Bürgerlichkeit als Lebensform
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Joachim Fests brillante Essays zeigen die thematische Bandbreite des begnadeten Stilisten: vom Dritten Reich und Problemen der Geschichtsschreibung über das Verhältnis der Intellektuellen zur Politik bis hin zu Literatur und Kunst.
Bürgerlichkeit als Lebensform von Joachim Fest
LESEPROBE
Der Führerbunker
I.
Während der Mittagslage kam dieNachricht, dass sowjetische Einheiten im angrenzenden Tiergarten standen.Heftiges Feuer wurde von der Friedrichstrasse und vom Potsdamer Platz gemeldet,und sooft eine der schweren Granaten in der Nähe einschlug, erzitterte derBunker. Der Ring um das Regierungsviertel, das im militärischen Sprachgebrauchals «Zitadelle» bezeichnet wurde, begann sich zusehends enger zu schliessen. Eswar der 30. April 1945.
Als letzter kam Hitler aus demLageraum. Im Vorzimmer trat er auf seinen Adjutanten, den SS-SturmbannführerOtto Günsche, zu und sagte, er wolle den Russen weder lebendig noch tot in dieHände fallen und anschliessend «in einem Panoptikum» ausgestellt werden. Schonwährend der zurückliegenden Tage hatte er gegenüber nahezu jedem Besucher dieSorge geäussert, noch im Tod «entehrt» zu werden; er wolle verbrannt werden und«für immer unentdeckt bleiben». Jetzt nahm er Günsche das Versprechen ab,alles zu tun, um ihm das Schlimmste zu ersparen. Rund eine Stunde später kamendaraufhin unter dem pausenlosen Feuerhagel der sowjetischen Artillerie, in denSchutz von Häuserwänden und Mauervorsprüngen gedrückt, ein paar SS-Mannschaftenund stellten eine Anzahl Benzinkanister am Bunkereingang ab.
Hitler war gänzlich ausgegeben, dasGesicht von tiefen Falten durchzogen und mit schweren Säcken unter den Augen,aus den Mundwinkeln troff häufig der Speichel. Seine bis dahin immer peinlichkorrekte Kleidung war mit Essensflecken bedeckt und wirkte wie einewillentliche Verwahrlosung. Einmal, als er sich mit schlingernden Bewegungendurch die Räume tastete, meinte der neuernannte Begleitarzt Dr. Stumpfegger,Hitlers Gebücktheit und die schlurfenden Schritte seien keineswegs körperlichbedingt, sondern hysterischen Ursprungs. Ein anderer Arzt, der in der zumLazarett umgebildeten Neuen Reichskanzlei Verwundete versorgte und Hitler indiesen Tagen erstmals begegnete, hat eine anschauliche Schilderung seinerErscheinung überliefert: «Ich stand», hielt er fest, «vor ihm, sah seinengebeugten Rücken, die krummen Schulterblätter, die zu zucken schienen undplötzlich zu zittern begannen. Er sah aus, als ob er seinen Kopf zwischen dieSchulterblätter gezogen hatte - wie eine Schildkröte ... Es war einerschütternder Anblick. Das verwüstete Gesicht war gelbgrau wie eineMondlandschaft. Als Arzt empfand ich Mitleid mit diesem menschlichen Wrack.Mit sechsundfünfzig Jahren war Hitler zu einem gelähmten Greis geworden,freilich ohne die Würde des weissen Haars.
Die jüngere der beiden(begleitenden) Krankenschwestern war von dieser Begegnung so aufgewühlt, dasssie weinend, in einer Mischung aus Pathos und Hysterie, ausrief: <MeinFührer, bewahren Sie Ihren Glauben an den Endsieg! Führen Sie uns, und wir werdenIhnen folgen!> ... Nun war es totenstill. Dumpf erwiderte Hitler: <Mansoll sich seinem Schicksal nicht feige entziehen wollen.> Diese Wortegalten nicht einem einzelnen! ... Es klang, als ob er in die Ewigkeit hineinoder in den Abgrund hinunter spreche, vor dem er stand.»
Gegen vierzehn Uhr nahm Hitler inGesellschaft seiner zwei verbliebenen Sekretärinnen und seiner Köchin dieletzte Mahlzeit ein. Er gab sich nach den vielen Ausbrüchen und Krämpfen dieserTage ruhig und beherrscht, und auf eine seiner Sekretärinnen wirkte die kleineRunde um den Tisch wie «ein Bankett des Todes». Schon am Abend zuvor hatte erihr die in einer Kupferpatrone verwahrte Giftampulle überreicht und dazugesagt, er wisse wohl, dass dies ein armseliges Abschiedsgeschenk sei. Wider Erwartenwar Eva Braun, die er in der Nacht zuvor geheiratet hatte, nicht erschienen.Während sie noch zusammensassen, hissten draussen, auf der Kuppel des nahenReichstags, sowjetische Soldaten die rote Fahne.
