Ständige Vertretung
Meine Jahre in Ost-Berlin
Fast sein ganzes Berufsleben stand im Zeichen der deutschen Teilung. Höhepunkt der Laufbahn Hans Otto Bräutigams war die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, die er von 1982 bis 1989 innehatte. Diese sehr persönlichen...
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Produktinformationen zu „Ständige Vertretung “
Fast sein ganzes Berufsleben stand im Zeichen der deutschen Teilung. Höhepunkt der Laufbahn Hans Otto Bräutigams war die Leitung der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR, die er von 1982 bis 1989 innehatte. Diese sehr persönlichen Erinnerungen spiegeln ein schwieriges Kapitel deutscher Zeitgeschichte.
Lese-Probe zu „Ständige Vertretung “
Ständige Vertretung von Hans Otto BräutigamIm Auswärtigen Amt
Im April 1969 trat ich im Auswärtigen Amt meinen Dienst im Referat für Deutschland- und Berlin-Politik an, wenig später Referat 210 genannt. Meine Frau mit unseren beiden Kindern blieb noch bis zu den Sommerferien in London, damit die Kinder dort ihr Schuljahr beenden konnten. Ich bezog für die Übergangszeit eine kleine möblierte Wohnung in Bad Godesberg, in Rheinnähe gelegen, sehr günstig für Spaziergänge am Rheinufer, die ich schon in meiner Bonner Studentenzeit gern unternommen hatte.
Das Referat befand sich im sechsten Stock des Auswärtigen Amtes. Mein Zimmer hatte gerade mal Platz für den Schreibtisch, einen Schrank und eine Sitzecke mit zwei ziemlich abgenutzten Sesseln. Doch ich fühlte mich dort nicht eingeengt, der Blick auf den Rhein mit den ruhig dahinziehenden Schiffen war mir wichtiger als die Einrichtung des Büros.
Leiter des Referats 210 war damals der »Vortragende Legationsrat 1. Klasse« Günter van Well . Als ich mich bei ihm vorstellte, hatte er wenig Zeit und sagte nur: »Kümmern Sie sich um Berlin, da wird es in nächster Zeit einiges zu tun geben.« Wie ich bald feststellte, erging sich van Well nie in langen Reden oder weitschweifi gen Analysen. Er hatte immer die aktuelle Situation mit ihren jeweiligen, auch den innenpolitischen Erfordernissen im Auge. Doktrinäres Denken war ihm fremd. Seine Stärke war es, sich rasch auf neue, unvorhergesehene Entwicklungen einzustellen und auch in Krisenlagen die Ruhe und Übersicht zu behalten. Seine Anweisungen für die tägliche Referatsarbeit waren knapp, er bestimmte die Linie, und wenn es wichtig war, telefonierte er kurz mit dem Abteilungsleiter, damals Ulrich Sahm , oder Staatssekretär Paul Frank . Die Umsetzung war dann Sache der Mitarbeiter.
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Seinem Arbeitsstil merkte man an, dass er im Zweiten Weltkrieg noch Soldat gewesen war, Fallschirmjäger, wie er einmal bemerkte.
Als ich 1969 in das Referat kam, stand die Verhinderung einer diplomatischen Anerkennung der DDR noch immer im Vordergrund der Deutschlandpolitik. Um diese Aufgabe kümmerte sich in erster Linie der stellvertretende Referatsleiter Wilhelm Lücking , den ich aus London kannte. Wenn irgendwo auf der Welt ein Einbruch in der Abwehrfront drohte, hängte er sich ans Telefon und beschwor die jeweilige Botschaft, sofort bei der Regierung zu intervenieren. Nahezu täglich schickte er Weisungen an die Auslandsvertretungen, bat, wenn nötig, die drei Alliierten mit einer besonderen Verantwortung für die deutsche Frage und Berlin (USA, Großbritannien und Frankreich) um Unterstützung, die in der Regel auch gewährt wurde, und prüfte mit den Kollegen der Wirtschaftsabteilung des Amtes die Möglichkeiten wirtschaftlicher Gegenmaßnahmen.
