Bis zum letzten Atemzug / Maxwell & King Bd.4
Thriller. Deutsche Erstausgabe
Tödliches Ende einer fröhlichen Geburtstagsparty: die 12-jährige Willa wird entführt, ihre Mutter liegt mit durchschnittener Kehle am Tatort. Ein neuer heftiger Fall für das Ermittlerduo Sean King und Michelle Maxwell - denn Willa ist die Nichte des Präsidenten.
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Produktdetails
Produktinformationen zu „Bis zum letzten Atemzug / Maxwell & King Bd.4 “
Tödliches Ende einer fröhlichen Geburtstagsparty: die 12-jährige Willa wird entführt, ihre Mutter liegt mit durchschnittener Kehle am Tatort. Ein neuer heftiger Fall für das Ermittlerduo Sean King und Michelle Maxwell - denn Willa ist die Nichte des Präsidenten.
Klappentext zu „Bis zum letzten Atemzug / Maxwell & King Bd.4 “
Grausiger Leichenfund und blutige RätselRoutiniert und mit einem atemberaubenden Spannungsbogen führt David Baldacci sein bewährtes Ermittlerduo Michelle Maxwell und Sean King durch die anfangs undurchsichtigen Zusammenhänge dieses Thrillers, der sich auf höchster gesellschaftlicher Ebene abspielt.In ihrem vierten Fall stolpern die beiden Privatdetektive fast zufällig in eine Katastrophe, die als fröhliche Geburtstagsfeier einer Zwölfjährigen beginnt: Am selben Abend noch wird das Geburtstagskind entführt. Und die kleine Willa ist nicht irgendein Mädchen - sie ist die Nichte des Präsidenten.Als die Ermittler Sean King und Michelle Maxwell im Haus der Familie eintreffen, bietet sich ihnen ein Bild des Grauens: Die Mutter der Kleinen liegt mit aufgeschlitzter Kehle auf dem Boden - und offensichtlich haben die Täter der Leiche Blut entnommen. Doch wer hat ein Interesse an diesem Blut, und was hat Willa damit zu tun? Im Laufe ihrer Ermittlungen dringen die Detektive immer weiter in ein Netz aus dubiosen Machenschaften ein, die es aufzuschlüsseln gilt.Packende Thriller-Unterhaltung von Bestsellerautor David Baldacci - Der vierte Band um das Ermittler-Duo King und Maxwell.
Lese-Probe zu „Bis zum letzten Atemzug / Maxwell & King Bd.4 “
Bis zum letzten Atemzug von David BaldacciCopyright © 2011 by Bastei Lübbe GmbH & Co. KG, Köln
Prolog
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Ihre Schritte waren bedächtig. Die Straße hinunter, dann nach links, zwei Querstraßen entlang, dann nach rechts.
An einer Abzweigung legte sie eine kurze Pause ein; an der nächsten machte sie einen längeren Halt. Aber das war reine Gewohnheit, denn ihr inneres Radar zeigte keine Gefahr an. Sie beschleunigte ihre Schritte. Es waren noch ziemlich viele Passanten auf der Straße, obwohl es spät war, aber die Leute sahen sie nicht. Sie schien wie eine Brise an ihnen vorbeizuwehen - man fühlte sie, ohne sie sehen zu können.
Das dreistöckige Gebäude war dort, wo es immer gewesen war, wie festgekeilt zwischen einem Hochhaus zur Linken und einem Rohbau zur Rechten. Natürlich gab es Sicherheitseinrichtungen, aber die waren nicht der Rede wert. Einen Anfänger würden sie nur ein paar Minuten aufhalten, für einen Profi waren sie ein Witz.
Sie suchte sich ein Fenster auf der Rückseite des Gebäudes aus, statt durch die Vordertür einzubrechen. Diese Einstiegspunkte waren fast nie verkabelt. Sie legte den Riegel um, schob das Fenster hoch und wand sich hindurch. Die Bewegungssensoren hatte sie rasch hinter sich gelassen, aber dann wurde sie doch nervös: Sie war jetzt sehr nahe am Ziel, und das jagte ihr eine Heidenangst ein, auch wenn sie es nie zugegeben hätte.
Der Aktenschrank war verschlossen. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
Du machst mir ganz schön Arbeit, Horatio.
Fünfzehn Sekunden später glitt die Schublade auf. Ihre Finger huschten über die Rücken der Aktenmappen. Genau in der Mitte hielt sie inne - dort, wo sie es nie erwartet hätte. Es war eine dicke Akte, aber damit hatte sie gerechnet. Sie zog die Akte heraus und blickte zum Kopierer.
Okay, dann los.
Horatio Barnes war ihr Psychiater. Vor einiger Zeit hatte er sie überredet, in eine Klinik zu gehen. Doch durch diese freiwillige Einkerkerung war aber nur ein einziges Rätsel gelöst worden, und das hatte nichts mit ihren Problemen zu tun. Später hatte Horatio sie hypnotisiert und in die Kindheit zurückgeführt; jeder Seelenklempner, der sein Geld wert war, tat das früher oder später. Die Sitzung hatte offenbar viele Dinge zutage gefördert. Das Problem war nur, dass Horatio beschlossen hatte, ihr nicht alles zu sagen, was sie ihm enthüllt hatte. Und nun war sie hier, um dieses Versäumnis zu korrigieren.
Sie legte die Seiten in den Papiereinzug des Kopierers und drückte den Knopf. Eins nach dem anderen huschten die Ereignisse ihres Lebens durch das Gerät. Und mit jedem Blatt Papier, das in die Ablage geworfen wurde, ging ihr Puls schneller.
