Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex
Roman
'Was ist los mit Artemis? Die Elfe Holly erkennt den legendären Meisterdieb nicht wieder. Der sonst so smarte Artemis leidet an einer seltsamen Krankheit. Er ist plötzlich abergläubisch und zwanghaft auf die Zahl Fünf fixiert. Ausserdem hat er sich...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
Fr. 28.90
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex “
'Was ist los mit Artemis? Die Elfe Holly erkennt den legendären Meisterdieb nicht wieder. Der sonst so smarte Artemis leidet an einer seltsamen Krankheit. Er ist plötzlich abergläubisch und zwanghaft auf die Zahl Fünf fixiert. Ausserdem hat er sich unsterblich in Holly verliebt und lässt keine Gelegenheit aus, ihr seine Gefühle zu gestehen. Damit treibt er sie in den Wahnsinn. Doch es kommt noch schlimmer: Eine geheimnisvolle böse Macht greift die unterirdische Stadt Atlantis an. Und niemand bemerkt die Gefahr. Wenn Holly nichts tut, werden sie, Artemis und alle Bewohner von Atlantis sterben.
Klappentext zu „Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex “
Was ist los mit Artemis? Die Elfe Holly erkennt den legendären Meisterdieb nicht wieder. Der sonst so smarte Artemis leidet an einer seltsamen Krankheit. Er ist plötzlich abergläubisch und zwanghaft auf die Zahl Fünf fixiert. Außerdem hat er sich unsterblich in Holly verliebt und lässt keine Gelegenheit aus, ihr seine Gefühle zu gestehen. Damit treibt er sie in den Wahnsinn. Doch es kommt noch schlimmer: Eine geheimnisvolle böse Macht greift die unterirdische Stadt Atlantis an. Und niemand bemerkt die Gefahr. Wenn Holly nichts tut, werden sie, Artemis und alle Bewohner von Atlantis sterben.
Lese-Probe zu „Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex “
Artemis Fowl, Der Atlantis-Komplex von Eoin ColferKapitel 1
Eiskalte Überraschung
Vatnajökull, Island
Der Vatnajökull ist mit seinen über achttausend bläulich
weißen Quadratkilometern der größte Gletscher Europas.
Außerdem ist er größtenteils unbewohnt und verlassen.Aus
diesem Grund und wegen seiner besonderen Lage und Beschaffenheit
hatte ihn Artemis Fowl ausgesucht, um dem
Erdvolk zu demonstrieren, auf welche Weise er die Erde zu
retten beabsichtigte - abgesehen davon hat ein bisschen
dramatisches Drumherum einer Präsentation noch nie geschadet.
Eines der wenigen Gebiete am Vatnajökull, in denen tatsächlich
so etwas wie Betrieb herrscht, ist das Restaurant
»Zur Raubmöwe« am Ufer der Gletscherlagune, das von
Mai bis August für Ausflügler und Touristen geöffnet ist.
Mit dem Inhaber dieses Etablissements hatte Artemis ein
Treffen vereinbart, und zwar am ersten Tag nach Saisonende,
am Morgen des 1. September, genauer gesagt: an seinem
fünfzehnten Geburtstag.
Artemis steuerte das gemietete Schneemobil über das zerfurchte
Ufer der Lagune, in deren schwarzem Wasser riesi-
ge, bizarr geformte Eisbrocken trieben. Der Wind heulte
wie die johlende Menge in einem Stadion und trieb ihm
pfeilscharfe Graupeln in Mund und Nase. Die Gegend war
einsam und unbarmherzig, und Artemis wusste, dass eine
Verletzung allein in dieser Tundra zu einem schnellen, qualvollen
Tod führen würde - oder zumindest zu einer überaus
peinlichen Demütigung, falls irgendwelche verspäteten
Touristen ihn mit ihren Kameras erwischten. Das war zwar
nicht ganz so qualvoll wie ein qualvoller Tod, aber dafür
dauerte die Qual länger.
... mehr
Der Besitzer der »Raubmöwe«, ein stämmiger Isländer,
den nicht nur ein Schnauzbart von der Flügelspanne eines
ausgewachsenen Kormorans schmückte, sondern der auch
auf den unglaublichen Namen Adam Adamsson hörte,
stand auf der Veranda des Restaurants, schnippte stumm im
Takt einer Melodie mit den Fingern und verfolgte amüsiert
Artemis' mühsame Anreise.
»Erstklassige Vorstellung«, sagte Adamsson zur Begrüßung,
als Artemis mit dem Schneemobil gegen die hölzerne
-
Veranda krachte. »Hardur mad-ur. Sie sind echt ein harter
Kerl. Hab nicht mehr so gelacht, seit mein Hund versucht
hat, sein eigenes Spiegelbild zu fressen.«
Artemis lächelte säuerlich und stieg mit einem missmutigen
Knurren von dem Schneemobil, steif wie ein Cowboy,
dessen Pferd ihm unter dem Sattel weggestorben ist und der
den Rest des Wegs auf der breitesten Kuh der Herde zurückgelegt
hat. Der alte Mann lachte keckernd. »Jetzt klingen
Sie sogar wie mein Hund.«
Ein derart entwürdigender Auftritt entsprach nicht gerade
Artemis Fowls Gewohnheit, aber da sein Leibwächter
Butler ihn nicht begleitete, hatte er notgedrungen auf
die eigenen Fahrkünste zurückgreifen müssen - und die
waren so unterentwickelt wie seine sportlichen Fähigkei-
ten. Einer dieser Klugscheißer aus seiner Klasse in der Saint
Bartleby's School, seines Zeichens der Erbe eines Hotelimperiums,
hatte Artemis nur Der-mit-den-zwei-linken-
Füßen genannt, weil er sich beim Fußball so ungeschickt
anstellte. Artemis hatte sich diesen Spitznamen etwa eine
Woche lang angehört, dann hatte er die Hotelkette des jungen
Erben aufgekauft. Damit hatte die Lästerei schlagartig
ein Ende.
»Ich hoffe, alles ist bereit?«, sagte Artemis und bewegte
die Finger in den patentierten Solarhandschuhen. Ihm fiel
auf, dass die eine Hand unangenehm warm war. Das Thermostat
hatte wohl einen Schlag abbekommen, als er ein
paar hundert Meter die Küste hinunter einen Eis-Obelisken
geschrammt hatte. Mit den Zähnen zog er das Stromkabel
aus dem Handschuh. Schließlich bestand kaum die Gefahr
einer Unterkühlung. Die herbstlichen Temperaturen lagen
nur knapp unter null.
»Schönen Tag auch«, sagte Adamsson. »Nett, Sie endlich
persönlich kennenzulernen, junger Mann. Ich hoffe, Ihre
Anreise war nicht zu stürmisch?«
Artemis biss nicht auf den Lass-mich-dein-Freund-sein-
Köder an, den Adamsson ihm hinwarf. In seinem Leben war
derzeit kein Platz für weitere Freunde, denen er nicht vertraute.
»Ich habe nicht vor, um die Hand Ihrer Tochter
anzuhalten, Mister Adamsson, Sie brauchen also keinerlei
Versuche zu unternehmen, das Eis zu brechen. Alles
bereit?«
Adam Adamsson schluckte den nächsten Eisbrecher hinunter,
der ihm schon auf der Zunge lag, und nickte ein halbes
Dutzend Mal. »Jawohl. Ihre komische Kiste steht hinter
dem Haus. Ich habe ein vegetarisches Buffet zusammengestellt
und die Tüten mit Pröbchen von Blue Lagoon wie gewünscht
organisiert. Ein Tisch ist auch gedeckt, wie Sie es in
Ihrer ausgesprochen knappen E-Mail verlangt hatten. Aber
von Ihren Gästen ist noch keiner aufgetaucht, und das nach
all der Arbeit, die ich mir gemacht habe.«
Artemis holte einen Aktenkoffer aus Aluminium aus dem
Gepäckfach des Schneemobils. »Darüber machen Sie sich
mal keine Sorgen, Mister Adamsson. Warum fahren Sie
nicht nach Reykjavík und verprassen einen Teil der exorbitanten
Summe, die Sie mir für die zweistündige Nutzung
Ihres drittklassigen Restaurants in Rechnung gestellt haben?
Vielleicht finden Sie ja auch einen einsamen Baumstumpf,
dem Sie Ihr Herz ausschütten können.«
Zweistündig. Drittklassig. Zwei plus drei macht fünf.
Gut.
Jetzt war es Adamsson, der ein Knurren ausstieß, dass die
Spitzen seines gewaltigen Schnauzbarts zitterten. »Kein
Grund, sich so aufzuspielen, Mister Fowl. Männer wie wir
respektieren einander doch.«
»Ach, wirklich? Vielleicht sollten wir mal die Wale fragen,
wie viel Respekt Sie verdienen. Oder die Nerze in der
Gegend.«
Adamsson zog eine Grimasse, und sein windgegerbtes
Gesicht wurde runzelig wie eine Dörrpflaume. »Schon gut,
schon gut, ich habe verstanden. Aber warum wollen Sie
mich für alle Verbrechen der Menschheit verantwortlich
machen? Ihr Teenager seid doch alle gleich. Mal abwarten,
ob eure Generation besser mit dem Planeten umgeht.«
Artemis ließ das Schloss seines Aktenkoffers exakt zwanzigmal
auf- und zuschnappen, bevor er das Restaurant betrat.
»Eins können Sie mir glauben, wir Teenager sind nicht
alle gleich«, sagte er, als er an Adamsson vorbeiging. »Und
ich habe die Absicht, einiges besser zu machen.«
Im Restaurant standen mehr als ein Dutzend Tische, alle
mit den Stühlen obenauf - bis auf einen, der für fünf Personen
gedeckt war, mit einem Leinentuch, in Flaschen abgefülltem
Gletscherwasser und an jedem Platz eine Tüte mit
Pröbchen von Blue Lagoon.
Fünf, dachte Artemis. Eine gute Zahl. Solide. Verlässlich.
Vier mal fünf macht zwanzig.
Vor kurzem hatte Artemis beschlossen, dass die Fünf seine
Zahl war. Wenn die Fünf auftauchte, geschah immer etwas
Gutes. Der Logiker in ihm wusste, dass das Unsinn war,
aber die Tragödien in seinem Leben waren nun mal alle in
Jahren passiert, in denen keine Fünf vorkam und die man
auch nicht durch fünf teilen konnte: Sein Vater war entführt
worden und hatte sein Bein verloren, und Commander Julius
Root von der ZUP war von der berüchtigten Wichtelin
Opal Koboi ermordet worden. Er selbst war eins fünfundsechzig
groß und wog fünfundfünfzig Kilo. Wenn er etwas
fünfmal berührte oder ein Mehrfaches davon, dann konnte
er sich auf diese Sache verlassen. Eine Tür beispielsweise
blieb dann geschlossen, oder ein Andenken beschützte den
Eingang, wie es sich gehörte.
Dieser Tag stand unter guten Vorzeichen. Er war jetzt
fünfzehn Jahre alt. Dreimal fünf. Und sein Hotelzimmer in
Reykjavík hatte die Nummer fünfundvierzig gehabt. Sogar
das Schneemobil, mit dem er unbeschadet hierhergekommen
war, trug ein Kennzeichen, dessen Zahl durch fünf teilbar
war, und hatte obendrein noch einen 50-Kubik-Motor.
Alles bestens. Zu dem Treffen waren nur vier Gäste eingeladen,
aber zusammen mit ihm machte das fünf. Also kein
Grund zur Panik.
Ein Teil von Artemis war entsetzt über diesen neuen
Aberglauben, was Zahlen anging.
Reiß dich zusammen. Du bist ein Fowl. Wir verlassen uns
nicht auf das Glück - sieh zu, dass du diesen albernen Tick
schnell wieder loswirst.
Erneut ließ Artemis das Schloss seines Koffers auf- und
zuschnappen, um die Zahlengötter zu besänftigen - zwanzigmal,
vier mal fünf -, und er spürte, wie sein Herzschlag
sich beruhigte.
Morgen, wenn dieses Projekt erledigt ist, höre ich damit
auf.
Er blieb beim Empfangstresen stehen, bis Adamsson mit
seinem Motorschlitten hinter einer Schneewehe verschwunden
war, die aussah wie das Rückgrat eines Wals, und das
Dröhnen des Fahrzeugs nur noch klang wie der Husten
eines alten Rauchers. Sehr gut. Jetzt ist Zeit, ein paar Geschäfte
zu erledigen.
