Mit Kochlöffel und Staubwedel
Erzählungen aus dem Dienstmädchenalltag
Helene Gasser, Marie Konheisner und Johanna Gramlinger verdienten ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen und Köchinnen in fremden Haushalten. Ihre in diesem Band gesammelten Aufzeichnungen vermitteln ein eindrückliches Bild von den Lebens-, Arbeits- und...
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Produktinformationen zu „Mit Kochlöffel und Staubwedel “
Klappentext zu „Mit Kochlöffel und Staubwedel “
Helene Gasser, Marie Konheisner und Johanna Gramlinger verdienten ihren Lebensunterhalt als Dienstmädchen und Köchinnen in fremden Haushalten. Ihre in diesem Band gesammelten Aufzeichnungen vermitteln ein eindrückliches Bild von den Lebens-, Arbeits- und Beziehungsverhältnissen städtischer Dienstmädchen und gewähren zugleich Einblicke in die Welt bürgerlicher und grossbürgerlicher Haushalte von der Gründerzeit bis zum Zweiten Weltkrieg. Viele unserer Gross- und Urgrossmütter haben als Köchinnen, Stubenmädchen, Kinderfräulein, Kammerjungfern, Mädchen für alles oder Hausgehilfinnen ihren Lebensunterhalt in bürgerlichen Haushalten verdient. Die Aufzeichnungen von Helene Gasser, Marie Konheisner und Johanna Gramlinger bieten einen Zugang zu den Lebenswelten dieser grossen weiblichen Berufsgruppe des 19. und 20. Jahrhunderts. Lange, ungeregelte Arbeitszeiten, schwere körperliche Tätigkeiten und die persönliche Abhängigkeit von den "Herrschaften" prägten ihren Alltag. Die eigene Erwerbsarbeit und das Leben in der Stadt eröffneten den Frauen aber auch neue Freiräume und Chancen. Die Erzählungen überspannen mehrere historische Epochen, wodurch der Wandel, aber auch die Kontinuitäten im häuslichen Dienst sichtbar werden.
Lese-Probe zu „Mit Kochlöffel und Staubwedel “
Mit Kochlöffel und Staubwedel von Andrea AlthausDie Kindheit
Kindheit, im Sinne einer wohlbehüteten Existenz als Kind, kannte das Leben am Bergbauernhof nicht. Denn auch das Kind war in den Arbeitsprozess eingegliedert und musste die Arbeitsweisen der Bauern und Dienstboten sehr früh kennenlernen. Der Bauernhof bot dem Kind ein Exerzierfeld der Lebensschulung, auf dem es sich schon sehr bald zu bewähren hatte. Es musste lernen, sich unterzuordnen, damit der Arbeitsablauf reibungslos vor sich gehen konnte. Wichtig war der Hof. Das Kind konnte nicht erwarten, dass ihm besondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Dies wird auch in der Erzählung einer heute 78 Jahre alten Frau, der Tochter eines reicheren Bauern, betont:
„Wir Kinder sind unendlich bescheiden erzogen worden, obwohl der Vater nicht arm war, denn er war ja auch Fuhrwerker. Der Vater hat immer gesagt:,,Zuerst kommt der Wagner, dann der Sattler, weil alles in Ordnung gehalten werden muss, dann die Knechte und die Dirnen. Bei uns Kindern hat er gespart.“ Die Kinder des Bauern wurden eher mit den Dienstboten gleichgestellt, was sich auch darin zeigte, dass sie grundsätzlich nicht bei den Eltern, sondern bei den Dienstboten ihr Essen einnehmen mussten.
Bei den Interviews fiel auf , dass so etwas wie ein Generationskonflikt gar nicht entstehen konnte, denn die Disziplin, die für das bäuerliche Wirtschaften lebensnotwendig war, bestimmte die Kontakte zwischen Eltern und Kindern. Kritik an den Eltern vonseiten der Kinder war undenkbar. Der Wandel nach dem Zweiten Weltkrieg, der durch den Einsatz von Maschinen das Leben der Bauern grundsätzlich veränderte, veränderte auch die Beziehung zwischen Eltern und Kindern. Die nach dem Krieg geborenen Kinder wachsen bereits in einer Kultur auf, die Armut nur in Ansätzen kennt, und der aufkommende Fremdenverkehr bringt sie mit anderen, attraktiven
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Kulturgütern in Kontakt. Zunächst soll jedoch dargestellt werden, wie die Kindheit von Leuten, die heute über 70 Jahre alt sind, aussah. Dabei werden wir auch sehen, dass Kinder von Bauern jenen vonDienstboten nicht gleichzusetzen sind.
Eine 72 Jahre alte Bäuerin, deren 35 Jahre alte Tochter mit zwei Kindern heute das kleine Bergbauernanwesen verwaltet, erzählt über ihre Kindheit:„Ich habe zwei Geschwister gehabt. Bis zu unserem fünften und sechsten Lebensjahr mussten wir nichts arbeiten. Erst später. Die Mutter hat uns oft runde Kekse gemacht und jeden Tag hatten wir Milch. Zum Mitnehmen in die Schule gab es nur ein Brot und einen Apfel. Das war alles, was wir zu Mittag hatten. Oft ist mein Goden (Pate) gekommen und hat ein Brot herausgezogen, das er uns gegeben hat. Das schmeckte gut, denn ich war voll Hunger. Bis drei Uhr waren wir in der Schule. Zu Hause gab es dann schon etwas zu essen. Das Essen war in der Warmröhrn (im Herd). Nach dem Essen machten wir die Aufgaben. Als kleinere Kinder mussten wir noch nichts arbeiten, erst wie wir in den höheren Klassen waren. Ab sieben, acht Jahren mussten wir mitarbeiten. Zum Spielen sind wir da nicht mehr viel gekommen. Ich musste beim Grummeten helfen. Das Grummet (zweites Heu) haben wir gerecht und gehauft. Im Stall habe ich gearbeitet, Holz musste ich tragen. Eine wichtige Aufgabe war das Wegtragen der Steine von den Feldern. Dazu haben wir einen Amper (Eimer) und einen Vierfleck (Schürze) bekommen, in die haben wir die Steine hineingetan. Dann wurden sie auf einen Haufen geschmissen. Wir haben als Kinder mit unseren Leuten mitgearbeitet. Das war immer so. Beim Bauern war immer Arbeit, es ist ja alles mit den Händen gemacht worden.“
Ähnlich erzählt eine andere Bäuerin:„Ich bin im Zehnerjahr geboren. Ich habe schon während des Schulgehens gearbeitet. Wir mussten da schon schwer arbeiten. Die drei Schuljahre sind wir am Nachmittag in die Schule (die Mitterwenger Schule) gegangen und die anderen Jahre in der Früh. Im Sommer mussten wir in der Früh das, was die Männer von drei Uhr bis sieben Uhr gemäht hatten, auseinanderstreuen. Wir mussten dazu um vier Uhr aufstehen, um bis sieben Uhr in der Früh fertig zu sein. Um drei viertel acht Uhr sind wir erst fort in die Schule. Und am Sonntag mussten wir in der Früh in die Kirche. Besonders im Winter war das anstrengend, wenn wir bis zu den Knien im Schnee gewatet sind. Meine Aufgabe war es auch, mich um die Schafe zu kümmern. Wenn ich zu Mittag von der Schule heimgekommen bin, musste ich den Schafen nachlaufen und sie zusammensuchen. Auf d’Nacht musste ich sie heimbringen. Alle Tage. Als ich dann bereits aus der Schule war, musste ich am Fuß des Kleinen Pyhrgas oben die Schafe hüten. Dabei habe ich oft Angst ausgestanden, überhaupt wenn schlechtes Wetter und alles voll Nebel war.“
