Allein unter Doppel-Whoppern
Unser Jahr in Amerika. Originalausgabe
Honey, wo geht's zum Weissen Haus?
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Allein unter Doppel-Whoppern “
Honey, wo geht's zum Weissen Haus?
Klappentext zu „Allein unter Doppel-Whoppern “
Amerika-Korrespondent Reymer Klüver zieht mit seiner Frau und den drei Kindern nach Washington, D.C. Dort möchte er unbedingt Barack Obama treffen. Doch das ist gar nicht so einfach. Erst mal entdecken Familie Klüver und ihr Hund Dakota ihre neue Heimat. Sie wundern sich über die Barbecue-Leidenschaft der Amerikaner und begegnen einem FBI-Agenten vor der eigenen Haustür. Und dann ist Mr. President beim jährlichen Correspondents-Dinner endlich in greifbarer Nähe. Die lustigen Abenteuer einer deutschen Familie im Land der grossen Freiheit.
Lese-Probe zu „Allein unter Doppel-Whoppern “
Allein unter Doppel-Whoppern von Reymer Klüver3.
Good Vibrations
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Am nächsten Morgen steht Besuch vor unserer Tür. Eine forsche Person von vielleicht sechzig Jahren in einem pinkfarbenen T-Shirt und Khaki-Shorts, mit blondem Kurzhaarschnitt und einem Gesicht wie ein wandelndes Fragezeichen: große, weit aufgerissene, kullerrunde tiefbraune Augen unter gewölbten, schwarz geschminkten Brauen und ein wie staunend leicht geöffneter Mund. Es ist Laureen, unsere Nach¬barin.
Unwillkürlich muss ich an Katherine Hepburn denken - wenn irgendjemand noch etwas damit an¬fangen kann -, wie sie in dem Hollywood-Klassiker African Queen dem alten Schluckspecht Humphrey Bogart den Whisky abknöpft und die Flasche, zu al¬lem entschlossen, bis zum letzten Tropfen in den Kongo leert. Auch mit dieser Frau ist nicht zu spaßen, sagt mir mein siebter Sinn.
Ihr an den Rändern zerfledderter Strohhut, so ei¬ner, wie ihn Pablo Picasso in Südfrankreich getragen hat, ist ein weiteres, unmissverständliches Signal. Laureen, das werden wir bald erfahren, ist Künstle¬rin und weiß Gott nicht stromlinienförmig.
»I was just wondering«, beginnt sie - »Ich hab mich nur gefragt ...« Das sagt sie eigentlich immer, egal ob sie eine ihrer wundersamen Eingebungen hat oder einen ihrer verrückten Vorschläge machen will. Oder auch einfach nur, wenn sie ein paar Worte mit uns wechseln möchte.
Laureen wird uns durch unser neues amerikani¬sches Leben führen. Und immer ist es dasselbe: Sie taucht unangemeldet auf, redet nicht lange um den heißen Brei herum und hat stets ein paar gute Tipps für die Greenhorns aus Deutschland parat.
Aber das alles wissen wir da noch nicht. Obwohl, ahnen könnten wir es eigentlich schon.
»Hi«, sagt sie nun, »ich bin Laureen. Ich wohne ne¬benan, im Haus an der Ecke. Wir kennen uns schon.« Große Anstrengungen, sich umständlich bekannt zu machen, unternimmt sie nicht. Sie stellt sich gleich mit dem Vornamen vor, wie die meisten Amerikaner das tun. Wenn es nicht gerade eine offizielle Angele¬genheit ist im Büro oder in einer Amtsstube oder beim Einkaufen, wo der Kunde stets »Sir« ist und die Kun¬din immer »Ma'am«, haben die Amerikaner wenig Sinn für Förmlichkeit. Und Laureen hasst Steifheit sowieso.
