Richter und Gerichtete (ePub)
Gerichtsreportagen aus der Weimarer Republik
Paul Schlesinger zeichnete seine zahlreichen Reportagen kurz mit "Sling", unter diesem Namen war der berühmteste Gerichtsreporter der Weimarer Republik jedem seiner Zeitgenossen ein Begriff.
Er nimmt Anteil am Schicksal der Opfer, betrachtet aber auch die...
Er nimmt Anteil am Schicksal der Opfer, betrachtet aber auch die...
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Produktinformationen zu „Richter und Gerichtete (ePub)“
Paul Schlesinger zeichnete seine zahlreichen Reportagen kurz mit "Sling", unter diesem Namen war der berühmteste Gerichtsreporter der Weimarer Republik jedem seiner Zeitgenossen ein Begriff.
Er nimmt Anteil am Schicksal der Opfer, betrachtet aber auch die Täter nicht nur als Kriminelle, sondern auch als Menschen. Er hat einen scharfen Blick für das Rechtssystem der Weimarer Republik und nimmt ihre Vetreter ins Visier: Für Rechtsanwälte, Staatsanwälte oder Richter findet er gelegentlich lobende Worte, aber er spart auch nicht mit Kritik. Sling führt hier im besten Sinne vor, wie die Presse als "vierte Macht" die staatlichen Institutionen überwacht und darüber berichtet. Und das manchmal bewegend, manchmal empörend, oft komisch, aber immer mitreissend und spannend.
Er nimmt Anteil am Schicksal der Opfer, betrachtet aber auch die Täter nicht nur als Kriminelle, sondern auch als Menschen. Er hat einen scharfen Blick für das Rechtssystem der Weimarer Republik und nimmt ihre Vetreter ins Visier: Für Rechtsanwälte, Staatsanwälte oder Richter findet er gelegentlich lobende Worte, aber er spart auch nicht mit Kritik. Sling führt hier im besten Sinne vor, wie die Presse als "vierte Macht" die staatlichen Institutionen überwacht und darüber berichtet. Und das manchmal bewegend, manchmal empörend, oft komisch, aber immer mitreissend und spannend.
Lese-Probe zu „Richter und Gerichtete (ePub)“
Blind, halbblind, sehend Diese Schwurgerichtsverhandlung zeigte im Zuschauerraum eine merkwürdige Zweiteilung: rechts sassen nur junge Mädchen, links nur junge Männer offenbar unter dem Schutz ihrer Lehrer. Was sie sonst lernen, wurde nicht bekannt. Hier im Schwurgerichtssaal lernten sie Vatermord. Wohingegen Angehörige der jüngsten Dichtergeneration leider fehlten. Vielleicht, weil sie sich einbilden, auf diesem Gebiete nichts mehr lernen zu können. Und dennoch wären sie um manche Erfahrung reicher geworden so um die, dass ein richtiges Vatermördchen unendlich banal sein kann, ohne jede Stufung und Ballung, gänzlich unpathetisch; trotz der traurigsten familiären Grundlage mit einem nicht unversöhnlichen Ausgang. Angeklagt war ein 19 jähriger Gärtnergehilfe, ein rechtes Stiefkind der Natur. Sein Vater, ein auf einem Auge ganz, auf dem andern halb erblindeter Ziehharmonikaspieler, lebte mit seiner Frau in Unfrieden, wodurch fünf Kinder auf die Welt kamen. Dieser Junge wurde bald nach der Geburt zu fremden Leuten gegeben, wuchs teils bei diesen, teils in Waisenhäusern auf, lernte das Gärtnerhandwerk, erkrankte an Rheumatismus und Herzleiden und kam so schliesslich wieder mal zu seinem Vater zu Besuch. Der Vater hatte längst die Ehefrau verlassen, war zu einer anderen Frau gezogen und stand gerade vor dem Ehescheidungstermin. Da wollte er denn haben, dass der Junge mit zum Termin käme, um zuungunsten der Mutter auszusagen. Das wollte der Junge nicht. Als dann der Prozess für den Vater ungünstig ausging, verschlechterte sich das Verhältnis zwischen Vater und Sohn. Es kam zu Handgreiflichkeiten, der Vater würgte ihn ein zweites Mal in der Trunkenheit, worauf sich der Sohn zu seinem Schutze einen Revolver kaufte. Dann kam es wieder zu einer Szene, weil der Vater eine Patrone gefunden hatte und hieraus auf die Anwesenheit des Revolvers schloss. Er wollte den Jungen bei der Polizei anzeigen. Da ging plötzlich der Revolver los, brachte dem Vater eine ungefährliche Wunde an der
