Religion für Atheisten
Vom Nutzen der Religion für das Leben
Ein Essay und internationaler Bestseller.
Anschaulich zeigt Alain de Botton den
positiven Einfluss religiösen Denkens auf viele Bereiche: von der Ethik über die Erfindung der Malerei bis zum Trost bei Leid und Tod. Und er erkennt: Mit dem Wissen der...
Anschaulich zeigt Alain de Botton den
positiven Einfluss religiösen Denkens auf viele Bereiche: von der Ethik über die Erfindung der Malerei bis zum Trost bei Leid und Tod. Und er erkennt: Mit dem Wissen der...
Leider schon ausverkauft
versandkostenfrei
Buch
Fr. 32.90
inkl. MwSt.
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Produktdetails
Produktinformationen zu „Religion für Atheisten “
Ein Essay und internationaler Bestseller.
Anschaulich zeigt Alain de Botton den
positiven Einfluss religiösen Denkens auf viele Bereiche: von der Ethik über die Erfindung der Malerei bis zum Trost bei Leid und Tod. Und er erkennt: Mit dem Wissen der Religionen wird säkulares Leben erst lebenswert!
Anschaulich zeigt Alain de Botton den
positiven Einfluss religiösen Denkens auf viele Bereiche: von der Ethik über die Erfindung der Malerei bis zum Trost bei Leid und Tod. Und er erkennt: Mit dem Wissen der Religionen wird säkulares Leben erst lebenswert!
Klappentext zu „Religion für Atheisten “
"Ein wundersam subversiv gefährliches Buch" urteilte der amerikanische Presse über Alain de Bottons elegante Provokation, die zum Bestseller wurde. Was können wir von den Religionen lernen? Die Religion hat einen Reichtum an Dingen zu bieten, die uns helfen, das Leben einfacher und sinnvoller zu gestalten: eine Ethik, damit Gemeinschaften friedlich miteinander leben; sie erfand Malerei, Architektur und Musik, die uns zum Staunen bringen; sie tröstet uns bei Tod, Schmerz und Leiden. Wir können viel von den Religionen lernen, um unser säkulares Leben reicher zu machen: Alain de Botton zeigt uns wie.
Lese-Probe zu „Religion für Atheisten “
Religion für Atheisten von Alain de BottonVom Nutzen der Religion für das Leben
1.
Die langweiligste und unproduktivste Frage, die man sich zu einer Religion stellen kann, ist die, ob sie wahr ist oder nicht - sprich: ob sie wirklich beim Schalle von Trompeten und unter Mitwirkung von Propheten und himmlischen Wesen auf übernatürliche Weise vom Himmel heruntergereicht wurde.
Um Zeit zu sparen und auch auf das Risiko hin, schon in diesem schmerzlich frühen Stadium Leser zu verlieren, lassen Sie uns ganz offen und unverblümt sagen, dass selbstredend keine Religion insofern wahr ist, als sie in irgendeiner Form direkt von Gott käme. Dieses Buch wendet sich an Menschen, die es nicht über sich bringen, an Wunder, Geister oder Geschichten von brennenden Dornbüschen zu glauben, und die sich auch nicht sonderlich für die großen Taten außergewöhnlicher Menschen wie zum Beispiel der im dreizehnten Jahrhundert lebenden heiligen Agnes von Montepulciano interessieren, die beim Beten angeblich zwei Fuß über der Erde schwebte und Kinder von den Toten auferweckte - und die am Ende ihres Lebens (angeblich) auf dem Rücken eines Engels von der südlichen Toskana in den Himmel hinaufgetragen wurde.
2.
Der Versuch, die Nichtexistenz Gottes zu beweisen, kann für Atheisten eine unterhaltsame Tätigkeit sein. Fanatische Religionskritiker hatten schon immer einen Heidenspaß daran, mit erbarmungsloser Pingeligkeit darauf hinzuweisen, wie schwachsinnig jemand sein muss, der »glaubt«, und sie hörten erst auf, wenn sie das Gefühl hatten, ihre Gegner als heillose Dummköpfe oder Verrückte bloßgestellt zu haben.
... mehr
So genugtuend dieses Vorgehen für sie auch sein mag - uns geht es nicht wirklich um die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, sondern darum, welche Konsequenzen man zieht, wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass es ihn offensichtlich nicht gibt. Die Prämisse dieses Buchs lautet, dass es möglich sein muss, überzeugter Atheist zu bleiben, die Religionen aber dennoch gelegentlich ganz nützlich, interessant und tröstlich zu finden - und dafür offen zu sein, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man gewisse religiöse Ideen und Praktiken auf die säkulare Welt überträgt.
