Das Paulus-Evangelium
Thriller
Die Hacker Marc und Guido wollten sich nur einen Spaß machen, als sie in eine geheime Datenbank des Vatikans eindringen. Dort entdecken sie Bilder, die von der Passion Christi erzählen, aber auf ganz neue Weise. Plötzlich sind Marc und...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Paulus-Evangelium “
Die Hacker Marc und Guido wollten sich nur einen Spaß machen, als sie in eine geheime Datenbank des Vatikans eindringen. Dort entdecken sie Bilder, die von der Passion Christi erzählen, aber auf ganz neue Weise. Plötzlich sind Marc und Guido Akteure in einer gefährlichen Intrige.
Klappentext zu „Das Paulus-Evangelium “
Es beginnt wie ein harmloser Spass: Zwei junge Hacker, Marc und Guido, dringen über das Stromnetz in eine geheime Datenbank des Vatikans ein. Plötzlich flimmert über ihren Bildschirm eine Computersimulation: Jehudas Verrat im Garten Gethsemane, am Vorabend von Jesu Kreuzigung. Die beiden ahnen zunächst nicht, welche Sprengkraft die Bilder besitzen. Doch sie müssen erkennen, dass es Geheimnisse gibt, an die zu rühren lebensgefährlich ist.Lese-Probe zu „Das Paulus-Evangelium “
Das Paulus-Evangelium von Wolfgang Hohlbein1. Tag, 16:04 Uhr
Die Nacht war zu dunkel, und etwas stimmte mit den Farben nicht. Der Himmel sah nicht so aus, wie man ihn sich an einem Ort wie diesem und zu dieser Zeit des Jahres vorgestellt hätte. Der Tag war so trocken, heiß und erbarmungslos gewesen wie alle Tage in den zurückliegenden Monaten, aber nicht einmal annähernd so heiß und trocken wie die, die noch bevorstanden. Mit dem ersten Grau der rasch hereinbrechenden, kurzen Dämmerung waren Wolken am Himmel aufgezogen, weiß im letzten Licht des schwindenden Tages, die jetzt zu bauchigen schwarzen Gebirgen wurden, nahezu die Hälfte des Firmaments bedeckend und ein Versprechen auf Regen abgebend, von dem jeder in der Stadt wusste, dass es auch diesmal nur trügerisch sein konnte. Mit der Dunkelheit war die Kälte gekommen, eine ungewöhnlich beißende Kälte, und zudem lag etwas wie eine schwache, aberspürbare Vorahnung von etwas Großem in der Luft, das geschehen würde. Nichts Gutem.
Das knappe Dutzend Männer, das zielsicher seinen Weg durch den nachtdunklen Garten fand, hatte sich bis auf wenige Ausnahmen in dunkle Mäntel gehüllt, die vielleicht nicht der Jahreszeit angemessen waren, sehr wohl aber den ungewöhnlichen Temperaturen, und die meisten von ihnen hatten den groben Stoff eng um die Schultern zusammengezogen. Sie hielten den Blick aufmerksam auf den Boden gesenkt, um keinen Fehltritt zu tun oder gar zu stürzen, denn der unzeitgemäß bewölkte Himmel ließ die Nacht nicht nur besonders kühl werden, sondern auch außergewöhnlich dunkel. Keiner der Männer hatte eine Fackel mitgebracht. Das hatte man ihnen verboten, ebenso wie ihnen strengstens eingeschärft worden war, sich leise und unauffällig zu verhalten.
Noch etwas war ungewöhnlich an dem knappen Dutzend
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Männer, das sich nahezu lautlos seinen Weg zwischen den halb verdorrten Büschen, den niedrigen, dürren Bäumen und den selbst in der Nacht kränklich und blass wirkenden, spärlich wachsenden Blumenrabatten des Garten Gethsemane hindurchbahnte. Es handelte sich ausnahmslos um ausgesucht große und kräftige Männer, Männer mit starken Händen und harten Gesichtern, die ihre Waffen und Kettenhemden sorgsam unter ihren Mänteln verbargen und selbst die Helme abgesetzt hatten, damit sich kein verirrter Lichtstrahl auf dem Metall brach und ihre Beute etwa im letzten Moment warnte.
An der Spitze der kleinen Kolonne bewegten sich drei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Einer von ihnen – der größte – ging zwei Schritte hinter den anderen, aber seine Haltung hatte nichts Ehrerbietendes, sondern machte ganz im Gegenteil klar, dass er hier die Befehle gab und die beiden Männer vor ihm seiner Gruppe nur den Weg zu weisen hatten. Er trug einen groben Wollmantel, den er jedoch nur lose um die Schultern geworfen hatte, sodass darunter ein braunroter, lederner Brustharnisch sichtbar war und der Griff eines kurzen Schwertes, dem man sein Alter ebenso ansah wie die Tatsache, dass sein Besitzer es nicht nur zur Zierde mit sich führte. Die beiden Männer vor ihm waren etwa gleich groß, aber an Jahren so unterschiedlich, dass sie beinahe Vater und Sohn hätten sein können. Der ältere, der das knöchellange bestickte Gewand eines Priesters trug, war ein Greis mit weißem Bart und Augen, die vom Alter trüb geworden waren, dennoch aber sehr aufmerksam in die Welt hinausblickten, aber mit einem Missmut, der zu einem unauslöschlichen Teil seines Charakters geworden war. Der jüngere war ein Mann in den besten Jahren in einem schlichten weißen Gewand und einfachen Schnürsandalen. Er wirkte nervös, war zugleich aber von allen derjenige, der sich am sichersten durch die Dunkelheit des Gartens bewegte, als hätte er diesen Weg schon unzählige Male zurückgelegt.
Wind kam auf, böig und so unerwartet kalt wie die ganze Nacht, sodass einige der Männer die Köpfe noch weiter senkten, um ihre Gesichter zu schützen. Eine hüfthohe Wolke aus verdorrtem Laub und verbrannten Blättern umwirbelte die Männer für einen Augenblick und war dann wieder verschwunden. Unter einem der Mäntel klirrte Metall, was der ganzen Gruppe einen ärgerlichen Blick ihres Anführers einhandelte und diesem selbst eine rasche, erschrockene Geste des jüngeren Mannes.
»Seid auf der Hut, Malchus«, sagte er. »Manche behaupten, er hätte das zweite Gesicht und wisse, was die Zukunft bringt.«
Der große Krieger lächelte herablassend. »Wenn das so ist«, antwortete er, halblaut, aber doch nicht annähernd so leise, wie es nach dem ärgerlichen Blick, den er seinen Begleitern zugeworfen hatte, zu erwarten gewesen wäre, »gibt es keinen Grund mehr, Vorsicht walten zu lassen. Dann weiß er ohnehin, dass wir kommen, nicht wahr, Jehuda?«
Der dunkelhaarige Mann mit dem sorgsam gestutzten Vollbart und den ängstlichen Augen sah den Zenturio einen Moment lang verstört an, sagte aber nichts, sondern beschleunigte seine Schritte sogar noch ein wenig. Ein kurzes verächtliches Lächeln huschte über Malchus’ Gesicht. Er murmelte ein einzelnes Wort in einer Sprache, die der Priester und Jehuda nicht verstanden, und einer der Männer hinter ihm begann leise zu lachen, brach aber augenblicklich wieder ab, als Malchus eine Kopfbewegung in seine Richtung andeutete.
Wieder ging eine rasche, sonderbare Veränderung mit dem Himmel vonstatten. Die Farben änderten sich, fast unmerklich, dennoch auf eine Art, die die Szenerie plötzlich noch düsterer und bedrohlicher erscheinen ließ. Aus dem blaustichigen Schwarz des Himmels wurde ein ebenso dunkles staubiges Violett; eine Farbe, die einem das Atmen schwer machte, wenn man zu lange hinsah. Was immer bisher ihr Kommen angekündigt hatte, war nun da.
Keiner der Männer, die sich nahezu lautlos durch die Nacht bewegten, schien Notiz davon zu nehmen. Angeführt von Jehuda und dem greisen Priesterbewegten sie sich zielstrebig an einer Bruchsteinmauer von anderthalbfacher Manneshöhe entlang und hielten schließlich vor einem aus groben Bohlen gefertigten Tor an. Durch die Ritzen fiel der flackernde Schein von Kerzen, die auf der anderen Seite brannten, und man konnte leise Stimmen hören, ohne jedoch die Worte zu verstehen. Jemand lachte.
»Ist es hier?« Malchus trat mit zwei schnellen Schritten zwischen Jehuda und den Priester und hob die Hand, wie um das Tor aufzudrücken, führte die Bewegung aber nichtganz zu Ende, sondern sah den Schwarzhaarigen nur fragend an. Das herablassende Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden und hatte einem Ausdruckgespannter Konzentration Platz gemacht. Er zeigte keine Furcht, wohl aber die Entschlossenheit eines Mannes, der wusste, dass das, was vor ihm lag, sicherlich nicht ungefährlich war, er ihm aber gewachsen sein würde.
