Vergiss nie, dass ich dich liebe
Dazu liefert...
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Dazu liefert die Autorin ihre persönliche ''Geschichte zur Geschichte'', die sich selbst wie ein Krimi lesen!
''Elizabeth George ist die Meisterin des englischen Spannungsromans.''
New York Times
''Es ist unmöglich, Elizabeth Georges Erzählkunst zu widerstehen.''
USA Today
Vergiss nie,dass ich dich liebe von ElizabethGeorge
LESEPROBE
Vorbemerkungzu "Schnappschuss"
Ursprünglich schrieb ich diese Geschichte für die Zeitschrift Sisters in Crime (Band II),nachdem ich im Rahmen eines Studienprogramms, das von der UCLA (Universität vonKalifornien in Los Angeles) angeboten wurde, an zwei Sommerkursen derUniversität Cambridge teilgenommen hatte. Der erste Kurs, 1988, behandelte dasThema "Die Landhäuser Grossbritanniens" und lieferte mir die Anregung für eineGeschichte, der ich den Titel The EvidenceExposed gab. Der zweite Kurs, 1989, befasste sich mitShakespeare, und sein etwas wunderlicher Ansatz, Shakespeare als verkapptenMarxisten zu sehen, floss - anachronistisch wie er ist - in einen meiner Romaneein, der in Cambridge angesiedelt ist und den Titel "Denn bitter ist der Todträgt".
Mit The Evidence Exposed wagte ich mich zum ersten Mal an eineKriminalkurzgeschichte. Es war dies zudem meine erste Geschichte seit etwazwanzig Jahren, ein lobenswerter Versuch, mit dem ich jedoch nie richtigzufrieden war. Ich hatte, wie mir schon bald nach der Veröffentlichung klarwurde, den Falschen sterben lassen, und von da an stand für mich fest, dass ichdie Geschichte bei Gelegenheit umschreiben würde.
Aber immer kam das Leben dazwischen - Romanverpflichtungen nahmen mich inAnspruch, Recherchen, Seminare, die ich zu leiten hatte. Gelegentlich wurde ichsogar gebeten, andere Geschichten zu schreiben, und wenn der Vorschlag sich miteiner Idee vertrug, von der ich glaubte, dass sie auf weniger als sechshundertSeiten zu erzählen sei, versuchte ich mich gern von neuem an dieseranspruchsvollen literarischen Form.
Irgendwann schliesslich wollte mein schwedischer Verleger einen »schmalen Band«meiner Geschichten herausbringen, von denen es zu diesem Zeitpunkt ganze dreigab. Ich war einverstanden. Mein englischer Verlag entdeckte das Buch, und manschlug mir vor, es auch in Englisch zu veröffentlichen. Mein deutscher und meinfranzösischer Verlag wollten es ebenfalls herausbringen. Und es dauerte nichtlang, da trat mein amerikanischer Verlag mit dem gleichen Vorschlag an michheran. Spätestens da wurde mir klar, dass es an der Zeit war, The Evidence Exposedumzuschreiben und der kleinen Sammlung zwei neue Geschichten hinzuzufügen, diemir als Ideen schon eine Weile im Kopf herumgingen.
Ich setzte mich also daran, The EvidenceExposed zu bearbeiten und umzuschreiben, und hierhaben Sie das Ergebnis - die neue Version jener älteren und weitschwerfälligeren Geschichte.
Ich bin recht zufrieden mit ihr. Sie hat einen anderen Blickwinkel und einanderes Opfer. Und Abinger Manorhat einen neuen Herrn. Die übrigen Charaktere sind unverändert geblieben.
