Darf's ein Küsschen mehr sein? / Girlfriends Bd.3
Zufälligerweise findet Maggie das Tagebuch ihrer Mutter. Sie stellt fest, dass sie sich mit einer schlimmen Familientragödie auseinandersetzen muss. Dafür reist sie in ihren alten Heimatort Truly. Hier hätte sie mit allem gerechnet - aber nicht mit dem Charme von Mick Hennessy.
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Produktinformationen zu „Darf's ein Küsschen mehr sein? / Girlfriends Bd.3 “
Zufälligerweise findet Maggie das Tagebuch ihrer Mutter. Sie stellt fest, dass sie sich mit einer schlimmen Familientragödie auseinandersetzen muss. Dafür reist sie in ihren alten Heimatort Truly. Hier hätte sie mit allem gerechnet - aber nicht mit dem Charme von Mick Hennessy.
Klappentext zu „Darf's ein Küsschen mehr sein? / Girlfriends Bd.3 “
Witzige Dialoge und prickelnder Sex - Rachel does it again!Der Ort Truly ist für Maddie Jones ein düsteres Kapitel: Vor vielen Jahren wurde hier ihre Mutter gewaltsam ums Leben gebracht. Eines Tages findet sie zufällig das Tagebuch ihrer Mutter und Maddie wird klar, dass sie sich dieser Familientragödie stellen muss. Als sie dann in Truly ankommt, hätte Maddie mit allem gerechnet, aber nicht mit dem unwiderstehlichen Charme von Mick Hennessy, dessen Vater damals schon das Herz ihrer Mutter gebrochen hatte ...
Lese-Probe zu „Darf's ein Küsschen mehr sein? / Girlfriends Bd.3 “
Darf’s ein Küsschen mehr sein? von Rachel GibsonKapitel 1
Das leuchtend weiße Neonschild über der Mort’s bar flimmerte und lockte die durstigen Bewohner der Kleinstadt Truly, Idaho, in scharen an wie eine Insektenlampe. aber das Mort’s war mehr als nur eine beliebte Kneipe. Mehr als nur ein ort, an dem man kaltes coors trinken und sich freitagabends in eine Schlägerei verwickeln lassen konnte. Das Mort’s war eine Institution, ähnlich wie die Alamo Autovermietung. Während andere Geschäfte kamen und gingen, war das Mort’s stets dasselbe geblieben.
bis vor etwa einem Jahr, als der neue Besitzer den laden mit eimerweise Farbe und Desinfektionsmittel auf Vordermann gebracht und ein striktes Slipwerfverbot eingeführt hatte. bis dahin war das Zielen mit Damenhöschen auf die Geweihreihe über der Theke gefördert worden wie eine neue Wettkampfdisziplin. Wenn eine Frau jetzt den Drang dazu verspürte, wurde sie auf dem nackten Arsch hinausgeschleift.
ach, die guten alten Zeiten.
Völlig immun gegen die unterschwellige Verlockung, die das licht durch die heraufziehende Dunkelheit aussandte, stand Maddie Jones vor dem Mort’s auf dem Bürgersteig und sah zu dem Leuchtschild auf. Gedämpftes Gemurmel und Musik drangen durch die Risse des alten Gebäudes zwischen »Ace Haushaltswaren« und dem »Panda Restaurant«.
ein Pärchen in Jeans und Tanktops drängelte sich an Maddie vorbei. Die Tür öffnete sich, und stimmengewirr und das unverkennbare Banjo-Geklimper von Countrymusik strömten auf die Main Street. Als sich die Tür wieder schloss, stand Maddie immer noch draußen. Sie rückte ihren Handtaschengurt auf der Schulter zurecht und zog den Reißverschluss ihres dicken blauen Pullovers hoch. Da sie vor neunundzwanzig Jahren aus Truly weggezogen war, hatte sie
... mehr
vergessen, wie kalt es hier nachts wurde. sogar im Juli.
Sie machte Anstalten, die alte Tür zu öffnen, und ließ die Hand wieder sinken. Eine plötzliche Beklommenheit ließ ihr die Haare im Nacken zu berge stehen und verursachte bei ihr Übelkeit. Dabei hatte sie das schon Dutzende Male getan. Warum also diese Beklommenheit? Wieso jetzt auf einmal?, fragte sie sich, obwohl sie die Antwort kannte. Weil es sie diesmal persönlich betraf, und sobald sie die Tür geöffnet und den ersten schritt gewagt hatte, gab es kein Zurück mehr.
Wenn ihre Freundinnen sie jetzt sehen könnten, wie sie dort stand, als seien ihre Füße einzementiert, wären sie schockiert. Immerhin hatte sie schon Serienkiller und kaltblütige Mörder interviewt. Doch Spinner mit asozialen Persönlichkeitsstörungen auszufragen war ein Klacks gegen das, was sie in der Mort’s bar erwartete. hinter dem »Kein ZUTRiTT UnTeR 21«-Schild wartete ihre Vergangenheit, und wie sie in letzter Zeit hatte feststellen müssen, war es viel leichter, in der Vergangenheit anderer zu wühlen als in der eigenen.
»Es hilft ja doch nichts«, murmelte sie unwirsch vor sich hin und griff nach der Türklinke. Sie ärgerte sich über ihre Feigheit, besann sich aber auf ihren eisernen Willen, der ihr ein wenig die Angst nahm. Es würde nichts passieren, was sie nicht wollte. Sie hatte alles unter Kontrolle. Wie immer.
Als sie eintrat, schlugen ihr der dumpfe Beat der Jukebox und der Gestank von Bier und Tabak entgegen. Die Tür schloss sich hinter ihr, und sie blieb stehen, bis sich ihre Augen an das schummerige Licht gewöhnten. Das Mort’s war bloß eine Bar. Wie tausend andere in den Staaten auch, in denen sie schon gewesen war. Nichts besonderes, nicht einmal das Aufgebot an Geweihen, die über der langen Mahagonitheke hingen, fiel aus dem Rahmen.
Maddie mochte keine Bars. Erst recht keine Cowboybars. Den Zigarettenqualm, das Countrygedudel, die Biersauferei. Aus Cowboys machte sie sich auch nicht viel. Eine gut sitzende Wrangler an einem knackigen Cowboyhintern konnte die albernen Stiefel, die protzigen Gürtelschnallen und die ekligen Kautabakklümpchen nicht ganz wettmachen. Sie stand auf Männer mit Anzügen und italienischen Lederschuhen. Nicht, dass sie in den letzten vier Jahren einen Mann gehabt hätte. Oder auch nur ein Date.
Während sie sich zum Einzigen leeren Barhocker mitten an der langen Mahagonitheke durchkämpfte, ließ sie den Blick über die Menschenmenge schweifen. Sie registrierte Cowboyhüte und Truckercaps, diverse Bürstenschnitte und ein oder zwei Vokuhilas. Ihr fielen Pferdeschwänze auf, schulterlange Pagenköpfe und ein paar der schlimmsten Dauerwellen und nach außen geföhnten Ponys, die die Achtzigerjahre überstanden hatten. Was sie jedoch nicht sah, war der Mensch, nach dem sie Ausschau hielt, auch wenn sie nicht damit rechnete, ihn irgendwo an einem Tisch hocken zu sehen.
Sie zwängte sich zwischen einen Mann im blauen T-Shirt und eine Frau mit chemisch überstrapaziertem Haar auf den Barhocker. Hinter der Registrierkasse und den Spirituosen verlief ein Spiegel, so lang wie die Theke selbst, an der zwei Barkeeper Bier zapften und Drinks mixten. Keiner davon war der Besitzer dieses tollen Lokals.
»Die Kleine stand auf ac/Dc, wenn ihr wisst, was ich meine«, prahlte der Mann links von ihr, und Maddie nahm an, dass er nicht über Back in Black oder Highway to Hell sprach. besagter Typ war um die sechzig und hatte eine verbeulte Truckercap auf und einen bierbauch wie ein Dreißigliterfass. im spiegel beobachtete Maddie, wie die Männer, die neben ihm aufgereiht saßen, nickten und dem bierbauchtypen wie gebannt lauschten.
einer der barkeeper legte ihr eine serviette hin und erkundigte sich nach ihren Wünschen. er sah aus, als wäre er erst neunzehn, obwohl er mindestens einundzwanzig sein musste. alt genug, um in dem sumpf aus Tabakqualm und knietiefer scheiße alkohol auszuschenken.
