Zwischen den Fronten
Erlebte Weltgeschichte
Erlebte Weltgeschichte mit Peter Scholl-Latour, einem der hellsichtigsten Beobachter unserer Zeit. Welthistorie aus dem Blinkwinkel des ''Kenners der Kulturen''.
ZDF
Seit mehr als 50 Jahren berichtet Peter...
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Produktinformationen zu „Zwischen den Fronten “
Erlebte Weltgeschichte mit Peter Scholl-Latour, einem der hellsichtigsten Beobachter unserer Zeit. Welthistorie aus dem Blinkwinkel des ''Kenners der Kulturen''.
ZDF
Seit mehr als 50 Jahren berichtet Peter Scholl-Latour von Konfliktherden und Kriegsschauplätzen, von Krisenregionen und Aufstandsgebieten aus der ganzen Welt. Im Jahr 2007 reiste er noch einmal zu den wichtigsten Stationen seines gesamten Reporterlebens - unter anderem nach China, in den Nahen Osten und in die Vereinigten Staaten. In seinem Buch versammeln sich seine faszinierenden und aufschlussreichen Eindrücke, Erinnerungen und Erfahrungen.
Scholl-Latour gilt nicht umsonst als ''der letzte Welterklärer'' (Der Spiegel).
ZDF
Seit mehr als 50 Jahren berichtet Peter Scholl-Latour von Konfliktherden und Kriegsschauplätzen, von Krisenregionen und Aufstandsgebieten aus der ganzen Welt. Im Jahr 2007 reiste er noch einmal zu den wichtigsten Stationen seines gesamten Reporterlebens - unter anderem nach China, in den Nahen Osten und in die Vereinigten Staaten. In seinem Buch versammeln sich seine faszinierenden und aufschlussreichen Eindrücke, Erinnerungen und Erfahrungen.
Scholl-Latour gilt nicht umsonst als ''der letzte Welterklärer'' (Der Spiegel).
Klappentext zu „Zwischen den Fronten “
Peter Scholl-Latour kennt die Welt wie kein Zweiter. Was ihn auszeichnet und seinen beispiellosen Erfolg begründet, sind die fast sechzigjährige Erfahrung als Chronist des Weltgeschehens, die profunde Kenntnis der Kulturen unserer Erde und die visionäre Kraft, mit der er kommende Entwicklungen heraufzubeschwören vermag. Jüngste Reisen nach China und Russland, in die USA und in den Nahen und Mittleren Osten nimmt Peter Scholl-Latour zum Ausgangspunkt, um die dramatischen Verschiebungen des weltweiten Machtgefüges zu schildern, deren Zeugen wir sind. Lese-Probe zu „Zwischen den Fronten “
Zwischen den Fronten von Peter Scholl-LatourLESEPROBE
Wer eine Periode von siebzig Jahren Geschichte erlebt hat, neigt zu dem Schluß, daß sich die imperialen Abläufe beschleunigt haben. Liegt es daran, daß am Anfang meiner Wahrnehmung der Untergang eines »tausendjährigen Reiches« stand, das nach der lächerlich kurzen Zeitspanne von zwölf Jahren im Führerbunker von Berlin den eigenen Dämonen, den Rachegeistern eines bluttriefenden völkischen Wahns erlag? Ich habe diese Schicksalsstunde im letzten Fetzen Groß-Deutschlands verbracht, der noch nicht von den Alliierten besetzt war. Die Nachricht vom Tod des »Führers« wurde von der lokalen Parteizeitung im österreichischen Graz mit einem riesigen schwarzen Trauerrand abgedruckt. Am Tag der bedingungslosen deutschen Kapitulation konnte ich von der Höhe des dortigen Gau-Krankenhauses den mustergültig geordneten Rückzug der SS-Division Wiking beobachten, die ihre Stellungen in West-Ungarn räumte, die Flucht in Richtung Kärnten antrat, um sich dort von den Briten der 8. Armee entwaffnen zu lassen und nicht in die Hände der Russen zu fallen.
