Retten wir den Euro!
Retten Europas Regierungen den Euro zu Tode? Die Konstruktionsfehler der EU werden durch die Euro-Krise deutlich sichtbar. Christian Felber setzt sich in seinem neuen, brandaktuellen Buch für die Tilgung der Staatsschulden über EU-weite Finanztransaktions-,...
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Produktinformationen zu „Retten wir den Euro! “
Klappentext zu „Retten wir den Euro! “
Retten Europas Regierungen den Euro zu Tode? Die Konstruktionsfehler der EU werden durch die Euro-Krise deutlich sichtbar. Christian Felber setzt sich in seinem neuen, brandaktuellen Buch für die Tilgung der Staatsschulden über EU-weite Finanztransaktions-, Vermögens- und Gewinnsteuern ein. Eine Strategie, die endlich die Verursacher und Profiteure der Krise in die Pflicht nehmen und ihnen letztlich sogar nützen würde. Aber er geht auch der Frage nach, ob die Einheitswährung überhaupt von Vorteil ist beziehungsweise welche Alternativen es gibt. Und er fordert, dass die fatalen Konstruktionsfehler der Europäischen Union - Standortkonkurrenz, freier Kapitalverkehr ohne Sozialstaat, Demokratiedefizit - ins Zentrum der Debatte gerückt werden.
Lese-Probe zu „Retten wir den Euro! “
Retten wir den Euro! von Christian FelberII. Offizielle Strategien retten den Euro nicht
Für die akute Euro-Krise, für den Umgang mit Staatsschulden,gibt es systematisch betrachtet vier Lösungen:
A. die Schulden werden von anderen teilweise oder ganzübernommen (Rettungsschirm);
B. die Schulden werden teilweise oder ganz gestrichen(Haircut, Insolvenz);
C. die Schulden werden gezielt inflationiert;
D. die Schulden werden zurückgezahlt (über EU-weiteSteuern).
Die direkteste und gerechteste Lösung wäre eine Staatsinsolvenz, in der Geschichte nichts Neues. Doch in Zeiten systemrelevanter Banken geht das nicht so einfach oder gar nicht, was im Folgenden ausführlich begründet wird. Die von den Regierungen gewählte Lösung, die teilweise Übernahme der Schulden durch andere, löst nicht nur das Problem nicht, sondern weitet es auf die gesamte Eurozone aus und zieht - früher oder später - die Eurozone als Ganze in die Insolvenz. Die dritte Möglichkeit, Inflation, wird kaum Begeisterung hervorrufen, gewinnt aber - leider - zunehmend an Wahrscheinlichkeit: Im besten Fall führt er zur Entwertung aller Ersparnisse; im schlechtesten zu einer Währungsreform, zu D-Mark und Schilling. Der vierte Weg wäre die Tilgung der Schulden über EUweite Steuerkooperation.
Diese Lösung wird jedoch von den Regierungen boykottiert, denn sie setzt einen Tabubruch voraus: die Besteuerung der Vermögenden. Es scheint, dass die politische Elite lieber den Euro und vielleicht auch die EU auseinanderbrechen lässt - und damit den Vermögenden vermutlich viel mehr schadet -, als dieses Tabu zu brechen. Wir gehen die Rettungsvarianten der Reihe nach durch.
