Bitterfotze
Ein Roman, der hier im Haus so heftige Diskussionen auslöste, dass ein (männlicher) Kollege beleidigt das Zimmer verliess und noch Stunden später kleine Grüppchen...
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Ein Roman, der hier im Haus so heftige Diskussionen auslöste, dass ein (männlicher) Kollege beleidigt das Zimmer verliess und noch Stunden später kleine Grüppchen auf dem Gang zusammenstanden, um sich auszutauschen. Die Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau ist ein Thema, das leider nichts von seiner Aktualität verloren hat, im Gegenteil: Es war schon mal besser, und die Lorbeeren, auf denen sich viele ausruhen, sind längst vertrocknet.Sara entflieht dem dunklen Januar und ihrer Winterdepression und reist für eine Woche allein nach Teneriffa. Sie ist Mutter eines zweijährigen Jungen und enttäuscht - vom Kinderkriegen, von ihrem Mann, der sie gleich nach der Geburt ein paar Wochen alleine liess, von der Gesellschaft, in der immer noch die Männer dominieren. Auf Teneriffa hat sie Zeit, über alles nachzudenken und zu beobachten: warum Frauen bitterfotzig werden, an welchen Punkten die Ungleichbehandlung offensichtlich wird und wie hoffnungslos alles ist, wenn bereits in der Zweierbeziehung so vieles falsch läuft.Ein Buch, das in Schweden die Bestsellerliste anführte, von einer Autorin, die eine Revolution will und sich keineswegs mit dem zufrieden gibt, was vermeintlich schon alles erreicht wurde. Laut, kompromisslos und ehrlich haut Maria Sveland uns ihren bitterfotzigen Zorn um die Ohren, und jede Frau, die versucht, Kinder und Beruf unter einen Hut zu bringen, wird zustimmend nicken. Und wütend werden.Lesen und aufregen!
An einem scheußlichen Januarmorgen sitze ich im Flugzeug nach Teneriffa. Ich bin unendlich müde, hässlich und wütend. Nein, nicht wütend, sauer. Ich bin schrecklich sauer. Auf alles, am meisten auf mich, und das macht mich eiskalt. Ich bin schon viel zu lange sauer. Eine graue Zementmasse macht mich hart. Ich will zu viel Wein trinken und alles Hässliche vergessen. Wie solche Januarmorgen.
Ich habe den Januar schon immer gehasst.
Ich sitze im Flieger, lese Angst vorm Fliegen und versuche, bessere Laune zu bekommen, vielleicht sogar ein Weilchen richtig glücklich zu sein?
Ich bin erst dreißig und schon so verbittert. Ich bin richtig bitterfotzig.
Das war nie so geplant. Ich habe wie alle anderen von der Liebe geträumt. Aber ein Verdacht, der vielleicht eine Einsicht ist, hat sich allmählich in mir ausgebreitet, und er macht tiefe, eitrige Wunden: Wie sollen wir jemals zu einer gleichberechtigten Gesellschaft kommen, wenn es uns nicht einmal gelingt, mit demjenigen gleichberechtigt zu leben, den wir lieben?
Ich weiß nicht, wie ich es schaffen soll, weiterzuleben und nicht bitter zu sein, wo es doch so viele Gründe dafür gibt. Wenn ich nur an all die Frauen mit verkniffenen Mündern und müden Augen denke. Die einen vor dem Kühlregal anschnauzen, weil man im Weg steht. Die den Impuls auslösen, zurückzuschnauzen: Blöde Kuh. Und die einem für den Rest des Tages die Laune verderben.
Vor ein paar Tagen wurde mir plötzlich bewusst, dass ich in zwanzig Jahren vermutlich ganz genauso sein werde. Meine Verwandlung zur Bitterfotze ist auf dem besten Weg. Sie scheint unausweichlich, leben wir doch in einer Gesellschaft, in der Mädchen und Frauen diskriminiert, vergewaltigt, misshandelt und beleidigt werden.
Aber jedes Mal, wenn ich so eine griesgrämige ältere Frau sehe, versuche ich zu denken: Tief in ihr drin gibt es ein fröhliches kleines Mädchen, das einmal grenzenlose große Träume hatte.
Ich sitze im Flugzeug und lese mein Buch über Isadora. Sie ist unterwegs zu einer Psychoanalytikerkonferenz in Wien, zusammen mit 117 Psychoanalytikern und ihrem Psychoanalytikermann Bennett.
In meinem Flugzeug sind keine 117 Psychoanalytiker, nur ich und etwa sechzig januarbleiche arme Teufel, die alle mehr oder weniger unglücklich aussehen. Auch bin ich nicht unterwegs zu einer traumhaften Begegnung oder einem wunderbaren Spontanfick mit einem ebenso wunderbaren unbekannten Mann. Mich erwartet ein Apartmenthotel aus den 80er-Jahren, das vermutlich von Rentnern, ein paar Familien mit kleinen Kindern und mir bewohnt wird. Aber in den 70er-Jahren, als Erica Jong Angst vorm Fliegen schrieb, war sowieso alles viel spannender. Und teilweise ist das der Grund, warum ich so bitterfotzig bin.
Isadora konnte herumvögeln, Therapien machen, kiffen, links sein, und sie war Teil einer großen prächtigen Frauenbewegung, ich hingegen wuchs heran in den antifeministischen, ängstlichen 80er-Jahren, in denen alles dunkelblau war, sogar die Wimperntusche.