»saphir Martini. extra trocken, mit drei oliven«, sagte sie und überschlug im Kopf den Kohlehydratgehalt der oliven. sie zog ihre handtasche auf den schoß und sah zu, wie der barkeeper sich umdrehte und nach den Flaschen mit Gin und Wermut griff.
»ich hab der Kleinen gesagt, sie kann ihre Freundin ruhig behalten, wenn sie sie ab und zu mal mitbringt«, fügte der Typ zu ihrer linken hinzu.
»Recht haste!«
»Geile nummer!«
andererseits war sie hier in einem Provinznest in idaho,
wo gelegentlich über nichtigkeiten wie alkoholgesetze hinweggesehen wurde und manche leute eine brillante lügengeschichte für ein eigenständiges literaturgenre hielten.
Maddie verdrehte die augen und biss sich auf die lippe, um ihre Kommentare für sich zu behalten. sie hatte die angewohnheit, kein blatt vor den Mund zu nehmen, was sie nicht unbedingt für eine schlechte angewohnheit hielt, aber sie stieß damit nicht immer auf Gegenliebe.
sie ließ den blick im spiegel an der Theke auf und ab schweifen, auch wenn sie es nicht für wahrscheinlicher hielt, den eigentümer auf einem barhocker zu entdecken als an einem Tisch. als sie in der anderen Kneipe in der stadt angerufen hatte, die ihm gehörte, hatte sie die auskunft erhalten, dass er heute abend hier wäre, und so nahm sie an, dass er hinten im büro saß und die buchhaltung prüfte. oder, wenn er wie sein Vater war, den innenschenkel einer bardame.
»ich bezahle grundsätzlich alles«, jammerte die Frau, die Maddie gegenübersaß, ihrer Freundin vor. »ich hab mir sogar selbst eine Geburtstagskarte gekauft und sie von J. W. unterschreiben lassen, weil ich dachte, dass er sich dann schlecht fühlt und den Wink mit dem Zaunpfahl versteht.«
»Meine Güte.« Maddie konnte sich den stoßseufzer nicht verkneifen und sah sich die Frau genauer an. Zwischen Flaschen mit absolut- und skyy-Wodka konnte sie eine blonde löwenmähne, rundliche schultern und große brüste ausmachen, die aus einem roten, mit strass verzierten Tanktop quollen.
»aber er hat sich überhaupt nicht schlecht gefühlt, sondern sich nur beschwert, dass er so kitschige Karten nicht ausstehen kann!« sie nippte an ihrem mit einem schirmchen
verzierten Glas. »Wenn seine Mutter nächstes Wochenende verreist, soll ich abends vorbeikommen und für ihn kochen.« sie wischte sich schniefend die feuchten augen. »ich überlege, ob ich mich weigern soll.«
Maddies augenbrauen zogen sich zusammen, und im nu war ihr ein »Willst du mich verarschen?« rausgerutscht.
»Wie bitte?«, fragte der barkeeper, der ihr gerade den Drink hinstellte.
sie schüttelte den Kopf. »nichts.« Während sie in ihre handtasche griff und ihr Getränk bezahlte, hämmerte ein song über einen honky Tonk badonkadonk, was zum Teufel das auch sein mochte, aus der leuchtenden neon-Jukebox und verschmolz mit dem steten stimmengemurmel.
Maddie schob ihren Pulloverärmel hoch und griff nach dem Martini. Während sie das Glas zum Mund führte, schaute sie auf die leuchtzeiger ihrer armbanduhr. neun. Früher oder später musste sich der Kneipenbesitzer ja blicken lassen. Und wenn nicht, war morgen auch noch ein Tag. sie trank einen schluck, und die Gin-Wermut-Mischung wärmte ihren Magen.
aber sie hoffte schwer, dass er sich eher früher als später blicken ließ. bevor sie zu viele Martinis intus hatte und vergaß, warum sie hier auf dem barhocker saß und liebesbedürftige passiv-aggressive Tussis und größenwahnsinnige Kerle belauschte. auch wenn leute zu belauschen, deren leben noch bedauernswerter war als ihr eigenes, manchmal höchst amüsant sein konnte.
sie stellte ihr Glas wieder auf die Theke. lauschen war nicht ihre erste Wahl. normalerweise bevorzugte sie die direkte herangehensweise: im leben anderer herumzuwühlen
und ohne viel Federlesens ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse zu ergründen. Manche leute gaben ihre Geheimnisse widerstandslos preis und erzählten bereitwillig alles. andere zwangen sie, tief zu graben, sie herauszuschütteln oder mit den Wurzeln auszureißen. ihre arbeit war manchmal schmutzig und immer hart, doch sie schrieb für ihr leben gern über serienkiller, Massenmörder und ganz normale, durchschnittliche Psychopathen.
Mit irgendwas musste man sich schließlich hervortun, und Maddie, die unter dem Pseudonym Madeline Dupree schrieb, war eine der besten True-crime-autorinnen. sie schrieb über Morde und andere blutbäder. Über Perverse und Gestörte, und es gab Menschen, darunter auch ihre Freundinnen, die glaubten, dass ihre arbeit sie negativ beeinflusste. sie fand eher, dass sie zu ihrem charme beitrug.
Die Wahrheit lang irgendwo dazwischen. Was sie gesehen und worüber sie geschrieben hatte, beeinflusste sie sehr wohl. Ungeachtet der barriere, die sie zwischen ihrer geistigen Gesundheit und den Menschen errichtete, die sie befragte und erforschte, sickerte deren abartigkeit manchmal durch die Ritzen und hinterließ an ihr einen schwarzen, klebrigen Film, den man verdammt schlecht wieder abschrubben konnte.
Durch ihre arbeit sah sie die Welt mit anderen augen als diejenigen, die noch nie einem serienmörder gegenübergesessen hatten, während er sich an der nacherzählung seiner »arbeit« aufgeilte. Doch genau diese erlebnisse machten sie auch zu einer starken Frau, die sich von niemandem etwas bieten ließ. sie ließ sich nur selten einschüchtern und machte sich über die Menschheit keinerlei illusionen. Vom Kopf her
wusste sie, dass die meisten Menschen anständig waren. Dass sie, wenn sie die Wahl hatten, das Richtige taten, aber sie wusste auch von den anderen. Von den fünfzehn Prozent, die nur an ihrem eigenen selbstsüchtigen und abartigen Vergnügen interessiert waren. Dabei waren nur etwa zwei von diesen fünfzehn Prozent serienmörder. Die anderen gesellschaftlich devianten Menschen waren ganz normale Vergewaltiger, Mörder, schlägertypen und Firmenmanager, die heimlich die altersvorsorgekonten ihrer angestellten plünderten.
aber wenn etwas so sicher war wie das amen in der Kirche, dann, dass jeder seine Geheimnisse hatte. sie selbst hatte auch ein paar. sie ließ sich nur weniger in die Karten schauen als die meisten Menschen.
sie führte ihr Glas an die lippen, und ihre aufmerksamkeit wurde auf den hinteren Teil der bar gelenkt. eine Tür ging auf, und ein Mann in einem schwarzen T-shirt trat aus dem beleuchteten Gang in die dunkle Kneipe.