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1. Vergrößerung des Rettungsschirms »Rettungsschirm« ist eine kuriose Metapher. Denn ein solcher wird in der Realität jemandem umgeschnallt, die/der sonst im freien Fall am Boden aufprallen würde, hat aber sonst keine Auswirkungen auf Dritte. Selbst wenn die Rettung nicht glückt, weil zum Beispiel der Schirm reißt, verunglückt nur diejenige Person, die gerettet werden sollte - alle anderen bleiben heil. Ein finanzieller Rettungsschirm kann hingegen die RetterInnen mit in die Tiefe reißen. Davon abgesehen wird ein Fallschirm weder »aufgespannt«, noch »beschirmt« er irgendjemanden: Die Metapher hinkt. Bei der Rettung der Problemländer wiederholen die EU-Staaten ihre Lieblingsnummer: die »Lösung« des Problems durch die Erhöhung von Staatsschulden. Die Uraufführung dieser Strategie erlebten wir bei der Bankenrettung 2008 (Runde 1). Private Schulden wurden kurzerhand vergesellschaftet. Beispielsweise erhielt die zu hundert Prozent private Hypo Real Estate von den deutschen SteuerzahlerInnen Haftungen über rund 130 Milliarden Euro sowie direkte Zuschüsse von rund zwanzig Milliarden Euro. In manchen Fällen werden die Eigenkapitalbeteiligungen zurückgezahlt, in manchen Fällen bleiben sie unverzinst, in manchen Fällen erhöht sich schlicht die betreffende Staatsschuld. In vielen Fällen sind die Garantien unverändert aufrecht, so garantierten die österreichischen SteuerzahlerInnen Mitte 2011 für Emissionen der Erste Group Bank AG im Wert von 2,5 Milliarden Euro, für Emissionen der Raiffeisen Bank International AG mit 2,75 Milliarden Euro sowie für Emissionen der Österreichischen Volksbanken-AG mit drei Milliarden Euro.1. Die ersten Rettungsschirme waren (und sind) Bankenauffangschirme. Dieselbe Methode wandten die Regierungen auf den ersten Staat an, der von Zahlungsunfähigkeit bedroht war. Das Rettungspaket für Griechenland (Runde 2) war eine bilaterale Hilfe von befreundeten Nationalstaaten. Denn den EU-Staaten ist es, wie schon erwähnt, verboten, sich gegenseitig finanziell unter die Arme zu greifen, das verbietet Artikel 125 VAEU. Doch Papier ist geduldig, bald nach der bilateralen Hilfe wurde die »Europäische Finanzstabilisierungsfazilität« (EFSF) geschaffen: der erste EU-Rettungsschirm für Griechenland & Co. (Runde 3). Doch dieser Schirm war alsbald zu klein - ein Teil des Geldes muss als Sicherheit hinterlegt werden, damit der Rest die Höchstnote »AAA« erhält - und wurde aufgestockt auf 440 Milliarden Euro »netto«. Deutschland haftet allein für diesen Schirm mit bis zu 400 Milliarden Euro 2., Österreich mit bis zu vierzig Milliarden. Das war bereits die Runde 4 in der Staatsschuldenausweitung. Und das ist noch nicht das Ende: Auf Empfehlung der EZB forderte EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso kurz nach Beschluss von Runde 4 eine neuerliche Erweiterung auf 1,5 Billionen Euro. Aus nachvollziehbaren Gründen: 440 Milliarden Euro reichen - vorläufig - für Griechenland, Irland und Portugal (je rund 100 Milliarden), aber für kein größeres Land wie Spanien oder Italien. Würde Spanien ein - gemessen an seiner Wirtschaftsleistung - gleich großes Rettungspaket in Anspruch nehmen wie Griechenland, Portugal oder Irland, wären das 700 bis 800 Milliarden Euro, im Falle Italiens rund 900 Milliarden Euro. Der überspannte Schirm würde reißen oder müsste vergrößert werden. Weitere Vergrößerungen gehen aber nicht ewig: Die »starken« Länder können die Schwachen bis zu einer gewissen Belastungsgrenze mittragen, irgendwann versinken alle gemeinsam. Das Rettungsschirmaufspannen führt tendenziell in die Gesamtinsolvenz der Eurozone.
