Das Gesicht des Todes
Authentische Mordfälle. Originalausgabe
Spektakuläre Mordfälle aus seiner Berufspraxis deckt Kriminalhauptkommissar Toni Feller hier auf. Packend und anschaulich vermittelt er ein authentisches Bild der Polizeiarbeit, das zeigt: Nichts ist spannender und aufwühlender als die Realität!
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Das Gesicht des Todes “
Spektakuläre Mordfälle aus seiner Berufspraxis deckt Kriminalhauptkommissar Toni Feller hier auf. Packend und anschaulich vermittelt er ein authentisches Bild der Polizeiarbeit, das zeigt: Nichts ist spannender und aufwühlender als die Realität!
Klappentext zu „Das Gesicht des Todes “
Hautnah erzählt - Nervenkitzel purIn einem Waldstück wird die lichterloh brennende Leiche einer jungen Frau gefunden - Kopf und Hände fehlen. Bald gerät der Freund der Toten ins Visier der Fahnder, doch erst nach intensiven Ermittlungen kommen sie dem Täter auf die Spur. Diesen und acht weitere spektakuläre Mordfälle aus seiner Praxis deckt Kriminalhauptkommissar Toni Feller hier auf. Packend vermittelt er ein authentisches Bild der Polizeiarbeit, das zeigt: Nichts ist spannender und aufwühlender als die Realität!
Lese-Probe zu „Das Gesicht des Todes “
Das Gesicht des Todes von Toni FellerVorwort
Seit 1985 bin ich Mitglied der Mordkommission (Moko) beim Polizeipräsidium Karlsruhe und im normalen Arbeitsalltag für schwere Gewalt-, Sexual- und Branddelikte zuständig. Ich arbeite direkt an der Front und habe viele Facetten und Abgründe menschlicher Verhaltensweisen kennengelernt. Doch es erstaunt mich immer wieder aufs Neue, zu welch brutalen Verbrechen manche Menschen fähig sind.
Wird in Karlsruhe oder in dessen Landkreis ein Kapitalverbrechen verübt, was glücklicherweise nicht so oft der Fall ist - in einem Jahr hatten wir zwar schon einmal zehn Morde zu bearbeiten, aber es gab auch Jahre, da waren es nur zwei oder drei -, bin ich einer von denen, die zu jeder Tages- und Nachtzeit angerufen werden. Ich habe dann sofort zu erscheinen. Persönliche Befindlichkeiten oder wichtige Dinge des Privatlebens spielen von nun an keine Rolle mehr. Nach der Alarmierung stürze ich mich in die Arbeit, die ich von der Kommissionsleitung zugeteilt bekomme. Keiner von uns Ermittlern weiß, ob die Spur, die er zu bearbeiten hat, zum Täter oder ins Leere führt. Wir alle sind hoch motiviert. Niemand beklagt sich, weil er zum Beispiel schon 20 Stunden nicht mehr geschlafen hat oder bei der Geburtstagsfeier seiner Frau eigentlich zu Hause sein wollte.
Eine Mordkommission besteht aus dem Kommissionsleiter, seinem Stellvertreter und fünf Unterabschnitten, die je nach Fall ebenfalls einen Leiter haben. Es gibt die Unterabschnitte
- Ermittlungen
- Spurendokumentation und Auswertung
- Operative Maßnahmen und Fahndung
- Kriminaltechnik
- Öffentlichkeitsarbeit
... mehr
Normalerweise ist in Karlsruhe die Mordkommission 25 bis 30 Mann stark. Sie kann bei Bedarf jederzeit aufgestockt, aber auch reduziert werden. Ist ein Mordfall abgeschlossen, kehren die Kommissionsmitglieder wieder zu ihren Stammdienststellen zurück. Wir haben eine Aufklärungsquote von über 90 Prozent.
Kommissionsarbeit ist absolute Teamarbeit. Eine Moko funktioniert nur, wenn die einzelnen Mitglieder möglichst reibungslos zusammenarbeiten. Die Ermittlung des Täters ist deshalb ein Erfolg der ganzen Moko und niemals des Einzelnen, der zufällig die Spur zu bearbeiten hatte, die letztendlich zum Täter führte. Den meisten Moko-Leitern ist das bewusst, weshalb sie sich vor Presse und Rundfunk in aller Regel zurückhalten und andere vorschicken, um die Lorbeeren einzuheimsen.
Der Leiter einer Mordkommission spürt den Täter niemals persönlich auf, wie es in Filmen und Kriminalromanen gern dargestellt wird. Seine Aufgabe ist es explizit, die anfallende Arbeit zu koordinieren, an die Unterabschnitte zu delegieren und gegebenenfalls den Rücklauf zu kontrollieren. Was der einzelne Ermittler, Fahnder oder Kriminaltechniker aus einer ihm zugeteilten Spur macht, hängt von der Ausbildung, Motivation und dem Biss des Betroffenen ab.
Meist ist es eine einzige Spur, die Rückschlüsse auf den noch unbekannten Täter zulässt und schließlich zum Erfolg führt. So kann zum Beispiel die Herkunft eines kleinen Knopfes, der am Tatort gefunden wurde, einen Hinweis darauf geben, wo der Mörder sein Hemd gekauft hat. Oft ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur Ermittlung des Täters, manchmal kann aber so eine heiße Spur nach tage- oder wochenlanger, sehr mühevoller Kleinarbeit einfach im Sand verlaufen.
Zur Polizei kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Nach dem Maschinenbaustudium arbeitete ich als Abteilungsleiter in einer mittelständischen Firma, die Atemschutz- und Tauchgeräte herstellte. Als die Firma pleiteging, saß ich erst einmal auf der Straße. Ein Bekannter brachte mich auf die Idee, mich bei der Polizei zu bewerben. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Polizei gegenüber eher negativ eingestellt. Das lag hauptsächlich an den Zahlkarten, die regelmäßig an der Windschutzscheibe meines Fahrzeuges hingen, und den mehr oder weniger schönen Fotos, die mich hinter dem Steuer meines Wagens zeigten und auf denen diverse Geschwindigkeitsangaben standen.
So nahm ich, mehr halbherzig, im Januar 1977 an der Aufnahmeprüfung zum Polizeidienst teil. Ich war 26 Jahre alt, Familienvater und hatte meine junge Familie zu versorgen. Außerdem wollte ich ein Haus bauen. Dazu brauchte ich Sicherheit, und was lag da näher, als Beamter zu werden?
Schneller, als mir lieb war, sah ich mich dann in der grünen Uniform der baden-württembergischen Polizei. Doch bereits nach 14 Tagen wusste ich, dass ich meinen Traumberuf gefunden hatte.
Die Ausbildung und anschließenden Lehrgänge absolvierte ich mit durchweg guten Abschlüssen, weshalb ich fast in Rekordzeit von der Schutz- zur Kriminalpolizei wechseln konnte.
Sicher bin ich einer der wenigen, die nach so langen Dienstjahren immer noch Spaß am Beruf haben. Doch will ich nicht verhehlen, dass ich mich manchmal auch ausgebrannt fühle. Ausgebrannt vom Anblick der vielen Toten, die ich mir anschauen musste, von den vielen Lügen, die mir unsere »Kundschaft« aufzutischen versuchte, von den Rechtsanwälten, die
diese Bezeichnung nicht verdient haben, weil sie nicht das Recht, sondern mit allen Mitteln das Unrecht verteidigen, das ihre Mandanten begangen haben, und von Urteilen, die manchmal zum Himmel schreien.
Nachdem ich bereits im Jahr 2004 ein Buch mit spektakulären, authentischen Kriminalfällen verfasst habe, entschloss ich mich nach langen Überlegungen, ein zweites Buch dieses Genres der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mir ist dabei sehr wohl bewusst, dass von Justizbehörden, Bewährungshelfern, Rechtsanwälten, manchmal auch von Angehörigen der Opfer und insbesondere natürlich auch von den Tätern selbst immer wieder Einwände gegen die nachträgliche Veröffentlichung schwerer Straftaten vorgebracht werden. Vom Persönlichkeitsschutz des Täters ist da oft die Rede oder vom An-den-Pranger-Stellen.
Ein Staatsanwalt, von dem ich für dieses Buch Einsicht in ein bestimmtes Urteil erbat, teilte mir schriftlich mit, er könne meiner Bitte nicht nachkommen, da die schutzwürdigen Interessen des verurteilten mehrfachen Mörders gegenüber dem Interesse überwiegen, anonymisierte Teile aus dem Urteil in einem Buch zu publizieren.
