Alle Orte, die man knicken kann
Gran Canaria? Kakerlakenverseuchte Hotels! San Francisco Bay? Ölpest, Rotschlamm und kontinuierliche Abwassereinleitung!
Frech und witzig erzählt Dietmar Bittrich, welche Reise-Highlights man ganz entspannt streichen kann.
"Ein...
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Alle Orte, die man knicken kann “
Gran Canaria? Kakerlakenverseuchte Hotels! San Francisco Bay? Ölpest, Rotschlamm und kontinuierliche Abwassereinleitung!
Frech und witzig erzählt Dietmar Bittrich, welche Reise-Highlights man ganz entspannt streichen kann.
"Ein herrlich sarkastisches Buch über angebliche touristische Traumziele, die sich als Flop erweisen."
Die Welt
Klappentext zu „Alle Orte, die man knicken kann “
Das beste Mittel gegen Fernweh!Mit frechem Charme erzählt Dietmar Bittrich, welche Highlights man entspannt streichen kann, wie man nebenbei lästige Mitreisende loswird, wie man alles Wichtige gekonnt umgeht - und anschliessend trotzdem fachkundig darüber redet.
Venedig * Paris * Rom * Stonehenge * Petersburg *
Prag * Griechische Inseln * Pyramiden * Seychellen
* Seidenstrasse * Rajasthan * Malediven * Neuseeland *
New York * San Francisco * Hollywood * Machu Picchu * Ipanema * Osterinsel
«Ein herrlich sarkastisches Buch über angebliche touristische Traumziele, die sich als Flop erweisen.» Die Welt
«Voller Ironie!» Stern.de
«Die vergnüglichste Urlaubslektüre, die sich die Daheimbleiber auf dem Balkon unterm Regenschirm wünschen können.» Abendzeitung
Lese-Probe zu „Alle Orte, die man knicken kann “
Alle Orte, die man knicken kann von Dietmar BittrichFRANKREICH
PARIS
Es ist nicht wahr, dass Paris die Menschen kalt und unfreundlich macht», beteuerte der frühere Bürgermeister Jacques Chirac.
«Es ist umgekehrt: Immer mehr kalte und unfreundliche Leute kommen nach Paris.» Wie sonderbar! Gleichwohl verlieren sich auch warmherzige und gutwillige Menschen in die aschgraue Smog-Metropole. Bei der Abreise sind sie meist froh, wenn nur ihre Brieftasche geklaut worden und lediglich ihr Auto in Flammen aufgegangen ist.
Die peinlichsten Sehenswürdigkeiten
Eifelturm. Die wenigsten Einheimischen sind auf dem Eiffelturm gewesen. Sie scheuen die endlosen Schlangen. Sechs Millionen Touristen pro Jahr stellen sich an. Weil viele von ihnen aus Verzweiflung über den schlechten Blick in die Tiefe sprangen, ist die Plattform in fast 300 Meter Höhe seit einiger Zeit verglast. Doch die schmutzigen Scheiben tragen keine Schuld, dass nichts zu sehen ist. Spätere Versuche, vom Tour Montparnasse oder von Sacré-Coeur aus einen Überblick zu gewinnen, beweisen: Es liegt an der grauorangen Feinstaubschicht über der Stadt. Paris ist in Europa die Stadt mit der höchsten Zahl an Atemwegserkrankungen. Das immerhin kann der Eiffelturm-Tourist nachvollziehen. Wenn er sich unten noch den Händlern entwinden kann, die ihm Minitürme made in China aufdrängen, hat er Anspruch auf den Tourism Watch Award.
Champs-Élysées. Frittenbuden, Planet Hollywood, McDonald's, Löwenbräukeller, grottige Straßencafés und Filialen der abgenudeltsten Modeketten säumen das, was Uneingeweihte für eine Prachtstraße hielten. Es handelt sich um eine für Militärparaden angelegte Meile, die an Nationalfeiertagen von Nuklearbombern überdonnert wird. Gewöhnlich herrscht hier einfach nur Verkehrsstau. Seit Nachkriegsgeneral Charles de Gaulle
... mehr
seine Landsleute aufforderte zu hupen, wenn sie in Europa nicht vorankämen, tun sie das auch zu Hause unaufhörlich. Das permanente Quäken auf den Champs-Élysées zieht magnetisch Greisinnen und taube Rentner an, die hier Reste ihres Gehörs wiederzuerlangen glauben. Alle anderen büßen es ein.