Tatsächlich haben wir uns bereits kennengelernt. Das stimmt. Kurz, aber immerhin. Vor einem Viertel¬jahr, als ich mit der Maklerin vor dem Haus letzte Details besprach und im Vorgarten stand, da kam eine Person mit einem zotteligen sandfarbenen Hund an der Leine auf uns zu. Ihr Ascot-reifer, wagenrad¬großer rosafarbener Hut ist mir gut in Erinnerung geblieben. Stimmt, auch die Bemerkung, die sie mir, dem völlig Unbekannten, wie im Vertrauen zugeraunt hat: »Ihre Vorgänger habe ich nie so richtig kennen¬gelernt.«
Das war Ausdruck ihrer strengsten Missbilligung der armen Menschen, die vorher in diesem Haus gewohnt haben, wie mir jetzt aufgeht. Offenbar habe ich damals, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu ha¬ben, Laureens erste Prüfung bestanden. Da hatte ich den Mietvertrag noch gar nicht unterzeichnet.
»Hi«, erwidere ich an der Tür und vergesse prompt, unseren ersten Gast ins Haus zu bitten. Das macht aber ohnehin keinen großen Unterschied. In der klei¬nen Eingangsdiele ist es ja genauso leer wie draußen auf der porch, unserer Veranda vor der Tür, die von zwei verschnörkelten cremeweiß lackierten Ziergit¬tern gerahmt ist, was dem roten Backsteinhaus einen Hauch von Südstaaten-Flair verleiht.
»Ich heiße Reymer«, füge ich rasch hinzu.
Laureen klappt kurz die Augenlider runter, als wolle sie mir sagen, ich müsse keine Zeit verschwen¬den. Einen Namen könne sie gerade noch behalten. So alt sei sie auch nicht.
Das bewundere ich an den Amerikanern ohnehin uneingeschränkt. Sie können sich wirklich Namen merken. Wenn man ihnen vorgestellt wird, zum Bei¬spiel auf einer Party oder einem Empfang, erinnern sie sich auch noch eine halbe Stunde später mühelos daran. Selbst nach zwei Monaten, wenn man ihnen zufällig wieder über den Weg läuft, begrüßen sie ei¬nen mit der größten Selbstverständlichkeit. »Hi Rey¬mer«, sagen sie, während ich fieberhaft und meist vergebens in meinem Gedächtnis nach ihrem Namen krame und verlegen stammelnd nur ein armseliges »Hi« hervorbringe.
»Das sind Anna, Katherina und Chris«, sage ich und verweise auf das Pyjama-Knäuel, das sich an die Flügeltür zum Wohnzimmer kuschelt und kein Wort hervorbringt.
»Und das ist meine Frau Martina«, füge ich hinzu, als sie in dem Moment aus den Tiefen unserer neuen und leeren Bleibe auftaucht. »Martina, das ist Lau¬reen, unsere Nachbarin.«
»Pleased to meet you - sehr angenehm, how are you, Laureen?«, sagt Martina und legt ihr bestes Doris¬Day-Was-für-ein-herrlicher-Tag-Lächeln auf. Sie je¬denfalls weiß, was man bei solchen Gelegenheiten tut.
»Ich hab mich nur gefragt«, hebt Laureen also an und mustert kurz den kleinen Haufen der Neuan¬kömmlinge, »ob ihr morgen Abend nicht Lust hättet, zum BBQ zu uns zu kommen. Um sechs.« BBQ - Bar¬becue, das ist nichts als die amerikanische Variante eines Grillabends. Irgendwo haben wir gelesen, dass es eine alte Tradition ungezwungener Gastfreund¬schaft in den USA ist. Schon George Washington, der erste Präsident, ist zum Barbecue eingeladen wor¬den. Und nun also auch wir.
Martina und ich gucken uns an. »Klar«, sage ich, »wir kommen gerne.«
Am nächsten Abend macht Ron uns allen fünf die Tür auf. Ron ist ein grauhaariger, gut aussehender älterer Herr. Martina findet, er ist eine Mischung aus James Stewart und George Clooney, nur zwanzig Jahre äl¬ter. Ich sage dazu gar nichts. Haben James Stewart und Katherine Hepburn eigentlich auch mal gemein¬sam in einem Film mitgespielt?
In jedem Fall hat Ron die tiefe, sonore Stimme eines Hollywood- Stars, der sich in jeder Situation zurecht¬zufinden weiß. Ron ist, so erfahren wir bald, von Be¬ruf Onkologe. Dafür muss man sicher ein gelassener Mensch sein. Sonst stünde man wohl die seelische Anspannung im Behandlungszimmer nicht durch. Ron unterhält eine Privatpraxis in Washington.