Artemis stieg die fünf Holzstufen zum Gastraum hinunter
- ausgezeichnet, gutes Omen - und ging an einer Reihe
von Säulen, die mit Nachbildungen der Stóra-Borg-Maske
geschmückt waren, vorbei bis zum Kopfende des gedeckten
Tisches. Die Stühle standen so, dass sie auf ihn ausgerichtet
waren, und über dem Tisch hing ein leichtes Flirren in der
Luft, wie an einem heißen Tag über dem Asphalt.
»Guten Morgen, liebe Freunde«, sagte Artemis auf Gnomisch,
um einen selbstbewussten, beinahe jovialen Tonfall
bemüht. »Heute ist der Tag, an dem wir die Welt retten
werden.«
Das Flirren verstärkte sich, und es begann zu knistern.
Neonweiße Lichtblitze zuckten auf, und verschwommen
zeichneten sich Gesichter ab, wie Geister in einem Traum.
Dann verfestigten sich die Gesichter, und die dazugehörigen
Körper wurden sichtbar. Drei kleine Gestalten tauchten auf,
wie Kinder. Aber es waren keine Kinder, sondern Repräsentanten
des Erdvolks, und unter ihnen waren vielleicht die
einzigen Freunde, die Artemis hatte.
»Die Welt retten?«, sagte Captain Holly Short von der
ZUP-Aufklärung. »Typisch Artemis Fowl - und das meine
ich ironisch, denn die Welt retten ist ja sonst nicht so dein
Ding.«
Artemis wusste, er sollte lächeln, doch es gelang ihm
nicht. Stattdessen wich er auf Kritik aus, eine Verhaltensweise,
die durchaus zu ihm passte und keinen Verdacht wecken
würde. »Sie brauchen einen neuen Verstärker, Foaly«,
sagte er zu dem Zentauren, der ein wenig ungeschickt auf
dem für Menschen gedachten Stuhl balancierte. »Das Flimmern
war schon von der Veranda aus zu sehen. Und Sie
bezeichnen sich als Technikprofi? Wie alt ist das Modell,
das Sie verwenden?«
Foaly stampfte mit dem Huf auf - eine lästige Angewohnheit
von ihm und der Grund, weshalb er beim Kartenspielen
immer verlor. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Menschenjunge.«
»Und? Wie alt ist es?«
»Keine Ahnung. Vielleicht vier Jahre.«
»Vier. Na bitte, kein Wunder bei der Zahl.«
Foaly schob die Unterlippe vor. »Was hast du gegen die
Zahl, Artemis? Der Verstärker tut's noch die nächsten hundert
Jahre. Vielleicht muss er mal neu eingestellt werden,
aber das ist auch alles.«
Holly stand auf und ging zum Kopfende des Tisches.
»Müsst ihr zwei denn gleich wieder mit dem Hickhack anfangen?
Ist das nach all den Jahren nicht ein bisschen albern?
Ihr seid wie zwei Hunde, die ihr Revier markieren.«
Sie legte ihre schlanken Finger auf Artemis' Unterarm. »Lass
ihn, Artemis. Du weißt doch, wie sensibel Zentauren sind.«
Artemis konnte ihr nicht in die Augen sehen. In seinem
linken Snowboot wippte er zwanzigmal mit den Zehen.
»Meinetwegen. Wechseln wir das Thema.«
»Gute Idee«, sagte das dritte unterirdische Wesen im
Raum. »Wir sind Ihretwegen extra aus Russland gekommen,
Fowl. Wenn wir uns also dem Anlass dieses Treffens
zuwenden könnten ...«
Commander Raine Vinyáya gefiel es offensichtlich gar
nicht, so weit weg von ihrem geliebten Polizeipräsidium zu
sein. Sie war seit ein paar Jahren oberste ZUP-Chefin und
legte großen Wert darauf, über jede laufende Mission im
Bilde zu sein. »Da unten wartet genug Arbeit auf mich,
Artemis. Die Wichtel proben den Aufstand und fordern
Opal Kobois Freilassung, und wir haben schon wieder eine
Fluchkröten-Epidemie. Also seien Sie so gut und kommen
Sie zur Sache.«
Artemis nickte. Vinyáya machte keinen Hehl aus ihrer
Gereiztheit, und diesem Gefühl konnte man vertrauen - es
sei denn, das Ganze war ein Bluff und Commander Vinyáya
schwärmte heimlich für ihn. Oder es war ein doppelter
Bluff, und sie war wirklich gereizt.
Klingt verrückt, dachte Artemis. Selbst für mich.
Obwohl sie nur knapp einen Meter maß, war Commander
Vinyáya eine beeindruckende Persönlichkeit, und Artemis
war nicht so leichtsinnig, sie zu unterschätzen. Nach
der Zählung des Erdvolks war sie schon fast vierhundert
Jahre alt, was jedoch höchstens einem Menschenalter von
vierzig Jahren entsprach, und sie war eine auffallende Erscheinung:
schlank und blass, mit beweglichen, katzenartigen
Pupillen, wie sie bei Elfen bisweilen vorkamen. Doch
selbst diese Besonderheit war nicht ihr auffallendstes Merkmal.
Raine Vinyáya hatte eine Mähne silbernen Haars, das
jeden Lichtstrahl einzufangen schien und wie eine funkelnde
Welle um ihre Schultern spielte.
Artemis räusperte sich und wandte seine Aufmerksamkeit
dem Projekt zu, oder genauer gesagt, dem Großen Pro-
jekt, wie er es im Stillen nannte. Denn letzten Endes war
dies der einzige Plan, der zählte.
Holly knuffte ihn leicht in die Schulter. »Du siehst blass
aus. Sogar noch blasser als sonst. Alles in Ordnung, Geburtstagskind?«
Nun gelang es Artemis endlich, ihr in die Augen zu sehen
- ein blaues und ein braunes, umrahmt von einer hohen
Stirn und ein paar kastanienbraunen Ponyfransen, die Holly
aus ihrem sonstigen Kurzhaarschnitt hatte herauswachsen
lassen.
»Fünfzehn werde ich heute«, murmelte er. »Dreimal fünf.
Das ist gut.«
Holly blinzelte.
Artemis Fowl murmelte vor sich hin? Und hatte keinen
Kommentar zu ihrer neuen Frisur abgegeben? Normalerweise
bemerkte er jede äußerliche Veränderung sofort.
Ȁh, ja ... wenn du meinst. Wo ist Butler? Auf Erkundungstour
im Gelände?«, sagte Holly.
»Nein. Nein, ich habe ihn weggeschickt. Juliet brauchte
ihn dringender.«
»Nichts Ernstes, hoffe ich?«
»Nein, nicht wirklich ernst, aber sehr wichtig. Eine Familienangelegenheit.
Er verlässt sich wohl ganz darauf, dass
du auf mich aufpasst.«
Holly presste die Lippen zusammen, als hätte sie auf etwas
Saures gebissen. »Er verlässt sich darauf, dass jemand
anders seinen Schützling bewacht? Bist du sicher, dass wir
hier über Butler reden?«
»Natürlich. Es ist besser, dass er nicht hier ist. Immer,
wenn bei meinen Plänen etwas schiefgeht, ist er in der Nähe.
Und es ist wichtig, äußerst wichtig, dass dieses Treffen ohne
Störungen und Zwischenfälle abläuft.«
Vor Überraschung klappte Holly buchstäblich die Kinn-
lade herunter. Es war beinahe zum Lachen. Wenn sie Artemis
richtig verstanden hatte, gab er Butler die Schuld am
Scheitern einiger Pläne - ausgerechnet seinem treuesten
Verbündeten.
»Gut, dann lasst uns anfangen. Wir vier werden das Kind
schon schaukeln.«
Das kam von Foaly, der die gefürchtete Zahl ohne jeden
Gedanken an die Folgen ausgesprochen hatte.
Vier. Die schlimmste Zahl überhaupt. Die Chinesen hassen
die Zahl, weil sie genauso klingt wie ihr Wort für Tod.
Doch fast noch schlimmer, als die Zahl auszusprechen, war
die Tatsache, dass sich nur vier Personen im Raum befanden.
Offenbar hatte Commander Trouble Kelp es nicht geschafft
zu kommen. Trotz ihrer langjährigen gegenseitigen
Abneigung hätte Artemis den Commander jetzt gerne hier
gehabt.
»Wo ist Commander Kelp, Holly? Ich dachte, er wäre
heute hier. Wir könnten Schutz gebrauchen.«
Holly stand pfeilgerade aufgerichtet am Tisch, in ihrem
blauen Overall mit dem funkelnden Eichelabzeichen auf
der Brust. »Trouble ... Commander Kelp hat genug im Polizeipräsidium
zu tun, aber keine Sorge. Über uns schwebt
ein Shuttle mit einem kompletten ZUP-Einsatzkommando
- mit Sichtschild natürlich. Nicht einmal ein Schneefuchs
könnte sich hier reinschleichen, ohne dass er sich die
Schwanzspitze verkohlt.«
Artemis zog seine Handschuhe und die Daunenjacke aus.
»Danke, Holly. Deine Umsicht beruhigt mich. Nur aus Neugier:
Wie viele Elfen umfasst ein ZUP-Einsatzkommando?«
»Vierzehn«, erwiderte Holly mit hochgezogener Augenbraue.
»Vierzehn. Hmm. Das ist nicht gerade -« Dann eine
plötzliche Eingebung. »Und ein Pilot, oder?«
»Vierzehn einschließlich des Piloten. Das genügt, um jede
beliebige Menscheneinheit lahmzulegen.«
Einen Moment sah es so aus, als würde Artemis Fowl auf
dem Absatz kehrtmachen und vor dem Treffen davonlaufen,
das er selbst einberufen hatte. An seinem Hals trat eine
Sehne hervor, und sein Zeigefinger tippte auf die hölzerne
Stuhllehne.
Schließlich schluckte er einen offenbar ziemlich großen
Frosch hinunter und nickte nervös. »Gut. Dann eben vierzehn.
Bitte setz dich, Holly. Ich werde euch von dem Projekt
erzählen.«
Langsam ließ Holly sich auf einen Stuhl sinken. Sie musterte
Artemis forschend, suchte nach der Überheblichkeit,
die sonst stets in sein selbstgefälliges Gesicht geschrieben
stand. Doch diesmal war davon nichts zu sehen.
Was immer das für ein Projekt sein mag, dachte Holly, es
muss etwas Großes sein.
Artemis legte seinen Aktenkoffer auf den Tisch, klappte
ihn auf und drehte den Deckel herum, in den ein Bildschirm
eingebaut war. Für einen kurzen Moment gewann seine
Freude an technischen Spielereien die Oberhand, und er
sandte sogar ein verhaltenes Lächeln in Foalys Richtung.
Nun ja, die Mundwinkel verzogen sich um immerhin einen
Zentimeter.
»Sehen Sie her. Diese kleine Kiste wird Ihnen allen gefallen«,
begann er.
Foaly kicherte spöttisch. »Gütige Sterne! Nicht zu glauben
- ist das womöglich ein Laptop? Du beschämst uns mit
deiner Genialität, Arty.«
Foalys Sarkasmus rief allgemeines Stöhnen hervor.
»Was denn?«, protestierte er. »Das ist ein Laptop. Selbst
Menschenwesen können doch nicht erwarten, dass irgendwer
sich von einem Laptop beeindrucken lässt.«
»Wie ich Artemis kenne«, sagte Holly, »wird aber gleich
etwas Beeindruckendes passieren. Oder etwa nicht?«
»In diesem Fall urteilt selbst«, sagte Artemis und legte
seinen Daumen auf einen eingebauten Scanner.
Der Scanner leuchtete auf, prüfte den Daumen und gab
mit einem grünen Blinken sein Einverständnis. Ein paar Sekunden
passierte gar nichts, dann erklang ein leises Summen,
als läge im Innern des Koffers eine zufriedene kleine
Katze.
»Ein Motor«, sagte Foaly. »Wirklich toll.«
Plötzlich lösten sich mit einem leichten Knall die metallverstärkten
Ecken des Deckels und bohrten sich in die
Zimmerdecke. Gleichzeitig entfaltete sich der Bildschirm
auf eine Größe von über einem Quadratmeter, samt Lautsprechern
an den Seiten.
»Okay, es ist ein großer Bildschirm«, sagte Foaly. »Aber
das ist bloß Angeberei. Ein paar V-Goggles hätten es auch
getan.«
Artemis drückte auf eine weitere Taste des Koffers, und
die Metallecken in der Decke entpuppten sich als Projektoren,
deren Datenströme sich in der Mitte des Raumes trafen
und ein rotierendes 3-D-Modell der Erde erstehen ließen.
