Das Geheimnis der Äbtissin
Roman. Originalausgabe
Anno 1156 auf der Burg Lare im Harz:
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und...
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und...
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Produktinformationen zu „Das Geheimnis der Äbtissin “
Anno 1156 auf der Burg Lare im Harz:
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und für Silas, den maurischen Leibarzt des Kaisers, der sie nicht nur als Mediziner fasziniert. Doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, denn Judith ist eine Adlige und Silas in den Augen der Welt nur ein Sklave.
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und für Silas, den maurischen Leibarzt des Kaisers, der sie nicht nur als Mediziner fasziniert. Doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, denn Judith ist eine Adlige und Silas in den Augen der Welt nur ein Sklave.
Klappentext zu „Das Geheimnis der Äbtissin “
Anno 1156 auf der Burg Lare im Harz: Kaiser Friedrich I. vertraut der jungen Grafentochter Judith seine frisch angetraute Frau an. Judith interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und für Silas, den maurischen Leibarzt des Kaisers, der sie nicht nur als Mediziner fasziniert. Doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, denn Judith ist eine Adlige und Silas in den Augen der Welt nur ein Sklave ...
Anno 1156 auf der Burg Lare im Harz:
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und für Silas, den maurischen Leibarzt des Kaisers, der sie nicht nur als Mediziner fasziniert. Doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, denn Judith ist eine Adlige und Silas in den Augen der Welt nur ein Sklave ...
Die junge Grafentochter Judith steht in Diensten von Kaiser Friedrich I., um dessen junge Gemahlin sie sich liebevoll kümmert. Sie interessiert sich leidenschaftlich für Kräuter- und Heilkunde - und für Silas, den maurischen Leibarzt des Kaisers, der sie nicht nur als Mediziner fasziniert. Doch ihre Liebe scheint keine Zukunft zu haben, denn Judith ist eine Adlige und Silas in den Augen der Welt nur ein Sklave ...
Lese-Probe zu „Das Geheimnis der Äbtissin “
Das Geheimnis Äbtisdesrin von Johanna Marie Jakob... mehr
»Die poetische Wahrheit aber besteht nicht darin, dass etwas wirklich geschehen ist, sondern darin, dass es geschehen konnte, also in der inneren Möglichkeit der Sache.« Friedrich Schiller, Über das Pathetische Eschwege, anno 1220 Alle, die von dieser Geschichte wussten, sind tot. Alle - bis auf mich. Einige starben zur rechten Zeit eines natürlichen Todes, die meisten wurden umgebracht. Und heute Nacht werden sie kommen, mich zu töten. »Seniles Gejammer eines alten Mannes!«, würde Hanna sagen, wenn sie mich hören könnte. Die gute alte Seele weiß von nichts. Ich habe sie zu ihrer Schwester geschickt. Den Hund gab ich ihr mit, unter einem fadenscheinigen Vorwand, bei dem sie mir einen ihrer skeptischen Blicke zuwarf. Ich duldete keinen Widerspruch. Ich will nicht, dass sie den treuen Kerl einfach erschlagen. Die Angst hockt in den dunklen Winkeln meiner Kammer wie ein triefäugiger alter Wolf, zu faul, die Beute fahrenzulassen, und zu feige, sie anzuspringen. Und die Nacht wird sich hinziehen wie die Predigt des Bischofs an Allerseelen. Ich bin froh, dass es heute vorbei sein wird. Seit der Messe am Sonntag weiß ich, dass der Sand für mich zum letzten Mal durchs Glas rinnt. Im Seitenschiff des Doms stehen Gerüste. Der Küster zeigte mir Risse im Mauerwerk, in die er seine flache Hand schieben konnte. Die Fundamente geben nach, ein Tribut an den Sumpf, auf dem die mächtigen Mauern errichtet worden sind. Der Mann meinte, die Säulen müssten verfestigt werden. Tags darauf ließ der Dombaumeister um die Sockel der Hauptsäulen schachten. Am Nachmittag sah ich von meinem Erker aus den Meister zur Burg reiten. Unbarmherzig peitschte er sein Pferd. Später kam ein Planwagen, auf den sie verluden, was unter weißen Tüchern versteckt war. Da wusste ich, dass sie den Sarg gefunden hatten, eine massive Eisenkiste mit kompliziertem Schließmechanismus, wie ihn nur die besten Schlossermeister beherrschen. Auf dem stumpfen Metall ist die Geschichte zu lesen, Wort für Wort eingraviert mit feinen Buchstaben und Zeichen. Ich sehe sie vor mir, die Herren, wie sie ihre Köpfe zusammenstecken und ihre harten Blicke die Zeilen entlanghasten. Wie sie die Luft anhalten, als sie schließlich unten links auf dem schweren Eisendeckel meine Initialen finden. Mit naivem Stolz auf meine ärmliche Leistung hatte ich sie unter meine Arbeit gesetzt, schwungvoll die beiden Buchstaben meines Namens ineinanderverhakt. Ich war jung und wusste nichts von den Tücken des Schicksals. Mit der einsetzenden Dämmerung ritten Bewaffnete mit dem schwarzen Adler auf ihren Schilden durch die Stadt und zur Burg hinauf. Die Geschichte auf dem Sarg stirbt mit mir. Es ist gut so. Sind nicht alle tot, die Nutzen aus der Wahrheit hätten ziehen können? Es ist genug Blut geflossen. Sie werden glauben, dass sie die Wahrheit aus mir herauspressen müssen, mit Daumenschrauben oder der Eisernen Jungfrau. Doch da irren sie. Ich werde ihnen alles erzählen, auch wenn das mein letztes Stündlein schneller heranbringt. Was bedeutet jetzt noch Zeit? Die Wahrheit kann niemandem mehr schaden - außer dem Kaiser. Die Äbtissin verschwand vor Jahren spurlos, Gott allein weiß, was sie mit ihr angestellt haben. Ich mochte sie, denn sie behandelte mich mit Respekt, nicht von oben herab wie manch andere Auftraggeber. Sie hatte