Auch wenn einen das Dogma der christlichen Dreifaltigkeit oder der buddhistische Edle Achtfache Pfad kaltlassen, kann man es ganz spannend finden zu studieren, wie die Religionen predigen, moralische Grundsätze postulieren, Gemeinschaftsgeist wecken, wie sie Kunst und Architektur zu nutzen wissen, den Geist schulen, zu Reisen anregen und auch dazu, für die Schönheit des Frühjahrs dankbar zu sein. In einer Welt, in der sich Fundamentalisten sowohl der Glaubensfront als auch säkularer Prägung meist unversöhnlich gegenüberstehen, muss es möglich sein, einzelne religiöse Riten und Auffassungen gut zu finden, auch wenn man grundsätzlich nicht religiös ist.
Wenn wir aufhören zu glauben, dass Religionen von oben verkündet wurden oder dass sie kompletter Schwachsinn sind, wird die Sache wesentlich interessanter. Dann können wir anerkennen, dass die Religionen erfunden wurden, um zwei elementare Bedürfnisse zu befriedigen, die bis heute fortbestehen und für die die säkulare Gesellschaft, mit welcher speziellen Fähigkeit auch immer, bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung fand: erstens das Bedürfnis, trotz unserer tief verwurzelten egoistischen und gewalttätigen Impulse harmonisch in Gemeinschaften zusammenzuleben; und zweitens das Bedürfnis, mit einem bisweilen geradezu unerträglichen Ausmaß von Schmerz fertig zu werden, der aus der menschlichen Verwundbarkeit resultiert und uns im Falle von beruflichem Versagen, bei Beziehungsproblemen, beim Tod eines geliebten Menschen oder angesichts unseres eigenen Verfalls und Todes verzweifeln lässt. Gott mag ja tot sein, doch die drängenden Fragen, die uns dazu trieben, ihn zu erfinden, lassen uns nach wie vor keine Ruhe, verlangen nach Antworten und Erklärungen und verschwinden nicht von allein, nur weil uns jemand darauf hingewiesen hat, dass die Geschichte von den sieben Brotlaiben und den Fischen wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Der Irrtum des modernen Atheismus war es, zu übersehen, dass viele Aspekte einer Religion auch dann relevant bleiben, wenn deren zentrale Lehrsätze nicht akzeptiert werden. Erst wenn wir nicht mehr das Gefühl haben, uns ihnen entweder komplett zu unterwerfen oder sie in Bausch und Bogen ablehnen zu müssen, sind wir in der Lage, die Religionen als Fundgruben unzähliger ausgeklügelter Konzepte zu entdecken, mit deren Hilfe wir versuchen können, einige der hartnäckigsten und akutesten Übel und Missstände des säkularen Lebens zu lindern.
3.
Ich bin in einer streng atheistischen Familie aufgewachsen, als Sohn nichtgläubiger Juden, für die jede religiöse Überzeugung in etwa dem Glauben an den Weihnachtsmann entsprach. Ich erinnere mich noch gut, dass meine Schwester in Tränen ausbrach, als unser Vater ihr ihre zaghafte Hoffnung, dass es irgendwo in diesem Universum einen fernen Gott gab, auszureden versuchte. Sie war damals acht. Wenn meine Eltern merkten, dass jemand aus ihrem sozialen Umfeld insgeheim religiöse Gefühle hegte, betrachteten sie diese Person mit der Art von Mitleid, die normalerweise jenen vorbehalten war, bei denen eine degenerative Krankheit diagnostiziert worden war, und sie zeigten sich fortan nicht mehr gewillt, die Betreffenden jemals wieder ernst zu nehmen.
Obwohl ich stark von der Einstellung meiner Eltern beeinflusst war, durchlebte ich als Mittzwanziger eine Krise in meinem Nichtglauben. Meine Zweifel hatten ihren Ursprung im Hören von Bachs Kantaten, wuchsen bei der Betrachtung gewisser Madonnen von Bellini an und verstärkten sich noch mehr, als ich mit Zen-Architektur in Berührung kam. Doch erst mehrere Jahre nach dem Tod meines Vaters - er wurde auf einem jüdischen Friedhof in Willesden im Nordwesten Londons beigesetzt und ruht heute unter einem jüdischen Grabstein, weil er es interessanterweise versäumt hatte, ein weltlicheres Arrangement zu treffen - begann ich das ganze Ausmaß meiner Ambivalenz hinsichtlich der doktrinären Grundsätze zu erkennen, die mir in meiner Kindheit eingebläut worden waren.