Dass Laureen wirklich Künstlerin ist, bemerken wir schon in ihrem Vorgarten. Dort steht eine metal¬lene, knallrot lackierte Skulptur, die an ein Stabile von Calder erinnert. Ron schickt uns ungezwungen gleich weiter in die Küche. Auf dem Weg sehen wir an den Wänden im Wohnzimmer gewaltige Blumenbil¬der von Laureen. Expressionistisch, ohne Zweifel.
Für die Deutschen haben die beiden natürlich Bier kalt gestellt. Was auch sonst? Schließlich haben sie - wie die meisten Amerikaner - vom Oktoberfest ge¬hört und davon, dass der gemeine Deutsche dort gleich literweise Bier in sich hineinschüttet. Die Ver¬wunderung ist dementsprechend groß, dass die neuen Nachbarn - nach dem Anstandsbier - lieber kalifor¬nischen Chardonnay trinken. Eiskalt gekühlt, so wie Laureen und Ron es lieben.
Eigentlich wissen die Amerikaner nicht wirklich viel über die Deutschen, außer eben dass sie Bier in Unmengen vertragen, im Zweifel fiese Nazis sind und super Autos bauen. Ron fährt selbst einen deutschen Sportwagen, einen silbergrauen Audi. Den hat er ge¬least, allerdings gesteht er mir noch an diesem Abend fast schuldbewusst, als hielte ich persönlich ein di¬ckes Portefeuille an Audi-Aktien, dass er nun zu ei¬nem silbergrauen Japaner wechseln will, weil die Leasing-Kosten deutlich niedriger lägen.
Laureen nimmt es jedenfalls aufmerksam zur Kenntnis, dass ich nach dem Bier ein Glas Wein trinke. Damit haben wir, ich merke es wohl, ohne es zu wol¬len, eine weitere Prüfung bestanden.
Ehrlich gesagt, ertappe ich mich in dem Moment dabei, dass ich unsere ersten amerikanischen Gast¬geber ebenfalls einer Prüfung unterziehe.
Ron geleitet mich nach draußen. »Ihr seid bestimmt hungrig«, sagt er - ein unmissverständliches Zeichen, dass es nun losgehen soll mit dem dinner. BBQ ist Männersache, in Amerika genauso wie in Deutsch¬land. Wir legen chicken auf den Grill. Bei Ron und Laureen gibt es immer Hühnchen. Aber das wissen wir an dem Abend noch genauso wenig wie das Ge¬heimnis der wunderbaren Grillsauce, die Ron gerade umgerührt hat und mit der er nun das Fleisch be¬streicht. Es nimmt eine köstlich bernsteinfarbene Bräune an und bekommt einen leicht süßlich-rauchi¬gen Geschmack, obwohl es auf einem Gasgrill zu¬bereitet ist, ohne einen Hauch von Rauch. All das ist neu für uns.
Ein solches Gerät habe ich noch nie gesehen. Es ist kein runder Holzkohlegrill, wie ich ihn aus Deutsch¬land kenne, den man über Stunden befächeln muss, ehe man die Kohle zum Glühen gebracht hat, und der, wenn es eine besonders luxuriöse Variante ist, mit ei¬nem kuppelförmigen Deckel ausgestattet ist. In Rons Garten steht vielmehr ein silberfarbenes Monster¬teil, so breit, dass ein Mann die Enden kaum berührt, wenn er die Arme zur Seite ausstreckt. Mit einem chromglänzenden Klappdeckel über der Grillfläche, auf der ein halbes Wildschwein Platz fände. Das Beste an dem Ding ist der Zünder, den man kurz be¬tätigt, und klickerdiklick brennt die Gasflamme un¬ter dem Grillrost.
»Da brauchst du nicht zu blasen und zu wedeln«, sagt Ron mit der Stimme eines Mannes, der weiß, wo¬von er redet. »Du drückst einfach auf den Knopf - and here you go.« Schon läuft's.
Das ist Amerika. Big and easy. Klotzen statt kle¬ckern. Nicht schlecht, denke ich mir.