Auf dem Bildschirm erschien das Fowl'sche Firmenlogo,
umrahmt von mehreren Dateiordnern.
»Ein holographischer Koffer«, sagte Foaly, der es sichtlich
genoss, weiterhin offensichtlich unbeeindruckt zu sein. »Die
haben wir schon seit Jahren.«
»Das ist kein holographischer Koffer - der Koffer ist vollkommen
real«, korrigierte Artemis ihn. »Aber die Bilder,
die Sie gleich sehen werden, sind holographisch. Ich habe
mir erlaubt, das ZUP-System ein wenig zu verbessern. Der
Koffer ist mit diversen Satelliten synchronisiert, und die eingebauten
Computer können Echtzeitbilder von Objekten
konstruieren, die sich außerhalb der Reichweite der Sensoren
befinden.«
»So was habe ich zu Hause«, murmelte der Zentaur. »Für
die Spielkonsole meiner Kinder.«
»Und das System verfügt natürlich auch über intelligente
interaktive Funktionen, so dass ich auch Modelle von Hand
konstruieren oder verändern kann, sofern ich V-Gloves trage«,
fuhr Artemis fort.
Foaly zog eine Schmollmiene. »Okay, Menschenjunge.
Das ist gut«, sagte er, konnte sich jedoch nicht verkneifen
hinzuzufügen: »Für einen Oberirdischen.«
Vinyáyas Pupillen verengten sich im Licht der Projektoren.
»Das ist ja alles sehr hübsch, Fowl, aber wir wissen
immer noch nicht, was der Zweck dieses Treffens ist.«
Artemis trat in das Hologramm und schob seine Hände
in zwei V-Gloves, die über Australien schwebten. Die Handschuhe
waren aus einem leicht transparenten, schaumstoffartigen
Material. Wieder flackerte der Sensor des Koffers
ein paarmal, bevor er sich dazu entschloss, Artemis'
Hände zu akzeptieren. Mit einem leisen Piepen schlossen
sich die Handschuhe, deren Fingerspitzen mit einem
DigiPointer versehen waren, wie eine zweite Haut um seine
Finger.
»Die Erde«, begann er und unterdrückte den Impuls, sein
Skript aufzuschlagen und die Wörter zu zählen. Er hatte
seinen Vortrag im Kopf.
»Unser Zuhause. Sie nährt uns, und sie schützt uns. Ihre
Schwerkraft verhindert, dass wir ins All stürzen und zu
einem Eisblock erstarren, bevor wir dann wieder auftauen
und von der Sonne verkohlt werden - was aber nebensächlich
ist, da wir bis dahin längst erstickt wären.« Artemis
legte eine Pause für das Gelächter ein und war überrascht,
als keines kam. »Das war ein kleiner Scherz. In einem Rat-
geber für Präsentationen habe ich gelesen, dass ein Scherz
oft gut geeignet ist, um das Eis zu brechen. Und da hier so
viel Eis um uns herum ist, dachte ich, das könnte nicht
schaden.«
»Das war ein Scherz?«, sagte Vinyáya. »Ich habe schon
Officer für weniger vors Kriegsgericht gestellt.«
»Wenn ich faule Tomaten hätte, würde ich sie werfen«,
fügte Foaly hinzu. »Warum beschränkst du dich nicht auf
das Wissenschaftliche und überlässt die Scherze Leuten, die
sich damit auskennen?«
Artemis runzelte die Stirn. Seine ungeplanten Äußerungen
brachten ihn aus dem Konzept. Er wusste nicht einmal
mehr, wie viele Wörter seine Präsentation hatte. Falls er mit
einem Vielfachen von vier endete, das nicht zugleich auch
ein Vielfaches von fünf war, konnte das üble Folgen haben.
Vielleicht sollte er noch einmal von vorne beginnen? Aber
das wäre Schummelei, außerdem würden die Zahlengötter
einfach alles zusammenzählen, und dann wäre er auch nicht
besser dran.
Ist das kompliziert, da nicht den Faden zu verlieren. Selbst
für ein Genie wie mich.
Doch er würde fortfahren, denn es war äußerst wichtig,
dass er sein Großes Projekt heute vorstellte, damit das Produkt
umgehend in die Herstellung gehen konnte.Also schob
Artemis seine Unsicherheit beiseite und stürzte sich voller
Elan in seinen Vortrag, wobei er sich kaum Zeit ließ, Luft zu
holen, aus Angst, ihn könnte der Mut verlassen.
»Die größte Bedrohung für die Erde ist der Mensch. Wir
rauben dem Planeten nicht nur seine fossilen Brennstoffe,
sondern gefährden ihn noch zusätzlich, indem wir mit den
Abfallprodukten dieser Brennstoffe erheblich weiter zur
globalen Erwärmung beitragen.« Er richtete den DigiPointer
an seinem Zeigefinger auf den vergrößerten Bildschirm
und öffnete nacheinander mehrere Videodateien. »Die
Gletscher der Erde verlieren jedes Jahr zwei Meter ihrer
gesamten Eisschicht, und das entspricht allein im Nordpolarmeer
einer Fläche von immerhin 1,3 Millionen Quadratkilometern
in den letzten dreißig Jahren.« Hinter ihm
zeigten die Videos einige der Folgen der globalen Erwärmung.
»Die Erde muss ohne Frage gerettet werden«, sagte Artemis.
»Und jetzt endlich ist mir klargeworden, dass es meine
Aufgabe ist, sie zu retten. Das ist der Grund, weshalb ich ein
Genie bin. Meine wahre raison d'être.«
Vinyáya tippte mit den Fingerspitzen auf den Tisch. »In
Haven City gibt es eine ziemlich starke Lobby, die dafür ist,
nichts gegen die globale Erwärmung zu unternehmen. Die
Oberirdischen werden sich selbst vernichten, und dann
können wir uns den Planeten zurückerobern.«
Auf diesen Einwand war Artemis vorbereitet. »Ein naheliegendes
Argument, Commander, aber die Erwärmung betrifft
ja nicht nur die Menschen, nicht wahr?« Er öffnete
noch ein paar Videodateien, und auf dem Bildschirm erschienen
abgemagerte Eisbären, die hilflos auf Eisschollen
trieben, Elche in Michigan, die von massiven Mücken-
schwärmen bei lebendigem Leib ausgesaugt wurden, und
ausgeblichene Korallenriffe, in denen keine Spur von Leben
mehr zu finden war.
»Das Problem betrifft sämtliche Lebewesen auf und unter
der Erde.«
Foaly wirkte ziemlich verärgert. »Glaubst du vielleicht,
darüber hätten wir noch nicht nachgedacht, Menschenjunge?
Was meinst du, womit unsere sämtlichen Wissenschaftler
von Haven City bis Atlantis sich beschäftigen?
Ehrlich gesagt, finde ich deinen Vortrag ziemlich selbstgefällig.«
Artemis zuckte die Achseln. »Ihre Gefühle zählen dabei
nicht, ebenso wenig wie meine. Die Erde muss einfach gerettet
werden.«
Holly setzte sich auf. »Sag nicht, du hast die Lösung gefunden.«
»Doch. Doch, ich glaube schon.«
Foaly schnaubte. »Ach, wirklich? Lass mich raten. Die
Eisberge einpacken? Oder Linsen in die Atmosphäre schießen,
die die Strahlen brechen? Oder wie wär's mit maßgeschneiderten
Wolkenschichten?«
»So absurd, wie es aus Ihrem Mund klingt, ist das gar
nicht.« Artemis gab dem Erd-Hologramm mit einer Hand
Schwung und ließ es kreisen wie einen Basketball. »Alle diese
Lösungen könnten - mit gewissen Modifizierungen -
funktionieren. Aber dafür wäre eine ganze Menge staatsübergreifender
Zusammenarbeit nötig, und wie wir alle
wissen, sind die Regierungen der Menschen nicht sehr gut
darin, ihre Spielzeuge mit anderen zu teilen. Mag sein, dass
das in fünfzig Jahren anders aussieht, aber dann ist es zu
spät.«
Commander Vinyáya war immer stolz auf ihr Gespür für
Situationen gewesen, und jetzt rauschten ihre Instinkte so
laut wie die Wogen des Pazifiks. Dies war ein historischer
Moment. Selbst die Luft war wie aufgeladen. »Nur zu,
Oberirdischer«, sagte sie ruhig, aber voller Autorität. »Fahren
Sie fort.«
Mit Hilfe der V-Gloves markierte Artemis die eisbedeckten
Flächen der Erde und ordnete sie zu einem Rechteck
an. »Die Gletscher abzudecken ist eine ausgezeichnete
Idee, doch selbst wenn die Topographie so einfach wäre
wie hier - ein ebenmäßiges Rechteck -, würde man mehrere
Armeen und ein halbes Jahrhundert brauchen, das zu
schaffen.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Foaly. »Eure Holzfäller-Maschinen
fräsen sich doch ziemlich fix durch den Regenwald.«
»Wer sich am Rand des Gesetzes bewegt, ist schneller als
derjenige, der sich daran hält. Da komme ich ins Spiel.«
Foaly schlug seine Vorderbeine übereinander, was für
einen Zentauren auf einem Stuhl nicht einfach ist. »Dann
erzähl mal. Ich bin ganz Ohr.«
»Das habe ich vor«, sagte Artemis. »Und ich wäre Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie sich die üblichen Ausrufe des
Entsetzens und Unglaubens verkneifen würden, bis ich fertig
bin. Ihre ständigen Zwischenbemerkungen sind ausgesprochen
lästig und stören mich dauernd beim Zählen der
Wörter.«
»Große Götter!«, rief Foaly aus. »Das ist doch nicht zu
fassen!«
Raine Vinyáya warf dem Zentauren einen warnenden
Blick zu. »Hören Sie auf, sich wie ein Trollbulle zu benehmen,
Foaly. Ich bin von weit her gekommen, um mir das hier
anzuhören.«
»Soll ich ihn in eins von seinen Nervenzentren zwicken,
um ihn ruhigzustellen?«, fragte Holly mit der Andeutung
eines Lächelns. »Ich habe einen Spezialkurs belegt und
weiß, wie man Zentauren und Menschen außer Gefecht
setzt. Nur für den Fall, dass wir es mal brauchen. Mit einem
Finger oder meinem soliden Stift kann ich jeden hier im
Raum ausschalten.«
Foaly war zu achtzig Prozent sicher, dass Holly bluffte,
aber er legte vorsichtshalber trotzdem die Hände über die
empfindlichen Stellen hinter seinen Ohren. »Ist ja gut. Ich
bin ganz still.«
»Wunderbar. Dann schieß los, Artemis.«
»Danke. Aber behalte deinen Stift in Reichweite, Holly.
Ich habe so eine Ahnung, dass meine Ausführungen einiges
Erstaunen hervorrufen werden.«
Mit einem Zwinkern klopfte Holly auf ihre Uniformtasche.
»2-B-Graphit. Bestens geeignet für einen schnellen
Knockout.«
Holly scherzte, aber sie war nicht mit dem Herzen dabei.
Artemis spürte, dass sie die flapsigen Bemerkungen nur vorschob.
Warum aber war sie so unruhig? Er warf ihr einen
verstohlenen Seitenblick zu. Holly hatte die Stirn gerunzelt,
und ihre Augen blickten besorgt.
Sie weiß Bescheid, dachte Artemis, aber er hätte nicht sagen
können, was sie nun genau wusste. Und sie weiß, dass
irgendetwas anders ist, dass die geraden Zahlen sich gegen
mich verschworen haben. Zwei mal zwei macht vier Unterirdische,
die meinen Plänen Unglück bringen.
Dann ging er seinen letzten Gedanken noch einmal durch,
und für einen kurzen Moment wurde ihm bewusst, wie verrückt
selbst seine Gedanken klangen, zumal im Raum ja
nur drei Unterirdische waren und nicht vier, wie ursprünglich
geplant. Panik lauerte wie eine dicke, zusammengerollte
Schlange in seinem Magen.
Habe ich etwa einen Gehirntumor?, überlegte er. Das
würde die Zwangshandlungen, die Halluzinationen und den
Verfolgungswahn erklären. Oder ist es einfach eine Zwangsneurose?
Der große Artemis Fowl, Opfer einer verbreiteten
psychischen Störung.
Artemis hielt einen Moment inne, um einen alten Hypnosetrick
auszuprobieren.
Stell dir vor, Artemis, du bist an einem schönen Ort. Irgendwo,
wo selbst du,Artemis, dich glücklich und geborgen
fühlst.
Glücklich und geborgen? Das war schon eine Weile her,
dass er sich so gefühlt hatte.