Meine Gewissheit, dass es keinen Gott gibt, geriet nie ins Wanken. Ich fühlte mich nur befreit bei dem Gedanken, dass da ein Weg sein musste, sich auf Religion einzulassen, ohne ihren übernatürlichen Inhalten zuzustimmen - nämlich, um es abstrakter auszudrücken: über Väter nachzudenken, ohne die respektvolle Erinnerung an meinen eigenen Vater über den Haufen zu werfen. Ich erkannte, dass mein fortwährender Widerstand gegen Theorien eines Lebens nach dem Tod oder gegen himmlische Heerscharen noch lange kein Grund war, mich von religiöser Musik, religiösen Bauwerken, Gebeten, Riten, Festen, Heiligtümern, Pilgerstätten, Gemeinschaftsmahlen und kolorierten religiösen Handschriften zu distanzieren.
Der Verlust einer ganzen Reihe von Bräuchen und Motiven, mit denen Atheisten üblicherweise nicht leben können, weil sie zu eng mit - um Nietzsches nützlichen Satz zu verwenden - »den üblen Gerüchen der Religion« verbunden sind, hat die säkulare Gesellschaft zu Unrecht verarmen lassen. Begriffe wie Moral und Tugend machen uns inzwischen Angst. Wir wollen uns keine Predigten anhören. Der Gedanke, dass Kunst etwas Erhebendes sein sollte oder eine ethische Aufgabe haben könnte, lässt uns die Flucht ergreifen. Wir machen keine Wallfahrten mehr. Wir bauen keine Tempel mehr. Wir haben keine Mechanismen mehr, um Dankbarkeit auszudrücken. Die Vorstellung, ein Selbsthilfebuch zu lesen, erscheint dem charakterfesten Idealisten absurd. Wir lehnen geistliche Übungen ab. Fremde singen nur selten miteinander. Wir sehen uns vor die unangenehme Entscheidung gestellt, uns entweder sonderbaren Konzepten von immateriellen Gottheiten zu verschreiben oder komplett auf tröstende, subtile oder einfach nur wohltuende Riten zu verzichten, für die wir in der weltlichen Gesellschaft nur schwerlich ein Äquivalent finden.
Indem wir so vieles aufgaben, haben wir der Religion erlaubt, Erfahrungsbereiche als ihr exklusives Hoheitsgebiet zu beanspruchen, die eigentlich der gesamten Menschheit gehören sollten - und die wir ungeniert wieder in die säkulare Welt hinübernehmen sollten. Das frühe Christentum selbst verstand es geschickt, sich die guten Ideen anderer anzueignen, indem es unverfroren unzählige heidnische Bräuche übernahm, die moderne Atheisten, in der irrigen Annahme, sie seien unstrittig christlichen Ursprungs, ablehnen. Der neue Glaube übernahm das Wintersonnwendfest und verpackte es als Weihnachtsfest. Es absorbierte das epikureische Ideal des Zusammenlebens in einer philosophisch geprägten Gemeinschaft und verwandelte es in das, was wir heute als Mönchstum kennen. Und in den zerstörten Städten des alten Römischen Reiches nistete es sich unbekümmert in den leeren Hüllen der Tempel ein, in denen einst heidnische Helden und Götter verehrt wurden.
Die Atheisten stehen vor der Herausforderung, wie der Prozess der religiösen Kolonialisierung umgekehrt werden kann: Wie Ideen und Rituale von den religiösen Institutionen getrennt werden können, die Anspruch auf sie erheben, obwohl sie ihnen nicht wirklich gehören. Vieles von dem, was zum Schönsten an Weihnachten gehört, hat zum Beispiel absolut nichts mit der Geschichte der Geburt Jesu zu tun. Es geht vielmehr um Themen wie Gemeinschaft, Feststimmung und Erneuerung, die älter als der Kontext sind, in den das Christentum ihn seit Jahrhunderten stellt. Es ist an der Zeit, unsere seelischen Bedürfnisse von der speziellen Färbung zu befreien, in die sie von den Religionen getaucht wurden - auch wenn paradoxerweise genau das Studium der Religionen der Schlüssel zu ihrer Wiederentdeckung und zu einer neuen Beziehung ist.