Einen weiteren hohen Beamten, der unter anderem für die sichere Verwahrung des Serienmörders Heinrich Pommerenke mitverantwortlich war, fragte ich nach seiner Meinung zu diesem Thema. Er war der Ansicht, dass man Pommerenke nach 45 Jahren Haft im Namen der Humanität in Ruhe lassen sollte.
Diesem Einwand kann man sich durchaus anschließen. Auch ich bin der Auffassung, dass der brutalste Mörder immer noch ein Mensch ist, der Anspruch auf die im Grundgesetz garantierten Grundrechte hat, und dass man ihm eine gewisse Achtung entgegenbringen muss. Das war und ist stets meine Maxime.
Doch andererseits sollte man auch die Meinung eines Großteils der Bevölkerung respektieren, dass ein mehrfacher Frauenmörder kaum für sich geltend machen kann, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Es fallen dabei nicht nur die vier Frauen, die Pommerenke auf grausamste Weise tötete, ins Gewicht, sondern insbesondere auch die mindestens zwölf Frauen und zwei Kinder, die er versuchte zu ermorden und die nur mit viel Glück, wenn auch zum Teil schwer verletzt, davonkamen. Gerade diese Opfer, von denen die meisten noch leben, haben innere Wunden, die niemals verheilen. Sie werden auch nach Jahrzehnten immer wieder von Alpträumen verfolgt.
Und ich meine, diejenigen, die irgendwann über die Entlassung eines Mörders entscheiden müssen, sollten sich nicht nur von den vorgeschriebenen Fristen und Formalitäten sowie von zweifelhaften Gutachten einiger Psychiater leiten lassen, sondern sich vorher eingehend mit den grausamen, brutalen Taten dieser Menschen befassen und bedenken, dass insbesondere bei Sexualtätern, aber auch bei anderen Mördern ein nicht zu vernachlässigendes Risiko besteht, wenn sie in Freiheit sind. Sie alle gehören zu jener Sorte Menschen, die aufgrund ihrer Psyche grundsätzlich dazu fähig sind, einen anderen Menschen zu töten, ohne dass sie sich zum Beispiel in einer Notwehrsituation befinden.
Vor allem bei Sexualtätern besteht die Gefahr, dass sie in Freiheit wieder Frauen oder Kinder ermorden, um ihre sexuelle Gier zu befriedigen. Davor schützt sie auch nicht unbedingt ihr Alter, wenn sie nach langen Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden. Der bekannte französische Serienmörder Michel Fourniret war 62, als er nach seinem neunten Mord endlich gefasst wurde.
Obwohl mitunter die Ansicht vertreten wird, das Beschreiben spektakulärer, authentischer Kriminalfälle sei nichts anderes als die Befriedigung sensationslüsternen Voyeurismus, denke ich doch, dass schwere und schwerste Straftaten selbst lange Jahre nach der Tat nicht einfach totgeschwiegen werden sollten. Die
Öffentlichkeit hat sehr wohl ein Recht darauf, im Nachhinein zu
erfahren, was sich hinter den Verbrechen verbirgt und was hinter
den Kulissen des Polizei- und Justizapparates so alles geschieht.
Und ist man es den Opfern nicht schuldig, dass sie und ihr oft qualvolles Ende nicht einfach vergessen werden? Warum setzt Michael Buback nach über 33 Jahren immer noch alles daran, dass der Mord an seinem Vater Siegfried Buback restlos aufgeklärt wird? Längst haben doch für diesen Dreifachmord eine ganze Gruppe von Terroristen hohe Gefängnisstrafen verbüßt.
Ich bin der Meinung, wer die Augen vor den grässlichen Taten gemeiner und brutaler Mörder verschließt, wer davon nichts wissen möchte, lässt die Opfer allein. Und Opfer sind nicht nur die Ermordeten, sondern insbesondere auch deren Hinterbliebene. Nicht selten werden durch ein Tötungsdelikt Familien bis an den Rand der Verzweiflung gebracht, manchmal sogar zerrissen. Und wenn ein Kind durch einen Mord seine Mutter oder seinen Vater verliert, dann ist dieses Kind ohne Frage ein weiteres Opfer dieser grausamen Tat, weil es unter dem Verlust des Elternteils ganz sicher sehr leidet.
Der Dutroux-Prozess in Belgien hat gezeigt, dass es für die Angehörigen der Mordopfer, aber insbesondere auch für die, die dieses unvorstellbare Martyrium überlebt haben, eminent wichtig war, dass bei der Gerichtsverhandlung die Gräueltaten auch nach über acht Jahren in allen Details zur Sprache kamen und dass die Beschönigungen der Täter kein Gehör bei den Richtern fanden. Sowohl die überlebenden Laetitia Delhez und Sabine Dardenne als auch Jean-Dennis Legeune, der Vater der ermordeten Julie, äußerten sich sehr positiv über die Aufarbeitung der scheußlichen Taten vor Gericht und darüber, dass bei dem Prozess nichts unter den Tisch gekehrt wurde. Für sie war es wie eine Befreiung von einer schweren Last, die bis dahin auf ihren Schultern zu ruhen schien.
Ich selbst habe mich mehrfach mit dem Vater der jungen Frau unterhalten, die Opfer des Freigängers wurde, dessen grausame Taten in dem Buch beschrieben sind. Er hat mich immer wieder ermuntert, über den Fall zu berichten, weil viele Details bei der Gerichtsverhandlung nicht zur Sprache kamen und weil die Menschen nicht vergessen sollten, welches schlimme Verbrechen seiner einzigen Tochter widerfahren ist.
Wer also von Voyeurismus und schutzwürdigem Interesse verurteilter Mörder spricht, sollte sich über all diese Fakten einmal Gedanken machen. Auch darüber, dass es heute leider immer noch gängige Praxis ist, Mördern und anderen brutalen Verbrechern in Prozessen und bei ihrer anschließenden Strafverbüßung zum Beispiel in Form von psychiatrischen Untersuchungen und Therapien alle nur möglichen Vorzüge zu verschaffen, während die psychischen Schäden von Opfern und Hinterbliebenen sowie deren Rehabilitation keine oder nur wenig Beachtung finden.
Welche Mitglieder von Strafvollstreckungskammern und sogenannten Lockerungskonferenzen im Strafvollzug machen sich über die Opfer und deren Angehörige Gedanken, wenn sie brutalen Mördern klammheimlich Ausgang zu Bundesligaspielen, Schifffahrten auf dem Rhein und vieles mehr gewähren und ihnen schließlich auch völlig unkontrollierten Freigang verschaffen? Die Verantwortlichen sollten einmal die Eltern eines getöteten Kindes fragen, ob das noch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat.
Und letztlich sollten sie sich fragen, ob sie es tatsächlich vor sich und den unschuldigen Opfern verantworten können, das Leben auch nur eines einzigen Menschen zu gefährden, um lebenslänglich Verurteilten unkontrolliert Freigang zu gewähren. Warum greift man nicht endlich - wie in anderen Ländern -zum Mittel der elektronischen Fußfessel, damit der Aufenthalt
hochgefährlicher Täter nach ihrer Haftentlassung insbesondere dann nachvollzogen werden kann, wenn sie im Verdacht stehen, wieder eine schwere Straftat verübt zu haben? Ich bin mir sicher, dass diese Maßnahme die Mehrzahl der potenziellen Täter davon abhalten würde, wieder straffällig zu werden.
Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll ist einer jener maßgeblichen Personen, die für eine derartige Regelung eintreten. Er ist der Auffassung, dass Schwerstkriminellen im Rahmen ihrer Führungsaufsicht auch ohne ihr Einverständnis eine elektronische Fußfessel angelegt werden müsste. Bleibt zu hoffen, dass er sich mit seiner Meinung in naher Zukunft bei den Justizministerkonferenzen durchsetzt und dass das Bundesverfassungsgericht ihm dann nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht.
Dieses Buch konnte ich nur deshalb schreiben, weil ich von Vorgesetzten die Erlaubnis zur Einsicht in die entsprechenden Polizeiakten bekommen hatte. Dafür bedanke ich mich bei den betreffenden Personen sehr herzlich. Mein Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen, die mich durch zusätzliche Informationen unterstützt und immer wieder motiviert haben.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden mit Ausnahme des Tathergangs bei der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinem Fahrer Wolfgang Göbel und dem Justizbeamten Georg Wurster Namen, Berufe, örtliche und zeitliche Gegebenheiten verändert. Der Serienmörder Heinrich Pommerenke wird mit seinem Einverständnis namentlich erwähnt, die Namen seiner Opfer wurden jedoch geändert. Alle geschilderten Fälle orientieren sich zwar an authentischen Kriminalfällen, wurden aber abgewandelt und anonymisiert.
