How to be a woman
Wie ich lernte, eine Frau zu sein. Winner of the Galaxy Book of the Year; Galaxy National Book Awards 2011
"Ein feministisches Manifest mit viel schrägem Humor." Zeit Magazin
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Produktdetails
Produktinformationen zu „How to be a woman “
"Ein feministisches Manifest mit viel schrägem Humor." Zeit Magazin
Klappentext zu „How to be a woman “
Es ist verdammt schwer, eine Frau zu sein. Caitlin Moran kann ein Lied davon singen. Als Teenager kämpfte sie mit unförmigen Damenbinden, rostigen Nassrasierern und schlechten Pornos, als Erwachsene scheitert sie grandios am Ideal der modernen Frau. Die ist schön und schlank, hat Kind und Karriere und ist natürlich immer komplett epiliert. Blödsinn, meint Caitlin Moran. Wir dürfen fett, faul und behaart sein. Hauptsache, wir haben Spass, einen tragfähigen BH und die gleichen Rechte wie Männer. Alles, was ein Mann tun kann, darf eine Frau auch. Und gerne mit den Männern zusammen - denn Feminismus ohne Männer ist todlangweilig.Lese-Probe zu „How to be a woman “
How to be a Woman - Wie ich lernte, eine Frau zu sein von Caitlin MoranProlog
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Der schrecklichste Geburtstag
meines Lebens
Wolverhampton, 5. April 1988
Heute ist mein 13. Geburtstag. Und ich renne. Ich renne weg vor den Jungs aus meinem Viertel.
»Guckt mal, der da!«
»Penner!«
»Sieht ja aus wie'n Junge!«
Ich flüchte vor den Halbstarken, die sich immer auf dem Spielplatz in der Nähe von unserem Haus rumtreiben. Der Spielplatz sieht so aus, wie englische Spielplätze in den achtziger Jahren eben aussehen. Fallschutzbelag, ergonomisch sinnvoll gestaltetes Spielgerät und dergleichen gibt es nicht. Noch nicht mal Bretter auf den Bänken. Dafür aber viel Beton, viel Unkraut und viele leere Bierflaschen.
Während ich renne, wird mir bewusst, dass ich ganz allein bin. Mein Atem geht schwer und rasselnd, mir ist kotzübel. Ich weiß, was gerade passiert, ich hab's so oder ähnlich schon in Tierfilmen gesehen. Ich habe die Rolle der »schwachen Antilope«, die von den Löwen »vom Rudel getrennt« wird. Die Löwen, das sind die halbstarken Typen, die hinter mir her rennen. Ich weiß, dass diese Geschichte für die Antilope in der Regel nicht sonderlich gut ausgeht. Dementsprechend sollte ich mich darauf vorbereiten, dass meine Rolle sich in Kürze ändern wird. Von »Antilope« zu »Festtagsbraten«.
»He! Asi!«
Ich habe Gummistiefel und die abgewetzte Militärjacke meines Vaters an und auf der Nase eine Kassenbrille, mit der ich aussehe wie Woody Allen. Zugegebenermaßen wirke ich nicht sehr feminin. Feminin - das Wort passt auf Lady Di. Auf Kylie Minogue. Ich hingegen bin ... feminichts. Da kann ich die Verwirrung meiner Verfolger durchaus verstehen. Sie sehen nicht so aus, als würden sie sich brennend für a) den Kleidungsstil der zeitgenössischen Gegenkultur oder für b) stilprägende Transvestie-Ikonen aller Art interessieren. Vermutlich waren sie genauso verwirrt, als sie zum ersten Mal Annie Lennox und Boy George bei Top of the Pops gesehen haben.
Wenn sie mir nicht wie die Wilden hinterherhetzen würden, würde ich wahrscheinlich versuchen, ihnen irgendwas in der Richtung zu erklären. Ich könnte ihnen zum Beispiel erzählen, dass ich den berühmten Roman Quell der Einsamkeit von Marguerite Radclyffe-Hall gelesen habe, die bereits vor über 100 Jahren bekennende Lesbe war und grundsätzlich nur Hosen trug - und dass sie schon allein deshalb in Erwägung ziehen sollten, sich von althergebrachten Vorstellungen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Bekleidungsnormen zu lösen.
Falls die Jungs mit Marguerite Radclyffe-Hall eher wenig anfangen können, ließe sich auch Chrissie Hynde in die Konversation einwerfen, immerhin ist sie nicht nur erfolgreiche Rocksängerin und Gitarristin, sondern auch bekannt für ihre maskulinen Outfits. Ich könnte natürlich auch Julie Andrews erwähnen - in Victor/Victoria sah sie als Mann wirklich süg aus!
