„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten“
August Bebel
Mit ihrer historischen Reihe „Blankenese: Zwei Familien“ beweist Michaela Grünig, wie aktuell Geschichte sein kann. Die Autorin nimmt uns mit auf eine Zeitreise in die Jahre 1919 bis 1949 – und zeigt doch erschreckende Parallelen zu heutigen politischen Entwicklungen auf. Zum historischen Setting kommen authentische Charaktere, Familienkonflikte sowie die eine oder andere Liebesgeschichte – ein toller Mix zum Eintauchen und Mitfiebern.
Mit „Schwere Entscheidungen“ erscheint nun der von den Fans herbeigesehnte zweite Band der Reihe. Ein Wiedersehen mit den ans Herz gewachsenen Figuren rund um die Reederei-Familie Casparius, die durch die politischen Entwicklungen auseinandergetrieben wurden. Können alle wieder ihren Weg zurück nach Blankenese finden oder wird die Familie endgültig zerrissen?
Im Interview mit Weltbild verrät Michaela Grünig, wie sie deutsche Geschichte erlebbar macht und ob sich Fans auf einen dritten Band freuen dürfen.
Neues Buch von Michaela Grünig: Die Autorin hat bereits mit der „Heiligendamm“-Reihe ihr Händchen für packende Familiengeschichten bewiesen. Foto: © Inga Sommer
Welche Charaktere ihr am meisten ans Herz gewachsen sind und was Fans im zweiten Band erwartet
Michaela Grünig im Interview
Liebe Frau Grünig, Ihre „Blankenese“-Reihe spielt in Hamburg. Woher kommt Ihre Nähe zur Hansestadt und besonders dem Stadtteil Blankenese?
Michaela Grünig: Als Autorin, aber auch privat, interessiere ich mich sehr für Geschichte. Da kommt man an einer solch spannenden Stadt voller Gegensätze nicht vorbei. Übrigens gehört Blankenese erst seit 1938 offiziell zu Hamburg. Als Fischerdorf gegründet, hat es sich über viele Jahrzehnte zu dem malerischen Kleinod entwickelt, das wir heute kennen. Jahrelang lebten dort eher minderbegüterte Fischer und Lotsen im Treppenviertel quasi Tür an Tür mit den reichen Reedern und Kaufleuten in ihren Villen an der Elbchaussee. Das bietet eine inspirierende, aber auch politisch sehr kontrastreiche Kulisse für meine Bücher.
Geschichte wird oft mit Fokus auf Männer – Politiker oder Unternehmer – erzählt. Besonders der erste Band Ihrer Blankenese-Reihe rückt aber starke Frauen in den Vordergrund, die hinter den Kulissen die Geschicke lenken. Ist es Ihnen wichtig, Geschichte aus weiblicher Perspektive zu erzählen?
Michaela Grünig: Mir geht es vor allem darum, deutsche Geschichte zu personalisieren, sie für meine Leser*innen hautnah erlebbar zu machen. Was haben die Menschen damals gefühlt? Welche Ängste hatten sie? Was hat sie motiviert?
„Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten“, hat August Bebel gesagt, und ich finde das stimmt.
Doch die Vergangenheit zu kennen, bedeutet eben nicht nur Jahreszahlen herunterzubeten oder zu wissen, wie viele Menschen in einem Krieg getötet wurden. Zahlen berühren uns nicht.
Das Leiden einer Kunstfigur wie Harry Potter bewegt uns oft mehr als die Information, dass 100 reale Menschen bei einem Terroranschlag ums Leben gekommen sind.
Wahrscheinlich fällt es uns schwer, einzelnes Leben hinter einer kalten Zahl zu erfassen. Doch genau das möchte ich mit meinen Büchern erreichen. Ich wünsche mir, dass sich meine Leser*innen mit meinen Figuren identifizieren, dass sie mit ihnen die Ereignisse der Vergangenheit durchleben und sich fragen, wie sie in dieser oder jener Situation selbst gehandelt hätten. Dass ich darüber hinaus oft eine starke weibliche Perspektive wähle, ist kein Zufall. Frauen mussten sich damals gegen weitaus grössere gesellschaftliche Widerstände durchsetzen. Das bewundere ich.
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Worum geht's im neuen Buch von Michaela Grünig?
Blankenese - Zwei Familien Band 1: Licht und Schatten
Hamburg, 1919: John Casparius kehrt gebeutelt vom Krieg zurück nach Blankenese. Dort ist nichts mehr so, wie es einmal war: Die Familien-Reederei steht kurz vor dem finanziellen Ruin, und seine Verlobte trennt sich von ihm, weil er Halbjude ist. John verliert fast den Lebensmut.