Was folgt, ist ein Versuch, Glaubensbekenntnisse - hauptsächlich das Christentum und in geringerem Maße auch das Judentum und den Buddhismus - daraufhin abzuklopfen, ob sie uns neue Einsichten gewähren, die uns im Alltag von Nutzen sein können, besonders in Zusammenhang mit den Herausforderungen des Gemeinschaftslebens und seelischen und körperlichen Leids. Dem liegt die These zugrunde, dass nicht die Säkularisierung falsch ist, sondern dass wir viel zu oft schlecht säkularisiert haben - derweil wir im Prozess des Verwerfens von unausführbaren Ideen unnötigerweise auch einige der nützlichsten und attraktivsten Teile des Glaubens über Bord geworfen haben.
4.
Die in diesem Buch angewandte Strategie wird unweigerlich Anhänger beider Seiten der Debatte verärgern. Die Gläubigen unter den Lesern werden sich wegen der scheinbar schroffen, selektiven und unsystematischen Betrachtung ihrer religiösen Überzeugungen gekränkt fühlen. Religionen sind keine Büfetts, werden sie protestieren, an denen sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. Dabei war gerade das unvernünftige Beharren darauf, dass ihre Anhänger alles essen müssen, was sie auf dem Teller haben, am Untergang so mancher Religion schuld. Warum sollte es nicht möglich sein, die Darstellung der Sittsamkeit in Giottos Fresken zu würdigen, ohne an die Lehre der Verkündigung Mariä zu glauben, oder den hohen Stellenwert von Mitgefühl bei den Buddhisten zu bewundern und gleichzeitig von ihrer Theorie über ein Leben nach dem Tode Abstand zu nehmen? Für einen Ungläubigen ist es vermutlich kein großes Vergehen, sich von verschiedenen Glaubensrichtungen etwas zu entlehnen, so wenig wie wenn sich ein Literaturliebhaber aus dem ganzen Kanon eine Handvoll Lieblingsschriftsteller aussucht. Wenn hier lediglich drei der einundzwanzig größten Religionen der Welt besprochen werden, so ist das kein Zeichen von Bevorzugung oder Abneigung, sondern lediglich eine Konsequenz der Entscheidung, dass der Schwerpunkt dieses Buches darin liegt, Religion im Allgemeinen mit der säkularen Welt zu vergleichen, und nicht darin, eine größtmögliche Zahl von Religionen auf ihre Unterschiede hin abzuklopfen.
Militante Atheisten könnten sich ebenfalls empören, in ihrem Fall darüber, dass ein Buch Religionen behandelt, als bestünde ein innerer Zusammenhang zwischen ihnen und unseren Sehnsüchten. Sie werden auf die massive institutionelle Intoleranz vieler Religionen hinweisen und ins Feld führen, dass Kunst und Wissenschaften gleichermaßen reiche, obschon weniger vernunftswidrige und engstirnige Schätze an Trost und Einsichten bieten können. Sie mögen des Weiteren fragen, warum jemand, der von sich behauptet, viele Facetten der Religion nicht akzeptieren zu können - der zum Beispiel außerstande ist, an die jungfräuliche Empfängnis Marias zu glauben oder an die ehrerbietige Behauptung in den Jataka-Erzählungen, Buddha sei ein reinkarnierter Hase gewesen -, trotzdem den Wunsch hat, sich mit einem so kompromittierenden Thema wie dem Glauben zu befassen.
Die Antwort darauf lautet, dass Religionen allein schon wegen ihres konzeptionellen Anspruchs unsere Aufmerksamkeit verdienen; weil sie die Welt auf eine Art verändert haben, wie es nur wenigen säkularen Institutionen jemals gelang. Sie haben es geschafft, Theorien über Ethik und Metaphysik mit praktischem Engagement auf Gebieten wie Erziehung, Mode, Politik, Reisen, Herbergen, Initiationsriten, Verlagswesen, Kunst und Architektur zu verbinden - ein so breites Spektrum von Interessen, das die Errungenschaften selbst der größten und einflussreichsten säkularen Bewegungen und Einzelpersonen in der Geschichte weit in den Schatten stellt. Alle, die an der Verbreitung und an den Auswirkungen von Ideen interessiert sind, können sich nur schwerlich der Faszination entziehen, die von den Beispielen der erfolgreichsten Bildungs- und Geistesbewegungen ausgeht, die es auf unserem Planeten jemals gab.