Von dem Flecktyphus, mit dem ich mich im Gestapo-Gefängnis von Wien infiziert hatte, war ich unter der fürsorglichen Pflege der Nonnen vom Orden des Heiligen Vinzenz von Paul, die damals noch ihre prächtigen weißen Flügelhauben trugen, halbwegs genesen. Ich konnte also mit dem Gefühl, dem Tod gleich mehrfach entronnen zu sein, auf das denkwürdige Schauspiel blicken, wie die Elitetruppe des Dritten Reichs, die mit der Hymne »Wenn alle untreu werden, so bleiben wir doch treu«, angetreten war, um ganz Europa der erbarmungslosen Herrschaft des Hakenkreuzes und seiner Bonzen zu unterwerfen, zum Symbol der Auflösung wurde.
In der Division Wiking dienten vorzugsweise Freiwillige
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aus den skandinavischen Ländern.
Die ganze Waffen-SS setzte sich bei Kriegsende –wenn man die so genannten Volksdeutschen aus Polen, dem Balkan und dem Elsaß, die teilweise zwangsrekrutiert wurden, hinzurechnete – aus mehr Ausländern als Reichsdeutschen zusammen. Bei den Fremdenlegionären, die ich in französischer Uniform ein knappes Jahr später in Indochina antreffen sollte, befanden sich nicht wenige französische Freiwillige der SS-Division Charlemagne, die – so weit sie überlebt und sich keiner Verbrechen schuldig gemacht hatten – dank einem diskreten Gnadenerlaß de Gaulles ihre nationale Rehabilitierung durch fünfjährigen Einsatz in der »Légion étrangère« erdienen konnten. Deren Devise lautete »Honneur et fidélité« – »Ehre und Treue«. Die Ideologen antiwelschen Germanentums, die in den Schulbüchern der dreißiger Jahre Karl den Großen als »Sachsenschlächter« geschmäht hatten, mußten am Ende ihrer geistigen Verirrung zur Kenntnis nehmen, daß die Waffen-SS, die auf dem Balkan über eine albanische Truppe »Skanderbeg« und eine muslimisch-bosnische Einheit »Handjak« verfügte, auf die Franzosen der Division »Charlemagne« zurückgriff, um im Herzen Berlins das Vorstürmen der Roten Armee auf den Führerbunker zu verzögern. Der letzte Soldat, der in der U-Bahnstation Stadtmitte nach Abschießen von acht sowjetischen Panzern mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde – so besagt die Legende – sei ein Sohn Galliens gewesen, der beim verzweifelten Versuch, zusätzlichen Waffenruhm zu erringen, kurz danach im russischen Feuer starb.
In Graz war es weniger heroisch zugegangen. Während aus dem Rundfunkgerät immer wieder das Deutschlandlied in der elegischen Urfassung Haydns erklang und Trauermärsche sich bemühten, den letzten Nostalgiker des Dritten Reiches eine Art Götterdämmerung vorzugaukeln, entdeckte ich auf der Ausfallstraße nach Westen kompakte Trupps von Krim-Tataren, die auf Seiten der Wehrmacht gekämpft hatten. Bei Erreichen der provisorischen Demarkationslinie in Kärnten sollten diese Angehörigen einer mongolisch-türkischen Rasse von den Briten eingesammelt und den vorrückenden Sowjets als Landesverräter ausgeliefert werden.