Auch wenn der Tod schleichend kommt. Der vergrößerte Rettungsschirm erhielt vorerst eine ganze Reihe zusätzlicher Kompetenzen: Er darf Staatsanleihen sowohl direkt bei der Auktion auf dem »Primärmarkt« als auch auf dem Sekundärmarkt von anderen InhaberInnen aufkaufen. (Zweiteres bedeutet, dass privaten Gläubigern, die nicht mehr an die Rückzahlung dieser Schuldentitel glauben, die Last abgenommen wird: Auch auf diesem Wege werden also private Verluste sozialisiert.) Außerdem darf er Banken direkt »refinanzieren«, das heißt mit Eigenkapital versorgen. Damit wird das oft vermutete Motiv hinter dem Euro-Rettungsschirm, er sei ein weiterer indirekter Rettungsschirm für Banken, zu seiner expliziten Aufgabe. (Im September 2011 hielten Europas wichtigste Banken immer noch knapp hundert Milliarden Euro griechische Staatsanleihen.) Für systemrelevante Banken gibt es damit neben den nationalen Rettungsschirmen jetzt zusätzlich eine EUweite öffentliche Gratis-Bankenversicherung. Der IWF befürchtete Mitte 2011, dass der Rekapitalisierungsbedarf großer europäischer Banken (aufgrund von Abschreibungen maroder Staatsanleihen) bis zu 300 Milliarden Euro betrage und dass diese Mengen »nicht von privaten Kapitalgebern allein« gestemmt werden können. Erneut kommen also die SteuerzahlerInnen zum Handkuss. Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass allein die zehn größten deutschen Banken 127 Milliarden Euro bräuchten, um die Eigenkapitalquote auf nur fünf (!) Prozent anzuheben. Die große Bankenrettung steht offenbar erst bevor.
Auf dem EU-Gipfel Ende Oktober 2011 wurde Barrosos Hebel-Forderung beschlossen. Größenordnungen zwischen einer und zwei Billionen Euro sind in Diskussion. Zu Redaktionsschluss kursierten noch zwei von fünf »Hebel«- Varianten: 1. Die EFSF garantiert neu emittierte Staatsanleihen zu zwanzig Prozent. Dadurch würden manche Private es wagen, diese zu kaufen, weil sie bei einem Haircut von nur zwanzig Prozent »eben« ausstiegen. Diese Variante wäre eine Verfünffachung des für teilgarantierte Staatsanleihen eingesetzten Kapitals, aber keine Verfünffachung des gesamten EU-Rettungskapitals. 2. Öffentliche und private Gläubiger tun sich zusammen und bilden eine Art »Public Private Partnership« bei der Finanzierung von Staaten. Viel Glück!
Die Alternative zur Hebelverstärkung ist eine neuerliche Ausweitung der Rettungsschirm-Substanz. Und Schirm- Runde ist längst auf Schiene: Ab Juni 2013 soll die EFSF in den permantenten Stabilitätsmechanismus ESM umgewandelt werden. Wie erwähnt, würde das Grundkapital dieses Dauerschirms 700 Milliarden Euro betragen, doch kann das Grundkapital geändert werden, wenn das Töpfchen für all die zu Rettenden zu klein wird. Das sieht der Vertragsentwurf vor. Fraglich ist, ob es zu diesem Schirm- Topf kommt. Denn ohne Änderung der EU-Verträge wird ein Dauermechanismus kaum durchgesetzt werden können, und Vertragsänderungen sind nur noch unter weitgehender Ausschaltung der Demokratie möglich.
