Das goldene Notizbuch
Das bekannteste Werk von Doris Lessing, das die Situation der Frau auf dem Weg zur Gleichberechtigung dokumentiert: Die Geschichte zweier Frauen - der Schriftstellerin Anna Wulf und der Schauspielerin Molly Jacobs. Beide sind um die vierzig, geschieden...
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Das bekannteste Werk von Doris Lessing, das die Situation der Frau auf dem Weg zur Gleichberechtigung dokumentiert: Die Geschichte zweier Frauen - der Schriftstellerin Anna Wulf und der Schauspielerin Molly Jacobs. Beide sind um die vierzig, geschieden und haben ein Kind zu versorgen. Und Anna führt ein Notizbuch.
»Das goldene Notizbuch« ist Doris Lessings berühmtestes Buch und ein moderner Klassiker. Erzählt wird die Geschichte von zwei Frauen, zwei Freundinnen - der Schriftstellerin Anna Wulf und der Schauspielerin Molly Jacobs. Beide sind um die vierzig, geschieden und haben ein Kind zu versorgen: ungebundene Frauen, die viele Beziehungen durchleben, haltbare und unhaltbare. Eingeflochten in die Geschichte der beiden Frauen sind die Notizbücher der Schriftstellerin Anna - das schwarze, das rote, das gelbe und das blaue - und schliesslich das goldene Notizbuch.
Ein bedeutender Roman in bahnbrechender literarischer Form über das geistige und moralische Klima Mitte des 20. Jahrhunderts - und zugleich ein grosses Buch über weibliche Intellektualität.
Das goldene Notizbuch von Doris Lessing
LESEPROBE
Anna trifft ihre Freundin Molly
im Sommer 1957 nach einer Trennung...
Die beiden Frauen waren allein in der Londoner Wohnung.
»Soweit ich sehe«, sagte Anna, als ihre Freundin vom Telefon im Flur zurückkam, »soweit ich sehen kann, ist alles am Zusammenklappen.«
Molly war eine Frau, die viel telefonierte. Als es klingelte, hatte sie gerade gefragt: »Also, was gibt's für Klatsch ?« Jetzt sagte sie: »Das war Richard, er kommt rüber. Anscheinend ist das sein einziger freier Moment heute für den nächsten Monat. Jedenfalls behauptet er das.«
»Ich werde nicht gehen«, sagte Anna.
»Nein, du bleibst genau da, wo du bist.«
Molly überlegte, wie sie eigentlich aussah sie trug Hosen und einen Pullover, beides abgetragen. »Er muss mich halt nehmen, wie ich bin«, schloss sie und setzte sich ans Fenster. »Er wollte nicht sagen, worum es geht wieder eine Krise mit Marion, nehme ich an.«
»Hat er dir nicht geschrieben ?« fragte Anna vorsichtig. »Beide, er und Marion, haben mir geschrieben so richtige Bonhomie-Briefe. Komisch nicht ?«
Dieses komisch, nicht? war der charakteristische Ton für die vertrauten Unterhaltungen, die sie als Klatsch bezeichneten. Aber nachdem Molly diesen Ton angeschlagen hatte, schweifte sie ab: »Es hat jetzt keinen Sinn zu reden, weil er gleich rüberkommt.«
»Er wird wahrscheinlich gehen, wenn er mich hier sieht«, sagte Anna heiter, aber leicht aggressiv. Molly warf ihr einen interessierten Blick zu und sagte: »Aber warum denn ?«
Dass Anna und Richard sich nicht mochten, war eine bekannte Tatsache; und früher war Anna immer gegangen, wenn Richard erwartet wurde. Jetzt sagte Molly: »Eigentlich glaube ich, dass er dich ganz gern hat. Im Grunde seines Herzens. Ausschlaggebend aber ist, dass er aus Prinzip dazu verpflichtet ist, mich zu mögen er ist so verrückt, dass er einen Menschen entweder nur gern haben oder verabscheuen kann, das heisst, der ganze _Abscheu, den er für mich hegt, wird auf dich abgewälzt, was er aber nie zugeben würde.«
»Freut mich«, sagte Anna. »Aber weisst du was? Während du weg warst, habe ich entdeckt, dass wir beide für eine Menge Leute praktisch austauschbar sind.«
»Das hast du jetzt erst kapiert?« sagte Molly, triumphierend wie immer, wenn Anna Fakten zur Sprache brachte, die was sie selber anbelangte offenkundig waren.