Arc de Triomphe. Die Champs-Élysées beginnen an der trübsinnigen Place de la Concorde mit dem Denkmal für den Erfinder der Stecknadel und enden zwei Kilometer weiter an der trübsinnigen Place de l'Étoile mit dem Triumphklotz. Dort treffen sich Autos aus zwölf Straßen zum gemeinsamen Stop and go. Es geht immer im Kreis. In der Platzmitte der massige Triumphbogen, den Napoleon noch rasch in Auftrag gab, bevor er besiegt wurde. Seit einiger Zeit wird hier täglich eine Schadstoffkonzentration gemessen, die laut Weltklimarat selbst beim Tragen von Atemmasken das Leben gefährdet. Wer keine Maske hat, begibt sich ins Museum unter dem Bogen, das Frankreichs Armee zur siegreichsten aller Zeiten kürt.
Louvre. Pop-Artist Andy Warhol riet zum Besuch dieses Museumspalastes, weil man hier «die eindrucksvollste Versammlung von Heuchlern» antreffe. Acht Millionen Besucher pro Jahr (zwanzigtausend am Tag) tun so, als würden sie sich für Rembrandt und Rubens interessieren und für die Schlafsäle mit ägyptischen, orientalischen, römischen, griechischen, etruskischen Altertümern, zu schweigen von Möbeln, Textilien, Suppengeschirr. Das laut Henri Matisse «zweitdümmste Gesicht der Porträtmalerei» hängt ebenfalls hier, die Mona Lisa, wegen der kurzsichtigen Studienreisenden unter Panzerglas. Matisse verriet nie, welches er für das dümmste Gesicht hielt. Das von Paris selbst? Der verblichene François Mitterrand nannte die gläserne Eingangspyramide des Louvre einen «Pickel im Gesicht von Paris». Von den zahllosen Hautunreinheiten ist sie noch eine der bestgeputzten. Ein Muss im Louvre: die Toiletten in der Antikenabteilung.
Weitere Mausoleen. Museen seien die Leichenhallen der Kunst, erklärte der surreale Bastler Max Ernst. Überreste von ihm selbst sind in einem Heizkraftwerk namens Centre Pompidou zu sehen. Das Beste an dem trostlosen Gebäude mit Wechselausstellungen: die langen Rolltreppen. Tote Impressionisten finden sich auf der anderen Seine-Seite im Musée d'Orsay. Wer sich dem Besucherstrom anschließt, gelangt zu den Seerosen von Claude Monet. Vorteil dieses Museums: Es war mal ein Bahnhof und vermittelt das Gefühl, der Aufenthalt dürfe kurz sein. Die zahnstumpfige Kathedrale Notre-Dame ist wegen des Glöckners berühmt. Touristen fotografieren das Portal, die Fensterrosette und die Wasserspeier. Nur die Kühnsten folgen dem Glöckner und stürzen sich aus Verzweiflung über das düstere Bauwerk vom Turm. Allerdings: Der Friedhof Père Lachaise ist bereits ausgebucht. Die vielen greisen Gäste dort suchen nicht Verwandte, sondern den bekritzelten Grabstein eines schwindsüchtigen Sängers der sechziger Jahre.
Montmarire und Sacré-Coeur. Ahnungslose halten den Hügel für ein romantisches Künstlerviertel, in dem einst Toulouse-Lautrec gewohnt hat. Nur wenn man zu Fuß hinaufsteige, bekäme man die Atmosphäre so richtig mit. In Wahrheit kostet der Anstieg auf löchrigem Pflaster in dicker Luft zwar nicht sofort das Leben, verkürzt es aber entscheidend. Kunstbeflissene jenseits der fünfzig sind erst mal für zwei Tage außer Gefecht gesetzt, zumal sie hier keinen einzigen Künstler antreffen, dafür aber jede Menge Nippesgeschäfte und die schlechtesten Restaurants der Stadt. Vor der zuckrigen Sacré-Coeur finden sich dann doch lauter Künstler. Ihre Aquarelle würden in Deutschland nicht mal in einer Apotheke ausgestellt werden.