Schließlich steckte sie die Originalakte wieder in die Schublade und band die Kopie mit einem Gummiband zusammen. Ruhig ging sie zu ihrem SUV zurück, erneut so unsichtbar wie eine Brise. Um sie her wogte das Nachtleben, doch niemand sah sie.
Sie stieg in ihren Wagen, ließ den Motor an. Ihre Hände legten sich um das Lenkrad. Sie hatte es schon immer geliebt, die Kraft der Achtzylindermaschine zu spüren, wenn sie über unbekannte Straßen raste. Doch als sie nun durch die Windschutzscheibe blickte, wollte sie nichts Unbekanntes mehr, nichts Neues. Sie wollte, dass alles wieder so wurde wie früher. Sie blickte auf die Akte, sah den Namen auf der ersten Seite.
Michelle Maxwell.
Für einen Augenblick schien es ein fremder Name zu sein: Auf den kopierten Seiten standen das Leben, die Geheimnisse und die Qualen eines anderen. Probleme. Was für ein furchtbares Wort. Dabei klang es so harmlos. Probleme. Jeder hatte Probleme.
Der hubraumstarke Motor des SUV bollerte im Leerlauf und blies Kohlendioxid in eine Atmosphäre, die ohnehin schon voll davon war. Ein paar dicke Regentropfen klatschten auf die Windschutzscheibe. Michelle sah, wie die Leute schneller gingen, um dem drohenden Wolkenbruch zu entfliehen. Eine Minute später war das Unwetter da. Michelle spürte, wie der Wind an ihrem SUV rüttelte. Ein greller Blitz, krachender Donner. Die Heftigkeit des Unwetters ließ darauf schließen, dass es nicht lange anhalten würde. Eine solch verschwenderische Gewalt hatte sich bald erschöpft, die Energie war rasch aufgebraucht.
Michelle stellte den Motor ab, griff nach den Kopien, riss das Gummiband herunter und begann zu lesen. Zuerst allgemeine Informationen: Geburtsdatum, Geschlecht, Bildungsweg, berufliche Laufbahn. Michelle blätterte weiter. Da stand nichts, was sie nicht schon wusste. Aber das war keine Überraschung. Schließlich ging es hier um sie.
Als Michelle auf die fünfte Seite der mit Maschine geschriebenen Notizen blickte, zitterten ihre Hände. Die Kopfzeile lautete: »Kindheit - Tennessee«. Sie schluckte mit trockenem Mund, hustete, rang nach Luft, und das machte es noch schlimmer. Der Speichel gerann ihr im Mund, so wie damals, als sie bei der Ruderregatta beinahe an Erschöpfung gestorben wäre. Das Rennen hatte ihr eine Silbermedaille eingebracht, die ihr mit jedem Tag weniger bedeutet hatte.
Michelle griff nach einer Flasche Mineralwasser und trank. Dabei tropfte Wasser auf die Kopien. Michelle fluchte und wischte so wütend über das Papier, dass sie es beinahe zerriss. Tränen liefen ihr über die Wagen, ohne dass sie den Grund dafür wusste. Sie hob das eingerissene Papier dicht vor die Augen, konnte die Schrift aber nicht mehr entziffern und schaute aus dem Wagen in die dichten Regenschleier. Das Unwetter hatte die Leute vertrieben; die Straßen waren leer.
Michelle richtete den Blick wieder auf die Seiten, aber da war nichts mehr. Natürlich standen die Worte immer noch da, nur konnte Michelle sie nicht sehen.
»Du schaffst es«, feuerte sie sich selbst an. »Du kriegst das hin.«
Michelle riss sich zusammen, konzentrierte sich. »Kindheit ... Tennessee«, begann sie.
Sie war wieder sechs Jahre alt und lebte mit ihren Eltern in Tennessee. Ihr Dad war Polizeibeamter auf dem Weg nach oben, und ihre Mom war ... nun, ihre Mom. Michelle hatte vier ältere Brüder, die damals alle schon ausgezogen waren. Nur noch die kleine Michelle war zu Hause gewesen.
Mit einem Mal fand sie sich wieder zurecht. Die Worte waren klar, und auch die Bilder wurden deutlicher, je tiefer sie in diesen abgeschiedenen Winkel ihrer Erinnerungen kroch. Als sie umblätterte und ihr Blick auf das Datum fiel, war es, als hätte ein Blitz es in ihr Inneres eingebrannt. Eine Milliarde Volt Schmerzen und ein gequälter Schrei, den man beinahe sehen und fühlen konnte.
Michelle starrte aus dem Fenster. Es goss jetzt wie aus Eimern. Die Straßen waren immer noch leer.
Nein, doch nicht ... Als sie die Augen zusammenkniff, sah sie einen großen Mann, der ohne Schirm und Mantel im strömenden Regen stand. Er war durchnässt. Hemd und Hose klebten ihm auf der Haut. Er starrte Michelle an, sie starrte zurück. Weder Furcht noch Hass oder Mitgefühl waren im Blick des Mannes zu erkennen, als er sie durch den Regen hindurch beobachtete. Nur eine unterschwellige Traurigkeit, die zu Michelles Verzweiflung passte.
Michelle ließ den Motor an, legte den Gang ein und trat aufs Gaspedal. Als sie an dem Mann vorbeischoss, schaute sie zu ihm. Ein Blitz zuckte und machte die Nacht einen Wimpernschlag lang zum Tag. In der Explosion aus grellem Licht und krachendem Donner waren ihrer beider Bilder wie eingefroren, als sie einander anschauten.
Sean King sagte kein Wort. Er versuchte auch nicht, Michelle aufzuhalten. Er stand einfach da, das nasse Haar in der Stirn. Doch sein Blick war so eindringlich, wie Michelle es noch nie gesehen hatte. Es machte ihr Angst. Seans Blick schien ihr die Seele aus dem Leib reißen zu wollen.