In Gedanken wanderte er zurück und fand sich auf einem
kleinen Hocker in der Werkstatt seines Großvaters wieder.
Sein Großvater sah ein wenig hinterhältiger aus, als Artemis
ihn in Erinnerung hatte, und sagte mit einem Zwinkern zu
seinem fünfjährigen Enkel: Weißt du, wie viele Beine dieser
Hocker hat, Arty? Drei. Nur drei, und das ist keine gute
Zahl für dich. Ganz und gar nicht. Drei ist fast so schlimm
wie vier, und wir wissen doch alle, wonach vier auf Chinesisch
klingt, nicht wahr?
Artemis erschauderte. Diese Krankheit infizierte sogar
seine Erinnerungen. Er presste den Daumen und Zeigefinger
seiner linken Hand zusammen, bis die Haut weiß
wurde - eine Technik, die er sich selbst beigebracht hatte,
um sich zu beruhigen, wenn die Zahlenpanik zu stark
wurde, doch der Trick funktionierte immer seltener und in
diesem Fall überhaupt nicht, zumal er noch die V-Gloves
trug.
Ich verliere noch meine Haltung, dachte er mit stiller Verzweiflung.
Die Krankheit wird immer stärker.
Foalys Räuspern riss Artemis aus seinen Gedanken. »Hallo?
Menschenjunge? Hier sitzen ein paar wichtige Leute und
warten.«
Und Holly fragte: »Ist alles in Ordnung,Artemis? Brauchst
du eine Pause?«
Beinahe hätte Artemis gelacht. Eine Pause? Artemis Fowl?
Während einer Präsentation? Da könnte er sich genauso
gut ein T-Shirt mit der Aufschrift LOSER anziehen.
»Nein, mir geht's gut. Das hier ist ein großes Projekt. Ich
will sicher sein, dass meine Präsentation absolut perfekt ist.«
Foaly beugte sich vor, bis sein ohnehin wackeliger Stuhl
gefährlich zu kippeln begann. »Du siehst aber nicht so aus,
als ob es dir gutginge. Du wirkst eher ...« Der Zentaur
saugte an seiner Unterlippe, während er nach dem pas-
senden Wort suchte. »Erschöpft. Ja, Artemis, du wirkst er-
schöpft.«
Etwas Besseres hätte er gar nicht sagen können.
Artemis richtete sich auf. »Ich glaube, Foaly, Ihnen fehlt
das Gespür für menschliche Gesichtsausdrücke. Ich bin keineswegs
erschöpft. Ich wäge nur jedes Wort ab.«
»Vielleicht solltest du etwas schneller abwägen«, mahnte
Holly sanft. »Wir sind hier ziemlich ungeschützt.«
Artemis schloss die Augen, um sich zu sammeln.
Vinyáya trommelte erneut mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Keine weiteren Verzögerungen, Oberirdischer. Mir
kommt langsam der Verdacht, dass Sie uns in einen Ihrer
berüchtigten Pläne einspannen wollen.«
»Nein. Dies ist ein echtes Angebot. Bitte hören Sie zu.«
»Das versuche ich ja. Ich habe einen weiten Weg zurückgelegt,
um Ihnen zuzuhören. Aber bisher haben Sie nichts
anderes getan, als mit Ihrem Koffer anzugeben.«
Artemis hob die Hände auf Schulterhöhe, um die
V-Gloves wieder zu aktivieren, und tippte auf den Gletscher.
Dann begann er mit seiner Präsentation.
»Was wir tun müssen, ist, einen erheblichen Teil der Gletscher
auf unserem Planeten mit einer reflektierenden Schicht
abzudecken, um das Schmelzen aufzuhalten. An den Rändern,
wo das Eis schneller schmilzt, müsste die Schicht dicker
sein. Und es wäre schön, wenn wir zumindest die größeren
Vertiefungen abdichten könnten.«
»In einer perfekten Welt wäre vieles schön«, sagte Foaly
und brach damit erneut sein Schweigegelübde. »Meinst du
nicht, dass deine Leute ein wenig irritiert wären, wenn
plötzlich kleine Wesen in UFOs aus der Erde auftauchten
und anfingen, den Garten des Weihnachtsmanns mit Alufolie
abzudecken?«
»Ja, das wären sie ... wir. Und deshalb muss diese Operation
auch unbedingt heimlich durchgeführt werden.«
»Heimlich die Gletscher der Erde abdecken? Warum hast
du das nicht gleich gesagt?«
»Das habe ich ja eben. Und ich dachte, wir hätten uns
geeinigt, dass Sie schweigen. Diese ständigen Unterbrechungen
sind ermüdend.«
Holly zwinkerte Foaly zu und rollte vielsagend den Stift
zwischen ihren Fingern.
»Das größte Problem bei der Frage der Abdeckung der Eisflächen
war schon immer, wie man die reflektierende Folie
auslegen soll«, fuhr Artemis fort. »Die einzige Möglichkeit
schien bisher, sie wie einen Teppich auszurollen, entweder von
Hand oder mit Hilfe irgendwelcher spezieller Schneemobile.«
»Eine Operation, die kaum geheim bleiben würde«, bemerkte
Foaly.
»Genau.Aber was, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe,
eine reflektierende Schicht aufzubringen? Eine Schicht, die
wirklich ganz natürlich wirkt?«
»Du meinst, die Natur zu Hilfe nehmen?«
»Ja, Foaly. Die Natur ist unser Vorbild, warum also nicht
dabei bleiben?«
Der Raum schien sich aufzuheizen, während Artemis auf
seine große Enthüllung zusteuerte.
»Die menschlichen Wissenschaftler haben schon lange
daran gearbeitet, eine solche Folie einerseits möglichst dünn
zu machen, um damit arbeiten zu können, und andererseits
fest genug, damit sie den Elementen standhält.«
»Idiotisch.«
»Nein, Foaly, nur nicht zu Ende gedacht. Schließlich steht
in Ihren eigenen Unterlagen zum Thema -«
»Ja, ich habe das mit der Folie kurz in Erwägung gezogen.
Halt mal, woher weißt du, was in meinen Unterlagen steht?«
Das war keine echte Frage. Foaly hatte sich schon lange
mit der Tatsache abgefunden, dass Artemis Fowl ein mindestens
ebenso ausgefuchster Hacker war wie er selbst.
»Die Grundidee von Ihnen ist doch gut: ein reflektierendes
Polymer.«
Nachdenklich kaute Foaly an seinen Fingerknöcheln.
»Die Natur. Die Natur zu Hilfe nehmen.«
»Was ist hier das Natürlichste?«, fragte Artemis, um ihm
einen kleinen Tipp zu geben.
»Eis«, sagte Holly. »Eis und -«
»Schnee«, flüsterte der Zentaur beinahe ehrfürchtig.
»Natürlich! D'Arvit, warum bin ich nicht selbst ... Du
meinst Schnee, stimmt's?«
Artemis hob die Hände in den V-Gloves und ließ holographische
Schneeflocken auf sie niederrieseln.
»Ja, Schnee«, sagte er, vom Flockengestöber umschwirrt.
»Niemand würde sich über Schnee wundern, der fällt.«
Foaly sprang auf. »Vergrößern«, befahl er. »Vergrößern
und scharf stellen.«
Artemis tippte eine holographische Schneeflocke an, so
dass sie mitten im Raum stehen blieb. Mit ein paar Bewegungen
vergrößerte er die unechte Flocke, bis ihre Besonderheit
sichtbar wurde: Sie war ebenso perfekt wie ihr echtes
Vorbild, aber rund.
»Ein Nanoplättchen«, sagte Foaly und vergaß ausnahmsweise
zu verbergen, wie beeindruckt er war. »Ein götterverdammtes
Nanoplättchen. Intelligent?«
»Und wie«, bestätigte Artemis. »Intelligent genug, um zu
wissen, wo oben ist, wenn es landet, und sich so zu konfigurieren,
dass es das Eis isoliert und die Sonne reflektiert,
wenn sie scheint.«
»Das heißt, wir füttern die Wolken mit Nanoplättchen?«
»Ja, genau, bis zur Sättigung.«
Foaly trabte durch das holographische Schneegestöber.
»Und wenn sie gesättigt sind, kommt alles als Schnee herunter.«
»Natürlich nicht überall gleichmäßig, aber es wird ausreichen.
Quasi natürlich.«
»Meinen Respekt, Menschenjunge.«
Artemis lächelte, und für einen Moment war er wieder
ganz der Alte. »Das wurde aber auch Zeit.«
Vinyáya unterbrach das wissenschaftliche Geplänkel.
»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Man schießt
diese Plättchen in die Wolken, und dann kommen sie mit
dem Schnee wieder herunter?«
»Genau. In problematischen Fällen könnten wir sie direkt
auf die Oberfläche schießen, aber dann wäre es aus Sicherheitsgründen
am besten, wenn die Verteiler mit aktiviertem
Sichtschutz oberhalb der Wolkendecke blieben.«
»Und das könnten Sie tun?«
»Wir könnten das gemeinsam tun. Dazu müsste der Rat
des Erdvolks allerdings eine ganze Flotte Spezialshuttles sowie
eine Kontrollstation genehmigen.«
Holly fiel etwas ein. »Diese Plättchen sehen nicht aus wie
richtige Schneeflocken. Früher oder später wird irgendein
Oberirdischer mit einem Mikroskop den Unterschied bemerken.«
»Gut erkannt, Holly. Vielleicht sollte ich dich in Sachen
Intelligenz nicht mit dem Rest der ZUP in einen Topf
werfen.«
»Ich nehme das jetzt mal als Kompliment ...«
»Wenn die Plättchen entdeckt werden, was kaum zu verhindern
sein wird, werde ich im Internet eine Nachrichtenkampagne
loslassen, in der ich sie als Abfallprodukt einer
Chemiefabrik in Russland darstelle. Darüber hinaus werde
ich erklären, dass dieser Müll ausnahmsweise mal der Um-
welt nützt und dass ich bereit bin, ein Programm zur Aus-
weitung ihrer Produktion zu finanzieren.«
»Schaden die Plättchen der Umwelt?«, fragte Vinyáya.
»Sie sind biologisch vollständig abbaubar.«
Foaly trabte aufgeregt durch das Hologramm und musterte
das vergrößerte Plättchen eingehend. »Es klingt gut.
Aber ist es das wirklich? Du kannst nicht erwarten, dass das
Erdvolk ein solches Projekt mit einem riesigen Budget unterstützt,
ohne irgendeinen Beweis zu haben, Artemis.
Schließlich könnte dies hier genauso gut eine von deinen
Tricksereien sein.«
Artemis öffnete eine Datei auf dem Bildschirm. »Hier ist
die komplette Aufstellung meines Vermögens. Ich bin sicher,
sie ist korrekt, denn ich habe sie von Ihrem Server,
Foaly.«
Foaly machte sich nicht einmal die Mühe zu erröten.
»Die Zahlen dürften ungefähr stimmen.«
»Ich bin bereit, alles, was ich habe, in dieses Projekt zu
investieren. Das dürfte reichen, um fünf Shuttles für ein
paar Jahre in der Luft zu halten. Natürlich werde ich auch
etwas daran verdienen, wenn die Plättchen in Produktion
gehen. Unterm Strich sollte ich meine Investition wieder herausbekommen,
und vielleicht mache ich am Ende sogar
noch einen ganz ordentlichen Gewinn.«
Beinahe hätte Foaly sich verschluckt. Artemis Fowl
wollte sein ganzes Geld in ein Projekt stecken. Unglaublich.
»Natürlich erwarte ich nicht, dass das Erdvolk mir einfach
so vertraut. Schließlich war ich früher« - Artemis räusperte
sich - »nicht allzu großzügig mit Informationen.«
Vinyáya lachte kühl. »Nicht allzu großzügig? Das finde
ich reichlich untertrieben für einen Entführer und Erpresser,
Master Fowl. Ich persönlich glaube Ihnen, was dieses Pro-
jekt betrifft, aber nicht jeder im Rat ist Ihnen so wohlgesonnen.«
»Ich akzeptiere Ihre Kritik und Ihre Skepsis, und deshalb
habe ich eine kleine Demonstration vorbereitet.«
»Ausgezeichnet«, sagte Foaly voller Eifer. »Natürlich gibt
es eine Demonstration. Warum hättest du uns sonst hierherbestellen
sollen?«
»Genau.«
»Vielleicht für eine neue Entführung und Erpressung?«,
bemerkte Vinyáya mit leisem Spott.