Sonst noch was? Eigentlich nicht. Der Pont Neuf ist die älteste Brücke von Paris, doch das macht sie nicht sehenswerter. Alte Menschen, die noch vom Existenzialismus wissen, zieht es hinüber auf das linke Seine-Ufer. Irgendwo da soll der Philosoph Sartre seine Lebensgefährtin Beauvoir angeschielt haben. Flussabwärts steht der Invalidendom, in dem Hitler vor dem Grab Napoleons betete. Auf das Hochhausviertel La Défense reicht der Fernblick.
So wird man lästige Mitreisen los
Freunde von Königshäusern schicken wir zum Diana-Tunnel. Sie sollen genau die Route nachgehen, oder noch besser nachfahren, die Dodi und die Prinzessin von Wales am 31. August 1997 nahmen. Sie führt vom Hotel Ritz zum Alma-Tunnel und endet dort am 13. Pfeiler. «Sieh dir das aufgemalte Herz und das Kreuz genau an, Tante!» Tante muss sich dazu durch eines der Löcher im mannshohen Drahtzaun bemühen, der Pilger von dieser Heiligenstätte abhalten soll. Genauer: der sie vor dem mörderischen Verkehr schützen soll. «Nur Mut! Du schaffst das! Leg ein paar Blumen nieder.»
Kauflustige werden wir für einen Tag los, weil sie unbedingt die Galeries Lafayette besichtigen müssen. In dem angejahrten Kaufhaus treffen sich mehr Schaulustige als tatsächliche Käufer. Die Touristenmassen kommen wegen des klingenden Namens und wegen der Jugendstilkuppel. Einheimische bleiben wegen der Preise fern. Designermarken werden hier grundsätzlich mit fünfzig Prozent Rabatt angeboten, sind aber immer noch doppelt so teuer wie in heimischen Läden oder im Printemps gegenüber. Die Lebensmittelabteilung glänzt mit einer großen Auswahl an Konservendosen. Den Inhalt gibt es kaum merklich erwärmt auf der Dachterrasse.
Jüngere Quälgeister müssen unbedingt den trendmäßig extrem faszinierenden Hochhaus-Gürtel rund um die Stadt kennenlernen. «Das ist das Paris von heute, wie es wirklich ist. Da wird überall szenige Musik gemacht, und die Schafe werden live auf der Straße geschächtet.» Naive Reisende auch. Faustregel: Alle Neuf-Trois-Vorstädte (deren Postleitzahl mit 9-3 beginnt) offenbaren das Leben von Einwanderern in seiner unverdorbenen Ursprünglichkeit. Einfach mal hinfahren, am besten mit dem eigenen Wagen, und bei Dämmerung den Rauchsäulen folgen. Vierzigtausend abgefackelte Autos pro Jahr ersetzen mühelos die mangelnde Straßenbeleuchtung.
Typisch Paris
Pickpockets. Wer einen Stadtplan studiert, einen Rucksack trägt oder sich suchend umsieht, ist sein Portemonnaie schon los. Taschendiebe verdienen sich ihr Geld besonders in der Metro (Touri-Linie 1), rund um die Sehenswürdigkeiten und in den Kaufhäusern, sogar in den Frühstücksräumen der Hotels. Sie räumen in Cafés die am Stuhl abgestellten Taschen ab, wollen vor Notre-Dame mit aufs Foto und investieren sogar in Museumstickets, um kunstbeflissene Betrachter vom Inhalt schwerer Handtaschen zu befreien. Die sind dann froh, wenn sie wenigstens noch eine Kopie des Personalausweises im Hotel haben.
Streik. Französische S- und U-Bahn-Fahrer verdienen rund ein Drittel mehr als ihre Kollegen in Berlin oder München. Vielleicht sind sie geschickter im Knöpfchendrücken. Weil Paris unzufrieden macht, streiken sie häufiger als andere Piloten öffentlicher Verkehrsmittel. RER und Metro stehen oft überraschend still. Durchschnittliche Streikdauer zum Beispiel auf der RER A: viermal im Jahr je zwei Wochen. Die übrigen Wochen sind belegt mit den Streiks der Piloten, Milchbauern, ausländischen Arbeitnehmer, Müllwerker, Strom- und Gasbeschäftigten, Transportarbeiter, Lehrer, Studenten, Beamten und aller weiteren Entrechteten.