Doch dann trifft er zufällig am Elbufer auf die fröhliche Leni Hansen, die ihm sofort den Kopf verdreht. Gegen gesellschaftliche Konventionen verliebt sich der Sohn aus gutem Hause in die junge Frau aus einfachen Verhältnissen. Während die beiden um ihre Liebe kämpfen, braut sich in Deutschland ein gefährliches politisches Klima zusammen …
Blankenese - Zwei Familien Band 2: Schwere Entscheidungen
Hamburg, 1939: Bereits seit Kindheitstagen ist Kurt, Sohn von John und Leni Casparius, in Fanni verliebt. Doch der Aufstieg der Nationalsozialisten reisst die beiden auseinander: Fanni bleibt in Blankenese, während Kurt als Halbjude das Land verlassen muss und in England aufwächst.
Um einer Verhaftung als „feindlicher Ausländer“ zu entgehen, gibt er sich als Engländer aus und landet über Umwege bei der Royal Air Force. Während niemand herausfinden darf, wer er wirklich ist, soll er an einem Luftangriff teilnehmen. Doch das Ziel ist ausgerechnet Hamburg …
Neuerscheinung von Michaela Grünig: Die Autorin am Schauplatz ihrer Reihe in Blankenese.
Fortsetzung Interview
Im zweiten Band „Schwere Entscheidungen“ treffen Leserinnen und Leser wieder auf die Figuren des ersten Bandes, diesmal steht aber die jüngste Generation, die Kinder der Familie, im Vordergrund. Fühlt sich für Sie als Autorin jeder Band beim Schreiben ähnlich an, oder wachsen Ihnen die Charaktere mit jedem Band mehr ans Herz?
Michaela Grünig: Der mit Abstand schwierigste Band jeder Reihe ist der erste. In ihm gilt es, den Rahmen für alle weiteren Bücher abzustecken. Vor dem Schreiben muss ich entscheiden, auf welche geschichtlichen Themen ich mich konzentrieren möchte, und Charaktere finden, die diese Inhalte am besten transportieren.
Wie sprechen diese Personen, wie leben sie und vor allem… warum sind sie so geworden, wie sie in meinem Roman sind? Ich erfinde eine Hintergrundgeschichte für sie, lerne sie mit ihren guten und schlechten Eigenschaften kennen, bevor ich sie in der Handlung einsetzen kann. All das nimmt viel Zeit in Anspruch. In Band 2 und 3 kann ich auf dieser Arbeit und den vertrauten Personen aufbauen.
Meistens wächst mir dann gerade der Charakter ans Herz, der besonders schwierig zu schreiben war.
Während aktuell auf den Strassen gegen Rechtsextremismus demonstriert wird, erinnern Ihre Blankenese-Romane an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte. Ihre Bücher lassen sich als Plädoyer für mehr Menschlichkeit und Toleranz lesen. Holt uns die Geschichte ein?
Michaela Grünig: Die Arbeit an diesem neuen Roman ist mir nicht leichtgefallen, da ich beim allmorgendlichen Zeitunglesen während des Schreibprozesses feststellen musste, wie unabsichtlich aktuell sich das Leben meiner fiktiven Personen anfühlte.
So vieles scheint sich heute in gespenstischer Weise zu wiederholen.
Das Erstarken der rechtsextremen Kräfte im Land, der Streit zwischen den demokratischen Parteien, wachsender Antisemitismus, eine verheerende Demokratiemüdigkeit, die Besänftigungspolitik gegenüber Autokraten, ein grausamer Angriffskrieg mitten in Europa auf der Basis von unhaltbaren Anschuldigungen …
Das alles hat mich sehr nachdenklich gemacht. Und gerade deswegen ist es mir wichtig, die Erinnerung an diese dunkle, grausame Vergangenheit wachzuhalten und anhand der Schicksale und Überzeugungen „meiner“ beiden Familien zu zeigen, wie wichtig eine starke und lebendige Demokratie ist, wie notwendig der Schutz von Minderheiten. Die aktuellen Demonstrationen geben mir Hoffnung, aber wir müssen auch an den Wahlurnen beweisen, dass wir unsere Demokratie, unsere Art zu leben, unsere Freiheit zu verteidigen wissen.
Band 1 Ihrer Blankenese-Reihe behandelt die Zeit von 1919 bis 1939, Band 2 die Jahre von 1939 bis 1949. Können Sie schon etwas verraten, ob es einen Nachkriegsjahre-Band geben wird? Oder woran arbeiten Sie aktuell?
Michaela Grünig: Tatsächlich habe ich gerade die Arbeit am dritten Band der Blankenese-Reihe begonnen. Die Handlung ist in den Jahren 1968 bis 1976 angesiedelt. Eine spannende Zeit des Umbruchs, in der die deutsche Vergangenheit und die althergebrachten Werte der Gesellschaft von der jungen Generation auf den Prüfstand gestellt wurden. Dies gipfelte in einer neuen sexuellen Freiheit, der Hippiekultur, Studentenprotesten und schliesslich dem Terrorismus der RAF. Ehrlich gesagt, kann ich es kaum erwarten, die jüngste Generation meiner beiden Familien in diesen explosiven Jahren agieren zu lassen.