An einem Tag wie diesem
Andreas wirft alles hin, verkauft seine Wohnung, kündigt seine Stelle, um nach einem halben Leben zu der Frau zurückzukehren, die er einst liebte.
Nach seinen Bestsellern "Agnes" und "Ungefähre Landschaft" erzählt der Schweizer Erfolgsautor...
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Andreas wirft alles hin, verkauft seine Wohnung, kündigt seine Stelle, um nach einem halben Leben zu der Frau zurückzukehren, die er einst liebte.
Nach seinen Bestsellern "Agnes" und "Ungefähre Landschaft" erzählt der Schweizer Erfolgsautor Peter Stamm in seinem neuen Roman wieder meisterhaft von der Liebesunfähigkeit und dem brennenden Verlangen nach dem grossen Gefühl. Er berichtet von der Wirklichkeit, die wie ein Traum vergeht, bis man sein Leben selbst in die Hand nimmt.
Vom Buchhalter zum Schriftsteller führte Peter Stamms (geboren 1963) sensationelle Karriere. Aufsehen erregte er mit seiner beinahe unterkühlten Erzählweise und dem oft kargen Stil. Er wurde vielfach ausgezeichnet - u.a. mit dem Rauriser und dem Rheingau-Literaturpreis und dem Preis der Schweizerischen Schillerstiftung.
Aneinem Tag wie diesem von Peter Stamm
LESEPROBE
Andreasliebte die Leere des Morgens, wenn er am
Fensterstand, eine Tasse Kaffee in der einen, eine
Zigarettein der anderen Hand, und auf den Hof
hinausschaute,den kleinen, aufgeräumten Hinterhof,
undan nichts dachte als an das, was er sah. In der
Mittedes Hofes ein mit Efeu bepflanztes, viereckiges
Beet,darin ein Baum, aus dem in der Mitte und oben
einpaar dünne Äste wuchsen, zurechtgestutzt nach
demwenigen Raum, der zur Verfügung stand. Die
leuchtendgrünen Container, Glas, Verpackungen,
Restmüll,das regelmässige Muster der Zementplatten,
vondenen einige etwas heller waren, vor Jahren
ersetztaus irgendeinem Grund. Die Geräusche der
Stadtwaren nur leise zu hören, ein homogenes Rauschen,
dazwischenentfernte Vogelrufe und sehr deutlich
dasGeräusch eines sich öffnenden und wieder
schliessendenFensters.
Dieserbesinnungslose Zustand hielt nur wenige
Minutenlang an. Noch bevor Andreas die Zigarette zu
Endegeraucht hatte, fiel ihm der gestrige Abend ein.
Waser denn unter Leere verstehe, hatte Nadja gefragt.
Fürsie bedeutete Leere einen Mangel an Beachtung, an
Liebe,die Abwesenheit von Menschen, die sie verloren
hatteoder die sich nicht genug um sie kümmerten. Die
Leerewar ein Raum, der einmal ausgefüllt gewesen
war,oder von dem sie glaubte, er könnte ausgefüllt
sein,das Fehlen von etwas, das sie wohl selbst nicht
genauhätte bezeichnen können. Er habe keine
Ahnung,hatte Andreas gesagt, er interessiere sich nicht
fürabstrakte Begriffe.
DieAbende mit Nadja verliefen immer gleich. Sie
kameine halbe Stunde zu spät und gab Andreas das
Gefühl,er sei es, der sich verspätet habe. Sie hatte sich
schöngemacht, trug einen kurzen, eng anliegenden
Rockund schwarze Netzstrümpfe. Mit einer theatralischen
Gesteliess sie den Mantel auf den Parkettboden
fallen.Sie setzte sich aufs Sofa und schlug die Beine
übereinander.Für sie schien das der Höhepunkt des
Abendszu sein, ihr Auftritt. Sie steckte sich eine Zigarette
inden Mund. Andreas gab ihr Feuer und machte
ihrein Kompliment. Er holte aus der Küche zwei Glä-
serWein. Nadja musste schon etwas getrunken haben,
siewar in aufgekratzter Stimmung.
Meistensassen sie in einem Lokal in der Nähe. Das
Essenwar gut genug, und der schwule Kellner schäkerte
mitNadja und setzte sich manchmal, wenn nicht
vieleGäste da waren, zu ihnen an den Tisch. Nadja
trankund redete zu viel und machte sich zusammen
mitdem Kellner darüber lustig, dass Andreas Vegetarier
warund dass er immer dasselbe bestellte. Er sagte,
ersei kein Vegetarier, er esse einfach selten Fleisch.