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Schläfe bei der Junge stellte sich selbst der Polizei. Dies der (nicht genaue) Sachverhalt. Den genauen kennt man nicht, denn die Verhandlung war reicher an Missverständnissen denn an Aufklärungen. Der Junge, ein ganz stattlicher Bursche, zeigte sich merkwürdig stumpf und ungelenk im Umgang mit Juristen. Und als man ihm in der Mitte des Gerichtssaales die Waffe noch einmal in die Hand drückte, ihn dem Vater gegenüberstellte und ihn aufforderte, zu zeigen, wie er nun eigentlich geschossen habe, versagte er vollkommen. Nur behauptete er, gewissermassen in Notwehr gehandelt zu haben, um sich gegen den auf ihn zustürzenden Vater zu schützen. Diese Aussage erweckte das sichtliche Missfallen der Juristen, das sich aber alsbald in verstärktem Masse gegen den Vater richtete, als auch dieser erklärte, er sei auf seinen Sohn losgegangen, als die Waffe losging. Und auch die Braut bezeugte diese den Sohn ent-, den Vater belastende Darstellung. Das schien dem Gericht deshalb unglaublich, weil Vater und Braut vor Polizei und Untersuchungsrichter bisher immer übereinstimmend ausgesagt hatten, der Schuss sei erst gefallen, nachdem der Wortwechsel schon seit zehn Minuten beendet gewesen sei. Entweder hatte nun der Vater vor der Polizei eine wissentlich falsche Anschuldigung gemacht oder er machte vor Gericht eine falsche Angabe eventuell unter Eid, Die Braut aber sagte ganz offen, sie habe bisher die Unwahrheit gesagt, aber unter Eid müsse sie doch mit der Wahrheit heraus worauf ihr der Vorsitzende mit erhobener Stimme eine sofortige Verhaftung androhte. Andererseits kam er zu der Überzeugung, dass dem Vater der Junge nun leid tat, und dass er deshalb die günstigere Aussage machte. »Wollen Sie eigentlich, dass Ihr Sohn bestraft wird?« »Nein, das will ich nicht.« Und an die Braut des Vaters wurde die Frage gerichtet: »Haben Sie ein festes Eheversprechen des Vaters, sind Sie seine Verlobte?« »Jawohl, wir wollen uns heiraten.« »Stehen Sie gut mit ihm?« »Halb und halb, mal so, mal so.« In dem Seelenbild des Vaters zeigen sich noch einige Eigentümlichkeiten. Er ist nämlich gegenüber den anderen Kindern ein scheinbar sehr zärtlicher Vater, nachdem ihm diese Kinder vom Jugendamt abgenommen sind. Er hat eine schreckliche Wut auf das Jugendamt und behauptet, seinen Sohn nur gewürgt zu haben, weil er diesen in der Trunkenheit für einen Abgesandten des Jugendamts hielt. Auf die Frage des Vorsitzenden, womit er seinen Unterhalt verdiene, sagt er: »Ich spiele Ziehharmonika auf den Jahrmärkten ich habe einen Gewerbeschein « »Dazu brauchen Sie doch keinen Gewerbeschein das ist doch Bettelei « »Ich spiel doch Ziehharmonika ich habe einen Gewerbeschein als Musiker « »Das ist doch keine Musik, sondern höchstens ein unangenehmes Geräusch « Ein Beisitzer mischt sich hier ein. »Haben Sie ein Schild auf der Brust getragen: Erblindet?« Nur zögernd räumt es der Mann ein. »Das ist doch Betrug!