diese Güte in den Augen ... Unten fällt die Haustür ins Schloss. Polternde Schritte auf den Dielen der Halle, dann knarren die Stufen zu meiner Kammer. Es sind mindestens drei Männer. Sie geben sich keine Mühe, leise zu sein. Ich gesach den sumer nie, daz er so schone duhte mich: mit menigen blu° men wohlgetan div heide hat gezieret sih. sanges ist der walt so vol; div zit div tu° t den chleinen volgelen wol. Ich habe den Sommer (noch) nie (so) gesehen, dass er mir so schön vorkam: Mit vielen Blumen schön beschaffen, hat sich das Brachland geschmückt. Von Gesang ist der Wald so voll; Die Jahreszeit tut den kleinen Vögeln gut. Carmina Burana 152 a Burg Lare, Sommer anno 1156 Die Frühmesse zog sich in die Länge. Judith stand zwischen Ludwig und Beringar. Die Jungen drängten sich in der morgendlichen Kühle dicht an die Schwester. Isabella dagegen hatte sich den Platz neben der Amme Katharina erobert, deren üppiger Körper Wärme ausstrahlte und die Zugluft abhielt. Der junge Burgpfarrer Pater Martinus sprach mit schleppender Stimme über den Sündenfall und dessen Folgen. In seiner Leinenkutte, mit weit ausgebreiteten Armen, wirkte er wie ein großer grauer Vogel, der zum Fliegen ansetzt. Die Kinder scharrten unruhig mit den Füßen, in denen die Kälte aus dem festgestampften Boden langsam nach oben kroch. Judith beobachtete mit leichtem Grausen eine schwarze Spinne, die in einem Loch an der grob verputzten Wand geduldig auf Beute wartete. Wie lange saß sie schon in diesem schäbigen und baufälligen Kirchlein? Nur selten verirrte sich eine Fliege oder ein größeres Insekt hierher. Wäre das Tier ein Schmetterling gewesen oder ein Käfer, hätte sie es nach der Messe mit hinaus in die Sonne genommen, deren bleiche Strahlen erst gegen Abend den Weg durch das kleine Fenster neben dem Altar fanden. Doch eine Spinne anzufassen ... Sie schüttelte sich. Von draußen drang das Geräusch schneller Hufschläge her ein. Die Köpfe der Kinder fuhren herum. Beringar, mit vier Jahren der Kleinste, reckte Katharina die Arme entgegen, in der Hoffnung, sie würde ihn hochnehmen. Seufzend tat sie ihm den Gefallen. Das unwillige Wiehern eines Pferdes, das abrupt zum Stehen gebracht wird, schnitt dem Pfarrer das Wort ab. Jemand rief Kommandos über den Burghof. Gemurmel und scharrende Füße störten die Andacht. Der alte Eckardt, der auf der anderen Seite des Gangs gestanden hatte, nickte dem Geistlichen zu und eilte hinaus. Der vierzehnjährige Ludwig machte Anstalten, ihm zu folgen, doch Judith packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest. Es gab ein kurzes Gerangel, das Katharina mit einem energischen »Schluss jetzt!« beendete. Sie beugte sich zu dem Jungen hinab und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Er schmollte zwar, blieb aber gehorsam stehen. Mit hastigen Worten begann Pater Martinus, das Evangelium zu verlesen. »Hast du gemerkt, er hat eine Stelle weggelassen«, wisperte Isabella hinter Katharinas Rücken. Judith zuckte mit den Schultern. Seit sie im letzten Herbst zwölf geworden war, erhielt sie vom Pater Lateinunterricht. Doch ihre Kenntnisse waren nicht so gut wie die der etwas älteren Freundin. Außerdem hatte sie sich auf die Geräusche vom Hof konzentriert. Endlich knarrte die Tür, und Eckardt kam zurück. Er wartete das Ende des Evangeliums ab, dann platzte er heraus: »Gute Nachricht, Leute! Unser Herr ist auf dem Weg nach Hause. Er bringt den Kaiser mit. Spätestens übermorgen können wir mit ihnen rechnen!« Gemurmel drang durch den kleinen Kirchenraum, freudig und aufgeregt. »Vater kommt!«, jauchzte Beringar und hüpfte von einem Bein auf das andere. Der Pfarrer schmunzelte. »Lasset uns Gott danken und beten für eine gesunde Heimkehr unseres Kaisers und des Grafen.« Die nächsten Tage vergingen für das Gesinde wie im Flug. Jetzt, da man wusste, dass der Kaiser zu Gast sein würde, bekamen die Vorbereitungen eine noch größere Bedeutung. Wesentlich mehr hungrige Mäuler würden um die Tische sitzen. In aller Eile wurden Schweine, Zicklein und Gänse geschlachtet. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung schleppten die Mägde Holzwannen voller Teig aus der Küche zum Backofen. Heiße Brotlaibe sowie duftende Haferkuchen fanden den Weg zurück in die Speisekammern, die Knechte fegten den Hof und streuten den Boden im Saal mit frischem Stroh und Kräutern aus. Für die Kinder jedoch wollte die Zeit nicht vergehen. Beringar zerrte ungeduldig an Katharinas Umhang und fragte alle nasenlang: »Wann kommt Vater?« Die Amme, die ein Loch im Linnen eines Kinderhemds stopfte, antwortete zerstreut: »Morgen, mein kleines Fohlen, morgen ist er bestimmt da.« »Er hat ein sehr schnelles Pferd, das weißt du doch«, ergänzte Judith. Sie mühte sich verbissen mit einer Stickerei ab. Auf einem weißen Tüchlein knäulte sich ein chaotisches Gewirr aus roten Fäden, das eigentlich einen schreitenden Löwen darstellen sollte, das Wappentier der Lare'schen Grafen. Sie wollte es ihrem Vater als Willkommensgeschenk überreichen. Ihre Blicke wanderten hilfesuchend zu Katharina hinüber. Die seufzte gutmütig und nahm ihr das Tuch aus der Hand. »Nicht so fest zurren, Judith, die Fäden müssen locker auf dem Stoff liegen.« Geschwind zog sie das Garn wieder heraus und machte damit die Arbeit eines Nachmittags zunichte. Der kleine Beringar kroch auf allen vieren und zog sein Holzpferd über die Dielen. »Achtung, aufgepasst! Graf Ludwig reitet über die Zugbrücke! Macht Platz für den Grafen!« Katharinas Garnrollen säumten als Gesinde den Weg. Das Pferdchen galoppierte klappernd zwischen den Beinen von Isabellas Spinnrad hindurch und brachte es zum Umstürzen. Die junge Windhündin, die bis eben in der Ecke neben dem Kamin geschlafen hatte, sprang begeistert kläffend hinter der Spule her und stoppte sie mit ihren spitzen Welpenzähnen. »Pass doch auf!«, fauchte Isabella und starrte ungläubig auf den gerissenen Faden in ihrer Hand. »Jetzt schau, was du angerichtet hast!« Wütend warf sie die Spindel nach dem Pferd. Auf dem rot bemalten Sattel leuchtete plötzlich ein frischer Kratzer. Beringar sprang auf und stampfte mit dem Fuß. »Das sage ich Vater, wenn er heimkommt! Dann kommst du ins Verlies! Und kriegst nur Brot und Wasser!« Isabella musste wider Willen lachen. »Und wenn ich meinem Vater sage, dass du mein Spinnrad umgeworfen hast? Was glaubst du, was dann passiert?«