Wie als Antwort drang ein abermaliges, diesmal lang anhaltendes und schallendes Lachen durch das Holz der Tür. Jehudas Blick irrte unstet in die entsprechende Richtung, und er fuhr sich mit dem Handrücken nervös über das Kinn, bevor er antwortete. »Ja. Aber ich sage es noch einmal: Seid auf der Hut. Er kann manchmal sehr ...jähzornig sein.«
Der Zenturio gab seinen Männern mit der linken Hand ein Zeichen, woraufhin sie sich rasch und nahezu lautlos im Halbkreis um ihn und das Tor herum verteilten, bevor er antwortete. »Einjähzorniger Mann, Jehuda? Aber spricht er denn nicht immerzu vom Frieden?«
Das scharfe Knacken eines zerbrechenden Zweiges drang aus der Dunkelheit an ihr Ohr. Malchus fuhr blitzartig herum, gerade noch rechtzeitig genug, um eine schattenhafte, kaum kindergroße Gestalt davonhuschen zu sehen, die sich in den Büschen auf der anderen Seite des Weges versteckt hatte. Einer seiner Männer machte eine Bewegung, wie um ihr zu folgen, doch der Zenturio hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. »Nur ein Kind, das neugierig war«, sagte er. Dann wandte er sich wieder an Jehuda. »Wenn er wirklich so jähzornig ist, wie verträgt sich das mit seinen Prinzipien, von denen er doch behauptet, sie entsprächen Gottes eigenem Willen?«
Jehuda fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und wusste nun sichtlich nicht mehr, was er antworten sollte, doch der alte Mann im Priestergewand kam ihm zuvor. »Er spricht nicht im Namen des Herrn«, sagte er scharf. »Wer den Tempel lästert, der hat keine Prinzipien und auch keine Moral. Und schon gar nicht das Recht, den Namen Gottes in den Mund zu nehmen!«
Der heilige Zorn, der sich bei diesen Worten auf seinem Gesicht widerspiegelte, schien Malchus nicht sonderlich zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil lächelte er plötzlich wieder und fragte dann: »Hat er tatsächlich den Tempel gelästert – oder nicht vielmehr eure Einkünfte geschmälert, mein Freund?«
Der Priester setzte zu einer entrüsteten Antwort an, doch Malchus schnitt ihm mit einer beiläufigen Geste das Wort ab, hob die Hand zur Tür und wandte sich wieder an den Schwarzhaarigen. »Wie erkenne ich ihn? Es heißt, ersäße immer inmitten seiner Jünger und trüge keine prachtvolleren Kleider als sie.«
»Das ist wahr«, antwortete Jehuda. »Ich werde vorausgehen und ihn Euch zeigen.«
Malchus nickte zufrieden und legte die flache Hand auf die Tür, bewegte sie allerdings gerade nur so weit, um sich davon zu überzeugen, dass sie nichtverschlossen war. Hinter ihnen schlugen seine Männer die Mäntel zurück, setzten ihre Helme auf und zogen die Waffen. Das kaum hörbare Rascheln und Klirren, das die Bewegungen begleitete, ging nahezu vollkommen im Stimmengemurmel auf der anderen Türseite unter.
»Ihr bleibt hier«, wandte sich Malchus an den Priester. »Es sind nicht wenige, und wenn Jehuda Recht hat, könnte es gefährlich werden. Ich möchte mir schließlich nicht den Zorn Eures Gottes zuziehen, weil ich einen seiner Priester in Gefahrgebracht habe.«
Der Ausdruck von Zorn in den Zügen des alten Mannes verdunkelte sich noch weiter, doch er war klug genug, nichts darauf zu erwidern. Stattdessen griff er untersein Gewand, förderte einen kleinen Lederbeutel zutage und reichte ihn Jehuda. Es klimperte leise, als dieser ihn entgegennahm.
»Falls es zum Kampf kommt, dann schlagt ihm ins Gesicht«, sagte Jehuda leise. »Jeder Treffer dort zählt doppelt, denn er ist sehreitel.«
Malchus ließ sich nicht anmerken, ob er diese Worte gehört hatte, sondern überzeugte sich nur noch einmal mit einem raschen Blick in die Runde davon, dass seine Männer bereit waren, dann stieß er die Tür mit einem entschlossenen Ruck auf, stürmte hindurch und zog in der gleichen Bewegung sein Schwert. Seine Begleiter folgten ihm dicht auf den Fersen. Als Letzter trat Jehuda durch die Tür, das Gesicht zu einer steinernen Maske erstarrt und die Finger der rechten Hand so fest um den kleinen Lederbeutel gepresst, als wolle er ihn zerquetschen.
Die Tür führte auf einen weitläufigen, an drei Seiten von fensterlosen Mauern umschlossenen Innenhof hinaus, der zu einem zweigeschossigen, aus den gleichen Bruchsteinen wie die Mauer errichteten Gebäude gehörte, hinter dessen Fenstern Licht brannte. Gestalten bewegten sich darin, man sah Schatten vorbeihuschen und hörte Stimmen, Gelächter und Fetzen einer sonderbar melancholischen, fremd klingenden Musik. Ohne dass es eines Befehls seitens Malchus bedurft hätte, huschten drei seiner Krieger in die entsprechende Richtung und verschwanden mit gezückten Schwertern im Haus, während er selbst und der Rest seiner Männer sich dem langgestreckten, grob gezimmerten Tisch zuwandten, der in der Mitte des Hofes stand. An der festlich gedeckten Tafel, die nichtganz zu der Bescheidenheit passen wollte, die der Mann predigte, nach dem er suchte, saß ein gutes Dutzend Männer, die erschrocken aufsprangen, als die Soldaten in den Hof stürmten. Zwei oder drei Schemel polterten zu Boden, ein Krug fiel um und zerbrach, und mehr als eine Hand bewegte sich auf eine Art, die Malchus erkennen ließ, dass sie nach einem Dolch oder einer anderen verborgenen Waffe greifen wollte.
»Rührt euch nicht!«, sagte er scharf. »Niemandem geschieht etwas, wenn ihr keinen Widerstand leistet.«
Noch bevor er die Worte ganz ausgesprochen hatte, waren seine Männer bereits ausgeschwärmt und hatten einen Kreis um den Tisch gebildet. Ein angespannter, banger Atemzug verstrich, in dem nicht sicher schien, dass Malchus’ Worte die beabsichtigte Wirkung erzielten. Immerhin waren die anderen in der Überzahl, und es handelte sich mit einer einzigen Ausnahme um große, kräftige Männer von einer Art, die der Zenturio nur zu gut kannte. Keine Krieger, aber Menschen, die das Leben hart gemacht hatte und die sich ihrer Haut zu wehren wussten. Aber der gefährliche Moment verging, und man konnte sehen, wie sich Hände, die nach Waffen hatten greifen wollen, wieder zurückzogen und die Spannung aus dem einen oder anderen Gesicht wich; sicherlich nur um eine Winzigkeit, aber eine entscheidende Winzigkeit.
»Das ist nicht möglich! Ihr müsst einen Fehler gemacht haben!«
»Ich fürchte nicht, Eminenz.«
Einer der Männer, die von der Tafel aufgesprungen waren, trat einen halben Schritt vor und wandte sich mit scharfer Stimme an Malchus, den er zielsicher als Anführer ausgemacht hatte. »Was hat das zu bedeuten?«, verlangte er in forderndem Ton zu wissen. »Was fällt euch ein, hier ...?«
Der Zenturio brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen und winkte Jehuda herbei. Ein erstauntes Murmeln und Raunen lief durch die Reihe der Männer am Tisch, als der Schwarzhaarige – langsamer werdend und mit Schritten, denen man ansah, welch ungeheure Überwindung sie ihn kosteten – an Malchus vorbei um den Tisch herumging, um sich einem der Männer zu nähern. Wie der Legionär vorhin vermutet hatte, trug er dieselbe schlichte Kleidung wie die anderen und hatte kurz geschnittenes, krauses schwarzes Haar, in dem sich bereits die ersten grauen Strähnen zeigten, die nicht zu seinem scheinbarjung gebliebenen Gesicht passen wollten. Der einzige Unterschied zwischen ihm und den anderen war vielleicht, dass er deutlich größer war als die meisten und so breitschultrig, dass Jehuda fast wie ein Kind aussah, als er vor ihm stehen blieb. Er hatte ein markantes, strenges Gesicht, das normalerweise wohl sorgsam rasiert war, auf dem sich aber zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon die ersten Bartstoppeln zeigten, und starke Hände mit schwieligen Knöcheln. Einen Moment lang sah er schweigend auf Jehuda hinab, dann zu Malchus hin und schließlich wieder zu Jehuda.
»Verzeih mir, mein Freund«, flüsterte Jehuda, während er den größeren Mann umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. Abermals ging ein – diesmal erschrockenes – Raunen und Murmeln durch die Reihe der Männer, doch diesmal kam Malchus dem gefährlichen Moment zuvor, indem er rasch um den Tisch herumeilte und auf den Mann zutrat, den Jehuda geküsst hatte.
»Seid Ihr der, den man Jesus von Nazareth nennt?«, fragte er.
Die Unruhe nahm zu, aber nur für einen ganz kurzen Augenblick, dann sorgte der Angesprochene mit einer Geste für Ruhe, schob Jehuda mit sanfter Gewalt aus dem Weg und trat nun seinerseits einen Schritt auf Malchus zu. »Und wenn es so wäre?«, fragte er. Sein Blick spiegelte Furcht, zugleich aber auch eine Stärke, die den Zenturio um ein Haar dazu gebracht hätte, einen Schritt vor ihm zurückzuweichen.
»Dann seid Ihr sicher auch der, der sich selbst Gottes Sohn nennt?«, fuhr Malchus fort. Zwei seiner Krieger lösten sich aus dem Kreis der Soldaten und nahmen hinter ihm Aufstellung.