« ruft der Beisitzer. Der Ziehharmonikaspieler steht zerknirscht da, in dem beschämenden Bewusstsein, auf dem einen Auge noch etwas sehen zu können. Der Staatsanwalt beantragte wegen versuchten Totschlags eine Zuchthausstrafe von 2 1/2 Jahren, da von Notwehr keine Rede sein könne. Der Verteidiger Dr. Themal nahm sich des Angeklagten aufs wärmste an, indem er die Lage des kranken, stellungslosen Jungen schilderte, der fast von Geburt an ausserhalb des Elternhauses aufwachsen musste und der nun, von seinem Vater auch noch körperlich misshandelt und aus dem Hause gewiesen, sich mit der Schusswaffe verteidigte, als der Vater neuerdings über ihn herfallen wollte. Aber das Bemühen war vergebens. Das Gericht verurteilte den Angeklagten zu zweieinhalb Jahren Zuchthaus Mindeststrafe für den versuchten Totschlag an einem Verwandten aufsteigender Linie. Dieses Gericht hat ein grausames Urteil gesprochen, und wenn dieser bis heute unbestrafte junge Mensch, dem auch noch von einer Zeugin das beste Leumundszeugnis gegeben wurde, auf dem Wege übers Zuchthaus wirklich ein Verbrecher wird, so möchte man nicht an diesem Urteil auch nur durch Stillschweigen die Mitverantwortung tragen. Die beiden einzigen Zeugen der Tat der Vater und seine Geliebte haben vor Gericht ausgesagt, dass der Sohn in Abwehr eines tätlichen Angriffs des Vaters geschossen hat. Möglich, dass diese den früheren Aussagen widersprechende Bekundung nicht auf Wahrheit beruhte so hatte doch das Gericht mehr als einen Grund, diese Brücke zu betreten. Wenn das Gesetz den Totschlag an einem Verwandten aufsteigender Linie besonders schwer bestraft, so doch deshalb, weil es die Tat eines entarteten Sohnes gegen einen guten Vater im Sinne hat. Der eigentlich moralisch Schuldige ist aber in diesem Falle dieser Vater, der den Sohn wenn nicht zum Ergreifen der Waffe, doch zur Verzweiflung getrieben hat. Und dieser Vater empfindet nun doch Reue; er ist vielleicht kein schlechter, aber selbst ein haltloser, triebhaft handelnder Mensch. Er will nicht die Bestrafung des Kindes, er bekennt (vielleicht fälschlich), den Sohn noch einmal angegriffen zu haben. Da hätte das Gericht die Pflicht gehabt, diesem Vater zu glauben, um auf diesem Wege zu einer möglichst gelinden Bestrafung zu gelangen! Das Schwurgericht alten Stils hätte anders gesprochen als dieses, in dem der Formalismus und der »kriminalistische Scharfsinn« der Juristen es so leicht hat, über den gesunden Menschenverstand und einfache Menschlichkeit zu triumphieren.
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Autoren-Porträt von Paul Schlesinger
Sachlichkeit und Sensibilität, amerikanisches Tempo und sprühender Charme - alle diese Eigenschaften verband man während der Weimarer Republik mit Zeitungsfeuilletons und -reportagen, Romanvorabdrucken und kleineren Erzählungen, die unter einem journalistischen Markenzeichen erschienen, das knapper nicht hätte ausfallen können: Sling.Vor allem aber ging das Kürzel in die Annalen der Justiz- und Literaturgeschichte ein. Fand man es doch unter einer Vielzahl kritisch-einfühlsamer Gerichtsreportagen, die auch heute noch als Höhepunkte dieses Genres gelten dürfen. Ihr Verfasser, Paul Schlesinger, wurde zwischen 1921 und 1928 zum stets "wachen Gewissen von Moabit" (Robert Kempner) und damit zum Nestor aller anspruchsvollen Justizberichterstatter, die sich bis heute auf ihren literarischen Ahnherrn berufen.