Dreck. Für die Mülltrennung haben die Pariser eine einleuchtende Lösung gefunden. Wer sich von seinem Müll trennen will, wirft ihn auf die Straße oder den Gehsteig. Meist wird einmal im Jahr, am Tag nach dem Nationalfeiertag, gefegt. Dann verschwinden für kurze Zeit auch die Hundehaufen, die die Gehwege nicht säumen, sondern garnieren. Hundebesitzer, auch in schicken Vierteln, führen ihren treuesten Freund zu einem zentralen Platz auf dem Bürgersteig und genießen den Anblick, wie er versonnen drückt und dampfend ablegt.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Touristen gelten in Paris als gebührenfreie Möglichkeit zur Entsorgung alter Lebensmittel. Als Vorspeise gibt es deshalb häufig aufgewärmte Pilz-Tartelettes, eingetrocknete Salamischeiben, Quiche der Vorwoche und durchgefurzte Zwiebelsuppe. Der Hauptgang aus ledernem Hähnchen mit Fritten oder schlappem Huhn in Weißweinpampe kostet ungefähr so viel wie mehrgängige Gourmetmenüs im Elsass. Passend: gutgeschleimtes Kartoffelgratin oder halbgare Bohnen mit Knoblauchpulver. Als besonders desaströs erweist sich stets der Entschluss: «Heute gehen wir mal in ein echtes Bistro.»
Das reicht für das Expertengespräch
Um einen Abend zu bestreiten, genügt nach Erfahrung des Experten Ulrich Wicken ein einziger Satz: «Paris ist nicht Frankreich.» Der Rest ergebe sich dann von selbst. Gut macht sich auch ein Hinweis auf den Stadtplaner Haussmann, der vor hundertfünfzig Jahren die breiten Boulevards anlegen ließ und die grauen Wohnblocks mit den schmalen Balkons. Fachkommentar: «Also, Paris bleibt für mich eine Stadt des 19. Jahrhunderts.» Mit einer Erwähnung nordafrikanischer Einwanderer ist der Einstieg in eine problemorientierte Diskussion gesichert.
Das meinen Kenner
«Nachdem Frankreichs Status als Grande Nation verlorengegangen ist, bleibt Paris doch immer noch eine Weltmetropole: die universale Hauptstadt der Hundescheiße.»
- SERGE GAINSBOURG, CHANSONNIER
«Mag ich nicht, will ich nicht, finde ich zum Kotzen.»
- KARL VALENTIN, KÜNSTLER
«Paris - ist das nicht diese bescheuerte Blondine, die im Hilton wohnt?»
- DIETER BOHLEN, PRODUZENT
ELSASS
Nicht alle Touristen, die sich jedes Jahr die Elsässer Weinstraße entlangschieben, können an deutschen Schulen unterrichten.
Doch das Elsass liegt laut Umfragen seit den sechziger Jahren unangefochten an der Spitze der Lieblingsreiseländer deutscher Lehrer. Sie besuchen hier ihren persönlichen Winzer, nutzen kostenlose Weinproben, essen Zwiebelkuchen und Sauerkraut und haben anschließend Albträume von der Rückkehr an die Schule. Zuweilen schnüren sie ihre Schuhe, um zu Fuß oder per Rad jene verborgenen Idyllen zu entdecken, die «abseits der ausgetretenen Pfade» liegen - seit jeher der beste Tipp, um allen anderen Touristen in die Arme zu laufen. Bei jährlichen neun Millionen Besuchern in der Region ist das auch schwer zu vermeiden. In den Städten arrangiert man sich mit den Massen - etwa in Straßburg, wo alle mal kurz ins düstere Münster schauen und im musealen Gerberviertel ein Eis essen. Mehr bietet die Stadt nicht.
Im südlichen Hauptort Colmar wird es schon enger. Alle wollen Fachwerk wie im Mittelalter sehen, also eigentlich ohne twitternde Touristen. Alle wollen im Musee d'Unterlinden (das meistbesuchte Museum Frankreichs nach dem Louvre) den Isenheimer Altar betrachten und beim Anblick des gekreuzigten Jesus äußern: «Ja, hier ist das Leiden wirklich unheimlich echt dargestellt.» Oder so ähnlich. Richtig fühlbar wird der Strom konkurrierender Idyllensucher aber in den kleineren Orten entlang der Weinstraße. Gegen die Parkplatznot haben Orte wie Riquewihr (auch Reichenweier genannt), Eguisheim und Hunawihr breite Flächen außerhalb der Mauern planiert und charmante Wächterinnen des Ordnungsamtes zum Kassieren und Zettelverteilen angestellt. Während der deutschen Schulferien und zur Weinlese (Vin Nouveau betäubt am schnellsten) sind Straßen und Restaurants rettungslos überlastet. Die gedopten Angehörigen des Personals lassen zu dieser Zeit jeden Gast spüren, dass er hier weder gebraucht wird noch willkommen ist.