Der Blick des Kraushaarigen tastete sie rasch und prüfend ab, dann antwortete er: »Ich bin der Sohn meines Vaters, das ist wahr. Sind wir denn nicht alle Gottes Kinder?«
Malchus verzog das Gesicht. »Ja. Ihr müsst derjenige sein, nach dem ich suche. Man hat mir gesagt, dass Ihr es liebt, in Rätseln zu sprechen.«
»Wer seid Ihr?«, erwiderte der große Mann, ohne auf die Worte des Zenturios einzugehen. »Wer hat Euch geschickt, und wieso stört Ihr den Frieden dieses Augenblicks?«
Malchus machte eine auffordernde Geste mit dem Schwert. »Du wirst mich begleiten. Wenn du keinen Widerstand leistest, dann gebe ich dir mein Wort, dass deinen Freunden nichts geschieht.«
»Du wagst es, hierher zu kommen und mich zu bedrohen?«, fragte der andere. Tief in seinen Augen flackerte noch immer die Furcht, seine Haltung jedoch drückte das genaue Gegenteil aus, als er herausfordernd einen weiteren Schritt auf den Römer zutrat.
»Ich komme im Auftrage des ...«, begann Malchus, doch der Kraushaarige schnitt ihm mit einer wütenden Geste das Wort ab.
»Wer immer Euch geschickt hat, seine Macht gilt hier nichts«, sagte er scharf. »Ich unterstehe dem Gesetz des Herrn und sonst keinem!«
Malchus zögerte, vielleicht nur einen winzigen Augenblick, und doch lange genug, um sein Gegenüber begreifen zu lassen, dass er plötzlich unsicher geworden war. Etwas geschah mit seinem Gesicht. Es wirkte zugleich sowohl wütend als auch verwirrt, und ein kleines bisschen ... unecht. Wie etwas, das versuchte, ein menschliches Gesicht zu sein – und auch ganz genauso aussah –, es aber nicht war. Etwas fehlte darin. Etwas, das man nicht sehen oder mit Worten beschreiben konnte, dessen Abwesenheit man aber sehr wohl spürte. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt, ergriff seinen Gladius fester und trat nun seinerseits einen halben Schritt auf den großen Mann zu; mehr konnte er sich nicht nähern, denn sie standen sich bereits auf Armeslänge gegenüber. »Ich sage es dir ein letztes Mal«, presste er scharf hervor. »Begleite uns freiwillig, oder wir zwingen dich dazu.«
Das Gesicht des Kraushaarigen verdüsterte sich weiter. »Du wagst es, mir zu drohen?«, schrie er. »In meinem eigenen Haus? Warte, ich werde dich die Gesetze des Herrn lehren, vordem ich mich beuge!«
»Unmöglich! Das kann nicht sein! So hätte er niemals ... «
»Wartet, Eminenz. Seht zu!«
Malchus wirkte für die Dauer eines Lidschlages fast eingeschüchtert, dann verzerrte sich sein Gesicht vor blanker Wut. Er hob sein Schwert und überwand mit einer raschen Bewegung die letzte Distanz zwischen sich und dem Kraushaarigen. Auch die beiden Soldaten hinter ihm setzten sich in Bewegung, doch weder sie noch ihr Anführer waren schnell genug. Sein Gegner packte blitzartig Malchus’ Handgelenk, entrang ihm ohne sichtliche Mühe das Schwert und versetzte ihm gleichzeitig mit der anderen Hand einen Stoß vor die Brust, der ihn mehrere Schritte zurücktaumeln ließ und ihn um ein Haar zu Boden geschleudert hätte. Jemand schrie, und dann waren die beiden Legionäre, die ihrem Zenturio zu Hilfe kamen, auch schon herangeeilt. Das Schwert des ersten wirbelte wie ein mattgrauer Blitz davon, als der große Mann den erbeuteten Gladius hochriss; der zweite ging fast im selben Augenblick mit einem erstickten Keuchen zu Boden, von der Faust des Kraushaarigen im Gesicht getroffen. Unverzüglich wollten sich weitere Krieger in Bewegung setzen, Waffen wurden hochgerissen, und in den Händen eines Legionärs erschien wie durch Zauberei ein Bogen, auf dem bereits ein Pfeil aufgelegt war. Doch Malchus hatte inzwischen sein Gleichgewicht zurückerlangt und hielt die Männer mit einem scharfen Befehl zurück.
»Wir brauchen ihn lebend!«
Wütend stürzte er sich auf seinen Gegner, der ihn um Haupteslänge überragte, blockte seinen Schwertarm mit dem Unterarm ab und versetzte ihm gleichzeitig einen Fausthieb ins Gesicht, der den großen Mann aufstöhnen und ein Stück zurücktorkeln ließ, seinen Kampfeswillen aber offensichtlich nichtgebrochen hatte; denn noch während er mit einem dumpfen Krachen gegen den Tisch prallte, schwang er das von Malchus erbeutete Schwert zu einem zweiten kraftvollen Hieb. Der Zenturio wich mit einer raschen Bewegung aus, aber diesmal war er nicht schnell genug. Das kreischende Scharren von Metall auf Metall vermischte sich mit Malchus’ keuchendem Schmerzensschrei, als sein Helm davon gewirbelt wurde, zusammen mit seinem rechten Ohr. Brüllend brach der Zenturio in die Knie und presste die Hand gegen den blutenden Schädel. Im selben Atemzug warf sich von der anderen Seite des Tisches her ein römischer Krieger mit ausgebreiteten Armen gegen den Kraushaarigen, riss ihn mit sich zu Boden und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Nur wenig später krümmte er sich stöhnend auf dem mit Bruchsteinen gepflasterten Boden, vom hochgerissenen Knie des großen Mannes im Unterleib getroffen, und übergab sich mit explosiver Wucht.
»Unmöglich! Das ist ein Fehler!«
Immer mehr Kriegerstürmten um den Tisch herum und stürzten sich auf den hoch gewachsenen Mann, aber es bedurfte der vereinten Kräfte von drei Legionären, um ihm die Waffe zu entreißen und seinen Widerstand zu brechen. Grob wurde er auf die Kniegezerrt. Ein Fausthieb traf ihn in den Leib und presste ihm den Atem aus den Lungen, ein zweiter, noch härterer in den Rücken, doch der einzige Laut, der zwischen zusammengebissenen Zähnen über die Lippen des Mannes kam, war ein gedämpftes Stöhnen.
Malchus richtete sich unsicher und schwankend auf. Er hatte die Rechte immer noch fest gegen die blutende Wunde an seinem Kopf gepresst, wo ihm sein eigenes Schwert das Ohr abgeschnitten hatte, und sein Gesicht war zu einer Grimasse aus rasendem Zorn und Schmerz geworden. Einen halben Atemzug lang blickte er die kniende Gestalt vor sich fast hasserfüllt an, dann versetzte er seinem Gefangenen – der hilflos an ausgestreckten Armen von zwei muskulösen Legionären festgehalten wurde, während ein dritter von hinten den Arm um seinen Hals geschlungen hatte und seinen Kopf zurückriss –, zwei, drei harte Faustschläge ins Gesicht.
Blut spritzte. Man konnte hören, wie das Nasenbein des Kraushaarigen brach, doch noch immer kam nicht der geringste Schmerzenslaut über seine Lippen. Malchus schrie irgendetwas in derselben unverständlichen Sprache, in der er vorhin schon einmal mit seinen Begleitern gesprochen hatte, bückte sich nach seinem Schwert – und wieder geschah etwas mit seinem Gesicht. Es erstarrte, wirkte plötzlich endgültig künstlich und wurde dann von einem Moment auf den anderen zu einem groben impressionistischen Gemälde aus hunderten winzigen quadratischen Kästchen. Auch der Rest der Szenerie fror ein und wurde binnen weniger Augenblicke zu einem pixeligen Bild mit falschen Farben.
»Was bedeutet das?«
Der alte Mann, der hoch aufgerichtet vor dem riesigen Flachbildschirm stand, bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst ruhigen und gefassten Ton zu verleihen, aber ganz gelang es ihm nicht. Der Bildschirm nahm eine ganze Wand des mit Computern, Schreibtischen und geheimnisvoll blinkenden und surrenden Apparaturen voll gestopften Raumes ein, der zwei Etagen unter dem Observatorium von Castel Gandolfo in den Albaner Bergen lag. Obwohl der Mann den anderen im Raum den Rücken zudrehte und weiter auf das eingefrorene Bild starrte, das nun endgültig zu einer groben Computergrafik geworden war, spürte jedermann hier seine Anspannung und das Entsetzen, mit dem ihn das Gesehene erfüllt hatte.
»Eine Datenlücke, Eminenz«, antwortete einer der Computerspezialisten. Wie alle hier im Raum – den Alten vor dem Monitor, der das schlichte dunkelrote Gewand eines Kardinals trug, ausgenommen – war er leger gekleidet; in Jeans und trotz der unangenehmen Kühle, die die emsig summende Klimaanlage unter der Decke schuf, einem kurzärmeligen Poloshirt. Das Haar trug er in einer schulterlangen Unfrisur, die ihm die goldene Zitrone jedes Lifestyle Magazins eingebracht hätte. »Der Rechner hatte widersprüchliche Informationen. Das Programm friert das Bild ein, sobald es keine eindeutige Entscheidung treffen kann.«
Wieder vergingen endlose Sekunden, in denen sich ein ungutes Schweigen in dem unterirdischen Gewölbe breit machte. Selbst das Summen der Computer und das gedämpfte Rauschen der Klimaanlage schienen für einen Moment leiser zu werden. Niemand wagte es, zu sprechen, während der weißhaarige alte Mann weiter reglos und wie erstarrt dastand und auf den Monitor blickte. Schließlich kam ein leises, unendlich tiefes Seufzen über seine Lippen. Mit einer Bewegung, der man ansah, welche Mühe sie ihm bereitete, drehte er sich vom Bildschirm weg und ließ seinen Blick traurig über die Gesichter der Hand voll Männer schweifen, die hinter ihm an den Schreibtischen saßen. Obwohl sie von vollkommen unterschiedlichem Wuchs und Aussehen waren, hatten sie doch etwas, das sie zu verbinden schien – eine Gemeinsamkeit, die man vielleicht nicht auf Anhieb entdecken konnte, die aber eindeutig da war. Vielleicht war es ihre Zugehörigkeit zum gleichen, straff organisierten Orden, vielleicht aber auch nur der Ausdruck in ihren Augen. Er konnte jedem Einzelnen von ihnen ansehen, welche Angst sie vor dem gehabt hatten, was sie ihm zeigen wollten, und davor, wie er darauf reagieren würde.