Schnappschuss
Jeder, der damals in Cambridge an dem Seminar über die Geschichte derbritischen Architektur teilnahm, hätte in der Rückschau auf den Fall Abinger Manor gesagt, dass Sam Cleary unter den gegebenen Umständen am ehesten alsKandidat für einen Mordanschlag vorstellbar war. Daraus folgt natürlich ganzvon selbst die Frage, warum irgendjemand das Verlangen haben sollte, einenharmlosen amerikanischen Botanikprofessor umzubringen, dessen einzigesVerbrechen darin bestand, dass er mit seiner Frau nach Cambridge gekommen war,um an einem Sommerkurs der Universität am St. Stephen sCollege teilzunehmen. Aber genau das ist der springende Punkt: Er war mitseiner Frau da. Der gute alte Sam - ein rüstiger Siebziger, der immer daherkamwie aus dem Ei gepellt und einen Hang zu Querbindern und Tweedjacketts hatte,obwohl es der heisseste englische Sommer seit Jahrzehnten war - vergass gern,dass seine ihm angetraute Frances mitgekommen war. Und wenn Sam das vergass,begannen unweigerlich seine Blicke zu wandern, um die holde Weiblichkeit imnäheren und weiteren Umfeld zu inspizieren. Das schien dem alten Herrn zurzweiten Natur geworden zu sein.
Wäre es bei solcher Inspektion geblieben, so hätte Frances Clearydas vielleicht verzeihen können. Sie konnte schliesslich nicht erwarten, dassihr Mann mit Scheuklappen durch Cambridge marschierte, und Cambridge hat imSommer eine bemerkenswerte Auswahl an hübschen Frauen zu bieten! Als er aberanfing, abends endlos im Pub herumzusitzen, um PollySimpson, eine Kommilitonin, mit Anekdoten aus sämtlichen Abschnitten seinesLebens zu unterhalten, von der Kindheit, die er auf einer Farm in Vermont verbrachthatte, bis zu den Jahren in Vietnam, wo er seinen Berichten zufolge seine ganzeEinheit im Alleingang vor dem Untergang gerettet hatte - also, das war denndoch zu viel für Frances. Nicht nur hätte Polly mit Leichtigkeit Sams Enkelinsein können, sie war obendrein noch - man verzeihe den Ausdruck! - zum Sterbenschön und so blond und wohlgebaut, wie Frances inihren besten Jahren nicht.
Als daher Sam Cleary und Polly Simpson sich amVorabend des fraglichen Tages wieder einmal bis zwei Uhr morgens im College-Pub herumtrieben, lachend und gackernd wie dieKinder - und mehr als ein Kind war Polly mit ihren dreiundzwanzig Jahren jatatsächlich nicht -, die Köpfe zusammensteckten und sich wie zwei Leuteverhielten, die etwas ganz Bestimmtes im Sinn hatten, war Frances endlich derGeduldsfaden gerissen, und sie hatte ihrem Mann gründlich die Meinung gesagt.Er war allerdings nicht der Einzige, der sie zu hören bekam.
Noreen Tucker wusste am folgenden Morgen beim Frühstück delikate Einzelheitender nächtlichen Auseinandersetzung zu berichten, nachdem Frances akustischrasch anschwellendes Missvergnügen sie nachts um zwei Uhr dreiundzwanziggeweckt und bis Punkt vier Uhr siebenunddreissig wach gehalten hatte. Zu diesemZeitpunkt kündete schliesslich das Knallen einer zornig zugeschlagenen Tür vonSams Entschluss, sich den Anklagen seiner Frau, dass er ein herzloser,hinterhältiger und treuloser Patron sei, nicht weiter auszusetzen.
Jeder andere unfreiwillige Lauscher hätte seine durch Zufall erworbene Kenntnisvon diesem Ehekrach wahrscheinlich für sich behalten. Aber Noreen Tucker wareine Frau, die das Rampenlicht suchte. Und da sie in den dreissig Jahren ihrerKarriere als Autorin von romantischen Liebesromanen in dieser Hinsichtüberhaupt nicht auf ihre Kosten gekommen war, pflegte sie sich dieAufmerksamkeit ihrer Umwelt zu holen, wie und wo sie konnte.
So auch am Morgen des fraglichen Tages, als nach und nach die anderenTeilnehmer des Seminars über die Geschichte der Britischen Architektur imriesigen Speisesaal des St. Stephen s College zumFrühstück eintrudelten. Im Laura-Ashley-Kleid und mit einem breitkrempigenStrohhut auf dem Kopf, weil sie sich einbildete, jugendliche Kleidung machtejung, gab Noreen die pikanten Details der nächtlichen Auseinandersetzung desEhepaars Cleary zum Besten, wobei sie sich mitBlicken nach links und nach rechts weit über den Tisch beugte, um sowohl dieBedeutung als auch die Vertraulichkeit der von ihr dargebotenen Informationenzu unterstreichen.
