Das Mädchen, das nicht weinen durfte
Eine Afrikanerin erzählt ihre deutsch-deutsche LebensgeschichteKhadra Sufi wird 1980 in Somalia geboren. Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie im Jemen, in Sambia und Saudi-Arabien, bis die Familie 1983 in das damalige Ost-Berlin zieht. Als...
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Produktinformationen zu „Das Mädchen, das nicht weinen durfte “
Eine Afrikanerin erzählt ihre deutsch-deutsche Lebensgeschichte
Khadra Sufi wird 1980 in Somalia geboren. Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie im Jemen, in Sambia und Saudi-Arabien, bis die Familie 1983 in das damalige Ost-Berlin zieht. Als Diplomatentochter hat Khadra in der ehemaligen DDR nicht nur weiterhin Zugang zur westlichen Welt, sondern alles, was sich ein kleines Mädchen nur wünschen kann: Große Villen mit Hauspersonal sind ihr Zuhause, sie begleitet ihren Vater auf Dienstreisen in fremde Länder und in die Botschaften dieser Welt. Im Alter von acht Jahren reist Khadra zum ersten Mal seit ihrer Geburt in ihre Heimat: Die fremde Kultur und Armut Somalias vor Augen, genießt sie anfangs noch den Luxus einer deutschen Privatschule. Mit Ausbruch des Bürgerkriegs wird die Diplomatenfamilie sämtlicher Privilegien beraubt. Von den Aufständischen quer durchs Land verfolgt, gelingt ihr 1990 die Flucht über Kenia nach Ägypten, ein Jahr später landet die Familie in einem Asylantenheim bei Bonn. Der Verlust des Ansehens, der Absturz in die Armut und das Leben kurz vor der Abschiebung zermürben Khadras Eltern. Als die Familie nach London zieht, beschließt Khadra, in Deutschland zu bleiben. Sie ist 16 Jahre, mittellos und wohnt in einer umgebauten Garage. Ein Rückschlag jagt den anderen, doch Khadra gibt nicht auf. Sie kämpft dafür, wieder nach oben zu kommen - dorthin, wo sie einst war. Und sie wird belohnt: Aus der Garage ist wieder ein schickes Appartement geworden ...
Klappentext zu „Das Mädchen, das nicht weinen durfte “
Eine Afrikanerin erzählt ihre deutsch-deutsche LebensgeschichteKhadra Sufi wird 1980 in Somalia geboren. Ihre ersten Lebensjahre verbringt sie im Jemen, in Sambia und Saudi-Arabien, bis die Familie 1983 in das damalige Ost-Berlin zieht. Als Diplomatentochter hat Khadra in der ehemaligen DDR nicht nur weiterhin Zugang zur westlichen Welt, sondern alles, was sich ein kleines Mädchen nur wünschen kann: Grosse Villen mit Hauspersonal sind ihr Zuhause, sie begleitet ihren Vater auf Dienstreisen in fremde Länder und in die Botschaften dieser Welt. Im Alter von acht Jahren reist Khadra zum ersten Mal seit ihrer Geburt in ihre Heimat: Die fremde Kultur und Armut Somalias vor Augen, geniesst sie anfangs noch den Luxus einer deutschen Privatschule. Mit Ausbruch des Bürgerkriegs wird die Diplomatenfamilie sämtlicher Privilegien beraubt. Von den Aufständischen quer durchs Land verfolgt, gelingt ihr 1990 die Flucht über Kenia nach Ägypten, ein Jahr später landet die Familie in einem Asylantenheim bei Bonn. Der Verlust des Ansehens, der Absturz in die Armut und das Leben kurz vor der Abschiebung zermürben Khadras Eltern. Als die Familie nach London zieht, beschliesst Khadra, in Deutschland zu bleiben. Sie ist 16 Jahre, mittellos und wohnt in einer umgebauten Garage. Ein Rückschlag jagt den anderen, doch Khadra gibt nicht auf. Sie kämpft dafür, wieder nach oben zu kommen - dorthin, wo sie einst war. Und sie wird belohnt: Aus der Garage ist wieder ein schickes Appartement geworden ...