Spätestensbeim Dessert fing Nadja an, über Politik zu
reden.Sie war PR-Beraterin und arbeitete gelegentlich
fürUnterorganisationen der Sozialistischen Partei,
derenAnsichten sie auf eine Art vertrat, die Andreas
ärgerte.Er sagte dann nicht mehr viel, und sie fragte
miteinem aggressiven Unterton, ob sie ihn langweile.
»Ichlangweile dich«, sagte sie.
Nein,sagte er, aber er sei Ausländer, er verstehe die
französischePolitik nicht, interessiere sich nicht dafür.
Erhalte sich an die Gesetze, er trenne seinen Müll, er
erfülleden Lehrplan. Ansonsten wünsche er in Ruhe
gelassenzu werden. Nadja ärgerte sich über sein Desinteresse,
siehielt ihm einen Vortrag, es gab Streit. Andreas
versuchte,das Gespräch auf andere Themen zu
bringen.Dann begann Nadja jedes Mal, von ihrem
Exmannzu erzählen, von seiner Lieblosigkeit und
Unaufmerksamkeit,und es schien Andreas, als gälten
dieVorwürfe ihm. Nadja konnte nicht aufhören sich zu
beklagen.Sie rauchte eine Zigarette nach der anderen,
undihre Stimme wurde weinerlich. Die anderen Gäste
warenlängst gegangen, und der Kellner hatte die
Aschenbechergeleert und die Kaffeemaschine gereinigt.
Wenner an ihren Tisch trat und fragte, ob sie
nochetwas wünschten, war Nadja wie verwandelt. Sie
lachteund flirtete mit ihm, und es dauerte noch einmal
eineViertelstunde, bis Andreas die Rechnung bezahlen
konnte.
Aufdem Nachhauseweg war Nadja schweigsam. Sie
hattensich den ganzen Abend nicht berührt. Jetzt hakte
siesich bei Andreas unter. Vor dem Haus, in dem er
wohnte,blieb er stehen. Er küsste sie auf die Wangen
unddann auf den Mund. Manchmal küsste er sie auf
denHals und kam sich lächerlich vor dabei. Ihr schien
eszu gefallen. Vermutlich entsprach es dem Bild, das
sievon sich hatte. Die Geliebte, der die Männer zu
Füssenliegen, die auf den Hals geküsst wird, die ihre
Verehrerverlacht. Am liebsten wäre Andreas jetzt
alleingewesen, aber er fragte sie trotzdem, ob sie mit
hinaufkomme.Sie sagte, ja. Es klang wie eine Kapitulation.
Nadjagehörte nicht zu jenen Frauen, die schöner
wurden,wenn man mit ihnen schlief. Ihre eng anliegenden
Kleiderwaren wie eine Rüstung, wenn sie nackt
war,schien sie jeden Halt zu verlieren und sah alt aus,
älter,als sie in Wirklichkeit war. Sie liess alles mit sich
geschehen,liess sich Andreas Zärtlichkeiten gefallen,
ohnesie zu erwidern. Das, hätte er sagen sollen, verstehe
erunter Leere. Diese Abende mit ihr alle zwei
Wochen,die Wiederholung des immer gleichen
Abends,der immer gleichen Nacht, ohne sich je näher
zukommen. Aber er sagte es nicht. Er mochte die
Leereder Wiederholung. Er genoss das Gefühl, dass
Nadjamit ihren Gedanken anderswo war, dass sie ihm
ihrenKörper nur zur Verfügung stellte, bis sie nach
eineroder zwei Stunden plötzlich ungeduldig wurde,
ihnwegschob und sagte, er solle ihr ein Taxi rufen. Die
Leere,das waren diese Abende mit ihr, die Nachmittage
mitSylvie oder die Wochenenden, die er allein zu
Hauseverbrachte in seiner gemütlichen, gut geheizten
Wohnung,an denen er fernsah oder ein Computerspiel
spielteoder las. Die Leere war sein Leben, waren die
achtzehnJahre, die er in dieser Stadt verbracht hatte,
ohnedass sich etwas verändert hatte, ohne dass er sich
eineVeränderung wünschte.
DieLeere sei der Normalzustand, hatte er gesagt, er
fürchtesich nicht davor, im Gegenteil.
©S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main 2006
- Autor: Peter Stamm
- 2006, 3. Aufl., 208 Seiten, Masse: 13 x 21 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100751256
- ISBN-13: 9783100751256
- Erscheinungsdatum: 04.07.2006
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