Kleine Hexen (ePub)
Erzählungen
Die Adventszeit war im Heim, in dem ich aufwuchs, etwas Besonderes, eine Art Ausnahmezustand, voller Verheissungen, und zusätzlich bekam dieser geheimnisvolle, auf das höchste Fest zusteuernde Monat in meinem zwölften Lebensjahr dadurch noch etwas...
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Produktinformationen zu „Kleine Hexen (ePub)“
Die Adventszeit war im Heim, in dem ich aufwuchs, etwas Besonderes, eine Art Ausnahmezustand, voller Verheissungen, und zusätzlich bekam dieser geheimnisvolle, auf das höchste Fest zusteuernde Monat in meinem zwölften Lebensjahr dadurch noch etwas Aussergewöhnliches, dass ein neues Mädchen auftauchte (unsere Gruppe war seit kurzem geschlechtergemischt), schön wie die Jungfrau Mariagewesen sein mag, als ihr der Erzengel Gabriel erschien und die Geburt des Gottessohns verkündete, der in dem Lied "O komm, o komm, Emanuel" so sehr herbeigewünscht wurde.
Ausserdem hiess die Neue Manuela und erinnerte an den Namen des Erlösers in dem Lied, zumindest mich, der ich mich, als Pubertierender selbst in einem unerlösten Zustand, nach einem wie auch immer gearteten Messias sehnte, besonders nach einem weiblichen, und der war mir nun unverhofft in Manuela erschienen: glatt und blass wie Engel auf alten Grabstätten, mit einem versteinerten Gesichtsausdruck und diesem zartblauen Geäder, das ihre Schläfen marmorierte, ihr etwas Verletzliches und gleichzeitig Unnahbares gab, als habe sie sich, wie zum Schutz, in einem Eisblock aus Hochmut und Einsamkeit verpanzert.
Die Vorweihnachtszeit war erfüllt mit dem Basteln von Geschenken für den Basar, der am dritten Advent in den Klassenräumen im Erdgeschoss stattfinden sollte, den die Leute aus der Umgebung dann besuchen würden, um den Kram, den wir verbrochen hatten, für einen guten Zweck zu kaufen. Ich hämmerte, klebte und bohrte im Waschraum, wo zwei Tische aus dem Tagesraum zu einer grossen Arbeitsfläche zusammengeschoben waren, hatte ein Händchen für alles Kniffelige und gab mich den tollsten Erwartungen hin, obwohl ich gar nicht wusste, auf was ich eigentlich noch wartete: das Erwartete war ja bereits eingetreten, stimmte mich euphorisch, schuf eine magische Atmosphäre und ging wie Kraftwellen von Manuela aus, deren Anwesenheit genügte, um mich glücklich zu machen, ohne dass ich sonst noch etwas wollte. Wunschlos zufrieden in ihrer Gegenwart, schlug mich ihr Lächeln oder ein Nicken in den Bann, und es steigerte noch den Kitzel, dass ich sie nichts von meiner Schwärmerei merken liess, ihr gegenüber verschlossen war, gleichsam mit versiegelter Miene mich durch die Räume bewegte, als sei ich nicht von dieser Welt, und mit niemandem darüber sprach. Ich kapselte mich ein in meiner Phantasie, die das Buch von Tom Sawyer noch beflügelte, das ich mit süchtiger Begeisterung verschlang, mit einer Sehnsucht, die fast weh tat und überschäumte in endlosen Tagträumen, in denen Becky, Toms Freundin, sich in Manuela verwandelte und ich mir Abenteuer mit ihr ausspann, die unsere Freundschaft umso enger knüpfte, je weniger sie der Wirklichkeit entsprach, in der sie so abweisend war, wie sie in meiner Einbildung meine Liebe erwiderte, für die sie mich vielleicht verachtet hätte, wenn sie davon erfahren hätte, aber das fachte meine Gefühle nur noch mehr an, und ich glaubte plötzlich einen Märtyrer verstehen zu können: seine wachsende Verzückung bei zunehmender Qual.
Ausserdem hiess die Neue Manuela und erinnerte an den Namen des Erlösers in dem Lied, zumindest mich, der ich mich, als Pubertierender selbst in einem unerlösten Zustand, nach einem wie auch immer gearteten Messias sehnte, besonders nach einem weiblichen, und der war mir nun unverhofft in Manuela erschienen: glatt und blass wie Engel auf alten Grabstätten, mit einem versteinerten Gesichtsausdruck und diesem zartblauen Geäder, das ihre Schläfen marmorierte, ihr etwas Verletzliches und gleichzeitig Unnahbares gab, als habe sie sich, wie zum Schutz, in einem Eisblock aus Hochmut und Einsamkeit verpanzert.
Die Vorweihnachtszeit war erfüllt mit dem Basteln von Geschenken für den Basar, der am dritten Advent in den Klassenräumen im Erdgeschoss stattfinden sollte, den die Leute aus der Umgebung dann besuchen würden, um den Kram, den wir verbrochen hatten, für einen guten Zweck zu kaufen. Ich hämmerte, klebte und bohrte im Waschraum, wo zwei Tische aus dem Tagesraum zu einer grossen Arbeitsfläche zusammengeschoben waren, hatte ein Händchen für alles Kniffelige und gab mich den tollsten Erwartungen hin, obwohl ich gar nicht wusste, auf was ich eigentlich noch wartete: das Erwartete war ja bereits eingetreten, stimmte mich euphorisch, schuf eine magische Atmosphäre und ging wie Kraftwellen von Manuela aus, deren Anwesenheit genügte, um mich glücklich zu machen, ohne dass ich sonst noch etwas wollte. Wunschlos zufrieden in ihrer Gegenwart, schlug mich ihr Lächeln oder ein Nicken in den Bann, und es steigerte noch den Kitzel, dass ich sie nichts von meiner Schwärmerei merken liess, ihr gegenüber verschlossen war, gleichsam mit versiegelter Miene mich durch die Räume bewegte, als sei ich nicht von dieser Welt, und mit niemandem darüber sprach. Ich kapselte mich ein in meiner Phantasie, die das Buch von Tom Sawyer noch beflügelte, das ich mit süchtiger Begeisterung verschlang, mit einer Sehnsucht, die fast weh tat und überschäumte in endlosen Tagträumen, in denen Becky, Toms Freundin, sich in Manuela verwandelte und ich mir Abenteuer mit ihr ausspann, die unsere Freundschaft umso enger knüpfte, je weniger sie der Wirklichkeit entsprach, in der sie so abweisend war, wie sie in meiner Einbildung meine Liebe erwiderte, für die sie mich vielleicht verachtet hätte, wenn sie davon erfahren hätte, aber das fachte meine Gefühle nur noch mehr an, und ich glaubte plötzlich einen Märtyrer verstehen zu können: seine wachsende Verzückung bei zunehmender Qual.
Bibliographische Angaben
- Autor: Reinhard Knoppka
- 2020, Deutsch
- Verlag: Trotz Verlag
- ISBN-10: 3966862263
- ISBN-13: 9783966862264
- Erscheinungsdatum: 22.02.2020
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- Dateiformat: ePub
- Grösse: 0.16 MB
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