Eine Sekunde später war Michelle um die Ecke gebogen und verlangsamte das Tempo. Sie ließ das Seitenfenster herunter, stoppte neben einem Mülleimer und warf die Kopien hinein.
Augenblicke später war ihr SUV im Unwetter verschwunden.
1.
Luftschlangen und Maschinengewehre. Funkelnde Löffel gruben sich in cremige Leckereien, während schwielige
Finger sich um stählerne Abzugsbügel legten. Fröhliches Lachen, als Geschenke ausgepackt wurden, begleitet vom bedrohlichen Peitschen eines landenden Helikopters.
Die Anlage war vom Verteidigungsministerium offiziell der Marine-Nachschubbasis in Thurmont zugeteilt, doch die meisten Amerikaner kannten sie als Camp David. Aber egal, welchen Namen man benutzte, es war kein normaler Ort für einen Kindergeburtstag. Ursprünglich ein Erholungslager, das zur Zeit der Großen Depression erbaut worden war, diente die Anlage seit Jahrzehnten als Landsitz der US-Präsidenten. Franklin D. Roosevelt hatte ihn »ShangriLa« getauft, denn er hatte den Platz der Präsidentenjacht eingenommen. Seinen heutigen, weniger exotischen Namen hatte das Anwesen von Dwight D. Eisenhower bekommen, der ihm den Namen »Camp David« gegeben hatte, nach seinem Enkel. Das einhundertdreißig Morgen große, ländliche Areal bot Möglichkeiten für die verschiedensten Freizeitaktivitäten. Es gab Tennisplätze, Wanderwege und genau ein Übungsloch für präsidiale Golfer.
Die Geburtstagsparty fand im Bowling Center statt. Ein Dutzend Kinder waren eingeladen, begleitet von ihren Gouvernanten. Natürlich waren alle aufgeregt; schließlich befanden sie sich auf heiligem Boden, über den schon Kennedy und Reagan gewandelt waren.
Die Chefgouvernante und Organisatorin war Jane Cox -
eine Rolle, an die gewöhnt war; schließlich war sie die First Lady der Vereinigten Staaten. Jane, das schulterlange braune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug den Geburtstagskuchen höchstpersönlich nach draußen und gab obendrein die Vorsängerin beim »Happy Birthday« für ihre Nichte, Willa Dutton. Willa war ziemlich klein für ihr Alter und ungewöhnlich einnehmend, hatte man sie erst einmal kennengelernt. Jane würde es niemals zugeben, aber Willa war ihre Lieblingsnichte.
Die First Lady aß keinen Kuchen, denn sie musste auf ihre Figur achten. Seit ihrem Einzug ins Weiße Haus hatte sie ein paar Pfund zugelegt - wie bereits während des Höllenritts, den man Wahlkampf nannte, denn ihr Mann kandidierte für eine zweite Amtsperiode. Jane maß gut eins siebzig und war somit groß genug, dass sie Designermode tragen konnte und gut darin aussah. Ihr Mann wiederum war knapp unter eins achtzig, weshalb Jane auf allzu hohe Absätze verzichtete, damit der Präsident nicht kleiner aussah als sie. Der äußere Schein war sehr wichtig in der Politik.
Janes Gesicht war leidlich attraktiv - zumindest nach eigener Einschätzung, wann immer sie einen Blick in den Spiegel warf. Natürlich waren die Falten einer Frau zu sehen, die mehrere Geburten und Wahlkämpfe hinter sich hatte. So etwas hinterließ bei jeder Frau Spuren, und wenn man als First Lady eine Schwäche zeigte, und sei sie noch so klein, stürzte die Gegenseite sich unweigerlich darauf und schlachtete es aus. Doch der Großteil der Presse bezeichnete Jane immer noch als attraktiv. Einige schossen sogar übers Ziel hinaus und behaupteten, sie sähe aus wie ein Hollywoodstar. Früher hatte das vielleicht gestimmt, jetzt nicht mehr. Inzwischen war sie definitiv vom Vamp zur Charakterdarstellerin reiferen Alters geworden. Aber ein
straffes Gesicht und ein knackiger Hintern standen ohnehin schon lange nicht mehr auf Janes Prioritätenliste.
Während der Party schaute sie immer wieder zum Fenster hinaus und blickte auf die finster dreinschauenden Marineinfanteristen, die draußen mit schussbereiten Waffen patrouillierten. Natürlich hatte der Secret Service das Präsidentenehepaar hierher begleitet, doch offiziell war Camp David noch immer eine Marinebasis. Deshalb bestand das gesamte Personal, vom Tischler bis zum Gärtner, aus Angehörigen der Seestreitkräfte, und für die Sicherheit sorgten größtenteils die Ledernacken, die hier stationiert waren. Camp David war besser bewacht als das Weiße Haus, auch wenn es nur wenige Leute gab, die das offiziell eingestehen würden.
Doch mit Sicherheitsfragen beschäftigte Jane sich nicht. Stattdessen schaute sie gutgelaunt zu, wie Willa das Dutzend Kerzen auf ihrer zweistöckigen Torte auspustete und anschließend half, die Kuchenstücke zu verteilen. Jane umarmte Willas Mutter, die große, schlanke, rot gelockte Pam Dutton.
»Willa sieht glücklich aus«, sagte Jane.