Beringar schob die Unterlippe vor und schielte ratlos zu Katharina hinüber. Die fummelte noch immer an Judiths Stickerei und tat so, als ginge sie der Streit nichts an. »Mein Vater ist der Graf von Lare!« All sein kindlicher Stolz lag in den Worten. »Und mein Vater«, Isabella beugte sich weit vor, um ihm ins Gesicht zu schauen, »ist der Kaiser!« »Na und? Graf ist viel, viel mehr als Kaiser!« Seine Stimme zitterte bereits leicht. »Viel mehr!« »Ist es nicht!« »Ist es doch!« Mit seinen kleinen Fäusten ging er auf Isabella los. Erschrocken sprang sie auf. Hinter ihr polterte der Schemel zu Boden. Die Hündin, die noch immer auf der Spule kaute, verkroch sich in ihre Kaminecke. »Schluss jetzt!« Katharina packte den kleinen Krieger am Kragen und zog ihn auf ihren Schoß. »Isabella hat recht, mein Junge. Herr Friedrich ist der Kaiser unseres Reiches, der höchste Herrscher überhaupt neben dem Papst. Sie ist unser Gast, und du wirst sie um Vergebung bitten und ihr helfen, das Rad wieder aufzustellen.« »Warum?« Seine kurzen Beine strampelten empört. »Du hast es umgeworfen, und du hast sie geschlagen. Das war nicht ritterlich. Nun geh schon.« Nicht ganz überzeugt schlich Beringar zu Isabella, die ihm versöhnlich über das blonde Haar fuhr. Sein Bruder Ludwig war zur selben Zeit mit dem Burgverwalter unterwegs. Sein Vater hatte ihm vor der Abreise augenzwinkernd die Aufsicht über die Burg anvertraut. Der Junge nahm seine Aufgabe sehr ernst und wich Eckardt nicht von der Seite. Lediglich die Schulstunden bei Pater Martinus durfte er nicht versäumen, doch die hatte er heute längst hinter sich. »Lass uns zuerst die Wache auf dem Bergfried besuchen, sie wird die Heimkehrer als Erste erblicken.« Eckardt wusste genau, dass er dem Jungen damit eine große Freude bereitete. Ludwig kletterte geschwind die steile Treppe hinauf, um vor Eckardt oben zu sein. Er mochte den Wind, der ungehindert über die schwindelnd hohen Mauern pfi ff. Der Wächter auf dem obersten Podest erwartete ihn bereits. »Gut, dass Ihr kommt, junger Herr. Ich habe gerade etwas entdeckt, das will ich Euch zeigen.« Ludwig sprang an der Mauer hoch und stützte sich mit den Armen ab, so dass er über die Mauerbrüstung hinwegsehen konnte. Sie standen an der Südseite des Turms. Bei günstigem Wetter war von hier aus das Gebirge zu sehen, das Thüringens natürliche Grenze zu Baiern bildete. Heute war die Luft nicht klar genug, dichte Gewitterwolken von der Farbe reifer Pfl aumen schoben sich von Westen her auf die Burg zu und verdrängten allmählich das Sonnenlicht. »Schaut dort, in Richtung Süden, was seht Ihr?« Ludwig strengte seine Augen an. Wo Süden war, das hatte ihm Eckardt längst gezeigt. Er kannte die Höhenzüge in jeder der vier Himmelsrichtungen. Im Norden drückten sich die Harzberge wie Brotlaibe aneinander, mittendrin der Blocksberg. Im Osten lag das Kyffhäusergebirge, sanft gezogen wie ein Pferderücken. Im Westen schließlich der Kamm der Hainleite, der mit dem gegenüberliegenden Ohmgebirge die Grafschaft Lare bewachte wie zwei auf der Lauer liegende Hunde. Dichter Laubwald zog sich über die Höhen der Hainleite, die Kronen wogten im aufkommenden Wind. Ludwigs Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Turmwache. Dort, wo ein scharfer Schnitt zwischen den dunklen Bäumen einen Weg erkennen ließ, blitzte ab und zu die Farbe eines Banners hindurch, und jetzt hörte er auch ein Hörnersignal. Schwach behauptete es sich gegen das Grollen des herannahenden Gewitters. »Sie kommen«, fl üsterte er, als könnte ein lautes Wort die Faszination seiner Entdeckung zerstören. Der Wachmann nickte ihm zu. »Ja, und Ihr dürft es verkünden! « Er reichte ihm sein Horn. »Zweimal kurz, einmal lang!« Hinter sich hörten sie den alten Eckardt die letzten Stufen heraufschnaufen. »Sie kommen!«, rief Ludwig ihm entgegen. Dann blies er mit der ganzen Kraft seiner Kinderlunge in das Horn. Zweimal kurz, einmal lang. Aus dem Wald kam prompt das vereinbarte Signal zurück. Noch bevor Eckardt an den Zinnen war, rannte Ludwig die Treppen bereits wieder hin ab. »Sie kommen!«, rief er in die Stube der Wachleute, die sich auf halber Höhe im Turm befand. Die Männer hatten das Horn gehört und griffen nach ihren Gürteln. Die mageren Kinderbeine hasteten weiter. Er wollte der Erste sein, wollte am Tor stehen, wenn der schwere Hauptriegel zurückgelegt wurde. Inzwischen hörte er die Signale auch von den anderen beiden Türmen. Schneller, immer schneller ging es die ausgetretenen Stufen hinunter. Auf dem Hof sammelte sich das Gesinde, Knechte und Mägde liefen nach vorn zur Zugbrücke. Quer über den Hof der Kernburg entstand ein Spalier aus Menschenleibern mit neugierig gereckten Hälsen. Endlich öffnete sich das Tor zur Vorburg, und mit freudigen Zurufen wurden die ersten Reiter begrüßt. Die Soldaten der Vorhut trugen das goldene Banner des Kaisers, auf dem ein schwarzer Adler seine Krallen ausstreckte. Daneben, noch vor dem roten Löwen des Grafen von Lare, flatterte eine unbekannte Fahne im stärker werdenden Wind, die mit Gemurmel und Stirnrunzeln wahrgenommen wurde. »Was für ein Wappen trägst du?