Alter von 13 Jahren illustriert den Arbeitseinsatz und die Schwierigkeiten, mit denen das Bauernkind konfrontiert war:„Einmal habe ich die Schafe zum Kleinen Pyhrgas hinaufgetrieben. Plötzlich zog ein Wetter auf. Es hat fest geblitzt und gedonnert. Der Nebel war so dick, dass ich keinen Meter sehen konnte. Ich musste nun ein Lampl (Lamm) suchen, es hatte sich das Kar hinunter verstiegen. Das Mutterschaf hat geplärrt und das Lampl auch. Über den Schutt bin ich hinunter. Zum Glück hatte ich einen Stecken bei mir. Ich habe das Lampl gefunden , mit dem Fuß beim Knie war es unter einem großen Stein eingeklemmt. Mit dem Stecken habe ich probiert , den Stein in die Höhe zu bringen, um das Lampl herauszureißen. Das ist mir auch gelungen. Das Lampl gab ich dann in den Rucksack. Darauf bin ich mit dem Lampl im Rucksack gerade hinauf. Ich war bloßfüßig. Zurück konnte ich nicht mehr, ich war schon zu hoch oben. Mir ist vorgekommen, jetzt und jetzt stürze ich ab. Mir ist schiach (schrecklich)angegangen. Ich habe unsere liebe Frau und alle Heiligen angerufen. Das hat mir geholfen. Ich bin gut hinaufgekommen. Das Lampl hat sich dauernd im Rucksack gerührt. Es war nicht leicht. Ich habe damals als junges Mädchen viel mitgemacht. Alle Tage war ich mit den Schafen in der Früh unterwegs. Eine Flasche Milch und ein Stück Brot hatte ich für den ganzen Tag, damit musste ich auskommen. Wenn es geregnet hat, war ich am ganzen Körper nass. Schirm habe ich ja keinen gehabt, nur ein gewöhnliches Gewand hatte ich an. Stiefel hat es nicht gegeben. Ich war oft verkühlt.“
Eine andere Bäuerin, sie ist 73 Jahre alt, erzählt von den Belastungen, denen sie als Kind ausgesetzt war:„Wir waren, als ich ein Kind war, sieben Leute am Hof: meine drei Brüder, ich, meine Eltern und eine Magd. Ich musste bereits arbeiten, als ich noch nicht in die Schule ging. Ich musste sehr früh aufstehen, um vorzugehen, d. h., ich musste beim Pflügen den Ochsen oder das Ross mit einem Strick weisen. Das war z. B., wenn wir das Troat (Getreide) angebaut haben, zu Bartholomä, Ende August. Nachher sind wir erst in die Schule gegangen. Und nach der Schule war es zum Viehhüten. Erst dann konnte ich lernen. Beim Vorgehen sind wir sehr früh aufgestanden, sicher schon um vier, halb fünf. Bereits mit fünf, sechs Jahren arbeitete ich so. Es war immer hart.“
Das Kind auf dem bäuerlichen Hof wurde also bereits in sehr frühem Alter für zunächst eher leichte Arbeiten eingesetzt, die schließlich durch schwerere abgelöst wurden, womit es Dienstboten gleichgestellt war. Eine heute 78 Jahre alte Frau, die als Tochter eines reichen Bauern auf dem Hof aufwuchs, weiß dazu zu berichten:„Wir waren ein Haufen Schwestern. Wir haben wie die Dienstboten bereits als Kinder gearbeitet. Immer wenn eine von uns aus der Schule kam, hat wieder eine Dirn gehen können. Wir Dirndln mussten auch auf die Alm hinauf und dort mithelfen, wenn z. B. der Schwoagrin (Sennerin), einer unverheirateten Schwester meiner Mutter – sie war 43 Jahre auf der Alm –, die Arbeit zu viel geworden ist.“
Ein 1905 in Vorderstoder geborener, heute in der Gleinkerau wohnender Bauer berichtet sehr ausdrucksstark aus seiner Kindheit und Jugend. Seine Erzählung ergänzt das bereits Dargelegte, es verdeutlicht aber auch das Problem eines Kindes, welches als Halbwaise von der Gunst der Bauern abhängig war:„Geboren wurde ich im Dezember 1905 in Vorderstoder. Mein Vater war Maurer und meine Mutter Hausfrau. Wie ich fünf Jahre alt war, ist sie gestorben. Mein Vater war als Maurer nur Hilfsarbeiter. 1912 habe ich zum Schulgehen angefangen. Damit haben für mich die Schwierigkeiten begonnen. Ich musste von zu Hause weg und zu den Bauern. Die haben mich herumbefohlen:,,Du machst das, du machst das …‘ Mein Vater konnte sich nicht um mich kümmern, er war in der Arbeit, es war niemand zu Hause. Ich war immer allein, von einem Bauern zum anderen Bauern bin ich geschickt worden. Gleich nach dem Tod der Mutter musste ich also zu den Bauern. Der Vater hat das Haus verkauft. Ich habe nun kein Heim gehabt. Wir sind nach Spital am Pyhrn, dort war ich ein paar Tage bei dem Bauern und ein paar Tage bei dem. Gewohnt haben mein Vater und ich in einer Hütte, die er gekauft hat. Arbeiten musste ich noch nicht viel. Aber als ich 1919, am 2. Februar, zu Mariä Lichtmess, aus der Schule entlassen worden bin, kam ich gleich nächsten Tag zu einem Bauern. Mein Vater hat da zu mir gesagt:,Dass du mir nicht mehr heimkommst.‘ Jetzt wusste ich, was los ist. Der Vater hat selbst nicht viel verdient, später bekam er die Arbeitslose. Verwandtschaft, die mir helfen hätte können, hatte ich nicht. Bei meinem ersten Bauern, beim D. war ich zwei Jahre, dort ist es mir ganz mies gegangen. 1919 war ein sehr schlechtes Jahr, ich bekam nicht viel zu essen. Ich hätte gerne mehr gegessen, weil ich im Wachsen war. Die Knechte, mit denen ich aß, hatten kein Mitgefühl mit mir, ich durfte nicht viel von der gemeinsamen Schüssel essen. Ich bin oft hungrig vom Tisch gegangen. Oft habe ich geweint. Ich wurde von den Knechten herumgeschickt, als der Jüngste. Da hat es geheißen:, Halterbub (Hüterbub) tu weiter, gemma, gemma! Nicht allweil herumstehen und in die Gegend schaun!‘ Oft wurde mir eine heruntergehauen, und man hat mich bei den Löffeln gezogen. Auf dem Hof waren vier Knechte, drei Dirnen und ich. Mit 14 Jahren musste ich im Winter mit dem Ross Holz führen. Dafür musste ich bereits um vier Uhr aufstehen, denn von fünf bis halb sechs mussten wir oben auf dem Berg sein. Dort wurde das Holz aufgeladen. Mit dem Holz musste ich einen Graben hinausfahren. Erst am Abend zwischen fünf und sechs Uhr sind wir heimgekommen. Bei dieser Arbeit waren wir zwölf Leute. Ich war der, der die Rosse geführt hat. Auf dem Holz bin ich wie eine Schwalbe gesessen, überhaupt wenn wir viel auf den Schlitten geladen hatten. Einmal passierte es mir, dass die ganze Holzfuhr umschmiss, hinein in den Graben rollte das Holz, und ich lag unten. Zu meinem Glück hatten zwei Bäume die Fuhr aufgehalten und unter mir war das Bacherl. Ich hatte furchtbare Angst, ersaufen zu müssen oder erdrückt zu werden. Gott sei Dank, wurde ich bald herausgezogen. Drei Tage durfte ich mich erholen, aber dann musste ich weiterarbeiten. Ich dachte mir damals, ich war schon zwei Jahre bei dem Bauern, dass zwei Jahre genug seien. Ich bin dann von dort weggegangen und bin zum B. gekommen, die waren meine Godenleute (Paten). Ich blieb sechs Jahre bei denen. Auch dort musste ich von früh bis spät arbeiten.“
Die Kindheit dieses Mannes war geprägt von der fehlenden Familienobhut und dem Hineinwachsen in eine bäuerliche Kultur, in der er Armut und ihre Brutalität kennenlernt. Wie er selbst sagte, hätte er als Kind „mehr Schläge als Essen“ erhalten. Und schließlich hatten sich auch der Schulwechsel und der Tod seiner Mutter problematisch auf den Kontakt zu seinen Mitschülern ausgewirkt, von denen er erzählt, sie hätten ihn häufig „gehänselt“.