In diesem diplomatischen Grabenkampf hatte der Druck weiter zugenommen. Immer häufi ger konnte die Abwehrfront nur noch mit knapper Not gehalten werden. Lücking und van Well waren sich im Klaren darüber, dass die Zeit der »Hallstein-Doktrin«, der Nichtanerkennungspolitik, ablief. Gegenüber dem Außenminister und den Staatssekretären drängten sie darauf, rechtzeitig grundlegende Änderungen der Deutschlandpolitik einzuleiten, um eine schwere politische Niederlage abzuwenden.
Ich war im Referat 210 für Berlin-Fragen zuständig. Als ich meine Arbeit aufnahm, sagte mir van Well : »Machen Sie sich rasch mit den aktuellen Problemen vertraut und sehen Sie auch die Eventualfallplanung für eine Berlin-Krise an. Wer weiß, ob wir sie nicht in nächster Zeit brauchen werden.« Es handelte sich um Planungspapiere, die nach dem Bau der Mauer ausgearbeitet worden waren, um auf eine Berlin-Krise vorbereitet zu sein. Es ging darin in erster Linie um die Frage, wie sich die Alliierten und die Bundesregierung verhalten sollten, wenn die Zugangswege von Westdeutschland nach West- Berlin – die Achillesferse der Stadt – für West-Berliner, Bundesdeutsche oder sogar für alliiertes Personal gesperrt werden sollten. Auch für ernste Störungen der von den Alliierten benutzten Luftkorridore nach Berlin gab es eine Planung. Insgesamt handelte es sich um einen differenzierten Maßnahmenkatalog. Ich sah in den nächsten Wochen die Papiere durch. Einige waren nach wie vor wichtig, andere dagegen
überholt, unpraktikabel oder nebensächlich. In nahezu allen Fällen war unklar, welchen Status die Papiere der »Eventualplanung« hatten. Waren sie seinerzeit von den Regierungen gebilligt worden? Konnten sie im Krisenfall schnell in Weisungen umgesetzt werden? Wie standen die Alliierten, die an der Ausarbeitung maßgeblich beteiligt gewesen waren, heute dazu? Das Fazit meiner Prüfung war: Für den Fall einer Berlin-Krise, insbesondere der Sperrung der Zugangswege für West-Berliner und Bundesdeutsche, bestand große Unsicherheit, wie darauf reagiert werden sollte. Über diese Einschätzung unterrichtete ich van Well, der davon nicht überrascht war.
In den Jahren zuvor hatten die Studentenunruhen viele West-Berliner tief verunsichert. Die Wanderungsbilanz war inzwischen eindeutig negativ geworden. Immer mehr Menschen entschlossen sich, nach Westdeutschland zu gehen, um dort zu arbeiten oder jedenfalls auf der sicheren Seite zu sein. Andere besorgten sich »für alle Fälle« einen Zweitwohnsitz im Westen und ließen sich einen Bundespass ausstellen, der zudem noch den Vorteil hatte, dass man damit leichter zu einem Tagesaufenthalt nach Ost-Berlin fahren konnte. Auch der West-Berliner Wirtschaft ging es nicht gut. Die Investitionen in West-Berlin hatten einen Tiefstand erreicht. Neue Industrieansiedlungen, die die Stadt dringend brauchte, gab es kaum noch. Einige Großunternehmen verlegten Teile ihrer Produktion in den Westen und begründeten einen – ganz ungewöhnlichen – Doppelsitz in Berlin und Westdeutschland. Noch besorgniserregender war die Lage auf den Zugangswegen.
Hier betrieben die Grenzkontrolleure der DDR eine Politik der Nadelstiche und Pressionen. In bestimmten Situationen, zum Beispiel bei Sitzungen des Deutschen Bundestages in West-Berlin, die die DDR als illegal bezeichnete, wurde die Abfertigung an den Grenzüber gängen demonstrativ verzögert, manchmal für Stunden unterbrochen. Beim Warenverkehr war es fast noch schlimmer: Hier nahm die Abfertigung häufi g eine unkalkulierbar lange Zeit in Anspruch. Bestimmte Warengruppen wurden, weil sie angeblich für Rüstungszwecke geeignet seien, unter Hinweis auf die Demilitarisierungsbestimmungen in Berlin von den Zugangswegen ausgeschlossen. Insgesamt schätzten wir im Referat die Lage als höchst besorgniserregend ein. Ein schleichender Aushöhlungsprozess war im Gange, und es schien uns unerlässlich, die Lebensfähigkeit West-Berlins durch Vereinbarungen der Vier Mächte zu sichern.
