Rudernde Hunde
Das ist der Stoff, aus dem diese wunderbar klugen Alltagsgeschichten des Erzählerduos Elke Heidenreich und Bernd...
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Das ist der Stoff, aus dem diese wunderbar klugen Alltagsgeschichten des Erzählerduos Elke Heidenreich und Bernd Schroeder gestrickt sind.
Humorvoll, geistreich, lesenswert und auch ein wundervoller Geschenktipp!
LESEPROBE Rudernde Hunde
KARNEVAL, BITTERKALT, ich glaube, es war 1982. Ich glaube sogar, es war derRosenmontag. Walter und ich waren tatsächlich auf einem Kostümfest gewesen, seltengenug, wir hassten den Karneval, aber um ihn wirklich zu hassen, muss man ihn jaschliesslich auch mal mitgemacht haben. Walter trug ein Bärenkostüm, ich gingals Panzerknacker in Gestreift mit Nummer auf der Brust und Pappkugel am Bein.Wir kamen um Viertel nach eins in der Nacht nach Hause, leicht angetrunken,verfroren, es schneite wieder. Ich freute mich auf ein letztes Glas Sekt in derwarmen Badewanne und auf mein Bett.
Aber es kamanders. An diesem Abend sollten Heinz und Fritz in mein Leben treten.
Wir fandenauf der Matte zu unserer Wohnung einen Zettel der Nachbarin, die währendunserer Abwesenheit nach dem Hund geschaut hatte und auch einmal mit ihm rausgegangenwar.
»Telefonhat geklingelt«, schrieb sie, »ein Albert aus Paris. Er fährt mit demOrientexpress heute nacht nach München, und sein Zug hat genau um zwei Uhr dreieine Minute (i Minute!) Aufenthalt hier. Ihr sollt bitte unbedingt an den Zugkommen, es wäre wahnsinnig wichtig. «
Das warnoch nicht die Zeit der Handys. Der Zug von Paris nach München war jetztunterwegs, Albert sass drin und würde in weniger als einer Stunde eine einzigeMinute auf unserm Bahnhof sein. Was tun?
Albert warmein ältester und bester Freund. Gut, er war mehr als ein Freund gewesen - ichhatte einige Zeit mit ihm zusammen gewohnt, das Bett mit ihm und seinem LabradorWilli, das Bad mit ihm und seinem grünen, zahmen Leguan Theo, die Küche mitihm und dem Kakadu Ernst-August geteilt. Es war ein chaotischer Haushalt, es wareine chaotische Zeit gewesen, und wir hatten uns, glaube ich, sogar ein bisschengeliebt. Aber ich bin wegen des Chaos dann doch eines Tages ausgezogen, nur umzu merken, dass mich diese Zeit mit Albert auf ewig für bürgerlicheLebensumstände mit Schrankwand, Sitzgruppe, Auslegeware, Ordnung, Sauberkeitund Frische verdorben hatte. Ich war in all dem Durcheinander sehr glücklich gewesen,aber das habe ich erst hinterher gemerkt.
Walterliebte die Ordnung, vor allem auf seinem Schreibtisch und in der Küche war sieihm unerlässlich. Albert gegenüber war Walter freundlich, auch nichtnachträglich eifersüchtig, aber doch etwas reserviert. Albert, behauptete er,unterstütze meine fatale Neigung zu überbordender Phantasie, zu Leichtlebigkeitund Durcheinander in Haus und Kopf, und er kam nicht darüber hinweg, dass Albertmir nie die zweitausend Mark zurückgegeben hatte, die ich ihm - noch vor demZusammenleben mit Walter! - geliehen hatte. Dabei war es mein Geld gewesen,nicht seines, und ich mochte Albert nicht daran erinnern, denn er war mit mirimmer grosszügig gewesen und es hatte oft genug schon zum Frühstück Champagnerund statt Mittagessen teure Trüffeltorte gegeben, und er hatte immer alles bezahlt.Also konnte ich ihm aus einer momentanen Notlage sehr wohl auch einmalheraushelfen, ohne das Geld gleich wieder einzuklagen. Für Walter waren dassogenannte undurchsichtige Verhältnisse, und als er mich ein mal an einemleichtsinnigen Abend gefragt hatte, ob wir nicht heiraten sollten, hatte ichschaudernd gedacht: das wären dann durchsichtige Verhältnisse! und hatte NEIN gesagt. Seitdem hatten wir darübernie wieder gesprochen.
Albert sahich nur selten, wir telefonierten manchmal, und nun hatte er also angerufen,mitten in der Nacht. Es war völlig klar: er brauchte uns, mich, er war in Not.
»Er istkrank«, sagte ich, »er musste unbedingt auf diesen Zug, aber er ist krank. Erhat Schmerzen, Fieber, ihm ist schlecht. Er braucht Aspirin. Er braucht heissenTee, er braucht ein Antibiotikum, er braucht Halspastillen und Hustensaft. «
»GrundguterHimmel«, sagte Walter, »mach doch nicht so ein Theater. Krank! Was der braucht,ist wahrscheinlich Geld. Er wird in Paris alles rausgehauen haben und sitztjetzt pleite im Zug und kann morgen früh nicht mal das Taxi zahlen. Der brauchtGeld, sonst braucht der gar nichts. «
Ich zog esvor, darauf lieber nicht zu antworten, und band mir die Kugel vom Bein. Schlussmit Panzerknacker, jetzt war Fürsorge gefragt.
»Zahnschmerzen«,sagte ich, »er hat vielleicht Zahnschmerzen und braucht Zahnschmerztabletten,nach denen man schlafen kann, Dolomo Nacht, die blauen.«
Alberthatte ein prächtiges Gebiss, aber man weiss ja nie, und Walters Zähne bröckeltentäglich schmerzhaft vor sich hin, Zahnschmerztabletten hatten wir immer imHaus, also, warum nicht, vorsichtshalber? Ich begann, eine Tasche zu packen.Aspirin, Hustensaft, Dolomo, ich kochte Tee und füllte ihn in die Thermoskanne,und eine Wärmflasche präparierte ich auch. Walter sass im Bärenkostüm, allerdingsjetzt ohne Kopf, am Tisch und sah mir zu.
© CarlHanser Verlag München Wien 2002
- Autoren: Elke Heidenreich , Bernd Schroeder
- 2005, 7. Auflage, 208 Seiten, Masse: 12,3 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: FISCHER Taschenbuch
- ISBN-10: 3596158796
- ISBN-13: 9783596158799
- Erscheinungsdatum: 14.12.2004
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