Der Tag nach dem Abrücken der »Wikinger« gehört zu meinen eindringlichsten Erinnerungen. Bei Nacht hatte die Rote Armee von der Steiermark Besitz ergriffen. Aber es war eine seltsame Heerschar, die auf der weiten Wiese unterhalb des Gau-Krankenhauses von Graz kampierte. Die Russen waren auf ein paar brüchigen Lastwagen, vor allem aber auf einer Vielzahl von Panje-Wagen eingerückt. Sie lagerten in ihren erdbraunen Uniformen wie eine Horde asiatischer Eroberer. Eine der Vinzentinerinnen, die zur Beschleunigung meiner Genesung mir stets ihr eigenes Abendessen geopfert hatte, nähte mir eine blau-weiß-rote Kennung auf die Jacke. Mit meinem halbgeschorenen Häftlingskopf beeindruckte ich wohl in ausreichendem Maße die Angehörigen einer französischen »Kommandantura« in Graz, ein Sammelsurium von überaus zwielichtigen Fremdarbeitern, möglicherweise ehemaligen Kollaborateuren, die sich durch rote Halstücher oder Parteiabzeichen als Kommunisten zu tarnen suchten. Ohne Problem stellten sie mir provisorische Personalpapiere als »Résistant« aus. In dieser Eigenschaft konnte ich auch meinen Krankenpflegerinnen einen gewissen Schutz gewähren. Schon am Nachmittag dieses chaotischen ersten Besatzungstages wurde ich in eine städtische Festhalle eingeladen, wo das dröhnende Orchester der Roten Armee eine Stalin-Hymne intonierte, die die Verhängung einer neuen Zwangsherrschaft über Ost-Europa ankündigte.
Die Vergänglichkeit der Imperien hat mein ganzes Leben begleitet, mich zum Gefährten des Rückzugs gestempelt. Mit welcher Begeisterung, ja einem gewissen Neid, hatte ich in jenem Mai 1945 auf die britischen Soldaten der 8. Armee geblickt, die nach ihrem Siegeszug durch Tripolitanien und Italien im österreichischen Kärnten eingerückt waren. Mit ihren tadellos gebügelten Kaki-Uniformen, den bunten Baretts und Feldzeichen, mit ihrer spontanen Hilfsbereitschaft, die sie unserem Trupp von reichlich verlotterten Überlebenden gewährten, erschienen sie uns nach den stets mißtrauischen und ungepflegten Russen als Erzengel einer strahlenden freiheitlichen Welt. Dieses stolze »Empire« hatte dem Dritten Reich mit unsäglicher Verbissenheit getrotzt und der angeblichen Luftüberlegenheit Hermann Görings in der »Schlacht um England« standgehalten. Großbritannien sonnte sich im Mai 1945 im Gefühl von »power and glory«. Der Territorialbestand der viktorianischen Ära schien in seiner weltumspannenden Ausdehnung voll erhalten zu bleiben.
In Wirklichkeit war zu jenem Zeitpunkt das Schicksal der britischen Weltreichs bereits besiegelt und Albion auf die Rolle einer Mittelmacht reduziert. Winston Churchill mußte mit tiefer Verbitterung zusehen, wie die ihn ablösende Labour-Regierung bei aller persönlichen Unzulänglichkeit den globalen »wind of changes« rechtzeitig wahrnahm und der neuen, schnöden Realität Rechnung trug. Durch die schrittweise, kampflose Preisgabe fast sämtlicher kolonialer Besitzungen ersparte sich London jene endlosen, verlustreichen, verzweifelten Rückzugsgefechte, mit denen Franzosen, Holländer und Portugiesen ihren längst verlorengegangenen Anspruch auf Weltgeltung krampfhaft zu behaupten suchten.
Die Niederländer mußten relativ bald dem indonesischen Nationalismus Sukarnos weichen und ihr südostasiatisches Insel-Reich räumen. Die endgültige französische Niederlage in Indochina registrierte ich in jener unerträglich schwülen Monsun-Nacht des Juli 1954, als ich – im Reisfeld südlich von Hanoi mit französischen Kolonial-Infanteristen kampierend – beim letzten intensiven Beschuß durch die Nord-Vietnamesen in Deckung ging. Seit dem Desaster von Dien Bien Phu waren sich die Krieger Ho Tschi Minhs ihrer Überlegenheit voll bewußt. Bei Anbruch des Tageslichtes versammelten sich die Offiziere des RICM, des im Ersten Weltkrieg höchst dekorierten französischen Regiments, mit Grimm und Erbitterung vor dem Radiogerät. Sie lauschten der Stimme der Sprecherin, die die Stipulationen des eben abgeschlossenen Waffenstillstandes verlas. Der Verzicht Frankreichs auf Indochina kam für viele dieser Troupiers der endgültigen Trennung von einer geliebten, exotischen Mätresse gleich. Als ich mich von dem bulligen Commandeur dieser Einheit verabschiedete, um über die verminte Laterit-Piste nach Hanoi zurückzufahren, sagte er resigniert: »In Nordafrika werden wir uns bald wiedersehen«.