In dieser Beziehung war früh Bilanz gezogen worden: Molly war insgesamt weltkluger als Anna, die wiederum eine überlegene Begabung besass.
Anna hatte ihre eigenen, sehr persönlichen Ansichten. Nun lächelte sie und gab .damit zu, dass sie sehr langsam gewesen war.
»Komisch wo wir in jeder Beziehung doch so verschieden sind«, sagte Molly. »Ich nehme an, weil wir beide dieselbe Art Leben leben nicht heiraten und so weiter. Das ist alles, was sie sehen.«
»Ungebundene Frauen«, sagte Anna ungezwungen Mit einem für Molly neuen Zorn, der ihr einen weiteren raschen, prüfenden Blick von ihrer Freundin eintrug, fügte sie hinzu: »Sie definieren uns immer noch im Hinblick auf Männerbeziehungen, sogar die besten von ihnen.«
» Wir tun's doch auch, oder etwa nicht?« sagte Molly ziemlich scharf. »Ich gebe zu, es ist furchtbar schwierig, es nicht zu tun«, verbesserte sie sich hastig wegen des überraschten Blicks, den Anna ihr jetzt zuwarf. Eine kleine Pause entstand, während der sich die Frauen nicht ansahen, sondern überlegten, dass ein Jahr des Getrenntseins eine lange Zeit war, sogar für eine alte Freundschaft.
Molly sagte schliesslich seufzend: »Ungebunden. Weisst du, als ich fort war, habe ich über uns nachgedacht, und ich bin zu dem Schluss gekommen, dass wir ein völlig neuer Frauentyp sind. Bestimmt, wir müssen so etwas sein.«
»Es gibt nichts Neues unter der Sonne«, sagte Anna mit dem Versuch eines deutschen Akzents. Molly wiederholte entrüstet sie sprach ein halbes Dutzend Sprachen gut: »Es gibt nichts Neues unter der Sonne«, mit der perfekten Wiedergabe der Stimme einer schlauen alten Frau mit deutschem Akzent.
Anna schnitt eine Grimasse, die ihr Versagen eingestand. Sie konnte keine Sprachen lernen und war ihrer selbst zu bewusst, um jemals jemand anderes zu werden: Einen Augenblick lang hatte Molly ausgesehen wie Mother Sugar, sonst Mrs. Marks, zu der sie beide in die Psychoanalyse gegangen waren. Die Vorbehalte, die sie beide angesichts des feierlichen und schmerzhaften Rituals empfunden hatten, wurden durch den Kosenamen >Mother Sugar< ausgedrückt, der mit der Zeit viel mehr bezeichnete als eine Person, nämlich eine ganz bestimmte Lebensanschauung traditionell, verwurzelt, konservativ , trotz ihrer skandalösen Vertrautheit mit allem Amoralischen. Trotz so hatten Anna und Molly es bisher empfunden, wenn sie das Ritual diskutierten; seit kurzem hatte Anna mehr und mehr das Gefühl, dass es wegen dieser Vertrautheit war; und sie freute sich schon auf die Diskussion mit ihrer Freundin, speziell über diesen Punkt.
Aber da sagte Molly rasch, indem sie, wie schon oft in der Vergangenheit, auf die leiseste Andeutung einer Kritik Annas an Mother Sugar reagierte: »Ganz egal, sie war grossartig, und ich war in einer viel zu schlechten Verfassung, um Kritik üben zu können.«
»Mother Sugar sagte immer: >Du bist Elektra<, oder >Du bist Antigone<, und damit hatte es sich für sie«, sagte Anna.
