Blutiger Frühling
Im Jahr 1525, Schauplatz: ein Dorf im Odenwald. Anna Elisabeth, die Tochter eines Pachtbauern, achtzehn Jahre alt, ist aussergewöhnlich hübsch. Johannes Rebmann,...
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Im Jahr 1525, Schauplatz: ein Dorf im Odenwald. Anna Elisabeth, die Tochter eines Pachtbauern, achtzehn Jahre alt, ist aussergewöhnlich hübsch. Johannes Rebmann, Mühlenbesitzer, verliebt sich in Anna. Doch auch der Reichsritter Albrecht Wolff von Weissenstein hat ein Auge auf Anna geworfen und wird zum erbitterten Rivalen.
Blutiger Frühling von Barbara von Bellingen
LESEPROBE
September Anno 1524
Scheiding
Wills Gott, so zeigt sich in Scheidings Blick
noch einmal das Lächeln desWonnemonds.
Die Sonne stand bereits im Westen.In den Pfützen, die noch
vom kürzlich gefallenen Regen dietief ausgefahrenen Karrenspuren
füllten, spiegelten sich Bäume undGebüsch rechts
und links des Weges. Der Wald warhier von vielen Lichtungen
unterbrochen. Im vergangenen Winterhatte der Klostervogt
beinahe alle alten Bäume schlagenlassen. Überall ragten an dieser
Stelle die mächtigen Stümpfe derEichen und Buchen aus
dem schütter bewachsenen Boden.
Die Frau, die sich beim Gehensorgfältig auf dem grasigen
Mittelstreifen zwischen denKarrenspuren gehalten hatte, blieb
stehen. Sie stellte den kunstlosgeflochtenen Weidenkorb ab,
den sie am Arm getragen hatte,zupfte das Tuch zurecht, mit
dem er zugedeckt war, undbetrachtete tief aufatmend ihre Umgebung.
Im kühlen Wind, zwischen den totenStümpfen des
Kahlschlags, wehten die fahlgelben Rispen desWaldgrases wie
blasses Mädchenhaar. AufsteigenderDunst verschleierte die
jungen Fichten jenseits der Lichtungund verwandelte ihr
schwärzliches Grün in zartesBlaugrau. Die Wipfel einiger letzter
Hainbuchen trugen schon Spurenherbstlichen Goldes.
Hoch oben in der durchsichtiggläsernen Luft über der Senke
zogen zwei Habichte ihre trägenKreise.
Einen Augenblick stand die Fraustill und träumend, die
Augen zum Himmel gerichtet. Dann,als sei sie plötzlich wieder
erwacht, senkte sie den Kopf und tateinen langen Schritt über
die wassergefüllte Karrenspur zumWegrand. Ihr Blick wanderte
suchend, prüfend über den moosigenFleck am Fuss einer
Kiefer. Sie bückte sich und klaubtedrei, vier dicke, braunköpfige
Pilze aus dem Moos.
Steinpilze. Und da, dicht am Stammder Kiefer, standen weitere
- fleischige, junge Exemplare, wiesie schöner nicht sein
konnten.
Die Frau zog ein kleines Messer ausder ledernen Scheide an
ihrem Gürtel und halbierte die gefundenenPilze sorgfältig. Alle
waren ohne Maden - tadellos. Aber inden vollen Korb passten
sie nicht mehr. Ein Augenblick desÜberlegens, dann knüpfte
die Frau das verblichene roteTüchlein von ihrem Hals los und
band die Pilze vorsichtig darin ein.
Sie lächelte, als sie denimprovisierten Beutel am Henkel
ihres Korbes festknotete. Sie mochtesiebzehn sein, vielleicht
auch achtzehn und sicherlich nochnicht verheiratet, denn sie
trug das prachtvoll glänzendeschwarzbraune Haar unbedeckt,
schlicht in der Mitte gescheiteltund im Nacken zu einem
dicken geflochtenen Knotenaufgesteckt. Über ihrer runden
Stirn und an den Schläfen kringeltensich ein paar widerspenstige
Löckchen.