»Und ein Fehler ist ausgeschlossen?«
»Man kann Fehler niemals endgültig ausschließen«, antwortete der Langhaarige, der zuvor schon mit ihm geredet hatte, unbehaglich. Es kostete ihn sichtlich all seine Kraft, dem Blick des Kardinals standzuhalten, als er fortfuhr. »Aber nach menschlichem Ermessen ...« Ein neuerliches, noch unbehaglicheres Schulterzucken und ein angedeutetes Kopfschütteln. »Nein.«
»Was ist mit dem Jungen, der davongelaufen ist? Er wird in keiner der Schriften erwähnt. Und ich habe auch noch nie von ihm gehört.«
»Ein Mädchen, Eminenz«, antwortete der Langhaarige. »Nur eine Randnotiz in einer alten Stadtchronik, die erst kürzlich übersetzt wurde. Das Kind hatte sich nachts in den Garten geschlichen, um Äpfel zu stehlen. Die Stadtwache hat es aufgegriffen, und es hat irgendetwas von Räubern erzählt, die ein Haus überfallen haben. Natürlich hat ihm niemand geglaubt.«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des alten Mannes und erlosch wieder. »Wie viele Szenen haben wir?«
»Ungefähr ein Dutzend, Eminenz.« Die Finger des Langhaarigen strichen nervös am Rand der virtuellen Tastatur entlang, die der hochgeklappte Flachbildschirm vor ihm auf die Tischplatte projizierte. »Einige von ihnen sind sehr ...«, er räusperte sich, ehe er schließlich sagte: »... anders.«
»Ich weiß«, flüsterte der alte Mann. Er wirkte traurig und unendlich müde. »Zeig mir, wie es weitergeht, Bruder Ramon.«
Der Angesprochene deutete nervös auf das erstarrte Bild des Wandmonitors. »Die nächsten Minuten sind noch nicht fertig. Wir sammeln ununterbrochen weitere Daten, aber die Informationen, die uns im Augenblick vorliegen, reichen für eine endgültige Extrapolation noch nicht aus.«
Wieder lächelte der Kardinal flüchtig, wenn auch jetzt aus einem Grund, den Ramon schwerlich erwarten mochte: Sobald der junge Mann begonnen hatte, über das Programm und seine technischen Probleme zu reden, war jegliche Unsicherheit und Furcht aus seiner Stimme gewichen. Könnte er doch auch so glücklich sein, dachte der Kardinal, und sich mit einer Welt aus Daten, Fakten und Zahlen zufrieden geben und einfach daran glauben, dass es jenseits einer gewissen Wahrscheinlichkeit nichts mehr zu deuten gab – und damit nichts mehr zu fürchten. Aber er konnte es nicht.
»Zeig es mir, Bruder Ramon«, bat er, während er sich wieder dem riesigen Flachbildschirm zuwandte.
Das Bild darauf veränderte sich nicht.
»Es könnte ... noch befremdlicher wirken, Eminenz«, sagte Ramon nach einer Weile, nun wieder leise und mit fast ängstlicher Stimme.
Der Kardinal antwortete nicht, sondern stand einfach reglos da, bis Ramon sein Schweigen als Aufforderung akzeptierte und eine einzelne Taste auf der aus nichts anderem als rotem Licht bestehenden Tastatur vor sich berührte. Für einen Moment geriet das Bild auf dem Monitor zu einem Sturm aus durcheinander wirbelnden farbigen Kästchen und Umrissen, die so schnell wieder in Stücke zerbrachen, wie sie sich bildeten. Dann zeigte der Monitor wieder das Abbild des ummauerten Hofes. Es war nicht vollkommen identisch mit dem zuvor, einige Details hatten sich verändert, und auch die Anzahl der Personen schien nicht mehr dieselbe zu sein.
»Zwischen dieser Aufnahme und der letzten liegen etwa zehn Minuten«, sagte Ramon. Ein kurzer Augenblick verstrich, in dem er auf den Monitor vor sich blickte und sich dann verbesserte: »Elf, um genau zu sein.«
Der Kardinal konnte hören, wie die Finger des Computerspezialisten über das harte Plastik der Tischplatte huschten. Die Kamera schwenkte herum und zoomte gleichzeitig zurück, bis sie eine Gruppe von Männern erfasste, die sich dem offen stehenden Tor näherten. Es waren Malchus und sein Gefangener, der von zwei Legionären an den Armen gehalten und von zwei weiteren mit gezückten Schwertern bewacht wurde. Der große Mann bewegte sich nur schleppend, als hätte er Schmerzen, die es ihm unmöglich machten, ganz aufrecht zu gehen. Sein Gesicht war blutüberströmt und zeigte die Spuren schwerer Schläge; sehr viel mehr als die drei, die Malchus ihm versetzt hatte. Dennoch war unter dem Ausdruck von Furcht und Schmerz auf seinen Zügen noch immer deutlicher Trotz zu erkennen. Als die Gruppe das Tor erreicht hatte, veränderte sich der Blickwinkel erneut, und nun kam Jehuda ins Bild. Er wirkte klein, verängstigt und verloren, und seine Augen verrieten resignierendes Entsetzen, das man selbst über die Distanz des Bildschirms und von annähernd zweitausend Jahren hinweg fast körperlich spüren konnte und das den alten Mann schaudern ließ.
Der Gefangene versuchte stehen zu bleiben. Er war zu schwach und seine Bewacher zu stark, als dass es ihm auch nur gelungen wäre, ihr Tempo merklich zu verlangsamen, doch Malchus hob plötzlich die Hand und bedeutete seinen Männern, ihn gewähren zu lassen. Die beiden Legionäre, die seine Arme gepackt hatten, ließen ihn nicht los, blieben aber gehorsam stehen, und der Gefangene wandte mühsam den Kopf und sah auf Jehuda hinab.
»Es ... es tut mir Leid, Bruder«, flüsterte Jehuda.
Der Kraushaarige versuchte zu lächeln, doch seine aufgeplatzten Lippen und die bereits halb zu geschwollenen Augen machten eine Grimasse daraus. »Leid?«, erwiderte er mit einem schwachen Kopfschütteln. »Es braucht dir nicht Leid zu tun. Ich bin es, der dich um Vergebung bitten muss. Mich werden sie vielleicht töten, und ich habe große Angst davor, aber dein Schicksal wird unendlich viel schlimmer sein. Dein Name wird für alle Zeiten zu einem Fluch auf den Lippen der Menschen werden. Das Opfer, das du gebracht hast, ist größer als das meine.«
Der Kardinal sog so scharf und tief die Luft zwischen den Zähnen ein, dass es wie ein kleiner Schrei klang, ein Laut, in dem aller Schmerz und alles Leid zum Ausdruck kamen, die ein Mensch empfinden konnte.
Malchus wedelte ungeduldig mit einer Hand, auf der sich sein eigenes Blut mit dem des Gefangenen vermischt hatte, und die Männer gingen weiter. Als sie das Tor durchschritten hatten und in der Dunkelheit des Gartens verschwanden, begann Jehuda zu schluchzen. Mühsam drehte er sich um, sah zu den anderen Männern zurück, die immer noch wie erstarrt um den halb verwüsteten Tisch herumstanden und ihn mit schreckensbleichen Gesichtern anblickten, und ging dann schließlich zu ihnen hin. Niemand sagte etwas. Niemand gab auch nur den geringsten Laut von sich. Es wurde so still, als hätte die Welt den Atem angehalten. Dann, nach einer schieren Ewigkeit, hob Jehuda den kleinen Lederbeutel, den ihm der Priester gegeben hatte, knotete ihn auf und ließ seinen Inhalt auf den Boden fallen. Es klimperte hörbar, und die Münzen, die auf den steinernen Boden schlugen, waren nicht aus Silber, sondern aus einem dunkleren Material, und es waren deutlich mehr als dreißig.
»Die Übersetzungen aus Herculaneum?«, fragte der Kardinal. Ramon antwortete nur mit einem Nicken. Der alte Mann drehte sich nicht zu ihm um, doch er schien trotzdem verstanden zu haben.
Das Bild flackerte kurz und stabilisierte sich dann wieder, eine weitere Sequenz, in der das vom Teufel geschickte Computerprogramm nicht genügend Informationen zur Verfügung hatte, um die Szene schlüssig zu Ende zu führen, aber doch genug, um nicht endgültig abzubrechen.
Jetzt hatten sich die verbliebenen Männer um Jehuda geschart. Einer von ihnen kniete am Boden, hob die verstreuten Münzen auf, ein anderer streckte die Arme aus, zog Jehuda an seine Brust und drückte ihn an sich. »Ich danke dir, Bruder«, murmelte er.
Jehuda schwieg. Er weinte noch immer.