Tränengas bringt keine Lösung - Sparen führt in die Rezession Davon unbeeindruckt erwecken die (EFS-, EFSF-, ESM-) Schirmherren und -frauen den Eindruck, der Schirm brächte die »Lösung« der Schuldenkrise. Selbst ein erfahrener Banker wie Raiffeisen-Kaiser Christian Konrad meinte: »Der Euro-Rettungsschirm ist ein wichtiges Instrument für die Sanierung der öffentlichen Haushalte in Europa.« Doch durch den Schirm allein verringert sich die Staatsschuld keines der beschirmten Länder auch nur um einen Cent. Im Gegenteil: Der Schirm besteht seinerseits aus Krediten und erhöht somit nicht nur die Staatsschulden derer, die unter den Schirm schlüpfen, sondern auch jener, die ihn aufspannen. Die AufspannerInnen verlangen von den SchirmanschnallerInnen die Umsetzung harter Maßnahmen: sparen, sparen, sparen - und dazu Privatisierungen. Doch Sparen hat noch kein Land aus der Rezession geholt, im Gegenteil: Geht es einem Patienten schlecht, wird es nicht viel bringen, die Nahrungs- oder Sauerstoffzufuhr zu drosseln. Bei Griechenland wurde das neben anderen von mir vorhergesagt, und die Prognose ist eingetroffen: 2010 schrumpfte Griechenland infolge der neoliberalen »Verschlimmerungskur « um 4,5 Prozent (EU: plus 1,8 Prozent), für 2011 erwartet die Regierung einen noch deutlicheren Rückgang des BIP von über fünf Prozent (EU: plus 1,9 Prozent). Auch 2012 soll die Rezession fortdauern. Im ersten Halbjahr 2011 beschleunigte sich die Schrumpfung auf 7,7 Prozent. Dass ein Sparprogramm in der Krise in die Rezession führt, wird jetzt langsam auch einigen konservativen PolitikerInnen klar: »Durch Sparen allein hat man noch nie Schulden reduziert«, meint etwa EVP-Vorstandsmitglied Elmar Brok. Das Unappetitliche an dieser Rosskur: Den GriechInnen wird die Verantwortung für ihre missliche Lage in die Schuhe geschoben, am penetrantesten von denen, die sich durch aggressive Exportpolitik auf Kosten Griechenlands Wettbewerbsvorteile verschafft haben. In Deutschland wird das Klischee genährt, dass die »fleißigen « Deutschen die »faulen« GriechInnen mitfinanzieren. »Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxusrenten?«, titelte die Bild-Zeitung.
Noch unappetitlicher wird die Sündenbock-Rhetorik vor dem Hintergrund, dass Deutschland vor nicht einmal sechzig Jahren von 22 Staaten, darunter Griechenland, seine (Kriegs-)Schulden erlassen wurden. Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurden Deutschland fünfzig Prozent seiner Schuld erlassen. Der nicht erlassene Teil der Reparationszahlungen wurde ebenso wenig zurückgezahlt wie aufgenötigte Zwangskredite. Der französische Ökonom Jacques Delpla berechnet die akkumulierte Kriegsschuld Deutschlands gegenüber Griechenland auf 575 Milliarden Euro. Griechenland verlor im Zweiten Weltkrieg dreizehn Prozent seiner Bevölkerung, in absoluten Zahlen mehr als die USA und Großbritannien zusammen.15 Anstatt aber beide Seiten der Beziehung anzusehen, wird die Schuld einseitig den GriechInnen angelastet. Besonders die »kleinen Leute« in Griechenland müssen büßen:
• RentnerInnen, die ohnehin magere Renten bekommen;
• die Mehrwertsteuer wurde in zwei Stufen von 19 auf 23 Prozent angehoben. Für die Unter- und Mittelschicht, die ihr gesamtes Einkommen verkonsumiert, bedeutet allein diese Maßnahme einen Einkommensverlust von vier Prozent;
• Staatsbediensteten wurden die Gehälter oft um zwanzig Prozent gekürzt: Verdiente zum Beispiel ein/e MittelschullehrerIn nach dreißig geleisteten Dienstjahren vor der Krise 1800 Euro monatlich, so schrumpfte dieses Einkommen auf nunmehr 1500 Euro pro Monat;
• laut Medienberichten plant die griechische Regierung die Entlassung von 200000 der 700000 öffentlichen Bediensteten - Massenarbeitslosigkeit wäre die Folge; die Arbeitslosenrate schnellte bereits von 7,7 Prozent 2008 auf über 15 Prozent 2011;
• die Allgemeinheit wird ihres Eigentums an Eisenbahnen, Häfen und sogar des Staatsterritoriums beraubt.
Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Ulrich Blum, fordert »die Veräußerung von Staatseigentum bis hin zu ganzen Inseln«.