Auch das Essen sieht lecker aus. Wer sagt, die Amerikaner verstünden nichts vom Kochen? Nur Fast Food und Tiefkühl-Einerlei? Nicht bei unseren Nach¬barn! Da wird noch selbst gekocht. Auf dem Grill ga¬ren Hühner in hausgemachter Sauce. In der Küche, das habe ich vorhin gesehen, rösten Rosmarin-Kar¬toffeln im Ofen, und auf dem Herd habe ich einen Topf mit Ratatouille erspäht.
Natürlich ist dies das Land des processed food, der vollendet vorbereiteten Speisen, in zwei Minuten aus der Mikrowelle fix und fertig auf den Tisch. Und al¬les gibt es im Großpack. Chicken wings, marinierte Hühnerteile zum Beispiel, die man nur noch auf den Grill legen muss. Für Hamburger kauft man kein Hack ein und formt daraus mühselig flache Fleisch¬klöpse. Warum auch? Jeder Supermarkt führt vor¬gestanzte paddies, bierdeckelgroße, platte Fleisch¬kreise, die man ebenfalls nur noch auf den Grill werfen muss (wo sie so zusammenschnurren, dass sie mühelos in die buns passen, die absolut geschmacks¬neutralen, flauschig weichen Hamburger-Brötchen).
Nur die Hälfte aller Amerikaner plagt sich noch in der eigenen Küche ab, Tendenz weiter fallend. Jahr um Jahr belegen das Studien über die Essgewohnhei¬ten der US-Bürger. Die andere Hälfte geht essen oder deckt sich mit Fertiggerichten für die Mikrowelle ein. Sogar von denjenigen, die sich noch selbst in die Küche stellen, glaubt ein Großteil, dass es genauso gesund sei, vorgekochte Tiefkühlkost oder vorgewa¬schene Salatmischungen zu verwenden, als alles in Eigenregie zu garen oder den Salat eigenhändig zu zupfen. Schneller ist es allemal.
Bei Laureen aber ist das anders. Da habe ich kei¬nen Zweifel.
»It's delicious«, schwärmt Martina, als wir zum Essen draußen auf der Terrasse sitzen und uns ver¬stohlen hin und wieder auf die Knöchel oder die blo¬ßen Arme klatschen. Die Mücken fallen auch in Nach¬bars Garten über uns her!
»Sag, Ron«, fährt Martina fort, »wie hast du nur diese Sauce hinbekommen, scharf und süß zugleich?« Das sagt sie nicht nur so dahin. Martina kocht für ihr Leben gern. Sie liebt Kochbücher, und ständig ist sie auf der Suche nach neuen Rezepten.
Laureens Augen blitzen. »Das ist Rons Geheim¬rezept«, sagt sie. »Vielleicht willst du es Martina und Reymer ja verraten, honey?«
Ron ist ein Typ, der nicht gerne widerspricht, zu¬mindest nicht seiner Frau.
»Well«, sagt Ron, »ganz einfach. Ihr geht in den Su¬permarkt, kauft euch eine Kansas-City-BBQ-Sauce, irgendeine, ist wirklich egal welche, und dann rührt ihr ein bisschen flüssigen Honig drunter, im Verhält¬nis eins zu drei. Das ergibt den Geschmack.«
Einen kurzen Moment müssen wir ein wenig ko¬misch dreingeschaut haben. Das also ist Rons Spezi¬alrezept? Nun, Kansas City ist schon mal ein guter Hinweis. Kansas City ist die BBQ-Kapitale Ameri¬kas. Mehr als einhundert Grill-Restaurants werden im städtischen Gourmet-Register geführt. Der Ameri¬can Royal ist der größte Grill-Wettkampf des Landes. Da wundert es nicht wirklich, dass die Kan sas-City¬BBQ-Sauce im ganzen Land Berühmtheit erlangt hat. Zumal, wenn man berücksichtigt, was alles in diese tomatig-süßliche, mit Cayenne-Pfeffer ange¬schärfte Tunke hineingehört. Martha Stewart, Ame¬rikas geschäftstüchtige Kochpäpstin, listet elf Zuta¬ten auf, die auf dem Herd langsam garend zu der unverwechselbaren Geschmackskombination verkochen müssen. So eine langwierige Prozedur spart sich Ron.