Eine ehemalige Magd, die einige uneheliche Kinder geboren hat, schilderte mir ihre Kindheit, die ebenso trist war:„Zu mir haben die Leute gesagt, dass ich ein armes Mensch bin. Ich habe bald niemanden gehabt. Den Vater hat der Schlag getroffen, das war 1912. Und 1916 wurde meine Mutter vom Zug zusammengeführt. Ich war damals zwölf Jahre alt und musste mich nach fremden Leuten umschauen. Nun habe ich dienen müssen. Von einem Bauern zum anderen bin ich gegangen und habe gefragt. Mit nicht einmal 14 Jahren bin ich von Vorderstoder nach Roßleithen gekommen. Dort war ich Magd. Lohn habe ich keinen bekommen. Meine Firmpatin hat mir damals 25 Kronen vermacht und dieses Geld hat die Bäuerin für die Kriegsanleihe genommen ich habe nicht einmal Schuhe zum Anziehen gehabt. Das Geld war weg. Ich habe gebetet und gebetet und habe fest arbeiten können. Einmal ist ein Sengsschmied vorbeigegangen, als ich gearbeitet habe. Der hat gesagt:,Ja , Dirndl, du schaust ja nicht einmal über das Futter (das Gras) hinaus!‘ Damals war ich schon 14, 15 Jahre alt. In die Schule bin ich nicht lange gegangen. Weil ich in der Früh im Stall arbeiten musste, hat mein Gewand, mit dem ich in die Schule ging, gestunken. Mir ist es wirklich recht schlecht gegangen als Kind.“
Auch in der Erzählung eines Bauern wird klar, wie schwierig es Kinder hatten, vor allem wenn sie Kinder von Dienstboten waren:„Wir haben einen Knecht gehabt, den Methatus, er ist 1896 geboren worden. Mit seiner Mutter ist er von Bauer zu Bauer gezogen. Wenn sie wechselte, musste er mit. Dann hat ihn seine Mutter direkt beim B. in Vorderstoder abgegeben, das war dort der größte Hof. Der Bub war da gerade acht Jahre alt. Er war alleweil hungrig, denn bei der gemeinsamen Schüssel haben die Kleinen nur nachessen können, wenn die Großen genug hatten. Wenn der Methatus von seiner Kindheit erzählt hat, hätte ich am liebsten geweint. Schlafen musste er im Rossstall auf einem Strohlager, als Kind! In der Bucheben haben sie eine Schwoagrin (Sennerin) gehabt, die hat sich seiner erbarmt. Er hat dann bei ihr schlafen dürfen. Der Bub musste im Winter um halb vier Uhr aufstehen, um die Ochsen zu füttern. Mit den Ochsen sind sie dann in die Raider (Almen) gefahren, sie hatten einhundert Joch Wald, um Grasstrah herauszuführen. Das Grasstrah sind die Zweige, Blätter usw., die beim Schlägern ausgeputzt worden sind. Das war eine herrliche Einstreu fürs Vieh im Stall. Nach dem Ochsenfüttern in der Früh musste er den Ochsen noch Wasser bringen, in so ovalen Schaffeln, in die ungefähr 20 Liter hineingegangen sind. Dabei ist er oft ganz nass geworden, und er hatte nur ein Gewand, so ist er im Winter in die Schule. Bis er in der Schule war, war er gefroren. Der Lehrer hat ihn dann ausgezogen und gewärmt. Der Methatus hatte eine furchtbare Kindheit.“
Das Kind – vor allem wenn es das Kind einer Magd war – war also durch nichts geschützt, es konnte ausgebeutet werden, ohne dass eine Instanz eingeschritten wäre. Aufschluss über das Leben des Kindes auf dem Bauernhof gab mir auch eine etwa 70 Jahre alte Frau, die heute in Oberweng mit einem Sohn, ihrer Schwiegertochter und Enkelkindern einen Bauernhof mit Zimmervermietung für Sommergäste verwaltet. Ihre Erzählung ist insofern interessant, als in ihr auf die geringe Wertschätzung, die dem Kind damals zuteilwurde, verwiesen wird, gleichzeitig auch auf die Bedeutung des Kindes für den Arbeitsprozess:
„Ich stamme von einem kleinen Bauernhof. Ich kam 1914 zur Welt. Meine Mutter hatte bereits vier kleine Kinder, und mein Vater musste gerade zum Militär einrücken. Als ich zur Welt kam, sagte mein Vater zu meiner Taufpatin:,Das Dirndl kannst du dir nehmen. Die Mutter hat schon vier Kinder, für sie ist es ohnehin schon schwer genug.‘ Meine Taufpatin, sie war eine Schwester meiner Mutter, war Bäuerin in Vorderstoder, hatte aber keine Kinder. Mein Vater hat sich damals gedacht – das reime ich mir heute so zusammen –, dass ich einmal den Bauernhof der Tante bekommen werde, weil die keine Kinder hatte. Er dachte sich also, dass ich so versorgt werden würde. Ich bin bei der Taufpatin aufgewachsen. Ich musste sehr viel arbeiten. Wir hatten drei Knechte und zwei Dirnen. Ich weinte damals sehr viel, weil ich nicht nach Hause zur Mutter gehen durfte. Im Alter von eineinhalb Jahren war ich weggegeben worden. Wer meine Mutter war, das wusste ich immer. Auch meine Mutter hat viel wegen mir geweint. Sie war aber meiner Tante, ihrer Schwester, nicht gewachsen. Eigentlich hätte ich gleich nach meiner Geburt meiner Taufpatin übergeben werden sollen, meine Mutter hat sich aber eineinhalb Jahre gewehrt, mich wegzugeben. Das hat ihr nichts genützt, denn meine Tante ist zu ihr gekommen und hat gesagt:,Ich pack sie jetzt zusammen, die gehört mir. Der Schwager hat sie mir gegeben und aus, basta!‘ Bei meiner Taufpatin ist es mir nicht gut gegangen. Meine Stiefeltern haben sich, das habe ich erst später erfahren, auch nicht gut verstanden. Mein Onkel hat sich immer mit einer Dirn gespielt. Das habe ich damals nicht gewusst. Ihre Eifersucht hat meine Tante an mir abreagiert. Ich musste das alles auskosten.