Mein erster Mordfall
Am Morgen des 7. April 1977 wurden Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und ein Justizbeamter namens Georg Wurster von einem Kommando der Roten Armee Fraktion (RAF) getötet.
Es war 9.15 Uhr, als der ungepanzerte Dienstwagen in Karlsruhe auf der Linkenheimer Landstraße an der Einmündung Moltkestraße anhalten musste, weil die Ampel auf Rot stand. Unmittelbar hinter dem rechten Kotflügel des Daimler Benz kam ein Motorrad der Marke Suzuki GS 750 mit zwei Personen zum Stehen.
Als die Ampel von Rot auf Gelb sprang, fuhr das Motorrad sofort los und rechts an dem Dienstwagen vorbei. Der Sozius zog unter seiner Jacke ein automatisches Schnellfeuergewehr hervor. In Höhe der Beifahrerseite feuerte er ohne jegliche Vorwarnung auf den Generalbundesanwalt und seine beiden Begleiter. Mehrere Zeugen berichteten, das Motorrad habe nach den Schüssen angehalten und der Sozius habe sich in das Wageninnere gebeugt, um sich davon zu überzeugen, dass alle Insassen auch wirklich tot sind. Erst dann sei das Motorrad mit hoher Geschwindigkeit davongerast.
Siegfried Buback und Wolfgang Göbel waren sofort tot. Georg Wurster wurde schwer verletzt und starb sechs Tage später. Als Fahrdienstleiter hatte er an diesem Morgen am Wohnort des GBA, wie Siegfried Buback auch genannt wurde, an dessen
Privatfahrzeug eine kleine Reparatur vorgenommen. Er saß also nur zufällig in dem beschossenen Wagen, mit dem Buback zur Bundesanwaltschaft unterwegs war.
Ich war damals gerade mal fünf Wochen bei der Polizei und drückte eine Bank in der Karlsruher Landespolizeischule. Es war in der zweiten Stunde. Wir wurden im Fach Strafprozessrecht unterrichtet, als unser Lehrgangsleiter in den Seminarraum trat und mit bitterernster Miene verkündete, der Generalbundesanwalt sei soeben von Terroristen erschossen worden. Die Führung des Polizeipräsidiums Karlsruhe habe angerufen und ihn gebeten, 50 Polizeischüler zu mobilisieren, die den Tatort weiträumig absperren sollten. Die Wahl fiel unter anderem auch auf mich.
In Windeseile mussten wir unsere Pistolen umschnallen und die schweren, unbequemen Dienstmäntel anziehen. Dann hetzten wir zu den Mannschaftstransportbussen, und los ging es in Richtung Tatort. Ich war furchtbar aufgeregt. Obwohl es an dem Morgen noch recht kühl war, hatte ich unter Mantel und Jacke im Nu mein Hemd durchgeschwitzt.
Auf der Fahrt hörte ich zum ersten Mal in meinem Leben den Polizeifunk. Es ging sehr hektisch zu, und ich verstand nur einen Bruchteil dessen, was über den Äther geschickt wurde, da viele Abkürzungen verwendet wurden, die ich erst noch lernen musste.
Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich über die Terroristen und den Generalbundesanwalt wusste. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich mir mehr Wissen über die RAF als über den obersten Ankläger Deutschlands angeeignet hatte. Wenn überhaupt, hatte ich den Namen Siegfried Buback irgendwann einmal in der Zeitung gelesen, und nur ganz vage war mir bekannt, dass es so etwas wie eine Bundesanwaltschaft gab. Namen wie Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Knut Folkerts usw. waren mir viel geläufiger. Es verging kaum eine Woche, in der diese Personen in den Zeitungen nicht genannt wurden. Und so abwegig es aus dem Munde eines Polizisten klingen mag, empfand ich für diese Generation der Terroristen sogar ein gewisses Maß an Sympathie, weil sie einem Staat die Stirn boten, in dem politisch bei weitem nicht alles in Ordnung war, und weil sie es schafften, spektakuläre Aktionen durchzuführen, ohne erwischt zu werden.
Als ich dann am Tatort aus dem Mannschaftstransportbus stieg und die beiden Leichen auf der Straße liegen sah, relativierte sich diese Sympathie sehr schnell. Noch nie zuvor begegnete mir der Tod in dieser Brutalität. Der Wagen Bubacks war durchsiebt. Ich sah Blutlachen. Überall lagen Patronenhülsen herum.
Obwohl ich unheimlich aufgeregt war und den Anblick der mit Planen abgedeckten Leichen sehr gruselig fand, bemühte ich mich sofort, meinen Posten möglichst nahe der Toten zu beziehen. Dies gelang mir auch. Ich stand etwa fünf Meter neben dem auf der Fahrbahn liegenden Siegfried Buback. Dass es der GBA war, sah ich, als ein Beamter des Bundeskriminalamtes die Plane etwas hochhob und zu einem anderen sagte:
»Das ist der Generalbundesanwalt.«
In dem kurzen Augenblick konnte ich das Gesicht des Toten sehen. Mir kam es vor, als wäre es voller Blut. Als der Mann vom BKA den Leichnam wieder abdeckte, schaute noch die linke Hand des Toten hervor. Sie hatte eine seltsam bläuliche Farbe. Zwischen Daumen und Zeigfinger war eine dünne Blutabrinnspur zu sehen. Es war eine nicht sehr große, gepflegte Hand mit ebenso gepflegten Fingernägeln, die eine bläuliche Farbe hatten. Irgendwie zog diese Hand meinen Blick magisch an. Kurioserweise wartete ich darauf, dass sie sich bewegte. Aber das tat sie nicht.
Dann stellten die Kollegen von der Kriminaltechnik überall kleine Schilder mit Nummern auf und begannen zu fotografieren. Am Rande bekam ich mit, dass es Spezialisten des BKA waren, die jedoch vergessen hatten, Filme für ihre Kameras mitzunehmen. Sie mussten sich welche bei den Karlsruher Kriminaltechnikern ausleihen.
Jede der zahlreichen leeren Patronenhülsen wurde fotografiert und ihr Abstand von einem Fixpunkt aus vermessen. Danach wurden die Hülsen aufgesammelt und einzeln in Tüten verpackt.
Gleich drei Kriminaltechniker waren mit der Spurensicherung im und um das Fahrzeug befasst. Ich war fasziniert von der Ruhe und Akribie, mit der die Beamten zu Werke gingen, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon von allen Seiten Reporter Bild- und Tonaufnahmen machten.
Bei all dem vergaß ich fast meine eigentliche Aufgabe, den Tatort gegen Schaulustige abzusperren. Die ganze Zeit hatte ich den Leuten den Rücken zugedreht, um selbst auf das furchtbare Geschehen schauen zu können. Auf einen mahnenden Blick des neben mir stehenden Kollegen drehte ich mich um - und sah in tief betroffene Gesichter. Dann breitete ich meine Arme aus, drängte die Menge mit kleinen Schritten und mit den Worten: »Treten Sie bitte etwas zurück«, ein wenig nach hinten. Ich hatte einen Kloß im Hals, und meine Stimme kam mir viel zu leise, fast piepsend vor. Doch die Menschen reagierten. Stumm folgten sie meiner Anweisung.
Ich sah, wie manche miteinander flüsterten. Andere wiederum schüttelten nur den Kopf. Kein lautes Wort drang an mein Ohr. Selbst die Beamten, die es gewohnt waren, ihre Befehle laut zu geben, waren sichtlich um Ruhe und Pietät bemüht. Irgendwann wurden die Leichen der Ermordeten abtransportiert. Ich schluckte, weil ich plötzlich einen trockenen Mund hatte. Das war es dann wohl, dachte ich. Das Ende des Chefanklägers der Bundesrepublik Deutschland.
Wir mussten noch eine ganze Weile den Tatort absichern, bis die Kriminaltechniker des BKA endlich mit ihrer Arbeit fertig waren. Zurück in der Polizeischule, versuchte unser Lehrgangsleiter mit betroffener Miene die Folgen dieses Anschlages zu erklären. Es dauerte nicht allzu lange, bis wir sie am eigenen Leib zu spüren bekamen.