Städtchen wie Turckheim, Erstein, Kaysersberg und Hohkonigsburg lassen die Degustationssaison mittlerweile nahtlos in den Vorweihnachtstourismus übergehen und bieten Lichterpfade, Weihnachtsmärkte, Eisbahnen, Fackelläufe und sogenannten Lichterzauber. Weil die Übernachtungszahlen im Januar, Februar und März noch zu wünschen übriglassen, offerieren bislang vernachlässigte Orte nicht mehr nur Weinseminare und Lehrgänge in Bioanbau, sondern neuerdings auch Gänsestopfen für Anfänger. Die Gänsestopfleber ist die berühmteste Spezialität der Region. Mit
Hilfe eines biegsamen Rohres wird der glücklichen Gans oder Ente der leckere Futterbrei direkt in den Magen gestopft oder gepumpt. Die Leber des derartig gutversorgten Tieres wiegt bei der Schlachtung bis zu zwei Kilo. Diese Herstellungsform wird nicht das Lieblingshobby jedes Touristen werden, ist aber ein bis auf die Antike zurückgehendes traditionelles Ritual. Wenn der Urlaub authentisch elsässisch sein soll - beim Stopfen wird er es.
©2010,2012 Rowohlt Verlag GmbH
Arc de Triomphe. Die Champs-Élysées beginnen an der trübsinnigen Place de la Concorde mit dem Denkmal für den Erfinder der Stecknadel und enden zwei Kilometer weiter an der trübsinnigen Place de l'Étoile mit dem Triumphklotz. Dort treffen sich Autos aus zwölf Straßen zum gemeinsamen Stop and go. Es geht immer im Kreis. In der Platzmitte der massige Triumphbogen, den Napoleon noch rasch in Auftrag gab, bevor er besiegt wurde. Seit einiger Zeit wird hier täglich eine Schadstoffkonzentration gemessen, die laut Weltklimarat selbst beim Tragen von Atemmasken das Leben gefährdet. Wer keine Maske hat, begibt sich ins Museum unter dem Bogen, das Frankreichs Armee zur siegreichsten aller Zeiten kürt.
Louvre. Pop-Artist Andy Warhol riet zum Besuch dieses Museumspalastes, weil man hier «die eindrucksvollste Versammlung von Heuchlern» antreffe. Acht Millionen Besucher pro Jahr (zwanzigtausend am Tag) tun so, als würden sie sich für Rembrandt und Rubens interessieren und für die Schlafsäle mit ägyptischen, orientalischen, römischen, griechischen, etruskischen Altertümern, zu schweigen von Möbeln, Textilien, Suppengeschirr. Das laut Henri Matisse «zweitdümmste Gesicht der Porträtmalerei» hängt ebenfalls hier, die Mona Lisa, wegen der kurzsichtigen Studienreisenden unter Panzerglas. Matisse verriet nie, welches er für das dümmste Gesicht hielt. Das von Paris selbst? Der verblichene François Mitterrand nannte die gläserne Eingangspyramide des Louvre einen «Pickel im Gesicht von Paris». Von den zahllosen Hautunreinheiten ist sie noch eine der bestgeputzten. Ein Muss im Louvre: die Toiletten in der Antikenabteilung.