»Bei ihrer Tante Jane ist sie immer glücklich«, erwiderte Pam und tätschelte ihrer Schwägerin liebevoll den Rücken. »Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du uns die Party hier feiern lässt, zumal Dan ... ich meine, der Präsident, ja nicht einmal hier ist.«
Da sie keine Blutsverwandte war, empfand Pam es noch immer als unangenehm, ihren Schwager beim Vornamen zu nennen, während die Geschwister des Präsidenten und auch Jane ihn häufig »Danny« nannten.
Jane lächelte. »Dem Gesetz nach haben Präsident und First Lady die gleichen Rechte, was Staatseigentum betrifft. Und für die Finanzen der Familie bin immer noch ich verantwortlich.« Sie lachte. »Danny kann nicht gut mit Zahlen umgehen.«
»Trotzdem, es war sehr aufmerksam von dir.« Pam schaute zu ihrer Tochter hinüber. »Nächstes Jahr ist sie ein Teenager. Meine Güte, meine Älteste einTeenager! Kaum zu glauben.«
Pam hatte drei Kinder. Die zwölfjährige Willa, den zehnjährigen John und die siebenjährige Colleen. Jane hatte ebenfalls drei Kinder, doch sie waren älter. Ihr neunzehnjähriger Sohn besuchte bereits ein College, und ihre Tochter arbeitete als Krankenschwester in Atlanta. Der zweite Sohn, altersmäßig zwischen seinen Geschwistern, wusste noch nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte.
Die Cox hatten früh eine Familie gegründet. Jane war erst achtundvierzig, und ihr Mann hatte kürzlich seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert.
Jane sagte: »Jungen bringen einem das Herz durcheinander, Mädchen den Kopf.«
»Ich weiß nicht, ob mein Kopf für Willa bereit ist.«
»Du darfst die Verbindung nie abreißen lassen. Du musst immer wissen, wer ihre Freunde sind. Beobachte, was um sie herum vorgeht. Manchmal wird sie sich zurückziehen, aber das ist normal. Willa ist intelligent, und sie wird einmal sehr hübsch. Sie wird sich über dein Interesse freuen.«
»Das ist ein guter Rat, Jane. Schön, dass ich immer auf dich zählen kann.«
»Tut mir leid, dass Tuck es nicht geschafft hat.«
»Er sollte morgen wieder hier sein, aber du kennst ja deinen Bruder.«
Jane blickte Pam besorgt an. »Wird schon schiefgehen.«
Als Pam davonging, schaute Jane zu Willa hinüber. Das Mädchen verkörperte eine Mischung aus fraulicher Reife und kindlicher Naivität. Sie konnte besser schreiben als die meisten Erwachsenen und über Themen diskutieren, die
Ältere in Erstaunen versetzten. Doch wer sie beobachtete, konnte sehen, wie kleinmädchenhaft sie kicherte, und dass sie das andere Geschlecht gerade erst entdeckte - mit einer Mischung aus Scheu und Interesse, wie bei vielen Mädchen ihres Alters.
Die Party neigte sich dem Ende zu, und die Gäste verabschiedeten sich. Jane Cox stieg in den Helikopter. Er war nicht als »Marine One« gekennzeichnet, denn der Präsident war nicht an Bord. An diesem Tag beförderte er nur die B-Mannschaft, was Jane ganz recht war. Privat waren sie und ihr Mann gleichgestellt, doch in der Öffentlichkeit ging sie stets die obligatorischen zwei Schritt hinter ihm.
Jane schnallte sich an, und ein uniformierter Marine warf die Tür zu. Vier Agenten des Secret Service begleiteten Jane. Der Helikopter hob ab. Nach wenigen Sekunden schaute Jane auf Camp David hinunter, den »Vogelkäfig«, wie der Codename des Secret Service lautete. Der Helikopter flog nach Süden. In dreißig Minuten würden sie auf dem Rasen vor dem Weißen Haus landen.
In der Hand hielt Jane ein Blatt Papier, das Willa ihr kurz vor dem Ende der Party in die Hand gedrückt hatte. Es war ein Dankbrief. Jane lächelte. Der Brief war in der Sprache eines reifen Menschen geschrieben und war beinahe ein Musterbeispiel für Etikette.
Jane faltete den Brief zusammen und steckte ihn weg. Der Rest des Tages und der Abend würden nicht so angenehm verlaufen. Die Pflicht rief. Jane hatte längst gelernt, dass das Leben der First Lady einer unablässig auf Hochtouren laufenden Maschine glich.
Der Helikopter setzte auf. Da der Präsident nicht an Bord war, gab es keinen Salut, als Jane zum Weißen Haus ging. Sie wusste, ihr Mann war im Büro neben dem Oval Office, das fast ausschließlich für zeremonielle Zwecke genutzt wurde.
Doch Jane hatte mehrere Forderungen gestellt, als sie sich bereit erklärt hatte, ihren Mann beim Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen. Eine dieser Forderungen war gewesen, jederzeit ins Allerheiligste zu dürfen, ohne sich vorher anmelden zu müssen.
»Ich bin keine Besucherin«, hatte sie damals zu ihrem Mann gesagt. »Ich bin deine Frau.«
Jane trat auf den so genannten »Body Man« zu, offiziell der persönliche Assistent des Präsidenten, der vor dem Oval Office stand. Der Body Man sorgte dafür, dass der Präsident seinen Terminplan einhielt und mit höchstmöglicher Effektivität arbeiten konnte. Zu diesem Zweck stand er vor Sonnenaufgang auf und widmete jeden Augenblick seines Wachseins den Bedürfnissen des Präsidenten -lange, bevor der Präsident wusste, was für Bedürfnisse das eigentlich waren.
»Sorgen Sie dafür, dass der Präsident und ich ungestört sind, Jay«, sagte Jane zu ihm. »Ich gehe jetzt zu ihm rein.« Sofort wich Jay zur Seite.