Maddie kannte ihn. schon bevor er aus der Finsternis trat. noch bevor die Dunkelheit über seine kräftige brust und die breiten schultern glitt. bevor das licht über sein Kinn und seine nase schweifte und in seinem haar leuchtete, das so schwarz war wie die nacht, aus der er gekommen war.
er trat hinter die Theke, schlang sich eine rote barschürze um die hüften und schnürte die bänder über seinem hosenstall zu. sie hatte ihn nie getroffen. War noch nie mit ihm im selben Raum gewesen, aber sie wusste, dass er fünfunddreißig war, ein Jahr älter als sie. Dass er 1,88 Meter groß war und 86 Kilo wog. er hatte zwölf Jahre in der armee gedient, wo er helikopter geflogen und hellfire-Missiles hatte niederregnen lassen. er war nach seinem Vater lochlyn Michael
hennessy benannt worden, wurde aber Mick gerufen. Wie sein Vater war er ein unverschämt gut aussehender Mann. so gut aussehend, dass er den Frauen die Köpfe verdrehte, ihren herzschlag aussetzen ließ und sie auf unanständige Gedanken brachte. auf Gedanken an heiße Küsse, geschickte hände und verrutschte Klamotten. an den hauch warmen atems an ihrem gewölbten hals und die Vereinigung von schwitzenden Körpern auf dem autorücksitz.
nicht, dass Maddie für solche Gedanken empfänglich wäre.
er hatte eine ältere schwester, Meg, und besaß hier in der stadt zwei Kneipen: das Mort’s und das hennessy’s. letztere war schon länger in Familienbesitz, als er auf der Welt war. Das hennessy’s, die bar, in der Maddies Mutter gearbeitet hatte. Wo sie loch hennessy kennengelernt hatte und wo sie gestorben war.
als hätte er ihren blick gespürt, sah er von den schürzenbändern auf. Wenige Meter von Maddie entfernt blieb er stehen, und ihre blicke trafen sich. Prompt verschluckte sie sich an dem Gin, der ihr im halse stecken blieb. Von seinem Führerscheinfoto wusste sie, dass er blaue augen hatte, doch in natura war es eher ein tiefes Türkis. Wie das Karibische Meer, und ihn ihren blick erwidern zu sehen war ein schock für sie. sie ließ das Glas sinken und hielt sich die hand vor den Mund.
Die letzten Klänge des honky-Tonk-songs erstarben, während er sich die schürze fertig zuband und näher trat, bis sie nur noch wenige Meter Mahagoniholz voneinander trennten. »Geht’s wieder?« seine tiefe stimme durchdrang den lärm um sie herum.
sie schluckte und hustete ein letztes Mal. »ich glaube schon.«
»hallo, Mick«, rief ihm die blondine auf dem nachbarhocker zu.
»hallo, Darla. Wie läuft’s denn so?«
»Könnte besser sein.«
»ist das nicht immer so?«, fragte er mit einem blick auf die Frau. »hast du vor, dich heute anständig zu benehmen?«
»Du kennst mich doch.« Darla lachte aufreizend. »Vor hab ich das immer. aber ich lass mich gern zu Unanständigkeiten überreden.«
»Deinen slip behältst du heute aber an, ja?«, entgegnete er und zog süffisant eine dunkle augenbaue hoch.
»bei mir weiß man nie.« sie beugte sich vertraulich vor. »ich bin unberechenbar. Manchmal stell ich verrückte sachen an.«
Nur manchmal? sich selbst eine Geburtstagskarte zu kaufen, um sie vom eigenen Freund unterschreiben zu lassen, deutete auf eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung hin, die schon an völlig durchgeknallt grenzte.
»behalt einfach nur deinen slip an, damit ich dich nicht wieder auf dem nackten hintern rausschleifen muss.«
Wieder? War das schon mal passiert? hastig trank Maddie einen schluck und ließ den blick über Darlas beachtliches hinterteil gleiten, das in eine Wrangler-Jeans gequetscht war.
»ich wette, das würdet ihr alle gern sehen!«, flötete Darla und warf affektiert ihr haar nach hinten.
Zum zweiten Mal am abend verschluckte sich Maddie an ihrem cocktail.
Micks tiefes lachen zog Maddies aufmerksamkeit auf das belustigte blitzen in seinen erstaunlich blauen augen. »brauchen sie ein Glas Wasser, schätzchen?«, fragte er besorgt.
sie schüttelte den Kopf und räusperte sich.
»ist der Drink zu stark?«
»nein. alles in ordnung.« sie hustete ein letztes Mal und stellte ihr Glas auf der Theke ab. »ich hatte nur gerade eine horrorvision.«
sein Mund verzog sich zu einem wissenden lächeln, und es zeigten sich seine Wangengrübchen. »ich habe sie hier noch nie gesehen. sind sie auf der Durchreise?«
energisch verdrängte sie das bild von Darlas fettem nacktem arsch aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf den Grund, warum sie hier im Mort’s saß. sie hatte damit gerechnet, Mick auf anhieb nicht leiden zu können. Fehlanzeige. »nein. ich habe draußen in der Red squirrel Road ein haus gekauft.«
»schöne Gegend. Direkt am seeufer?«
»Ja.« sie fragte sich, ob Mick mit dem aussehen auch den charme seines Vaters geerbt hatte. nach allem, was Maddie über loch hennessy hatte in erfahrung bringen können, hatte er die Frauen mit wenig mehr als einem blick in ihre Richtung ins bett gekriegt. ihre Mutter war seinem charme jedenfalls gnadenlos verfallen.
»Dann verbringen sie den sommer hier?«
»Ja.«
er legte den Kopf schief und musterte ihr Gesicht. sein blick glitt von ihren augen zu ihrem Mund und verweilte mehrere herzschläge dort, bevor er wieder aufsah. »Wie heißen sie, Rehauge?«
»Maddie«, antwortete sie und hielt den atem an, während sie darauf wartete, dass er sie mit der Vergangenheit in Verbindung brachte. Mit seiner Vergangenheit.
»nur Maddie?«
»Dupree«, antwortete sie und benutzte ihr Pseudonym.
am ende der Theke rief jemand nach ihm, und er schaute kurz hin, bevor er seine aufmerksamkeit wieder auf sie richtete. Dann schenkte er ihr ein ungezwungenes lächeln. eins von denen, die seine Grübchen zum Vorschein brachten und sein männliches Gesicht weicher machten. er wusste nicht, wer sie war. »ich bin Mick hennessy.« Die Musik setzte wieder ein, und er sagte: »Willkommen in Truly. Vielleicht sehen wir uns ja noch.«
sie schaute ihm nach, wie er ging, ohne dass sie ihm den Grund gesagt hatte, warum sie in der stadt war und in seiner Kneipe saß. Dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige ort, aber irgendwann musste es sein. er wusste es noch nicht, aber Mick hennessy würde sie noch oft zu Gesicht bekommen. Und beim nächsten Mal wäre er vielleicht nicht so freundlich.
Der lärm und der Gestank in der bar wurden ihr zu viel, und sie schlang ihre handtasche über die schulter, rutschte vom barhocker und bahnte sich einen Weg durch die schwach beleuchtete Menschenmenge. an der Tür warf sie noch einen blick zurück zu Mick. Unter der Thekenbeleuchtung legte er den Kopf leicht in den nacken und lächelte. sie hielt inne, und ihr Griff um die Türklinke verstärkte sich, als er sich umdrehte und aus der Zapfanlage ein bier zapfte.
Während sie dort stand und die Jukebox irgendwas mit Whiskey für Männer und bier für Pferde dudelte, registrier
te sie seine dunklen haare und seine breiten schultern. er drehte sich um und stellte das volle Glas auf die Theke. Während sie ihn beobachtete, lachte er über irgendwas, und bis zu diesem Moment hatte Maddie keine richtige Vorstellung von Mick hennessy gehabt; mit einem so lebendigen und fröhlichen Mann hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.
Durch die dunkle bar und den Zigarettendunst landete sein blick auf ihr. sie konnte fast spüren, wie er quer durch den Raum schweifte und sie berührte, was natürlich reine illusion war. Da sie im verdunkelten eingang stand, war es fast unmöglich, sie in der Menschenmenge auszumachen. sie öffnete die Tür und trat an die kühle abendluft. Während ihres Kneipenbesuchs hatte sich die nacht über Truly gesenkt wie ein schwerer schwarzer Vorhang und wurde nur gelegentlich von ein paar beleuchteten ladenschildern und einer straßenlaterne erhellt.
ihr schwarzer Mercedes parkte auf der anderen straßenseite vor »Tinas herrenunterwäsche« und der »Rock hound Kunstgalerie«. sie ließ einen gelben hummer vorbeifahren, bevor sie aus dem schein des neonschilds über dem Mort’s auf die straße trat.
als sie sich dem Wagen näherte, öffnete sie ihre handtasche, griff in das kühle lederinterieur, zog den Transponderschlüssel heraus und entriegelte damit die Fahrertür. normalerweise war sie nicht materialistisch eingestellt. sie machte sich nichts aus Klamotten oder schuhen. Da ihre Unterwäsche in letzter Zeit sowieso niemand mehr zu Gesicht bekam, war ihr gleichgültig, ob ihr bh zu ihrem slip passte, und teuren schmuck besaß sie auch nicht. Vor dem Mercedeskauf vor zwei Monaten hatte Maddie mit ihrem
nissan sentra über dreihundertzwanzigtausend Kilometer zurückgelegt. sie hatte ein neues Fahrzeug gebraucht und sich gerade einen Volvo sUV angesehen, als sie sich umgedreht und den schwarzen Mercedes s 600 gesehen hatte. Die showroom-beleuchtung hatte auf den Wagen herabgestrahlt wie ein Fingerzeig Gottes, und sie hätte schwören können, eine engelschar halleluja singen zu hören wie der Mormon Tabernacle choir. sollte sie etwa eine botschaft des herrn ignorieren? Und so fuhr sie den Wagen, nur wenige stunden nachdem sie das autohaus betreten hatte, aus dem showroom in die Garage ihres hauses in boise.