«, rief ein vorlauter Stallknecht dem Reiter zu. »Das der Prinzessin von Burgund!«, antwortete der Mann knapp über die Schulter hinweg und war schon vorbei. Die Wagen mit dem Gepäck und der Kriegsbeute blieben bereits auf der Vorburg zurück und wurden dort entladen. Die Waffenknechte des Kaisers saßen vor dem Palas ab und übergaben ihre erschöpften Pferde den Stallknechten. Auch die Trossknechte hatten alle Hände voll zu tun. Die wenigen Wagen, die bis in die Kernburg gerollt waren, mussten schleunigst aus dem Weg, um keinen Rückstau zu schaffen. Der Trossführer ritt zwischen Rössern und Wagen umher und kommandierte laut. All das interessierte die Menschen vor dem Palas nicht, sie starrten erwartungsvoll auf das innere Tor vor der Zugbrücke, das einen Reiter nach dem anderen ausspuckte. Zwischen zwei dunklen Wolken brach wie auf Bestellung noch einmal die Sonne hervor, und im selben Moment wurde der Jubel lauter. Der große Fuchshengst Graf Ludwigs polterte wiehernd über die Eichenbohlen der Brücke. Der Graf lachte über sein ganzes breites Gesicht und winkte seinen Leuten gutmütig zu. An seiner Seite ritt der Kaiser. Dessen prächtiger blauer Umhang, verbrämt mit edelsteinbesetzten Streifen, leuchtete trotz der feinen Staubschicht, die ihn bedeckte. Das kräftige weiße Pferd unter ihm bildete einen perfekten Kontrast. Friedrich trug seinen Helm unter dem Arm, sein blondes Haar kräuselte sich auf der Stirn. Der scharfe Blick aus hellen Augen schien alles auf einmal zu sehen, auf seinem jungenhaften Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. Vor der Treppe am Palas wendeten die beiden Männer ihre Rösser und blickten über den Hof, wo es im späten Sonnenlicht allmählich eng wurde. Im selben Moment trat Katharina aus der Tür hinter ihnen. Sie hatte den zappelnden Beringar auf dem Arm. Isabella hielt die junge Hündin fest am Halsband. »Platz, Sida!« Judith spähte an ihrer Seite vorbei. Ohne auf den hohen Besuch zu achten, schweiften ihre Blicke über den Burghof. »Ludwig?«, rief sie, doch ihre Stimme verlor sich im Jubel der Burgbewohner. Eine Fanfare schmetterte, und langsam kehrte Stille ein, nur das Schnauben der Tiere und das Klirren der Steigbügel waren noch zu hören. Gerade als der Kaiser die Hand hob, kam unter den Leuten, die am Bergfried standen, erschrockenes Gemurmel auf. Einzelne Rufe wurden laut. »Herr, erbarme dich!« Graf Ludwig riss sein Pferd herum und sah, wie sich vom Bergfried her eine Gasse in den dichtgedrängt stehenden Menschen bildete. Der alte Eckardt stolperte auf ihn zu. Er trug einen Jungen auf seinen Armen - Ludwig. Über das Gesicht des Mannes liefen Tränen. »Herr, vergebt mir! Eine schlechtere Begrüßung als diese kann ich mir nicht denken. Er hatte sich so auf Euch gefreut! Wollte der Erste sein im Burghof. Der letzte Treppenabsatz ...« Verzweifelt neigte der Vogt den Kopf. »Ich war hinter ihm, aber so schnell bin ich nicht mehr.« Der Graf war vom Pferd gesprungen. »Was ist mit ihm? Lebt er?« Hilflos zupfte er am Arm des Kindes. »Ja, Herr, aber sein Bein ...« Die Blicke der Umstehenden hingen längst an Ludwigs Unterschenkel, wo aus einer schwach blutenden Wunde ein heller Knochen herausstieß. Einige Frauen schrien auf, die meisten jedoch schwiegen entsetzt. Ein so komplizierter Bruch führte oft dazu, dass das Bein steif blieb und der Verletzte sein Leben lang unter großen Schmerzen hinken musste. In den hinteren Reihen der Heimkehrer entstand Unruhe. Ein junger Mann mit schwarz glänzendem Haar und mandelförmigen Augen drängte sich durch die dicht stehende Menge. »Lasst mich durch! Geht beiseite!« Das Gesinde machte nur unwillig Platz. Seine dunkle Haut sorgte für Verwirrung und fragende Gesichter. Staunende Blicke musterten seine Beinkleider, deren Stoff golden schimmerte und die sich wie Getreidesäcke um seine Beine plusterten. Ohne sich einschüchtern zu lassen, schaffte er sich Durchlass mit seinen Ellbogen. Als er endlich vor dem Jungen stand, genügte ein einziger Blick. »Lasst ihn in die Kemenate bringen, Herr. Ich brauche heißes Wasser und eine kräftige Magd, die mir hilft.« Er sprach die Worte mit einem fremdartigen Klang, doch seine Stimme war fest. Unter den Leuten entstand Gemurmel. Wer war dieser Fremde, der es wagte, dem Grafen Befehle zu erteilen? »Er kam im Tross des Kaisers an, vielleicht ein Diener der jungen Prinzessin?«, mutmaßte die Frau des Mundschenks halblaut. »Der alte König Konrad brachte ihn vom Kreuzzug mit, er soll ein guter Arzt sein«, raunte ein hagerer Stallknecht, der nicht weit von ihr stand. »Woher weißt du das?« »Von den Waffenknechten des Kaisers, die die Pferde brachten. Da war ein Hengst dabei - noch nie habe ich so ein Pferd gesehen. Seine Knochen sind so zart wie die einer Katze. Sein Fell glänzt, als wäre es nass. Sie sagten, es gehöre dem Mauren.« Er sprang eilfertig nach vorn, als Friedrich von seinem Schimmel stieg, und fi ng die Zügel auf. »Ihr könnt ihm vertrauen. Er ist mein Leibarzt«, sagte der Kaiser zum Grafen. Mit gezackten Fängen griff der erste Blitz nach dem Bergfried, es folgte ein gewaltiger Donnerschlag, der den Hof binnen weniger Augenblicke leer fegte. Im Saal drängte alles zum Tisch.
