In den Wolken (ePub)
Berlin in den frühen Neunzigern: Ein Bericht aus dem zwischen Lebenshunger und Lebensmüdigkeit oszillierenden Untergrund der Stadt und gleichzeitig aus dem Untergrund - den Tiefen - des Ich-Erzählers. Techno, Clubszene, eine abgeklärte Fahrt durch das...
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Produktinformationen zu „In den Wolken (ePub)“
Berlin in den frühen Neunzigern: Ein Bericht aus dem zwischen Lebenshunger und Lebensmüdigkeit oszillierenden Untergrund der Stadt und gleichzeitig aus dem Untergrund - den Tiefen - des Ich-Erzählers. Techno, Clubszene, eine abgeklärte Fahrt durch das nächtliche Berlin, Begegnungen mit Musik, Sex, Drogen, anderen Melancholikern und Entgleisten, Liebeserklärungen am Telefon und das Spiel des Erzählens im multimedialen Raum. Eine Nacht - oder gar Traumnovelle, die von gesteigerten Sinneswahrnehmungen berichtet und dabei die Welt der Ideen nicht aus den Augen verliert.
Lese-Probe zu „In den Wolken (ePub)“
E-Werk (S. 33-34)Wir steigen aus dem Auto und gehen in Richtung der Mauer-Ruinen. Ein Polizist steht wie zu Eis erstarrt vor dem Nazibau, in dem sich bis vor kurzem die Treuhand" befand. Der Steinklotz mit den vergitterten Fenstern wirkt beklemmend. Man hat das Gefühl, jeden Moment könnte sich der Geist von Reichsmarschall Göring aus dem Fenster beugen, um eine verzückte Raver-Menge zu begrüssen. Das Gebäude, das während der Nazidiktatur das Luftwaffenministerium beherbergte, ist nun - Ironie der Post-Historie - in der Berliner Republik erneut Sitz einer staatlichen Behörde, und zwar des Finanzministeriums.
Als wir auf das E-Werk zugehen, müssen wir feststellen, dass die Wartenden fast bis zur nächsten Strassenecke anstehen. Wir drücken uns an der Menge vorbei, steuern direkt auf den Eingang zu und begrüssen die furchterregende Türsteherin, eine Bekannte von CD, die heute eine Stinklaune hat und noch drastischer aussieht als sonst. In letzter Zeit hat sie sich so viele Piercings machen lassen, dass ihr Gesicht einer Platine gleicht. Ihr messerscharfer Blick durchbohrt uns, während sie sich zwei vor Kälte zitternden Jugendlichen in den Weg stellt. Mit einem Ruck stösst sie sie beiseite, damit wir passieren können.
Die Teenies schauen uns trotzig an, und sie knarzt, metallisch näselnd wie ein schlecht eingestellter Radiosender, ein lakonisches "Alles OK, Jungs?" in unsere Richtung. An der Kasse stoppen uns zwei Schwarzenegger-Typen im Military-Look, mit Lederjacke und Baseballcap. Während sie uns abtatschen, hören wir, wie die Türsteherin von den beiden Jugendlichen die Ausweise verlangt. Sie sind wahrscheinlich noch keine 18 und schauen sich bestürzt an.
Aber noch ehe sie den Mund aufmachen können, fragt jemand hinter ihnen lauthals, ob das nun eine Disko sei oder ein Konzentrationslager, woraufhin die Türsteherin lächelnd sagt: "Die SS war heute schon mal da. Ihr dürft gerne draussen auf sie warten." Und mit einem Knall schlägt sie ihnen
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die Metalltür vor der Nase zu. Etwas später erfahren wir, dass am Nachmittag eine Horde Neonazis in die Diskothek eingedrungen war und erfolglos versucht hatte, die Musik-Anlage zu demolieren.