Jane verbrachte ein paar Minuten mit dem Präsidenten und erzählte ihm von der Geburtstagsparty. Dann ging sie in den Wohntrakt, um sich frisch zu machen und sich umzuziehen, denn später gab sie einen Empfang. Als der Tag endete, zog Jane sich in ihr »offizielles« Heim zurück, trat sich die Schuhe von den Füßen und gönnte sich einen Becher heißen Tee.
Zwanzig Meilen entfernt schrie Willa Dutton, das zwölfjährige Geburtstagskind, ihre Angst und ihr Entsetzen hinaus.
Ihre Schritte waren bedächtig. Die Straße hinunter, dann nach links, zwei Querstraßen entlang, dann nach rechts.
An einer Abzweigung legte sie eine kurze Pause ein; an der nächsten machte sie einen längeren Halt. Aber das war reine Gewohnheit, denn ihr inneres Radar zeigte keine Gefahr an. Sie beschleunigte ihre Schritte. Es waren noch ziemlich viele Passanten auf der Straße, obwohl es spät war, aber die Leute sahen sie nicht. Sie schien wie eine Brise an ihnen vorbeizuwehen - man fühlte sie, ohne sie sehen zu können.
Das dreistöckige Gebäude war dort, wo es immer gewesen war, wie festgekeilt zwischen einem Hochhaus zur Linken und einem Rohbau zur Rechten. Natürlich gab es Sicherheitseinrichtungen, aber die waren nicht der Rede wert. Einen Anfänger würden sie nur ein paar Minuten aufhalten, für einen Profi waren sie ein Witz.
Sie suchte sich ein Fenster auf der Rückseite des Gebäudes aus, statt durch die Vordertür einzubrechen. Diese Einstiegspunkte waren fast nie verkabelt. Sie legte den Riegel um, schob das Fenster hoch und wand sich hindurch. Die Bewegungssensoren hatte sie rasch hinter sich gelassen, aber dann wurde sie doch nervös: Sie war jetzt sehr nahe am Ziel, und das jagte ihr eine Heidenangst ein, auch wenn sie es nie zugegeben hätte.
Der Aktenschrank war verschlossen. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
Du machst mir ganz schön Arbeit, Horatio.
Fünfzehn Sekunden später glitt die Schublade auf. Ihre Finger huschten über die Rücken der Aktenmappen. Genau in der Mitte hielt sie inne - dort, wo sie es nie erwartet hätte. Es war eine dicke Akte, aber damit hatte sie gerechnet. Sie zog die Akte heraus und blickte zum Kopierer.
Okay, dann los.
Horatio Barnes war ihr Psychiater. Vor einiger Zeit hatte er sie überredet, in eine Klinik zu gehen. Doch durch diese freiwillige Einkerkerung war aber nur ein einziges Rätsel gelöst worden, und das hatte nichts mit ihren Problemen zu tun. Später hatte Horatio sie hypnotisiert und in die Kindheit zurückgeführt; jeder Seelenklempner, der sein Geld wert war, tat das früher oder später. Die Sitzung hatte offenbar viele Dinge zutage gefördert. Das Problem war nur, dass Horatio beschlossen hatte, ihr nicht alles zu sagen, was sie ihm enthüllt hatte. Und nun war sie hier, um dieses Versäumnis zu korrigieren.
Sie legte die Seiten in den Papiereinzug des Kopierers und drückte den Knopf. Eins nach dem anderen huschten die Ereignisse ihres Lebens durch das Gerät. Und mit jedem Blatt Papier, das in die Ablage geworfen wurde, ging ihr Puls schneller.
Schließlich steckte sie die Originalakte wieder in die Schublade und band die Kopie mit einem Gummiband zusammen. Ruhig ging sie zu ihrem SUV zurück, erneut so unsichtbar wie eine Brise. Um sie her wogte das Nachtleben, doch niemand sah sie.
Sie stieg in ihren Wagen, ließ den Motor an. Ihre Hände legten sich um das Lenkrad. Sie hatte es schon immer geliebt, die Kraft der Achtzylindermaschine zu spüren, wenn sie über unbekannte Straßen raste. Doch als sie nun durch die Windschutzscheibe blickte, wollte sie nichts Unbekanntes mehr, nichts Neues. Sie wollte, dass alles wieder so wurde wie früher. Sie blickte auf die Akte, sah den Namen auf der ersten Seite.
Michelle Maxwell.
Für einen Augenblick schien es ein fremder Name zu sein: Auf den kopierten Seiten standen das Leben, die Geheimnisse und die Qualen eines anderen. Probleme. Was für ein furchtbares Wort. Dabei klang es so harmlos. Probleme. Jeder hatte Probleme.
Der hubraumstarke Motor des SUV bollerte im Leerlauf und blies Kohlendioxid in eine Atmosphäre, die ohnehin schon voll davon war. Ein paar dicke Regentropfen klatschten auf die Windschutzscheibe. Michelle sah, wie die Leute schneller gingen, um dem drohenden Wolkenbruch zu entfliehen. Eine Minute später war das Unwetter da. Michelle spürte, wie der Wind an ihrem SUV rüttelte. Ein greller Blitz, krachender Donner. Die Heftigkeit des Unwetters ließ darauf schließen, dass es nicht lange anhalten würde. Eine solch verschwenderische Gewalt hatte sich bald erschöpft, die Energie war rasch aufgebraucht.
Michelle stellte den Motor ab, griff nach den Kopien, riss das Gummiband herunter und begann zu lesen. Zuerst allgemeine Informationen: Geburtsdatum, Geschlecht, Bildungsweg, berufliche Laufbahn. Michelle blätterte weiter. Da stand nichts, was sie nicht schon wusste. Aber das war keine Überraschung. Schließlich ging es hier um sie.
