Lexikon der bedrohten Wörter
"Was ist das schönste deutsche Wort?", fragten vor kurzem der Deutsche Sprachrat und das Goethe-Institut und Tausende von Vorschlägen kamen. Aber wer denkt an die Wörter, die es nicht so leicht haben - die immer seltener erklingen oder die von anderen...
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"Was ist das schönste deutsche Wort?", fragten vor kurzem der Deutsche Sprachrat und das Goethe-Institut und Tausende von Vorschlägen kamen. Aber wer denkt an die Wörter, die es nicht so leicht haben - die immer seltener erklingen oder die von anderen verdrängt werden? Bodo Mrozek spürt die Wörter auf, die vom Aussterben bedroht sind und geht auf amüsante Art und Weise der Frage nach, warum sie nicht vor den Furien des Verschwindens gefeit sind.
"Ein amüsantes Panoptikum von Sprachsonderlingen."
Berliner Zeitung
Lexikonder bedrohten Wörter von BodoMrozek
LESEPROBE
Gutmensch
Das von Kurt Scheel 1991 geschöpfte Wort wurde erstmals imJanuar 92 im Merkur gedruckt und bezeichnet eine vorwiegend inDeutschland anzutreffende Gattung von Inhabern einer politisch-moralischenEinstellung, die so grundgütig war, dass sie zu ständigem Mahner- undWarnertum führte. Das Gutmenschentum rekrutierte sich aus Studenten, die sichnoch mit der historisch-kritischen Gesamtausgabe von Karl Marx abgeschleppthatten, und politischen Autodidakten, die aus den Tee- und Wärmestuben derBürgerinitiativen hinaus in die Öffentlichkeit strebten.
Gutmenschen standen stets auf der Seite der Unterdrücktenund Verfolgten, obwohl es ihnen selbst meist prima ging. Typisch war, dass manmit den Minderheiten, deren Interessen man selbstverständlich vertrat, nichtpersönlich bekannt war, geschweige denn danach fragte, ob sie eigentlichvertreten werden wollten. Heute erkennt man Gutmenschen daran, dass sie dasGutmenschentum mit derselben Vehemenz ablehnen, wie sie es früher vertraten -vermutlich weil sie es nicht ertragen können, dass andere ebenso reine Zieleverfolgen könnten wie sie selbst. So geht ein weiteres Kollektivphänomen ansich selbst zugrunde.
Hagestolz
Das Brockhaus-Konversationslexikon von 1908 kennt ihn alseinen «Mann, welcher aus eigenem Willen über die Jugendjahre hinausunverheiratet bleibt, obschon er nicht durch körperliches oder bürgerlichesUnvermögen gehindert ist, eine Ehe zu schliessen». Im Gegensatz zur alten s" Jungfer, der dasKlischee einer vom Leben benachteiligten und deshalb tragischen Figur anhing,schwang im Wort H. die Freiwilligkeit des gewählten Lebensstils mit. Das Wortlieh einer Erzählung des Dichters Adalbert Stifter (1805-1868) den Titel. DerVolkskundlerin Katrin Baumgarten zufolge stammt das Wort vom mittelalterlichenHagestolzenrecht ab, das den Verwalter eines Fronhofes bezeichnete. Starbdieser, so fiel bis ins frühe 18. Jahrhundert sein Besitz dem jeweiligenLandesherrn zu. Mit solchen Diskriminierungen ist endgültig Schluss: Werunverheiratet bleibt, wird nicht länger als der Einbeinige unter den Paarhufernbetrachtet, sondern erhält den geschlechtsneutralen Ehrentitel Single. DiesesModewort wurde bereits in den 1970er Jahren eingedeutscht. Heute lässt sich derSingle von der im Ehestand befindlichen Minderheit der Gesellschaft beneidenund in lustigen Sitcoms feiern. Für betagte männliche Singles gibt es keinespezifische deutsche Bezeichnung mehr.
Schneckenschleuder
Jugendsprachlich für ein Aufsehen erregendes Automobil, vondem Männer glauben, dass Frauen gerne darin mitfahren, zum Beispiel insAutokino. Muss eine Rückbank haben.
schnieke
Ebenso veraltet wie > knocke, > dufte oder > tofte.Heutzutage sagt man cool.
Schniepel
Nicht, was Sie jetzt denken. Vielmehr noch um 1900 alszwanglose Bezeichnung für ein geschwänztes Kleidungsstück üblich, das beifeierlichen Anlässen den Mann in einen Herren verwandelte und auf denoffiziellen Namen Frack hörte.
Heute, da man selbst auf Hochzeiten in > Nietenhosenerscheinen darf, fast gänzlich ausgestorben und der Diplomatie oder demMedienadel vorbehalten. So wird wohl auch das Wort Frack bald vergessen sein.
Schürzenjäger
In ländlichen Regionen auch als Hennenabtaster bekannt,meint das Wort einen Frauenhelden, also jemanden, der auf sexuelle Eroberungenaus ist. Da die Schürze ebenso wie der Rock keineswegs mehr eingeschlechtsspezifisches Kleidungsstück ist, stirbt der S. allmählich aus.Schürzen werden heute nur noch am Herd getragen - von Frauen und Männerngleichermassen. Das Wort S. ist lediglich noch Freunden volkstümlicher Musik alsName einer Zillertaler Heimatkapelle bekannt.
Schuft
Wohl kaum eine Wortgattung unterliegt einem derart schnellenWandel wie die der Schimpfwörter. Das abfällige S. dient heute kaum noch seinerehrverletzenden Bestimmung und ist infolgedessen auf den verbalen Kampfplätzendes deutschen Sprachraumes, also vor Parklücken, auf Autobahnen und an denSchlangen vor Supermarktkassen, gänzlich unüblich geworden. Wahrscheinlich,weil seine Herkunft längst vergessen ist und niemand mehr weiss, dass es sichvom ebenfalls vergessenen schubben (schieben oder reiben) herleitet.
Wer aber seine Jacke schubbt, der hat wahrscheinlich Flöhe,Läuse oder anderes Ungeziefer und ist deshalb ein rechter Schubiack(niederdeutsch: Schufut), kurz: ein S. In manchen Fällen ist es ganz gut, wenndas Wissen über Wortbedeutungen verloren geht. Wer es nicht glaubt, der macheeinmal die Probe aufs Exempel und bezeichne einen möglichst muskulösen,finster dreinblickenden Fremden einmal als S. und sodann als einen«verlausten, stinkenden, ungewaschenen Kerl voller Flöhe». Obwohl beideAnreden die gleiche Bedeutung haben, wird man in der Sprachpraxis höchstunterschiedliche Resultate damit erzielen.
© Rowohlt Verlag
- Autor: Bodo Mrozek
- 2005, 14. Auflage, 220 Seiten, Masse: 12,5 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Rowohlt TB.
- ISBN-10: 3499620774
- ISBN-13: 9783499620775
- Erscheinungsdatum: 01.12.2005
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