sie drückte auf den startknopf der Gangschaltung und warf die scheinwerfer an. Die cD in ihrer stereoanlage erfüllte den Mercedes mit Warren Zevons Excitable Boy. sie fuhr an und wendete mitten auf der hauptstraße. Warren Zevons Texte hatten etwas brillantes und zugleich Verstörendes. als würde man in das Gehirn eines Menschen blicken, der auf der Grenzlinie zwischen Wahnsinn und normalität stand und ab und zu eine schuhspitze hinüberschob. Mit der Grenzlinie spielte, sie austestete und dann einen Rückzieher machte, kurz bevor er dem Wahnsinn anheimfiel. in Maddies beruf gab es nicht viele, die noch rechtzeitig zurücktraten.
Die Mercedesscheinwerfer schnitten durch die tintenschwarze nacht, als sie an der einzigen Verkehrsampel der stadt nach links abbog. ihr allererstes eigenes auto war ein so ramponierter Volkswagen Rabbit gewesen, dass die sitze mit Klebeband zusammengehalten werden mussten. seitdem hatte sie es weit gebracht. Von dem Roundup-Wohnwagenplatz, auf dem sie mit ihrer Mutter gelebt hatte, und
dem engen kleinen haus in boise, wo sie bei ihrer Großtante Martha aufwuchs, war es ein weiter Weg gewesen.
Martha hatte bis zu ihrer Pensionierung als Verkäuferin im Rexall Drugstore gearbeitet, und die beiden hatten von ihrem bescheidenen Gehalt und von Maddies sozialhilfe gelebt. obwohl das Geld immer knapp gewesen war, hatte Martha sich stets ein halbes Dutzend Katzen gehalten. Das haus hatte immer nach Friskies und Katzenklos gestunken, sodass Maddie die Viecher bis zum heutigen Tage verabscheute. außer vielleicht schnucki, den Kater ihrer guten Freundin lucy. schnucki war cool. Für einen stubentiger.
sie fuhr anderthalb Kilometer ums östliche seeufer, bevor sie in ihre von dicken, hochgewachsenen Kiefern gesäumte einfahrt bog und vor dem einstöckigen haus hielt, das sie vor wenigen Monaten gekauft hatte. sie wusste noch nicht, wie lange sie es behalten würde. ein Jahr. Vielleicht drei. oder fünf. sie hatte lieber eigentum erworben, als zur Miete zu wohnen, und betrachtete es als Geldanlage. immobilien in der Gegend um Truly waren heiß begehrt, und falls sie das haus verkaufen sollte, würde dabei ein hübscher Profit herausspringen.
Maddie schaltete die scheinwerfer des Mercedes aus, und Dunkelheit umgab sie. sie ignorierte das unheimliche Gefühl, als sie aus dem Wagen stieg und über die Treppe die Rundumveranda erklomm, die mit zahlreichen 60-Watt-Glühbirnen erhellt war. sie hatte vor nichts angst. schon gar nicht vor der Dunkelheit, doch sie wusste, dass Frauen, die nicht so wachsam und vorsichtig waren wie sie, durchaus schlimme sachen passierten. Frauen, die in ihren Umhängetaschen kein kleines arsenal aus selbstverteidigungs
utensilien mit sich herumschleppten. einen elektroschocker, Pfefferspray, einen handtaschenalarm und schlagringe, um nur ein paar zu nennen. als Frau konnte man nicht vorsichtig genug sein, besonders nachts in einem Provinznest, wo man die hand nicht vor augen sehen konnte. in einer stadt mitten im dichten Wald, wo wild lebende Tiere in den bäumen und im Unterholz raschelten. Wo nagetiere mit Knopfaugen nur darauf warteten, bis man ins bett ging, um über die speisekammer herzufallen. Maddie hatte zwar noch keine ihrer selbstverteidigungswaffen einsetzen müssen, doch in letzter Zeit hatte sie sich gefragt, ob sie als schützin gut genug war, um mit ihrer elektroschockpistole eine plündernde Maus außer Gefecht zu setzen.
im haus brannten die lichter, als Maddie die waldgrüne Tür aufschloss, eintrat und hinter sich zuriegelte. Zum Glück huschte nichts aus den ecken, als sie ihre handtasche auf einen roten samtsessel an der Tür pfefferte. ein Riesenkamin dominierte die Mitte des großen Wohnzimmers und trennte es von dem Raum ab, der zwar als esszimmer gedacht war, von Maddie aber als büro genutzt wurde.
auf einem couchtisch vor dem samtsofa standen Maddies Rechercheordner und ein 13 x 18 Zentimeter großes altes Foto in einem silberrahmen. sie griff nach dem bild und betrachtete das Gesicht ihrer Mutter, ihr blondes haar, ihre blauen augen und ihr breites lächeln. Die aufnahme war wenige Monate vor alice Jones’ Tod gemacht worden. eine glückliche Vierundzwanzigjährige, strahlend und voller leben, und wie das vergilbte Foto in dem teuren Rahmen waren auch die meisten erinnerungen von Maddie verblasst. sie erinnerte sich noch bruchstückhaft an dieses und sche
menhaft an jenes. sie hatte eine schwache erinnerung daran, wie sie ihrer Mutter beim schminken und Kämmen zusah, bevor sie zur arbeit ging. sie erinnerte sich an ihren alten blauen samsonite-Koffer und dass sie von einem ort zum anderen gezogen waren. Durch das schwache Prisma von neunundzwanzig Jahren hatte sie eine sehr vage erinnerung an das letzte Mal, als ihre Mutter ihren chevy Maverick beladen hatte, und an die zweistündige autofahrt nach Truly. an den einzug in ihren Wohnwagen mit orangefarbenem Florteppich.
Die deutlichste erinnerung, die Maddie an ihre Mutter hatte, war der Geruch ihrer haut. sie hatte nach Mandellotion geduftet. Doch hauptsächlich erinnerte sie sich an den Morgen, als ihre Großtante zum Wohnwagenplatz gekommen war, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter tot war.
Maddie stellte das Foto wieder auf den Tisch und lief über den Parkettboden in die Küche. sie schnappte sich eine cola light aus dem Kühlschrank und drehte den Verschluss auf. Martha hatte immer gesagt, dass alice flatterhaft war. Wie ein schmetterling von einem ort zum anderen flog, von einem Mann zum anderen, auf der suche nach einem ort, an den sie gehörte, und nach der liebe. Für gewisse Zeit beides fand, bevor sie zum nächsten ort oder zum nächsten Mann weiterschwirrte.
Maddie trank aus der Flasche und schraubte den Verschluss wieder zu. sie war ganz anders als ihre Mutter. sie wusste, wo sie hingehörte. sie fühlte sich wohl mit dem, was sie war, und brauchte mit sicherheit keinen Mann, der sie liebte. eigentlich war sie noch nie verliebt gewesen. hatte keine romantische liebesgeschichte erlebt, wie ihre gute
Freundin clare sie von berufs wegen erfand. Und auch keine törichte amour fou, die das leben ihrer Mutter beherrscht und sie letztlich das leben gekostet hatte.
nein, an der Liebe eines Mannes war Maddie nicht interessiert. sein Körper war schon eine andere Geschichte, und einen Fuck buddy hätte sie durchaus gern gehabt. einen Mann, der mehrmals in der Woche vorbeikam, um mit ihr zu schlafen. er brauchte kein toller Gesprächspartner zu sein. Verdammt, er musste sie nicht mal zum essen ausführen. ihr idealer Mann würde einfach mit ihr ins bett gehen und wieder verschwinden. Doch bei der suche nach Mister Perfect gab es zwei Probleme. erstens war jeder Typ, der nur sex von einer Frau wollte, höchstwahrscheinlich ein arsch. Und zweitens war es schwierig, einen willigen Kandidaten zu finden, der echt gut im bett war und es sich nicht nur einbildete. Die zeitaufwändige Prozedur, Männer daraufhin abzuchecken, war ihr irgendwann so lästig geworden, dass sie es vor vier Jahren aufgegeben hatte.
sie ließ die colaflasche zwischen zwei Fingern baumeln und verließ die Küche. ihre Flipflops klatschten an ihre Fußsohlen, während sie das Wohnzimmer durchquerte und am Kamin vorbei in ihr büro schlenderte. ihr laptop stand auf einem l-förmigen schreibtisch, der an die Wand geschoben war, und sie knipste die lampe an, die an ihrem Regal befestigt war. Zwei sechzig-Watt-birnen erhellten einen stapel Tagebücher, den laptop und ihre »Unschlagbar«-Klebezettel. insgesamt lagen dort zehn Tagebücher in den verschiedensten ausführungen und Farben. Rote. blaue. Pinke. Zwei hatten schlösser, während ein weiteres nur ein gelber spiralnotizblock war, auf den mit schwarzem Marker das
Wort »Tagebuch« geschrieben worden war. sie hatten allesamt ihrer Mutter gehört.