»Und du bist sicher, dass du dieses Opfer bringen willst?«, fragte ein anderer. »Du weißt, dass die Menschen dir nie verzeihen werden. Und es kann lange dauern, bis sie die Wahrheit erfahren. Vielleicht werden sie es nie.«
»Es ist der einzige Weg«, flüsterte Jehuda. Er befreite sich mit sanfter Gewalt aus der Umarmung, trat einen Schritt zurück und schluckte ein paar Mal trocken, als ihm der Beutel mit den wieder eingesammelten Münzen gereicht wurde. Aber er nahm ihn, verbarg ihn unter seinem Gewand und atmete tief ein, bevor er sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und mit veränderter Stimme fortfuhr: »Wo ist er?«
»In Sicherheit«, antwortete der Mann, der ihn gerade umarmt hatte. »Er wird nicht vor Sonnenaufgang wach werden. Bis dahin haben wir ihn schon fortgebracht. Mach dir keine Sorgen.«
»Er wird sehr zornig werden.«
»Ja. Aber es gibt keinen anderen Weg.«
»Genug«, sagte der Kardinal leise. Noch bevor er das Wort ganz ausgesprochen hatte, erstarrte das Bild abermals, flackerte kurz und wurde dann zu etwas, das Ähnlichkeit mit dem Testbild eines Schwarz-Weiß-Fernsehers aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte. Ramons Finger musste über der Tastatur geschwebt sein, als hätte er nur auf diesen Befehl gewartet.
Mit einer unendlich müden Bewegung drehte sich der alte Mann vom Bildschirm weg, ging mit hängenden Schultern und kleinen, kraftlosen Schritten auf einen freien Stuhl in seiner Nähe zu und setzte sich dann doch nicht. »Vergebe uns Gott«, flüsterte er. »Und beschütze er uns, damit niemals auch nur ein einziges dieser Bilder diesen Raum verlässt.«
»Keine Sorge, Eminenz«, versicherte Ramon. »Das ist vollkommen unmöglich.«
An der Spitze der kleinen Kolonne bewegten sich drei Männer, wie sie unterschiedlicher kaum sein konnten. Einer von ihnen – der größte – ging zwei Schritte hinter den anderen, aber seine Haltung hatte nichts Ehrerbietendes, sondern machte ganz im Gegenteil klar, dass er hier die Befehle gab und die beiden Männer vor ihm seiner Gruppe nur den Weg zu weisen hatten. Er trug einen groben Wollmantel, den er jedoch nur lose um die Schultern geworfen hatte, sodass darunter ein braunroter, lederner Brustharnisch sichtbar war und der Griff eines kurzen Schwertes, dem man sein Alter ebenso ansah wie die Tatsache, dass sein Besitzer es nicht nur zur Zierde mit sich führte. Die beiden Männer vor ihm waren etwa gleich groß, aber an Jahren so unterschiedlich, dass sie beinahe Vater und Sohn hätten sein können. Der ältere, der das knöchellange bestickte Gewand eines Priesters trug, war ein Greis mit weißem Bart und Augen, die vom Alter trüb geworden waren, dennoch aber sehr aufmerksam in die Welt hinausblickten, aber mit einem Missmut, der zu einem unauslöschlichen Teil seines Charakters geworden war. Der jüngere war ein Mann in den besten Jahren in einem schlichten weißen Gewand und einfachen Schnürsandalen. Er wirkte nervös, war zugleich aber von allen derjenige, der sich am sichersten durch die Dunkelheit des Gartens bewegte, als hätte er diesen Weg schon unzählige Male zurückgelegt.
Wind kam auf, böig und so unerwartet kalt wie die ganze Nacht, sodass einige der Männer die Köpfe noch weiter senkten, um ihre Gesichter zu schützen. Eine hüfthohe Wolke aus verdorrtem Laub und verbrannten Blättern umwirbelte die Männer für einen Augenblick und war dann wieder verschwunden. Unter einem der Mäntel klirrte Metall, was der ganzen Gruppe einen ärgerlichen Blick ihres Anführers einhandelte und diesem selbst eine rasche, erschrockene Geste des jüngeren Mannes.
»Seid auf der Hut, Malchus«, sagte er. »Manche behaupten, er hätte das zweite Gesicht und wisse, was die Zukunft bringt.«
Der große Krieger lächelte herablassend. »Wenn das so ist«, antwortete er, halblaut, aber doch nicht annähernd so leise, wie es nach dem ärgerlichen Blick, den er seinen Begleitern zugeworfen hatte, zu erwarten gewesen wäre, »gibt es keinen Grund mehr, Vorsicht walten zu lassen. Dann weiß er ohnehin, dass wir kommen, nicht wahr, Jehuda?«
Der dunkelhaarige Mann mit dem sorgsam gestutzten Vollbart und den ängstlichen Augen sah den Zenturio einen Moment lang verstört an, sagte aber nichts, sondern beschleunigte seine Schritte sogar noch ein wenig. Ein kurzes verächtliches Lächeln huschte über Malchus’ Gesicht. Er murmelte ein einzelnes Wort in einer Sprache, die der Priester und Jehuda nicht verstanden, und einer der Männer hinter ihm begann leise zu lachen, brach aber augenblicklich wieder ab, als Malchus eine Kopfbewegung in seine Richtung andeutete.
Wieder ging eine rasche, sonderbare Veränderung mit dem Himmel vonstatten. Die Farben änderten sich, fast unmerklich, dennoch auf eine Art, die die Szenerie plötzlich noch düsterer und bedrohlicher erscheinen ließ. Aus dem blaustichigen Schwarz des Himmels wurde ein ebenso dunkles staubiges Violett; eine Farbe, die einem das Atmen schwer machte, wenn man zu lange hinsah. Was immer bisher ihr Kommen angekündigt hatte, war nun da.
Keiner der Männer, die sich nahezu lautlos durch die Nacht bewegten, schien Notiz davon zu nehmen. Angeführt von Jehuda und dem greisen Priesterbewegten sie sich zielstrebig an einer Bruchsteinmauer von anderthalbfacher Manneshöhe entlang und hielten schließlich vor einem aus groben Bohlen gefertigten Tor an. Durch die Ritzen fiel der flackernde Schein von Kerzen, die auf der anderen Seite brannten, und man konnte leise Stimmen hören, ohne jedoch die Worte zu verstehen. Jemand lachte.
»Ist es hier?« Malchus trat mit zwei schnellen Schritten zwischen Jehuda und den Priester und hob die Hand, wie um das Tor aufzudrücken, führte die Bewegung aber nichtganz zu Ende, sondern sah den Schwarzhaarigen nur fragend an. Das herablassende Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden und hatte einem Ausdruckgespannter Konzentration Platz gemacht. Er zeigte keine Furcht, wohl aber die Entschlossenheit eines Mannes, der wusste, dass das, was vor ihm lag, sicherlich nicht ungefährlich war, er ihm aber gewachsen sein würde.
Wie als Antwort drang ein abermaliges, diesmal lang anhaltendes und schallendes Lachen durch das Holz der Tür. Jehudas Blick irrte unstet in die entsprechende Richtung, und er fuhr sich mit dem Handrücken nervös über das Kinn, bevor er antwortete. »Ja. Aber ich sage es noch einmal: Seid auf der Hut. Er kann manchmal sehr ...jähzornig sein.«
Der Zenturio gab seinen Männern mit der linken Hand ein Zeichen, woraufhin sie sich rasch und nahezu lautlos im Halbkreis um ihn und das Tor herum verteilten, bevor er antwortete. »Einjähzorniger Mann, Jehuda? Aber spricht er denn nicht immerzu vom Frieden?«
Das scharfe Knacken eines zerbrechenden Zweiges drang aus der Dunkelheit an ihr Ohr. Malchus fuhr blitzartig herum, gerade noch rechtzeitig genug, um eine schattenhafte, kaum kindergroße Gestalt davonhuschen zu sehen, die sich in den Büschen auf der anderen Seite des Weges versteckt hatte. Einer seiner Männer machte eine Bewegung, wie um ihr zu folgen, doch der Zenturio hielt ihn mit einer raschen Geste zurück. »Nur ein Kind, das neugierig war«, sagte er. Dann wandte er sich wieder an Jehuda. »Wenn er wirklich so jähzornig ist, wie verträgt sich das mit seinen Prinzipien, von denen er doch behauptet, sie entsprächen Gottes eigenem Willen?«
Jehuda fuhr sich nervös mit der Zungenspitze über die Lippen und wusste nun sichtlich nicht mehr, was er antworten sollte, doch der alte Mann im Priestergewand kam ihm zuvor. »Er spricht nicht im Namen des Herrn«, sagte er scharf. »Wer den Tempel lästert, der hat keine Prinzipien und auch keine Moral. Und schon gar nicht das Recht, den Namen Gottes in den Mund zu nehmen!«
Der heilige Zorn, der sich bei diesen Worten auf seinem Gesicht widerspiegelte, schien Malchus nicht sonderlich zu beeindrucken. Ganz im Gegenteil lächelte er plötzlich wieder und fragte dann: »Hat er tatsächlich den Tempel gelästert – oder nicht vielmehr eure Einkünfte geschmälert, mein Freund?«
Der Priester setzte zu einer entrüsteten Antwort an, doch Malchus schnitt ihm mit einer beiläufigen Geste das Wort ab, hob die Hand zur Tür und wandte sich wieder an den Schwarzhaarigen. »Wie erkenne ich ihn? Es heißt, ersäße immer inmitten seiner Jünger und trüge keine prachtvolleren Kleider als sie.«
»Das ist wahr«, antwortete Jehuda. »Ich werde vorausgehen und ihn Euch zeigen.«
Malchus nickte zufrieden und legte die flache Hand auf die Tür, bewegte sie allerdings gerade nur so weit, um sich davon zu überzeugen, dass sie nichtverschlossen war. Hinter ihnen schlugen seine Männer die Mäntel zurück, setzten ihre Helme auf und zogen die Waffen. Das kaum hörbare Rascheln und Klirren, das die Bewegungen begleitete, ging nahezu vollkommen im Stimmengemurmel auf der anderen Türseite unter.