»Das ist lange her«, rief Holly in einem Ton, den sie normalerweise
nicht gegenüber einem Vorgesetzten verwendet
hätte. »Ich meine ... das ist lange her ... Commander. Artemis
hat sich dem Erdvolk gegenüber als guter Freund erwiesen.«
Sie dachte dabei vor allem an eine gefährliche Situation
während des Kobold-Aufstands, als Artemis' Einsatz ihr
selbst und vielen anderen das Leben gerettet hatte.
Auch Vinyáya schien sich an den Kobold-Aufstand zu erinnern.
»Also gut, Fowl. Im Zweifel für den Angeklagten.
Sie haben zwanzig Minuten, um uns zu überzeugen.«
Artemis klopfte fünfmal auf seine Brusttasche, um sich zu
vergewissern, dass sein Handy noch da war.
»Zehn dürften hier wohl ausreichen«, sagte er.
© Weltbild
Der Besitzer der »Raubmöwe«, ein stämmiger Isländer,
den nicht nur ein Schnauzbart von der Flügelspanne eines
ausgewachsenen Kormorans schmückte, sondern der auch
auf den unglaublichen Namen Adam Adamsson hörte,
stand auf der Veranda des Restaurants, schnippte stumm im
Takt einer Melodie mit den Fingern und verfolgte amüsiert
Artemis' mühsame Anreise.
»Erstklassige Vorstellung«, sagte Adamsson zur Begrüßung,
als Artemis mit dem Schneemobil gegen die hölzerne
-
Veranda krachte. »Hardur mad-ur. Sie sind echt ein harter
Kerl. Hab nicht mehr so gelacht, seit mein Hund versucht
hat, sein eigenes Spiegelbild zu fressen.«
Artemis lächelte säuerlich und stieg mit einem missmutigen
Knurren von dem Schneemobil, steif wie ein Cowboy,
dessen Pferd ihm unter dem Sattel weggestorben ist und der
den Rest des Wegs auf der breitesten Kuh der Herde zurückgelegt
hat. Der alte Mann lachte keckernd. »Jetzt klingen
Sie sogar wie mein Hund.«
Ein derart entwürdigender Auftritt entsprach nicht gerade
Artemis Fowls Gewohnheit, aber da sein Leibwächter
Butler ihn nicht begleitete, hatte er notgedrungen auf
die eigenen Fahrkünste zurückgreifen müssen - und die
waren so unterentwickelt wie seine sportlichen Fähigkei-
ten. Einer dieser Klugscheißer aus seiner Klasse in der Saint
Bartleby's School, seines Zeichens der Erbe eines Hotelimperiums,
hatte Artemis nur Der-mit-den-zwei-linken-
Füßen genannt, weil er sich beim Fußball so ungeschickt
anstellte. Artemis hatte sich diesen Spitznamen etwa eine
Woche lang angehört, dann hatte er die Hotelkette des jungen
Erben aufgekauft. Damit hatte die Lästerei schlagartig
ein Ende.
»Ich hoffe, alles ist bereit?«, sagte Artemis und bewegte
die Finger in den patentierten Solarhandschuhen. Ihm fiel
auf, dass die eine Hand unangenehm warm war. Das Thermostat
hatte wohl einen Schlag abbekommen, als er ein
paar hundert Meter die Küste hinunter einen Eis-Obelisken
geschrammt hatte. Mit den Zähnen zog er das Stromkabel
aus dem Handschuh. Schließlich bestand kaum die Gefahr
einer Unterkühlung. Die herbstlichen Temperaturen lagen
nur knapp unter null.
»Schönen Tag auch«, sagte Adamsson. »Nett, Sie endlich
persönlich kennenzulernen, junger Mann. Ich hoffe, Ihre
Anreise war nicht zu stürmisch?«
Artemis biss nicht auf den Lass-mich-dein-Freund-sein-
Köder an, den Adamsson ihm hinwarf. In seinem Leben war
derzeit kein Platz für weitere Freunde, denen er nicht vertraute.
»Ich habe nicht vor, um die Hand Ihrer Tochter
anzuhalten, Mister Adamsson, Sie brauchen also keinerlei
Versuche zu unternehmen, das Eis zu brechen. Alles
bereit?«
Adam Adamsson schluckte den nächsten Eisbrecher hinunter,
der ihm schon auf der Zunge lag, und nickte ein halbes
Dutzend Mal. »Jawohl. Ihre komische Kiste steht hinter
dem Haus. Ich habe ein vegetarisches Buffet zusammengestellt
und die Tüten mit Pröbchen von Blue Lagoon wie gewünscht
organisiert. Ein Tisch ist auch gedeckt, wie Sie es in
Ihrer ausgesprochen knappen E-Mail verlangt hatten. Aber
von Ihren Gästen ist noch keiner aufgetaucht, und das nach
all der Arbeit, die ich mir gemacht habe.«
Artemis holte einen Aktenkoffer aus Aluminium aus dem
Gepäckfach des Schneemobils. »Darüber machen Sie sich
mal keine Sorgen, Mister Adamsson. Warum fahren Sie
nicht nach Reykjavík und verprassen einen Teil der exorbitanten
Summe, die Sie mir für die zweistündige Nutzung
Ihres drittklassigen Restaurants in Rechnung gestellt haben?
Vielleicht finden Sie ja auch einen einsamen Baumstumpf,
dem Sie Ihr Herz ausschütten können.«
Zweistündig. Drittklassig. Zwei plus drei macht fünf.
Gut.
Jetzt war es Adamsson, der ein Knurren ausstieß, dass die
Spitzen seines gewaltigen Schnauzbarts zitterten. »Kein
Grund, sich so aufzuspielen, Mister Fowl. Männer wie wir
respektieren einander doch.«
»Ach, wirklich? Vielleicht sollten wir mal die Wale fragen,
wie viel Respekt Sie verdienen. Oder die Nerze in der
Gegend.«
Adamsson zog eine Grimasse, und sein windgegerbtes
Gesicht wurde runzelig wie eine Dörrpflaume. »Schon gut,
schon gut, ich habe verstanden. Aber warum wollen Sie
mich für alle Verbrechen der Menschheit verantwortlich
machen? Ihr Teenager seid doch alle gleich. Mal abwarten,
ob eure Generation besser mit dem Planeten umgeht.«
Artemis ließ das Schloss seines Aktenkoffers exakt zwanzigmal
auf- und zuschnappen, bevor er das Restaurant betrat.
»Eins können Sie mir glauben, wir Teenager sind nicht
alle gleich«, sagte er, als er an Adamsson vorbeiging. »Und
ich habe die Absicht, einiges besser zu machen.«
Im Restaurant standen mehr als ein Dutzend Tische, alle
mit den Stühlen obenauf - bis auf einen, der für fünf Personen
gedeckt war, mit einem Leinentuch, in Flaschen abgefülltem
Gletscherwasser und an jedem Platz eine Tüte mit
Pröbchen von Blue Lagoon.
Fünf, dachte Artemis. Eine gute Zahl. Solide. Verlässlich.
Vier mal fünf macht zwanzig.
Vor kurzem hatte Artemis beschlossen, dass die Fünf seine
Zahl war. Wenn die Fünf auftauchte, geschah immer etwas
Gutes. Der Logiker in ihm wusste, dass das Unsinn war,
aber die Tragödien in seinem Leben waren nun mal alle in
Jahren passiert, in denen keine Fünf vorkam und die man
auch nicht durch fünf teilen konnte: Sein Vater war entführt
worden und hatte sein Bein verloren, und Commander Julius
Root von der ZUP war von der berüchtigten Wichtelin
Opal Koboi ermordet worden. Er selbst war eins fünfundsechzig
groß und wog fünfundfünfzig Kilo. Wenn er etwas
fünfmal berührte oder ein Mehrfaches davon, dann konnte
er sich auf diese Sache verlassen. Eine Tür beispielsweise
blieb dann geschlossen, oder ein Andenken beschützte den
Eingang, wie es sich gehörte.
Dieser Tag stand unter guten Vorzeichen. Er war jetzt
fünfzehn Jahre alt. Dreimal fünf. Und sein Hotelzimmer in
Reykjavík hatte die Nummer fünfundvierzig gehabt. Sogar
das Schneemobil, mit dem er unbeschadet hierhergekommen
war, trug ein Kennzeichen, dessen Zahl durch fünf teilbar
war, und hatte obendrein noch einen 50-Kubik-Motor.
Alles bestens. Zu dem Treffen waren nur vier Gäste eingeladen,
aber zusammen mit ihm machte das fünf. Also kein
Grund zur Panik.
Ein Teil von Artemis war entsetzt über diesen neuen
Aberglauben, was Zahlen anging.
Reiß dich zusammen. Du bist ein Fowl. Wir verlassen uns
nicht auf das Glück - sieh zu, dass du diesen albernen Tick
schnell wieder loswirst.
Erneut ließ Artemis das Schloss seines Koffers auf- und
zuschnappen, um die Zahlengötter zu besänftigen - zwanzigmal,
vier mal fünf -, und er spürte, wie sein Herzschlag
sich beruhigte.
Morgen, wenn dieses Projekt erledigt ist, höre ich damit
auf.
Er blieb beim Empfangstresen stehen, bis Adamsson mit
seinem Motorschlitten hinter einer Schneewehe verschwunden
war, die aussah wie das Rückgrat eines Wals, und das
Dröhnen des Fahrzeugs nur noch klang wie der Husten
eines alten Rauchers. Sehr gut. Jetzt ist Zeit, ein paar Geschäfte
zu erledigen.
Artemis stieg die fünf Holzstufen zum Gastraum hinunter
- ausgezeichnet, gutes Omen - und ging an einer Reihe
von Säulen, die mit Nachbildungen der Stóra-Borg-Maske
geschmückt waren, vorbei bis zum Kopfende des gedeckten
Tisches. Die Stühle standen so, dass sie auf ihn ausgerichtet
waren, und über dem Tisch hing ein leichtes Flirren in der
Luft, wie an einem heißen Tag über dem Asphalt.
»Guten Morgen, liebe Freunde«, sagte Artemis auf Gnomisch,
um einen selbstbewussten, beinahe jovialen Tonfall
bemüht. »Heute ist der Tag, an dem wir die Welt retten
werden.«
Das Flirren verstärkte sich, und es begann zu knistern.
Neonweiße Lichtblitze zuckten auf, und verschwommen
zeichneten sich Gesichter ab, wie Geister in einem Traum.
Dann verfestigten sich die Gesichter, und die dazugehörigen
Körper wurden sichtbar. Drei kleine Gestalten tauchten auf,
wie Kinder. Aber es waren keine Kinder, sondern Repräsentanten
des Erdvolks, und unter ihnen waren vielleicht die
einzigen Freunde, die Artemis hatte.
»Die Welt retten?«, sagte Captain Holly Short von der
ZUP-Aufklärung. »Typisch Artemis Fowl - und das meine
ich ironisch, denn die Welt retten ist ja sonst nicht so dein
Ding.«
Artemis wusste, er sollte lächeln, doch es gelang ihm
nicht. Stattdessen wich er auf Kritik aus, eine Verhaltensweise,
die durchaus zu ihm passte und keinen Verdacht wecken
würde. »Sie brauchen einen neuen Verstärker, Foaly«,
sagte er zu dem Zentauren, der ein wenig ungeschickt auf
dem für Menschen gedachten Stuhl balancierte. »Das Flimmern
war schon von der Veranda aus zu sehen. Und Sie
bezeichnen sich als Technikprofi? Wie alt ist das Modell,
das Sie verwenden?«
Foaly stampfte mit dem Huf auf - eine lästige Angewohnheit
von ihm und der Grund, weshalb er beim Kartenspielen
immer verlor. »Ich freue mich auch, dich zu sehen, Menschenjunge.«
»Und? Wie alt ist es?«
»Keine Ahnung. Vielleicht vier Jahre.«
»Vier. Na bitte, kein Wunder bei der Zahl.«
Foaly schob die Unterlippe vor. »Was hast du gegen die
Zahl, Artemis? Der Verstärker tut's noch die nächsten hundert
Jahre. Vielleicht muss er mal neu eingestellt werden,
aber das ist auch alles.«
Holly stand auf und ging zum Kopfende des Tisches.
»Müsst ihr zwei denn gleich wieder mit dem Hickhack anfangen?
Ist das nach all den Jahren nicht ein bisschen albern?
Ihr seid wie zwei Hunde, die ihr Revier markieren.«
Sie legte ihre schlanken Finger auf Artemis' Unterarm. »Lass
ihn, Artemis. Du weißt doch, wie sensibel Zentauren sind.«
Artemis konnte ihr nicht in die Augen sehen. In seinem
linken Snowboot wippte er zwanzigmal mit den Zehen.
