Nach dem Beben
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Nach dem Beben von HarukiMurakami
LESEPROBE
Fünf Tage lang verbrachte sie ihregesamte Zeit vor dem
Fernseher, starrte stumm auf dieBilder von zerstörten Banken
und Krankenhäusern, niedergebranntenEinkaufszentren
und eingestürzten Schienen undHochstrassen. Tief ins
Sofa geschmiegt, die Lippen festzusammengepresst, sass
sie da und gab auch keine Antwort,wenn Komura sie ansprach.
Sie reagierte nicht einmal mit einemKopfschütteln
oder Nicken, und er wusste nicht, obseine Worte überhaupt
bis zu ihr durchgedrungen waren.
Komuras Frau stammte aus Yamagata und hatte seines
Wissens in der Umgebung von Kobeweder Verwandte noch
Bekannte. Dennoch sass sie wiegebannt von morgens bis
abends vor dem Fernseher, ohne etwaszu essen oder zu trinken.
Sie ging nicht einmal auf dieToilette. Allenfalls griff sie
hin und wieder nach derFernbedienung, um auf ein anderes
Programm umzuschalten. Sonst rührtesie sich nicht.
Morgens machte Komurasich selbst seinen Toast, trank allein
seinen Kaffee und ging zur Arbeit.Abends, wenn er nach
Hause kam, sass seine Frau noch inder gleichen Haltung vor
dem Fernseher wie am Morgen. Ratlosbereitete er sich mit
dem, was er im Kühlschrank fand, eineinfaches Abendessen
und verzehrte es allein. Wenn er zuBett ging, verfolgte seine
Frau gerade mit starrem Blick undvon einer Mauer aus undurchdringlichem
Schweigen umgeben dieSpätnachrichten.
Komura gab es auf, sie auch nuranzusprechen.
Und als er an jenem Sonntag, demfünften Tag, um die übliche
Zeit von der Arbeit nach Hause kam,war seine Frau
verschwunden.
Komura arbeitete als Verkäufer fürhochwertige Stereoanlagen
in einem der alteingesessenenGeschäfte für Hi-Fi-Geräte
in Akihabara und erhielt nebenseinem Gehalt bei jedem
Abschluss eine Provision. SeineKunden waren zumeist Ärzte,
wohlhabende Unternehmer und gutsituierte Leute aus
der Provinz. Seit fast acht Jahrenarbeitete er in dieser Branche,
und er hatte von Anfang an nichtschlecht verdient. Die
Wirtschaft florierte, die Preisewaren hoch, und in Japan gab
es Geld in Hülle und Fülle. DieGeldbörsen der Leute quollen
nur so über vorZehntausend-Yen-Scheinen, und alle waren
ganz scharf darauf, sie auszugeben.Je teurer eine Ware,
desto begehrter war sie.
Gross, schlank und stets gutgekleidet, wirkte Komura ansprechend
auf die meisten Menschen. AlsJunggeselle hatte
er viel Erfolg bei Frauen gehabt,aber nachdem er mit sechsundzwanzig
geheiratet hatte, war sein Appetitauf sexuelle
Abenteuer seltsamerweise schlagartigversiegt. In den fünf
Jahren seiner Ehe hatte er mitkeiner anderen Frau als seiner
eigenen geschlafen. Nicht dass esihm an Gelegenheiten gefehlt
hätte. Er hatte einfach dasInteresse an flüchtigen Affären
verloren. Viel lieber ging er gleichvon der Arbeit nach
Hause und ass gemütlich mit seinerFrau zu Abend. Nachdem
sie noch eine Weile auf dem Sofagesessen und sich
unterhalten hatten, gingen sie zuBett, und er schlief mit ihr.
Andere Bedürfnisse hatte er nicht.
Komuras Hochzeit hatte bei seinen Freundenund Kollegen
einige Verwunderung ausgelöst, dennneben dem gut
aussehenden Komuramit dem markanten Gesicht wirkte
seine Frau ausgesprochen durchschnittlich.Aber nicht nur
ihr Äusseres war unscheinbar, sondernauch ihr Wesen wirkte
wenig anziehend. Sie war klein,hatte dickliche Arme und
sah alles in allem plump aus. Zudemredete sie wenig, und
ihr Gesicht war meistens ziemlichmürrisch.
Dennoch fühlte sich Komura, ohne dass er einen Grund
dafür gewusst hätte, immererleichtert, wenn er mit seiner
Frau zusammen war - als würde ihmeine schwere Last von
den Schultern genommen. Nachtsschlief er ruhig, und die
seltsamen Träume, die ihn früherbedrückt hatten, suchten
ihn schon lange nicht mehr heim.Seine Erektionen waren
stabil, und sein Sexualleben warbefriedigend. Gedanken an
den Tod, Geschlechtskrankheiten oderdie Weite des Universums
beunruhigten ihn längst nicht mehr.
Seine Frau dagegen hasste dasklaustrophobische Leben
in der Grossstadt Tokyound sehnte sich nach Yamagata zurück,
wo ihre Eltern und ihre beidenälteren Schwestern lebten.
Sooft dieses Gefühl überhand nahm,fuhr sie nach Hause.
Ihre Eltern führten ein gutgehendes traditionelles Gasthaus,
und ihr Vater, der sehr an seinerjüngsten Tochter hing,
übernahm gern ihre Reisekosten. Eswar schon mehrmals
vorgekommen, dass Komura von der Arbeit nach Hause
kam und auf dem Küchentisch einenZettel vorgefunden
hatte, auf dem seine Frau ihmmitteilte, sie sei für eine Weile
zu ihren Eltern gefahren. Komura hatte sich nie darüber beschwert,
sondern geduldig auf ihre Rückkehrgewartet, und
nach einer Woche oder zehn Tagen warsie in bester Laune
wieder da.
© Verlagsgruppe Random House
Übersetzung:Ursula Gräfe
- Autor: Haruki Murakami
- 2005, 9. Aufl., 155 Seiten, Masse: 11,9 x 18,9 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ursula Gräfe
- Verlag: BTB
- ISBN-10: 344273276X
- ISBN-13: 9783442732760
- Erscheinungsdatum: 01.03.2005
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