Die Arbeit war für mich hart. Ich musste um vier Uhr jeden Tag in der Früh aufstehen. Vor dem Schulgehen musste ich Futter mähen, Futter bringen und im Stall helfen. Am Sonntag rannte ich in die Messe. Vorher aber hatte ich im Stall zu arbeiten, da muss man eben rennen. Im Winter musste ich helfen, den Flachs zu spinnen, auch vor dem Schulgehen, jeden Tag. Das war eine schiache (schreckliche) Jugend. Es war nicht einfach. Ich war nur Haut und Beiner (Knochen). Als ich 13 Jahre alt war, wurde das Haus meiner Stiefeltern aufgestockt. In diesem Alter haben sie mich schon aus der Schule genommen, damit ich voll arbeiten konnte. Den ganzen Winter half ich beim Holzführen. Ich habe immer brav gefolgt. Hätte ich dies nicht getan, hätte ich Schläge bekommen. Beim Aufstocken des Hauses wurde ich ordentlich eingespannt. Ich war aber ein schwaches Kind. Meine Mutter, die das mitbekommen hat, hat da zu mir gesagt:,Ich schicke jetzt deine ältere Schwester, die hilft dir, damit es dir nicht zu schwer wird.‘ Nun ist meine Schwester gekommen. Meine Ziehmutter hat sich darüber sehr geärgert, die hat sich gedacht, dass alles nun bekannt wird, was sie mir angetan hat. Daheim habe ich nämlich nie erzählt, wie es mir ergangen ist, weil meine Zieheltern zu mir gesagt haben:,Wehe, du erzählst etwas!‘ Ich habe mich nicht getraut, darüber etwas zu sagen. Meine Schwester hat geglaubt, mir geht es gut. Ich habe ihr nur gesagt:,Na ja, du wirst noch mehr erfahren, wenn du länger hier bist.‘ Abends an dem Tag, als meine Schwester gekommen ist, ist sie mit mir in den Stall gegangen und hat mir dort geholfen. Und am Abend haben wir nichts zu essen bekommen, wie ich es schon gewohnt war. Nun aber habe ich begonnen, meiner Schwester alles zu erzählen. Meine Ziehmutter hat das geahnt und hat bei der Stalltür zugehört, wie ich meiner Schwester von meinen Problemen erzählt habe. Jetzt war alles aus. Sie hat sich geärgert über mich und hat mir einiges nachgehauen. Ich habe sehr geweint. Meine Ziehmutter hat befürchtet, dass die Leute erfahren, wie sie mich behandelt hat. Die Schwester, als sie gesehen hat, wie es mir geht, hat gesagt:,Wir gehen in der Früh gleich in den Stall und sind dann dahin.‘ Wir sind tatsächlich davon zu meinen Eltern. Der Vater, er war schon vom Krieg zurück, hat gemeint:,Das Dirndl darf nicht dableiben!‘ Ich habe da recht geweint. Mein Vater hat es nicht geglaubt, dass es mir bei der Ziehmutter wirklich schlecht geht. Er hat es nicht geglaubt, weil die Ziehmutter nach außen eine Persönlichkeit und immer recht lieb zu den Leuten war. Aber das Leben mit ihr war bitter. Ich musste nun wieder zu ihr zurück. Sie war so zornig auf mich, denn sie hat gewusst, dass man nun alles über sie weiß. Fünf Wochen blieb ich jetzt bei meinen Zieheltern. Und dann bin ich wieder davongelaufen, nun alleine. Meine Mutter war damals sehr krank, als ich heimkam. Der Vater war auch gerade in der Stube. Zu ihm habe ich gesagt:,Vater, jetzt bin ich wieder da. Ich gehe nicht mehr zu meiner Taufpatin.‘ Er hat darauf gesagt:,Was, du gehst nicht mehr hinein?‘ ‚Nein‘, habe ich gesagt‚ich gehe nicht mehr hinein, da gehe ich lieber woanders in den Dienst.‘ Darauf hat der Vater gesagt:,Geh zu deiner Mutter, sie liegt im Bett.‘ Ich bin zu der Mutter. Sie hat gesagt:,Gott Lob und Dank, dass du da bist, Gott Lob und Dank, dass du da bist, dass du endlich bei mir bist.‘
Der Vater wollte es noch immer nicht glauben, dass es mir wirklich schlecht ergangen ist. ,Na gut‘, hat er gesagt, jetzt bleibst du da.‘ Mein Bruder Ludwig wurde in die Ardning um Latschen geschickt, damit er sich etwas dazuverdient. Die Zeiten waren ja schlecht und Geld hat es nicht viel gegeben. Ich musste nun die ganze Männerarbeit tun. Ich musste das Heu auf den Heuwagen hinaufgeben, ich musste ihn abladen. Das war alles schwere Arbeit. Die Mutter ist immer hinter mir her gewesen:,Komm , schnell ein Butterbrot , iss!‘ Die anderen Geschwister mussten auch arbeiten, aber nicht so wie ich. Der Vater wollte mich nun prüfen, ob es mir wirklich so schlecht ergangen ist. Daher sagte er:,Wenn sie die nächsten drei Monate gut durchsteht, dann ist es ihr wirklich schlecht ergangen.‘ Und obwohl ich jeden Tag um zwei Uhr aufstehen musste – die anderen Geschwister durften liegen bleiben – habe ich 13 Kilo zugenommen. Nach diesen drei Monaten, in denen ich wirklich hart gearbeitet habe, hat er gesagt:‚Jetzt weiß ich, dass es dir wirklich schlecht ergangen ist. Jetzt drehe ich den Spieß um, jetzt bist du auch mein Kind.‘ Ab nun habe ich es schön gehabt zu Hause. Bis ich hierher nach Oberweng geheiratet habe, bin ich daheim geblieben.“
Diese Erzählung weist, obwohl die Verleihung des Kindes nicht typisch ist, aber in die Struktur damaligen bäuerlichen Wirtschaftens passt, einprägsam auf die Stellung des Kindes als beinahe vollwertige Arbeitskraft hin. Für die Zieheltern ist es daher auch kein Problem, das eher zarte Mädchen zu hartem Arbeitseinsatz heranzuziehen. Obwohl die Eltern mit dieser Art des Einsatzes ihrer Tochter nicht einverstanden sind, ist es für sie jedoch klar, dass das Kind auf dem Hof arbeiten muss.
Die Schule spielt dabei eine geringe Rolle, sie wird als eher störend gesehen, und man ist bemüht, die Schulentlassung des Kindes zu beschleunigen. Dies spricht auch ein ehemaliger Knecht an, der als unehelicher Sohn einer Dienstmagd auf einem Bauernhof aufwuchs:„Ich bin mit zwölf Jahren aus der Schule gekommen, das war 1925. Der N. hat nämlich gesagt, er braucht mich für die Arbeit, der Lehrer soll mich aus der Schule gehen lassen. Ich bin dann noch ein paarmal am Samstag in die Schule gegangen, so war das damals eingeführt. Dann war es für mich mit der Schule aus.“
Frühzeitige Schulaustritte waren im Sinne der Bauern. Um nun diesen Kindern aber doch Wissen zu vermitteln oder ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Kenntnisse aufzufrischen, gab es in Spital am Pyhrn – ähnlich wie in anderen Gebirgsgemeinden – die sogenannte „Samstagsschule“. Eine ehemalige Sennerin, die heute als 70-Jährige auf dem Bauernhof ihres Bruders lebt, weiß dazu zu erzählen:„Ab zwölf Jahren war ich in der Samstagsschule. Jeden Samstag musste ich, bis ich 14 war, zur Schule gehen. Ich habe im Stall geholfen, habe das Vieh gehütet und habe auf meine Geschwister aufgepasst. Wir waren insgesamt zehn Geschwister. Ich habe die Tiere sehr gern gehabt. Meine Mutter hat daher gesagt:,Du kannst einmal Schwoagrin (Sennerin) werden.‘ Oft hat man mich als Kind gesucht, wenn ich bei den Viechern war. Ich schlüpfte in die Hühnerlucke hinein oder schlief bei den Kühen. Dort war es schön warm. Und ich war alleine.“ Der Bruder dieser Frau, er ist 1930 geboren und heute Nebenerwerbsbauer, erläutert das Verhältnis Schule – Arbeitswelt:,,Wenn wir von der Schule heimgekommen sind, musste man Aufgaben machen. Dabei kam es vor, dass irgendeiner geschrien hat:,Du musst mir geschwind Knebeln (Äste) führen helfen!‘ Dann musste man hinaus in den Schnee, die Knebeln schnappen und in die Holzhütte tragen. Trotzdem habe ich ganz gut gelernt. Ich glaube, der Schulstoff war damals gut eingeteilt, so dass man richtig gelernt hat. Heute werden die Kinder mit viel zu vielen Sachen vollgestopft. Man kann ihnen nicht mehr sagen:,Geh einmal arbeiten!‘, weil sie zu viel Aufgaben haben. Sie sind mit Aufgaben zugedeckt. Für uns war die Arbeit Ausgleich. Dabei hat das Hirn ausrauchen können. Man hat gearbeitet und ist dann wieder frisch gewesen, man war wieder aufnahmsfähig.“
Vor dem Krieg wurden die Kinder von Bauern früher in den Arbeitsprozess eingebunden als die Kinder von „Kleinhäuslern“, die im Bereich des Ortes lebten. Bei diesen hatte der Kontakt zu anderen Kindern wesentlich mehr Bedeutung. Im Kontakt mit Schulkollegen entwickelte sich so etwas wie eine Gemeinschaft, in der man Lausbübereien u. Ä. ausheckte, etwas, das es bei Kindern von Bauern nur ansatzweise gab. Trotzdem war auch das Leben dieser Kinder von der Arbeit geprägt, die vor allem im Haus zu verrichten war. Eine beinahe idyllische Beschreibung eines Bubenlebens vor 1938 ist folgende, in der ein Vergleich zur heutigen Kindheit im Dorf angestellt wird:„Wer von den Kindern geht heute noch auf den Josefiberg, um dort ein Hütterl zu bauen? Will ein Bub eines bauen, so wird er Schwierigkeiten mit dem Forst (Forstwirtschaft) oder sonst jemandem bekommen. Genauso ist es, wenn man heute über eine Wiese rennt. Heute schaut man,ob das Auto einen Platz hat, nicht aber das Kind. Wir hatten vor der Schule Kletterstangen. Ich war in der Früh der Erste dort, habe mein Rucksackl weggehauen, Schultasche habe ich keine gehabt, und hinauf auf die Stange. Das war interessant für uns. 1937 sind wir mit unserem Lehrer zu Fuß nach Hinterstoder marschiert, um an den Landesjugendmeisterschaften im Schifahren teilnehmen zu können. Ich hab dazumal keine neuen Schier gehabt, sondern Schier, die bereits jemand anderer abgelegt hatte. Diese Schier habe ich mir selbst etwas zusammengebastelt, sie waren viermal genietet. Aber gefahren sind sie. Allerdings ist mir beim Abfahrtslauf die Bindung vom Schier heruntergegangen. Auf dem Schuh hatte ich sie noch. Ich beendete den Lauf auf einem Schier und bin 42. geworden von 60. Nach den Bewerben sind wir wieder zu Fuß nach Spital zurückgewandert. 1940 wurde ich sogar Gebietsmeister, also oberösterreichischer Jugendmeister im Schilauf.“
In dieser kurzen Erzählpassage wird die Härte des Alltags mit seinem Prinzip der geringen Bedürfnisse verniedlicht. Die Ausschmückung mit den geflickten Schiern weist auf jenes oben beschriebene Leben in Armut hin, ebenso der Fußmarsch nach und von Hinterstoder. Die wenigen Sätze malen die Kultur der Bauern und Kleinhäusler aus, eine Kultur, die bis in die Fünfzigerjahre besteht. Ich will nun noch einige Schilderungen einfügen, die die Zeit des Wandels in Bezug auf die Kindheit beschreiben. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Kindheit in unserem Sinne, nämlich im Sinne eines wohlbehüteten und weitgehend arbeitsfreien Lebens, beim Bauern in Spital am Pyhrn erst Ende der Fünfziger- bzw. Anfang der Sechzigerjahre möglich wird.