Weitere Mausoleen. Museen seien die Leichenhallen der Kunst, erklärte der surreale Bastler Max Ernst. Überreste von ihm selbst sind in einem Heizkraftwerk namens Centre Pompidou zu sehen. Das Beste an dem trostlosen Gebäude mit Wechselausstellungen: die langen Rolltreppen. Tote Impressionisten finden sich auf der anderen Seine-Seite im Musée d'Orsay. Wer sich dem Besucherstrom anschließt, gelangt zu den Seerosen von Claude Monet. Vorteil dieses Museums: Es war mal ein Bahnhof und vermittelt das Gefühl, der Aufenthalt dürfe kurz sein. Die zahnstumpfige Kathedrale Notre-Dame ist wegen des Glöckners berühmt. Touristen fotografieren das Portal, die Fensterrosette und die Wasserspeier. Nur die Kühnsten folgen dem Glöckner und stürzen sich aus Verzweiflung über das düstere Bauwerk vom Turm. Allerdings: Der Friedhof Père Lachaise ist bereits ausgebucht. Die vielen greisen Gäste dort suchen nicht Verwandte, sondern den bekritzelten Grabstein eines schwindsüchtigen Sängers der sechziger Jahre.
Montmarire und Sacré-Coeur. Ahnungslose halten den Hügel für ein romantisches Künstlerviertel, in dem einst Toulouse-Lautrec gewohnt hat. Nur wenn man zu Fuß hinaufsteige, bekäme man die Atmosphäre so richtig mit. In Wahrheit kostet der Anstieg auf löchrigem Pflaster in dicker Luft zwar nicht sofort das Leben, verkürzt es aber entscheidend. Kunstbeflissene jenseits der fünfzig sind erst mal für zwei Tage außer Gefecht gesetzt, zumal sie hier keinen einzigen Künstler antreffen, dafür aber jede Menge Nippesgeschäfte und die schlechtesten Restaurants der Stadt. Vor der zuckrigen Sacré-Coeur finden sich dann doch lauter Künstler. Ihre Aquarelle würden in Deutschland nicht mal in einer Apotheke ausgestellt werden.
Sonst noch was? Eigentlich nicht. Der Pont Neuf ist die älteste Brücke von Paris, doch das macht sie nicht sehenswerter. Alte Menschen, die noch vom Existenzialismus wissen, zieht es hinüber auf das linke Seine-Ufer. Irgendwo da soll der Philosoph Sartre seine Lebensgefährtin Beauvoir angeschielt haben. Flussabwärts steht der Invalidendom, in dem Hitler vor dem Grab Napoleons betete. Auf das Hochhausviertel La Défense reicht der Fernblick.
So wird man lästige Mitreisen los
Freunde von Königshäusern schicken wir zum Diana-Tunnel. Sie sollen genau die Route nachgehen, oder noch besser nachfahren, die Dodi und die Prinzessin von Wales am 31. August 1997 nahmen. Sie führt vom Hotel Ritz zum Alma-Tunnel und endet dort am 13. Pfeiler. «Sieh dir das aufgemalte Herz und das Kreuz genau an, Tante!» Tante muss sich dazu durch eines der Löcher im mannshohen Drahtzaun bemühen, der Pilger von dieser Heiligenstätte abhalten soll. Genauer: der sie vor dem mörderischen Verkehr schützen soll. «Nur Mut! Du schaffst das! Leg ein paar Blumen nieder.»
Kauflustige werden wir für einen Tag los, weil sie unbedingt die Galeries Lafayette besichtigen müssen. In dem angejahrten Kaufhaus treffen sich mehr Schaulustige als tatsächliche Käufer. Die Touristenmassen kommen wegen des klingenden Namens und wegen der Jugendstilkuppel. Einheimische bleiben wegen der Preise fern. Designermarken werden hier grundsätzlich mit fünfzig Prozent Rabatt angeboten, sind aber immer noch doppelt so teuer wie in heimischen Läden oder im Printemps gegenüber. Die Lebensmittelabteilung glänzt mit einer großen Auswahl an Konservendosen. Den Inhalt gibt es kaum merklich erwärmt auf der Dachterrasse.
Jüngere Quälgeister müssen unbedingt den trendmäßig extrem faszinierenden Hochhaus-Gürtel rund um die Stadt kennenlernen. «Das ist das Paris von heute, wie es wirklich ist. Da wird überall szenige Musik gemacht, und die Schafe werden live auf der Straße geschächtet.» Naive Reisende auch. Faustregel: Alle Neuf-Trois-Vorstädte (deren Postleitzahl mit 9-3 beginnt) offenbaren das Leben von Einwanderern in seiner unverdorbenen Ursprünglichkeit. Einfach mal hinfahren, am besten mit dem eigenen Wagen, und bei Dämmerung den Rauchsäulen folgen. Vierzigtausend abgefackelte Autos pro Jahr ersetzen mühelos die mangelnde Straßenbeleuchtung.