»Meinetwegen. Wechseln wir das Thema.«
»Gute Idee«, sagte das dritte unterirdische Wesen im
Raum. »Wir sind Ihretwegen extra aus Russland gekommen,
Fowl. Wenn wir uns also dem Anlass dieses Treffens
zuwenden könnten ...«
Commander Raine Vinyáya gefiel es offensichtlich gar
nicht, so weit weg von ihrem geliebten Polizeipräsidium zu
sein. Sie war seit ein paar Jahren oberste ZUP-Chefin und
legte großen Wert darauf, über jede laufende Mission im
Bilde zu sein. »Da unten wartet genug Arbeit auf mich,
Artemis. Die Wichtel proben den Aufstand und fordern
Opal Kobois Freilassung, und wir haben schon wieder eine
Fluchkröten-Epidemie. Also seien Sie so gut und kommen
Sie zur Sache.«
Artemis nickte. Vinyáya machte keinen Hehl aus ihrer
Gereiztheit, und diesem Gefühl konnte man vertrauen - es
sei denn, das Ganze war ein Bluff und Commander Vinyáya
schwärmte heimlich für ihn. Oder es war ein doppelter
Bluff, und sie war wirklich gereizt.
Klingt verrückt, dachte Artemis. Selbst für mich.
Obwohl sie nur knapp einen Meter maß, war Commander
Vinyáya eine beeindruckende Persönlichkeit, und Artemis
war nicht so leichtsinnig, sie zu unterschätzen. Nach
der Zählung des Erdvolks war sie schon fast vierhundert
Jahre alt, was jedoch höchstens einem Menschenalter von
vierzig Jahren entsprach, und sie war eine auffallende Erscheinung:
schlank und blass, mit beweglichen, katzenartigen
Pupillen, wie sie bei Elfen bisweilen vorkamen. Doch
selbst diese Besonderheit war nicht ihr auffallendstes Merkmal.
Raine Vinyáya hatte eine Mähne silbernen Haars, das
jeden Lichtstrahl einzufangen schien und wie eine funkelnde
Welle um ihre Schultern spielte.
Artemis räusperte sich und wandte seine Aufmerksamkeit
dem Projekt zu, oder genauer gesagt, dem Großen Pro-
jekt, wie er es im Stillen nannte. Denn letzten Endes war
dies der einzige Plan, der zählte.
Holly knuffte ihn leicht in die Schulter. »Du siehst blass
aus. Sogar noch blasser als sonst. Alles in Ordnung, Geburtstagskind?«
Nun gelang es Artemis endlich, ihr in die Augen zu sehen
- ein blaues und ein braunes, umrahmt von einer hohen
Stirn und ein paar kastanienbraunen Ponyfransen, die Holly
aus ihrem sonstigen Kurzhaarschnitt hatte herauswachsen
lassen.
»Fünfzehn werde ich heute«, murmelte er. »Dreimal fünf.
Das ist gut.«
Holly blinzelte.
Artemis Fowl murmelte vor sich hin? Und hatte keinen
Kommentar zu ihrer neuen Frisur abgegeben? Normalerweise
bemerkte er jede äußerliche Veränderung sofort.
Ȁh, ja ... wenn du meinst. Wo ist Butler? Auf Erkundungstour
im Gelände?«, sagte Holly.
»Nein. Nein, ich habe ihn weggeschickt. Juliet brauchte
ihn dringender.«
»Nichts Ernstes, hoffe ich?«
»Nein, nicht wirklich ernst, aber sehr wichtig. Eine Familienangelegenheit.
Er verlässt sich wohl ganz darauf, dass
du auf mich aufpasst.«
Holly presste die Lippen zusammen, als hätte sie auf etwas
Saures gebissen. »Er verlässt sich darauf, dass jemand
anders seinen Schützling bewacht? Bist du sicher, dass wir
hier über Butler reden?«
»Natürlich. Es ist besser, dass er nicht hier ist. Immer,
wenn bei meinen Plänen etwas schiefgeht, ist er in der Nähe.
Und es ist wichtig, äußerst wichtig, dass dieses Treffen ohne
Störungen und Zwischenfälle abläuft.«
Vor Überraschung klappte Holly buchstäblich die Kinn-
lade herunter. Es war beinahe zum Lachen. Wenn sie Artemis
richtig verstanden hatte, gab er Butler die Schuld am
Scheitern einiger Pläne - ausgerechnet seinem treuesten
Verbündeten.
»Gut, dann lasst uns anfangen. Wir vier werden das Kind
schon schaukeln.«
Das kam von Foaly, der die gefürchtete Zahl ohne jeden
Gedanken an die Folgen ausgesprochen hatte.
Vier. Die schlimmste Zahl überhaupt. Die Chinesen hassen
die Zahl, weil sie genauso klingt wie ihr Wort für Tod.
Doch fast noch schlimmer, als die Zahl auszusprechen, war
die Tatsache, dass sich nur vier Personen im Raum befanden.
Offenbar hatte Commander Trouble Kelp es nicht geschafft
zu kommen. Trotz ihrer langjährigen gegenseitigen
Abneigung hätte Artemis den Commander jetzt gerne hier
gehabt.
»Wo ist Commander Kelp, Holly? Ich dachte, er wäre
heute hier. Wir könnten Schutz gebrauchen.«
Holly stand pfeilgerade aufgerichtet am Tisch, in ihrem
blauen Overall mit dem funkelnden Eichelabzeichen auf
der Brust. »Trouble ... Commander Kelp hat genug im Polizeipräsidium
zu tun, aber keine Sorge. Über uns schwebt
ein Shuttle mit einem kompletten ZUP-Einsatzkommando
- mit Sichtschild natürlich. Nicht einmal ein Schneefuchs
könnte sich hier reinschleichen, ohne dass er sich die
Schwanzspitze verkohlt.«
Artemis zog seine Handschuhe und die Daunenjacke aus.
»Danke, Holly. Deine Umsicht beruhigt mich. Nur aus Neugier:
Wie viele Elfen umfasst ein ZUP-Einsatzkommando?«
»Vierzehn«, erwiderte Holly mit hochgezogener Augenbraue.
»Vierzehn. Hmm. Das ist nicht gerade -« Dann eine
plötzliche Eingebung. »Und ein Pilot, oder?«
»Vierzehn einschließlich des Piloten. Das genügt, um jede
beliebige Menscheneinheit lahmzulegen.«
Einen Moment sah es so aus, als würde Artemis Fowl auf
dem Absatz kehrtmachen und vor dem Treffen davonlaufen,
das er selbst einberufen hatte. An seinem Hals trat eine
Sehne hervor, und sein Zeigefinger tippte auf die hölzerne
Stuhllehne.
Schließlich schluckte er einen offenbar ziemlich großen
Frosch hinunter und nickte nervös. »Gut. Dann eben vierzehn.
Bitte setz dich, Holly. Ich werde euch von dem Projekt
erzählen.«
Langsam ließ Holly sich auf einen Stuhl sinken. Sie musterte
Artemis forschend, suchte nach der Überheblichkeit,
die sonst stets in sein selbstgefälliges Gesicht geschrieben
stand. Doch diesmal war davon nichts zu sehen.
Was immer das für ein Projekt sein mag, dachte Holly, es
muss etwas Großes sein.
Artemis legte seinen Aktenkoffer auf den Tisch, klappte
ihn auf und drehte den Deckel herum, in den ein Bildschirm
eingebaut war. Für einen kurzen Moment gewann seine
Freude an technischen Spielereien die Oberhand, und er
sandte sogar ein verhaltenes Lächeln in Foalys Richtung.
Nun ja, die Mundwinkel verzogen sich um immerhin einen
Zentimeter.
»Sehen Sie her. Diese kleine Kiste wird Ihnen allen gefallen«,
begann er.
Foaly kicherte spöttisch. »Gütige Sterne! Nicht zu glauben
- ist das womöglich ein Laptop? Du beschämst uns mit
deiner Genialität, Arty.«
Foalys Sarkasmus rief allgemeines Stöhnen hervor.
»Was denn?«, protestierte er. »Das ist ein Laptop. Selbst
Menschenwesen können doch nicht erwarten, dass irgendwer
sich von einem Laptop beeindrucken lässt.«
»Wie ich Artemis kenne«, sagte Holly, »wird aber gleich
etwas Beeindruckendes passieren. Oder etwa nicht?«
»In diesem Fall urteilt selbst«, sagte Artemis und legte
seinen Daumen auf einen eingebauten Scanner.
Der Scanner leuchtete auf, prüfte den Daumen und gab
mit einem grünen Blinken sein Einverständnis. Ein paar Sekunden
passierte gar nichts, dann erklang ein leises Summen,
als läge im Innern des Koffers eine zufriedene kleine
Katze.
»Ein Motor«, sagte Foaly. »Wirklich toll.«
Plötzlich lösten sich mit einem leichten Knall die metallverstärkten
Ecken des Deckels und bohrten sich in die
Zimmerdecke. Gleichzeitig entfaltete sich der Bildschirm
auf eine Größe von über einem Quadratmeter, samt Lautsprechern
an den Seiten.
»Okay, es ist ein großer Bildschirm«, sagte Foaly. »Aber
das ist bloß Angeberei. Ein paar V-Goggles hätten es auch
getan.«
Artemis drückte auf eine weitere Taste des Koffers, und
die Metallecken in der Decke entpuppten sich als Projektoren,
deren Datenströme sich in der Mitte des Raumes trafen
und ein rotierendes 3-D-Modell der Erde erstehen ließen.
Auf dem Bildschirm erschien das Fowl'sche Firmenlogo,
umrahmt von mehreren Dateiordnern.
»Ein holographischer Koffer«, sagte Foaly, der es sichtlich
genoss, weiterhin offensichtlich unbeeindruckt zu sein. »Die
haben wir schon seit Jahren.«
»Das ist kein holographischer Koffer - der Koffer ist vollkommen
real«, korrigierte Artemis ihn. »Aber die Bilder,
die Sie gleich sehen werden, sind holographisch. Ich habe
mir erlaubt, das ZUP-System ein wenig zu verbessern. Der
Koffer ist mit diversen Satelliten synchronisiert, und die eingebauten
Computer können Echtzeitbilder von Objekten
konstruieren, die sich außerhalb der Reichweite der Sensoren
befinden.«
»So was habe ich zu Hause«, murmelte der Zentaur. »Für
die Spielkonsole meiner Kinder.«
»Und das System verfügt natürlich auch über intelligente
interaktive Funktionen, so dass ich auch Modelle von Hand
konstruieren oder verändern kann, sofern ich V-Gloves trage«,
fuhr Artemis fort.
Foaly zog eine Schmollmiene. »Okay, Menschenjunge.
Das ist gut«, sagte er, konnte sich jedoch nicht verkneifen
hinzuzufügen: »Für einen Oberirdischen.«
Vinyáyas Pupillen verengten sich im Licht der Projektoren.
»Das ist ja alles sehr hübsch, Fowl, aber wir wissen
immer noch nicht, was der Zweck dieses Treffens ist.«
Artemis trat in das Hologramm und schob seine Hände
in zwei V-Gloves, die über Australien schwebten. Die Handschuhe
waren aus einem leicht transparenten, schaumstoffartigen
Material. Wieder flackerte der Sensor des Koffers
ein paarmal, bevor er sich dazu entschloss, Artemis'
Hände zu akzeptieren. Mit einem leisen Piepen schlossen
sich die Handschuhe, deren Fingerspitzen mit einem
DigiPointer versehen waren, wie eine zweite Haut um seine
Finger.
»Die Erde«, begann er und unterdrückte den Impuls, sein
Skript aufzuschlagen und die Wörter zu zählen. Er hatte
seinen Vortrag im Kopf.
»Unser Zuhause. Sie nährt uns, und sie schützt uns. Ihre
Schwerkraft verhindert, dass wir ins All stürzen und zu
einem Eisblock erstarren, bevor wir dann wieder auftauen
und von der Sonne verkohlt werden - was aber nebensächlich
ist, da wir bis dahin längst erstickt wären.« Artemis
legte eine Pause für das Gelächter ein und war überrascht,
als keines kam. »Das war ein kleiner Scherz. In einem Rat-
geber für Präsentationen habe ich gelesen, dass ein Scherz
oft gut geeignet ist, um das Eis zu brechen. Und da hier so
viel Eis um uns herum ist, dachte ich, das könnte nicht
schaden.«
»Das war ein Scherz?«, sagte Vinyáya. »Ich habe schon
Officer für weniger vors Kriegsgericht gestellt.«
»Wenn ich faule Tomaten hätte, würde ich sie werfen«,
fügte Foaly hinzu. »Warum beschränkst du dich nicht auf
das Wissenschaftliche und überlässt die Scherze Leuten, die
sich damit auskennen?«
Artemis runzelte die Stirn. Seine ungeplanten Äußerungen
brachten ihn aus dem Konzept. Er wusste nicht einmal
mehr, wie viele Wörter seine Präsentation hatte. Falls er mit
einem Vielfachen von vier endete, das nicht zugleich auch
ein Vielfaches von fünf war, konnte das üble Folgen haben.