»Oh«, sagt Laureen und strahlt. »Ihr müsst unbe¬dingt noch Platz lassen für das Dessert. Es ist eine Crème brûlée. Ich hoffe, ihr mögt das.« Was für eine Frage!
Am nächsten Morgen steht Besuch vor unserer Tür. Eine forsche Person von vielleicht sechzig Jahren in einem pinkfarbenen T-Shirt und Khaki-Shorts, mit blondem Kurzhaarschnitt und einem Gesicht wie ein wandelndes Fragezeichen: große, weit aufgerissene, kullerrunde tiefbraune Augen unter gewölbten, schwarz geschminkten Brauen und ein wie staunend leicht geöffneter Mund. Es ist Laureen, unsere Nach¬barin.
Unwillkürlich muss ich an Katherine Hepburn denken - wenn irgendjemand noch etwas damit an¬fangen kann -, wie sie in dem Hollywood-Klassiker African Queen dem alten Schluckspecht Humphrey Bogart den Whisky abknöpft und die Flasche, zu al¬lem entschlossen, bis zum letzten Tropfen in den Kongo leert. Auch mit dieser Frau ist nicht zu spaßen, sagt mir mein siebter Sinn.
Ihr an den Rändern zerfledderter Strohhut, so ei¬ner, wie ihn Pablo Picasso in Südfrankreich getragen hat, ist ein weiteres, unmissverständliches Signal. Laureen, das werden wir bald erfahren, ist Künstle¬rin und weiß Gott nicht stromlinienförmig.
»I was just wondering«, beginnt sie - »Ich hab mich nur gefragt ...« Das sagt sie eigentlich immer, egal ob sie eine ihrer wundersamen Eingebungen hat oder einen ihrer verrückten Vorschläge machen will. Oder auch einfach nur, wenn sie ein paar Worte mit uns wechseln möchte.
Laureen wird uns durch unser neues amerikani¬sches Leben führen. Und immer ist es dasselbe: Sie taucht unangemeldet auf, redet nicht lange um den heißen Brei herum und hat stets ein paar gute Tipps für die Greenhorns aus Deutschland parat.
Aber das alles wissen wir da noch nicht. Obwohl, ahnen könnten wir es eigentlich schon.
»Hi«, sagt sie nun, »ich bin Laureen. Ich wohne ne¬benan, im Haus an der Ecke. Wir kennen uns schon.« Große Anstrengungen, sich umständlich bekannt zu machen, unternimmt sie nicht. Sie stellt sich gleich mit dem Vornamen vor, wie die meisten Amerikaner das tun. Wenn es nicht gerade eine offizielle Angele¬genheit ist im Büro oder in einer Amtsstube oder beim Einkaufen, wo der Kunde stets »Sir« ist und die Kun¬din immer »Ma'am«, haben die Amerikaner wenig Sinn für Förmlichkeit. Und Laureen hasst Steifheit sowieso.
Tatsächlich haben wir uns bereits kennengelernt. Das stimmt. Kurz, aber immerhin. Vor einem Viertel¬jahr, als ich mit der Maklerin vor dem Haus letzte Details besprach und im Vorgarten stand, da kam eine Person mit einem zotteligen sandfarbenen Hund an der Leine auf uns zu. Ihr Ascot-reifer, wagenrad¬großer rosafarbener Hut ist mir gut in Erinnerung geblieben. Stimmt, auch die Bemerkung, die sie mir, dem völlig Unbekannten, wie im Vertrauen zugeraunt hat: »Ihre Vorgänger habe ich nie so richtig kennen¬gelernt.«
Das war Ausdruck ihrer strengsten Missbilligung der armen Menschen, die vorher in diesem Haus gewohnt haben, wie mir jetzt aufgeht. Offenbar habe ich damals, ohne auch nur die leiseste Ahnung zu ha¬ben, Laureens erste Prüfung bestanden. Da hatte ich den Mietvertrag noch gar nicht unterzeichnet.
»Hi«, erwidere ich an der Tür und vergesse prompt, unseren ersten Gast ins Haus zu bitten. Das macht aber ohnehin keinen großen Unterschied. In der klei¬nen Eingangsdiele ist es ja genauso leer wie draußen auf der porch, unserer Veranda vor der Tür, die von zwei verschnörkelten cremeweiß lackierten Ziergit¬tern gerahmt ist, was dem roten Backsteinhaus einen Hauch von Südstaaten-Flair verleiht.