© 2011 Knaur Taschenbuch Ein Unternehmen der Droemerschen Verlagsanstalt Th. Knaur Nachf. GmbH & Co. KG, München Alle Rechte vorbehalten
»Die poetische Wahrheit aber besteht nicht darin, dass etwas wirklich geschehen ist, sondern darin, dass es geschehen konnte, also in der inneren Möglichkeit der Sache.« Friedrich Schiller, Über das Pathetische Eschwege, anno 1220 Alle, die von dieser Geschichte wussten, sind tot. Alle - bis auf mich. Einige starben zur rechten Zeit eines natürlichen Todes, die meisten wurden umgebracht. Und heute Nacht werden sie kommen, mich zu töten. »Seniles Gejammer eines alten Mannes!«, würde Hanna sagen, wenn sie mich hören könnte. Die gute alte Seele weiß von nichts. Ich habe sie zu ihrer Schwester geschickt. Den Hund gab ich ihr mit, unter einem fadenscheinigen Vorwand, bei dem sie mir einen ihrer skeptischen Blicke zuwarf. Ich duldete keinen Widerspruch. Ich will nicht, dass sie den treuen Kerl einfach erschlagen. Die Angst hockt in den dunklen Winkeln meiner Kammer wie ein triefäugiger alter Wolf, zu faul, die Beute fahrenzulassen, und zu feige, sie anzuspringen. Und die Nacht wird sich hinziehen wie die Predigt des Bischofs an Allerseelen. Ich bin froh, dass es heute vorbei sein wird. Seit der Messe am Sonntag weiß ich, dass der Sand für mich zum letzten Mal durchs Glas rinnt. Im Seitenschiff des Doms stehen Gerüste. Der Küster zeigte mir Risse im Mauerwerk, in die er seine flache Hand schieben konnte. Die Fundamente geben nach, ein Tribut an den Sumpf, auf dem die mächtigen Mauern errichtet worden sind. Der Mann meinte, die Säulen müssten verfestigt werden. Tags darauf ließ der Dombaumeister um die Sockel der Hauptsäulen schachten. Am Nachmittag sah ich von meinem Erker aus den Meister zur Burg reiten. Unbarmherzig peitschte er sein Pferd. Später kam ein Planwagen, auf den sie verluden, was unter weißen Tüchern versteckt war. Da wusste ich, dass sie den Sarg gefunden hatten, eine massive Eisenkiste mit kompliziertem Schließmechanismus, wie ihn nur die besten Schlossermeister beherrschen. Auf dem stumpfen Metall ist die Geschichte zu lesen, Wort für Wort eingraviert mit feinen Buchstaben und Zeichen. Ich sehe sie vor mir, die Herren, wie sie ihre Köpfe zusammenstecken und ihre harten Blicke die Zeilen entlanghasten. Wie sie die Luft anhalten, als sie schließlich unten links auf dem schweren Eisendeckel meine Initialen finden. Mit naivem Stolz auf meine ärmliche Leistung hatte ich sie unter meine Arbeit gesetzt, schwungvoll die beiden Buchstaben meines Namens ineinanderverhakt. Ich war jung und wusste nichts von den Tücken des Schicksals. Mit der einsetzenden Dämmerung ritten Bewaffnete mit dem schwarzen Adler auf ihren Schilden durch die Stadt und zur Burg hinauf. Die Geschichte auf dem Sarg stirbt mit mir. Es ist gut so. Sind nicht alle tot, die Nutzen aus der Wahrheit hätten ziehen können? Es ist genug Blut geflossen. Sie werden glauben, dass sie die Wahrheit aus mir herauspressen müssen, mit Daumenschrauben oder der Eisernen Jungfrau. Doch da irren sie. Ich werde ihnen alles erzählen, auch wenn das mein letztes Stündlein schneller heranbringt. Was bedeutet jetzt noch Zeit? Die Wahrheit kann niemandem mehr schaden - außer dem Kaiser. Die Äbtissin verschwand vor Jahren spurlos, Gott allein weiß, was sie mit ihr angestellt haben. Ich mochte sie, denn sie behandelte mich mit Respekt, nicht von oben herab wie manch andere Auftraggeber. Sie hatte diese Güte in den Augen ... Unten fällt die Haustür ins Schloss. Polternde Schritte auf den Dielen der Halle, dann knarren die Stufen zu meiner Kammer. Es sind mindestens drei Männer. Sie geben sich keine Mühe, leise zu sein. Ich gesach den sumer nie, daz er so schone duhte mich: mit menigen blu° men wohlgetan div heide hat gezieret sih. sanges ist der walt so vol; div zit div tu° t den chleinen volgelen wol. Ich habe den Sommer (noch) nie (so) gesehen, dass er mir so schön vorkam: Mit vielen Blumen schön beschaffen, hat sich das Brachland geschmückt. Von Gesang ist der Wald so voll; Die Jahreszeit tut den kleinen Vögeln gut. Carmina Burana 152 a Burg Lare, Sommer anno 1156 Die Frühmesse zog sich in die Länge. Judith stand zwischen Ludwig und Beringar. Die Jungen drängten sich in der morgendlichen Kühle dicht an die Schwester. Isabella dagegen hatte sich den Platz neben der Amme Katharina erobert, deren üppiger Körper Wärme ausstrahlte und die Zugluft abhielt. Der junge Burgpfarrer Pater Martinus sprach mit schleppender Stimme über den Sündenfall und dessen Folgen. In seiner Leinenkutte, mit weit ausgebreiteten Armen, wirkte er wie ein großer grauer Vogel, der zum Fliegen ansetzt. Die Kinder scharrten unruhig mit den Füßen, in denen die Kälte aus dem festgestampften Boden langsam nach oben kroch. Judith beobachtete mit leichtem Grausen eine schwarze Spinne, die in einem Loch an der grob verputzten Wand geduldig auf Beute wartete. Wie lange saß sie schon in diesem schäbigen und baufälligen Kirchlein? Nur selten verirrte sich eine Fliege oder ein größeres Insekt hierher. Wäre das Tier ein Schmetterling gewesen oder ein Käfer, hätte sie es nach der Messe mit hinaus in die Sonne genommen, deren bleiche Strahlen erst gegen Abend