Einige Wochen danach mussten wir ein Praktikum absolvieren und wurden auf verschiedene Polizeireviere verteilt. Ohne große Ahnung nahmen wir unmittelbar an der Terroristenfahndung teil. Ich wurde einem Polizeihauptmeister zugeteilt, der mich einlernen sollte. Er hatte sehr viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, doch schaffte er es während des gesamten sechswöchigen Praktikums nicht, sich meinen Namen zu merken. Am fünften Tag gab ich es auf, ihn zu berichtigen. Ich fand mich damit ab, ständig Theo von ihm genannt zu werden.
In dieser Zeit gingen wir unzähligen Hinweisen aus der Bevölkerung nach oder bekamen Ermittlungsaufträge von Vorgesetzten, um bestimmte Adressen und Wohnungen zu überprüfen. Das BKA hatte eine sogenannte Rasterfahndung ausgearbeitet, mit der die Terroristen aufgespürt werden sollten. Unter anderem wurden in ganz Deutschland alle Mehrfamilienhäuser und deren Bewohner unter die Lupe genommen. So auch in und um Karlsruhe. Damit, so hoffte man, würde sich der Druck auf die Terroristen erhöhen, was sich im Nachhinein bestätigen sollte.
Mit Karl, so hieß mein Streifenführer, kontrollierte ich eines Tages das Anwesen Liebigstraße 10, einen mehrstöckigen Wohnsilo im Herzen der Stadt. Wir klingelten an jeder Wohnungstür und sprachen mit den Leuten. Karl führte das Wort,
und die Art und Weise, wie er mit den Menschen umging, verblüffte mich ein ums andre Mal. Am meisten Verständnis brachten uns Personen im Alter zwischen 50 und mehr Jahren entgegen. Nicht selten wurden wir von ihnen auf einen Kaffee hereingebeten. Doch immer wieder kam es auch vor, dass unser ungebetenes Erscheinen den Unmut der Leute hervorrief. Mehr als einmal musste Karl reaktionsschnell den Fuß in den Türspalt stellen, um zu verhindern, dass uns die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde.
Von einem älteren Ehepaar erhielten wir den Hinweis, dass sich gegenüber ihrer Wohnung vor etwa drei Wochen ein Mann eingemietet hatte, der ihnen höchst verdächtig vorkommen würde. Er würde immer nur sporadisch auftauchen und anschließend wieder verschwinden.
Die Beschreibung, die die beiden abgaben, passte unzweifelhaft auf den gesuchten Topterroristen Christian Klar. Als uns die Zeugen dann auch noch mitteilten, dass der junge Mann ständig Besuche von anderen Personen erhielt, die aber nur auf ein bestimmtes Klingelzeichen hin Einlass bekämen und ganz offensichtlich darauf achteten, so unerkannt wie nur möglich zu bleiben, läuteten bei uns alle Alarmglocken.
Endlich einmal ein vielversprechender Hinweis, bei dem es sich lohnte, weiter nachzuforschen. Wir überlegten, was zu tun sei. Ich machte den Vorschlag, durch das Mobile Einsatzkommando die Wohnung stürmen zu lassen. So hatte man es uns für solche Fälle auf der Polizeischule beigebracht.
»Das wäre ja noch schöner!«, sagte Karl zu mir. »Die Lorbeeren heimsen wir selbst ein. Wenn das tatsächlich Christian Klar ist, machen wir ihn platt, bevor er auch nur einen Laut von sich geben kann!«
Tief Luft holend, setzte ich gerade dazu an, meine Bedenken vorzubringen, als Karl das Ehepaar fest entschlossen nach dem Klingelzeichen und nach einem etwaigen aktuellen Besuch des Christian Klar fragte.
»Zweimal kurz, einmal lang und danach noch einmal kurz«, sagte der Mann, ohne auch nur den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen.
Dann holte er ein kleines Notizbuch hervor, blätterte darin und sagte:
»Er ist heute Morgen um 9.18 Uhr allein gekommen. Gestern Abend hatte er um 19.41 Uhr bis 20.57 Uhr Besuch von einem jungen Mann, den ich allerdings nur von hinten sah. Anschließend, nämlich genau um 21.23 Uhr, kam ein Pärchen. Die beiden haben sich so auffällig umgeschaut, dass man nicht Sherlock Holmes sein muss, um zu riechen, dass hier etwas oberfaul ist. Alle drei haben die Wohnung schließlich um 23.08 Uhr verlassen.«
»Sie bleiben hier und schließen die Tür hinter uns. Wenn
Sie Schüsse hören, rufen Sie sofort den Notarzt, verstanden?« »Verstanden, Herr Wachtmeister!«, sagte der Mann, und die
Frau nickte mehrfach mit weit aufgerissenen Augen.
»Was ist mit der Belohnung?«, fragte sie hastig.
»Die bekommen Sie natürlich. Dafür werde ich persönlich sorgen«, erwiderte Karl im Brustton der Überzeugung.
»Lade deine Waffe durch!«, befahl er mir, während er selbst seine Waffe aus der Pistolentasche riss und demonstrativ den Verschluss zurückzog.
Ich war nicht mehr fähig, auch nur ein Wort herauszubringen, und befolgte seine Anweisung. Schweißperlen standen mir auf der Stirn. Wir verließen die Wohnung des Ehepaares, das sofort die Tür hinter uns schloss.
Die Pistole im Anschlag, bedeutete mir Karl wortlos, dass ich links neben der Tür Posten beziehen sollte, während er sich auf der rechten Seite an die Wand presste. Auf dem Klingelschild
konnte ich den Namen Krawuttke lesen. Mir schlug das Herz bis zum Hals, denn ich wusste, dass Terroristen mit großkalibrigen Waffen, ja sogar mit Maschinenpistolen ausgerüstet waren, wohingegen wir mit unserer kleinen 7,65-mm-Polizeipistole geradezu lächerlich wirkten.
Bevor Karl den Klingelknopf betätigte, drückte er sein rechtes Ohr an die Tür. Er nickte mir zu und sagte ganz leise:
»Musik! «
Ich verstand und nickte ihm ebenfalls zu. Danach zog er seinen Kopf wieder von der Tür zurück, um kein Ziel zu bieten.
Zweimal kurz, einmal lang und noch einmal kurz. Ich hörte, wie sich Schritte der Tür näherten und die Klinke nach unten gedrückt wurde. Dann ging alles sehr schnell. Als sich die Tür einen Spalt breit öffnete, warf sich Karl im Bruchteil einer Sekunde gegen das Türblatt und hielt auch schon einer jungen, langhaarigen Blondine seine Pistole direkt zwischen die Augen. Die Frau stieß einen lauten Schrei aus, der aber so gar nicht zu ihr passte. Blitzschnell riss sie ihre Hände nach oben.
Das Erste, was mir an ihr auffiel, waren ihre stark geschminkten Lippen und ihre großen Augenwimpern. Trotz ihres dick aufgetragenen Puders, sah man an verschiedenen Stellen ihres Gesichtes, dass sie leichenblass war. Sie brachte keinen Ton hervor, als Karl sie mit der Pistole zunächst wortlos in die Wohnung drängte. Ich folgte den beiden.
»Tür zu!«, befahl er mir. Als ich die Tür geschlossen hatte, herrschte er die Frau an:
»An die Wand!«
Mit erhobenen Händen stellte sich die Frau an die Wand. Sie zitterte am ganzen Körper. Könnte das die gesuchte Terroristin Verena Becker sein?
»Durchsuchen!«, befahl mir Karl.
»Wer, ich?«
»Wer denn sonst?«
»Sie ist doch eine Frau! Das darf ich ...«
»Was du darfst, bestimme ich! Willst du etwa warten, bis eine Kollegin mal eben zufällig vorbeikommt, oder was?«
Zaghaft begann ich die Frau abzutasten. Sie trug eine langärmelige, schwarze Bluse mit Rüschen, einen roten, engen Rock, Nylonstrümpfe und hochhackige Pumps. Der Rock endete zwei Handbreit über dem Knie.
Ich beschränkte mich auf das vorsichtige Abstreichen beider Achselhöhlen, ohne ihren Körper richtig zu berühren. An Hüfte und Taille wagte ich mich nicht. Ich war mir auch sicher, dass unter dem hautengen Rock kein Platz für eine Pistole war.
»Alles clean«, sagte ich zu Karl.
»Umdrehen!«, befahl er der Frau. Wie Espenlaub zitternd, drehte sich die Angesprochene um.
»Wie heißen Sie?«, fragte mein Kollege die Frau in barschem Ton.
»Marion Krawuttke«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang irgendwie komisch.