Auch wenn es Korruption und Privilegien gegeben haben mag - wo denn nicht? -, lenkt dies von der viel schlimmeren Tatsache ab, dass zahllose Menschen, die weder die Krise auf den Finanzmärkten ausgelöst noch das deutsche Lohndumping zu verantworten haben, jetzt die Suppe auslöffeln und schmerzliche Einschnitte hinnehmen müssen.
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
1. Vergrößerung des Rettungsschirms »Rettungsschirm« ist eine kuriose Metapher. Denn ein solcher wird in der Realität jemandem umgeschnallt, die/der sonst im freien Fall am Boden aufprallen würde, hat aber sonst keine Auswirkungen auf Dritte. Selbst wenn die Rettung nicht glückt, weil zum Beispiel der Schirm reißt, verunglückt nur diejenige Person, die gerettet werden sollte - alle anderen bleiben heil. Ein finanzieller Rettungsschirm kann hingegen die RetterInnen mit in die Tiefe reißen. Davon abgesehen wird ein Fallschirm weder »aufgespannt«, noch »beschirmt« er irgendjemanden: Die Metapher hinkt. Bei der Rettung der Problemländer wiederholen die EU-Staaten ihre Lieblingsnummer: die »Lösung« des Problems durch die Erhöhung von Staatsschulden. Die Uraufführung dieser Strategie erlebten wir bei der Bankenrettung 2008 (Runde 1). Private Schulden wurden kurzerhand vergesellschaftet. Beispielsweise erhielt die zu hundert Prozent private Hypo Real Estate von den deutschen SteuerzahlerInnen Haftungen über rund 130 Milliarden Euro sowie direkte Zuschüsse von rund zwanzig Milliarden Euro. In manchen Fällen werden die Eigenkapitalbeteiligungen zurückgezahlt, in manchen Fällen bleiben sie unverzinst, in manchen Fällen erhöht sich schlicht die betreffende Staatsschuld. In vielen Fällen sind die Garantien unverändert aufrecht, so garantierten die österreichischen SteuerzahlerInnen Mitte 2011 für Emissionen der Erste Group Bank AG im Wert von 2,5 Milliarden Euro, für Emissionen der Raiffeisen Bank International AG mit 2,75 Milliarden Euro sowie für Emissionen der Österreichischen Volksbanken-AG mit drei Milliarden Euro.1. Die ersten Rettungsschirme waren (und sind) Bankenauffangschirme. Dieselbe Methode wandten die Regierungen auf den ersten Staat an, der von Zahlungsunfähigkeit bedroht war. Das Rettungspaket für Griechenland (Runde 2) war eine bilaterale Hilfe von befreundeten Nationalstaaten. Denn den EU-Staaten ist es, wie schon erwähnt, verboten, sich gegenseitig finanziell unter die Arme zu greifen, das verbietet Artikel 125 VAEU. Doch Papier ist geduldig, bald nach der bilateralen Hilfe wurde die »Europäische Finanzstabilisierungsfazilität« (EFSF) geschaffen: der erste EU-Rettungsschirm für Griechenland & Co. (Runde 3). Doch dieser Schirm war alsbald zu klein - ein Teil des Geldes muss als Sicherheit hinterlegt werden, damit der Rest die Höchstnote »AAA« erhält - und wurde aufgestockt auf 440 Milliarden Euro »netto«. Deutschland haftet allein für diesen Schirm mit bis zu 400 Milliarden Euro 2., Österreich mit bis zu vierzig Milliarden. Das war bereits die Runde 4 in der Staatsschuldenausweitung. Und das ist noch nicht das Ende: Auf Empfehlung der EZB forderte EU-Kommissionspräsident Manuel Barroso kurz nach Beschluss von Runde 4 eine neuerliche Erweiterung auf 1,5 Billionen Euro. Aus nachvollziehbaren Gründen: 440 Milliarden Euro reichen - vorläufig - für Griechenland, Irland und Portugal (je rund 100 Milliarden), aber für kein größeres Land wie Spanien oder Italien. Würde Spanien ein - gemessen an seiner Wirtschaftsleistung - gleich großes Rettungspaket in Anspruch nehmen wie Griechenland, Portugal oder Irland, wären das 700 bis 800 Milliarden Euro, im Falle Italiens rund 900 Milliarden Euro. Der überspannte Schirm würde reißen oder müsste vergrößert werden. Weitere Vergrößerungen gehen aber nicht ewig: Die »starken« Länder können die Schwachen bis zu einer gewissen Belastungsgrenze mittragen, irgendwann versinken alle gemeinsam. Das Rettungsschirmaufspannen führt tendenziell in die Gesamtinsolvenz der Eurozone.