An der Kasse sitzt "Frau Dildo 1995". Ihr Haupt ziert eine blonde Perücke à la Marilyn, gespickt mit Lockenwicklern in Pimmelform, deren bunte Köpfe keck aus den purpur besprühten Locken hervorlugen. Dazu trägt sie rote Kontaktlinsen und falsche, bis zu den Augenbrauen reichende Wimpern aus vergoldeter Aluminiumfolie. Die ehemalige Opernsängerin und Neuköllner Nachtklub-Tänzerin - Drag Queen, Femme fatale und Enfant terrible zugleich - wurde Mitte der neunziger Jahre durch ihre provokante Performance Grosse Schwester berühmt. Eine bizarre und antimediale, von der "Siegessäule" gesponserte Version von Big Brother, die mit einem Riesenskandal endete. Mitten im Tiergarten, genau in der Cruising-Zone, hatte man einen gigantischen, rosafarbenen Container aufgestellt, der mit Dark Rooms für jeden Geschmack ausgestattet war. Die öffnungszeiten waren unberechenbar.
Die zugelassenen Besucher, grösstenteils Transvestiten, Transsexuelle, Schwule und Lesben - unter die sich natürlich auch ein paar Neugierige, Zweideutige und maskierte Heterosexuelle mischten - durften ihre Libido eine ganze Nacht lang in allen Zimmern der "Grossen Schwester" ausleben. Viele aus der Gruppe der Neugierigen wussten allerdings nicht, dass alle Räume und Badezimmer, bis hin zu dem verborgensten Winkel des Containers, von versteckten Videokameras überwacht wurden. Die Aufnahmen wurden deutschlandweit in zahlreichen Bars, Schwulendiskos, Pornosendern und -kinos ausgestrahlt. Für die schlecht informierten Eindringlinge, manchmal nur Opfer eines Spassvogels aus ihrem Freundeskreis, war die Verwirklichung ihrer Phantasien fatal. Viele Beziehungen zerbrachen an den unfreiwilligen Coming-Outs und schliesslich wurde die Performance auf Grund der Beschwerden von empörten Familienvätern und Angehörigen der in den Skandal verwickelten Stars und Politiker abgesetzt.
Frau Dildo dagegen war berühmt geworden. Kurze Zeit später hatte sie ihre eigene Talkshow und ihre eigene Diskothek: "Vibrator". Wie bei einer Sternschnuppe jedoch verlosch ihr Glanz im Nu. Binnen Jahresfrist wurde ihre Fernsehsendung abgesetzt, im Jahr darauf musste sie den Klub verkaufen, wieder singen und wie an diesem Abend als dekoratives Püppchen an der Kasse sitzen Wir bezahlen den Eintritt und gehen hinaus auf den Hinterhof. CD stösst die Tür mit einem Seufzer der Erleichterung auf, als käme er nach einem anstrengenden Tag endlich nach Hause: "One world, one family".
Der Gang ist voller hyperkommunikativer Mädchen und Jungs, die ein wenig Luft schnappen wollen, bevor die Pille zu wirken beginnt. Als wir eintreten, lächelt mir ein ziemlich merkwürdiger Typ zu. Sein Oberkörper ist nackt, mit einem Piercing in jeder Brustwarze und einem rosa gefärbten, bis zum Bauch reichenden Mandarin-Bart. CD entfernt sich in Richtung Tresen. Der Mandarin schaut mich mit metallischen Augen an, kommt auf mich zu, packt meinen Kopf mit seinen beringten Händen, küsst mich auf den Mund und verschwindet. CD fragt mich, ob ich den Typen kenne. "Nein", sage ich, "vielleicht hat er mich mit jemandem verwechselt". "Jetzt geht das wieder los", sagt er und stöhnt. Wir ordern am Tresen zwei Gläser Mineralwasser mit Eis und Zitrone, die wir mit einem neuen "E" hinunterstürzen, um uns einzustimmen. DJ Woody donnert in die Boxen, die Party ist Wahnsinn, die Leute au"
An der Kasse sitzt "Frau Dildo 1995". Ihr Haupt ziert eine blonde Perücke à la Marilyn, gespickt mit Lockenwicklern in Pimmelform, deren bunte Köpfe keck aus den purpur besprühten Locken hervorlugen. Dazu trägt sie rote Kontaktlinsen und falsche, bis zu den Augenbrauen reichende Wimpern aus vergoldeter Aluminiumfolie. Die ehemalige Opernsängerin und Neuköllner Nachtklub-Tänzerin - Drag Queen, Femme fatale und Enfant terrible zugleich - wurde Mitte der neunziger Jahre durch ihre provokante Performance Grosse Schwester berühmt. Eine bizarre und antimediale, von der "Siegessäule" gesponserte Version von Big Brother, die mit einem Riesenskandal endete. Mitten im Tiergarten, genau in der Cruising-Zone, hatte man einen gigantischen, rosafarbenen Container aufgestellt, der mit Dark Rooms für jeden Geschmack ausgestattet war. Die öffnungszeiten waren unberechenbar.