»Ihr bleibt hier«, wandte sich Malchus an den Priester. »Es sind nicht wenige, und wenn Jehuda Recht hat, könnte es gefährlich werden. Ich möchte mir schließlich nicht den Zorn Eures Gottes zuziehen, weil ich einen seiner Priester in Gefahrgebracht habe.«
Der Ausdruck von Zorn in den Zügen des alten Mannes verdunkelte sich noch weiter, doch er war klug genug, nichts darauf zu erwidern. Stattdessen griff er untersein Gewand, förderte einen kleinen Lederbeutel zutage und reichte ihn Jehuda. Es klimperte leise, als dieser ihn entgegennahm.
»Falls es zum Kampf kommt, dann schlagt ihm ins Gesicht«, sagte Jehuda leise. »Jeder Treffer dort zählt doppelt, denn er ist sehreitel.«
Malchus ließ sich nicht anmerken, ob er diese Worte gehört hatte, sondern überzeugte sich nur noch einmal mit einem raschen Blick in die Runde davon, dass seine Männer bereit waren, dann stieß er die Tür mit einem entschlossenen Ruck auf, stürmte hindurch und zog in der gleichen Bewegung sein Schwert. Seine Begleiter folgten ihm dicht auf den Fersen. Als Letzter trat Jehuda durch die Tür, das Gesicht zu einer steinernen Maske erstarrt und die Finger der rechten Hand so fest um den kleinen Lederbeutel gepresst, als wolle er ihn zerquetschen.
Die Tür führte auf einen weitläufigen, an drei Seiten von fensterlosen Mauern umschlossenen Innenhof hinaus, der zu einem zweigeschossigen, aus den gleichen Bruchsteinen wie die Mauer errichteten Gebäude gehörte, hinter dessen Fenstern Licht brannte. Gestalten bewegten sich darin, man sah Schatten vorbeihuschen und hörte Stimmen, Gelächter und Fetzen einer sonderbar melancholischen, fremd klingenden Musik. Ohne dass es eines Befehls seitens Malchus bedurft hätte, huschten drei seiner Krieger in die entsprechende Richtung und verschwanden mit gezückten Schwertern im Haus, während er selbst und der Rest seiner Männer sich dem langgestreckten, grob gezimmerten Tisch zuwandten, der in der Mitte des Hofes stand. An der festlich gedeckten Tafel, die nichtganz zu der Bescheidenheit passen wollte, die der Mann predigte, nach dem er suchte, saß ein gutes Dutzend Männer, die erschrocken aufsprangen, als die Soldaten in den Hof stürmten. Zwei oder drei Schemel polterten zu Boden, ein Krug fiel um und zerbrach, und mehr als eine Hand bewegte sich auf eine Art, die Malchus erkennen ließ, dass sie nach einem Dolch oder einer anderen verborgenen Waffe greifen wollte.
»Rührt euch nicht!«, sagte er scharf. »Niemandem geschieht etwas, wenn ihr keinen Widerstand leistet.«
Noch bevor er die Worte ganz ausgesprochen hatte, waren seine Männer bereits ausgeschwärmt und hatten einen Kreis um den Tisch gebildet. Ein angespannter, banger Atemzug verstrich, in dem nicht sicher schien, dass Malchus’ Worte die beabsichtigte Wirkung erzielten. Immerhin waren die anderen in der Überzahl, und es handelte sich mit einer einzigen Ausnahme um große, kräftige Männer von einer Art, die der Zenturio nur zu gut kannte. Keine Krieger, aber Menschen, die das Leben hart gemacht hatte und die sich ihrer Haut zu wehren wussten. Aber der gefährliche Moment verging, und man konnte sehen, wie sich Hände, die nach Waffen hatten greifen wollen, wieder zurückzogen und die Spannung aus dem einen oder anderen Gesicht wich; sicherlich nur um eine Winzigkeit, aber eine entscheidende Winzigkeit.
»Das ist nicht möglich! Ihr müsst einen Fehler gemacht haben!«
»Ich fürchte nicht, Eminenz.«
Einer der Männer, die von der Tafel aufgesprungen waren, trat einen halben Schritt vor und wandte sich mit scharfer Stimme an Malchus, den er zielsicher als Anführer ausgemacht hatte. »Was hat das zu bedeuten?«, verlangte er in forderndem Ton zu wissen. »Was fällt euch ein, hier ...?«
Der Zenturio brachte ihn mit einer herrischen Geste zum Schweigen und winkte Jehuda herbei. Ein erstauntes Murmeln und Raunen lief durch die Reihe der Männer am Tisch, als der Schwarzhaarige – langsamer werdend und mit Schritten, denen man ansah, welch ungeheure Überwindung sie ihn kosteten – an Malchus vorbei um den Tisch herumging, um sich einem der Männer zu nähern. Wie der Legionär vorhin vermutet hatte, trug er dieselbe schlichte Kleidung wie die anderen und hatte kurz geschnittenes, krauses schwarzes Haar, in dem sich bereits die ersten grauen Strähnen zeigten, die nicht zu seinem scheinbarjung gebliebenen Gesicht passen wollten. Der einzige Unterschied zwischen ihm und den anderen war vielleicht, dass er deutlich größer war als die meisten und so breitschultrig, dass Jehuda fast wie ein Kind aussah, als er vor ihm stehen blieb. Er hatte ein markantes, strenges Gesicht, das normalerweise wohl sorgsam rasiert war, auf dem sich aber zu dieser fortgeschrittenen Stunde schon die ersten Bartstoppeln zeigten, und starke Hände mit schwieligen Knöcheln. Einen Moment lang sah er schweigend auf Jehuda hinab, dann zu Malchus hin und schließlich wieder zu Jehuda.
»Verzeih mir, mein Freund«, flüsterte Jehuda, während er den größeren Mann umarmte und ihm einen Kuss auf die Wange hauchte. Abermals ging ein – diesmal erschrockenes – Raunen und Murmeln durch die Reihe der Männer, doch diesmal kam Malchus dem gefährlichen Moment zuvor, indem er rasch um den Tisch herumeilte und auf den Mann zutrat, den Jehuda geküsst hatte.
»Seid Ihr der, den man Jesus von Nazareth nennt?«, fragte er.
Die Unruhe nahm zu, aber nur für einen ganz kurzen Augenblick, dann sorgte der Angesprochene mit einer Geste für Ruhe, schob Jehuda mit sanfter Gewalt aus dem Weg und trat nun seinerseits einen Schritt auf Malchus zu. »Und wenn es so wäre?«, fragte er. Sein Blick spiegelte Furcht, zugleich aber auch eine Stärke, die den Zenturio um ein Haar dazu gebracht hätte, einen Schritt vor ihm zurückzuweichen.
»Dann seid Ihr sicher auch der, der sich selbst Gottes Sohn nennt?«, fuhr Malchus fort. Zwei seiner Krieger lösten sich aus dem Kreis der Soldaten und nahmen hinter ihm Aufstellung.
Der Blick des Kraushaarigen tastete sie rasch und prüfend ab, dann antwortete er: »Ich bin der Sohn meines Vaters, das ist wahr. Sind wir denn nicht alle Gottes Kinder?«
Malchus verzog das Gesicht. »Ja. Ihr müsst derjenige sein, nach dem ich suche. Man hat mir gesagt, dass Ihr es liebt, in Rätseln zu sprechen.«
»Wer seid Ihr?«, erwiderte der große Mann, ohne auf die Worte des Zenturios einzugehen. »Wer hat Euch geschickt, und wieso stört Ihr den Frieden dieses Augenblicks?«
Malchus machte eine auffordernde Geste mit dem Schwert. »Du wirst mich begleiten. Wenn du keinen Widerstand leistest, dann gebe ich dir mein Wort, dass deinen Freunden nichts geschieht.«
»Du wagst es, hierher zu kommen und mich zu bedrohen?«, fragte der andere. Tief in seinen Augen flackerte noch immer die Furcht, seine Haltung jedoch drückte das genaue Gegenteil aus, als er herausfordernd einen weiteren Schritt auf den Römer zutrat.
»Ich komme im Auftrage des ...«, begann Malchus, doch der Kraushaarige schnitt ihm mit einer wütenden Geste das Wort ab.
»Wer immer Euch geschickt hat, seine Macht gilt hier nichts«, sagte er scharf. »Ich unterstehe dem Gesetz des Herrn und sonst keinem!«
Malchus zögerte, vielleicht nur einen winzigen Augenblick, und doch lange genug, um sein Gegenüber begreifen zu lassen, dass er plötzlich unsicher geworden war. Etwas geschah mit seinem Gesicht. Es wirkte zugleich sowohl wütend als auch verwirrt, und ein kleines bisschen ... unecht. Wie etwas, das versuchte, ein menschliches Gesicht zu sein – und auch ganz genauso aussah –, es aber nicht war. Etwas fehlte darin. Etwas, das man nicht sehen oder mit Worten beschreiben konnte, dessen Abwesenheit man aber sehr wohl spürte. Dann hatte er sich wieder in der Gewalt, ergriff seinen Gladius fester und trat nun seinerseits einen halben Schritt auf den großen Mann zu; mehr konnte er sich nicht nähern, denn sie standen sich bereits auf Armeslänge gegenüber. »Ich sage es dir ein letztes Mal«, presste er scharf hervor. »Begleite uns freiwillig, oder wir zwingen dich dazu.«
Das Gesicht des Kraushaarigen verdüsterte sich weiter. »Du wagst es, mir zu drohen?«, schrie er. »In meinem eigenen Haus? Warte, ich werde dich die Gesetze des Herrn lehren, vordem ich mich beuge!«
»Unmöglich! Das kann nicht sein! So hätte er niemals ... «
»Wartet, Eminenz. Seht zu!«
Malchus wirkte für die Dauer eines Lidschlages fast eingeschüchtert, dann verzerrte sich sein Gesicht vor blanker Wut. Er hob sein Schwert und überwand mit einer raschen Bewegung die letzte Distanz zwischen sich und dem Kraushaarigen. Auch die beiden Soldaten hinter ihm setzten sich in Bewegung, doch weder sie noch ihr Anführer waren schnell genug. Sein Gegner packte blitzartig Malchus’ Handgelenk, entrang ihm ohne sichtliche Mühe das Schwert und versetzte ihm gleichzeitig mit der anderen Hand einen Stoß vor die Brust, der ihn mehrere Schritte zurücktaumeln ließ und ihn um ein Haar zu Boden geschleudert hätte. Jemand schrie, und dann waren die beiden Legionäre, die ihrem Zenturio zu Hilfe kamen, auch schon herangeeilt. Das Schwert des ersten wirbelte wie ein mattgrauer Blitz davon, als der große Mann den erbeuteten Gladius hochriss; der zweite ging fast im selben Augenblick mit einem erstickten Keuchen zu Boden, von der Faust des Kraushaarigen im Gesicht getroffen. Unverzüglich wollten sich weitere Krieger in Bewegung setzen, Waffen wurden hochgerissen, und in den Händen eines Legionärs erschien wie durch Zauberei ein Bogen, auf dem bereits ein Pfeil aufgelegt war. Doch Malchus hatte inzwischen sein Gleichgewicht zurückerlangt und hielt die Männer mit einem scharfen Befehl zurück.