Erstmals 1920, bei Paul Schlesingers Eintritt in die Redaktion der "Vossischen Zeitung" verwendet, wird dieses Kürzel bald zum Inbegriff stilistisch eleganter und formvollendeter Feuilletons. Vor allem jedoch wird es zum Synonym einer Justiz-Berichterstattung, die es so vorher noch nicht gegeben hatte: exakt recherchiert, akkurat annotiert und dennoch vielfarbig, spannend, weltmännisch, lebensklug, einfühlsam und offen. Bestes Feuilleton eben, aber dennoch: Reportage. Insofern Sling - verstärkt seit 1924 - dem spröden Justizalltag am Moabiter Kriminalgericht und anderen Orten menschliche Töne entlockt - "wie oft möchte man sich einmischen, nur weil der Angeklagte nicht die Sprache des Richters, der nicht die Sprache des Angeklagten versteht", bemerkt er einmal -, setzt er neue Massstäbe in diesem in Deutschland nach wie vor vernachlässigten Genre. Für den kurzen Zeitraum bis 1933 eifern ihm andere Journalisten, mehr oder weniger deutlich, nach: so etwa "Slang", alias Fritz Oskar Hampel, der in der "Roten Fahne" schreibt, Gabriele Tergit im "Berliner Tageblatt", Walther Kiaulehn, August Hermann Zeiz oder Moritz Goldstein, um nur einige zu nennen. Letzterer wurde
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für kurze Zeit Slings Nachfolger bei der "Vossischen Zeitung", kaum dass Paul Schlesinger - mit knapp 50 Jahren - am 28. Mai 1928 an den Folgen eines Herzinfarkts verstorben war.
Wie Sling ohne familiäre Vorbelastung oder Jura-Studium dennoch das Gerichtswesen für sich entdeckte, hat er 1928 in seinem Feuilleton "Wie ich Gerichts-Berichterstatter wurde" geschildert: "Den Grund meiner juristischen Kenntnisse legte ich als Lehrling einer sehr alten, sehr ehrenwerten Firma der Textilbrache. (...) In dieser trüben Lehrzeit gab es einen Lichtblick. Alle zwei, drei Monate passierte es, dass der jeweilige Lehrling mit dem Hausdiener Justav auf dem Packhof zu tun hatte. Nun war es eine geheiligte Tradition der Firma, dass jede Erledigung auf dem Packhof fünf Stunden dauerte. In Wirklichkeit brauchte man zwei Stunden zu dem Geschäft. Justav und der Lehrling gingen zunächst in eine Destille frühstücken, sodann zogen sie in gehobener Stimmung in das nahegelegene Kriminalgericht, um ein paar Verbrecher abgeurteilt zu sehen. So kam ich nach Moabit. In Moabit rollten Justavs und meine Filme."
Wie Sling ohne familiäre Vorbelastung oder Jura-Studium dennoch das Gerichtswesen für sich entdeckte, hat er 1928 in seinem Feuilleton "Wie ich Gerichts-Berichterstatter wurde" geschildert: "Den Grund meiner juristischen Kenntnisse legte ich als Lehrling einer sehr alten, sehr ehrenwerten Firma der Textilbrache. (...) In dieser trüben Lehrzeit gab es einen Lichtblick. Alle zwei, drei Monate passierte es, dass der jeweilige Lehrling mit dem Hausdiener Justav auf dem Packhof zu tun hatte. Nun war es eine geheiligte Tradition der Firma, dass jede Erledigung auf dem Packhof fünf Stunden dauerte. In Wirklichkeit brauchte man zwei Stunden zu dem Geschäft. Justav und der Lehrling gingen zunächst in eine Destille frühstücken, sodann zogen sie in gehobener Stimmung in das nahegelegene Kriminalgericht, um ein paar Verbrecher abgeurteilt zu sehen. So kam ich nach Moabit. In Moabit rollten Justavs und meine Filme."
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Bibliographische Angaben
- Autor: Paul Schlesinger
- 2012, 380 Seiten, Deutsch
- Verlag: Regenbrecht Verlag UG
- ISBN-10: 3943889130
- ISBN-13: 9783943889130
- Erscheinungsdatum: 31.05.2012
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