Erica Jong prägte den Begriff des Spontanficks – die reine Begegnung ohne Schuldgefühle, purer Sex, frei von Reue und Geschichte, frei von jeglichen Machtkämpfen. Aber das war damals, in den fröhlichen 70er-Jahren. Dreißig Jahre später, in einer ganz anderen Welt, präge ich den Begriff bitterfotzig. Schwer belastet durch alle Ungerechtigkeiten der Geschichte und vom Geschlechterkampf. In dieser Gesellschaft wirst du so. Wenn du eine Frau bist.
Während Isadora den Spontanfick und das Partykiffen predigte, hielt man meiner Generation Vorlesungen über Aids und sexuellen Missbrauch.
Als wir etwas erwachsener waren und eine Therapie anfangen wollten, gab es unendlich lange Wartelisten, weil Schwäche nicht zum Fortschrittsglauben der freien Ökonomie passt. Und als wir endlich bereit waren zu arbeiten, befand sich Schweden in einem tiefen Konjunkturtal, die Zahl der Arbeitslosen war so hoch, dass einem der Spaß verging.
Und eines Tages ist es Januar, ich sitze in einem Flugzeug und lese in meinem Buch über Isadoras Spontanfick. Und über Bennett und Adrian, ihren Mann und ihren Liebhaber.
Ich sitze in einem Flugzeug nach Teneriffa und nicht nach Wien zu einem Spontanfick bei einer Psychoanalytikerkonferenz.
Neben mir sitzt ein jüngeres Paar, und als ich mein Buch heraushole, höre ich, dass sie schnieft. Sie hat sich dem kleinen Fenster zugewandt, die Schultern beben. Ihr Mann, ein Typ im Anzug und mit kurzen, ordentlich geschnittenen Haaren, sieht, dass ich es sehe. Er zeigt auf mein Buch und verdreht die Augen.
»Du musst entschuldigen, aber meine Freundin hat Flugangst. Sie sollte vielleicht dein Buch lesen«, sagt er und versucht ein kleines Lachen. Es bleibt ihm im Hals stecken und klingt nur gemein. »Ich begreife überhaupt nicht, wovor du Angst hast. Du weißt doch, dass Autofahren gefährlicher ist als Fliegen!«
Er schaut mich an, um Bestätigung zu bekommen, aber ich schaue nur in mein Buch. Sie dreht sich zu ihm um und schnieft an seine Schulter.
»Ja, ich weiß. Ich bin unglaublich blöd, aber ich kann nichts dafür.«
Die Stewardess kommt zu uns, eine ältere Frau mit einem großen, mütterlichen Busen. Sie beugt sich vor und spricht mit ihrem sorgfältig geschminkten rosa Mund. Eine beruhigende Stewardessenstimme und freundliche Augen begegnen dem Blick des Flugangstmädchens.
»Möchtest du mit nach vorne kommen und schauen, wie es im Cockpit aussieht?«, fragte die Stewardess, sie riecht nach Tantenparfüm und ich mag sie. Das Flugangstmädchen auch, glaube ich, sie ist froh, dass jemand versucht, sie zu trösten, anstatt sie zu verhöhnen.
»Nein danke. Ich glaube, lieber nicht. Es geht meistens vorbei, wenn wir in der Luft sind. Beim Starten und Landen ist es am schlimmsten.«
»Ja, das geht den meisten so«, antwortet die Stewardess. »Soll ich dir einen Whisky bringen?«
»Ja, gerne. Vielen Dank!«, sagt das Flugangstmädchen und sieht ihre gute Fee dankbar an. Der Freund schweigt und findet das Ganze wahrscheinlich nur peinlich. Ein Spektakel.
Wir fliegen. In großer Höhe. Es dröhnt in den Ohren, und ich bin froh, dass wir jetzt fliegen.
Die Stewardessenstimme im Lautsprecher ist sanft. Sie heißt uns willkommen und wünscht uns einen angenehmen Flug. Und ausgerechnet heute hat sie auch noch fantastische Sonderangebote. Für uns alle.
Ein Parfüm für nur hundert Kronen aus dem berühmten Hause Gucci. Oder warum nicht drei Mascaras für lange, schöne Wimpern. Und alles zu einem besonders günstigen Preis!
Ich weiß nicht, seit wann die armen Stewardessen auch noch als Verkäuferinnen arbeiten müssen, aber das Flugangstmädchen kauft die Wimperntusche, und ihr Typ schmollt weiter still vor sich hin, anstatt sie zu trösten.
Kleine Frühstückstabletts werden verteilt, ich esse und spüre, wie mit dem süßen Joghurt, dem warmen Käsebrötchen und dem schwarzen Kaffee die Müdigkeit verschwindet. Vielleicht beruhigt das Frühstück oder der Whisky auch das Flugangstmädchen, denn jetzt weint sie nicht mehr und will reden.
»Hast du nie Angst vorm Fliegen?«, fragt sie.
»Nein, aber ich habe Angst vor einer Menge anderer Sachen!«, sage ich. Ich will nicht, dass sie sich noch blöder vorkommt. Außerdem ist es die reine Wahrheit. Ich habe vor allem Möglichen eine Riesenangst, abends allein von der U-Bahn nach Hause zu laufen, vor dem Autofahren, Fahrradfahren, nicht geliebt zu werden.…
© Kiepenheuer & Witsch
Übersetzung: Regine Elsässer
- Autor: Maria Sveland
- 2009, 6. Aufl., 272 Seiten, Masse: 12,3 x 18,8 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzung: Elsässer, Regine
- Übersetzer: Regine Elsässer
- Verlag: Kiepenheuer & Witsch
- ISBN-10: 3462040839
- ISBN-13: 9783462040838
- Erscheinungsdatum: 26.02.2009
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