Ihr Gewand, ein aus graubraunemWollzeug gemachter
knöchellanger Rock mit schwarzleinenemSchnürmieder, unter
dem ein üppig gefälteltes weissesHemd hervorblitzte, war ohne
Zweifel ein Bauerngewand. Abervielleicht unterstrich es, so
grob und ungeschlacht es war, geradedurch seine völlige
Schmucklosigkeit die zierlicheGestalt seiner Trägerin. Nicht
einmal das dicke, ebenfallsgraubraune und rauwollige Tuch,
das ihre Schultern verhüllte, konnteüber ihr wenig bäuerliches
Aussehen hinwegtäuschen.
Die junge Frau hievte den schwerenKorb vom Boden hoch.
Mit einem letzten kurzen Blick zumHimmel setzte sie ihren
Weg fort, stapfte in den klobigen,holzbesohlten Schuhen weiter
den Weg entlang. Steinpilze! Beinahedie Hälfte ihrer Beute
bestand aus Steinpilzen. Natürlichwaren die für das Bauernvolk
verboten und mussten abgegebenwerden. Nicht umsonst wurden
sie ja auch Herrenpilze genannt.Aber diesmal sollten sie zu
Hause in der Pfanne landen und nichtin der Klosterküche!
Über der Nasenwurzel der jungen Frauzeigte sich eine senkrechte
Falte. Sie kniff die Lippenzusammen, schob das Kinn
vor und beschleunigte ihre Schritte.Man würde die Steinpilze
so fein schneiden, dass sie zwischenden anderen - den Täublingen
und Ritterlingenund Stockschwämmchen - nicht mehr
auszumachen waren. Man würde viel Zwiebeldazugeben. Und
dann sollte einmal jemand kommen undbehaupten
Die tiefstehendeSonne warf goldene Lichter durch das Gezweig
der Haselbüsche. Der Himmel, nochvor kurzer Zeit von
hellem, durchsichtigem Blau, begannsich rosig zu färben. Es
war empfindlich kühl geworden.
Hufschläge drangen auf einmal durchdie Stille. Die junge
Frau wandte den Kopf. Ein Reiternäherte sich hinter ihr in
schwerfälligem Trab. Sein Tier, einkräftig gebauter Falber, blies
weisse Atemwolken aus den Nüstern undschritt weit aus. Es
dauerte nur wenige Herzschläge, biser die junge Frau eingeholt
hatte. »Gott zum Gruss«, sagte derReiter, indem er sein Pferd
zügelte, »wie weit noch bis zum Dorf?«
»O - nicht mehr weit«, erwiderte sieund hob dem Reiter das
Gesicht entgegen. »Ihr kommt leichtin wenigen Augenblicken
hin zu Pferd.«
Der Reiter hatte blondes,schulterlanges Haar und blitzblaue
Augen. Seine lange, leicht gekrümmteNase verlieh ihm etwas
Verwegenes, denn sie sass wie derSchnabel eines Raubvogels in
dem scharf gezeichneten Gesicht.Aber der breite Mund war
weich und milderte den Eindruck.Dieser Mund lächelte und
enthüllte dabei zwei Reihenkräftiger weisser Zähne. »Gehe ich
recht, wenn ich annehme, dass Ihrauch dorthin wollt, Jungfer?«,
fragte der Reiter augenzwinkernd.
Sie fand sein Benehmen frech. »Wohinsollte ich wohl sonst
wollen?«,erwiderte sie abweisend. »Glaubt Ihr, ich streune einfach
so im Wald herum - gegen Abend undohne Ziel?«
Der Reiter lachte, plötzlich etwasverlegen, wie es schien.
»Um Vergebung, Jungfer«, sagte er,»das hätte ich niemals von
Euch angenommen.«
Die junge Frau sagte nichts dazu undmusterte ihn aus den
Augenwinkeln. Um seine breitenSchultern lag ein Koller aus
dunkelgrünem Filz - mitlangzipfeliger Kapuze, nützlich bei
Regenwetter. Seine Beine steckten inröhrenförmigen Beinkleidern
aus speckigem Rauleder von nichtmehr auszumachender
Farbe, und die Sohlen seiner Schuhewaren durchgelaufen - ein
Fremder, wer wusste, woher? »WolltIhr jemanden besuchen im
Dorf?«,fragte sie ihn vorsichtig.
»Nein.« Er betrachtete sieebenfalls. »Ich reise nur durch.«
»Ach.« Sie senkte die Lider, dennseine Augen waren bei
ihrem Gesicht angekommen und hattenihren Blick gesucht.