© Böhlau Verlag Ges.m.b.H. und Co.KG, Wien · Köln · Weimar
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Eine 72 Jahre alte Bäuerin, deren 35 Jahre alte Tochter mit zwei Kindern heute das kleine Bergbauernanwesen verwaltet, erzählt über ihre Kindheit:„Ich habe zwei Geschwister gehabt. Bis zu unserem fünften und sechsten Lebensjahr mussten wir nichts arbeiten. Erst später. Die Mutter hat uns oft runde Kekse gemacht und jeden Tag hatten wir Milch. Zum Mitnehmen in die Schule gab es nur ein Brot und einen Apfel. Das war alles, was wir zu Mittag hatten. Oft ist mein Goden (Pate) gekommen und hat ein Brot herausgezogen, das er uns gegeben hat. Das schmeckte gut, denn ich war voll Hunger. Bis drei Uhr waren wir in der Schule. Zu Hause gab es dann schon etwas zu essen. Das Essen war in der Warmröhrn (im Herd). Nach dem Essen machten wir die Aufgaben. Als kleinere Kinder mussten wir noch nichts arbeiten, erst wie wir in den höheren Klassen waren. Ab sieben, acht Jahren mussten wir mitarbeiten. Zum Spielen sind wir da nicht mehr viel gekommen. Ich musste beim Grummeten helfen. Das Grummet (zweites Heu) haben wir gerecht und gehauft. Im Stall habe ich gearbeitet, Holz musste ich tragen. Eine wichtige Aufgabe war das Wegtragen der Steine von den Feldern. Dazu haben wir einen Amper (Eimer) und einen Vierfleck (Schürze) bekommen, in die haben wir die Steine hineingetan. Dann wurden sie auf einen Haufen geschmissen. Wir haben als Kinder mit unseren Leuten mitgearbeitet. Das war immer so. Beim Bauern war immer Arbeit, es ist ja alles mit den Händen gemacht worden.“
Ähnlich erzählt eine andere Bäuerin:„Ich bin im Zehnerjahr geboren. Ich habe schon während des Schulgehens gearbeitet. Wir mussten da schon schwer arbeiten. Die drei Schuljahre sind wir am Nachmittag in die Schule (die Mitterwenger Schule) gegangen und die anderen Jahre in der Früh. Im Sommer mussten wir in der Früh das, was die Männer von drei Uhr bis sieben Uhr gemäht hatten, auseinanderstreuen. Wir mussten dazu um vier Uhr aufstehen, um bis sieben Uhr in der Früh fertig zu sein. Um drei viertel acht Uhr sind wir erst fort in die Schule. Und am Sonntag mussten wir in der Früh in die Kirche. Besonders im Winter war das anstrengend, wenn wir bis zu den Knien im Schnee gewatet sind. Meine Aufgabe war es auch, mich um die Schafe zu kümmern. Wenn ich zu Mittag von der Schule heimgekommen bin, musste ich den Schafen nachlaufen und sie zusammensuchen. Auf d’Nacht musste ich sie heimbringen. Alle Tage. Als ich dann bereits aus der Schule war, musste ich am Fuß des Kleinen Pyhrgas oben die Schafe hüten. Dabei habe ich oft Angst ausgestanden, überhaupt wenn schlechtes Wetter und alles voll Nebel war.“
Alter von 13 Jahren illustriert den Arbeitseinsatz und die Schwierigkeiten, mit denen das Bauernkind konfrontiert war:„Einmal habe ich die Schafe zum Kleinen Pyhrgas hinaufgetrieben. Plötzlich zog ein Wetter auf. Es hat fest geblitzt und gedonnert. Der Nebel war so dick, dass ich keinen Meter sehen konnte. Ich musste nun ein Lampl (Lamm) suchen, es hatte sich das Kar hinunter verstiegen. Das Mutterschaf hat geplärrt und das Lampl auch. Über den Schutt bin ich hinunter. Zum Glück hatte ich einen Stecken bei mir. Ich habe das Lampl gefunden , mit dem Fuß beim Knie war es unter einem großen Stein eingeklemmt. Mit dem Stecken habe ich probiert , den Stein in die Höhe zu bringen, um das Lampl herauszureißen. Das ist mir auch gelungen. Das Lampl gab ich dann in den Rucksack. Darauf bin ich mit dem Lampl im Rucksack gerade hinauf. Ich war bloßfüßig. Zurück konnte ich nicht mehr, ich war schon zu hoch oben. Mir ist vorgekommen, jetzt und jetzt stürze ich ab. Mir ist schiach (schrecklich)angegangen. Ich habe unsere liebe Frau und alle Heiligen angerufen. Das hat mir geholfen. Ich bin gut hinaufgekommen. Das Lampl hat sich dauernd im Rucksack gerührt. Es war nicht leicht. Ich habe damals als junges Mädchen viel mitgemacht. Alle Tage war ich mit den Schafen in der Früh unterwegs. Eine Flasche Milch und ein Stück Brot hatte ich für den ganzen Tag, damit musste ich auskommen. Wenn es geregnet hat, war ich am ganzen Körper nass. Schirm habe ich ja keinen gehabt, nur ein gewöhnliches Gewand hatte ich an. Stiefel hat es nicht gegeben. Ich war oft verkühlt.“
Eine andere Bäuerin, sie ist 73 Jahre alt, erzählt von den Belastungen, denen sie als Kind ausgesetzt war:„Wir waren, als ich ein Kind war, sieben Leute am Hof: meine drei Brüder, ich, meine Eltern und eine Magd. Ich musste bereits arbeiten, als ich noch nicht in die Schule ging. Ich musste sehr früh aufstehen, um vorzugehen, d. h., ich musste beim Pflügen den Ochsen oder das Ross mit einem Strick weisen. Das war z. B., wenn wir das Troat (Getreide) angebaut haben, zu Bartholomä, Ende August. Nachher sind wir erst in die Schule gegangen. Und nach der Schule war es zum Viehhüten. Erst dann konnte ich lernen. Beim Vorgehen sind wir sehr früh aufgestanden, sicher schon um vier, halb fünf. Bereits mit fünf, sechs Jahren arbeitete ich so. Es war immer hart.“
Das Kind auf dem bäuerlichen Hof wurde also bereits in sehr frühem Alter für zunächst eher leichte Arbeiten eingesetzt, die schließlich durch schwerere abgelöst wurden, womit es Dienstboten gleichgestellt war. Eine heute 78 Jahre alte Frau, die als Tochter eines reichen Bauern auf dem Hof aufwuchs, weiß dazu zu berichten:„Wir waren ein Haufen Schwestern. Wir haben wie die Dienstboten bereits als Kinder gearbeitet. Immer wenn eine von uns aus der Schule kam, hat wieder eine Dirn gehen können. Wir Dirndln mussten auch auf die Alm hinauf und dort mithelfen, wenn z. B. der Schwoagrin (Sennerin), einer unverheirateten Schwester meiner Mutter – sie war 43 Jahre auf der Alm –, die Arbeit zu viel geworden ist.“