»Wir brauchen ihn lebend!«
Wütend stürzte er sich auf seinen Gegner, der ihn um Haupteslänge überragte, blockte seinen Schwertarm mit dem Unterarm ab und versetzte ihm gleichzeitig einen Fausthieb ins Gesicht, der den großen Mann aufstöhnen und ein Stück zurücktorkeln ließ, seinen Kampfeswillen aber offensichtlich nichtgebrochen hatte; denn noch während er mit einem dumpfen Krachen gegen den Tisch prallte, schwang er das von Malchus erbeutete Schwert zu einem zweiten kraftvollen Hieb. Der Zenturio wich mit einer raschen Bewegung aus, aber diesmal war er nicht schnell genug. Das kreischende Scharren von Metall auf Metall vermischte sich mit Malchus’ keuchendem Schmerzensschrei, als sein Helm davon gewirbelt wurde, zusammen mit seinem rechten Ohr. Brüllend brach der Zenturio in die Knie und presste die Hand gegen den blutenden Schädel. Im selben Atemzug warf sich von der anderen Seite des Tisches her ein römischer Krieger mit ausgebreiteten Armen gegen den Kraushaarigen, riss ihn mit sich zu Boden und versuchte, ihm die Waffe zu entreißen. Nur wenig später krümmte er sich stöhnend auf dem mit Bruchsteinen gepflasterten Boden, vom hochgerissenen Knie des großen Mannes im Unterleib getroffen, und übergab sich mit explosiver Wucht.
»Unmöglich! Das ist ein Fehler!«
Immer mehr Kriegerstürmten um den Tisch herum und stürzten sich auf den hoch gewachsenen Mann, aber es bedurfte der vereinten Kräfte von drei Legionären, um ihm die Waffe zu entreißen und seinen Widerstand zu brechen. Grob wurde er auf die Kniegezerrt. Ein Fausthieb traf ihn in den Leib und presste ihm den Atem aus den Lungen, ein zweiter, noch härterer in den Rücken, doch der einzige Laut, der zwischen zusammengebissenen Zähnen über die Lippen des Mannes kam, war ein gedämpftes Stöhnen.
Malchus richtete sich unsicher und schwankend auf. Er hatte die Rechte immer noch fest gegen die blutende Wunde an seinem Kopf gepresst, wo ihm sein eigenes Schwert das Ohr abgeschnitten hatte, und sein Gesicht war zu einer Grimasse aus rasendem Zorn und Schmerz geworden. Einen halben Atemzug lang blickte er die kniende Gestalt vor sich fast hasserfüllt an, dann versetzte er seinem Gefangenen – der hilflos an ausgestreckten Armen von zwei muskulösen Legionären festgehalten wurde, während ein dritter von hinten den Arm um seinen Hals geschlungen hatte und seinen Kopf zurückriss –, zwei, drei harte Faustschläge ins Gesicht.
Blut spritzte. Man konnte hören, wie das Nasenbein des Kraushaarigen brach, doch noch immer kam nicht der geringste Schmerzenslaut über seine Lippen. Malchus schrie irgendetwas in derselben unverständlichen Sprache, in der er vorhin schon einmal mit seinen Begleitern gesprochen hatte, bückte sich nach seinem Schwert – und wieder geschah etwas mit seinem Gesicht. Es erstarrte, wirkte plötzlich endgültig künstlich und wurde dann von einem Moment auf den anderen zu einem groben impressionistischen Gemälde aus hunderten winzigen quadratischen Kästchen. Auch der Rest der Szenerie fror ein und wurde binnen weniger Augenblicke zu einem pixeligen Bild mit falschen Farben.
»Was bedeutet das?«
Der alte Mann, der hoch aufgerichtet vor dem riesigen Flachbildschirm stand, bemühte sich, seiner Stimme einen möglichst ruhigen und gefassten Ton zu verleihen, aber ganz gelang es ihm nicht. Der Bildschirm nahm eine ganze Wand des mit Computern, Schreibtischen und geheimnisvoll blinkenden und surrenden Apparaturen voll gestopften Raumes ein, der zwei Etagen unter dem Observatorium von Castel Gandolfo in den Albaner Bergen lag. Obwohl der Mann den anderen im Raum den Rücken zudrehte und weiter auf das eingefrorene Bild starrte, das nun endgültig zu einer groben Computergrafik geworden war, spürte jedermann hier seine Anspannung und das Entsetzen, mit dem ihn das Gesehene erfüllt hatte.
»Eine Datenlücke, Eminenz«, antwortete einer der Computerspezialisten. Wie alle hier im Raum – den Alten vor dem Monitor, der das schlichte dunkelrote Gewand eines Kardinals trug, ausgenommen – war er leger gekleidet; in Jeans und trotz der unangenehmen Kühle, die die emsig summende Klimaanlage unter der Decke schuf, einem kurzärmeligen Poloshirt. Das Haar trug er in einer schulterlangen Unfrisur, die ihm die goldene Zitrone jedes Lifestyle Magazins eingebracht hätte. »Der Rechner hatte widersprüchliche Informationen. Das Programm friert das Bild ein, sobald es keine eindeutige Entscheidung treffen kann.«
Wieder vergingen endlose Sekunden, in denen sich ein ungutes Schweigen in dem unterirdischen Gewölbe breit machte. Selbst das Summen der Computer und das gedämpfte Rauschen der Klimaanlage schienen für einen Moment leiser zu werden. Niemand wagte es, zu sprechen, während der weißhaarige alte Mann weiter reglos und wie erstarrt dastand und auf den Monitor blickte. Schließlich kam ein leises, unendlich tiefes Seufzen über seine Lippen. Mit einer Bewegung, der man ansah, welche Mühe sie ihm bereitete, drehte er sich vom Bildschirm weg und ließ seinen Blick traurig über die Gesichter der Hand voll Männer schweifen, die hinter ihm an den Schreibtischen saßen. Obwohl sie von vollkommen unterschiedlichem Wuchs und Aussehen waren, hatten sie doch etwas, das sie zu verbinden schien – eine Gemeinsamkeit, die man vielleicht nicht auf Anhieb entdecken konnte, die aber eindeutig da war. Vielleicht war es ihre Zugehörigkeit zum gleichen, straff organisierten Orden, vielleicht aber auch nur der Ausdruck in ihren Augen. Er konnte jedem Einzelnen von ihnen ansehen, welche Angst sie vor dem gehabt hatten, was sie ihm zeigen wollten, und davor, wie er darauf reagieren würde.
»Und ein Fehler ist ausgeschlossen?«
»Man kann Fehler niemals endgültig ausschließen«, antwortete der Langhaarige, der zuvor schon mit ihm geredet hatte, unbehaglich. Es kostete ihn sichtlich all seine Kraft, dem Blick des Kardinals standzuhalten, als er fortfuhr. »Aber nach menschlichem Ermessen ...« Ein neuerliches, noch unbehaglicheres Schulterzucken und ein angedeutetes Kopfschütteln. »Nein.«
»Was ist mit dem Jungen, der davongelaufen ist? Er wird in keiner der Schriften erwähnt. Und ich habe auch noch nie von ihm gehört.«
»Ein Mädchen, Eminenz«, antwortete der Langhaarige. »Nur eine Randnotiz in einer alten Stadtchronik, die erst kürzlich übersetzt wurde. Das Kind hatte sich nachts in den Garten geschlichen, um Äpfel zu stehlen. Die Stadtwache hat es aufgegriffen, und es hat irgendetwas von Räubern erzählt, die ein Haus überfallen haben. Natürlich hat ihm niemand geglaubt.«
Ein flüchtiges Lächeln huschte über das Gesicht des alten Mannes und erlosch wieder. »Wie viele Szenen haben wir?«
»Ungefähr ein Dutzend, Eminenz.« Die Finger des Langhaarigen strichen nervös am Rand der virtuellen Tastatur entlang, die der hochgeklappte Flachbildschirm vor ihm auf die Tischplatte projizierte. »Einige von ihnen sind sehr ...«, er räusperte sich, ehe er schließlich sagte: »... anders.«
»Ich weiß«, flüsterte der alte Mann. Er wirkte traurig und unendlich müde. »Zeig mir, wie es weitergeht, Bruder Ramon.«
Der Angesprochene deutete nervös auf das erstarrte Bild des Wandmonitors. »Die nächsten Minuten sind noch nicht fertig. Wir sammeln ununterbrochen weitere Daten, aber die Informationen, die uns im Augenblick vorliegen, reichen für eine endgültige Extrapolation noch nicht aus.«
Wieder lächelte der Kardinal flüchtig, wenn auch jetzt aus einem Grund, den Ramon schwerlich erwarten mochte: Sobald der junge Mann begonnen hatte, über das Programm und seine technischen Probleme zu reden, war jegliche Unsicherheit und Furcht aus seiner Stimme gewichen. Könnte er doch auch so glücklich sein, dachte der Kardinal, und sich mit einer Welt aus Daten, Fakten und Zahlen zufrieden geben und einfach daran glauben, dass es jenseits einer gewissen Wahrscheinlichkeit nichts mehr zu deuten gab – und damit nichts mehr zu fürchten. Aber er konnte es nicht.