Vielleicht sollte er noch einmal von vorne beginnen? Aber
das wäre Schummelei, außerdem würden die Zahlengötter
einfach alles zusammenzählen, und dann wäre er auch nicht
besser dran.
Ist das kompliziert, da nicht den Faden zu verlieren. Selbst
für ein Genie wie mich.
Doch er würde fortfahren, denn es war äußerst wichtig,
dass er sein Großes Projekt heute vorstellte, damit das Produkt
umgehend in die Herstellung gehen konnte.Also schob
Artemis seine Unsicherheit beiseite und stürzte sich voller
Elan in seinen Vortrag, wobei er sich kaum Zeit ließ, Luft zu
holen, aus Angst, ihn könnte der Mut verlassen.
»Die größte Bedrohung für die Erde ist der Mensch. Wir
rauben dem Planeten nicht nur seine fossilen Brennstoffe,
sondern gefährden ihn noch zusätzlich, indem wir mit den
Abfallprodukten dieser Brennstoffe erheblich weiter zur
globalen Erwärmung beitragen.« Er richtete den DigiPointer
an seinem Zeigefinger auf den vergrößerten Bildschirm
und öffnete nacheinander mehrere Videodateien. »Die
Gletscher der Erde verlieren jedes Jahr zwei Meter ihrer
gesamten Eisschicht, und das entspricht allein im Nordpolarmeer
einer Fläche von immerhin 1,3 Millionen Quadratkilometern
in den letzten dreißig Jahren.« Hinter ihm
zeigten die Videos einige der Folgen der globalen Erwärmung.
»Die Erde muss ohne Frage gerettet werden«, sagte Artemis.
»Und jetzt endlich ist mir klargeworden, dass es meine
Aufgabe ist, sie zu retten. Das ist der Grund, weshalb ich ein
Genie bin. Meine wahre raison d'être.«
Vinyáya tippte mit den Fingerspitzen auf den Tisch. »In
Haven City gibt es eine ziemlich starke Lobby, die dafür ist,
nichts gegen die globale Erwärmung zu unternehmen. Die
Oberirdischen werden sich selbst vernichten, und dann
können wir uns den Planeten zurückerobern.«
Auf diesen Einwand war Artemis vorbereitet. »Ein naheliegendes
Argument, Commander, aber die Erwärmung betrifft
ja nicht nur die Menschen, nicht wahr?« Er öffnete
noch ein paar Videodateien, und auf dem Bildschirm erschienen
abgemagerte Eisbären, die hilflos auf Eisschollen
trieben, Elche in Michigan, die von massiven Mücken-
schwärmen bei lebendigem Leib ausgesaugt wurden, und
ausgeblichene Korallenriffe, in denen keine Spur von Leben
mehr zu finden war.
»Das Problem betrifft sämtliche Lebewesen auf und unter
der Erde.«
Foaly wirkte ziemlich verärgert. »Glaubst du vielleicht,
darüber hätten wir noch nicht nachgedacht, Menschenjunge?
Was meinst du, womit unsere sämtlichen Wissenschaftler
von Haven City bis Atlantis sich beschäftigen?
Ehrlich gesagt, finde ich deinen Vortrag ziemlich selbstgefällig.«
Artemis zuckte die Achseln. »Ihre Gefühle zählen dabei
nicht, ebenso wenig wie meine. Die Erde muss einfach gerettet
werden.«
Holly setzte sich auf. »Sag nicht, du hast die Lösung gefunden.«
»Doch. Doch, ich glaube schon.«
Foaly schnaubte. »Ach, wirklich? Lass mich raten. Die
Eisberge einpacken? Oder Linsen in die Atmosphäre schießen,
die die Strahlen brechen? Oder wie wär's mit maßgeschneiderten
Wolkenschichten?«
»So absurd, wie es aus Ihrem Mund klingt, ist das gar
nicht.« Artemis gab dem Erd-Hologramm mit einer Hand
Schwung und ließ es kreisen wie einen Basketball. »Alle diese
Lösungen könnten - mit gewissen Modifizierungen -
funktionieren. Aber dafür wäre eine ganze Menge staatsübergreifender
Zusammenarbeit nötig, und wie wir alle
wissen, sind die Regierungen der Menschen nicht sehr gut
darin, ihre Spielzeuge mit anderen zu teilen. Mag sein, dass
das in fünfzig Jahren anders aussieht, aber dann ist es zu
spät.«
Commander Vinyáya war immer stolz auf ihr Gespür für
Situationen gewesen, und jetzt rauschten ihre Instinkte so
laut wie die Wogen des Pazifiks. Dies war ein historischer
Moment. Selbst die Luft war wie aufgeladen. »Nur zu,
Oberirdischer«, sagte sie ruhig, aber voller Autorität. »Fahren
Sie fort.«
Mit Hilfe der V-Gloves markierte Artemis die eisbedeckten
Flächen der Erde und ordnete sie zu einem Rechteck
an. »Die Gletscher abzudecken ist eine ausgezeichnete
Idee, doch selbst wenn die Topographie so einfach wäre
wie hier - ein ebenmäßiges Rechteck -, würde man mehrere
Armeen und ein halbes Jahrhundert brauchen, das zu
schaffen.«
»Ach, ich weiß nicht«, sagte Foaly. »Eure Holzfäller-Maschinen
fräsen sich doch ziemlich fix durch den Regenwald.«
»Wer sich am Rand des Gesetzes bewegt, ist schneller als
derjenige, der sich daran hält. Da komme ich ins Spiel.«
Foaly schlug seine Vorderbeine übereinander, was für
einen Zentauren auf einem Stuhl nicht einfach ist. »Dann
erzähl mal. Ich bin ganz Ohr.«
»Das habe ich vor«, sagte Artemis. »Und ich wäre Ihnen
sehr verbunden, wenn Sie sich die üblichen Ausrufe des
Entsetzens und Unglaubens verkneifen würden, bis ich fertig
bin. Ihre ständigen Zwischenbemerkungen sind ausgesprochen
lästig und stören mich dauernd beim Zählen der
Wörter.«
»Große Götter!«, rief Foaly aus. »Das ist doch nicht zu
fassen!«
Raine Vinyáya warf dem Zentauren einen warnenden
Blick zu. »Hören Sie auf, sich wie ein Trollbulle zu benehmen,
Foaly. Ich bin von weit her gekommen, um mir das hier
anzuhören.«
»Soll ich ihn in eins von seinen Nervenzentren zwicken,
um ihn ruhigzustellen?«, fragte Holly mit der Andeutung
eines Lächelns. »Ich habe einen Spezialkurs belegt und
weiß, wie man Zentauren und Menschen außer Gefecht
setzt. Nur für den Fall, dass wir es mal brauchen. Mit einem
Finger oder meinem soliden Stift kann ich jeden hier im
Raum ausschalten.«
Foaly war zu achtzig Prozent sicher, dass Holly bluffte,
aber er legte vorsichtshalber trotzdem die Hände über die
empfindlichen Stellen hinter seinen Ohren. »Ist ja gut. Ich
bin ganz still.«
»Wunderbar. Dann schieß los, Artemis.«
»Danke. Aber behalte deinen Stift in Reichweite, Holly.
Ich habe so eine Ahnung, dass meine Ausführungen einiges
Erstaunen hervorrufen werden.«
Mit einem Zwinkern klopfte Holly auf ihre Uniformtasche.
»2-B-Graphit. Bestens geeignet für einen schnellen
Knockout.«
Holly scherzte, aber sie war nicht mit dem Herzen dabei.
Artemis spürte, dass sie die flapsigen Bemerkungen nur vorschob.
Warum aber war sie so unruhig? Er warf ihr einen
verstohlenen Seitenblick zu. Holly hatte die Stirn gerunzelt,
und ihre Augen blickten besorgt.
Sie weiß Bescheid, dachte Artemis, aber er hätte nicht sagen
können, was sie nun genau wusste. Und sie weiß, dass
irgendetwas anders ist, dass die geraden Zahlen sich gegen
mich verschworen haben. Zwei mal zwei macht vier Unterirdische,
die meinen Plänen Unglück bringen.
Dann ging er seinen letzten Gedanken noch einmal durch,
und für einen kurzen Moment wurde ihm bewusst, wie verrückt
selbst seine Gedanken klangen, zumal im Raum ja
nur drei Unterirdische waren und nicht vier, wie ursprünglich
geplant. Panik lauerte wie eine dicke, zusammengerollte
Schlange in seinem Magen.
Habe ich etwa einen Gehirntumor?, überlegte er. Das
würde die Zwangshandlungen, die Halluzinationen und den
Verfolgungswahn erklären. Oder ist es einfach eine Zwangsneurose?
Der große Artemis Fowl, Opfer einer verbreiteten
psychischen Störung.
Artemis hielt einen Moment inne, um einen alten Hypnosetrick
auszuprobieren.
Stell dir vor, Artemis, du bist an einem schönen Ort. Irgendwo,
wo selbst du,Artemis, dich glücklich und geborgen
fühlst.
Glücklich und geborgen? Das war schon eine Weile her,
dass er sich so gefühlt hatte.
In Gedanken wanderte er zurück und fand sich auf einem
kleinen Hocker in der Werkstatt seines Großvaters wieder.
Sein Großvater sah ein wenig hinterhältiger aus, als Artemis
ihn in Erinnerung hatte, und sagte mit einem Zwinkern zu
seinem fünfjährigen Enkel: Weißt du, wie viele Beine dieser
Hocker hat, Arty? Drei. Nur drei, und das ist keine gute
Zahl für dich. Ganz und gar nicht. Drei ist fast so schlimm
wie vier, und wir wissen doch alle, wonach vier auf Chinesisch
klingt, nicht wahr?
Artemis erschauderte. Diese Krankheit infizierte sogar
seine Erinnerungen. Er presste den Daumen und Zeigefinger
seiner linken Hand zusammen, bis die Haut weiß
wurde - eine Technik, die er sich selbst beigebracht hatte,
um sich zu beruhigen, wenn die Zahlenpanik zu stark
wurde, doch der Trick funktionierte immer seltener und in
diesem Fall überhaupt nicht, zumal er noch die V-Gloves
trug.
Ich verliere noch meine Haltung, dachte er mit stiller Verzweiflung.
Die Krankheit wird immer stärker.
Foalys Räuspern riss Artemis aus seinen Gedanken. »Hallo?
Menschenjunge? Hier sitzen ein paar wichtige Leute und
warten.«
Und Holly fragte: »Ist alles in Ordnung,Artemis? Brauchst
du eine Pause?«
Beinahe hätte Artemis gelacht. Eine Pause? Artemis Fowl?
Während einer Präsentation? Da könnte er sich genauso
gut ein T-Shirt mit der Aufschrift LOSER anziehen.
»Nein, mir geht's gut. Das hier ist ein großes Projekt. Ich
will sicher sein, dass meine Präsentation absolut perfekt ist.«
Foaly beugte sich vor, bis sein ohnehin wackeliger Stuhl
gefährlich zu kippeln begann. »Du siehst aber nicht so aus,
als ob es dir gutginge. Du wirkst eher ...« Der Zentaur
saugte an seiner Unterlippe, während er nach dem pas-
senden Wort suchte. »Erschöpft. Ja, Artemis, du wirkst er-
schöpft.«
Etwas Besseres hätte er gar nicht sagen können.
Artemis richtete sich auf. »Ich glaube, Foaly, Ihnen fehlt
das Gespür für menschliche Gesichtsausdrücke. Ich bin keineswegs
erschöpft. Ich wäge nur jedes Wort ab.«
»Vielleicht solltest du etwas schneller abwägen«, mahnte
Holly sanft. »Wir sind hier ziemlich ungeschützt.«
Artemis schloss die Augen, um sich zu sammeln.
Vinyáya trommelte erneut mit den Fingern auf die Tischplatte.