den Weg durch das kleine Fenster neben dem Altar fanden. Doch eine Spinne anzufassen ... Sie schüttelte sich. Von draußen drang das Geräusch schneller Hufschläge her ein. Die Köpfe der Kinder fuhren herum. Beringar, mit vier Jahren der Kleinste, reckte Katharina die Arme entgegen, in der Hoffnung, sie würde ihn hochnehmen. Seufzend tat sie ihm den Gefallen. Das unwillige Wiehern eines Pferdes, das abrupt zum Stehen gebracht wird, schnitt dem Pfarrer das Wort ab. Jemand rief Kommandos über den Burghof. Gemurmel und scharrende Füße störten die Andacht. Der alte Eckardt, der auf der anderen Seite des Gangs gestanden hatte, nickte dem Geistlichen zu und eilte hinaus. Der vierzehnjährige Ludwig machte Anstalten, ihm zu folgen, doch Judith packte ihn am Ärmel und hielt ihn fest. Es gab ein kurzes Gerangel, das Katharina mit einem energischen »Schluss jetzt!« beendete. Sie beugte sich zu dem Jungen hinab und flüsterte ihm ein paar Worte ins Ohr. Er schmollte zwar, blieb aber gehorsam stehen. Mit hastigen Worten begann Pater Martinus, das Evangelium zu verlesen. »Hast du gemerkt, er hat eine Stelle weggelassen«, wisperte Isabella hinter Katharinas Rücken. Judith zuckte mit den Schultern. Seit sie im letzten Herbst zwölf geworden war, erhielt sie vom Pater Lateinunterricht. Doch ihre Kenntnisse waren nicht so gut wie die der etwas älteren Freundin. Außerdem hatte sie sich auf die Geräusche vom Hof konzentriert. Endlich knarrte die Tür, und Eckardt kam zurück. Er wartete das Ende des Evangeliums ab, dann platzte er heraus: »Gute Nachricht, Leute! Unser Herr ist auf dem Weg nach Hause. Er bringt den Kaiser mit. Spätestens übermorgen können wir mit ihnen rechnen!« Gemurmel drang durch den kleinen Kirchenraum, freudig und aufgeregt. »Vater kommt!«, jauchzte Beringar und hüpfte von einem Bein auf das andere. Der Pfarrer schmunzelte. »Lasset uns Gott danken und beten für eine gesunde Heimkehr unseres Kaisers und des Grafen.« Die nächsten Tage vergingen für das Gesinde wie im Flug. Jetzt, da man wusste, dass der Kaiser zu Gast sein würde, bekamen die Vorbereitungen eine noch größere Bedeutung. Wesentlich mehr hungrige Mäuler würden um die Tische sitzen. In aller Eile wurden Schweine, Zicklein und Gänse geschlachtet. Vom Morgengrauen bis zur Dämmerung schleppten die Mägde Holzwannen voller Teig aus der Küche zum Backofen. Heiße Brotlaibe sowie duftende Haferkuchen fanden den Weg zurück in die Speisekammern, die Knechte fegten den Hof und streuten den Boden im Saal mit frischem Stroh und Kräutern aus. Für die Kinder jedoch wollte die Zeit nicht vergehen. Beringar zerrte ungeduldig an Katharinas Umhang und fragte alle nasenlang: »Wann kommt Vater?« Die Amme, die ein Loch im Linnen eines Kinderhemds stopfte, antwortete zerstreut: »Morgen, mein kleines Fohlen, morgen ist er bestimmt da.« »Er hat ein sehr schnelles Pferd, das weißt du doch«, ergänzte Judith. Sie mühte sich verbissen mit einer Stickerei ab. Auf einem weißen Tüchlein knäulte sich ein chaotisches Gewirr aus roten Fäden, das eigentlich einen schreitenden Löwen darstellen sollte, das Wappentier der Lare'schen Grafen. Sie wollte es ihrem Vater als Willkommensgeschenk überreichen. Ihre Blicke wanderten hilfesuchend zu Katharina hinüber. Die seufzte gutmütig und nahm ihr das Tuch aus der Hand. »Nicht so fest zurren, Judith, die Fäden müssen locker auf dem Stoff liegen.« Geschwind zog sie das Garn wieder heraus und machte damit die Arbeit eines Nachmittags zunichte. Der kleine Beringar kroch auf allen vieren und zog sein Holzpferd über die Dielen. »Achtung, aufgepasst! Graf Ludwig reitet über die Zugbrücke! Macht Platz für den Grafen!« Katharinas Garnrollen säumten als Gesinde den Weg. Das Pferdchen galoppierte klappernd zwischen den Beinen von Isabellas Spinnrad hindurch und brachte es zum Umstürzen. Die junge Windhündin, die bis eben in der Ecke neben dem Kamin geschlafen hatte, sprang begeistert kläffend hinter der Spule her und stoppte sie mit ihren spitzen Welpenzähnen. »Pass doch auf!«, fauchte Isabella und starrte ungläubig auf den gerissenen Faden in ihrer Hand. »Jetzt schau, was du angerichtet hast!« Wütend warf sie die Spindel nach dem Pferd. Auf dem rot bemalten Sattel leuchtete plötzlich ein frischer Kratzer. Beringar sprang auf und stampfte mit dem Fuß. »Das sage ich Vater, wenn er heimkommt! Dann kommst du ins Verlies! Und kriegst nur Brot und Wasser!« Isabella musste wider Willen lachen. »Und wenn ich meinem Vater sage, dass du mein Spinnrad umgeworfen hast? Was glaubst du, was dann passiert?«