Mit den Worten «Nun ist es soweit,es ist zu Ende», hob Hitler die Tafel auf. Er ging in seine Räume und betratwenig später am Arm seiner Frau den Vorraum des Lagezimmers, um sich von demzusammengeschmolzenen Rest seiner engsten Umgebung zu verabschieden. Er hatteGoebbels herbeigebeten, Bormann und Botschafter Hewel, die Generale Krebs undBurgdorf sowie den Vizeadmiral Hans-Erich Voss. Am Ende des Aufgebots standendie Sekretärinnen, sein Kammerdiener Heinz Linge und die Chefs derWachmannschaften: der SS-Brigadegeneral Johann Rattenhuber, Otto Günsche undder SS-Standartenführer Peter Högl. Nachdem er die Reihe abgeschritten undjeder der Frauen die Hand gegeben hatte, ohne etwas auf ihre atemlosvorgebrachten Worte zu erwidern, verschwand er an der Seite seiner Frau stumm undgebückt in den dahinterliegenden Privaträumen. Im Vorbunker trafenwährenddessen einige von Günsche herbeibefohlene SS-Offiziere aus demFührerbegleitkommando ein.
In der stickigen, modrig-schwülenSchattenwelt breitete sich eine abwartende Stille aus. Doch gegen fünfzehn Uhrliess Hitler seinen Chefpiloten Hans Baur rufen, den er womöglich versehentlichnicht zur Verabschiedung des engsten Kreises gerufen hatte. Als Baur den Raumbetrat, ergriff er dessen Hände, dankte ihm für seine jahrelange Treue undsprach sodann noch einmal von der Feigheit und Verräterei, die ihm dieses Endebereitet hätten; jetzt könne er nicht mehr. Auf Baurs Versuch, ihn doch nochzum Aufbruch zu überreden, es stünden einsatzfähige Maschinen bereit, um ihn ineines der arabischen Länder zu fliegen, nach Südamerika oder Mandschukuo,winkte er resigniert ab: er mache nun Schluss. Man müsse den Mut haben, sagteer, die Konsequenzen zu ziehen. Morgen schon, setzte er hinzu, würden ihnzweifellos Millionen Menschen verfluchen. «Aber das Schicksal wollte es nichtanders.» Dann schenkte er Baur das Bild Friedrichs des Grossen von Anton Graff,mit dem er in den zurückliegenden Wochen oftmals stumme Zwiesprache gehaltenhatte, und einmal war er von einem Telefonisten des Bunkers beobachtet worden,wie er zur Nachtzeit bei unruhigem Kerzenlicht in seinem Wohnraum gesessen und«wie in einem Trancezustand» auf das Bild gestarrt hatte. Als Baur sich zumGehen wandte, kam Hitler noch einmal auf seinen Eingangsgedanken zurück. Auf seinenGrabstein müsse man die Worte setzen, sagte er, er sei «ein Opfer seinerGenerale» gewesen.
Wieder kehrte die lastende Stillezurück, überall sassen einzelne oder kleine Gruppen in den karg möbliertenRäumen herum, blickten ins Leere und warteten ab. Doch als könne dieses Leben, dasdie längste Zeit von abgründigen Inszenierungseinfällen bestimmt gewesen war,nicht ohne einen grellen, melodramatischen Effekt enden, setzte in diesemAugenblick in der höhergelegenen Kantine ein Tanzvergnügen ein, in dem sich diewochenlange Nervenanspannung der Bunkerbewohner zu lösen schien. Schon Stundenzuvor hatten einige Beobachter verwundert wahrgenommen, wie Eva Braun und baldauch der eine oder andere Insasse des Bunkers gegen alle strikten Verbote eineZigarette entzündet hatten, und darin ein Zeichen disziplinärer Verwirrungerkannt. Jetzt dröhnte aus den Lautsprechern ausgelassene Musik, und wie fernsie auch herüberkam, war sie doch bis in die äussersten Winkel desunterirdischen Labyrinths zu hören. Eine Ordonnanz wurde nach oben geschickt,um für Ruhe zu sorgen, der Führer, meldete der Bote, sei im Begriff zu sterben.Aber keiner der meist betrunkenen Anwesenden nahm die Aufforderung zurKenntnis, und das Zechgelage ging weiter.
Was dann geschah, hat sich nichteindeutig ermitteln lassen. Einige Zeugen berichten, gegen halb vier eineneinzelnen Schuss gehört zu haben, und die Sekretärin Frau Junge, die sich nachdem Abschied von Hitler zu den Goebbels-Kindern begeben hatte, um ihnen einMärchen vorzulesen, hat sich erinnert, dass der neunjährige Helmuth auf denPistolenknall hin fröhlich ausgerufen habe: «Volltreffer! » Andere Zeugendagegen haben jedes wahrnehmbare Geräusch bestritten.