Bei diesem Rückblick taucht auch die flüchtige Vision des gestrandeten japanischen Kaiserreichs auf. Als das Commando Ponchardier als erste französische Einheit in Cochinchina gegen die schlecht bewaffneten Freischärler-Haufen der vietnamesischen Kommunisten vorging und auch jene kuriosen Sekten Cao Dai und Hoa Hao niederkämpfte, die mit den Japanern paktiert hatten, kam es stets dann zu eigenen Verlusten, wenn ein paar versprengte Angehörige der gefürchteten japanischen Feldgendarmerie, der Kempetai, sich mit den annamitischen Aufständischen verbündeten. Diese Kempetai-Angehörigen wurden als Kriegsverbrecher gesucht und hatten sich der Kapitulation des Tenno verweigert. Die Masse der im Süden Vietnams verbliebenen japanischen Militär- Einheiten unterwarfen sich jedoch dem Befehl des britischen General Gracy, der ihnen sogar die Infanteriewaffen beließ, um das Aufkommen von Bürgerkrieg und Chaos einzudämmen. Noch sehe ich die erstarrten Soldaten aus dem Reich der Aufgehenden Sonne, die weiterhin vor ihren Unterkünften mit aufgepflanztem Bajonett Wache hielten und die fremden Vorhuten aus Gallien mit der bei ihnen üblichen Verbeugung grüßten.
Später, im März 1946, als ich an der Landung im nördlichen Hafen Haiphong teilnahm, stieß das französische Expeditions-Corps auf die Präsenz der chinesischen Kuomintang-Armee des Marschalls Tschiang Kaischek, die nach der Niederlage Japans mit amerikanischer Zustimmung den Norden Indochinas besetzt hatte. Die National-Chinesen wollten sich ihre einträgliche Kriegsbeute nicht entreißen lassen. Da diese verwilderte, stets plündernde Soldateska nicht in der Lage war, die Küstenbatterien zu bedienen, hatte sie japanische Kriegsgefangene an die Kanonen gesetzt, um das Feuer auf die französische Landungsflotte zu eröffnen. Das Gefecht war schnell beendet. An den folgenden Tagen war ich beeindruckt von der Disziplin der kaiserlichen Armee Nippons, deren Einheiten sich in exakten Karrees an den Hafen-Kais aufbauten, während ihre kleinwüchsigen Offiziere wie gestiefelte Kater die Einschiffung ihrer Soldaten auf riesigen amerikanischen Frachtern mit dem Ausdruck zu Tode betrübter Samurai überwachten. Das Reich der aufgehenden Sonne hat diese in seiner langen Geschichte einmalige Demütigung mit bemerkenswertem Fleiß und angespannter Energie überlebt. Aber die kühne Vision einer gebieterischen japanischen Ordnungsmacht im Großraum Ostasiens und des Pazifischen Ozeans, die dem General Tojo vorgeschwebt hatte, wurde nach 1945 allenfalls durch ökonomische und kommerzielle Expansion ersetzt.