Übersetzung: Antje Althans
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House Gmbh
Sie machte Anstalten, die alte Tür zu öffnen, und ließ die Hand wieder sinken. Eine plötzliche Beklommenheit ließ ihr die Haare im Nacken zu berge stehen und verursachte bei ihr Übelkeit. Dabei hatte sie das schon Dutzende Male getan. Warum also diese Beklommenheit? Wieso jetzt auf einmal?, fragte sie sich, obwohl sie die Antwort kannte. Weil es sie diesmal persönlich betraf, und sobald sie die Tür geöffnet und den ersten schritt gewagt hatte, gab es kein Zurück mehr.
Wenn ihre Freundinnen sie jetzt sehen könnten, wie sie dort stand, als seien ihre Füße einzementiert, wären sie schockiert. Immerhin hatte sie schon Serienkiller und kaltblütige Mörder interviewt. Doch Spinner mit asozialen Persönlichkeitsstörungen auszufragen war ein Klacks gegen das, was sie in der Mort’s bar erwartete. hinter dem »Kein ZUTRiTT UnTeR 21«-Schild wartete ihre Vergangenheit, und wie sie in letzter Zeit hatte feststellen müssen, war es viel leichter, in der Vergangenheit anderer zu wühlen als in der eigenen.
»Es hilft ja doch nichts«, murmelte sie unwirsch vor sich hin und griff nach der Türklinke. Sie ärgerte sich über ihre Feigheit, besann sich aber auf ihren eisernen Willen, der ihr ein wenig die Angst nahm. Es würde nichts passieren, was sie nicht wollte. Sie hatte alles unter Kontrolle. Wie immer.
Als sie eintrat, schlugen ihr der dumpfe Beat der Jukebox und der Gestank von Bier und Tabak entgegen. Die Tür schloss sich hinter ihr, und sie blieb stehen, bis sich ihre Augen an das schummerige Licht gewöhnten. Das Mort’s war bloß eine Bar. Wie tausend andere in den Staaten auch, in denen sie schon gewesen war. Nichts besonderes, nicht einmal das Aufgebot an Geweihen, die über der langen Mahagonitheke hingen, fiel aus dem Rahmen.
Maddie mochte keine Bars. Erst recht keine Cowboybars. Den Zigarettenqualm, das Countrygedudel, die Biersauferei. Aus Cowboys machte sie sich auch nicht viel. Eine gut sitzende Wrangler an einem knackigen Cowboyhintern konnte die albernen Stiefel, die protzigen Gürtelschnallen und die ekligen Kautabakklümpchen nicht ganz wettmachen. Sie stand auf Männer mit Anzügen und italienischen Lederschuhen. Nicht, dass sie in den letzten vier Jahren einen Mann gehabt hätte. Oder auch nur ein Date.
Während sie sich zum Einzigen leeren Barhocker mitten an der langen Mahagonitheke durchkämpfte, ließ sie den Blick über die Menschenmenge schweifen. Sie registrierte Cowboyhüte und Truckercaps, diverse Bürstenschnitte und ein oder zwei Vokuhilas. Ihr fielen Pferdeschwänze auf, schulterlange Pagenköpfe und ein paar der schlimmsten Dauerwellen und nach außen geföhnten Ponys, die die Achtzigerjahre überstanden hatten. Was sie jedoch nicht sah, war der Mensch, nach dem sie Ausschau hielt, auch wenn sie nicht damit rechnete, ihn irgendwo an einem Tisch hocken zu sehen.
Sie zwängte sich zwischen einen Mann im blauen T-Shirt und eine Frau mit chemisch überstrapaziertem Haar auf den Barhocker. Hinter der Registrierkasse und den Spirituosen verlief ein Spiegel, so lang wie die Theke selbst, an der zwei Barkeeper Bier zapften und Drinks mixten. Keiner davon war der Besitzer dieses tollen Lokals.
»Die Kleine stand auf ac/Dc, wenn ihr wisst, was ich meine«, prahlte der Mann links von ihr, und Maddie nahm an, dass er nicht über Back in Black oder Highway to Hell sprach. besagter Typ war um die sechzig und hatte eine verbeulte Truckercap auf und einen bierbauch wie ein Dreißigliterfass. im spiegel beobachtete Maddie, wie die Männer, die neben ihm aufgereiht saßen, nickten und dem bierbauchtypen wie gebannt lauschten.
einer der barkeeper legte ihr eine serviette hin und erkundigte sich nach ihren Wünschen. er sah aus, als wäre er erst neunzehn, obwohl er mindestens einundzwanzig sein musste. alt genug, um in dem sumpf aus Tabakqualm und knietiefer scheiße alkohol auszuschenken.
»saphir Martini. extra trocken, mit drei oliven«, sagte sie und überschlug im Kopf den Kohlehydratgehalt der oliven. sie zog ihre handtasche auf den schoß und sah zu, wie der barkeeper sich umdrehte und nach den Flaschen mit Gin und Wermut griff.
»ich hab der Kleinen gesagt, sie kann ihre Freundin ruhig behalten, wenn sie sie ab und zu mal mitbringt«, fügte der Typ zu ihrer linken hinzu.
»Recht haste!«
»Geile nummer!«
andererseits war sie hier in einem Provinznest in idaho,
wo gelegentlich über nichtigkeiten wie alkoholgesetze hinweggesehen wurde und manche leute eine brillante lügengeschichte für ein eigenständiges literaturgenre hielten.
Maddie verdrehte die augen und biss sich auf die lippe, um ihre Kommentare für sich zu behalten. sie hatte die angewohnheit, kein blatt vor den Mund zu nehmen, was sie nicht unbedingt für eine schlechte angewohnheit hielt, aber sie stieß damit nicht immer auf Gegenliebe.
sie ließ den blick im spiegel an der Theke auf und ab schweifen, auch wenn sie es nicht für wahrscheinlicher hielt, den eigentümer auf einem barhocker zu entdecken als an einem Tisch. als sie in der anderen Kneipe in der stadt angerufen hatte, die ihm gehörte, hatte sie die auskunft erhalten, dass er heute abend hier wäre, und so nahm sie an, dass er hinten im büro saß und die buchhaltung prüfte. oder, wenn er wie sein Vater war, den innenschenkel einer bardame.
»ich bezahle grundsätzlich alles«, jammerte die Frau, die Maddie gegenübersaß, ihrer Freundin vor. »ich hab mir sogar selbst eine Geburtstagskarte gekauft und sie von J. W. unterschreiben lassen, weil ich dachte, dass er sich dann schlecht fühlt und den Wink mit dem Zaunpfahl versteht.«
»Meine Güte.« Maddie konnte sich den stoßseufzer nicht verkneifen und sah sich die Frau genauer an. Zwischen Flaschen mit absolut- und skyy-Wodka konnte sie eine blonde löwenmähne, rundliche schultern und große brüste ausmachen, die aus einem roten, mit strass verzierten Tanktop quollen.