»Weisen Sie sich bitte aus!« Der Ton, den Karl anschlug, ließ keinen Widerspruch zu. Die Dame deutete wortlos auf ihre Handtasche, die neben ihr auf einer Kommode stand. Seine Pistole immer noch auf den Kopf der Frau gerichtet, nahm Karl die Handtasche, öffnete sie mit einer Hand und kramte darin herum. Schnell wurde er fündig.
»Aha«, sagte er, und ich dachte schon, dass er jetzt eine Schusswaffe herausziehen würde. Doch es war nur ein Bundespersonalausweis. Auch ich hatte die ganze Zeit meine Pistole im Anschlag, um Karl abzusichern. Er schlug den Ausweis auf, machte große Augen und schrie laut:
»Moment mal! Das ist doch ...!«
Copyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
Normalerweise ist in Karlsruhe die Mordkommission 25 bis 30 Mann stark. Sie kann bei Bedarf jederzeit aufgestockt, aber auch reduziert werden. Ist ein Mordfall abgeschlossen, kehren die Kommissionsmitglieder wieder zu ihren Stammdienststellen zurück. Wir haben eine Aufklärungsquote von über 90 Prozent.
Kommissionsarbeit ist absolute Teamarbeit. Eine Moko funktioniert nur, wenn die einzelnen Mitglieder möglichst reibungslos zusammenarbeiten. Die Ermittlung des Täters ist deshalb ein Erfolg der ganzen Moko und niemals des Einzelnen, der zufällig die Spur zu bearbeiten hatte, die letztendlich zum Täter führte. Den meisten Moko-Leitern ist das bewusst, weshalb sie sich vor Presse und Rundfunk in aller Regel zurückhalten und andere vorschicken, um die Lorbeeren einzuheimsen.
Der Leiter einer Mordkommission spürt den Täter niemals persönlich auf, wie es in Filmen und Kriminalromanen gern dargestellt wird. Seine Aufgabe ist es explizit, die anfallende Arbeit zu koordinieren, an die Unterabschnitte zu delegieren und gegebenenfalls den Rücklauf zu kontrollieren. Was der einzelne Ermittler, Fahnder oder Kriminaltechniker aus einer ihm zugeteilten Spur macht, hängt von der Ausbildung, Motivation und dem Biss des Betroffenen ab.
Meist ist es eine einzige Spur, die Rückschlüsse auf den noch unbekannten Täter zulässt und schließlich zum Erfolg führt. So kann zum Beispiel die Herkunft eines kleinen Knopfes, der am Tatort gefunden wurde, einen Hinweis darauf geben, wo der Mörder sein Hemd gekauft hat. Oft ist es dann nur noch ein kleiner Schritt zur Ermittlung des Täters, manchmal kann aber so eine heiße Spur nach tage- oder wochenlanger, sehr mühevoller Kleinarbeit einfach im Sand verlaufen.
Zur Polizei kam ich wie die Jungfrau zum Kind. Nach dem Maschinenbaustudium arbeitete ich als Abteilungsleiter in einer mittelständischen Firma, die Atemschutz- und Tauchgeräte herstellte. Als die Firma pleiteging, saß ich erst einmal auf der Straße. Ein Bekannter brachte mich auf die Idee, mich bei der Polizei zu bewerben. Bis zu diesem Zeitpunkt war ich der Polizei gegenüber eher negativ eingestellt. Das lag hauptsächlich an den Zahlkarten, die regelmäßig an der Windschutzscheibe meines Fahrzeuges hingen, und den mehr oder weniger schönen Fotos, die mich hinter dem Steuer meines Wagens zeigten und auf denen diverse Geschwindigkeitsangaben standen.
So nahm ich, mehr halbherzig, im Januar 1977 an der Aufnahmeprüfung zum Polizeidienst teil. Ich war 26 Jahre alt, Familienvater und hatte meine junge Familie zu versorgen. Außerdem wollte ich ein Haus bauen. Dazu brauchte ich Sicherheit, und was lag da näher, als Beamter zu werden?
Schneller, als mir lieb war, sah ich mich dann in der grünen Uniform der baden-württembergischen Polizei. Doch bereits nach 14 Tagen wusste ich, dass ich meinen Traumberuf gefunden hatte.
Die Ausbildung und anschließenden Lehrgänge absolvierte ich mit durchweg guten Abschlüssen, weshalb ich fast in Rekordzeit von der Schutz- zur Kriminalpolizei wechseln konnte.
Sicher bin ich einer der wenigen, die nach so langen Dienstjahren immer noch Spaß am Beruf haben. Doch will ich nicht verhehlen, dass ich mich manchmal auch ausgebrannt fühle. Ausgebrannt vom Anblick der vielen Toten, die ich mir anschauen musste, von den vielen Lügen, die mir unsere »Kundschaft« aufzutischen versuchte, von den Rechtsanwälten, die
diese Bezeichnung nicht verdient haben, weil sie nicht das Recht, sondern mit allen Mitteln das Unrecht verteidigen, das ihre Mandanten begangen haben, und von Urteilen, die manchmal zum Himmel schreien.
Nachdem ich bereits im Jahr 2004 ein Buch mit spektakulären, authentischen Kriminalfällen verfasst habe, entschloss ich mich nach langen Überlegungen, ein zweites Buch dieses Genres der Öffentlichkeit zu präsentieren. Mir ist dabei sehr wohl bewusst, dass von Justizbehörden, Bewährungshelfern, Rechtsanwälten, manchmal auch von Angehörigen der Opfer und insbesondere natürlich auch von den Tätern selbst immer wieder Einwände gegen die nachträgliche Veröffentlichung schwerer Straftaten vorgebracht werden. Vom Persönlichkeitsschutz des Täters ist da oft die Rede oder vom An-den-Pranger-Stellen.
Ein Staatsanwalt, von dem ich für dieses Buch Einsicht in ein bestimmtes Urteil erbat, teilte mir schriftlich mit, er könne meiner Bitte nicht nachkommen, da die schutzwürdigen Interessen des verurteilten mehrfachen Mörders gegenüber dem Interesse überwiegen, anonymisierte Teile aus dem Urteil in einem Buch zu publizieren.
Einen weiteren hohen Beamten, der unter anderem für die sichere Verwahrung des Serienmörders Heinrich Pommerenke mitverantwortlich war, fragte ich nach seiner Meinung zu diesem Thema. Er war der Ansicht, dass man Pommerenke nach 45 Jahren Haft im Namen der Humanität in Ruhe lassen sollte.
Diesem Einwand kann man sich durchaus anschließen. Auch ich bin der Auffassung, dass der brutalste Mörder immer noch ein Mensch ist, der Anspruch auf die im Grundgesetz garantierten Grundrechte hat, und dass man ihm eine gewisse Achtung entgegenbringen muss. Das war und ist stets meine Maxime.
Doch andererseits sollte man auch die Meinung eines Großteils der Bevölkerung respektieren, dass ein mehrfacher Frauenmörder kaum für sich geltend machen kann, einfach in Ruhe gelassen zu werden. Es fallen dabei nicht nur die vier Frauen, die Pommerenke auf grausamste Weise tötete, ins Gewicht, sondern insbesondere auch die mindestens zwölf Frauen und zwei Kinder, die er versuchte zu ermorden und die nur mit viel Glück, wenn auch zum Teil schwer verletzt, davonkamen. Gerade diese Opfer, von denen die meisten noch leben, haben innere Wunden, die niemals verheilen. Sie werden auch nach Jahrzehnten immer wieder von Alpträumen verfolgt.
Und ich meine, diejenigen, die irgendwann über die Entlassung eines Mörders entscheiden müssen, sollten sich nicht nur von den vorgeschriebenen Fristen und Formalitäten sowie von zweifelhaften Gutachten einiger Psychiater leiten lassen, sondern sich vorher eingehend mit den grausamen, brutalen Taten dieser Menschen befassen und bedenken, dass insbesondere bei Sexualtätern, aber auch bei anderen Mördern ein nicht zu vernachlässigendes Risiko besteht, wenn sie in Freiheit sind. Sie alle gehören zu jener Sorte Menschen, die aufgrund ihrer Psyche grundsätzlich dazu fähig sind, einen anderen Menschen zu töten, ohne dass sie sich zum Beispiel in einer Notwehrsituation befinden.
Vor allem bei Sexualtätern besteht die Gefahr, dass sie in Freiheit wieder Frauen oder Kinder ermorden, um ihre sexuelle Gier zu befriedigen. Davor schützt sie auch nicht unbedingt ihr Alter, wenn sie nach langen Jahren aus dem Gefängnis entlassen werden. Der bekannte französische Serienmörder Michel Fourniret war 62, als er nach seinem neunten Mord endlich gefasst wurde.