Im Frühjahr 1969 erreichte der Nervenkrieg der DDR bei der Wahl des Bundespräsidenten in West-Berlin einen neuen Höhepunkt. Die DDR und die Sowjetunion verurteilten sie als eine schwerwiegende Verletzung des Viermächtestatus Berlins. Doch es gelang ihnen nicht, die Wahl zu verhindern. Zwar gab es Kontakte der Vier Mächte in dieser Frage, aber die Gespräche hatten kein Ergebnis. Die DDR war nicht bereit, als Gegenleistung für eine Beschränkung der Bundesaktivitäten in West-Berlin von den bis dahin praktizierten Behinderungen des Zugangs Abstand zu nehmen und entsprechende Zusicherungen zu machen.
…
© Verlag Hoffmann & Campe
Als ich 1969 in das Referat kam, stand die Verhinderung einer diplomatischen Anerkennung der DDR noch immer im Vordergrund der Deutschlandpolitik. Um diese Aufgabe kümmerte sich in erster Linie der stellvertretende Referatsleiter Wilhelm Lücking , den ich aus London kannte. Wenn irgendwo auf der Welt ein Einbruch in der Abwehrfront drohte, hängte er sich ans Telefon und beschwor die jeweilige Botschaft, sofort bei der Regierung zu intervenieren. Nahezu täglich schickte er Weisungen an die Auslandsvertretungen, bat, wenn nötig, die drei Alliierten mit einer besonderen Verantwortung für die deutsche Frage und Berlin (USA, Großbritannien und Frankreich) um Unterstützung, die in der Regel auch gewährt wurde, und prüfte mit den Kollegen der Wirtschaftsabteilung des Amtes die Möglichkeiten wirtschaftlicher Gegenmaßnahmen.
In diesem diplomatischen Grabenkampf hatte der Druck weiter zugenommen. Immer häufi ger konnte die Abwehrfront nur noch mit knapper Not gehalten werden. Lücking und van Well waren sich im Klaren darüber, dass die Zeit der »Hallstein-Doktrin«, der Nichtanerkennungspolitik, ablief. Gegenüber dem Außenminister und den Staatssekretären drängten sie darauf, rechtzeitig grundlegende Änderungen der Deutschlandpolitik einzuleiten, um eine schwere politische Niederlage abzuwenden.
Ich war im Referat 210 für Berlin-Fragen zuständig. Als ich meine Arbeit aufnahm, sagte mir van Well : »Machen Sie sich rasch mit den aktuellen Problemen vertraut und sehen Sie auch die Eventualfallplanung für eine Berlin-Krise an. Wer weiß, ob wir sie nicht in nächster Zeit brauchen werden.« Es handelte sich um Planungspapiere, die nach dem Bau der Mauer ausgearbeitet worden waren, um auf eine Berlin-Krise vorbereitet zu sein. Es ging darin in erster Linie um die Frage, wie sich die Alliierten und die Bundesregierung verhalten sollten, wenn die Zugangswege von Westdeutschland nach West- Berlin – die Achillesferse der Stadt – für West-Berliner, Bundesdeutsche oder sogar für alliiertes Personal gesperrt werden sollten. Auch für ernste Störungen der von den Alliierten benutzten Luftkorridore nach Berlin gab es eine Planung. Insgesamt handelte es sich um einen differenzierten Maßnahmenkatalog. Ich sah in den nächsten Wochen die Papiere durch. Einige waren nach wie vor wichtig, andere dagegen
überholt, unpraktikabel oder nebensächlich. In nahezu allen Fällen war unklar, welchen Status die Papiere der »Eventualplanung« hatten. Waren sie seinerzeit von den Regierungen gebilligt worden? Konnten sie im Krisenfall schnell in Weisungen umgesetzt werden? Wie standen die Alliierten, die an der Ausarbeitung maßgeblich beteiligt gewesen waren, heute dazu? Das Fazit meiner Prüfung war: Für den Fall einer Berlin-Krise, insbesondere der Sperrung der Zugangswege für West-Berliner und Bundesdeutsche, bestand große Unsicherheit, wie darauf reagiert werden sollte. Über diese Einschätzung unterrichtete ich van Well, der davon nicht überrascht war.