»Zeig es mir, Bruder Ramon«, bat er, während er sich wieder dem riesigen Flachbildschirm zuwandte.
Das Bild darauf veränderte sich nicht.
»Es könnte ... noch befremdlicher wirken, Eminenz«, sagte Ramon nach einer Weile, nun wieder leise und mit fast ängstlicher Stimme.
Der Kardinal antwortete nicht, sondern stand einfach reglos da, bis Ramon sein Schweigen als Aufforderung akzeptierte und eine einzelne Taste auf der aus nichts anderem als rotem Licht bestehenden Tastatur vor sich berührte. Für einen Moment geriet das Bild auf dem Monitor zu einem Sturm aus durcheinander wirbelnden farbigen Kästchen und Umrissen, die so schnell wieder in Stücke zerbrachen, wie sie sich bildeten. Dann zeigte der Monitor wieder das Abbild des ummauerten Hofes. Es war nicht vollkommen identisch mit dem zuvor, einige Details hatten sich verändert, und auch die Anzahl der Personen schien nicht mehr dieselbe zu sein.
»Zwischen dieser Aufnahme und der letzten liegen etwa zehn Minuten«, sagte Ramon. Ein kurzer Augenblick verstrich, in dem er auf den Monitor vor sich blickte und sich dann verbesserte: »Elf, um genau zu sein.«
Der Kardinal konnte hören, wie die Finger des Computerspezialisten über das harte Plastik der Tischplatte huschten. Die Kamera schwenkte herum und zoomte gleichzeitig zurück, bis sie eine Gruppe von Männern erfasste, die sich dem offen stehenden Tor näherten. Es waren Malchus und sein Gefangener, der von zwei Legionären an den Armen gehalten und von zwei weiteren mit gezückten Schwertern bewacht wurde. Der große Mann bewegte sich nur schleppend, als hätte er Schmerzen, die es ihm unmöglich machten, ganz aufrecht zu gehen. Sein Gesicht war blutüberströmt und zeigte die Spuren schwerer Schläge; sehr viel mehr als die drei, die Malchus ihm versetzt hatte. Dennoch war unter dem Ausdruck von Furcht und Schmerz auf seinen Zügen noch immer deutlicher Trotz zu erkennen. Als die Gruppe das Tor erreicht hatte, veränderte sich der Blickwinkel erneut, und nun kam Jehuda ins Bild. Er wirkte klein, verängstigt und verloren, und seine Augen verrieten resignierendes Entsetzen, das man selbst über die Distanz des Bildschirms und von annähernd zweitausend Jahren hinweg fast körperlich spüren konnte und das den alten Mann schaudern ließ.
Der Gefangene versuchte stehen zu bleiben. Er war zu schwach und seine Bewacher zu stark, als dass es ihm auch nur gelungen wäre, ihr Tempo merklich zu verlangsamen, doch Malchus hob plötzlich die Hand und bedeutete seinen Männern, ihn gewähren zu lassen. Die beiden Legionäre, die seine Arme gepackt hatten, ließen ihn nicht los, blieben aber gehorsam stehen, und der Gefangene wandte mühsam den Kopf und sah auf Jehuda hinab.
»Es ... es tut mir Leid, Bruder«, flüsterte Jehuda.
Der Kraushaarige versuchte zu lächeln, doch seine aufgeplatzten Lippen und die bereits halb zu geschwollenen Augen machten eine Grimasse daraus. »Leid?«, erwiderte er mit einem schwachen Kopfschütteln. »Es braucht dir nicht Leid zu tun. Ich bin es, der dich um Vergebung bitten muss. Mich werden sie vielleicht töten, und ich habe große Angst davor, aber dein Schicksal wird unendlich viel schlimmer sein. Dein Name wird für alle Zeiten zu einem Fluch auf den Lippen der Menschen werden. Das Opfer, das du gebracht hast, ist größer als das meine.«
Der Kardinal sog so scharf und tief die Luft zwischen den Zähnen ein, dass es wie ein kleiner Schrei klang, ein Laut, in dem aller Schmerz und alles Leid zum Ausdruck kamen, die ein Mensch empfinden konnte.
Malchus wedelte ungeduldig mit einer Hand, auf der sich sein eigenes Blut mit dem des Gefangenen vermischt hatte, und die Männer gingen weiter. Als sie das Tor durchschritten hatten und in der Dunkelheit des Gartens verschwanden, begann Jehuda zu schluchzen. Mühsam drehte er sich um, sah zu den anderen Männern zurück, die immer noch wie erstarrt um den halb verwüsteten Tisch herumstanden und ihn mit schreckensbleichen Gesichtern anblickten, und ging dann schließlich zu ihnen hin. Niemand sagte etwas. Niemand gab auch nur den geringsten Laut von sich. Es wurde so still, als hätte die Welt den Atem angehalten. Dann, nach einer schieren Ewigkeit, hob Jehuda den kleinen Lederbeutel, den ihm der Priester gegeben hatte, knotete ihn auf und ließ seinen Inhalt auf den Boden fallen. Es klimperte hörbar, und die Münzen, die auf den steinernen Boden schlugen, waren nicht aus Silber, sondern aus einem dunkleren Material, und es waren deutlich mehr als dreißig.
»Die Übersetzungen aus Herculaneum?«, fragte der Kardinal. Ramon antwortete nur mit einem Nicken. Der alte Mann drehte sich nicht zu ihm um, doch er schien trotzdem verstanden zu haben.
Das Bild flackerte kurz und stabilisierte sich dann wieder, eine weitere Sequenz, in der das vom Teufel geschickte Computerprogramm nicht genügend Informationen zur Verfügung hatte, um die Szene schlüssig zu Ende zu führen, aber doch genug, um nicht endgültig abzubrechen.
Jetzt hatten sich die verbliebenen Männer um Jehuda geschart. Einer von ihnen kniete am Boden, hob die verstreuten Münzen auf, ein anderer streckte die Arme aus, zog Jehuda an seine Brust und drückte ihn an sich. »Ich danke dir, Bruder«, murmelte er.
Jehuda schwieg. Er weinte noch immer.
»Und du bist sicher, dass du dieses Opfer bringen willst?«, fragte ein anderer. »Du weißt, dass die Menschen dir nie verzeihen werden. Und es kann lange dauern, bis sie die Wahrheit erfahren. Vielleicht werden sie es nie.«
»Es ist der einzige Weg«, flüsterte Jehuda. Er befreite sich mit sanfter Gewalt aus der Umarmung, trat einen Schritt zurück und schluckte ein paar Mal trocken, als ihm der Beutel mit den wieder eingesammelten Münzen gereicht wurde. Aber er nahm ihn, verbarg ihn unter seinem Gewand und atmete tief ein, bevor er sich die Tränen aus dem Gesicht wischte und mit veränderter Stimme fortfuhr: »Wo ist er?«
»In Sicherheit«, antwortete der Mann, der ihn gerade umarmt hatte. »Er wird nicht vor Sonnenaufgang wach werden. Bis dahin haben wir ihn schon fortgebracht. Mach dir keine Sorgen.«
»Er wird sehr zornig werden.«
»Ja. Aber es gibt keinen anderen Weg.«
»Genug«, sagte der Kardinal leise. Noch bevor er das Wort ganz ausgesprochen hatte, erstarrte das Bild abermals, flackerte kurz und wurde dann zu etwas, das Ähnlichkeit mit dem Testbild eines Schwarz-Weiß-Fernsehers aus den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts hatte. Ramons Finger musste über der Tastatur geschwebt sein, als hätte er nur auf diesen Befehl gewartet.
Mit einer unendlich müden Bewegung drehte sich der alte Mann vom Bildschirm weg, ging mit hängenden Schultern und kleinen, kraftlosen Schritten auf einen freien Stuhl in seiner Nähe zu und setzte sich dann doch nicht. »Vergebe uns Gott«, flüsterte er. »Und beschütze er uns, damit niemals auch nur ein einziges dieser Bilder diesen Raum verlässt.«
»Keine Sorge, Eminenz«, versicherte Ramon. »Das ist vollkommen unmöglich.«
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Autoren-Porträt von Wolfgang Hohlbein
Hohlbein, WolfgangWolfgang Hohlbein, 1953 in Weimar geboren, zählt zu Deutschlands erfolgreichsten Autoren phantastischer Unterhaltungsliteratur. Seine Bücher haben inzwischen eine Gesamtauflage von über 20 Millionen erreicht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Wolfgang Hohlbein
- 2009, 8. Aufl., 704 Seiten, Masse: 11,9 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548266193
- ISBN-13: 9783548266190
Rezension zu „Das Paulus-Evangelium “
»Hohlbein ist Kult.« Hörzu »Wolfgang Hohlbein. Der Name für das Unbegreifliche.« Frankfurter Allgemeine Zeitung
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