5.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass dieses Buch nicht den Anspruch erhebt, bestimmten Religionen gerecht zu werden; diese haben ihre eigenen Apologeten. Es versucht hingegen, Aspekte des religiösen Lebens zu untersuchen, deren Konzepte sich nutzbringend auf die Probleme der säkularen Gesellschaft anwenden lassen könnten. Es versucht, die dogmatischeren Aspekte der Religionen »durchzuköcheln«, um ein paar wenige herauszudestillieren, die sich für die skeptischen modernen Menschen angesichts der Krisen und Kümmernisse unserer endlichen Existenz auf einem unruhigen Planeten als zeitgemäß und tröstlich erweisen könnten. Es hofft, aus all dem, was nicht länger wahr zu sein scheint, einiges von dem zu retten, was schön, anrührend und weise ist.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
So genugtuend dieses Vorgehen für sie auch sein mag - uns geht es nicht wirklich um die Frage, ob es einen Gott gibt oder nicht, sondern darum, welche Konsequenzen man zieht, wenn man zu dem Schluss gekommen ist, dass es ihn offensichtlich nicht gibt. Die Prämisse dieses Buchs lautet, dass es möglich sein muss, überzeugter Atheist zu bleiben, die Religionen aber dennoch gelegentlich ganz nützlich, interessant und tröstlich zu finden - und dafür offen zu sein, welche Möglichkeiten sich auftun, wenn man gewisse religiöse Ideen und Praktiken auf die säkulare Welt überträgt.
Auch wenn einen das Dogma der christlichen Dreifaltigkeit oder der buddhistische Edle Achtfache Pfad kaltlassen, kann man es ganz spannend finden zu studieren, wie die Religionen predigen, moralische Grundsätze postulieren, Gemeinschaftsgeist wecken, wie sie Kunst und Architektur zu nutzen wissen, den Geist schulen, zu Reisen anregen und auch dazu, für die Schönheit des Frühjahrs dankbar zu sein. In einer Welt, in der sich Fundamentalisten sowohl der Glaubensfront als auch säkularer Prägung meist unversöhnlich gegenüberstehen, muss es möglich sein, einzelne religiöse Riten und Auffassungen gut zu finden, auch wenn man grundsätzlich nicht religiös ist.
Wenn wir aufhören zu glauben, dass Religionen von oben verkündet wurden oder dass sie kompletter Schwachsinn sind, wird die Sache wesentlich interessanter. Dann können wir anerkennen, dass die Religionen erfunden wurden, um zwei elementare Bedürfnisse zu befriedigen, die bis heute fortbestehen und für die die säkulare Gesellschaft, mit welcher speziellen Fähigkeit auch immer, bis zum jetzigen Zeitpunkt keine Lösung fand: erstens das Bedürfnis, trotz unserer tief verwurzelten egoistischen und gewalttätigen Impulse harmonisch in Gemeinschaften zusammenzuleben; und zweitens das Bedürfnis, mit einem bisweilen geradezu unerträglichen Ausmaß von Schmerz fertig zu werden, der aus der menschlichen Verwundbarkeit resultiert und uns im Falle von beruflichem Versagen, bei Beziehungsproblemen, beim Tod eines geliebten Menschen oder angesichts unseres eigenen Verfalls und Todes verzweifeln lässt. Gott mag ja tot sein, doch die drängenden Fragen, die uns dazu trieben, ihn zu erfinden, lassen uns nach wie vor keine Ruhe, verlangen nach Antworten und Erklärungen und verschwinden nicht von allein, nur weil uns jemand darauf hingewiesen hat, dass die Geschichte von den sieben Brotlaiben und den Fischen wissenschaftlich nicht haltbar ist.
Der Irrtum des modernen Atheismus war es, zu übersehen, dass viele Aspekte einer Religion auch dann relevant bleiben, wenn deren zentrale Lehrsätze nicht akzeptiert werden. Erst wenn wir nicht mehr das Gefühl haben, uns ihnen entweder komplett zu unterwerfen oder sie in Bausch und Bogen ablehnen zu müssen, sind wir in der Lage, die Religionen als Fundgruben unzähliger ausgeklügelter Konzepte zu entdecken, mit deren Hilfe wir versuchen können, einige der hartnäckigsten und akutesten Übel und Missstände des säkularen Lebens zu lindern.