»aber er hat sich überhaupt nicht schlecht gefühlt, sondern sich nur beschwert, dass er so kitschige Karten nicht ausstehen kann!« sie nippte an ihrem mit einem schirmchen
verzierten Glas. »Wenn seine Mutter nächstes Wochenende verreist, soll ich abends vorbeikommen und für ihn kochen.« sie wischte sich schniefend die feuchten augen. »ich überlege, ob ich mich weigern soll.«
Maddies augenbrauen zogen sich zusammen, und im nu war ihr ein »Willst du mich verarschen?« rausgerutscht.
»Wie bitte?«, fragte der barkeeper, der ihr gerade den Drink hinstellte.
sie schüttelte den Kopf. »nichts.« Während sie in ihre handtasche griff und ihr Getränk bezahlte, hämmerte ein song über einen honky Tonk badonkadonk, was zum Teufel das auch sein mochte, aus der leuchtenden neon-Jukebox und verschmolz mit dem steten stimmengemurmel.
Maddie schob ihren Pulloverärmel hoch und griff nach dem Martini. Während sie das Glas zum Mund führte, schaute sie auf die leuchtzeiger ihrer armbanduhr. neun. Früher oder später musste sich der Kneipenbesitzer ja blicken lassen. Und wenn nicht, war morgen auch noch ein Tag. sie trank einen schluck, und die Gin-Wermut-Mischung wärmte ihren Magen.
aber sie hoffte schwer, dass er sich eher früher als später blicken ließ. bevor sie zu viele Martinis intus hatte und vergaß, warum sie hier auf dem barhocker saß und liebesbedürftige passiv-aggressive Tussis und größenwahnsinnige Kerle belauschte. auch wenn leute zu belauschen, deren leben noch bedauernswerter war als ihr eigenes, manchmal höchst amüsant sein konnte.
sie stellte ihr Glas wieder auf die Theke. lauschen war nicht ihre erste Wahl. normalerweise bevorzugte sie die direkte herangehensweise: im leben anderer herumzuwühlen
und ohne viel Federlesens ihre schmutzigen kleinen Geheimnisse zu ergründen. Manche leute gaben ihre Geheimnisse widerstandslos preis und erzählten bereitwillig alles. andere zwangen sie, tief zu graben, sie herauszuschütteln oder mit den Wurzeln auszureißen. ihre arbeit war manchmal schmutzig und immer hart, doch sie schrieb für ihr leben gern über serienkiller, Massenmörder und ganz normale, durchschnittliche Psychopathen.
Mit irgendwas musste man sich schließlich hervortun, und Maddie, die unter dem Pseudonym Madeline Dupree schrieb, war eine der besten True-crime-autorinnen. sie schrieb über Morde und andere blutbäder. Über Perverse und Gestörte, und es gab Menschen, darunter auch ihre Freundinnen, die glaubten, dass ihre arbeit sie negativ beeinflusste. sie fand eher, dass sie zu ihrem charme beitrug.
Die Wahrheit lang irgendwo dazwischen. Was sie gesehen und worüber sie geschrieben hatte, beeinflusste sie sehr wohl. Ungeachtet der barriere, die sie zwischen ihrer geistigen Gesundheit und den Menschen errichtete, die sie befragte und erforschte, sickerte deren abartigkeit manchmal durch die Ritzen und hinterließ an ihr einen schwarzen, klebrigen Film, den man verdammt schlecht wieder abschrubben konnte.
Durch ihre arbeit sah sie die Welt mit anderen augen als diejenigen, die noch nie einem serienmörder gegenübergesessen hatten, während er sich an der nacherzählung seiner »arbeit« aufgeilte. Doch genau diese erlebnisse machten sie auch zu einer starken Frau, die sich von niemandem etwas bieten ließ. sie ließ sich nur selten einschüchtern und machte sich über die Menschheit keinerlei illusionen. Vom Kopf her
wusste sie, dass die meisten Menschen anständig waren. Dass sie, wenn sie die Wahl hatten, das Richtige taten, aber sie wusste auch von den anderen. Von den fünfzehn Prozent, die nur an ihrem eigenen selbstsüchtigen und abartigen Vergnügen interessiert waren. Dabei waren nur etwa zwei von diesen fünfzehn Prozent serienmörder. Die anderen gesellschaftlich devianten Menschen waren ganz normale Vergewaltiger, Mörder, schlägertypen und Firmenmanager, die heimlich die altersvorsorgekonten ihrer angestellten plünderten.
aber wenn etwas so sicher war wie das amen in der Kirche, dann, dass jeder seine Geheimnisse hatte. sie selbst hatte auch ein paar. sie ließ sich nur weniger in die Karten schauen als die meisten Menschen.
sie führte ihr Glas an die lippen, und ihre aufmerksamkeit wurde auf den hinteren Teil der bar gelenkt. eine Tür ging auf, und ein Mann in einem schwarzen T-shirt trat aus dem beleuchteten Gang in die dunkle Kneipe.
Maddie kannte ihn. schon bevor er aus der Finsternis trat. noch bevor die Dunkelheit über seine kräftige brust und die breiten schultern glitt. bevor das licht über sein Kinn und seine nase schweifte und in seinem haar leuchtete, das so schwarz war wie die nacht, aus der er gekommen war.
er trat hinter die Theke, schlang sich eine rote barschürze um die hüften und schnürte die bänder über seinem hosenstall zu. sie hatte ihn nie getroffen. War noch nie mit ihm im selben Raum gewesen, aber sie wusste, dass er fünfunddreißig war, ein Jahr älter als sie. Dass er 1,88 Meter groß war und 86 Kilo wog. er hatte zwölf Jahre in der armee gedient, wo er helikopter geflogen und hellfire-Missiles hatte niederregnen lassen. er war nach seinem Vater lochlyn Michael
hennessy benannt worden, wurde aber Mick gerufen. Wie sein Vater war er ein unverschämt gut aussehender Mann. so gut aussehend, dass er den Frauen die Köpfe verdrehte, ihren herzschlag aussetzen ließ und sie auf unanständige Gedanken brachte. auf Gedanken an heiße Küsse, geschickte hände und verrutschte Klamotten. an den hauch warmen atems an ihrem gewölbten hals und die Vereinigung von schwitzenden Körpern auf dem autorücksitz.
nicht, dass Maddie für solche Gedanken empfänglich wäre.
er hatte eine ältere schwester, Meg, und besaß hier in der stadt zwei Kneipen: das Mort’s und das hennessy’s. letztere war schon länger in Familienbesitz, als er auf der Welt war. Das hennessy’s, die bar, in der Maddies Mutter gearbeitet hatte. Wo sie loch hennessy kennengelernt hatte und wo sie gestorben war.
als hätte er ihren blick gespürt, sah er von den schürzenbändern auf. Wenige Meter von Maddie entfernt blieb er stehen, und ihre blicke trafen sich. Prompt verschluckte sie sich an dem Gin, der ihr im halse stecken blieb. Von seinem Führerscheinfoto wusste sie, dass er blaue augen hatte, doch in natura war es eher ein tiefes Türkis. Wie das Karibische Meer, und ihn ihren blick erwidern zu sehen war ein schock für sie. sie ließ das Glas sinken und hielt sich die hand vor den Mund.
Die letzten Klänge des honky-Tonk-songs erstarben, während er sich die schürze fertig zuband und näher trat, bis sie nur noch wenige Meter Mahagoniholz voneinander trennten. »Geht’s wieder?« seine tiefe stimme durchdrang den lärm um sie herum.
sie schluckte und hustete ein letztes Mal. »ich glaube schon.«
»hallo, Mick«, rief ihm die blondine auf dem nachbarhocker zu.
»hallo, Darla. Wie läuft’s denn so?«
»Könnte besser sein.«
»ist das nicht immer so?«, fragte er mit einem blick auf die Frau. »hast du vor, dich heute anständig zu benehmen?«
»Du kennst mich doch.« Darla lachte aufreizend. »Vor hab ich das immer. aber ich lass mich gern zu Unanständigkeiten überreden.«
»Deinen slip behältst du heute aber an, ja?«, entgegnete er und zog süffisant eine dunkle augenbaue hoch.
»bei mir weiß man nie.« sie beugte sich vertraulich vor. »ich bin unberechenbar. Manchmal stell ich verrückte sachen an.«
Nur manchmal? sich selbst eine Geburtstagskarte zu kaufen, um sie vom eigenen Freund unterschreiben zu lassen, deutete auf eine passiv-aggressive Persönlichkeitsstörung hin, die schon an völlig durchgeknallt grenzte.