© Ullstein Verlag
Die ganze Waffen-SS setzte sich bei Kriegsende –wenn man die so genannten Volksdeutschen aus Polen, dem Balkan und dem Elsaß, die teilweise zwangsrekrutiert wurden, hinzurechnete – aus mehr Ausländern als Reichsdeutschen zusammen. Bei den Fremdenlegionären, die ich in französischer Uniform ein knappes Jahr später in Indochina antreffen sollte, befanden sich nicht wenige französische Freiwillige der SS-Division Charlemagne, die – so weit sie überlebt und sich keiner Verbrechen schuldig gemacht hatten – dank einem diskreten Gnadenerlaß de Gaulles ihre nationale Rehabilitierung durch fünfjährigen Einsatz in der »Légion étrangère« erdienen konnten. Deren Devise lautete »Honneur et fidélité« – »Ehre und Treue«. Die Ideologen antiwelschen Germanentums, die in den Schulbüchern der dreißiger Jahre Karl den Großen als »Sachsenschlächter« geschmäht hatten, mußten am Ende ihrer geistigen Verirrung zur Kenntnis nehmen, daß die Waffen-SS, die auf dem Balkan über eine albanische Truppe »Skanderbeg« und eine muslimisch-bosnische Einheit »Handjak« verfügte, auf die Franzosen der Division »Charlemagne« zurückgriff, um im Herzen Berlins das Vorstürmen der Roten Armee auf den Führerbunker zu verzögern. Der letzte Soldat, der in der U-Bahnstation Stadtmitte nach Abschießen von acht sowjetischen Panzern mit dem Ritterkreuz ausgezeichnet wurde – so besagt die Legende – sei ein Sohn Galliens gewesen, der beim verzweifelten Versuch, zusätzlichen Waffenruhm zu erringen, kurz danach im russischen Feuer starb.
In Graz war es weniger heroisch zugegangen. Während aus dem Rundfunkgerät immer wieder das Deutschlandlied in der elegischen Urfassung Haydns erklang und Trauermärsche sich bemühten, den letzten Nostalgiker des Dritten Reiches eine Art Götterdämmerung vorzugaukeln, entdeckte ich auf der Ausfallstraße nach Westen kompakte Trupps von Krim-Tataren, die auf Seiten der Wehrmacht gekämpft hatten. Bei Erreichen der provisorischen Demarkationslinie in Kärnten sollten diese Angehörigen einer mongolisch-türkischen Rasse von den Briten eingesammelt und den vorrückenden Sowjets als Landesverräter ausgeliefert werden.
Der Tag nach dem Abrücken der »Wikinger« gehört zu meinen eindringlichsten Erinnerungen. Bei Nacht hatte die Rote Armee von der Steiermark Besitz ergriffen. Aber es war eine seltsame Heerschar, die auf der weiten Wiese unterhalb des Gau-Krankenhauses von Graz kampierte. Die Russen waren auf ein paar brüchigen Lastwagen, vor allem aber auf einer Vielzahl von Panje-Wagen eingerückt. Sie lagerten in ihren erdbraunen Uniformen wie eine Horde asiatischer Eroberer. Eine der Vinzentinerinnen, die zur Beschleunigung meiner Genesung mir stets ihr eigenes Abendessen geopfert hatte, nähte mir eine blau-weiß-rote Kennung auf die Jacke. Mit meinem halbgeschorenen Häftlingskopf beeindruckte ich wohl in ausreichendem Maße die Angehörigen einer französischen »Kommandantura« in Graz, ein Sammelsurium von überaus zwielichtigen Fremdarbeitern, möglicherweise ehemaligen Kollaborateuren, die sich durch rote Halstücher oder Parteiabzeichen als Kommunisten zu tarnen suchten. Ohne Problem stellten sie mir provisorische Personalpapiere als »Résistant« aus. In dieser Eigenschaft konnte ich auch meinen Krankenpflegerinnen einen gewissen Schutz gewähren. Schon am Nachmittag dieses chaotischen ersten Besatzungstages wurde ich in eine städtische Festhalle eingeladen, wo das dröhnende Orchester der Roten Armee eine Stalin-Hymne intonierte, die die Verhängung einer neuen Zwangsherrschaft über Ost-Europa ankündigte.