Als Michelle auf die fünfte Seite der mit Maschine geschriebenen Notizen blickte, zitterten ihre Hände. Die Kopfzeile lautete: »Kindheit - Tennessee«. Sie schluckte mit trockenem Mund, hustete, rang nach Luft, und das machte es noch schlimmer. Der Speichel gerann ihr im Mund, so wie damals, als sie bei der Ruderregatta beinahe an Erschöpfung gestorben wäre. Das Rennen hatte ihr eine Silbermedaille eingebracht, die ihr mit jedem Tag weniger bedeutet hatte.
Michelle griff nach einer Flasche Mineralwasser und trank. Dabei tropfte Wasser auf die Kopien. Michelle fluchte und wischte so wütend über das Papier, dass sie es beinahe zerriss. Tränen liefen ihr über die Wagen, ohne dass sie den Grund dafür wusste. Sie hob das eingerissene Papier dicht vor die Augen, konnte die Schrift aber nicht mehr entziffern und schaute aus dem Wagen in die dichten Regenschleier. Das Unwetter hatte die Leute vertrieben; die Straßen waren leer.
Michelle richtete den Blick wieder auf die Seiten, aber da war nichts mehr. Natürlich standen die Worte immer noch da, nur konnte Michelle sie nicht sehen.
»Du schaffst es«, feuerte sie sich selbst an. »Du kriegst das hin.«
Michelle riss sich zusammen, konzentrierte sich. »Kindheit ... Tennessee«, begann sie.
Sie war wieder sechs Jahre alt und lebte mit ihren Eltern in Tennessee. Ihr Dad war Polizeibeamter auf dem Weg nach oben, und ihre Mom war ... nun, ihre Mom. Michelle hatte vier ältere Brüder, die damals alle schon ausgezogen waren. Nur noch die kleine Michelle war zu Hause gewesen.
Mit einem Mal fand sie sich wieder zurecht. Die Worte waren klar, und auch die Bilder wurden deutlicher, je tiefer sie in diesen abgeschiedenen Winkel ihrer Erinnerungen kroch. Als sie umblätterte und ihr Blick auf das Datum fiel, war es, als hätte ein Blitz es in ihr Inneres eingebrannt. Eine Milliarde Volt Schmerzen und ein gequälter Schrei, den man beinahe sehen und fühlen konnte.
Michelle starrte aus dem Fenster. Es goss jetzt wie aus Eimern. Die Straßen waren immer noch leer.
Nein, doch nicht ... Als sie die Augen zusammenkniff, sah sie einen großen Mann, der ohne Schirm und Mantel im strömenden Regen stand. Er war durchnässt. Hemd und Hose klebten ihm auf der Haut. Er starrte Michelle an, sie starrte zurück. Weder Furcht noch Hass oder Mitgefühl waren im Blick des Mannes zu erkennen, als er sie durch den Regen hindurch beobachtete. Nur eine unterschwellige Traurigkeit, die zu Michelles Verzweiflung passte.
Michelle ließ den Motor an, legte den Gang ein und trat aufs Gaspedal. Als sie an dem Mann vorbeischoss, schaute sie zu ihm. Ein Blitz zuckte und machte die Nacht einen Wimpernschlag lang zum Tag. In der Explosion aus grellem Licht und krachendem Donner waren ihrer beider Bilder wie eingefroren, als sie einander anschauten.
Sean King sagte kein Wort. Er versuchte auch nicht, Michelle aufzuhalten. Er stand einfach da, das nasse Haar in der Stirn. Doch sein Blick war so eindringlich, wie Michelle es noch nie gesehen hatte. Es machte ihr Angst. Seans Blick schien ihr die Seele aus dem Leib reißen zu wollen.
Eine Sekunde später war Michelle um die Ecke gebogen und verlangsamte das Tempo. Sie ließ das Seitenfenster herunter, stoppte neben einem Mülleimer und warf die Kopien hinein.
Augenblicke später war ihr SUV im Unwetter verschwunden.
1.
Luftschlangen und Maschinengewehre. Funkelnde Löffel gruben sich in cremige Leckereien, während schwielige
Finger sich um stählerne Abzugsbügel legten. Fröhliches Lachen, als Geschenke ausgepackt wurden, begleitet vom bedrohlichen Peitschen eines landenden Helikopters.
Die Anlage war vom Verteidigungsministerium offiziell der Marine-Nachschubbasis in Thurmont zugeteilt, doch die meisten Amerikaner kannten sie als Camp David. Aber egal, welchen Namen man benutzte, es war kein normaler Ort für einen Kindergeburtstag. Ursprünglich ein Erholungslager, das zur Zeit der Großen Depression erbaut worden war, diente die Anlage seit Jahrzehnten als Landsitz der US-Präsidenten. Franklin D. Roosevelt hatte ihn »ShangriLa« getauft, denn er hatte den Platz der Präsidentenjacht eingenommen. Seinen heutigen, weniger exotischen Namen hatte das Anwesen von Dwight D. Eisenhower bekommen, der ihm den Namen »Camp David« gegeben hatte, nach seinem Enkel. Das einhundertdreißig Morgen große, ländliche Areal bot Möglichkeiten für die verschiedensten Freizeitaktivitäten. Es gab Tennisplätze, Wanderwege und genau ein Übungsloch für präsidiale Golfer.
Die Geburtstagsparty fand im Bowling Center statt. Ein Dutzend Kinder waren eingeladen, begleitet von ihren Gouvernanten. Natürlich waren alle aufgeregt; schließlich befanden sie sich auf heiligem Boden, über den schon Kennedy und Reagan gewandelt waren.