»behalt einfach nur deinen slip an, damit ich dich nicht wieder auf dem nackten hintern rausschleifen muss.«
Wieder? War das schon mal passiert? hastig trank Maddie einen schluck und ließ den blick über Darlas beachtliches hinterteil gleiten, das in eine Wrangler-Jeans gequetscht war.
»ich wette, das würdet ihr alle gern sehen!«, flötete Darla und warf affektiert ihr haar nach hinten.
Zum zweiten Mal am abend verschluckte sich Maddie an ihrem cocktail.
Micks tiefes lachen zog Maddies aufmerksamkeit auf das belustigte blitzen in seinen erstaunlich blauen augen. »brauchen sie ein Glas Wasser, schätzchen?«, fragte er besorgt.
sie schüttelte den Kopf und räusperte sich.
»ist der Drink zu stark?«
»nein. alles in ordnung.« sie hustete ein letztes Mal und stellte ihr Glas auf der Theke ab. »ich hatte nur gerade eine horrorvision.«
sein Mund verzog sich zu einem wissenden lächeln, und es zeigten sich seine Wangengrübchen. »ich habe sie hier noch nie gesehen. sind sie auf der Durchreise?«
energisch verdrängte sie das bild von Darlas fettem nacktem arsch aus ihrem Kopf und konzentrierte sich auf den Grund, warum sie hier im Mort’s saß. sie hatte damit gerechnet, Mick auf anhieb nicht leiden zu können. Fehlanzeige. »nein. ich habe draußen in der Red squirrel Road ein haus gekauft.«
»schöne Gegend. Direkt am seeufer?«
»Ja.« sie fragte sich, ob Mick mit dem aussehen auch den charme seines Vaters geerbt hatte. nach allem, was Maddie über loch hennessy hatte in erfahrung bringen können, hatte er die Frauen mit wenig mehr als einem blick in ihre Richtung ins bett gekriegt. ihre Mutter war seinem charme jedenfalls gnadenlos verfallen.
»Dann verbringen sie den sommer hier?«
»Ja.«
er legte den Kopf schief und musterte ihr Gesicht. sein blick glitt von ihren augen zu ihrem Mund und verweilte mehrere herzschläge dort, bevor er wieder aufsah. »Wie heißen sie, Rehauge?«
»Maddie«, antwortete sie und hielt den atem an, während sie darauf wartete, dass er sie mit der Vergangenheit in Verbindung brachte. Mit seiner Vergangenheit.
»nur Maddie?«
»Dupree«, antwortete sie und benutzte ihr Pseudonym.
am ende der Theke rief jemand nach ihm, und er schaute kurz hin, bevor er seine aufmerksamkeit wieder auf sie richtete. Dann schenkte er ihr ein ungezwungenes lächeln. eins von denen, die seine Grübchen zum Vorschein brachten und sein männliches Gesicht weicher machten. er wusste nicht, wer sie war. »ich bin Mick hennessy.« Die Musik setzte wieder ein, und er sagte: »Willkommen in Truly. Vielleicht sehen wir uns ja noch.«
sie schaute ihm nach, wie er ging, ohne dass sie ihm den Grund gesagt hatte, warum sie in der stadt war und in seiner Kneipe saß. Dies war weder der richtige Zeitpunkt noch der richtige ort, aber irgendwann musste es sein. er wusste es noch nicht, aber Mick hennessy würde sie noch oft zu Gesicht bekommen. Und beim nächsten Mal wäre er vielleicht nicht so freundlich.
Der lärm und der Gestank in der bar wurden ihr zu viel, und sie schlang ihre handtasche über die schulter, rutschte vom barhocker und bahnte sich einen Weg durch die schwach beleuchtete Menschenmenge. an der Tür warf sie noch einen blick zurück zu Mick. Unter der Thekenbeleuchtung legte er den Kopf leicht in den nacken und lächelte. sie hielt inne, und ihr Griff um die Türklinke verstärkte sich, als er sich umdrehte und aus der Zapfanlage ein bier zapfte.
Während sie dort stand und die Jukebox irgendwas mit Whiskey für Männer und bier für Pferde dudelte, registrier
te sie seine dunklen haare und seine breiten schultern. er drehte sich um und stellte das volle Glas auf die Theke. Während sie ihn beobachtete, lachte er über irgendwas, und bis zu diesem Moment hatte Maddie keine richtige Vorstellung von Mick hennessy gehabt; mit einem so lebendigen und fröhlichen Mann hatte sie jedenfalls nicht gerechnet.
Durch die dunkle bar und den Zigarettendunst landete sein blick auf ihr. sie konnte fast spüren, wie er quer durch den Raum schweifte und sie berührte, was natürlich reine illusion war. Da sie im verdunkelten eingang stand, war es fast unmöglich, sie in der Menschenmenge auszumachen. sie öffnete die Tür und trat an die kühle abendluft. Während ihres Kneipenbesuchs hatte sich die nacht über Truly gesenkt wie ein schwerer schwarzer Vorhang und wurde nur gelegentlich von ein paar beleuchteten ladenschildern und einer straßenlaterne erhellt.
ihr schwarzer Mercedes parkte auf der anderen straßenseite vor »Tinas herrenunterwäsche« und der »Rock hound Kunstgalerie«. sie ließ einen gelben hummer vorbeifahren, bevor sie aus dem schein des neonschilds über dem Mort’s auf die straße trat.
als sie sich dem Wagen näherte, öffnete sie ihre handtasche, griff in das kühle lederinterieur, zog den Transponderschlüssel heraus und entriegelte damit die Fahrertür. normalerweise war sie nicht materialistisch eingestellt. sie machte sich nichts aus Klamotten oder schuhen. Da ihre Unterwäsche in letzter Zeit sowieso niemand mehr zu Gesicht bekam, war ihr gleichgültig, ob ihr bh zu ihrem slip passte, und teuren schmuck besaß sie auch nicht. Vor dem Mercedeskauf vor zwei Monaten hatte Maddie mit ihrem
nissan sentra über dreihundertzwanzigtausend Kilometer zurückgelegt. sie hatte ein neues Fahrzeug gebraucht und sich gerade einen Volvo sUV angesehen, als sie sich umgedreht und den schwarzen Mercedes s 600 gesehen hatte. Die showroom-beleuchtung hatte auf den Wagen herabgestrahlt wie ein Fingerzeig Gottes, und sie hätte schwören können, eine engelschar halleluja singen zu hören wie der Mormon Tabernacle choir. sollte sie etwa eine botschaft des herrn ignorieren? Und so fuhr sie den Wagen, nur wenige stunden nachdem sie das autohaus betreten hatte, aus dem showroom in die Garage ihres hauses in boise.
sie drückte auf den startknopf der Gangschaltung und warf die scheinwerfer an. Die cD in ihrer stereoanlage erfüllte den Mercedes mit Warren Zevons Excitable Boy. sie fuhr an und wendete mitten auf der hauptstraße. Warren Zevons Texte hatten etwas brillantes und zugleich Verstörendes. als würde man in das Gehirn eines Menschen blicken, der auf der Grenzlinie zwischen Wahnsinn und normalität stand und ab und zu eine schuhspitze hinüberschob. Mit der Grenzlinie spielte, sie austestete und dann einen Rückzieher machte, kurz bevor er dem Wahnsinn anheimfiel. in Maddies beruf gab es nicht viele, die noch rechtzeitig zurücktraten.
Die Mercedesscheinwerfer schnitten durch die tintenschwarze nacht, als sie an der einzigen Verkehrsampel der stadt nach links abbog. ihr allererstes eigenes auto war ein so ramponierter Volkswagen Rabbit gewesen, dass die sitze mit Klebeband zusammengehalten werden mussten. seitdem hatte sie es weit gebracht. Von dem Roundup-Wohnwagenplatz, auf dem sie mit ihrer Mutter gelebt hatte, und
dem engen kleinen haus in boise, wo sie bei ihrer Großtante Martha aufwuchs, war es ein weiter Weg gewesen.