Obwohl mitunter die Ansicht vertreten wird, das Beschreiben spektakulärer, authentischer Kriminalfälle sei nichts anderes als die Befriedigung sensationslüsternen Voyeurismus, denke ich doch, dass schwere und schwerste Straftaten selbst lange Jahre nach der Tat nicht einfach totgeschwiegen werden sollten. Die
Öffentlichkeit hat sehr wohl ein Recht darauf, im Nachhinein zu
erfahren, was sich hinter den Verbrechen verbirgt und was hinter
den Kulissen des Polizei- und Justizapparates so alles geschieht.
Und ist man es den Opfern nicht schuldig, dass sie und ihr oft qualvolles Ende nicht einfach vergessen werden? Warum setzt Michael Buback nach über 33 Jahren immer noch alles daran, dass der Mord an seinem Vater Siegfried Buback restlos aufgeklärt wird? Längst haben doch für diesen Dreifachmord eine ganze Gruppe von Terroristen hohe Gefängnisstrafen verbüßt.
Ich bin der Meinung, wer die Augen vor den grässlichen Taten gemeiner und brutaler Mörder verschließt, wer davon nichts wissen möchte, lässt die Opfer allein. Und Opfer sind nicht nur die Ermordeten, sondern insbesondere auch deren Hinterbliebene. Nicht selten werden durch ein Tötungsdelikt Familien bis an den Rand der Verzweiflung gebracht, manchmal sogar zerrissen. Und wenn ein Kind durch einen Mord seine Mutter oder seinen Vater verliert, dann ist dieses Kind ohne Frage ein weiteres Opfer dieser grausamen Tat, weil es unter dem Verlust des Elternteils ganz sicher sehr leidet.
Der Dutroux-Prozess in Belgien hat gezeigt, dass es für die Angehörigen der Mordopfer, aber insbesondere auch für die, die dieses unvorstellbare Martyrium überlebt haben, eminent wichtig war, dass bei der Gerichtsverhandlung die Gräueltaten auch nach über acht Jahren in allen Details zur Sprache kamen und dass die Beschönigungen der Täter kein Gehör bei den Richtern fanden. Sowohl die überlebenden Laetitia Delhez und Sabine Dardenne als auch Jean-Dennis Legeune, der Vater der ermordeten Julie, äußerten sich sehr positiv über die Aufarbeitung der scheußlichen Taten vor Gericht und darüber, dass bei dem Prozess nichts unter den Tisch gekehrt wurde. Für sie war es wie eine Befreiung von einer schweren Last, die bis dahin auf ihren Schultern zu ruhen schien.
Ich selbst habe mich mehrfach mit dem Vater der jungen Frau unterhalten, die Opfer des Freigängers wurde, dessen grausame Taten in dem Buch beschrieben sind. Er hat mich immer wieder ermuntert, über den Fall zu berichten, weil viele Details bei der Gerichtsverhandlung nicht zur Sprache kamen und weil die Menschen nicht vergessen sollten, welches schlimme Verbrechen seiner einzigen Tochter widerfahren ist.
Wer also von Voyeurismus und schutzwürdigem Interesse verurteilter Mörder spricht, sollte sich über all diese Fakten einmal Gedanken machen. Auch darüber, dass es heute leider immer noch gängige Praxis ist, Mördern und anderen brutalen Verbrechern in Prozessen und bei ihrer anschließenden Strafverbüßung zum Beispiel in Form von psychiatrischen Untersuchungen und Therapien alle nur möglichen Vorzüge zu verschaffen, während die psychischen Schäden von Opfern und Hinterbliebenen sowie deren Rehabilitation keine oder nur wenig Beachtung finden.
Welche Mitglieder von Strafvollstreckungskammern und sogenannten Lockerungskonferenzen im Strafvollzug machen sich über die Opfer und deren Angehörige Gedanken, wenn sie brutalen Mördern klammheimlich Ausgang zu Bundesligaspielen, Schifffahrten auf dem Rhein und vieles mehr gewähren und ihnen schließlich auch völlig unkontrollierten Freigang verschaffen? Die Verantwortlichen sollten einmal die Eltern eines getöteten Kindes fragen, ob das noch etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat.
Und letztlich sollten sie sich fragen, ob sie es tatsächlich vor sich und den unschuldigen Opfern verantworten können, das Leben auch nur eines einzigen Menschen zu gefährden, um lebenslänglich Verurteilten unkontrolliert Freigang zu gewähren. Warum greift man nicht endlich - wie in anderen Ländern -zum Mittel der elektronischen Fußfessel, damit der Aufenthalt
hochgefährlicher Täter nach ihrer Haftentlassung insbesondere dann nachvollzogen werden kann, wenn sie im Verdacht stehen, wieder eine schwere Straftat verübt zu haben? Ich bin mir sicher, dass diese Maßnahme die Mehrzahl der potenziellen Täter davon abhalten würde, wieder straffällig zu werden.
Baden-Württembergs Justizminister Ulrich Goll ist einer jener maßgeblichen Personen, die für eine derartige Regelung eintreten. Er ist der Auffassung, dass Schwerstkriminellen im Rahmen ihrer Führungsaufsicht auch ohne ihr Einverständnis eine elektronische Fußfessel angelegt werden müsste. Bleibt zu hoffen, dass er sich mit seiner Meinung in naher Zukunft bei den Justizministerkonferenzen durchsetzt und dass das Bundesverfassungsgericht ihm dann nicht wieder einen Strich durch die Rechnung macht.
Dieses Buch konnte ich nur deshalb schreiben, weil ich von Vorgesetzten die Erlaubnis zur Einsicht in die entsprechenden Polizeiakten bekommen hatte. Dafür bedanke ich mich bei den betreffenden Personen sehr herzlich. Mein Dank gilt auch den Kolleginnen und Kollegen, die mich durch zusätzliche Informationen unterstützt und immer wieder motiviert haben.
Aus datenschutzrechtlichen Gründen wurden mit Ausnahme des Tathergangs bei der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback, seinem Fahrer Wolfgang Göbel und dem Justizbeamten Georg Wurster Namen, Berufe, örtliche und zeitliche Gegebenheiten verändert. Der Serienmörder Heinrich Pommerenke wird mit seinem Einverständnis namentlich erwähnt, die Namen seiner Opfer wurden jedoch geändert. Alle geschilderten Fälle orientieren sich zwar an authentischen Kriminalfällen, wurden aber abgewandelt und anonymisiert.
Mein erster Mordfall
Am Morgen des 7. April 1977 wurden Generalbundesanwalt Siegfried Buback, sein Fahrer Wolfgang Göbel und ein Justizbeamter namens Georg Wurster von einem Kommando der Roten Armee Fraktion (RAF) getötet.
Es war 9.15 Uhr, als der ungepanzerte Dienstwagen in Karlsruhe auf der Linkenheimer Landstraße an der Einmündung Moltkestraße anhalten musste, weil die Ampel auf Rot stand. Unmittelbar hinter dem rechten Kotflügel des Daimler Benz kam ein Motorrad der Marke Suzuki GS 750 mit zwei Personen zum Stehen.
Als die Ampel von Rot auf Gelb sprang, fuhr das Motorrad sofort los und rechts an dem Dienstwagen vorbei. Der Sozius zog unter seiner Jacke ein automatisches Schnellfeuergewehr hervor. In Höhe der Beifahrerseite feuerte er ohne jegliche Vorwarnung auf den Generalbundesanwalt und seine beiden Begleiter. Mehrere Zeugen berichteten, das Motorrad habe nach den Schüssen angehalten und der Sozius habe sich in das Wageninnere gebeugt, um sich davon zu überzeugen, dass alle Insassen auch wirklich tot sind. Erst dann sei das Motorrad mit hoher Geschwindigkeit davongerast.
Siegfried Buback und Wolfgang Göbel waren sofort tot. Georg Wurster wurde schwer verletzt und starb sechs Tage später. Als Fahrdienstleiter hatte er an diesem Morgen am Wohnort des GBA, wie Siegfried Buback auch genannt wurde, an dessen
Privatfahrzeug eine kleine Reparatur vorgenommen. Er saß also nur zufällig in dem beschossenen Wagen, mit dem Buback zur Bundesanwaltschaft unterwegs war.