Beringar schob die Unterlippe vor und schielte ratlos zu Katharina hinüber. Die fummelte noch immer an Judiths Stickerei und tat so, als ginge sie der Streit nichts an. »Mein Vater ist der Graf von Lare!« All sein kindlicher Stolz lag in den Worten. »Und mein Vater«, Isabella beugte sich weit vor, um ihm ins Gesicht zu schauen, »ist der Kaiser!« »Na und? Graf ist viel, viel mehr als Kaiser!« Seine Stimme zitterte bereits leicht. »Viel mehr!« »Ist es nicht!« »Ist es doch!« Mit seinen kleinen Fäusten ging er auf Isabella los. Erschrocken sprang sie auf. Hinter ihr polterte der Schemel zu Boden. Die Hündin, die noch immer auf der Spule kaute, verkroch sich in ihre Kaminecke. »Schluss jetzt!« Katharina packte den kleinen Krieger am Kragen und zog ihn auf ihren Schoß. »Isabella hat recht, mein Junge. Herr Friedrich ist der Kaiser unseres Reiches, der höchste Herrscher überhaupt neben dem Papst. Sie ist unser Gast, und du wirst sie um Vergebung bitten und ihr helfen, das Rad wieder aufzustellen.« »Warum?« Seine kurzen Beine strampelten empört. »Du hast es umgeworfen, und du hast sie geschlagen. Das war nicht ritterlich. Nun geh schon.« Nicht ganz überzeugt schlich Beringar zu Isabella, die ihm versöhnlich über das blonde Haar fuhr. Sein Bruder Ludwig war zur selben Zeit mit dem Burgverwalter unterwegs. Sein Vater hatte ihm vor der Abreise augenzwinkernd die Aufsicht über die Burg anvertraut. Der Junge nahm seine Aufgabe sehr ernst und wich Eckardt nicht von der Seite. Lediglich die Schulstunden bei Pater Martinus durfte er nicht versäumen, doch die hatte er heute längst hinter sich. »Lass uns zuerst die Wache auf dem Bergfried besuchen, sie wird die Heimkehrer als Erste erblicken.« Eckardt wusste genau, dass er dem Jungen damit eine große Freude bereitete. Ludwig kletterte geschwind die steile Treppe hinauf, um vor Eckardt oben zu sein. Er mochte den Wind, der ungehindert über die schwindelnd hohen Mauern pfi ff. Der Wächter auf dem obersten Podest erwartete ihn bereits. »Gut, dass Ihr kommt, junger Herr. Ich habe gerade etwas entdeckt, das will ich Euch zeigen.« Ludwig sprang an der Mauer hoch und stützte sich mit den Armen ab, so dass er über die Mauerbrüstung hinwegsehen konnte. Sie standen an der Südseite des Turms. Bei günstigem Wetter war von hier aus das Gebirge zu sehen, das Thüringens natürliche Grenze zu Baiern bildete. Heute war die Luft nicht klar genug, dichte Gewitterwolken von der Farbe reifer Pfl aumen schoben sich von Westen her auf die Burg zu und verdrängten allmählich das Sonnenlicht. »Schaut dort, in Richtung Süden, was seht Ihr?« Ludwig strengte seine Augen an. Wo Süden war, das hatte ihm Eckardt längst gezeigt. Er kannte die Höhenzüge in jeder der vier Himmelsrichtungen. Im Norden drückten sich die Harzberge wie Brotlaibe aneinander, mittendrin der Blocksberg. Im Osten lag das Kyffhäusergebirge, sanft gezogen wie ein Pferderücken. Im Westen schließlich der Kamm der Hainleite, der mit dem gegenüberliegenden Ohmgebirge die Grafschaft Lare bewachte wie zwei auf der Lauer liegende Hunde. Dichter Laubwald zog sich über die Höhen der Hainleite, die Kronen wogten im aufkommenden Wind. Ludwigs Blick folgte dem ausgestreckten Arm der Turmwache. Dort, wo ein scharfer Schnitt zwischen den dunklen Bäumen einen Weg erkennen ließ, blitzte ab und zu die Farbe eines Banners hindurch, und jetzt hörte er auch ein Hörnersignal. Schwach behauptete es sich gegen das Grollen des herannahenden Gewitters. »Sie kommen«, fl üsterte er, als könnte ein lautes Wort die Faszination seiner Entdeckung zerstören. Der Wachmann nickte ihm zu. »Ja, und Ihr dürft es verkünden! « Er reichte ihm sein Horn. »Zweimal kurz, einmal lang!« Hinter sich hörten sie den alten Eckardt die letzten Stufen heraufschnaufen. »Sie kommen!«, rief Ludwig ihm entgegen. Dann blies er mit der ganzen Kraft seiner Kinderlunge in das Horn. Zweimal kurz, einmal lang. Aus dem Wald kam prompt das vereinbarte Signal zurück. Noch bevor Eckardt an den Zinnen war, rannte Ludwig die Treppen bereits wieder hin ab. »Sie kommen!«, rief er in die Stube der Wachleute, die sich auf halber Höhe im Turm befand. Die Männer hatten das Horn gehört und griffen nach ihren Gürteln. Die mageren Kinderbeine hasteten weiter. Er wollte der Erste sein, wollte am Tor stehen, wenn der schwere Hauptriegel zurückgelegt wurde. Inzwischen hörte er die Signale auch von den anderen beiden Türmen. Schneller, immer schneller ging es die ausgetretenen Stufen hinunter. Auf dem Hof sammelte sich das Gesinde, Knechte und Mägde liefen nach vorn zur Zugbrücke. Quer über den Hof der Kernburg entstand ein Spalier aus Menschenleibern mit neugierig gereckten Hälsen. Endlich öffnete sich das Tor zur Vorburg, und mit freudigen Zurufen wurden die ersten Reiter begrüßt. Die Soldaten der Vorhut trugen das goldene Banner des Kaisers, auf dem ein schwarzer Adler seine Krallen ausstreckte. Daneben, noch vor dem roten Löwen des Grafen von Lare, flatterte eine unbekannte Fahne im stärker werdenden Wind, die mit Gemurmel und Stirnrunzeln wahrgenommen wurde. »Was für ein Wappen trägst du?«, rief ein vorlauter Stallknecht dem Reiter zu. »Das der Prinzessin von Burgund!