Nach annähernd zehn Minutenjedenfalls betraten Bormann, Linge und Günsche den Führerraum. Hitler sasszusammengesunken, mit blutig zerstörtem Gesicht auf dem Sofa, an seinerrechten Schläfe klaffte ein münzgrosses Loch, zwei Rinnsale liefen über dieWangen, und die hintere Wand war mit Blutspritzern übersät. Neben ihm hockte,mit angezogenen Beinen und fest zusammengepressten Lippen, seine Frau. Es rochnach Pulverqualm und Gittermandeln. Hitler hatte, dem Rat des Arztes Dr.Werner Haase folgend, eine Blausäure-Ampulle zerbissen und sich gleichzeitig indie Schläfe geschossen, seine Frau hatte Gift genommen. Ihre kleine Pistole lagunbenutzt vor ihr auf dem Tisch.
Nach einem Augenblick der Lähmungbreitete Linge auf dem Boden zwei Wolldecken aus, während Günsche zu den wartendenSS-Offizieren hinüberging: «Der Chef ist tot!» sagte er. Mit unbewegten Mienensah die kleine Trauerrunde zu, wie die Toten auf die Decken gelegt und vonLinge, Stumpfegger und Bormann nach draussen geschafft wurden, HitlersBeine schaukelten leblos hin und her. Als erster fand Goebbels die Sprachewieder und erklärte, er werde sich jetzt nach oben, auf den Wilhelmplatz begeben,wo sein Ministerium lag, und so lange umherlaufen, bis eine Kugel seinem Lebenein Ende mache.
Am Fuss der Treppe wurden die Leichenvon den SS-Offizieren übernommen und die vier Absätze hinauf zum Hinterausgangdes Bunkers getragen. Dort war eine längliche Grube ausgehoben, doch mühtensich Linge und die anderen zunächst vergeblich, im Geschosshagel die wenigenMeter ins Freie zu kommen, weil Splitter und herumfliegende Mauerbrocken sieimmer wieder zurücktrieben. Erst nach mehreren Anläufen gelang es ihnen, dieToten in die Erdvertiefung zu legen. Sie leerten einige Kanister des bereitgestelltenBenzins über ihnen aus und warfen aus der Bunkeröffnung brennende Zündhölzerhinterher. Als die Versuche misslangen, zog Linge einige Formulare aus seinemÄrmelaufschlag und drehte sie zu einer Papierfackel zusammen, die er während einerkleinen Feuerpause entzündete und mit einer heftigen Bewegung zu der Grubehinüberschleuderte. Mit einem Verpuffungsknall schlugen gleich darauf dieFlammen hoch, und die Versammelten standen stramm und hoben die Arme zumHitlergruss, bis das noch einmal stärker werdende Artilleriefeuer sie in den Bunkerzurückdrängte. Staub und aufwirbelndes Erdreich hüllten die Stätte ein, so dassbald nichts mehr zu erkennen war. Als Hitlers Flugkapitän Hans Baur eine halbeStunde später in den unteren Räumen auf Goebbels stiess und wissen wollte, woder Führer sei, bekam er zur Antwort: «Hitler brennt schon draussen.»
Mehrfach noch im Lauf desNachmittags erlosch das Feuer, so dass die Leichenreste immer aufs neue mit Benzin übergossen und angezündet werden mussten. EinAngehöriger des Wachpersonals, der später vorbeikam, konnte Hitler, wie erausgesagt hat, bereits «nicht mehr erkennen, weil er schon ziemlich verbrannt war»;und als er gegen zwanzig Uhr noch einmal zum Bunkerausgang ging, «da flogenschon die einzelnen Flocken im Winde». Kurz vor Mitternacht wurden die Resteder nahezu unkenntlich gewordenen Leichen auf eine Zeltplane geschoben, ineinen nahen Granattrichter hinabgelassen, Erde darauf gedeckt und mit einemHolzpfahl festgestampft. In einem der pathetisch hochgezogenen Bilder seinesEndes hatte Hitler seine Begräbnisstätte auf dem Glockenturm des Zentralbausgesehen, der das neugestaltete Donauufer seiner Heimatstadt Linz beherrschensollte; jetzt fand er sie in einer Trümmerwüste hinter der Reichskanzlei,eingestampft in das vom Dauerbeschuss umgepflügte Erdreich zwischen zersprengtenBetonbrocken, Schuttbergen und aufgehäuftem Unrat.
© Rowohlt Verlag
- Autor: Joachim C. Fest
- 2007, 1. Auflage., 367 Seiten, Masse: 14,5 x 22 cm, Leinen, Deutsch
- Verlag: Rowohlt
- ISBN-10: 3498021184
- ISBN-13: 9783498021184
- Erscheinungsdatum: 16.03.2007
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