Lese-Probe zu „Das Mädchen, das nicht weinen durfte “
DER SCHLIMMSTE TAG MEINES LEBENS Ich hatte mich schon so oft gefragt, was ich bloss tun würde, wenn das passiert: Wenn dieser Anruf kommt und diese Nachricht mich erreicht. Ich wusste, der Tag würde irgendwann kommen, und schon allein der Gedanke daran löste einen Schmerz in mir aus, der nicht zu ertragen war. Würde ich den Verstand verlieren? Würde ich mir ein Messer in mein Herz rammen, weil mein Leben ab diesem Tag keinen Sinn mehr haben würde? Oder schreiend zusammenbrechen?Heute war es so weit. Der Tag war gekommen.
Heute, am 5. August 2005.
Seit ich ein Kind war, hatte ich jede Nacht zu Gott gebetet und war dankbar um jeden Tag, den mein Vater mir blieb. Das schlechte Gewissen trug ich während der letzten Jahre ständig in mir, seitdem meine Familie 1997 fortgegangen war. Ich hatte mich damals entschlossen, allein in Deutschland zu bleiben und meine Eltern und Geschwister ohne mich nach England ziehen zu lassen. Ich war 16 Jahre alt und hatte einen Plan: Es war an der Zeit, mein eigenes Leben zu beginnen und etwas zu erreichen. Ich wollte so viel Geld verdienen, dass ich ihnen das Leben wiedergeben konnte, das uns der Krieg genommen hatte. Ich wollte sie wieder glücklich sehen, ohne Sorgen, ohne die ständige Angst, wie es weitergehen würde. Sie sollten in ihren letzten Lebensjahren einfach zufrieden sein, so wie damals in unserer Villa in der DDR, vor unserer Rückkehr nach Somalia, die unser ganzes Leben verändern sollte.
Doch ich zahlte einen hohen Preis für die Entscheidung, allein hier in Deutschland zu bleiben. Es machte mir nichts aus, von ganz unten anzufangen, das war ich gewohnt. Ich war schon immer eine Kämpferin. Aber innerlich zermürbte mich das Wissen, dass meine Familie jetzt ohne mich zusehen musste, wie es weiterging: Schon wieder lebte sie nun in einem Land, das sie zwar kannte, aber nicht aus der hilflosen Position eines Flüchtlings, sondern als Diplomatenfamilie. Damals waren wir öfter in London gewesen, auf Geschäftsreisen oder um
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die zahlreichen Verwandten zu besuchen, die dort lebten. Jetzt ging meine Familie wieder dorthin, um die Heimat zu suchen, die es in Bonn nicht mehr gab.
Denn hier in Deutschland sah mein Vater keine Perspektive mehr für seine Familie. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben. Ich weiss noch, wie oft wir Anträge ausgefüllt hatten, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, die unbefristet war. Reichten zwei Bundesverdienstkreuze, damit ein ehemaliger Botschafter die deutsche Staatsangehörigkeit bekam? Nein. Ein Mann, der geholfen hatte, die Geiseln bei der Entführung der "Landshut" 1977 in Mogadischu zu befreien. Der Wischnewski am Flughafen empfangen und auf Schritt und Tritt begleitet hat, um die Verhandlungsgespräche zwischen ihm und dem damaligen somalischen Diktator Siad Barre zu übersetzen, war knapp 20 Jahre später in Deutschland ein Asylant wie jeder andere und zog nun weiter nach England. Für eine sechsköpfige Flüchtlingsfamilie aus Somalia gab es hier nichts, worauf sie hätte aufbauen können.
Und meinem Vater ging es mittlerweile schlecht, sehr schlecht. All die Jahre hatte er so viel durchgemacht. Sein Körper, der sein zerbrochenes Ich in sich trug, war schwach geworden. Wie viel Leid konnte dieser Mann noch ertragen? Er war so stark. Bis hierher hatte er seine Familie noch bringen können. Raus aus der lebensbedrohlichen Lage in Somalia, hinein in ein Leben ohne Geld, ohne Luxus, ohne Identität und ohne Perspektive. Wir waren Flüchtlinge, die zuvor nie auf Almosen angewiesen gewesen waren.