Auch wenn der Tod schleichend kommt. Der vergrößerte Rettungsschirm erhielt vorerst eine ganze Reihe zusätzlicher Kompetenzen: Er darf Staatsanleihen sowohl direkt bei der Auktion auf dem »Primärmarkt« als auch auf dem Sekundärmarkt von anderen InhaberInnen aufkaufen. (Zweiteres bedeutet, dass privaten Gläubigern, die nicht mehr an die Rückzahlung dieser Schuldentitel glauben, die Last abgenommen wird: Auch auf diesem Wege werden also private Verluste sozialisiert.) Außerdem darf er Banken direkt »refinanzieren«, das heißt mit Eigenkapital versorgen. Damit wird das oft vermutete Motiv hinter dem Euro-Rettungsschirm, er sei ein weiterer indirekter Rettungsschirm für Banken, zu seiner expliziten Aufgabe. (Im September 2011 hielten Europas wichtigste Banken immer noch knapp hundert Milliarden Euro griechische Staatsanleihen.) Für systemrelevante Banken gibt es damit neben den nationalen Rettungsschirmen jetzt zusätzlich eine EUweite öffentliche Gratis-Bankenversicherung. Der IWF befürchtete Mitte 2011, dass der Rekapitalisierungsbedarf großer europäischer Banken (aufgrund von Abschreibungen maroder Staatsanleihen) bis zu 300 Milliarden Euro betrage und dass diese Mengen »nicht von privaten Kapitalgebern allein« gestemmt werden können. Erneut kommen also die SteuerzahlerInnen zum Handkuss. Dorothea Schäfer vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung hat ausgerechnet, dass allein die zehn größten deutschen Banken 127 Milliarden Euro bräuchten, um die Eigenkapitalquote auf nur fünf (!) Prozent anzuheben. Die große Bankenrettung steht offenbar erst bevor.
Auf dem EU-Gipfel Ende Oktober 2011 wurde Barrosos Hebel-Forderung beschlossen. Größenordnungen zwischen einer und zwei Billionen Euro sind in Diskussion. Zu Redaktionsschluss kursierten noch zwei von fünf »Hebel«- Varianten: 1. Die EFSF garantiert neu emittierte Staatsanleihen zu zwanzig Prozent. Dadurch würden manche Private es wagen, diese zu kaufen, weil sie bei einem Haircut von nur zwanzig Prozent »eben« ausstiegen. Diese Variante wäre eine Verfünffachung des für teilgarantierte Staatsanleihen eingesetzten Kapitals, aber keine Verfünffachung des gesamten EU-Rettungskapitals. 2. Öffentliche und private Gläubiger tun sich zusammen und bilden eine Art »Public Private Partnership« bei der Finanzierung von Staaten. Viel Glück!
Die Alternative zur Hebelverstärkung ist eine neuerliche Ausweitung der Rettungsschirm-Substanz. Und Schirm- Runde ist längst auf Schiene: Ab Juni 2013 soll die EFSF in den permantenten Stabilitätsmechanismus ESM umgewandelt werden. Wie erwähnt, würde das Grundkapital dieses Dauerschirms 700 Milliarden Euro betragen, doch kann das Grundkapital geändert werden, wenn das Töpfchen für all die zu Rettenden zu klein wird. Das sieht der Vertragsentwurf vor. Fraglich ist, ob es zu diesem Schirm- Topf kommt. Denn ohne Änderung der EU-Verträge wird ein Dauermechanismus kaum durchgesetzt werden können, und Vertragsänderungen sind nur noch unter weitgehender Ausschaltung der Demokratie möglich.