Typisch Paris
Pickpockets. Wer einen Stadtplan studiert, einen Rucksack trägt oder sich suchend umsieht, ist sein Portemonnaie schon los. Taschendiebe verdienen sich ihr Geld besonders in der Metro (Touri-Linie 1), rund um die Sehenswürdigkeiten und in den Kaufhäusern, sogar in den Frühstücksräumen der Hotels. Sie räumen in Cafés die am Stuhl abgestellten Taschen ab, wollen vor Notre-Dame mit aufs Foto und investieren sogar in Museumstickets, um kunstbeflissene Betrachter vom Inhalt schwerer Handtaschen zu befreien. Die sind dann froh, wenn sie wenigstens noch eine Kopie des Personalausweises im Hotel haben.
Streik. Französische S- und U-Bahn-Fahrer verdienen rund ein Drittel mehr als ihre Kollegen in Berlin oder München. Vielleicht sind sie geschickter im Knöpfchendrücken. Weil Paris unzufrieden macht, streiken sie häufiger als andere Piloten öffentlicher Verkehrsmittel. RER und Metro stehen oft überraschend still. Durchschnittliche Streikdauer zum Beispiel auf der RER A: viermal im Jahr je zwei Wochen. Die übrigen Wochen sind belegt mit den Streiks der Piloten, Milchbauern, ausländischen Arbeitnehmer, Müllwerker, Strom- und Gasbeschäftigten, Transportarbeiter, Lehrer, Studenten, Beamten und aller weiteren Entrechteten.
Dreck. Für die Mülltrennung haben die Pariser eine einleuchtende Lösung gefunden. Wer sich von seinem Müll trennen will, wirft ihn auf die Straße oder den Gehsteig. Meist wird einmal im Jahr, am Tag nach dem Nationalfeiertag, gefegt. Dann verschwinden für kurze Zeit auch die Hundehaufen, die die Gehwege nicht säumen, sondern garnieren. Hundebesitzer, auch in schicken Vierteln, führen ihren treuesten Freund zu einem zentralen Platz auf dem Bürgersteig und genießen den Anblick, wie er versonnen drückt und dampfend ablegt.
Unverdauliche Landesspezialitäten
Touristen gelten in Paris als gebührenfreie Möglichkeit zur Entsorgung alter Lebensmittel. Als Vorspeise gibt es deshalb häufig aufgewärmte Pilz-Tartelettes, eingetrocknete Salamischeiben, Quiche der Vorwoche und durchgefurzte Zwiebelsuppe. Der Hauptgang aus ledernem Hähnchen mit Fritten oder schlappem Huhn in Weißweinpampe kostet ungefähr so viel wie mehrgängige Gourmetmenüs im Elsass. Passend: gutgeschleimtes Kartoffelgratin oder halbgare Bohnen mit Knoblauchpulver. Als besonders desaströs erweist sich stets der Entschluss: «Heute gehen wir mal in ein echtes Bistro.»
Das reicht für das Expertengespräch
Um einen Abend zu bestreiten, genügt nach Erfahrung des Experten Ulrich Wicken ein einziger Satz: «Paris ist nicht Frankreich.» Der Rest ergebe sich dann von selbst. Gut macht sich auch ein Hinweis auf den Stadtplaner Haussmann, der vor hundertfünfzig Jahren die breiten Boulevards anlegen ließ und die grauen Wohnblocks mit den schmalen Balkons. Fachkommentar: «Also, Paris bleibt für mich eine Stadt des 19. Jahrhunderts.» Mit einer Erwähnung nordafrikanischer Einwanderer ist der Einstieg in eine problemorientierte Diskussion gesichert.
Das meinen Kenner
«Nachdem Frankreichs Status als Grande Nation verlorengegangen ist, bleibt Paris doch immer noch eine Weltmetropole: die universale Hauptstadt der Hundescheiße.»
- SERGE GAINSBOURG, CHANSONNIER
«Mag ich nicht, will ich nicht, finde ich zum Kotzen.»
- KARL VALENTIN, KÜNSTLER
«Paris - ist das nicht diese bescheuerte Blondine, die im Hilton wohnt?»