»Ihr kommt wohl von weit?«
»Hmm«,brummte er. »Gibt es ein Wirtshaus im Dorf?«
»Seid Ihr ein Kaufmann auf Reisen?«, forschte sie, ohne seine
Frage zu beantworten.
Er schüttelte den Kopf, tätschelteseinem Pferd die Mähne,
lächelte.
»Das hätte mich auch gewundert«,sagte sie. »Wie ein Kaufmann
seht Ihr mir überhaupt nicht aus zumal Ihr offenbar
keinerlei Waren mit Euch führt.«
Er schwieg einen Augenblick. »Ichbin nur ein Wanderer«,
sagte er dann langsam, »ein müderWanderer auf der Suche
nach Herberge für die kommendeNacht.«
Sie wandte sich zum Weitergehen.»Mein Vater führt eine
kleine Wirtschaft«, sagte sie.»Könnt Ihr zahlen?«
»Ich denke schon«, gab er zurück undtrieb sein Pferd wieder
an. »Wenns nicht zu teuer ist «
»Gut und seinen Preis wert«,informierte sie ihn nüchtern
und stapfte los. »Lasst Euer Tierlangsam gehen, damit es mich
nicht mit Schlamm bespritzt. Dannreitet einfach neben mir
her - ich zeige den Weg.«
Sein Blick ruhte auf ihr, das spürtesie. Seine Stimme hatte
einen sanften Klang, als er fragte:»Verratet Ihr mir wohl Euren
Namen?«
»Anna Elisabeth.«
»Das sind zwei Namen. Bei welchemruft man Euch?«
»Bei beiden.«
»Wie soll das gehen? Lisanna? Annabeth?«
Sie musste lachen. »Annelies.«
»Ich werde Euch Anna nennen. Dasgefällt mir besser.«
»Ganz nach Belieben.« Sie drehtesich halb zu ihm um. »Und
wie ist Euer Name?«,fragte sie, sich gleich wieder abwendend,
denn seine Augen hatten schon aufihren Blick gewartet.
»Albrecht«, sagte er, noch immer indem leisen, beunruhigend
sanften Ton. »Mein Name beginnt mitdem gleichen
Buchstaben wie Eurer.«
»Albrecht Namenlos?« Sie hatte nichtvor, sich einschüchtern
zu lassen.
»Albrecht Hund«, antwortete er miteinem Zögern in der
Stimme, »Albrecht Hund aus Schwarzental «
»Hund ein sonderbarer Name.« Sieübersprang eine Wasserlache,
die sich quer über den Weg zog, undhielt dabei die
freie Hand schützend über ihrenKorb, damit nichts von
seinem kostbaren Inhalt herausfallenkonnte. »Wo liegt
Schwarzental?«
»Warum wollt Ihr das wissen?«, fragte er.
»Nur so aus Neugier.« Sie wagteeinen neuen Blick. »Ist es
ein schöner Ort?«
»Ich weiss nicht ich bin dageboren, darum finde ich ihn
vielleicht schön, auch wenn er esnicht eigentlich ist «
Sie stiess einen Seufzer aus. »Sogeht es mir mit meinem
Dorf«, erwiderte sie, indem sie denBlick von seinen Augen losriss
und ein sonderbares Gefühl derUnsicherheit niederkämpfte.
»Es ist klein und nicht besondershübsch, aber es ist meine
Heimat und trotzdem, manchmalwünschte ich mir, ich
könnte « Sie unterbrach sich.
»Was?«,fragte er nach.
»Die Welt sehen«, flüsterte sie,»die Welt hinter dem Wald.«
Sie hob den Kopf zum Himmel, dessenRosenfarbe sich vertieft
hatte. »Die Schwalben sind schonfortgezogen «
Er setzte seinem Pferd die Fersen indie Flanken. »Es ist die
Natur der Schwalben, im Herbst nachSüden zu ziehen«, sagte
er. »In der Natur der Bauern aberliegt es -«
»Ich dachte ja auch nur«, unterbrachsie ihn spröde. »Was
spreche ich überhaupt mit Euch übersolche Dinge mit einem
wildfremden Menschen, den ich garnicht kenne «
»Das ist wahr.«Am Klang seiner Stimme konnte sie erkennen,
dass er wieder lächelte. »Warumsolltet Ihr mir wohl Eure
Gedanken preisgeben - mir, einemwildfremden Menschen?