Die zugelassenen Besucher, grösstenteils Transvestiten, Transsexuelle, Schwule und Lesben - unter die sich natürlich auch ein paar Neugierige, Zweideutige und maskierte Heterosexuelle mischten - durften ihre Libido eine ganze Nacht lang in allen Zimmern der "Grossen Schwester" ausleben. Viele aus der Gruppe der Neugierigen wussten allerdings nicht, dass alle Räume und Badezimmer, bis hin zu dem verborgensten Winkel des Containers, von versteckten Videokameras überwacht wurden. Die Aufnahmen wurden deutschlandweit in zahlreichen Bars, Schwulendiskos, Pornosendern und -kinos ausgestrahlt. Für die schlecht informierten Eindringlinge, manchmal nur Opfer eines Spassvogels aus ihrem Freundeskreis, war die Verwirklichung ihrer Phantasien fatal. Viele Beziehungen zerbrachen an den unfreiwilligen Coming-Outs und schliesslich wurde die Performance auf Grund der Beschwerden von empörten Familienvätern und Angehörigen der in den Skandal verwickelten Stars und Politiker abgesetzt.
Frau Dildo dagegen war berühmt geworden. Kurze Zeit später hatte sie ihre eigene Talkshow und ihre eigene Diskothek: "Vibrator". Wie bei einer Sternschnuppe jedoch verlosch ihr Glanz im Nu. Binnen Jahresfrist wurde ihre Fernsehsendung abgesetzt, im Jahr darauf musste sie den Klub verkaufen, wieder singen und wie an diesem Abend als dekoratives Püppchen an der Kasse sitzen Wir bezahlen den Eintritt und gehen hinaus auf den Hinterhof. CD stösst die Tür mit einem Seufzer der Erleichterung auf, als käme er nach einem anstrengenden Tag endlich nach Hause: "One world, one family".
Der Gang ist voller hyperkommunikativer Mädchen und Jungs, die ein wenig Luft schnappen wollen, bevor die Pille zu wirken beginnt. Als wir eintreten, lächelt mir ein ziemlich merkwürdiger Typ zu. Sein Oberkörper ist nackt, mit einem Piercing in jeder Brustwarze und einem rosa gefärbten, bis zum Bauch reichenden Mandarin-Bart. CD entfernt sich in Richtung Tresen. Der Mandarin schaut mich mit metallischen Augen an, kommt auf mich zu, packt meinen Kopf mit seinen beringten Händen, küsst mich auf den Mund und verschwindet. CD fragt mich, ob ich den Typen kenne. "Nein", sage ich, "vielleicht hat er mich mit jemandem verwechselt". "Jetzt geht das wieder los", sagt er und stöhnt. Wir ordern am Tresen zwei Gläser Mineralwasser mit Eis und Zitrone, die wir mit einem neuen "E" hinunterstürzen, um uns einzustimmen. DJ Woody donnert in die Boxen, die Party ist Wahnsinn, die Leute au"
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Bibliographische Angaben
- Autoren: Adrian Pais , Simone Reinhard
- 2010, 1. Auflage, 160 Seiten, Deutsch
- Verlag: Verlag Hans Schiler
- ISBN-10: 3899302850
- ISBN-13: 9783899302851
- Erscheinungsdatum: 01.01.2010
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