3.
Ich bin in einer streng atheistischen Familie aufgewachsen, als Sohn nichtgläubiger Juden, für die jede religiöse Überzeugung in etwa dem Glauben an den Weihnachtsmann entsprach. Ich erinnere mich noch gut, dass meine Schwester in Tränen ausbrach, als unser Vater ihr ihre zaghafte Hoffnung, dass es irgendwo in diesem Universum einen fernen Gott gab, auszureden versuchte. Sie war damals acht. Wenn meine Eltern merkten, dass jemand aus ihrem sozialen Umfeld insgeheim religiöse Gefühle hegte, betrachteten sie diese Person mit der Art von Mitleid, die normalerweise jenen vorbehalten war, bei denen eine degenerative Krankheit diagnostiziert worden war, und sie zeigten sich fortan nicht mehr gewillt, die Betreffenden jemals wieder ernst zu nehmen.
Obwohl ich stark von der Einstellung meiner Eltern beeinflusst war, durchlebte ich als Mittzwanziger eine Krise in meinem Nichtglauben. Meine Zweifel hatten ihren Ursprung im Hören von Bachs Kantaten, wuchsen bei der Betrachtung gewisser Madonnen von Bellini an und verstärkten sich noch mehr, als ich mit Zen-Architektur in Berührung kam. Doch erst mehrere Jahre nach dem Tod meines Vaters - er wurde auf einem jüdischen Friedhof in Willesden im Nordwesten Londons beigesetzt und ruht heute unter einem jüdischen Grabstein, weil er es interessanterweise versäumt hatte, ein weltlicheres Arrangement zu treffen - begann ich das ganze Ausmaß meiner Ambivalenz hinsichtlich der doktrinären Grundsätze zu erkennen, die mir in meiner Kindheit eingebläut worden waren.
Meine Gewissheit, dass es keinen Gott gibt, geriet nie ins Wanken. Ich fühlte mich nur befreit bei dem Gedanken, dass da ein Weg sein musste, sich auf Religion einzulassen, ohne ihren übernatürlichen Inhalten zuzustimmen - nämlich, um es abstrakter auszudrücken: über Väter nachzudenken, ohne die respektvolle Erinnerung an meinen eigenen Vater über den Haufen zu werfen. Ich erkannte, dass mein fortwährender Widerstand gegen Theorien eines Lebens nach dem Tod oder gegen himmlische Heerscharen noch lange kein Grund war, mich von religiöser Musik, religiösen Bauwerken, Gebeten, Riten, Festen, Heiligtümern, Pilgerstätten, Gemeinschaftsmahlen und kolorierten religiösen Handschriften zu distanzieren.
Der Verlust einer ganzen Reihe von Bräuchen und Motiven, mit denen Atheisten üblicherweise nicht leben können, weil sie zu eng mit - um Nietzsches nützlichen Satz zu verwenden - »den üblen Gerüchen der Religion« verbunden sind, hat die säkulare Gesellschaft zu Unrecht verarmen lassen. Begriffe wie Moral und Tugend machen uns inzwischen Angst. Wir wollen uns keine Predigten anhören. Der Gedanke, dass Kunst etwas Erhebendes sein sollte oder eine ethische Aufgabe haben könnte, lässt uns die Flucht ergreifen. Wir machen keine Wallfahrten mehr. Wir bauen keine Tempel mehr. Wir haben keine Mechanismen mehr, um Dankbarkeit auszudrücken. Die Vorstellung, ein Selbsthilfebuch zu lesen, erscheint dem charakterfesten Idealisten absurd. Wir lehnen geistliche Übungen ab. Fremde singen nur selten miteinander. Wir sehen uns vor die unangenehme Entscheidung gestellt, uns entweder sonderbaren Konzepten von immateriellen Gottheiten zu verschreiben oder komplett auf tröstende, subtile oder einfach nur wohltuende Riten zu verzichten, für die wir in der weltlichen Gesellschaft nur schwerlich ein Äquivalent finden.