»Ich wollte meinen Ohren nicht trauen«, sagte sie am Schluss ihres Berichts,völlig ausser Atem. »Ich meine, wisst ihr jemanden, der dezenter wirkt alsFrances Cleary? Ich hätte nie gedacht, dass siesolche Ausdrücke überhaupt kennt! Ehrlich, ich war entsetzt über das, was ichda zu hören bekam. Und peinlich war das Ganze! Ihr habt keine Ahnung! Ichwusste nicht, ob ich an die Wand klopfen soll, um sie zum Schweigen zu bringen,oder ob ich besser Hilfe hole. Wobei ich mir allerdings nicht vorstellen kann,dass der Nachtportier grosse Lust gehabt hätte, sich einzumischen, wenn ich soweit gegangen wäre, ihn zu holen. Und vor allem - wenn ich mich da hättereinziehen lassen, hätte Ralph vielleicht geglaubt, er müsste mir beistehen,und wäre womöglich zwischen die Fronten geraten. So einem Risiko konnte ich ihnauf keinen Fall aussetzen, das versteht ihr doch, nicht? Am Ende wäre Sam nochhandgreiflich geworden, und Ralph ist weiss Gott nicht in der Verfassung, sichmit irgendjemandem zu prügeln. Nicht wahr, Liebling?«
Liebling Ralph, Noreens Schatten und ständiger Begleiter, sah aus wie einFettkloss in einer Safarijacke. Keiner aus der Seminargruppe hatte es geschafft,in den elf Tagen seines Aufenthalts in Cambridge mehr als zehn Worte aus ihmherauszubekommen, und einige aus dem Kreis der Studenten, die andere Kurse amSt. Stephen s College belegt hatten, schworen, erwäre stumm.
Liebling Ralph war nicht in der Verfassung, sich mit jemandem zu prügeln, weiler an Hypoglykämie litt, eine Tatsache, über die sichNoreen des Langen und Breiten ausliess, sobald sie zunächst ihre Analyse derBeziehung der Eheleute Cleary und danach von SamsInteresse an anderen Frauen im Allgemeinen und Polly Simpson im Besonderenabgeschlossen hatte. Liebling Ralph erklärte jedem, der es hören wollte, er seidurch dieses Leiden, das plötzliche Absinken des Blutzuckerspiegels unter denNormalwert, zu einem Märtyrerleben verdammt. Seine ganze Familie sei von diesemFluch betroffen, den armen Ralph jedoch habe es am schlimmsten von allenerwischt. Einmal war er, Noreens Worten zufolge, sogar mitten auf dem Freeway am Steuer ihres Wagens ohnmächtig geworden. Nurdank Noreens Geistesgegenwart und beherztem Eingreifen war ein Desastervermieden worden.
»Ich hab das Lenkrad so blitzartig gepackt, als wärich zur Rettungsfahrerin oder so was ausgebildet«, vertraute Noreen ihrenZuhörern an. »Es ist schon erstaunlich, wozu der Mensch fähig ist, wenn dieKatastrophe droht, nicht wahr?« Ihrer Art entsprechend, wartete sie nicht aufeine Antwort, sondern wandte sich sogleich ihrem Mann zu und fragte: »Du hastdoch dein Studentenfutter für den heutigen Ausflug bei dir, Ralphie,mein Liebling? Nicht dass du uns mitten im Rittersaal von AbingerManor umkippst!«
»Oben im Zimmer«, nuschelte Ralph in seine Cornflakes.