Reden wir über andere Dinge.«
Sie blies die Wangen auf und bemühtesich, mit dem weit
ausgreifenden Tritt seines TieresSchritt zu halten. »Müssen wir
überhaupt noch miteinander reden?«, erwiderte sie schroff.
»Alle nötigen Worte sind ja bereitsgewechselt, und es gefällt
mir nicht, wie Ihr Euch über michlustig macht.«
»Tu ich das?«Er fuhr sich mit der Linken durch sein ungeordnetes
Haar. »Glaubt mir, Jungfer Anna -das war mir nicht
bewusst. Ich bitte demütig umVergebung.«
»Seht Ihr?«,blitzte sie ihn an, »da tut Ihrs schon wieder. Das
ist nicht schön von Euch!« Sie schaute auf ihren Rocksaum hinab,
der vom Streifen über die langenGräser einen feuchten
Rand bekommen hatte. »Ausserdemklatscht mir Eure Mähre
mit jedem Schritt Wasser übersKleid. Obwohl ich Euch vorhin
gebeten hatte «
»Vielleicht solltet Ihr Euren Rockein wenig höher schürzen
«, gab er in gespielterErnsthaftigkeit zurück. »Meine
Mähre, wie Ihr meinen Hengst zunennen beliebt, ist eben nur
ein unverständiges Tier und hatüberdies unziemlich grosse
Hufe «
»Das könnte Euch so passen.« Sie spürte, wie ihr das Blut in
die Wangen stieg.»Lasst Euren Euren Gaul gefälligst langsamer
gehen und sanfter auftreten. Ichdenke nicht daran, vor
Euren Augen meine Beine zuentblössen!«
Er hielt sein Tier an. »JungferAnna«, sagte er, diesmal mit
tatsächlichem Ernst in der Stimme,»Ihr tragt da einen schweren
Korb - wollt Ihr mir nicht erlauben,ihn zu mir aufs Pferd
zu nehmen, und Euch dazu?«
Sie war ebenfalls stehen gebliebenund widmete ihm schweratmend
einen empörten Blick. DieseDreistigkeit! Für den
Augenblick fehlten ihr die Worte.Nur ein zorniges »Oh!« entrang
sich ihr.
Er schien sich der Frechheit seinesAngebotes überhaupt
nicht bewusst zu sein, sondernstreckte tatsächlich eine Hand
nach dem Korb aus. »Kommt, reichtmir Eure Last herauf.«
»Auf keinen Fall!« Sie schnaufteindigniert und zerrte mit der
freien Hand ihr Umschlagtuch am Halszusammen. »Damit Ihr
mir womöglich davonreitet?Ich müsste ja von allen guten
Geistern verlassen sein!«
»Was enthält denn das BehältnisKostbares?«, erkundigte er
sich, aufs Neue belustigt.
»Pilze«, war ihre knappe Antwort.Sie schoss ihm einen trotzigen
Blick zu.
Um seine Lippen zuckte ein Lächeln,das sich bis in die Winkel
seiner Augen fortsetzte. »Und Ihrfürchtet, ich könnte mich
damit davonmachen«, fragte er ingespieltem Ernst, »mit einem
Korb voller Pilze? Ich kann ja nichteinmal beurteilen, ob sie
essbar sind!«
Sie gab sich alle Mühe, seinem Blickstandzuhalten. »Aber es
ist doch jedermann bekannt«,konterte sie, »dass Pilze eine gute
Speise abgeben.«
»Wenn man weiss, welche kein Giftenthalten«, widersprach
er.
»Und Ihr wisst es nicht?«
Er schüttelte den Kopf.
»Das nimmt mich wunder«, murmeltesie verwirrt. »Als ein
Fahrender solltet Ihr Eucheigentlich auskennen.« Sie umklammerte
den Henkel ihres Korbes fester. »ImHerbst bietet der
Wald doch alle Art von Nahrung, dieman nur einzusammeln
braucht « ()
© Heyne Verlag
- Autor: Barbara von Bellingen
- 2006, 397 Seiten, Masse: 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ludwig bei Heyne
- ISBN-10: 3453470206
- ISBN-13: 9783453470200
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4.5 von 5 Sternen
5 Sterne 1Schreiben Sie einen Kommentar zu "Blutiger Frühling".
Kommentar verfassen