In den Jahren zuvor hatten die Studentenunruhen viele West-Berliner tief verunsichert. Die Wanderungsbilanz war inzwischen eindeutig negativ geworden. Immer mehr Menschen entschlossen sich, nach Westdeutschland zu gehen, um dort zu arbeiten oder jedenfalls auf der sicheren Seite zu sein. Andere besorgten sich »für alle Fälle« einen Zweitwohnsitz im Westen und ließen sich einen Bundespass ausstellen, der zudem noch den Vorteil hatte, dass man damit leichter zu einem Tagesaufenthalt nach Ost-Berlin fahren konnte. Auch der West-Berliner Wirtschaft ging es nicht gut. Die Investitionen in West-Berlin hatten einen Tiefstand erreicht. Neue Industrieansiedlungen, die die Stadt dringend brauchte, gab es kaum noch. Einige Großunternehmen verlegten Teile ihrer Produktion in den Westen und begründeten einen – ganz ungewöhnlichen – Doppelsitz in Berlin und Westdeutschland. Noch besorgniserregender war die Lage auf den Zugangswegen.
Hier betrieben die Grenzkontrolleure der DDR eine Politik der Nadelstiche und Pressionen. In bestimmten Situationen, zum Beispiel bei Sitzungen des Deutschen Bundestages in West-Berlin, die die DDR als illegal bezeichnete, wurde die Abfertigung an den Grenzüber gängen demonstrativ verzögert, manchmal für Stunden unterbrochen. Beim Warenverkehr war es fast noch schlimmer: Hier nahm die Abfertigung häufi g eine unkalkulierbar lange Zeit in Anspruch. Bestimmte Warengruppen wurden, weil sie angeblich für Rüstungszwecke geeignet seien, unter Hinweis auf die Demilitarisierungsbestimmungen in Berlin von den Zugangswegen ausgeschlossen. Insgesamt schätzten wir im Referat die Lage als höchst besorgniserregend ein. Ein schleichender Aushöhlungsprozess war im Gange, und es schien uns unerlässlich, die Lebensfähigkeit West-Berlins durch Vereinbarungen der Vier Mächte zu sichern.
Im Frühjahr 1969 erreichte der Nervenkrieg der DDR bei der Wahl des Bundespräsidenten in West-Berlin einen neuen Höhepunkt. Die DDR und die Sowjetunion verurteilten sie als eine schwerwiegende Verletzung des Viermächtestatus Berlins. Doch es gelang ihnen nicht, die Wahl zu verhindern. Zwar gab es Kontakte der Vier Mächte in dieser Frage, aber die Gespräche hatten kein Ergebnis. Die DDR war nicht bereit, als Gegenleistung für eine Beschränkung der Bundesaktivitäten in West-Berlin von den bis dahin praktizierten Behinderungen des Zugangs Abstand zu nehmen und entsprechende Zusicherungen zu machen.
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© Verlag Hoffmann & Campe
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Autoren-Porträt von Hans Otto Bräutigam
Hans Otto Bräutigam wurde 1931 in Völklingen an der Saar geboren. Nach dem Studium der Rechtswissenschaften und der Promotion arbeitete er ab 1962 im Bonner Auswärtigen Amt, dann im Bundeskanzleramt und wurde 1982 als Staatssekretär Leiter der Ständigen Vertretung der Bundesrepublik Deutschland in der DDR. Nach einer kurzen Zeit als deutscher UN-Botschafter in New York (1989/90) holte ihn Manfred Stolpe als Minister für Justiz, Bundes- und Europaangelegenheiten nach Brandenburg, wo er bis 1999 tätig war. Er lebt mit seiner Frau in Berlin.
Bibliographische Angaben
- Autor: Hans Otto Bräutigam
- 2009, 1, mit Abbildungen, Masse: 14,5 x 21,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Hoffmann und Campe
- ISBN-10: 3455500994
- ISBN-13: 9783455500998
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