Indem wir so vieles aufgaben, haben wir der Religion erlaubt, Erfahrungsbereiche als ihr exklusives Hoheitsgebiet zu beanspruchen, die eigentlich der gesamten Menschheit gehören sollten - und die wir ungeniert wieder in die säkulare Welt hinübernehmen sollten. Das frühe Christentum selbst verstand es geschickt, sich die guten Ideen anderer anzueignen, indem es unverfroren unzählige heidnische Bräuche übernahm, die moderne Atheisten, in der irrigen Annahme, sie seien unstrittig christlichen Ursprungs, ablehnen. Der neue Glaube übernahm das Wintersonnwendfest und verpackte es als Weihnachtsfest. Es absorbierte das epikureische Ideal des Zusammenlebens in einer philosophisch geprägten Gemeinschaft und verwandelte es in das, was wir heute als Mönchstum kennen. Und in den zerstörten Städten des alten Römischen Reiches nistete es sich unbekümmert in den leeren Hüllen der Tempel ein, in denen einst heidnische Helden und Götter verehrt wurden.
Die Atheisten stehen vor der Herausforderung, wie der Prozess der religiösen Kolonialisierung umgekehrt werden kann: Wie Ideen und Rituale von den religiösen Institutionen getrennt werden können, die Anspruch auf sie erheben, obwohl sie ihnen nicht wirklich gehören. Vieles von dem, was zum Schönsten an Weihnachten gehört, hat zum Beispiel absolut nichts mit der Geschichte der Geburt Jesu zu tun. Es geht vielmehr um Themen wie Gemeinschaft, Feststimmung und Erneuerung, die älter als der Kontext sind, in den das Christentum ihn seit Jahrhunderten stellt. Es ist an der Zeit, unsere seelischen Bedürfnisse von der speziellen Färbung zu befreien, in die sie von den Religionen getaucht wurden - auch wenn paradoxerweise genau das Studium der Religionen der Schlüssel zu ihrer Wiederentdeckung und zu einer neuen Beziehung ist.
Was folgt, ist ein Versuch, Glaubensbekenntnisse - hauptsächlich das Christentum und in geringerem Maße auch das Judentum und den Buddhismus - daraufhin abzuklopfen, ob sie uns neue Einsichten gewähren, die uns im Alltag von Nutzen sein können, besonders in Zusammenhang mit den Herausforderungen des Gemeinschaftslebens und seelischen und körperlichen Leids. Dem liegt die These zugrunde, dass nicht die Säkularisierung falsch ist, sondern dass wir viel zu oft schlecht säkularisiert haben - derweil wir im Prozess des Verwerfens von unausführbaren Ideen unnötigerweise auch einige der nützlichsten und attraktivsten Teile des Glaubens über Bord geworfen haben.
4.
Die in diesem Buch angewandte Strategie wird unweigerlich Anhänger beider Seiten der Debatte verärgern. Die Gläubigen unter den Lesern werden sich wegen der scheinbar schroffen, selektiven und unsystematischen Betrachtung ihrer religiösen Überzeugungen gekränkt fühlen. Religionen sind keine Büfetts, werden sie protestieren, an denen sich jeder nach Lust und Laune bedienen kann. Dabei war gerade das unvernünftige Beharren darauf, dass ihre Anhänger alles essen müssen, was sie auf dem Teller haben, am Untergang so mancher Religion schuld. Warum sollte es nicht möglich sein, die Darstellung der Sittsamkeit in Giottos Fresken zu würdigen, ohne an die Lehre der Verkündigung Mariä zu glauben, oder den hohen Stellenwert von Mitgefühl bei den Buddhisten zu bewundern und gleichzeitig von ihrer Theorie über ein Leben nach dem Tode Abstand zu nehmen? Für einen Ungläubigen ist es vermutlich kein großes Vergehen, sich von verschiedenen Glaubensrichtungen etwas zu entlehnen, so wenig wie wenn sich ein Literaturliebhaber aus dem ganzen Kanon eine Handvoll Lieblingsschriftsteller aussucht. Wenn hier lediglich drei der einundzwanzig größten Religionen der Welt besprochen werden, so ist das kein Zeichen von Bevorzugung oder Abneigung, sondern lediglich eine Konsequenz der Entscheidung, dass der Schwerpunkt dieses Buches darin liegt, Religion im Allgemeinen mit der säkularen Welt zu vergleichen, und nicht darin, eine größtmögliche Zahl von Religionen auf ihre Unterschiede hin abzuklopfen.