Die Vergänglichkeit der Imperien hat mein ganzes Leben begleitet, mich zum Gefährten des Rückzugs gestempelt. Mit welcher Begeisterung, ja einem gewissen Neid, hatte ich in jenem Mai 1945 auf die britischen Soldaten der 8. Armee geblickt, die nach ihrem Siegeszug durch Tripolitanien und Italien im österreichischen Kärnten eingerückt waren. Mit ihren tadellos gebügelten Kaki-Uniformen, den bunten Baretts und Feldzeichen, mit ihrer spontanen Hilfsbereitschaft, die sie unserem Trupp von reichlich verlotterten Überlebenden gewährten, erschienen sie uns nach den stets mißtrauischen und ungepflegten Russen als Erzengel einer strahlenden freiheitlichen Welt. Dieses stolze »Empire« hatte dem Dritten Reich mit unsäglicher Verbissenheit getrotzt und der angeblichen Luftüberlegenheit Hermann Görings in der »Schlacht um England« standgehalten. Großbritannien sonnte sich im Mai 1945 im Gefühl von »power and glory«. Der Territorialbestand der viktorianischen Ära schien in seiner weltumspannenden Ausdehnung voll erhalten zu bleiben.
In Wirklichkeit war zu jenem Zeitpunkt das Schicksal der britischen Weltreichs bereits besiegelt und Albion auf die Rolle einer Mittelmacht reduziert. Winston Churchill mußte mit tiefer Verbitterung zusehen, wie die ihn ablösende Labour-Regierung bei aller persönlichen Unzulänglichkeit den globalen »wind of changes« rechtzeitig wahrnahm und der neuen, schnöden Realität Rechnung trug. Durch die schrittweise, kampflose Preisgabe fast sämtlicher kolonialer Besitzungen ersparte sich London jene endlosen, verlustreichen, verzweifelten Rückzugsgefechte, mit denen Franzosen, Holländer und Portugiesen ihren längst verlorengegangenen Anspruch auf Weltgeltung krampfhaft zu behaupten suchten.
Die Niederländer mußten relativ bald dem indonesischen Nationalismus Sukarnos weichen und ihr südostasiatisches Insel-Reich räumen. Die endgültige französische Niederlage in Indochina registrierte ich in jener unerträglich schwülen Monsun-Nacht des Juli 1954, als ich – im Reisfeld südlich von Hanoi mit französischen Kolonial-Infanteristen kampierend – beim letzten intensiven Beschuß durch die Nord-Vietnamesen in Deckung ging. Seit dem Desaster von Dien Bien Phu waren sich die Krieger Ho Tschi Minhs ihrer Überlegenheit voll bewußt. Bei Anbruch des Tageslichtes versammelten sich die Offiziere des RICM, des im Ersten Weltkrieg höchst dekorierten französischen Regiments, mit Grimm und Erbitterung vor dem Radiogerät. Sie lauschten der Stimme der Sprecherin, die die Stipulationen des eben abgeschlossenen Waffenstillstandes verlas. Der Verzicht Frankreichs auf Indochina kam für viele dieser Troupiers der endgültigen Trennung von einer geliebten, exotischen Mätresse gleich. Als ich mich von dem bulligen Commandeur dieser Einheit verabschiedete, um über die verminte Laterit-Piste nach Hanoi zurückzufahren, sagte er resigniert: »In Nordafrika werden wir uns bald wiedersehen«.