»Ich heiße Reymer«, füge ich rasch hinzu.
Laureen klappt kurz die Augenlider runter, als wolle sie mir sagen, ich müsse keine Zeit verschwen¬den. Einen Namen könne sie gerade noch behalten. So alt sei sie auch nicht.
Das bewundere ich an den Amerikanern ohnehin uneingeschränkt. Sie können sich wirklich Namen merken. Wenn man ihnen vorgestellt wird, zum Bei¬spiel auf einer Party oder einem Empfang, erinnern sie sich auch noch eine halbe Stunde später mühelos daran. Selbst nach zwei Monaten, wenn man ihnen zufällig wieder über den Weg läuft, begrüßen sie ei¬nen mit der größten Selbstverständlichkeit. »Hi Rey¬mer«, sagen sie, während ich fieberhaft und meist vergebens in meinem Gedächtnis nach ihrem Namen krame und verlegen stammelnd nur ein armseliges »Hi« hervorbringe.
»Das sind Anna, Katherina und Chris«, sage ich und verweise auf das Pyjama-Knäuel, das sich an die Flügeltür zum Wohnzimmer kuschelt und kein Wort hervorbringt.
»Und das ist meine Frau Martina«, füge ich hinzu, als sie in dem Moment aus den Tiefen unserer neuen und leeren Bleibe auftaucht. »Martina, das ist Lau¬reen, unsere Nachbarin.«
»Pleased to meet you - sehr angenehm, how are you, Laureen?«, sagt Martina und legt ihr bestes Doris¬Day-Was-für-ein-herrlicher-Tag-Lächeln auf. Sie je¬denfalls weiß, was man bei solchen Gelegenheiten tut.
»Ich hab mich nur gefragt«, hebt Laureen also an und mustert kurz den kleinen Haufen der Neuan¬kömmlinge, »ob ihr morgen Abend nicht Lust hättet, zum BBQ zu uns zu kommen. Um sechs.« BBQ - Bar¬becue, das ist nichts als die amerikanische Variante eines Grillabends. Irgendwo haben wir gelesen, dass es eine alte Tradition ungezwungener Gastfreund¬schaft in den USA ist. Schon George Washington, der erste Präsident, ist zum Barbecue eingeladen wor¬den. Und nun also auch wir.
Martina und ich gucken uns an. »Klar«, sage ich, »wir kommen gerne.«
Am nächsten Abend macht Ron uns allen fünf die Tür auf. Ron ist ein grauhaariger, gut aussehender älterer Herr. Martina findet, er ist eine Mischung aus James Stewart und George Clooney, nur zwanzig Jahre äl¬ter. Ich sage dazu gar nichts. Haben James Stewart und Katherine Hepburn eigentlich auch mal gemein¬sam in einem Film mitgespielt?
In jedem Fall hat Ron die tiefe, sonore Stimme eines Hollywood- Stars, der sich in jeder Situation zurecht¬zufinden weiß. Ron ist, so erfahren wir bald, von Be¬ruf Onkologe. Dafür muss man sicher ein gelassener Mensch sein. Sonst stünde man wohl die seelische Anspannung im Behandlungszimmer nicht durch. Ron unterhält eine Privatpraxis in Washington.
Dass Laureen wirklich Künstlerin ist, bemerken wir schon in ihrem Vorgarten. Dort steht eine metal¬lene, knallrot lackierte Skulptur, die an ein Stabile von Calder erinnert. Ron schickt uns ungezwungen gleich weiter in die Küche. Auf dem Weg sehen wir an den Wänden im Wohnzimmer gewaltige Blumenbil¬der von Laureen. Expressionistisch, ohne Zweifel.
Für die Deutschen haben die beiden natürlich Bier kalt gestellt. Was auch sonst? Schließlich haben sie - wie die meisten Amerikaner - vom Oktoberfest ge¬hört und davon, dass der gemeine Deutsche dort gleich literweise Bier in sich hineinschüttet. Die Ver¬wunderung ist dementsprechend groß, dass die neuen Nachbarn - nach dem Anstandsbier - lieber kalifor¬nischen Chardonnay trinken. Eiskalt gekühlt, so wie Laureen und Ron es lieben.