Wie oft hatte ich mir ansehen müssen, wie er diskriminiert wurde. Von seinem stolzen Gang war im Laufe der Jahre nicht viel übrig geblieben. Nur unsere Verwandten behandelten ihn immer noch mit Respekt. Sie wussten, was für ein ehrenwerter Mann er war, und küssten ihm zur Begrüssung die Hand. Aber in den Sozialämtern war er einer von vielen: ein Heimatloser, der wieder in der Schlange stand, um für seine Familie Kleidergeld zu beantragen. Ich hasste die Blicke, die sie ihm zuwarfen. Ich hasste es, wie sie manchmal mit ihm redeten.
Nun lebte meine Familie also in England. Im Sommer 1997 kam mein Vater ein letztes Mal zurück, um unsere Wohnung aufzulösen, in der ich noch allein lebte. Eines Abends, ich schlief schon in meinem Zimmer, öffnete er plötzlich die Tür: Er bekam kaum Luft und brach gleich darauf zusammen. In Panik rief ich einen Krankenwagen. Der Notarzt mass seinen Blutdruck, der besorgniserregend hoch war. Erst im Krankenhaus war mein Vater wieder ansprechbar. Nach einiger Zeit kam eine Ärztin ins Zimmer, verschlafen blickte sie mich an, nicht ihn. Es wirkte so, als würde sie ihm die deutsche Sprache nicht zutrauen. Und so, als hätten wir ihr leichtfertig den Schlaf geraubt, sagte sie zu uns: "Beim nächsten Mal nehmen Sie sich bitte ein Taxi, denn so ein Krankenwageneinsatz ist sehr teuer und wirklich nur für Notfälle gedacht." Ich kochte innerlich und schwieg. "Wir behalten ihn zur Beobachtung ein paar Tage hier."
Monate später brach mein Vater in London erneut zusammen. Dort stellte man dann endlich fest, dass seine Nieren mittlerweile völlig funktionslos waren und sein Blut nicht mehr reinigen konnten. Seitdem hing sein Leben an Dialysemaschinen. Jedes Mal, wenn ich ihn nach der Blutwäsche anrief, hörte er sich schwächer an, ich konnte ihn kaum verstehen. Es brach mir das Herz, aber ich schluckte meinen Schmerz und meine Tränen hinunter, denn ich wollte ihn nicht traurig machen. Er sollte sich auf mich verlassen können und ich wollte ihm von meiner Stärke etwas abgeben, so wie damals im Krieg.
Während damals die Bomben um uns herum eingeschlagen waren, zählten wir die Stunden, bis auch wir unter den Trümmern liegen würden. Das einstürzende Nachbarhaus hatte einen solchen Lärm gemacht, dass mir das Blut spürbar durch den ganzen Körper schoss. In dieser Nacht hatte ich mit dem Leben abgeschlossen. Ich erreichte den Punkt, an dem jede noch so geringe Hoffnung mich verlassen hatte. Um mich herum hörte ich die lauten Gebete der fremden Menschen, die sich mit uns in diesem dunklen Keller versteckt hielten und sich bereit machten, ihrem Schöpfer gegenüberzutreten.
Denn hier in Deutschland sah mein Vater keine Perspektive mehr für seine Familie. Er hatte alle Hoffnung aufgegeben. Ich weiss noch, wie oft wir Anträge ausgefüllt hatten, um eine Aufenthaltsgenehmigung zu erhalten, die unbefristet war. Reichten zwei Bundesverdienstkreuze, damit ein ehemaliger Botschafter die deutsche Staatsangehörigkeit bekam? Nein. Ein Mann, der geholfen hatte, die Geiseln bei der Entführung der "Landshut" 1977 in Mogadischu zu befreien. Der Wischnewski am Flughafen empfangen und auf Schritt und Tritt begleitet hat, um die Verhandlungsgespräche zwischen ihm und dem damaligen somalischen Diktator Siad Barre zu übersetzen, war knapp 20 Jahre später in Deutschland ein Asylant wie jeder andere und zog nun weiter nach England. Für eine sechsköpfige Flüchtlingsfamilie aus Somalia gab es hier nichts, worauf sie hätte aufbauen können.