Tränengas bringt keine Lösung - Sparen führt in die Rezession Davon unbeeindruckt erwecken die (EFS-, EFSF-, ESM-) Schirmherren und -frauen den Eindruck, der Schirm brächte die »Lösung« der Schuldenkrise. Selbst ein erfahrener Banker wie Raiffeisen-Kaiser Christian Konrad meinte: »Der Euro-Rettungsschirm ist ein wichtiges Instrument für die Sanierung der öffentlichen Haushalte in Europa.« Doch durch den Schirm allein verringert sich die Staatsschuld keines der beschirmten Länder auch nur um einen Cent. Im Gegenteil: Der Schirm besteht seinerseits aus Krediten und erhöht somit nicht nur die Staatsschulden derer, die unter den Schirm schlüpfen, sondern auch jener, die ihn aufspannen. Die AufspannerInnen verlangen von den SchirmanschnallerInnen die Umsetzung harter Maßnahmen: sparen, sparen, sparen - und dazu Privatisierungen. Doch Sparen hat noch kein Land aus der Rezession geholt, im Gegenteil: Geht es einem Patienten schlecht, wird es nicht viel bringen, die Nahrungs- oder Sauerstoffzufuhr zu drosseln. Bei Griechenland wurde das neben anderen von mir vorhergesagt, und die Prognose ist eingetroffen: 2010 schrumpfte Griechenland infolge der neoliberalen »Verschlimmerungskur « um 4,5 Prozent (EU: plus 1,8 Prozent), für 2011 erwartet die Regierung einen noch deutlicheren Rückgang des BIP von über fünf Prozent (EU: plus 1,9 Prozent). Auch 2012 soll die Rezession fortdauern. Im ersten Halbjahr 2011 beschleunigte sich die Schrumpfung auf 7,7 Prozent. Dass ein Sparprogramm in der Krise in die Rezession führt, wird jetzt langsam auch einigen konservativen PolitikerInnen klar: »Durch Sparen allein hat man noch nie Schulden reduziert«, meint etwa EVP-Vorstandsmitglied Elmar Brok. Das Unappetitliche an dieser Rosskur: Den GriechInnen wird die Verantwortung für ihre missliche Lage in die Schuhe geschoben, am penetrantesten von denen, die sich durch aggressive Exportpolitik auf Kosten Griechenlands Wettbewerbsvorteile verschafft haben. In Deutschland wird das Klischee genährt, dass die »fleißigen « Deutschen die »faulen« GriechInnen mitfinanzieren. »Warum zahlen wir den Griechen ihre Luxusrenten?«, titelte die Bild-Zeitung.