Eigentlich wissen die Amerikaner nicht wirklich viel über die Deutschen, außer eben dass sie Bier in Unmengen vertragen, im Zweifel fiese Nazis sind und super Autos bauen. Ron fährt selbst einen deutschen Sportwagen, einen silbergrauen Audi. Den hat er ge¬least, allerdings gesteht er mir noch an diesem Abend fast schuldbewusst, als hielte ich persönlich ein di¬ckes Portefeuille an Audi-Aktien, dass er nun zu ei¬nem silbergrauen Japaner wechseln will, weil die Leasing-Kosten deutlich niedriger lägen.
Laureen nimmt es jedenfalls aufmerksam zur Kenntnis, dass ich nach dem Bier ein Glas Wein trinke. Damit haben wir, ich merke es wohl, ohne es zu wol¬len, eine weitere Prüfung bestanden.
Ehrlich gesagt, ertappe ich mich in dem Moment dabei, dass ich unsere ersten amerikanischen Gast¬geber ebenfalls einer Prüfung unterziehe.
Ron geleitet mich nach draußen. »Ihr seid bestimmt hungrig«, sagt er - ein unmissverständliches Zeichen, dass es nun losgehen soll mit dem dinner. BBQ ist Männersache, in Amerika genauso wie in Deutsch¬land. Wir legen chicken auf den Grill. Bei Ron und Laureen gibt es immer Hühnchen. Aber das wissen wir an dem Abend noch genauso wenig wie das Ge¬heimnis der wunderbaren Grillsauce, die Ron gerade umgerührt hat und mit der er nun das Fleisch be¬streicht. Es nimmt eine köstlich bernsteinfarbene Bräune an und bekommt einen leicht süßlich-rauchi¬gen Geschmack, obwohl es auf einem Gasgrill zu¬bereitet ist, ohne einen Hauch von Rauch. All das ist neu für uns.
Ein solches Gerät habe ich noch nie gesehen. Es ist kein runder Holzkohlegrill, wie ich ihn aus Deutsch¬land kenne, den man über Stunden befächeln muss, ehe man die Kohle zum Glühen gebracht hat, und der, wenn es eine besonders luxuriöse Variante ist, mit ei¬nem kuppelförmigen Deckel ausgestattet ist. In Rons Garten steht vielmehr ein silberfarbenes Monster¬teil, so breit, dass ein Mann die Enden kaum berührt, wenn er die Arme zur Seite ausstreckt. Mit einem chromglänzenden Klappdeckel über der Grillfläche, auf der ein halbes Wildschwein Platz fände. Das Beste an dem Ding ist der Zünder, den man kurz be¬tätigt, und klickerdiklick brennt die Gasflamme un¬ter dem Grillrost.
»Da brauchst du nicht zu blasen und zu wedeln«, sagt Ron mit der Stimme eines Mannes, der weiß, wo¬von er redet. »Du drückst einfach auf den Knopf - and here you go.« Schon läuft's.
Das ist Amerika. Big and easy. Klotzen statt kle¬ckern. Nicht schlecht, denke ich mir.
Auch das Essen sieht lecker aus. Wer sagt, die Amerikaner verstünden nichts vom Kochen? Nur Fast Food und Tiefkühl-Einerlei? Nicht bei unseren Nach¬barn! Da wird noch selbst gekocht. Auf dem Grill ga¬ren Hühner in hausgemachter Sauce. In der Küche, das habe ich vorhin gesehen, rösten Rosmarin-Kar¬toffeln im Ofen, und auf dem Herd habe ich einen Topf mit Ratatouille erspäht.
Natürlich ist dies das Land des processed food, der vollendet vorbereiteten Speisen, in zwei Minuten aus der Mikrowelle fix und fertig auf den Tisch. Und al¬les gibt es im Großpack. Chicken wings, marinierte Hühnerteile zum Beispiel, die man nur noch auf den Grill legen muss. Für Hamburger kauft man kein Hack ein und formt daraus mühselig flache Fleisch¬klöpse. Warum auch? Jeder Supermarkt führt vor¬gestanzte paddies, bierdeckelgroße, platte Fleisch¬kreise, die man ebenfalls nur noch auf den Grill werfen muss (wo sie so zusammenschnurren, dass sie mühelos in die buns passen, die absolut geschmacks¬neutralen, flauschig weichen Hamburger-Brötchen).