Ich war damals gerade mal fünf Wochen bei der Polizei und drückte eine Bank in der Karlsruher Landespolizeischule. Es war in der zweiten Stunde. Wir wurden im Fach Strafprozessrecht unterrichtet, als unser Lehrgangsleiter in den Seminarraum trat und mit bitterernster Miene verkündete, der Generalbundesanwalt sei soeben von Terroristen erschossen worden. Die Führung des Polizeipräsidiums Karlsruhe habe angerufen und ihn gebeten, 50 Polizeischüler zu mobilisieren, die den Tatort weiträumig absperren sollten. Die Wahl fiel unter anderem auch auf mich.
In Windeseile mussten wir unsere Pistolen umschnallen und die schweren, unbequemen Dienstmäntel anziehen. Dann hetzten wir zu den Mannschaftstransportbussen, und los ging es in Richtung Tatort. Ich war furchtbar aufgeregt. Obwohl es an dem Morgen noch recht kühl war, hatte ich unter Mantel und Jacke im Nu mein Hemd durchgeschwitzt.
Auf der Fahrt hörte ich zum ersten Mal in meinem Leben den Polizeifunk. Es ging sehr hektisch zu, und ich verstand nur einen Bruchteil dessen, was über den Äther geschickt wurde, da viele Abkürzungen verwendet wurden, die ich erst noch lernen musste.
Ich versuchte mir ins Gedächtnis zu rufen, was ich über die Terroristen und den Generalbundesanwalt wusste. Zu meiner Schande musste ich mir eingestehen, dass ich mir mehr Wissen über die RAF als über den obersten Ankläger Deutschlands angeeignet hatte. Wenn überhaupt, hatte ich den Namen Siegfried Buback irgendwann einmal in der Zeitung gelesen, und nur ganz vage war mir bekannt, dass es so etwas wie eine Bundesanwaltschaft gab. Namen wie Andreas Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin, Jan-Carl Raspe, Holger Meins, Knut Folkerts usw. waren mir viel geläufiger. Es verging kaum eine Woche, in der diese Personen in den Zeitungen nicht genannt wurden. Und so abwegig es aus dem Munde eines Polizisten klingen mag, empfand ich für diese Generation der Terroristen sogar ein gewisses Maß an Sympathie, weil sie einem Staat die Stirn boten, in dem politisch bei weitem nicht alles in Ordnung war, und weil sie es schafften, spektakuläre Aktionen durchzuführen, ohne erwischt zu werden.
Als ich dann am Tatort aus dem Mannschaftstransportbus stieg und die beiden Leichen auf der Straße liegen sah, relativierte sich diese Sympathie sehr schnell. Noch nie zuvor begegnete mir der Tod in dieser Brutalität. Der Wagen Bubacks war durchsiebt. Ich sah Blutlachen. Überall lagen Patronenhülsen herum.
Obwohl ich unheimlich aufgeregt war und den Anblick der mit Planen abgedeckten Leichen sehr gruselig fand, bemühte ich mich sofort, meinen Posten möglichst nahe der Toten zu beziehen. Dies gelang mir auch. Ich stand etwa fünf Meter neben dem auf der Fahrbahn liegenden Siegfried Buback. Dass es der GBA war, sah ich, als ein Beamter des Bundeskriminalamtes die Plane etwas hochhob und zu einem anderen sagte:
»Das ist der Generalbundesanwalt.«
In dem kurzen Augenblick konnte ich das Gesicht des Toten sehen. Mir kam es vor, als wäre es voller Blut. Als der Mann vom BKA den Leichnam wieder abdeckte, schaute noch die linke Hand des Toten hervor. Sie hatte eine seltsam bläuliche Farbe. Zwischen Daumen und Zeigfinger war eine dünne Blutabrinnspur zu sehen. Es war eine nicht sehr große, gepflegte Hand mit ebenso gepflegten Fingernägeln, die eine bläuliche Farbe hatten. Irgendwie zog diese Hand meinen Blick magisch an. Kurioserweise wartete ich darauf, dass sie sich bewegte. Aber das tat sie nicht.
Dann stellten die Kollegen von der Kriminaltechnik überall kleine Schilder mit Nummern auf und begannen zu fotografieren. Am Rande bekam ich mit, dass es Spezialisten des BKA waren, die jedoch vergessen hatten, Filme für ihre Kameras mitzunehmen. Sie mussten sich welche bei den Karlsruher Kriminaltechnikern ausleihen.
Jede der zahlreichen leeren Patronenhülsen wurde fotografiert und ihr Abstand von einem Fixpunkt aus vermessen. Danach wurden die Hülsen aufgesammelt und einzeln in Tüten verpackt.
Gleich drei Kriminaltechniker waren mit der Spurensicherung im und um das Fahrzeug befasst. Ich war fasziniert von der Ruhe und Akribie, mit der die Beamten zu Werke gingen, obwohl zu diesem Zeitpunkt schon von allen Seiten Reporter Bild- und Tonaufnahmen machten.
Bei all dem vergaß ich fast meine eigentliche Aufgabe, den Tatort gegen Schaulustige abzusperren. Die ganze Zeit hatte ich den Leuten den Rücken zugedreht, um selbst auf das furchtbare Geschehen schauen zu können. Auf einen mahnenden Blick des neben mir stehenden Kollegen drehte ich mich um - und sah in tief betroffene Gesichter. Dann breitete ich meine Arme aus, drängte die Menge mit kleinen Schritten und mit den Worten: »Treten Sie bitte etwas zurück«, ein wenig nach hinten. Ich hatte einen Kloß im Hals, und meine Stimme kam mir viel zu leise, fast piepsend vor. Doch die Menschen reagierten. Stumm folgten sie meiner Anweisung.
Ich sah, wie manche miteinander flüsterten. Andere wiederum schüttelten nur den Kopf. Kein lautes Wort drang an mein Ohr. Selbst die Beamten, die es gewohnt waren, ihre Befehle laut zu geben, waren sichtlich um Ruhe und Pietät bemüht. Irgendwann wurden die Leichen der Ermordeten abtransportiert. Ich schluckte, weil ich plötzlich einen trockenen Mund hatte. Das war es dann wohl, dachte ich. Das Ende des Chefanklägers der Bundesrepublik Deutschland.
Wir mussten noch eine ganze Weile den Tatort absichern, bis die Kriminaltechniker des BKA endlich mit ihrer Arbeit fertig waren. Zurück in der Polizeischule, versuchte unser Lehrgangsleiter mit betroffener Miene die Folgen dieses Anschlages zu erklären. Es dauerte nicht allzu lange, bis wir sie am eigenen Leib zu spüren bekamen.
Einige Wochen danach mussten wir ein Praktikum absolvieren und wurden auf verschiedene Polizeireviere verteilt. Ohne große Ahnung nahmen wir unmittelbar an der Terroristenfahndung teil. Ich wurde einem Polizeihauptmeister zugeteilt, der mich einlernen sollte. Er hatte sehr viel Erfahrung im Umgang mit Menschen, doch schaffte er es während des gesamten sechswöchigen Praktikums nicht, sich meinen Namen zu merken. Am fünften Tag gab ich es auf, ihn zu berichtigen. Ich fand mich damit ab, ständig Theo von ihm genannt zu werden.
In dieser Zeit gingen wir unzähligen Hinweisen aus der Bevölkerung nach oder bekamen Ermittlungsaufträge von Vorgesetzten, um bestimmte Adressen und Wohnungen zu überprüfen. Das BKA hatte eine sogenannte Rasterfahndung ausgearbeitet, mit der die Terroristen aufgespürt werden sollten. Unter anderem wurden in ganz Deutschland alle Mehrfamilienhäuser und deren Bewohner unter die Lupe genommen. So auch in und um Karlsruhe. Damit, so hoffte man, würde sich der Druck auf die Terroristen erhöhen, was sich im Nachhinein bestätigen sollte.
Mit Karl, so hieß mein Streifenführer, kontrollierte ich eines Tages das Anwesen Liebigstraße 10, einen mehrstöckigen Wohnsilo im Herzen der Stadt. Wir klingelten an jeder Wohnungstür und sprachen mit den Leuten. Karl führte das Wort,
und die Art und Weise, wie er mit den Menschen umging, verblüffte mich ein ums andre Mal. Am meisten Verständnis brachten uns Personen im Alter zwischen 50 und mehr Jahren entgegen. Nicht selten wurden wir von ihnen auf einen Kaffee hereingebeten. Doch immer wieder kam es auch vor, dass unser ungebetenes Erscheinen den Unmut der Leute hervorrief. Mehr als einmal musste Karl reaktionsschnell den Fuß in den Türspalt stellen, um zu verhindern, dass uns die Tür vor der Nase zugeschlagen wurde.