»Lass sie nur nicht dort oben liegen«, ermahnte ihn Noreen. »Du weisst doch,wie s dir gehen kann.«
»Es geht ihm wie dem typischen Pantoffelhelden, Noreen«, bemerkte Cleve Houghton, zu ihnen an denTisch tretend. »Ralph braucht Bewegung, nicht diesen Krempel, mit dem du ihnvoll stopfst.«
»Du musst gerade reden«, versetzte Noreen mit einem viel sagenden Blick aufseinen Teller, der mit Bergen von Rührei, Bratwürstchen, gegrillten Tomaten undChampignons beladen war. »Wer im Glashaus sitzt, mein Lieber Für deine Arterienist das bestimmt nicht gut.«
»Ich bin heute Morgen schon zwölf Kilometer gelaufen«, entgegnete Cleve. »Bis nach Grantchester,und ganz ohne zu keuchen. Meine Arterien sind in bester Verfassung, danke. Ihranderen solltet es auch mal mit Laufen probieren. Es ist wirklich dergesündeste Sport, den es gibt.« Er warf den Kopf in den Nacken, dass sein Haarflog - eine dunkle Mähne, auf die jeder Mann von fünfzig Jahren hätte stolzsein können -, und gewahrte Polly Simpson, die gerade den Speisesaal betrat.»Der zweitgesündeste«, korrigierte er sich und lächelte Polly mit halbverschleiertem Blick träge zu.
Noreen kicherte affektiert. »Du meine Güte, Cleve.Ein bisschen Zurückhaltung. So viel ich weiss, ist sie schon vergeben. Auch wennich jemanden kenne, der ihr das nicht verzeiht.« Noreen nutzte ihre eigeneBemerkung, um auf das Thema zurückzukommen, das sie bereits vor Cleves Erscheinen abgehandelt hatte. Diesmal jedoch gab sienoch ein paar zusätzliche Überlegungen des Inhalts zum Besten, dass Polly Simpsondie geborene Unruhestifterin sei und sie - Noreen - vom ersten Tag gewussthabe, dass »die Kleine« Zwietracht in dieser oder jener Form unter ihnen säenwerde. Es liege ja auf der Hand: Wenn Polly nicht gerade damit beschäftigt sei,sich bei der Dozentin einzuschleimen, indem sie sämtliche Dias, die dieselangweilige Person ihren Studenten zumutete, mit Bewunderungsrufen kommentierte- zweifellos um eine bessere Abschlussnote herauszuschlagen -, mache sie sichgarantiert an irgendeinen Mann heran. Mochte sie selbst noch so nachdrücklichbehaupten, diese Annäherungsversuche wären rein freundschaftlicher Natur, jederkönne sehen, wie aufreizend sie seien.
»Es würde mich wirklich interessieren, was sie im Schilde führt«, sagte Noreenzu denen, die an dieser Stelle noch bereit waren, ihr zuzuhören. «Abend fürAbend glucken die beiden zusammen, sie und Sam Cleary.Was tun sie die ganze Zeit? Mir kann keiner erzählen, dass die sich über Blumenunterhalten. Die machen Pläne für die Zeit danach. Gemeinsame Pläne,wohlgemerkt.«
Zu Kommentaren blieb keine Zeit, da schnellen Schritts Polly Simpson nahte, inden Händen ein Tablett mit einem frugalen Frühstück, das aus einer Banane undeiner Tasse Kaffee bestand. Sie trug wie immer ihren Fotoapparat um den Hals, undnachdem sie ihr Tablett abgestellt hatte, ging sie zum Ende des Tischs und nahmdie Gruppe beim Frühstück ins Visier. Noch am Nachmittag der ersten Sitzunghatte Polly sich zur offiziellen Chronistin des Sommerseminars erklärt und ihreAufgabe seither absolut ernst genommen. »Glaubt es mir nur, ihr werdet das alsAndenken noch zu schätzen wissen«, pflegte sie zu sagen, wann immer siejemanden aufs Korn nahm. »Ich verspreche es euch. Es ist noch nie vorgekommen,dass jemand meine Fotos nicht gemocht hat.«
»Lieber Gott, Polly, doch nicht jetzt«, beschwerte sich Cleve,als die junge Frau am anderen Ende des Frühstückstischs ihren Apparateinstellte, aber er brachte seine Beschwerde in nachsichtig gutmütigem Ton vor,und keinem der Anwesenden entging, dass er sich mit einer Hand kurz die volleMähne zauste, um ihr den lässigen Touch zu geben, der ihn wieder wie dreissigwirken lassen würde.