Martha hatte bis zu ihrer Pensionierung als Verkäuferin im Rexall Drugstore gearbeitet, und die beiden hatten von ihrem bescheidenen Gehalt und von Maddies sozialhilfe gelebt. obwohl das Geld immer knapp gewesen war, hatte Martha sich stets ein halbes Dutzend Katzen gehalten. Das haus hatte immer nach Friskies und Katzenklos gestunken, sodass Maddie die Viecher bis zum heutigen Tage verabscheute. außer vielleicht schnucki, den Kater ihrer guten Freundin lucy. schnucki war cool. Für einen stubentiger.
sie fuhr anderthalb Kilometer ums östliche seeufer, bevor sie in ihre von dicken, hochgewachsenen Kiefern gesäumte einfahrt bog und vor dem einstöckigen haus hielt, das sie vor wenigen Monaten gekauft hatte. sie wusste noch nicht, wie lange sie es behalten würde. ein Jahr. Vielleicht drei. oder fünf. sie hatte lieber eigentum erworben, als zur Miete zu wohnen, und betrachtete es als Geldanlage. immobilien in der Gegend um Truly waren heiß begehrt, und falls sie das haus verkaufen sollte, würde dabei ein hübscher Profit herausspringen.
Maddie schaltete die scheinwerfer des Mercedes aus, und Dunkelheit umgab sie. sie ignorierte das unheimliche Gefühl, als sie aus dem Wagen stieg und über die Treppe die Rundumveranda erklomm, die mit zahlreichen 60-Watt-Glühbirnen erhellt war. sie hatte vor nichts angst. schon gar nicht vor der Dunkelheit, doch sie wusste, dass Frauen, die nicht so wachsam und vorsichtig waren wie sie, durchaus schlimme sachen passierten. Frauen, die in ihren Umhängetaschen kein kleines arsenal aus selbstverteidigungs
utensilien mit sich herumschleppten. einen elektroschocker, Pfefferspray, einen handtaschenalarm und schlagringe, um nur ein paar zu nennen. als Frau konnte man nicht vorsichtig genug sein, besonders nachts in einem Provinznest, wo man die hand nicht vor augen sehen konnte. in einer stadt mitten im dichten Wald, wo wild lebende Tiere in den bäumen und im Unterholz raschelten. Wo nagetiere mit Knopfaugen nur darauf warteten, bis man ins bett ging, um über die speisekammer herzufallen. Maddie hatte zwar noch keine ihrer selbstverteidigungswaffen einsetzen müssen, doch in letzter Zeit hatte sie sich gefragt, ob sie als schützin gut genug war, um mit ihrer elektroschockpistole eine plündernde Maus außer Gefecht zu setzen.
im haus brannten die lichter, als Maddie die waldgrüne Tür aufschloss, eintrat und hinter sich zuriegelte. Zum Glück huschte nichts aus den ecken, als sie ihre handtasche auf einen roten samtsessel an der Tür pfefferte. ein Riesenkamin dominierte die Mitte des großen Wohnzimmers und trennte es von dem Raum ab, der zwar als esszimmer gedacht war, von Maddie aber als büro genutzt wurde.
auf einem couchtisch vor dem samtsofa standen Maddies Rechercheordner und ein 13 x 18 Zentimeter großes altes Foto in einem silberrahmen. sie griff nach dem bild und betrachtete das Gesicht ihrer Mutter, ihr blondes haar, ihre blauen augen und ihr breites lächeln. Die aufnahme war wenige Monate vor alice Jones’ Tod gemacht worden. eine glückliche Vierundzwanzigjährige, strahlend und voller leben, und wie das vergilbte Foto in dem teuren Rahmen waren auch die meisten erinnerungen von Maddie verblasst. sie erinnerte sich noch bruchstückhaft an dieses und sche
menhaft an jenes. sie hatte eine schwache erinnerung daran, wie sie ihrer Mutter beim schminken und Kämmen zusah, bevor sie zur arbeit ging. sie erinnerte sich an ihren alten blauen samsonite-Koffer und dass sie von einem ort zum anderen gezogen waren. Durch das schwache Prisma von neunundzwanzig Jahren hatte sie eine sehr vage erinnerung an das letzte Mal, als ihre Mutter ihren chevy Maverick beladen hatte, und an die zweistündige autofahrt nach Truly. an den einzug in ihren Wohnwagen mit orangefarbenem Florteppich.
Die deutlichste erinnerung, die Maddie an ihre Mutter hatte, war der Geruch ihrer haut. sie hatte nach Mandellotion geduftet. Doch hauptsächlich erinnerte sie sich an den Morgen, als ihre Großtante zum Wohnwagenplatz gekommen war, um ihr zu sagen, dass ihre Mutter tot war.
Maddie stellte das Foto wieder auf den Tisch und lief über den Parkettboden in die Küche. sie schnappte sich eine cola light aus dem Kühlschrank und drehte den Verschluss auf. Martha hatte immer gesagt, dass alice flatterhaft war. Wie ein schmetterling von einem ort zum anderen flog, von einem Mann zum anderen, auf der suche nach einem ort, an den sie gehörte, und nach der liebe. Für gewisse Zeit beides fand, bevor sie zum nächsten ort oder zum nächsten Mann weiterschwirrte.
Maddie trank aus der Flasche und schraubte den Verschluss wieder zu. sie war ganz anders als ihre Mutter. sie wusste, wo sie hingehörte. sie fühlte sich wohl mit dem, was sie war, und brauchte mit sicherheit keinen Mann, der sie liebte. eigentlich war sie noch nie verliebt gewesen. hatte keine romantische liebesgeschichte erlebt, wie ihre gute
Freundin clare sie von berufs wegen erfand. Und auch keine törichte amour fou, die das leben ihrer Mutter beherrscht und sie letztlich das leben gekostet hatte.
nein, an der Liebe eines Mannes war Maddie nicht interessiert. sein Körper war schon eine andere Geschichte, und einen Fuck buddy hätte sie durchaus gern gehabt. einen Mann, der mehrmals in der Woche vorbeikam, um mit ihr zu schlafen. er brauchte kein toller Gesprächspartner zu sein. Verdammt, er musste sie nicht mal zum essen ausführen. ihr idealer Mann würde einfach mit ihr ins bett gehen und wieder verschwinden. Doch bei der suche nach Mister Perfect gab es zwei Probleme. erstens war jeder Typ, der nur sex von einer Frau wollte, höchstwahrscheinlich ein arsch. Und zweitens war es schwierig, einen willigen Kandidaten zu finden, der echt gut im bett war und es sich nicht nur einbildete. Die zeitaufwändige Prozedur, Männer daraufhin abzuchecken, war ihr irgendwann so lästig geworden, dass sie es vor vier Jahren aufgegeben hatte.
sie ließ die colaflasche zwischen zwei Fingern baumeln und verließ die Küche. ihre Flipflops klatschten an ihre Fußsohlen, während sie das Wohnzimmer durchquerte und am Kamin vorbei in ihr büro schlenderte. ihr laptop stand auf einem l-förmigen schreibtisch, der an die Wand geschoben war, und sie knipste die lampe an, die an ihrem Regal befestigt war. Zwei sechzig-Watt-birnen erhellten einen stapel Tagebücher, den laptop und ihre »Unschlagbar«-Klebezettel. insgesamt lagen dort zehn Tagebücher in den verschiedensten ausführungen und Farben. Rote. blaue. Pinke. Zwei hatten schlösser, während ein weiteres nur ein gelber spiralnotizblock war, auf den mit schwarzem Marker das
Wort »Tagebuch« geschrieben worden war. sie hatten allesamt ihrer Mutter gehört.
Übersetzung: Antje Althans
Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2009 by Wilhelm Goldmann Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House Gmbh
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Autoren-Porträt von Rachel Gibson
Seit sie sechzehn ist, erfindet Rachel Gibson mit Begeisterung Geschichten. Damals allerdings brauchte sie ihre Ideen vor allem dazu, um sich für ihre Eltern alle möglichen Ausreden einfallen zu lassen. Ihre Karriere als Autorin begann viel später und hat sie inzwischen ganz nach oben auf die amerikanischen Bestsellerplätze und ganz tief in die Herzen ihrer begeisterten Leserinnen geführt. Rachel Gibson lebt mit einem Ehemann, drei Kindern, zwei Katzen und einem Hund in Boise, Idaho.
Bibliographische Angaben
- Autor: Rachel Gibson
- 2009, 320 Seiten, Masse: 11,8 x 18,6 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Aus d. Engl. v. Antje Althans
- Übersetzer: Antje Althans
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442469147
- ISBN-13: 9783442469147
Rezension zu „Darf's ein Küsschen mehr sein? / Girlfriends Bd.3 “
"Rachel Gibson schreibt souverän, humorvoll und sexy."
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