Militante Atheisten könnten sich ebenfalls empören, in ihrem Fall darüber, dass ein Buch Religionen behandelt, als bestünde ein innerer Zusammenhang zwischen ihnen und unseren Sehnsüchten. Sie werden auf die massive institutionelle Intoleranz vieler Religionen hinweisen und ins Feld führen, dass Kunst und Wissenschaften gleichermaßen reiche, obschon weniger vernunftswidrige und engstirnige Schätze an Trost und Einsichten bieten können. Sie mögen des Weiteren fragen, warum jemand, der von sich behauptet, viele Facetten der Religion nicht akzeptieren zu können - der zum Beispiel außerstande ist, an die jungfräuliche Empfängnis Marias zu glauben oder an die ehrerbietige Behauptung in den Jataka-Erzählungen, Buddha sei ein reinkarnierter Hase gewesen -, trotzdem den Wunsch hat, sich mit einem so kompromittierenden Thema wie dem Glauben zu befassen.
Die Antwort darauf lautet, dass Religionen allein schon wegen ihres konzeptionellen Anspruchs unsere Aufmerksamkeit verdienen; weil sie die Welt auf eine Art verändert haben, wie es nur wenigen säkularen Institutionen jemals gelang. Sie haben es geschafft, Theorien über Ethik und Metaphysik mit praktischem Engagement auf Gebieten wie Erziehung, Mode, Politik, Reisen, Herbergen, Initiationsriten, Verlagswesen, Kunst und Architektur zu verbinden - ein so breites Spektrum von Interessen, das die Errungenschaften selbst der größten und einflussreichsten säkularen Bewegungen und Einzelpersonen in der Geschichte weit in den Schatten stellt. Alle, die an der Verbreitung und an den Auswirkungen von Ideen interessiert sind, können sich nur schwerlich der Faszination entziehen, die von den Beispielen der erfolgreichsten Bildungs- und Geistesbewegungen ausgeht, die es auf unserem Planeten jemals gab.
5.
Abschließend möchte ich noch sagen, dass dieses Buch nicht den Anspruch erhebt, bestimmten Religionen gerecht zu werden; diese haben ihre eigenen Apologeten. Es versucht hingegen, Aspekte des religiösen Lebens zu untersuchen, deren Konzepte sich nutzbringend auf die Probleme der säkularen Gesellschaft anwenden lassen könnten. Es versucht, die dogmatischeren Aspekte der Religionen »durchzuköcheln«, um ein paar wenige herauszudestillieren, die sich für die skeptischen modernen Menschen angesichts der Krisen und Kümmernisse unserer endlichen Existenz auf einem unruhigen Planeten als zeitgemäß und tröstlich erweisen könnten. Es hofft, aus all dem, was nicht länger wahr zu sein scheint, einiges von dem zu retten, was schön, anrührend und weise ist.
Copyright © S. Fischer Verlag GmbH, Frankfurt am Main
... weniger
Autoren-Porträt von Alain De Botton
Alain de Botton, geb. 1969 in der Schweiz, hat nach dem Studium der Geschichte und Philosophie rasch seinen Weg zur Literatur gefunden. Kosmopolit und phantasievoller Flaneur der Kultur- und Geistesgeschichte, hat er sich mit seinen mittlerweile sechs Büchern, die in zahlreiche Sprachen übersetzt wurden, einen festen Platz in der jüngeren Literaturgeschichte erschrieben. De Botton lebt in London.Anne Braun, 1956 geboren, studierte Sprachen in Heidelberg und ist seit vielen Jahren freiberuflich als Übersetzerin, Herausgeberin und Autorin vor allem im Kinder- und Jugendbuchbereich tätig.
Bibliographische Angaben
- Autor: Alain De Botton
- 2013, 5. Aufl., 320 Seiten, mit Abbildungen, Masse: 15 x 21,9 cm, Gebunden, Deutsch
- Übersetzung: Braun, Anne L.
- Übersetzer: Anne L. Braun
- Verlag: S. Fischer Verlag GmbH
- ISBN-10: 3100463277
- ISBN-13: 9783100463272
- Erscheinungsdatum: 25.04.2013
Rezension zu „Religion für Atheisten “
Pflichtlektüre für Christen! Chrismon - Das evangelische Magazin, Juli 2013
Kommentar zu "Religion für Atheisten"
0 Gebrauchte Artikel zu „Religion für Atheisten“
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Religion für Atheisten".
Kommentar verfassen