Ein 1905 in Vorderstoder geborener, heute in der Gleinkerau wohnender Bauer berichtet sehr ausdrucksstark aus seiner Kindheit und Jugend. Seine Erzählung ergänzt das bereits Dargelegte, es verdeutlicht aber auch das Problem eines Kindes, welches als Halbwaise von der Gunst der Bauern abhängig war:„Geboren wurde ich im Dezember 1905 in Vorderstoder. Mein Vater war Maurer und meine Mutter Hausfrau. Wie ich fünf Jahre alt war, ist sie gestorben. Mein Vater war als Maurer nur Hilfsarbeiter. 1912 habe ich zum Schulgehen angefangen. Damit haben für mich die Schwierigkeiten begonnen. Ich musste von zu Hause weg und zu den Bauern. Die haben mich herumbefohlen:,,Du machst das, du machst das …‘ Mein Vater konnte sich nicht um mich kümmern, er war in der Arbeit, es war niemand zu Hause. Ich war immer allein, von einem Bauern zum anderen Bauern bin ich geschickt worden. Gleich nach dem Tod der Mutter musste ich also zu den Bauern. Der Vater hat das Haus verkauft. Ich habe nun kein Heim gehabt. Wir sind nach Spital am Pyhrn, dort war ich ein paar Tage bei dem Bauern und ein paar Tage bei dem. Gewohnt haben mein Vater und ich in einer Hütte, die er gekauft hat. Arbeiten musste ich noch nicht viel. Aber als ich 1919, am 2. Februar, zu Mariä Lichtmess, aus der Schule entlassen worden bin, kam ich gleich nächsten Tag zu einem Bauern. Mein Vater hat da zu mir gesagt:,Dass du mir nicht mehr heimkommst.‘ Jetzt wusste ich, was los ist. Der Vater hat selbst nicht viel verdient, später bekam er die Arbeitslose. Verwandtschaft, die mir helfen hätte können, hatte ich nicht. Bei meinem ersten Bauern, beim D. war ich zwei Jahre, dort ist es mir ganz mies gegangen. 1919 war ein sehr schlechtes Jahr, ich bekam nicht viel zu essen. Ich hätte gerne mehr gegessen, weil ich im Wachsen war. Die Knechte, mit denen ich aß, hatten kein Mitgefühl mit mir, ich durfte nicht viel von der gemeinsamen Schüssel essen. Ich bin oft hungrig vom Tisch gegangen. Oft habe ich geweint. Ich wurde von den Knechten herumgeschickt, als der Jüngste. Da hat es geheißen:, Halterbub (Hüterbub) tu weiter, gemma, gemma! Nicht allweil herumstehen und in die Gegend schaun!‘ Oft wurde mir eine heruntergehauen, und man hat mich bei den Löffeln gezogen. Auf dem Hof waren vier Knechte, drei Dirnen und ich. Mit 14 Jahren musste ich im Winter mit dem Ross Holz führen. Dafür musste ich bereits um vier Uhr aufstehen, denn von fünf bis halb sechs mussten wir oben auf dem Berg sein. Dort wurde das Holz aufgeladen. Mit dem Holz musste ich einen Graben hinausfahren. Erst am Abend zwischen fünf und sechs Uhr sind wir heimgekommen. Bei dieser Arbeit waren wir zwölf Leute. Ich war der, der die Rosse geführt hat. Auf dem Holz bin ich wie eine Schwalbe gesessen, überhaupt wenn wir viel auf den Schlitten geladen hatten. Einmal passierte es mir, dass die ganze Holzfuhr umschmiss, hinein in den Graben rollte das Holz, und ich lag unten. Zu meinem Glück hatten zwei Bäume die Fuhr aufgehalten und unter mir war das Bacherl. Ich hatte furchtbare Angst, ersaufen zu müssen oder erdrückt zu werden. Gott sei Dank, wurde ich bald herausgezogen. Drei Tage durfte ich mich erholen, aber dann musste ich weiterarbeiten. Ich dachte mir damals, ich war schon zwei Jahre bei dem Bauern, dass zwei Jahre genug seien. Ich bin dann von dort weggegangen und bin zum B. gekommen, die waren meine Godenleute (Paten). Ich blieb sechs Jahre bei denen. Auch dort musste ich von früh bis spät arbeiten.“
Die Kindheit dieses Mannes war geprägt von der fehlenden Familienobhut und dem Hineinwachsen in eine bäuerliche Kultur, in der er Armut und ihre Brutalität kennenlernt. Wie er selbst sagte, hätte er als Kind „mehr Schläge als Essen“ erhalten. Und schließlich hatten sich auch der Schulwechsel und der Tod seiner Mutter problematisch auf den Kontakt zu seinen Mitschülern ausgewirkt, von denen er erzählt, sie hätten ihn häufig „gehänselt“.
Eine ehemalige Magd, die einige uneheliche Kinder geboren hat, schilderte mir ihre Kindheit, die ebenso trist war:„Zu mir haben die Leute gesagt, dass ich ein armes Mensch bin. Ich habe bald niemanden gehabt. Den Vater hat der Schlag getroffen, das war 1912. Und 1916 wurde meine Mutter vom Zug zusammengeführt. Ich war damals zwölf Jahre alt und musste mich nach fremden Leuten umschauen. Nun habe ich dienen müssen. Von einem Bauern zum anderen bin ich gegangen und habe gefragt. Mit nicht einmal 14 Jahren bin ich von Vorderstoder nach Roßleithen gekommen. Dort war ich Magd. Lohn habe ich keinen bekommen. Meine Firmpatin hat mir damals 25 Kronen vermacht und dieses Geld hat die Bäuerin für die Kriegsanleihe genommen ich habe nicht einmal Schuhe zum Anziehen gehabt. Das Geld war weg. Ich habe gebetet und gebetet und habe fest arbeiten können. Einmal ist ein Sengsschmied vorbeigegangen, als ich gearbeitet habe. Der hat gesagt:,Ja , Dirndl, du schaust ja nicht einmal über das Futter (das Gras) hinaus!‘ Damals war ich schon 14, 15 Jahre alt. In die Schule bin ich nicht lange gegangen. Weil ich in der Früh im Stall arbeiten musste, hat mein Gewand, mit dem ich in die Schule ging, gestunken. Mir ist es wirklich recht schlecht gegangen als Kind.“
Auch in der Erzählung eines Bauern wird klar, wie schwierig es Kinder hatten, vor allem wenn sie Kinder von Dienstboten waren:„Wir haben einen Knecht gehabt, den Methatus, er ist 1896 geboren worden. Mit seiner Mutter ist er von Bauer zu Bauer gezogen. Wenn sie wechselte, musste er mit. Dann hat ihn seine Mutter direkt beim B. in Vorderstoder abgegeben, das war dort der größte Hof. Der Bub war da gerade acht Jahre alt. Er war alleweil hungrig, denn bei der gemeinsamen Schüssel haben die Kleinen nur nachessen können, wenn die Großen genug hatten. Wenn der Methatus von seiner Kindheit erzählt hat, hätte ich am liebsten geweint. Schlafen musste er im Rossstall auf einem Strohlager, als Kind! In der Bucheben haben sie eine Schwoagrin (Sennerin) gehabt, die hat sich seiner erbarmt. Er hat dann bei ihr schlafen dürfen. Der Bub musste im Winter um halb vier Uhr aufstehen, um die Ochsen zu füttern. Mit den Ochsen sind sie dann in die Raider (Almen) gefahren, sie hatten einhundert Joch Wald, um Grasstrah herauszuführen. Das Grasstrah sind die Zweige, Blätter usw., die beim Schlägern ausgeputzt worden sind. Das war eine herrliche Einstreu fürs Vieh im Stall. Nach dem Ochsenfüttern in der Früh musste er den Ochsen noch Wasser bringen, in so ovalen Schaffeln, in die ungefähr 20 Liter hineingegangen sind. Dabei ist er oft ganz nass geworden, und er hatte nur ein Gewand, so ist er im Winter in die Schule. Bis er in der Schule war, war er gefroren. Der Lehrer hat ihn dann ausgezogen und gewärmt. Der Methatus hatte eine furchtbare Kindheit.“
Das Kind – vor allem wenn es das Kind einer Magd war – war also durch nichts geschützt, es konnte ausgebeutet werden, ohne dass eine Instanz eingeschritten wäre. Aufschluss über das Leben des Kindes auf dem Bauernhof gab mir auch eine etwa 70 Jahre alte Frau, die heute in Oberweng mit einem Sohn, ihrer Schwiegertochter und Enkelkindern einen Bauernhof mit Zimmervermietung für Sommergäste verwaltet. Ihre Erzählung ist insofern interessant, als in ihr auf die geringe Wertschätzung, die dem Kind damals zuteilwurde, verwiesen wird, gleichzeitig auch auf die Bedeutung des Kindes für den Arbeitsprozess:
„Ich stamme von einem kleinen Bauernhof. Ich kam 1914 zur Welt. Meine Mutter hatte bereits vier kleine Kinder, und mein Vater musste gerade zum Militär einrücken. Als ich zur Welt kam, sagte mein Vater zu meiner Taufpatin:,Das Dirndl kannst du dir nehmen. Die Mutter hat schon vier Kinder, für sie ist es ohnehin schon schwer genug.‘ Meine Taufpatin, sie war eine Schwester meiner Mutter, war Bäuerin in Vorderstoder, hatte aber keine Kinder. Mein Vater hat sich damals gedacht – das reime ich mir heute so zusammen –, dass ich einmal den Bauernhof der Tante bekommen werde, weil die keine Kinder hatte. Er dachte sich also, dass ich so versorgt werden würde. Ich bin bei der Taufpatin aufgewachsen. Ich musste sehr viel arbeiten. Wir hatten drei Knechte und zwei Dirnen. Ich weinte damals sehr viel, weil ich nicht nach Hause zur Mutter gehen durfte. Im Alter von eineinhalb Jahren war ich weggegeben worden. Wer meine Mutter war, das wusste ich immer. Auch meine Mutter hat viel wegen mir geweint. Sie war aber meiner Tante, ihrer Schwester, nicht gewachsen. Eigentlich hätte ich gleich nach meiner Geburt meiner Taufpatin übergeben werden sollen, meine Mutter hat sich aber eineinhalb Jahre gewehrt, mich wegzugeben. Das hat ihr nichts genützt, denn meine Tante ist zu ihr gekommen und hat gesagt:,Ich pack sie jetzt zusammen, die gehört mir. Der Schwager hat sie mir gegeben und aus, basta!‘ Bei meiner Taufpatin ist es mir nicht gut gegangen. Meine Stiefeltern haben sich, das habe ich erst später erfahren, auch nicht gut verstanden. Mein Onkel hat sich immer mit einer Dirn gespielt. Das habe ich damals nicht gewusst. Ihre Eifersucht hat meine Tante an mir abreagiert. Ich musste das alles auskosten.
Die Arbeit war für mich hart. Ich musste um vier Uhr jeden Tag in der Früh aufstehen. Vor dem Schulgehen musste ich Futter mähen, Futter bringen und im Stall helfen. Am Sonntag rannte ich in die Messe. Vorher aber hatte ich im Stall zu arbeiten, da muss man eben rennen. Im Winter musste ich helfen, den Flachs zu spinnen, auch vor dem Schulgehen, jeden Tag. Das war eine schiache (schreckliche) Jugend. Es war nicht einfach. Ich war nur Haut und Beiner (Knochen). Als ich 13 Jahre alt war, wurde das Haus meiner Stiefeltern aufgestockt. In diesem Alter haben sie mich schon aus der Schule genommen, damit ich voll arbeiten konnte. Den ganzen Winter half ich beim Holzführen. Ich habe immer brav gefolgt. Hätte ich dies nicht getan, hätte ich Schläge bekommen. Beim Aufstocken des Hauses wurde ich ordentlich eingespannt. Ich war aber ein schwaches Kind. Meine Mutter, die das mitbekommen hat, hat da zu mir gesagt:,Ich schicke jetzt deine ältere Schwester, die hilft dir, damit es dir nicht zu schwer wird.‘ Nun ist meine Schwester gekommen. Meine Ziehmutter hat sich darüber sehr geärgert, die hat sich gedacht, dass alles nun bekannt wird, was sie mir angetan hat. Daheim habe ich nämlich nie erzählt, wie es mir ergangen ist, weil meine Zieheltern zu mir gesagt haben:,Wehe, du erzählst etwas!‘ Ich habe mich nicht getraut, darüber etwas zu sagen. Meine Schwester hat geglaubt, mir geht es gut. Ich habe ihr nur gesagt:,Na ja, du wirst noch mehr erfahren, wenn du länger hier bist.‘ Abends an dem Tag, als meine Schwester gekommen ist, ist sie mit mir in den Stall gegangen und hat mir dort geholfen. Und am Abend haben wir nichts zu essen bekommen, wie ich es schon gewohnt war. Nun aber habe ich begonnen, meiner Schwester alles zu erzählen. Meine Ziehmutter hat das geahnt und hat bei der Stalltür zugehört, wie ich meiner Schwester von meinen Problemen erzählt habe. Jetzt war alles aus. Sie hat sich geärgert über mich und hat mir einiges nachgehauen. Ich habe sehr geweint. Meine Ziehmutter hat befürchtet, dass die Leute erfahren, wie sie mich behandelt hat. Die Schwester, als sie gesehen hat, wie es mir geht, hat gesagt:,Wir gehen in der Früh gleich in den Stall und sind dann dahin.‘ Wir sind tatsächlich davon zu meinen Eltern. Der Vater, er war schon vom Krieg zurück, hat gemeint:,Das Dirndl darf nicht dableiben!‘ Ich habe da recht geweint. Mein Vater hat es nicht geglaubt, dass es mir bei der Ziehmutter wirklich schlecht geht. Er hat es nicht geglaubt, weil die Ziehmutter nach außen eine Persönlichkeit und immer recht lieb zu den Leuten war. Aber das Leben mit ihr war bitter. Ich musste nun wieder zu ihr zurück. Sie war so zornig auf mich, denn sie hat gewusst, dass man nun alles über sie weiß. Fünf Wochen blieb ich jetzt bei meinen Zieheltern. Und dann bin ich wieder davongelaufen, nun alleine. Meine Mutter war damals sehr krank, als ich heimkam. Der Vater war auch gerade in der Stube. Zu ihm habe ich gesagt:,Vater, jetzt bin ich wieder da. Ich gehe nicht mehr zu meiner Taufpatin.‘ Er hat darauf gesagt:,Was, du gehst nicht mehr hinein?‘ ‚Nein‘, habe ich gesagt‚ich gehe nicht mehr hinein, da gehe ich lieber woanders in den Dienst.‘ Darauf hat der Vater gesagt:,Geh zu deiner Mutter, sie liegt im Bett.‘ Ich bin zu der Mutter. Sie hat gesagt:,Gott Lob und Dank, dass du da bist, Gott Lob und Dank, dass du da bist, dass du endlich bei mir bist.‘
Der Vater wollte es noch immer nicht glauben, dass es mir wirklich schlecht ergangen ist. ,Na gut‘, hat er gesagt, jetzt bleibst du da.‘ Mein Bruder Ludwig wurde in die Ardning um Latschen geschickt, damit er sich etwas dazuverdient. Die Zeiten waren ja schlecht und Geld hat es nicht viel gegeben. Ich musste nun die ganze Männerarbeit tun. Ich musste das Heu auf den Heuwagen hinaufgeben, ich musste ihn abladen. Das war alles schwere Arbeit. Die Mutter ist immer hinter mir her gewesen:,Komm , schnell ein Butterbrot , iss!‘ Die anderen Geschwister mussten auch arbeiten, aber nicht so wie ich. Der Vater wollte mich nun prüfen, ob es mir wirklich so schlecht ergangen ist. Daher sagte er:,Wenn sie die nächsten drei Monate gut durchsteht, dann ist es ihr wirklich schlecht ergangen.‘ Und obwohl ich jeden Tag um zwei Uhr aufstehen musste – die anderen Geschwister durften liegen bleiben – habe ich 13 Kilo zugenommen. Nach diesen drei Monaten, in denen ich wirklich hart gearbeitet habe, hat er gesagt:‚Jetzt weiß ich, dass es dir wirklich schlecht ergangen ist. Jetzt drehe ich den Spieß um, jetzt bist du auch mein Kind.‘ Ab nun habe ich es schön gehabt zu Hause. Bis ich hierher nach Oberweng geheiratet habe, bin ich daheim geblieben.“
Diese Erzählung weist, obwohl die Verleihung des Kindes nicht typisch ist, aber in die Struktur damaligen bäuerlichen Wirtschaftens passt, einprägsam auf die Stellung des Kindes als beinahe vollwertige Arbeitskraft hin. Für die Zieheltern ist es daher auch kein Problem, das eher zarte Mädchen zu hartem Arbeitseinsatz heranzuziehen. Obwohl die Eltern mit dieser Art des Einsatzes ihrer Tochter nicht einverstanden sind, ist es für sie jedoch klar, dass das Kind auf dem Hof arbeiten muss.