Die Chefgouvernante und Organisatorin war Jane Cox -
eine Rolle, an die gewöhnt war; schließlich war sie die First Lady der Vereinigten Staaten. Jane, das schulterlange braune Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden, trug den Geburtstagskuchen höchstpersönlich nach draußen und gab obendrein die Vorsängerin beim »Happy Birthday« für ihre Nichte, Willa Dutton. Willa war ziemlich klein für ihr Alter und ungewöhnlich einnehmend, hatte man sie erst einmal kennengelernt. Jane würde es niemals zugeben, aber Willa war ihre Lieblingsnichte.
Die First Lady aß keinen Kuchen, denn sie musste auf ihre Figur achten. Seit ihrem Einzug ins Weiße Haus hatte sie ein paar Pfund zugelegt - wie bereits während des Höllenritts, den man Wahlkampf nannte, denn ihr Mann kandidierte für eine zweite Amtsperiode. Jane maß gut eins siebzig und war somit groß genug, dass sie Designermode tragen konnte und gut darin aussah. Ihr Mann wiederum war knapp unter eins achtzig, weshalb Jane auf allzu hohe Absätze verzichtete, damit der Präsident nicht kleiner aussah als sie. Der äußere Schein war sehr wichtig in der Politik.
Janes Gesicht war leidlich attraktiv - zumindest nach eigener Einschätzung, wann immer sie einen Blick in den Spiegel warf. Natürlich waren die Falten einer Frau zu sehen, die mehrere Geburten und Wahlkämpfe hinter sich hatte. So etwas hinterließ bei jeder Frau Spuren, und wenn man als First Lady eine Schwäche zeigte, und sei sie noch so klein, stürzte die Gegenseite sich unweigerlich darauf und schlachtete es aus. Doch der Großteil der Presse bezeichnete Jane immer noch als attraktiv. Einige schossen sogar übers Ziel hinaus und behaupteten, sie sähe aus wie ein Hollywoodstar. Früher hatte das vielleicht gestimmt, jetzt nicht mehr. Inzwischen war sie definitiv vom Vamp zur Charakterdarstellerin reiferen Alters geworden. Aber ein
straffes Gesicht und ein knackiger Hintern standen ohnehin schon lange nicht mehr auf Janes Prioritätenliste.
Während der Party schaute sie immer wieder zum Fenster hinaus und blickte auf die finster dreinschauenden Marineinfanteristen, die draußen mit schussbereiten Waffen patrouillierten. Natürlich hatte der Secret Service das Präsidentenehepaar hierher begleitet, doch offiziell war Camp David noch immer eine Marinebasis. Deshalb bestand das gesamte Personal, vom Tischler bis zum Gärtner, aus Angehörigen der Seestreitkräfte, und für die Sicherheit sorgten größtenteils die Ledernacken, die hier stationiert waren. Camp David war besser bewacht als das Weiße Haus, auch wenn es nur wenige Leute gab, die das offiziell eingestehen würden.
Doch mit Sicherheitsfragen beschäftigte Jane sich nicht. Stattdessen schaute sie gutgelaunt zu, wie Willa das Dutzend Kerzen auf ihrer zweistöckigen Torte auspustete und anschließend half, die Kuchenstücke zu verteilen. Jane umarmte Willas Mutter, die große, schlanke, rot gelockte Pam Dutton.
»Willa sieht glücklich aus«, sagte Jane.
»Bei ihrer Tante Jane ist sie immer glücklich«, erwiderte Pam und tätschelte ihrer Schwägerin liebevoll den Rücken. »Ich kann dir gar nicht genug danken, dass du uns die Party hier feiern lässt, zumal Dan ... ich meine, der Präsident, ja nicht einmal hier ist.«
Da sie keine Blutsverwandte war, empfand Pam es noch immer als unangenehm, ihren Schwager beim Vornamen zu nennen, während die Geschwister des Präsidenten und auch Jane ihn häufig »Danny« nannten.
Jane lächelte. »Dem Gesetz nach haben Präsident und First Lady die gleichen Rechte, was Staatseigentum betrifft. Und für die Finanzen der Familie bin immer noch ich verantwortlich.« Sie lachte. »Danny kann nicht gut mit Zahlen umgehen.«
»Trotzdem, es war sehr aufmerksam von dir.« Pam schaute zu ihrer Tochter hinüber. »Nächstes Jahr ist sie ein Teenager. Meine Güte, meine Älteste einTeenager! Kaum zu glauben.«
Pam hatte drei Kinder. Die zwölfjährige Willa, den zehnjährigen John und die siebenjährige Colleen. Jane hatte ebenfalls drei Kinder, doch sie waren älter. Ihr neunzehnjähriger Sohn besuchte bereits ein College, und ihre Tochter arbeitete als Krankenschwester in Atlanta. Der zweite Sohn, altersmäßig zwischen seinen Geschwistern, wusste noch nicht, was er mit seinem Leben anfangen sollte.
Die Cox hatten früh eine Familie gegründet. Jane war erst achtundvierzig, und ihr Mann hatte kürzlich seinen fünfzigsten Geburtstag gefeiert.