Von einem älteren Ehepaar erhielten wir den Hinweis, dass sich gegenüber ihrer Wohnung vor etwa drei Wochen ein Mann eingemietet hatte, der ihnen höchst verdächtig vorkommen würde. Er würde immer nur sporadisch auftauchen und anschließend wieder verschwinden.
Die Beschreibung, die die beiden abgaben, passte unzweifelhaft auf den gesuchten Topterroristen Christian Klar. Als uns die Zeugen dann auch noch mitteilten, dass der junge Mann ständig Besuche von anderen Personen erhielt, die aber nur auf ein bestimmtes Klingelzeichen hin Einlass bekämen und ganz offensichtlich darauf achteten, so unerkannt wie nur möglich zu bleiben, läuteten bei uns alle Alarmglocken.
Endlich einmal ein vielversprechender Hinweis, bei dem es sich lohnte, weiter nachzuforschen. Wir überlegten, was zu tun sei. Ich machte den Vorschlag, durch das Mobile Einsatzkommando die Wohnung stürmen zu lassen. So hatte man es uns für solche Fälle auf der Polizeischule beigebracht.
»Das wäre ja noch schöner!«, sagte Karl zu mir. »Die Lorbeeren heimsen wir selbst ein. Wenn das tatsächlich Christian Klar ist, machen wir ihn platt, bevor er auch nur einen Laut von sich geben kann!«
Tief Luft holend, setzte ich gerade dazu an, meine Bedenken vorzubringen, als Karl das Ehepaar fest entschlossen nach dem Klingelzeichen und nach einem etwaigen aktuellen Besuch des Christian Klar fragte.
»Zweimal kurz, einmal lang und danach noch einmal kurz«, sagte der Mann, ohne auch nur den geringsten Zweifel aufkommen zu lassen.
Dann holte er ein kleines Notizbuch hervor, blätterte darin und sagte:
»Er ist heute Morgen um 9.18 Uhr allein gekommen. Gestern Abend hatte er um 19.41 Uhr bis 20.57 Uhr Besuch von einem jungen Mann, den ich allerdings nur von hinten sah. Anschließend, nämlich genau um 21.23 Uhr, kam ein Pärchen. Die beiden haben sich so auffällig umgeschaut, dass man nicht Sherlock Holmes sein muss, um zu riechen, dass hier etwas oberfaul ist. Alle drei haben die Wohnung schließlich um 23.08 Uhr verlassen.«
»Sie bleiben hier und schließen die Tür hinter uns. Wenn
Sie Schüsse hören, rufen Sie sofort den Notarzt, verstanden?« »Verstanden, Herr Wachtmeister!«, sagte der Mann, und die
Frau nickte mehrfach mit weit aufgerissenen Augen.
»Was ist mit der Belohnung?«, fragte sie hastig.
»Die bekommen Sie natürlich. Dafür werde ich persönlich sorgen«, erwiderte Karl im Brustton der Überzeugung.
»Lade deine Waffe durch!«, befahl er mir, während er selbst seine Waffe aus der Pistolentasche riss und demonstrativ den Verschluss zurückzog.
Ich war nicht mehr fähig, auch nur ein Wort herauszubringen, und befolgte seine Anweisung. Schweißperlen standen mir auf der Stirn. Wir verließen die Wohnung des Ehepaares, das sofort die Tür hinter uns schloss.
Die Pistole im Anschlag, bedeutete mir Karl wortlos, dass ich links neben der Tür Posten beziehen sollte, während er sich auf der rechten Seite an die Wand presste. Auf dem Klingelschild
konnte ich den Namen Krawuttke lesen. Mir schlug das Herz bis zum Hals, denn ich wusste, dass Terroristen mit großkalibrigen Waffen, ja sogar mit Maschinenpistolen ausgerüstet waren, wohingegen wir mit unserer kleinen 7,65-mm-Polizeipistole geradezu lächerlich wirkten.
Bevor Karl den Klingelknopf betätigte, drückte er sein rechtes Ohr an die Tür. Er nickte mir zu und sagte ganz leise:
»Musik! «
Ich verstand und nickte ihm ebenfalls zu. Danach zog er seinen Kopf wieder von der Tür zurück, um kein Ziel zu bieten.
Zweimal kurz, einmal lang und noch einmal kurz. Ich hörte, wie sich Schritte der Tür näherten und die Klinke nach unten gedrückt wurde. Dann ging alles sehr schnell. Als sich die Tür einen Spalt breit öffnete, warf sich Karl im Bruchteil einer Sekunde gegen das Türblatt und hielt auch schon einer jungen, langhaarigen Blondine seine Pistole direkt zwischen die Augen. Die Frau stieß einen lauten Schrei aus, der aber so gar nicht zu ihr passte. Blitzschnell riss sie ihre Hände nach oben.
Das Erste, was mir an ihr auffiel, waren ihre stark geschminkten Lippen und ihre großen Augenwimpern. Trotz ihres dick aufgetragenen Puders, sah man an verschiedenen Stellen ihres Gesichtes, dass sie leichenblass war. Sie brachte keinen Ton hervor, als Karl sie mit der Pistole zunächst wortlos in die Wohnung drängte. Ich folgte den beiden.
»Tür zu!«, befahl er mir. Als ich die Tür geschlossen hatte, herrschte er die Frau an:
»An die Wand!«
Mit erhobenen Händen stellte sich die Frau an die Wand. Sie zitterte am ganzen Körper. Könnte das die gesuchte Terroristin Verena Becker sein?
»Durchsuchen!«, befahl mir Karl.
»Wer, ich?«
»Wer denn sonst?«
»Sie ist doch eine Frau! Das darf ich ...«
»Was du darfst, bestimme ich! Willst du etwa warten, bis eine Kollegin mal eben zufällig vorbeikommt, oder was?«
Zaghaft begann ich die Frau abzutasten. Sie trug eine langärmelige, schwarze Bluse mit Rüschen, einen roten, engen Rock, Nylonstrümpfe und hochhackige Pumps. Der Rock endete zwei Handbreit über dem Knie.
Ich beschränkte mich auf das vorsichtige Abstreichen beider Achselhöhlen, ohne ihren Körper richtig zu berühren. An Hüfte und Taille wagte ich mich nicht. Ich war mir auch sicher, dass unter dem hautengen Rock kein Platz für eine Pistole war.
»Alles clean«, sagte ich zu Karl.
»Umdrehen!«, befahl er der Frau. Wie Espenlaub zitternd, drehte sich die Angesprochene um.
»Wie heißen Sie?«, fragte mein Kollege die Frau in barschem Ton.
»Marion Krawuttke«, erwiderte sie, und ihre Stimme klang irgendwie komisch.
»Weisen Sie sich bitte aus!« Der Ton, den Karl anschlug, ließ keinen Widerspruch zu. Die Dame deutete wortlos auf ihre Handtasche, die neben ihr auf einer Kommode stand. Seine Pistole immer noch auf den Kopf der Frau gerichtet, nahm Karl die Handtasche, öffnete sie mit einer Hand und kramte darin herum. Schnell wurde er fündig.
»Aha«, sagte er, und ich dachte schon, dass er jetzt eine Schusswaffe herausziehen würde. Doch es war nur ein Bundespersonalausweis. Auch ich hatte die ganze Zeit meine Pistole im Anschlag, um Karl abzusichern. Er schlug den Ausweis auf, machte große Augen und schrie laut:
»Moment mal! Das ist doch ...!«
Copyright © 2011 by Wilhelm Heyne Verlag, München,
in der Verlagsgruppe Random House GmbH
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Autoren-Porträt von Toni Feller
Feller, ToniToni Feller, geboren 1951, erlernte zunächst den Beruf des Werkzeugmachers und studierte dann Maschinenbau. Nach dem erfolgreichen Abschluss als Maschinenbautechniker bewarb er sich 1977 bei der Polizei. 1985 wurde er in die Mordkommission des Polizeipräsidiums Karlsruhe berufen, wo er heute als Kriminalhauptkommissar tätig ist. Er ist Autor von Kurzgeschichten, Gedichten, Bühnenstücken, Drehbüchern, Abenteuerreiseberichten sowie von Beiträgen in Fachzeitschriften. 1999 und 2001 erhielt er den "Mundartpreis" des Regierungspräsidiums Nordbaden. Toni Feller ist Mitglied "Polizei-Poeten" und lebt in der Nähe von Karlsruhe.
Bibliographische Angaben
- Autor: Toni Feller
- 2011, 319 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453645286
- ISBN-13: 9783453645288
- Erscheinungsdatum: 08.03.2011
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