»Wir sind noch nicht vollzählig, Polly«, bemerkte Noreen, »und du möchtest dochbestimmt den ganzen Kurs auf dem Bild haben, nicht wahr?«
Polly sah sich um. Dann lächelte sie. »Na bitte, da kommen Emily und Howard«,stellte sie fest. »Jetzt haben wir fast alle beisammen.«
»Bis auf die Wichtigsten«, entgegnete Noreen, die einfach nicht locker lassenwollte, als die beiden anderen Seminarteilnehmer sich zu ihnen gesellten.»Willst du nicht auf Sam und Frances warten?«
»Ach nein, es brauchen ja nicht unbedingt alle auf dem Bild zu sein«, erklärtePolly, als bemerkte sie die Spitze in Noreens Frage nicht.
»Trotzdem «, murmelte Noreen und fragte Emily Guy und Howard Breen - ein Pärchen aus San Francisco, das sich gleich amersten Tag in Cambridge gesucht und gefunden hatte -, ob sie im L-Flügel, wosie alle ihre Zimmer hatten, nicht vielleicht Sam oder Frances begegnet seien.»Die beiden haben ja letzte Nacht kaum ein Auge zugetan«, fügte sie mit einembedeutungsvollen Blick in Pollys Richtung hinzu. »Vielleicht haben sieverschlafen.«
»So wie Howard heute Morgen in der Dusche gejodelt hat, ganz sicher nicht«,erwiderte Emily. »Ich hab ihn zwei Stockwerke höher gehört.«
»Tja, bei mir beginnt kein Tag ohne eine Huldigung an Barbra«,erklärte Howard.
Noreen unterband den drohenden Themawechsel, der ihrgar nicht in den Kram passte, mit der Bemerkung: »Ach was! Und ich dachte, beiKerlen deiner Couleur wäre Bette Midler die grosse Nummer.«
Betretenes Schweigen breitete sich rund um den Frühstückstisch aus. Polly, derder Mund offen geblieben war, senkte ihren Fotoapparat. Emily Guy krauste dieStirn wie die Unschuld vom Lande und tat so, als verstünde sie NoreensAnspielung nicht. Cleve Houghtonprustete verhalten, ohne einen Moment die Pose des Vollblutmanns aufzugeben.Und Ralph Tucker löffelte ungerührt seine Cornflakes weiter.
Howard selbst brach schliesslich das Schweigen. »Bette Midler?«, sagte er.»Nein! Die gute Bette mag ich nur, wenn ich meine Netzstrümpfe und die hohenHacken trage, Noreen. Und damit kann ich mich nicht unter die Dusche stellen.Wasser ist ganz schlecht für Lackleder.«
Polly kicherte, Emily lächelte und Cleve starrteHoward volle zehn Sekunden lang an, bevor er beifällig wieherte. »Na, dasmöchte ich wirklich mal sehen - dich in Netzstrümpfen und hohen Hacken!«
»Alles zu seiner Zeit«, entgegnete Howard. »Erst muss ich frühstücken.«
Auch Noreen Tucker hätte sich also durchaus als Ziel eines mörderischenAnschlags angeboten, nicht wahr? Sie stocherte mit Vorliebe in Wespennesternherum und wusste kaum etwas Befriedigenderes, als dieBrut so richtig in Rage zu bringen. Dabei war ihr aber nicht klar, was sie tat.Sie hatte, ungeachtet der Nebenwirkungen ihrer Sticheleien, nur ein Ziel imAuge: Bei jedem Gespräch das Thema zu bestimmen, weil sie dann den Lauf desGesprächs dirigieren und so stets die Nase vorn haben konnte. Die Nase vornhaben hiess, im Mittelpunkt stehen. Und wenigstens hier in Cambridge imMittelpunkt zu stehen, das entschädigte ein wenig dafür, dass sie nirgendssonst dieses Glück genoss.