Und meinem Vater ging es mittlerweile schlecht, sehr schlecht. All die Jahre hatte er so viel durchgemacht. Sein Körper, der sein zerbrochenes Ich in sich trug, war schwach geworden. Wie viel Leid konnte dieser Mann noch ertragen? Er war so stark. Bis hierher hatte er seine Familie noch bringen können. Raus aus der lebensbedrohlichen Lage in Somalia, hinein in ein Leben ohne Geld, ohne Luxus, ohne Identität und ohne Perspektive. Wir waren Flüchtlinge, die zuvor nie auf Almosen angewiesen gewesen waren.
Wie oft hatte ich mir ansehen müssen, wie er diskriminiert wurde. Von seinem stolzen Gang war im Laufe der Jahre nicht viel übrig geblieben. Nur unsere Verwandten behandelten ihn immer noch mit Respekt. Sie wussten, was für ein ehrenwerter Mann er war, und küssten ihm zur Begrüssung die Hand. Aber in den Sozialämtern war er einer von vielen: ein Heimatloser, der wieder in der Schlange stand, um für seine Familie Kleidergeld zu beantragen. Ich hasste die Blicke, die sie ihm zuwarfen. Ich hasste es, wie sie manchmal mit ihm redeten.
Nun lebte meine Familie also in England. Im Sommer 1997 kam mein Vater ein letztes Mal zurück, um unsere Wohnung aufzulösen, in der ich noch allein lebte. Eines Abends, ich schlief schon in meinem Zimmer, öffnete er plötzlich die Tür: Er bekam kaum Luft und brach gleich darauf zusammen. In Panik rief ich einen Krankenwagen. Der Notarzt mass seinen Blutdruck, der besorgniserregend hoch war. Erst im Krankenhaus war mein Vater wieder ansprechbar. Nach einiger Zeit kam eine Ärztin ins Zimmer, verschlafen blickte sie mich an, nicht ihn. Es wirkte so, als würde sie ihm die deutsche Sprache nicht zutrauen. Und so, als hätten wir ihr leichtfertig den Schlaf geraubt, sagte sie zu uns: "Beim nächsten Mal nehmen Sie sich bitte ein Taxi, denn so ein Krankenwageneinsatz ist sehr teuer und wirklich nur für Notfälle gedacht." Ich kochte innerlich und schwieg. "Wir behalten ihn zur Beobachtung ein paar Tage hier."
Monate später brach mein Vater in London erneut zusammen. Dort stellte man dann endlich fest, dass seine Nieren mittlerweile völlig funktionslos waren und sein Blut nicht mehr reinigen konnten. Seitdem hing sein Leben an Dialysemaschinen. Jedes Mal, wenn ich ihn nach der Blutwäsche anrief, hörte er sich schwächer an, ich konnte ihn kaum verstehen. Es brach mir das Herz, aber ich schluckte meinen Schmerz und meine Tränen hinunter, denn ich wollte ihn nicht traurig machen. Er sollte sich auf mich verlassen können und ich wollte ihm von meiner Stärke etwas abgeben, so wie damals im Krieg.
Während damals die Bomben um uns herum eingeschlagen waren, zählten wir die Stunden, bis auch wir unter den Trümmern liegen würden. Das einstürzende Nachbarhaus hatte einen solchen Lärm gemacht, dass mir das Blut spürbar durch den ganzen Körper schoss. In dieser Nacht hatte ich mit dem Leben abgeschlossen. Ich erreichte den Punkt, an dem jede noch so geringe Hoffnung mich verlassen hatte. Um mich herum hörte ich die lauten Gebete der fremden Menschen, die sich mit uns in diesem dunklen Keller versteckt hielten und sich bereit machten, ihrem Schöpfer gegenüberzutreten.
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Autoren-Porträt von Khadra Sufi
Khadra Sufi, geboren 1980 in Mogadischu, Somalia, wächst als Diplomatentochter in Sambia, Saudi-Arabien und der ehemaligen DDR auf. Heute lebt sie bei Köln und arbeitet als Moderatorin und freie Journalistin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Khadra Sufi
- 2010, 304 Seiten, mit zahlreichen farbigen Abbildungen, Masse: 14,4 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Südwest
- ISBN-10: 3517085790
- ISBN-13: 9783517085791
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