Die Schule spielt dabei eine geringe Rolle, sie wird als eher störend gesehen, und man ist bemüht, die Schulentlassung des Kindes zu beschleunigen. Dies spricht auch ein ehemaliger Knecht an, der als unehelicher Sohn einer Dienstmagd auf einem Bauernhof aufwuchs:„Ich bin mit zwölf Jahren aus der Schule gekommen, das war 1925. Der N. hat nämlich gesagt, er braucht mich für die Arbeit, der Lehrer soll mich aus der Schule gehen lassen. Ich bin dann noch ein paarmal am Samstag in die Schule gegangen, so war das damals eingeführt. Dann war es für mich mit der Schule aus.“
Frühzeitige Schulaustritte waren im Sinne der Bauern. Um nun diesen Kindern aber doch Wissen zu vermitteln oder ihnen Gelegenheit zu geben, ihre Kenntnisse aufzufrischen, gab es in Spital am Pyhrn – ähnlich wie in anderen Gebirgsgemeinden – die sogenannte „Samstagsschule“. Eine ehemalige Sennerin, die heute als 70-Jährige auf dem Bauernhof ihres Bruders lebt, weiß dazu zu erzählen:„Ab zwölf Jahren war ich in der Samstagsschule. Jeden Samstag musste ich, bis ich 14 war, zur Schule gehen. Ich habe im Stall geholfen, habe das Vieh gehütet und habe auf meine Geschwister aufgepasst. Wir waren insgesamt zehn Geschwister. Ich habe die Tiere sehr gern gehabt. Meine Mutter hat daher gesagt:,Du kannst einmal Schwoagrin (Sennerin) werden.‘ Oft hat man mich als Kind gesucht, wenn ich bei den Viechern war. Ich schlüpfte in die Hühnerlucke hinein oder schlief bei den Kühen. Dort war es schön warm. Und ich war alleine.“ Der Bruder dieser Frau, er ist 1930 geboren und heute Nebenerwerbsbauer, erläutert das Verhältnis Schule – Arbeitswelt:,,Wenn wir von der Schule heimgekommen sind, musste man Aufgaben machen. Dabei kam es vor, dass irgendeiner geschrien hat:,Du musst mir geschwind Knebeln (Äste) führen helfen!‘ Dann musste man hinaus in den Schnee, die Knebeln schnappen und in die Holzhütte tragen. Trotzdem habe ich ganz gut gelernt. Ich glaube, der Schulstoff war damals gut eingeteilt, so dass man richtig gelernt hat. Heute werden die Kinder mit viel zu vielen Sachen vollgestopft. Man kann ihnen nicht mehr sagen:,Geh einmal arbeiten!‘, weil sie zu viel Aufgaben haben. Sie sind mit Aufgaben zugedeckt. Für uns war die Arbeit Ausgleich. Dabei hat das Hirn ausrauchen können. Man hat gearbeitet und ist dann wieder frisch gewesen, man war wieder aufnahmsfähig.“
Vor dem Krieg wurden die Kinder von Bauern früher in den Arbeitsprozess eingebunden als die Kinder von „Kleinhäuslern“, die im Bereich des Ortes lebten. Bei diesen hatte der Kontakt zu anderen Kindern wesentlich mehr Bedeutung. Im Kontakt mit Schulkollegen entwickelte sich so etwas wie eine Gemeinschaft, in der man Lausbübereien u. Ä. ausheckte, etwas, das es bei Kindern von Bauern nur ansatzweise gab. Trotzdem war auch das Leben dieser Kinder von der Arbeit geprägt, die vor allem im Haus zu verrichten war. Eine beinahe idyllische Beschreibung eines Bubenlebens vor 1938 ist folgende, in der ein Vergleich zur heutigen Kindheit im Dorf angestellt wird:„Wer von den Kindern geht heute noch auf den Josefiberg, um dort ein Hütterl zu bauen? Will ein Bub eines bauen, so wird er Schwierigkeiten mit dem Forst (Forstwirtschaft) oder sonst jemandem bekommen. Genauso ist es, wenn man heute über eine Wiese rennt. Heute schaut man,ob das Auto einen Platz hat, nicht aber das Kind. Wir hatten vor der Schule Kletterstangen. Ich war in der Früh der Erste dort, habe mein Rucksackl weggehauen, Schultasche habe ich keine gehabt, und hinauf auf die Stange. Das war interessant für uns. 1937 sind wir mit unserem Lehrer zu Fuß nach Hinterstoder marschiert, um an den Landesjugendmeisterschaften im Schifahren teilnehmen zu können. Ich hab dazumal keine neuen Schier gehabt, sondern Schier, die bereits jemand anderer abgelegt hatte. Diese Schier habe ich mir selbst etwas zusammengebastelt, sie waren viermal genietet. Aber gefahren sind sie. Allerdings ist mir beim Abfahrtslauf die Bindung vom Schier heruntergegangen. Auf dem Schuh hatte ich sie noch. Ich beendete den Lauf auf einem Schier und bin 42. geworden von 60. Nach den Bewerben sind wir wieder zu Fuß nach Spital zurückgewandert. 1940 wurde ich sogar Gebietsmeister, also oberösterreichischer Jugendmeister im Schilauf.“
In dieser kurzen Erzählpassage wird die Härte des Alltags mit seinem Prinzip der geringen Bedürfnisse verniedlicht. Die Ausschmückung mit den geflickten Schiern weist auf jenes oben beschriebene Leben in Armut hin, ebenso der Fußmarsch nach und von Hinterstoder. Die wenigen Sätze malen die Kultur der Bauern und Kleinhäusler aus, eine Kultur, die bis in die Fünfzigerjahre besteht. Ich will nun noch einige Schilderungen einfügen, die die Zeit des Wandels in Bezug auf die Kindheit beschreiben. Ich habe schon darauf hingewiesen, dass Kindheit in unserem Sinne, nämlich im Sinne eines wohlbehüteten und weitgehend arbeitsfreien Lebens, beim Bauern in Spital am Pyhrn erst Ende der Fünfziger- bzw. Anfang der Sechzigerjahre möglich wird.
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Inhaltsverzeichnis zu „Mit Kochlöffel und Staubwedel “
InhaltEinführung und editorische Hinweise
Erzählungen von Dienstmädchen
Helene Gasser (1834-1908)
Marie Konheisner (1875-1958)
Johanna Gramlinger (1904-1998)
Glossar
Personenverzeichnis
Andrea Althaus
Lebensverhältnisse von Dienstmädchen und
Hausgehilfinnen im 19. und 20. Jahrhundert
Autoren-Porträt von Andrea Althaus
Althaus, AndreaAndrea Althaus, geboren 1981 in Bern, studierte Geschichte und Soziologie in Basel und Wien. Als Stipendiatin im Promotionskolleg
Bibliographische Angaben
- Autor: Andrea Althaus
- 2010, 293 Seiten, Masse: 13 x 20,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Herausgegeben von Althaus, Andrea
- Herausgegeben: Andrea Althaus
- Verlag: Böhlau Wien
- ISBN-10: 3205785819
- ISBN-13: 9783205785811
- Erscheinungsdatum: 03.12.2010
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