als hättest du bereits ein Dutzend Kinder geboren!«
Anni war knapp fünfzehn und immer noch ein recht schmales Ding. Dennoch hatte sie schon Erfahrungen mit dem anderen Geschlecht gesammelt, wenn auch recht unfreiwillige.
»Das habe ich nicht, aber ich weiß, dass es nicht gut für dich ist, so lange zu grübeln. Wir hätten Trudi mitnehmen sollen. Sie hätte dir deine Grillen längst schon ausgetrieben.«
Für einen Augenblick fühlte Marie, wie ihr die Tränen in die Augen schossen. Sie vermisste ihre kleine Tochter, mit der sie durch halb Böhmen gezogen war, doch da Michel so lange auf sein Kind hatte verzichten müssen, war Trudi bei ihm geblieben. Mit einem leicht gequälten Gesichtsausdruck sah sie Anni an. »Mach dir nicht so viele Sorgen um mich. Die meisten schwangeren Frauen haben ihre Launen. In spätestens einer Stunde lache ich wieder mit dir um die Wette.«
»Das will ich hoffen!« So ganz nahm die junge Tschechin ihrer Herrin den bevorstehenden Stimmungswechsel nicht ab, denn Marie wirkte so bedrückt, als wäre ihr etwas Böses begegnet. Dabei hatte sie gehofft, ihre Freundin würde sich beim Anblick der Gefilde freuen, in denen sie lange gelebt hatte. Doch je näher sie Rheinsobern kamen, umso schwermütiger wurde Marie.
Als Anni mit dem leeren Becher ihrer Herrin nach hinten ging, um ihn neu zu füllen, sagte sie zu Michi: »Ich hoffe, deiner Mutter gelingt es, Frau Marie aufzuheitern. So gefällt sie mir gar nicht.«
Michi nickte, ohne richtig hinzuhören. Der Stimmbruch lag hinter ihm, und er spürte plötzlich Sehnsüchte, die ihm vor einem Jahr noch völlig fremd gewesen waren. In seinen Träumen stellte er sich vor, wie er Anni das züchtige graue Gewand einer Leibmagd auszog und mit der Nackten Dinge trieb, die er nicht einmal in der Beichte zu erwähnen wagte.
»Mama wusste mit Frau Maries Launen immer umzugehen. Und denke ja nicht, dass sie früher keine gehabt hätte. Die Herrin kann sturer sein als ein Ochse, und wenn sie ein Ziel ins Auge gefasst hat, gibt sie nicht eher auf, bis sie es erreicht hat. An deiner Stelle würde ich mir keine Gedanken machen.«
»Ich mache mir Sorgen!«, betonte Anni und schnaubte enttäuscht, weil Michi sie nicht ernst nahm.
Als sie weitergehen wollte, streckte er die Hand aus und berührte sie am Hintern. Im gleichen Augenblick schnellte das Mädchen herum und versetzte ihm eine Ohrfeige, die noch am gegenüberliegenden Ufer zu hören gewesen sein musste. Michi verlor das Gleichgewicht, setzte sich auf den Hosenboden und starrte verdattert zu Anni hoch, die mit zornblitzenden Augen über ihm stand.
»Mach das nicht noch einmal!«, warnte sie ihn.
»Jetzt tu nicht so, als wärst du eine unbefleckte Jungfrau. Ich weiß, dass du bereits unter Männern gelegen bist.« Michi traten vor Beschämung und Wut die Tränen in die Augen. Einen Herzschlag später mischten sich die des Schmerzes hinzu, denn das Mädchen hatte erneut zugeschlagen, und diese Ohrfeige hinterließ Spuren auf seiner Wange.
»Ich habe mich nicht freiwillig unter diese Kerle gelegt, und einen wie dich werde ich gewiss nicht an mich heranlassen. Wenn du es noch einmal versuchst, sage ich es Frau Marie.«
Jetzt zog Michi den Kopf zwischen die Schultern, denn in diesen Dingen verstand Marie keinen Spaß. Da sie selbst das Opfer einer Vergewaltigung geworden war, hasste sie Männer über alles, die Frauen zwangen, ihnen gefällig zu sein. Dabei hatte er Anni keine Gewalt antun, sondern sie nur necken wollen. Wobei er natürlich ein wenig darauf gehofft hatte, sie würde irgendwann einmal in der Nacht zu ihm kommen, damit er sich bei ihr als Mann beweisen konnte.
»Musst du deshalb so toll zuschlagen? Ich wollte doch gar nichts von dir.« Er stand auf, wandte dem Mädchen den Rücken zu und gesellte sich zu den Schiffern. Drei der Männer kümmerten sich um die Zugleine und unterstützten die Fahrt, indem sie den Rumpf mit langen Stangen von Untiefen fernhielten, während der vierte am Ruder stand und das Boot so am Treidelpfad entlangsteuerte, dass die Pferde es gut in Fahrt halten konnten. Die vier hatten den kleinen Zwischenfall mit angehört und rieten Michi nun lachend, sich nichts daraus zu machen.
Einer klopfte ihm zum Trost auf die Schulter. »Weißt du, mein Junge, in der Nacht sind alle Katzen grau. Da ist es egal, ob das Weib, auf dem du liegst, jung oder alt ist. Hauptsache, du kannst dein bestes Stück in einem warmen Frauenspalt versenken. Im nächsten Ort wohnt eine saubere Hure, die einem so patenten Burschen wie dir sicher gerne zeigen wird, wie er seinen Schwengel rühren muss. Was meinst du, sollen wir dich zu ihr bringen?«
»Nein, danke!« Michi schüttelte unter dem Lachen der Schifferknechte den Kopf. Er wäre ja gerne mit den Männern gegangen, doch der Ort lag schon zu nahe bei Rheinsobern, und er fürchtete, dieser Ausflug würde daheim bekannt werden. Sein Vater würde vielleicht darüber hinwegsehen, doch der Mutter dürfte er danach eine Weile nicht unter die Augen treten. Zu der Angst, seine Familie dummem Gerede auszusetzen, kam noch die Scheu, sich bei der Hure zu blamieren.
Die Einzige, die nichts von Annis Schlagfertigkeit und den Kommentaren der Schiffer wahrgenommen hatte, war Marie, die sich wieder in ihren Erinnerungen verlor. Sie musste an Falko von Hettenheim denken, und es war ihr, als ginge auch von dem Toten noch eine Bedrohung für sie aus.
Genehmigte Lizenzausgabe für Verlagsgruppe Weltbild GmbH,
Steinerne Furt, 86167 Augsburg
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Autoren-Porträt von Iny Lorentz
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Bibliographische Angaben
- Autor: Iny Lorentz
- 714 Seiten, Taschenbuch
- ISBN-10: 3868008179
- ISBN-13: 9783868008173
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