Das Problem war Victoria Wilder-Scott, die Dozentin, eine konfuse Person, diemit Vorliebe in Khakiblusen und karierten Baumwollröcken herumlief und bei denSeminardiskussionen unweigerlich und sicher nicht absichtlich so sass, dass ihrjeder bis Gott weiss wohin unter den Rock sehen konnte. Victoria ging es einzigdarum, ihnen die Köpfe mit Detailwissen über britische Architektur vollzustopfen. Der Klatsch, der bei den Sommerkursenanfiel, interessierte sie nicht im Geringsten.
Sie und Noreen waren einander von Anfang an nicht sympathisch gewesen undfochten seit dem ersten Tag einen höflichen aber erbitterten Kampf um dieVorherrschaft im Klassenzimmer aus. Noreen versuchte beharrlich, sie mitpenetranten und im Allgemeinen absurden Fragen über das Privatleben derArchitekten, mit deren Werken sie sich befassten, auf Nebengleise zu locken: ObChristopher Wren die barocken Formen, die er seinenBauten gegeben hatte, auch bei Frauen bevorzugt habe. Ob sich hinter Adamsstreng klassizistischer Bauweise vielleicht eine unbezwingbar sinnliche Naturverberge. Doch Victoria Wilder-Scott pflegte Noreen nur mit leerem Blickanzustarren, wie jemand, der auf eine Übersetzung wartet, und die Fragen dannmit einem »Ja, hm « wegzufegen wie eine lästige Mücke.
Vom ersten Unterrichtstag an war es ihr ein Anliegen gewesen, die Teilnehmerihres Seminars über die Geschichte der britischen Architektur auf den Besuchvon Abinger Manorvorzubereiten. Das alte Herrenhaus im Herzen des ländlichen Buckinghamshirevereinte in sich alle in Grossbritannien bekannten architektonischenStilrichtungen und war zugleich eine Fundgrube an kulturellen Schätzen, die vomkostbaren Rokokosilber bis zu Gemälden von der Hand englischer, flämischer unditalienischer Meister reichten. Victoria zeigte ihrer Gruppe eine endlose Folgevon Dias - gewölbte Decken, verzierte Giebel, Marmorsäulen mit vergoldetenKapitellen, kunstvoll gemeisselte Wasserspeier und gezähnte Gesimse - und wenndie Gehirne ihrer Schüler mit architektonischen Details gesättigt waren,speiste sie sie zum Nachtisch mit Dias von Porzellan, Silber, Skulpturen,Gobelins und Möbeln. Dieser Landsitz, Abinger Manor, erklärte sie ihnen, sei das Kronjuwel englischerHerrenhäuser. Es war erst seit kurzem der Öffentlichkeit zugänglich gemachtworden, und wer es besichtigen wollte und nicht das Glück hatte, in einemeinschlägigen Sommerseminar an der Universität Cambridge eingeschrieben zusein, musste mit einer Wartezeit von mindestens zwölf Monaten rechnen, immervorausgesetzt, er war gewillt, sich tagelang ans Telefon zu hängen, umüberhaupt zur Anmeldung durchzukommen.
»Internet-Buchungen und ähnlichen Unsinn gibt es in AbingerManor nicht«, teilte Victoria Scott-Wilder ihnen mit.»Hier hält man an den alten Sitten fest.« Die selbstverständlich die einzigrichtigen waren.
Übersetzung:Mechtild Sandberg-Ciletti
© Blanvalet Verlag
Autoren-Porträt von Elizabeth George
DieAmerikanerin Elizabeth George hatte von Jugend an ein ausgeprägtes Faible fürdie britische Krimitradition. Bereits in ihrem ersten Roman kombinierte siepsychologische Raffinesse mit einem unfehlbaren Sinn für Spannung und Dramatik:Gott schütze dieses Haus (dt. 1989) wurde mit mehreren namhaften Auszeichnungengewürdigt. Elizabeth George lebt in Huntington Beach, Kalifornien.
- Autor: Elizabeth George
- 2004, 320 Seiten, Masse: 11,5 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Dtsch. v. Mechtild Sandberg-Ciletti
- Übersetzer: Mechtild Sandberg-Ciletti
- Verlag: Goldmann
- ISBN-10: 3442457254
- ISBN-13: 9783442457250
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