Bei diesem Rückblick taucht auch die flüchtige Vision des gestrandeten japanischen Kaiserreichs auf. Als das Commando Ponchardier als erste französische Einheit in Cochinchina gegen die schlecht bewaffneten Freischärler-Haufen der vietnamesischen Kommunisten vorging und auch jene kuriosen Sekten Cao Dai und Hoa Hao niederkämpfte, die mit den Japanern paktiert hatten, kam es stets dann zu eigenen Verlusten, wenn ein paar versprengte Angehörige der gefürchteten japanischen Feldgendarmerie, der Kempetai, sich mit den annamitischen Aufständischen verbündeten. Diese Kempetai-Angehörigen wurden als Kriegsverbrecher gesucht und hatten sich der Kapitulation des Tenno verweigert. Die Masse der im Süden Vietnams verbliebenen japanischen Militär- Einheiten unterwarfen sich jedoch dem Befehl des britischen General Gracy, der ihnen sogar die Infanteriewaffen beließ, um das Aufkommen von Bürgerkrieg und Chaos einzudämmen. Noch sehe ich die erstarrten Soldaten aus dem Reich der Aufgehenden Sonne, die weiterhin vor ihren Unterkünften mit aufgepflanztem Bajonett Wache hielten und die fremden Vorhuten aus Gallien mit der bei ihnen üblichen Verbeugung grüßten.
Später, im März 1946, als ich an der Landung im nördlichen Hafen Haiphong teilnahm, stieß das französische Expeditions-Corps auf die Präsenz der chinesischen Kuomintang-Armee des Marschalls Tschiang Kaischek, die nach der Niederlage Japans mit amerikanischer Zustimmung den Norden Indochinas besetzt hatte. Die National-Chinesen wollten sich ihre einträgliche Kriegsbeute nicht entreißen lassen. Da diese verwilderte, stets plündernde Soldateska nicht in der Lage war, die Küstenbatterien zu bedienen, hatte sie japanische Kriegsgefangene an die Kanonen gesetzt, um das Feuer auf die französische Landungsflotte zu eröffnen. Das Gefecht war schnell beendet. An den folgenden Tagen war ich beeindruckt von der Disziplin der kaiserlichen Armee Nippons, deren Einheiten sich in exakten Karrees an den Hafen-Kais aufbauten, während ihre kleinwüchsigen Offiziere wie gestiefelte Kater die Einschiffung ihrer Soldaten auf riesigen amerikanischen Frachtern mit dem Ausdruck zu Tode betrübter Samurai überwachten. Das Reich der aufgehenden Sonne hat diese in seiner langen Geschichte einmalige Demütigung mit bemerkenswertem Fleiß und angespannter Energie überlebt. Aber die kühne Vision einer gebieterischen japanischen Ordnungsmacht im Großraum Ostasiens und des Pazifischen Ozeans, die dem General Tojo vorgeschwebt hatte, wurde nach 1945 allenfalls durch ökonomische und kommerzielle Expansion ersetzt.
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Autoren-Porträt von Peter Scholl-Latour
Peter Scholl-Latour, geboren 1924 in Bochum. Promotion an der Sorbonne in Paris in den Sciences Politiques, Diplom an der Libanesischen Universität in Beirut in Arabistik und Islamkunde. Er war in vielfältigen Funktionen als Journalist und Publizist tätig, unter anderem als ARD-Korrespondent in Afrika und Indochina, als ARD- und ZDF-Studioleiter in Paris, als Programmdirektor des WDR-Fernsehens, als Chefredakteur und Herausgeber des STERN und als Vorstandsmitglied von Gruner + Jahr. Seine TV-Sendungen erreichten höchste Einschaltquoten, seine Bücher haben ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Sachbuchautor gemacht. Zuletzt erschienen bei Propyläen »Die Welt aus den Fugen« (2012) und "Der Fluch der bösen Tat" (2014). Peter Scholl-Latour verstarb am 16. August 2014.
Bibliographische Angaben
- Autor: Peter Scholl-Latour
- 2008, 5. Aufl., 368 Seiten, 32 farbige Abbildungen, Masse: 12 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548372341
- ISBN-13: 9783548372341
- Erscheinungsdatum: 09.10.2008
Rezension zu „Zwischen den Fronten “
»Auf ganz unpolitologische Weise kommen scharfe politische Analysen zustande, die sich so spannend wie ein Abenteuerbericht lesen.« FAZ »Die Leser machen seine Bücher zu Bestsellern, die Zuschauer des Fernsehens erheben seine Sendungen zum Medienereignis.« Die Welt
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