Nur die Hälfte aller Amerikaner plagt sich noch in der eigenen Küche ab, Tendenz weiter fallend. Jahr um Jahr belegen das Studien über die Essgewohnhei¬ten der US-Bürger. Die andere Hälfte geht essen oder deckt sich mit Fertiggerichten für die Mikrowelle ein. Sogar von denjenigen, die sich noch selbst in die Küche stellen, glaubt ein Großteil, dass es genauso gesund sei, vorgekochte Tiefkühlkost oder vorgewa¬schene Salatmischungen zu verwenden, als alles in Eigenregie zu garen oder den Salat eigenhändig zu zupfen. Schneller ist es allemal.
Bei Laureen aber ist das anders. Da habe ich kei¬nen Zweifel.
»It's delicious«, schwärmt Martina, als wir zum Essen draußen auf der Terrasse sitzen und uns ver¬stohlen hin und wieder auf die Knöchel oder die blo¬ßen Arme klatschen. Die Mücken fallen auch in Nach¬bars Garten über uns her!
»Sag, Ron«, fährt Martina fort, »wie hast du nur diese Sauce hinbekommen, scharf und süß zugleich?« Das sagt sie nicht nur so dahin. Martina kocht für ihr Leben gern. Sie liebt Kochbücher, und ständig ist sie auf der Suche nach neuen Rezepten.
Laureens Augen blitzen. »Das ist Rons Geheim¬rezept«, sagt sie. »Vielleicht willst du es Martina und Reymer ja verraten, honey?«
Ron ist ein Typ, der nicht gerne widerspricht, zu¬mindest nicht seiner Frau.
»Well«, sagt Ron, »ganz einfach. Ihr geht in den Su¬permarkt, kauft euch eine Kansas-City-BBQ-Sauce, irgendeine, ist wirklich egal welche, und dann rührt ihr ein bisschen flüssigen Honig drunter, im Verhält¬nis eins zu drei. Das ergibt den Geschmack.«
Einen kurzen Moment müssen wir ein wenig ko¬misch dreingeschaut haben. Das also ist Rons Spezi¬alrezept? Nun, Kansas City ist schon mal ein guter Hinweis. Kansas City ist die BBQ-Kapitale Ameri¬kas. Mehr als einhundert Grill-Restaurants werden im städtischen Gourmet-Register geführt. Der Ameri¬can Royal ist der größte Grill-Wettkampf des Landes. Da wundert es nicht wirklich, dass die Kan sas-City¬BBQ-Sauce im ganzen Land Berühmtheit erlangt hat. Zumal, wenn man berücksichtigt, was alles in diese tomatig-süßliche, mit Cayenne-Pfeffer ange¬schärfte Tunke hineingehört. Martha Stewart, Ame¬rikas geschäftstüchtige Kochpäpstin, listet elf Zuta¬ten auf, die auf dem Herd langsam garend zu der unverwechselbaren Geschmackskombination verkochen müssen. So eine langwierige Prozedur spart sich Ron.
»Oh«, sagt Laureen und strahlt. »Ihr müsst unbe¬dingt noch Platz lassen für das Dessert. Es ist eine Crème brûlée. Ich hoffe, ihr mögt das.« Was für eine Frage!
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Autoren-Porträt von Reymer Klüver
Klüver, ReymerReymer Klüver ist seit fünf Jahren Politik-Korrespondent der Süddeutschen Zeitung in Washington, D.C. Davor war er für dieselbe Zeitung in Berlin, Hamburg und München tätig. Er ist verheiratet und hat zwei Töchter (13 und 11), einen Sohn (8) und einen Hund namens Dakota.
Bibliographische Angaben
- Autor: Reymer Klüver
- 2010, 304 Seiten, Masse: 12,2 x 19,1 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548281699
- ISBN-13: 9783548281698
Rezension zu „Allein unter Doppel-Whoppern “
»Ein amüsantes Buch, das über den Tellerrand der Kulturen schaut.« Main-Echo
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