»Keine weiteren Verzögerungen, Oberirdischer. Mir
kommt langsam der Verdacht, dass Sie uns in einen Ihrer
berüchtigten Pläne einspannen wollen.«
»Nein. Dies ist ein echtes Angebot. Bitte hören Sie zu.«
»Das versuche ich ja. Ich habe einen weiten Weg zurückgelegt,
um Ihnen zuzuhören. Aber bisher haben Sie nichts
anderes getan, als mit Ihrem Koffer anzugeben.«
Artemis hob die Hände auf Schulterhöhe, um die
V-Gloves wieder zu aktivieren, und tippte auf den Gletscher.
Dann begann er mit seiner Präsentation.
»Was wir tun müssen, ist, einen erheblichen Teil der Gletscher
auf unserem Planeten mit einer reflektierenden Schicht
abzudecken, um das Schmelzen aufzuhalten. An den Rändern,
wo das Eis schneller schmilzt, müsste die Schicht dicker
sein. Und es wäre schön, wenn wir zumindest die größeren
Vertiefungen abdichten könnten.«
»In einer perfekten Welt wäre vieles schön«, sagte Foaly
und brach damit erneut sein Schweigegelübde. »Meinst du
nicht, dass deine Leute ein wenig irritiert wären, wenn
plötzlich kleine Wesen in UFOs aus der Erde auftauchten
und anfingen, den Garten des Weihnachtsmanns mit Alufolie
abzudecken?«
»Ja, das wären sie ... wir. Und deshalb muss diese Operation
auch unbedingt heimlich durchgeführt werden.«
»Heimlich die Gletscher der Erde abdecken? Warum hast
du das nicht gleich gesagt?«
»Das habe ich ja eben. Und ich dachte, wir hätten uns
geeinigt, dass Sie schweigen. Diese ständigen Unterbrechungen
sind ermüdend.«
Holly zwinkerte Foaly zu und rollte vielsagend den Stift
zwischen ihren Fingern.
»Das größte Problem bei der Frage der Abdeckung der Eisflächen
war schon immer, wie man die reflektierende Folie
auslegen soll«, fuhr Artemis fort. »Die einzige Möglichkeit
schien bisher, sie wie einen Teppich auszurollen, entweder von
Hand oder mit Hilfe irgendwelcher spezieller Schneemobile.«
»Eine Operation, die kaum geheim bleiben würde«, bemerkte
Foaly.
»Genau.Aber was, wenn es eine andere Möglichkeit gäbe,
eine reflektierende Schicht aufzubringen? Eine Schicht, die
wirklich ganz natürlich wirkt?«
»Du meinst, die Natur zu Hilfe nehmen?«
»Ja, Foaly. Die Natur ist unser Vorbild, warum also nicht
dabei bleiben?«
Der Raum schien sich aufzuheizen, während Artemis auf
seine große Enthüllung zusteuerte.
»Die menschlichen Wissenschaftler haben schon lange
daran gearbeitet, eine solche Folie einerseits möglichst dünn
zu machen, um damit arbeiten zu können, und andererseits
fest genug, damit sie den Elementen standhält.«
»Idiotisch.«
»Nein, Foaly, nur nicht zu Ende gedacht. Schließlich steht
in Ihren eigenen Unterlagen zum Thema -«
»Ja, ich habe das mit der Folie kurz in Erwägung gezogen.
Halt mal, woher weißt du, was in meinen Unterlagen steht?«
Das war keine echte Frage. Foaly hatte sich schon lange
mit der Tatsache abgefunden, dass Artemis Fowl ein mindestens
ebenso ausgefuchster Hacker war wie er selbst.
»Die Grundidee von Ihnen ist doch gut: ein reflektierendes
Polymer.«
Nachdenklich kaute Foaly an seinen Fingerknöcheln.
»Die Natur. Die Natur zu Hilfe nehmen.«
»Was ist hier das Natürlichste?«, fragte Artemis, um ihm
einen kleinen Tipp zu geben.
»Eis«, sagte Holly. »Eis und -«
»Schnee«, flüsterte der Zentaur beinahe ehrfürchtig.
»Natürlich! D'Arvit, warum bin ich nicht selbst ... Du
meinst Schnee, stimmt's?«
Artemis hob die Hände in den V-Gloves und ließ holographische
Schneeflocken auf sie niederrieseln.
»Ja, Schnee«, sagte er, vom Flockengestöber umschwirrt.
»Niemand würde sich über Schnee wundern, der fällt.«
Foaly sprang auf. »Vergrößern«, befahl er. »Vergrößern
und scharf stellen.«
Artemis tippte eine holographische Schneeflocke an, so
dass sie mitten im Raum stehen blieb. Mit ein paar Bewegungen
vergrößerte er die unechte Flocke, bis ihre Besonderheit
sichtbar wurde: Sie war ebenso perfekt wie ihr echtes
Vorbild, aber rund.
»Ein Nanoplättchen«, sagte Foaly und vergaß ausnahmsweise
zu verbergen, wie beeindruckt er war. »Ein götterverdammtes
Nanoplättchen. Intelligent?«
»Und wie«, bestätigte Artemis. »Intelligent genug, um zu
wissen, wo oben ist, wenn es landet, und sich so zu konfigurieren,
dass es das Eis isoliert und die Sonne reflektiert,
wenn sie scheint.«
»Das heißt, wir füttern die Wolken mit Nanoplättchen?«
»Ja, genau, bis zur Sättigung.«
Foaly trabte durch das holographische Schneegestöber.
»Und wenn sie gesättigt sind, kommt alles als Schnee herunter.«
»Natürlich nicht überall gleichmäßig, aber es wird ausreichen.
Quasi natürlich.«
»Meinen Respekt, Menschenjunge.«
Artemis lächelte, und für einen Moment war er wieder
ganz der Alte. »Das wurde aber auch Zeit.«
Vinyáya unterbrach das wissenschaftliche Geplänkel.
»Mal sehen, ob ich das richtig verstanden habe. Man schießt
diese Plättchen in die Wolken, und dann kommen sie mit
dem Schnee wieder herunter?«
»Genau. In problematischen Fällen könnten wir sie direkt
auf die Oberfläche schießen, aber dann wäre es aus Sicherheitsgründen
am besten, wenn die Verteiler mit aktiviertem
Sichtschutz oberhalb der Wolkendecke blieben.«
»Und das könnten Sie tun?«
»Wir könnten das gemeinsam tun. Dazu müsste der Rat
des Erdvolks allerdings eine ganze Flotte Spezialshuttles sowie
eine Kontrollstation genehmigen.«
Holly fiel etwas ein. »Diese Plättchen sehen nicht aus wie
richtige Schneeflocken. Früher oder später wird irgendein
Oberirdischer mit einem Mikroskop den Unterschied bemerken.«
»Gut erkannt, Holly. Vielleicht sollte ich dich in Sachen
Intelligenz nicht mit dem Rest der ZUP in einen Topf
werfen.«
»Ich nehme das jetzt mal als Kompliment ...«
»Wenn die Plättchen entdeckt werden, was kaum zu verhindern
sein wird, werde ich im Internet eine Nachrichtenkampagne
loslassen, in der ich sie als Abfallprodukt einer
Chemiefabrik in Russland darstelle. Darüber hinaus werde
ich erklären, dass dieser Müll ausnahmsweise mal der Um-
welt nützt und dass ich bereit bin, ein Programm zur Aus-
weitung ihrer Produktion zu finanzieren.«
»Schaden die Plättchen der Umwelt?«, fragte Vinyáya.
»Sie sind biologisch vollständig abbaubar.«
Foaly trabte aufgeregt durch das Hologramm und musterte
das vergrößerte Plättchen eingehend. »Es klingt gut.
Aber ist es das wirklich? Du kannst nicht erwarten, dass das
Erdvolk ein solches Projekt mit einem riesigen Budget unterstützt,
ohne irgendeinen Beweis zu haben, Artemis.
Schließlich könnte dies hier genauso gut eine von deinen
Tricksereien sein.«
Artemis öffnete eine Datei auf dem Bildschirm. »Hier ist
die komplette Aufstellung meines Vermögens. Ich bin sicher,
sie ist korrekt, denn ich habe sie von Ihrem Server,
Foaly.«
Foaly machte sich nicht einmal die Mühe zu erröten.
»Die Zahlen dürften ungefähr stimmen.«
»Ich bin bereit, alles, was ich habe, in dieses Projekt zu
investieren. Das dürfte reichen, um fünf Shuttles für ein
paar Jahre in der Luft zu halten. Natürlich werde ich auch
etwas daran verdienen, wenn die Plättchen in Produktion
gehen. Unterm Strich sollte ich meine Investition wieder herausbekommen,
und vielleicht mache ich am Ende sogar
noch einen ganz ordentlichen Gewinn.«
Beinahe hätte Foaly sich verschluckt. Artemis Fowl
wollte sein ganzes Geld in ein Projekt stecken. Unglaublich.
»Natürlich erwarte ich nicht, dass das Erdvolk mir einfach
so vertraut. Schließlich war ich früher« - Artemis räusperte
sich - »nicht allzu großzügig mit Informationen.«
Vinyáya lachte kühl. »Nicht allzu großzügig? Das finde
ich reichlich untertrieben für einen Entführer und Erpresser,
Master Fowl. Ich persönlich glaube Ihnen, was dieses Pro-
jekt betrifft, aber nicht jeder im Rat ist Ihnen so wohlgesonnen.«
»Ich akzeptiere Ihre Kritik und Ihre Skepsis, und deshalb
habe ich eine kleine Demonstration vorbereitet.«
»Ausgezeichnet«, sagte Foaly voller Eifer. »Natürlich gibt
es eine Demonstration. Warum hättest du uns sonst hierherbestellen
sollen?«
»Genau.«
»Vielleicht für eine neue Entführung und Erpressung?«,
bemerkte Vinyáya mit leisem Spott.
»Das ist lange her«, rief Holly in einem Ton, den sie normalerweise
nicht gegenüber einem Vorgesetzten verwendet
hätte. »Ich meine ... das ist lange her ... Commander. Artemis
hat sich dem Erdvolk gegenüber als guter Freund erwiesen.«
Sie dachte dabei vor allem an eine gefährliche Situation
während des Kobold-Aufstands, als Artemis' Einsatz ihr
selbst und vielen anderen das Leben gerettet hatte.
Auch Vinyáya schien sich an den Kobold-Aufstand zu erinnern.
»Also gut, Fowl. Im Zweifel für den Angeklagten.
Sie haben zwanzig Minuten, um uns zu überzeugen.«
Artemis klopfte fünfmal auf seine Brusttasche, um sich zu
vergewissern, dass sein Handy noch da war.
»Zehn dürften hier wohl ausreichen«, sagte er.
© Weltbild
... weniger
Autoren-Porträt von Eoin Colfer
Eoin Colfer ist Lehrer und lebt mit Frau und Sohn in Wexford, Irland. Er hat mehrere Jahre in Saudi-Arabien, Tunesien und Italien unterrichtet. Seine bisherigen Bücher für junge Leser standen in Irland, England und den USA an der Spitze der Bestsellerlisten. Er ist der international gefeierte Bestsellerautor der "Artemis Fowl"-Serie. Seine Bücher erscheinen in 44 Ländern und wurden bislang weltweit über 18 Millionen Mal verkauft. 2004 erhielt er den "Deutschen Bücherpreis".Claudia Feldmann, geboren 1966, studierte Literaturübersetzen in Düsseldorf und übersetzt seit mehr als zehn Jahren aus dem Englischen und Französischen. Unter anderem hat sie Eoin Colfer und Ewan Morrison ins Deutsche übertragen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Eoin Colfer
- Altersempfehlung: 12 - 15 Jahre
- 2011, 336 Seiten, Masse: 14,7 x 22,2 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Feldmann, Claudia
- Übersetzer: Claudia Feldmann
- Verlag: List
- ISBN-10: 3471350616
- ISBN-13: 9783471350614
Rezension zu „Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex “
»Eine schöne Mischung aus Humor und Action, aus Gefühl und Fantasie ... eine Buchreihe für Leser (und Vorleser) jeden Alters.« Zitty, Lutz Göllner, 2001/07 »Auch das siebte Abenteuer des 'Gegen-Potters' sprüht vor Witz, nimmt überraschende Wendungen und bleibt spannend bis zum Schluss.« TV Spielfilm, 2011/08 »Ein köstlicher Lesespaß« NDR1, Margarethe von Schwarzkopf, 05.04.11 »Die Handlung ist witzig, intelligent, komplex, voller überraschender Wendungen.« Stuttgarter Nachrichten, 03.04.11
Kommentare zu "Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex"
0 Gebrauchte Artikel zu „Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
4 von 5 Sternen
5 Sterne 0Schreiben Sie einen Kommentar zu "Artemis Fowl Band 7: Der Atlantis-Komplex".
Kommentar verfassen