Jane sagte: »Jungen bringen einem das Herz durcheinander, Mädchen den Kopf.«
»Ich weiß nicht, ob mein Kopf für Willa bereit ist.«
»Du darfst die Verbindung nie abreißen lassen. Du musst immer wissen, wer ihre Freunde sind. Beobachte, was um sie herum vorgeht. Manchmal wird sie sich zurückziehen, aber das ist normal. Willa ist intelligent, und sie wird einmal sehr hübsch. Sie wird sich über dein Interesse freuen.«
»Das ist ein guter Rat, Jane. Schön, dass ich immer auf dich zählen kann.«
»Tut mir leid, dass Tuck es nicht geschafft hat.«
»Er sollte morgen wieder hier sein, aber du kennst ja deinen Bruder.«
Jane blickte Pam besorgt an. »Wird schon schiefgehen.«
Als Pam davonging, schaute Jane zu Willa hinüber. Das Mädchen verkörperte eine Mischung aus fraulicher Reife und kindlicher Naivität. Sie konnte besser schreiben als die meisten Erwachsenen und über Themen diskutieren, die
Ältere in Erstaunen versetzten. Doch wer sie beobachtete, konnte sehen, wie kleinmädchenhaft sie kicherte, und dass sie das andere Geschlecht gerade erst entdeckte - mit einer Mischung aus Scheu und Interesse, wie bei vielen Mädchen ihres Alters.
Die Party neigte sich dem Ende zu, und die Gäste verabschiedeten sich. Jane Cox stieg in den Helikopter. Er war nicht als »Marine One« gekennzeichnet, denn der Präsident war nicht an Bord. An diesem Tag beförderte er nur die B-Mannschaft, was Jane ganz recht war. Privat waren sie und ihr Mann gleichgestellt, doch in der Öffentlichkeit ging sie stets die obligatorischen zwei Schritt hinter ihm.
Jane schnallte sich an, und ein uniformierter Marine warf die Tür zu. Vier Agenten des Secret Service begleiteten Jane. Der Helikopter hob ab. Nach wenigen Sekunden schaute Jane auf Camp David hinunter, den »Vogelkäfig«, wie der Codename des Secret Service lautete. Der Helikopter flog nach Süden. In dreißig Minuten würden sie auf dem Rasen vor dem Weißen Haus landen.
In der Hand hielt Jane ein Blatt Papier, das Willa ihr kurz vor dem Ende der Party in die Hand gedrückt hatte. Es war ein Dankbrief. Jane lächelte. Der Brief war in der Sprache eines reifen Menschen geschrieben und war beinahe ein Musterbeispiel für Etikette.
Jane faltete den Brief zusammen und steckte ihn weg. Der Rest des Tages und der Abend würden nicht so angenehm verlaufen. Die Pflicht rief. Jane hatte längst gelernt, dass das Leben der First Lady einer unablässig auf Hochtouren laufenden Maschine glich.
Der Helikopter setzte auf. Da der Präsident nicht an Bord war, gab es keinen Salut, als Jane zum Weißen Haus ging. Sie wusste, ihr Mann war im Büro neben dem Oval Office, das fast ausschließlich für zeremonielle Zwecke genutzt wurde.
Doch Jane hatte mehrere Forderungen gestellt, als sie sich bereit erklärt hatte, ihren Mann beim Präsidentschaftswahlkampf zu unterstützen. Eine dieser Forderungen war gewesen, jederzeit ins Allerheiligste zu dürfen, ohne sich vorher anmelden zu müssen.
»Ich bin keine Besucherin«, hatte sie damals zu ihrem Mann gesagt. »Ich bin deine Frau.«
Jane trat auf den so genannten »Body Man« zu, offiziell der persönliche Assistent des Präsidenten, der vor dem Oval Office stand. Der Body Man sorgte dafür, dass der Präsident seinen Terminplan einhielt und mit höchstmöglicher Effektivität arbeiten konnte. Zu diesem Zweck stand er vor Sonnenaufgang auf und widmete jeden Augenblick seines Wachseins den Bedürfnissen des Präsidenten -lange, bevor der Präsident wusste, was für Bedürfnisse das eigentlich waren.
»Sorgen Sie dafür, dass der Präsident und ich ungestört sind, Jay«, sagte Jane zu ihm. »Ich gehe jetzt zu ihm rein.« Sofort wich Jay zur Seite.
Jane verbrachte ein paar Minuten mit dem Präsidenten und erzählte ihm von der Geburtstagsparty. Dann ging sie in den Wohntrakt, um sich frisch zu machen und sich umzuziehen, denn später gab sie einen Empfang. Als der Tag endete, zog Jane sich in ihr »offizielles« Heim zurück, trat sich die Schuhe von den Füßen und gönnte sich einen Becher heißen Tee.
Zwanzig Meilen entfernt schrie Willa Dutton, das zwölfjährige Geburtstagskind, ihre Angst und ihr Entsetzen hinaus.
... weniger
Autoren-Porträt von David Baldacci
David Baldacci, geboren 1960 in Virginia, studierte Politikwissenschaft und Jura und arbeitete nach dem Studium neun Jahre als Strafverteidiger und Wirtschaftsjurist in Washington, bevor er sich ganz dem Schreiben widmete. Sein erstes verkauftes Manuskript war 'Absolute Power'; es verhalf ihm zu Weltruhm. David Baldaccis Romane wurden mittlerweile in mehr als 30 Sprachen übersetzt und in mehr als 80 Ländern der Welt verkauft. Neben seiner Arbeit als Schriftsteller engagiert er sich für eine Reihe karitativer und gesellschaftlicher Institutionen, darunter die National Multiple Sclerosis Society, die Barbara Bush Literacy Foundation oder die Virginia Foundation for the Humanities.
Bibliographische Angaben
- Autor: David Baldacci
- 2011, 3. Aufl. 2011, 576 Seiten, Masse: 12,4 x 18,5 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Schumacher, Rainer
- Übersetzer: Rainer Schumacher
- Verlag: Bastei Lübbe
- ISBN-10: 3404165535
- ISBN-13: 9783404165537
- Erscheinungsdatum: 17.03.2011
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