- DIETER BOHLEN, PRODUZENT
ELSASS
Nicht alle Touristen, die sich jedes Jahr die Elsässer Weinstraße entlangschieben, können an deutschen Schulen unterrichten.
Doch das Elsass liegt laut Umfragen seit den sechziger Jahren unangefochten an der Spitze der Lieblingsreiseländer deutscher Lehrer. Sie besuchen hier ihren persönlichen Winzer, nutzen kostenlose Weinproben, essen Zwiebelkuchen und Sauerkraut und haben anschließend Albträume von der Rückkehr an die Schule. Zuweilen schnüren sie ihre Schuhe, um zu Fuß oder per Rad jene verborgenen Idyllen zu entdecken, die «abseits der ausgetretenen Pfade» liegen - seit jeher der beste Tipp, um allen anderen Touristen in die Arme zu laufen. Bei jährlichen neun Millionen Besuchern in der Region ist das auch schwer zu vermeiden. In den Städten arrangiert man sich mit den Massen - etwa in Straßburg, wo alle mal kurz ins düstere Münster schauen und im musealen Gerberviertel ein Eis essen. Mehr bietet die Stadt nicht.
Im südlichen Hauptort Colmar wird es schon enger. Alle wollen Fachwerk wie im Mittelalter sehen, also eigentlich ohne twitternde Touristen. Alle wollen im Musee d'Unterlinden (das meistbesuchte Museum Frankreichs nach dem Louvre) den Isenheimer Altar betrachten und beim Anblick des gekreuzigten Jesus äußern: «Ja, hier ist das Leiden wirklich unheimlich echt dargestellt.» Oder so ähnlich. Richtig fühlbar wird der Strom konkurrierender Idyllensucher aber in den kleineren Orten entlang der Weinstraße. Gegen die Parkplatznot haben Orte wie Riquewihr (auch Reichenweier genannt), Eguisheim und Hunawihr breite Flächen außerhalb der Mauern planiert und charmante Wächterinnen des Ordnungsamtes zum Kassieren und Zettelverteilen angestellt. Während der deutschen Schulferien und zur Weinlese (Vin Nouveau betäubt am schnellsten) sind Straßen und Restaurants rettungslos überlastet. Die gedopten Angehörigen des Personals lassen zu dieser Zeit jeden Gast spüren, dass er hier weder gebraucht wird noch willkommen ist.
Städtchen wie Turckheim, Erstein, Kaysersberg und Hohkonigsburg lassen die Degustationssaison mittlerweile nahtlos in den Vorweihnachtstourismus übergehen und bieten Lichterpfade, Weihnachtsmärkte, Eisbahnen, Fackelläufe und sogenannten Lichterzauber. Weil die Übernachtungszahlen im Januar, Februar und März noch zu wünschen übriglassen, offerieren bislang vernachlässigte Orte nicht mehr nur Weinseminare und Lehrgänge in Bioanbau, sondern neuerdings auch Gänsestopfen für Anfänger. Die Gänsestopfleber ist die berühmteste Spezialität der Region. Mit
Hilfe eines biegsamen Rohres wird der glücklichen Gans oder Ente der leckere Futterbrei direkt in den Magen gestopft oder gepumpt. Die Leber des derartig gutversorgten Tieres wiegt bei der Schlachtung bis zu zwei Kilo. Diese Herstellungsform wird nicht das Lieblingshobby jedes Touristen werden, ist aber ein bis auf die Antike zurückgehendes traditionelles Ritual. Wenn der Urlaub authentisch elsässisch sein soll - beim Stopfen wird er es.
©2010,2012 Rowohlt Verlag GmbH
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Autoren-Porträt von Dietmar Bittrich
Dietmar Bittrich, Jahrgang 1958, lebt in Hamburg. Er gewann den Hamburger Satirikerpreis und den Preis des Hamburger Senats. Im Rowohlt Taschenbuch Verlag erschienen von ihm u.a. der Bestseller "Alle Orte, die man knicken kann". Seit 2012 gibt er die erfolgreiche Weihnachtsanthologie mit Geschichten rund um die bucklige Verwandtschaft heraus.Mehr erfahren Sie unter: www.dietmar-bittrich.de
Bibliographische Angaben
- Autor: Dietmar Bittrich
- 2012, 2., erw. Aufl., 272 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499628325
- ISBN-13: 9783499628320
- Erscheinungsdatum: 21.03.2012
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