Noch unappetitlicher wird die Sündenbock-Rhetorik vor dem Hintergrund, dass Deutschland vor nicht einmal sechzig Jahren von 22 Staaten, darunter Griechenland, seine (Kriegs-)Schulden erlassen wurden. Im Londoner Schuldenabkommen von 1953 wurden Deutschland fünfzig Prozent seiner Schuld erlassen. Der nicht erlassene Teil der Reparationszahlungen wurde ebenso wenig zurückgezahlt wie aufgenötigte Zwangskredite. Der französische Ökonom Jacques Delpla berechnet die akkumulierte Kriegsschuld Deutschlands gegenüber Griechenland auf 575 Milliarden Euro. Griechenland verlor im Zweiten Weltkrieg dreizehn Prozent seiner Bevölkerung, in absoluten Zahlen mehr als die USA und Großbritannien zusammen.15 Anstatt aber beide Seiten der Beziehung anzusehen, wird die Schuld einseitig den GriechInnen angelastet. Besonders die »kleinen Leute« in Griechenland müssen büßen:
• RentnerInnen, die ohnehin magere Renten bekommen;
• die Mehrwertsteuer wurde in zwei Stufen von 19 auf 23 Prozent angehoben. Für die Unter- und Mittelschicht, die ihr gesamtes Einkommen verkonsumiert, bedeutet allein diese Maßnahme einen Einkommensverlust von vier Prozent;
• Staatsbediensteten wurden die Gehälter oft um zwanzig Prozent gekürzt: Verdiente zum Beispiel ein/e MittelschullehrerIn nach dreißig geleisteten Dienstjahren vor der Krise 1800 Euro monatlich, so schrumpfte dieses Einkommen auf nunmehr 1500 Euro pro Monat;
• laut Medienberichten plant die griechische Regierung die Entlassung von 200000 der 700000 öffentlichen Bediensteten - Massenarbeitslosigkeit wäre die Folge; die Arbeitslosenrate schnellte bereits von 7,7 Prozent 2008 auf über 15 Prozent 2011;
• die Allgemeinheit wird ihres Eigentums an Eisenbahnen, Häfen und sogar des Staatsterritoriums beraubt.
Der Präsident des Instituts für Wirtschaftsforschung in Halle, Ulrich Blum, fordert »die Veräußerung von Staatseigentum bis hin zu ganzen Inseln«.
Auch wenn es Korruption und Privilegien gegeben haben mag - wo denn nicht? -, lenkt dies von der viel schlimmeren Tatsache ab, dass zahllose Menschen, die weder die Krise auf den Finanzmärkten ausgelöst noch das deutsche Lohndumping zu verantworten haben, jetzt die Suppe auslöffeln und schmerzliche Einschnitte hinnehmen müssen.
© Deuticke im Paul Zsolnay Verlag, Wien
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Autoren-Porträt von Christian Felber
Christian Felber, geboren 1972, lebt in Wien. Er hat Attac Österreich mitbegründet und initiierte 2010 die internationale Gemeinwohl-Ökonomie-Bewegung sowie das Projekt "Genossenschaft für Gemeinwohl". Zuletzt erschienen bei Deuticke: Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft (2010), Retten wir den Euro! (2012), Geld. Die neuen Spielregeln (2014), für das er den "getAbstract International Book Award" für das Business Buch des Jahres erhielt, und Ethischer Welthandel. Alternativen zu TTIP, WTO & Co (2017). 2019 folgte sein neues Buch This is not economy.
Bibliographische Angaben
- Autor: Christian Felber
- 2012, 155 Seiten, Masse: 12,7 x 20,7 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Verlag: Deuticke
- ISBN-10: 3552061878
- ISBN-13: 9783552061873
- Erscheinungsdatum: 01.02.2012
Rezension zu „Retten wir den Euro! “
"Immerhin beweisen die gross angekündigten Pläne der beiden Schrittmacher der EU, dass Felbers Vorschläge alles andere als aus der Luft gegriffen sind. Er ist kein Revoluzzer, predigt nicht den Klassenkampf, sondern gibt sich auch im Duktus ganz staatsmännisch und bürgerlich." Gerhard Klas, Deutschlandfunk, 13.02.2012"Christian Felber zeigt den Weg zu einer Ökonomie, in der Geld und Märkte wieder den Menschen dienen statt umgekehrt." Jakob von Uexküll, Gründer des Alternativen Nobelpreises
Pressezitat
"Immerhin beweisen die gross angekündigten Pläne der beiden Schrittmacher der EU, dass Felbers Vorschläge alles andere als aus der Luft gegriffen sind. Er ist kein Revoluzzer, predigt nicht den Klassenkampf, sondern gibt sich auch im Duktus ganz staatsmännisch und bürgerlich." Gerhard Klas, Deutschlandfunk, 13.02.2012"Christian Felber zeigt den Weg zu einer Ökonomie, in der Geld und Märkte wieder den Menschen dienen statt umgekehrt." Jakob von Uexküll, Gründer des Alternativen Nobelpreises
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