»Na ja, nicht ganz«, äusserte Molly. Sie empfand es als Sakrileg, wenn Anna so über die schmerzhaften Sondierungsstunden, die sie beide verbracht hatten, sprach.
»Doch«, sagte Anna, die unerwarteterweise darauf bestand, so dass Molly das dritte Mal neugierig zu ihr hinschaute. »Doch. Ich sage ja nicht, dass sie mir nicht alles erdenkliche Gute getan hat. Ich bin sicher, dass ich ohne sie niemals mit allem fertig geworden wäre, mit dem ich fertig werden musste. Aber trotzdem ... Ich erinnere mich ganz deutlich an einen Nachmittag an das grosse Zimmer und die diskreten Wandlampen und den Buddha und die Bilder und die Statuen.«
»Ja, und?« sagte Molly, jetzt sehr kritisch.
Angesichts dieser unausgesprochenen, aber deutlichen Entschlossenheit, das nicht zu diskutieren, sagte Anna: »Ich habe über das alles die letzten paar Monate nachgedacht .. . Ich würde doch gern mit dir darüber sprechen. Schliesslich haben wir beide dasselbe durchgemacht und mit derselben Person ...«
»Ja, und ?«
Anna gab nicht nach: »Ich erinnere mich noch deutlich an den Nachmittag, an dem ich wusste, dass ich niemals zurückkommen würde. Es war wegen der ganzen verfluchten Kunst in der Wohnung.«
Molly zog scharf die Luft ein. Sie sagte rasch: »Ich weiss nicht, was du meinst.« Als Anna nicht antwortete, sagte sie vorwurfsvoll: »Und hast du irgend etwas geschrieben, seit ich weg war ?«
»Nein.«
»Ich sage dir immer wieder«, sagte Molly mit schriller Stimme, »ich vergebe es dir nie, wenn du so ein Talent wegwirfst. Ich meine es ernst. Ich habe es getan, und ich kann nicht einfach daneben stehen und zusehen ich habe mit Malen und Tanzen und Schauspielern und Kritzeln herumgemurkst, und jetzt ... du bist so begabt, Anna. Warum? Ich verstehe es einfach nicht. «
»Wie kann ich dir jemals erklären, warum, wenn du immer so bitter und vorwurfsvoll bist ?«
Molly hatte Tränen in den Augen, die sie mit dem schmerzlichsten Vorwurf auf ihre Freundin heftete. Mühsam brachte sie hervor: »Im Grunde meines Herzens habe ich immer gedacht, na ja, ich werde mal heiraten, also macht es nichts, dass ich alle Talente, mit denen ich geboren bin, vergeude. Bis vor kurzem habe ich sogar davon geträumt, mehr Kinder zu haben ja, ich weiss, es ist idiotisch, aber es stimmt. Und jetzt bin ich vierzig, und Tommy ist erwachsen. Aber wenn du nicht schreibst, bloss weil du daran denkst zu heiraten ...«
»Aber wir beide möchten heiraten«, sagte Anna humorvoll und drückte damit ihren Vorbehalt gegen dieses Gespräch aus; sie hatte bekümmert eingesehen, dass sie schliesslich doch nicht in der Lage sein würde, bestimmte Themen mit Molly zu diskutieren.
Molly lächelte trocken, warf ihrer Freundin einen scharfen, bitteren Blick zu und sagte: »In Ordnung, aber es wird dir später leid tun.«
»Leid tun«, sagte Anna, überrascht lachend. »Molly, woher kommt das bloss, dass du nie glaubst, andere Leute könnten dieselbe Unfähigkeit haben wie du ?«
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© S. Fischer Verlag
Übersetzung: Iris Wagner
- Autor: Doris Lessing
- 1989, Nachdruck, 800 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Iris Wagner
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596253969
- ISBN-13: 9783596253968
- Erscheinungsdatum: 27.03.2001
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