«, antwortete der Mann knapp über die Schulter hinweg und war schon vorbei. Die Wagen mit dem Gepäck und der Kriegsbeute blieben bereits auf der Vorburg zurück und wurden dort entladen. Die Waffenknechte des Kaisers saßen vor dem Palas ab und übergaben ihre erschöpften Pferde den Stallknechten. Auch die Trossknechte hatten alle Hände voll zu tun. Die wenigen Wagen, die bis in die Kernburg gerollt waren, mussten schleunigst aus dem Weg, um keinen Rückstau zu schaffen. Der Trossführer ritt zwischen Rössern und Wagen umher und kommandierte laut. All das interessierte die Menschen vor dem Palas nicht, sie starrten erwartungsvoll auf das innere Tor vor der Zugbrücke, das einen Reiter nach dem anderen ausspuckte. Zwischen zwei dunklen Wolken brach wie auf Bestellung noch einmal die Sonne hervor, und im selben Moment wurde der Jubel lauter. Der große Fuchshengst Graf Ludwigs polterte wiehernd über die Eichenbohlen der Brücke. Der Graf lachte über sein ganzes breites Gesicht und winkte seinen Leuten gutmütig zu. An seiner Seite ritt der Kaiser. Dessen prächtiger blauer Umhang, verbrämt mit edelsteinbesetzten Streifen, leuchtete trotz der feinen Staubschicht, die ihn bedeckte. Das kräftige weiße Pferd unter ihm bildete einen perfekten Kontrast. Friedrich trug seinen Helm unter dem Arm, sein blondes Haar kräuselte sich auf der Stirn. Der scharfe Blick aus hellen Augen schien alles auf einmal zu sehen, auf seinem jungenhaften Gesicht lag ein zufriedenes Lächeln. Vor der Treppe am Palas wendeten die beiden Männer ihre Rösser und blickten über den Hof, wo es im späten Sonnenlicht allmählich eng wurde. Im selben Moment trat Katharina aus der Tür hinter ihnen. Sie hatte den zappelnden Beringar auf dem Arm. Isabella hielt die junge Hündin fest am Halsband. »Platz, Sida!« Judith spähte an ihrer Seite vorbei. Ohne auf den hohen Besuch zu achten, schweiften ihre Blicke über den Burghof. »Ludwig?«, rief sie, doch ihre Stimme verlor sich im Jubel der Burgbewohner. Eine Fanfare schmetterte, und langsam kehrte Stille ein, nur das Schnauben der Tiere und das Klirren der Steigbügel waren noch zu hören. Gerade als der Kaiser die Hand hob, kam unter den Leuten, die am Bergfried standen, erschrockenes Gemurmel auf. Einzelne Rufe wurden laut. »Herr, erbarme dich!« Graf Ludwig riss sein Pferd herum und sah, wie sich vom Bergfried her eine Gasse in den dichtgedrängt stehenden Menschen bildete. Der alte Eckardt stolperte auf ihn zu. Er trug einen Jungen auf seinen Armen - Ludwig. Über das Gesicht des Mannes liefen Tränen. »Herr, vergebt mir! Eine schlechtere Begrüßung als diese kann ich mir nicht denken. Er hatte sich so auf Euch gefreut! Wollte der Erste sein im Burghof. Der letzte Treppenabsatz ...« Verzweifelt neigte der Vogt den Kopf. »Ich war hinter ihm, aber so schnell bin ich nicht mehr.« Der Graf war vom Pferd gesprungen. »Was ist mit ihm? Lebt er?« Hilflos zupfte er am Arm des Kindes. »Ja, Herr, aber sein Bein ...« Die Blicke der Umstehenden hingen längst an Ludwigs Unterschenkel, wo aus einer schwach blutenden Wunde ein heller Knochen herausstieß. Einige Frauen schrien auf, die meisten jedoch schwiegen entsetzt. Ein so komplizierter Bruch führte oft dazu, dass das Bein steif blieb und der Verletzte sein Leben lang unter großen Schmerzen hinken musste. In den hinteren Reihen der Heimkehrer entstand Unruhe. Ein junger Mann mit schwarz glänzendem Haar und mandelförmigen Augen drängte sich durch die dicht stehende Menge. »Lasst mich durch! Geht beiseite!« Das Gesinde machte nur unwillig Platz. Seine dunkle Haut sorgte für Verwirrung und fragende Gesichter. Staunende Blicke musterten seine Beinkleider, deren Stoff golden schimmerte und die sich wie Getreidesäcke um seine Beine plusterten. Ohne sich einschüchtern zu lassen, schaffte er sich Durchlass mit seinen Ellbogen. Als er endlich vor dem Jungen stand, genügte ein einziger Blick. »Lasst ihn in die Kemenate bringen, Herr. Ich brauche heißes Wasser und eine kräftige Magd, die mir hilft.« Er sprach die Worte mit einem fremdartigen Klang, doch seine Stimme war fest. Unter den Leuten entstand Gemurmel. Wer war dieser Fremde, der es wagte, dem Grafen Befehle zu erteilen? »Er kam im Tross des Kaisers an, vielleicht ein Diener der jungen Prinzessin?«, mutmaßte die Frau des Mundschenks halblaut. »Der alte König Konrad brachte ihn vom Kreuzzug mit, er soll ein guter Arzt sein«, raunte ein hagerer Stallknecht, der nicht weit von ihr stand. »Woher weißt du das?« »Von den Waffenknechten des Kaisers, die die Pferde brachten. Da war ein Hengst dabei - noch nie habe ich so ein Pferd gesehen. Seine Knochen sind so zart wie die einer Katze. Sein Fell glänzt, als wäre es nass. Sie sagten, es gehöre dem Mauren.« Er sprang eilfertig nach vorn, als Friedrich von seinem Schimmel stieg, und fi ng die Zügel auf. »Ihr könnt ihm vertrauen. Er ist mein Leibarzt«, sagte der Kaiser zum Grafen. Mit gezackten Fängen griff der erste Blitz nach dem Bergfried, es folgte ein gewaltiger Donnerschlag, der den Hof binnen weniger Augenblicke leer fegte. Im Saal drängte alles zum Tisch.
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Autoren-Porträt von Johanna M. Jakob
Johanna Marie Jakob wurde 1962 in Bleicherode/Südharz geboren. Sie ist Studienrätin für Mathematik und Physik und hat bereits zahlreiche Kurzgeschichten sowie mehrere Romane veröffentlicht. Ihr historischer Roman "Das Geheimnis der Äbtissin" war ein grosser Erfolg.
Bibliographische Angaben
- Autor: Johanna M. Jakob
- 2012, 5. Aufl., 464 Seiten, Masse: 12,5 x 19,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426509512
- ISBN-13: 9783426509517
- Erscheinungsdatum: 25.09.2012
Rezension zu „Das Geheimnis der Äbtissin “
"Flüssig und interessant geschrieben" Zauberspiegel 20121217
Pressezitat
"Flüssig und interessant geschrieben" Zauberspiegel 20121217
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