»He! Asi!«
Die Typen bleiben einen Moment stehen, offenbar um sich zu beraten. Daraufhin breche ich meinen Sprint ab und lehne mich keuchend gegen einen Baum. Ich bin völlig erledigt. Mit 82 Kilo Lebendgewicht bin ich für spannende Verfolgungsrennen nicht wirklich geeignet. Vom Typ her tendiere ich einfach
mehr in Richtung Obelix als in Richtung Asterix. Während ich langsam wieder zu Atem komme, denke ich über meine Lage nach.
Es wäre toll, sage ich mir, wenn ich einen Hund hätte. Einen gut abgerichteten Schäferhund zum Beispiel. Der könnte diesen Jungs mal so richtig zeigen, wo es langgeht. Ein Hund halt, der die Ängste und Befürchtungen seiner Besitzerin kennt und perfekt kompensiert.
Ich werfe einen Blick auf meinen Hund. Safran ist eine Schäferhündin. Knapp 200 Meter von mir entfernt wälzt sie sich selig in einem Haufen Fuchsscheiße, alle vier Pfoten in der Luft. Sie sieht glücklich aus. Kein Wunder, heute ist wirklich ein guter Tag für sie: Dieser Gassi-Gang ist wesentlich länger und wesentlich temporeicher als sonst.
Für mich ist heute ganz offensichtlich kein so guter Tag. Trotzdem bin ich überrascht, als die Jungs kurz nach Ende ihrer Beratungen anfangen, Steine nach mir zu werfen. Das ist jetzt echt übertrieben, finde ich. Und fange wieder an zu rennen.
Ihr braucht euch gar nicht so anzustrengen, um mich fertigzumachen!, denke ich entrüstet. Ich bin doch schon längst am Ende! Ehrlich, allein dieses »Asi!« hat mir schon gereicht!
Immerhin werde ich nur von einigen wenigen Steinen getroffen. Und die tun mir nicht weh: Meine Jacke hat schon mindestens einen Krieg erlebt, wenn nicht zwei. Kieselsteine können ihr nichts anhaben, höchstens Handgranaten.
Doch die Absicht ist das, was zählt. Schließlich hätten diese Typen die Zeit, die sie in die Jagd auf mich stecken, auch in lohnendere Aktivitäten investieren können. Pattex schnüffeln zum Beispiel. Oder Mädchen befummeln, und zwar solche, die sich auch anziehen wie echte Mädchen.
Als hätten sie meine Gedanken gelesen, verlieren meine Verfolger kurze Zeit später das Interesse an mir. Als Antilope bin ich offenbar out. Ich renne zwar noch, aber die Jungs sind inzwischen stehengeblieben und werfen nur noch hier und
da halbherzig einen Stein nach mir, bis ich endgültig außer Reichweite bin. Brüllen tun sie allerdings immer noch.
»Du Kerl!«, brüllt der Größte von ihnen meinem Rücken zum Abschied hinterher. »Du ... Schwuchtel!«
Als ich nach Hause komme, weine ich erst mal. Allerdings nur vor der Tür. Drinnen ist einfach kein Platz dafür. Ich habe schon versucht, im Haus zu weinen, aber es ist immer dasselbe: Jemand fragt, was los ist, ich versuche, zwischen meinen Schluchzern zu erklären, warum ich weine, und wenn ich mit meiner Geschichte gerade mal halb fertig bin, kommt der Nächste rein, fragt, was los ist, ich muss noch mal von vorne anfangen, und ehe ich michs versehe, habe ich die schlimmsten Stellen sechsmal erzählt und werde darüber so hysterisch, dass ich den Rest des Tages an nervösem Schluckauf leide.
Wenn man mit fünf jüngeren Geschwistern in einem sehr kleinen Sozialbau wohnt, ist es wirklich wesentlich vernünftiger, alleine zu weinen. Und schneller vorbei ist es auch.
Ich schaue meinen Hund an.
Wenn du ein guter, treuer Hund wärst, würdest du mir jetzt die Tränen vom Gesicht lecken, denke ich.
Stattdessen leckt Safran sich lautstark ihr Geschlecht.
Safran ist unser neuer Hund - »der dumme neue Hund«. Außerdem ist sie sozusagen auch ein »krummer Hund«. Schließlich hat mein Vater sie bei einem der Deals »beschafft«, die er regelmäßig im Hollybush Pub macht, während wir stundenlang im Auto sitzen müssen und von ihm sporadisch mit Cola und Chips versorgt werden. In der Regel kommt er irgendwann aus dem Pub geschossen, unterm Arm so seltsame Beutestücke wie einen Sack Kies oder eine kopflose Fuchsplastik aus Beton.
»Da drinnen geht's gerade hoch her«, sagt er dann meistens, bevor er wieder reinstürmt, hochmotiviert und sternhagelvoll.
Und eines dieser seltsamen Beutestücke war eben eines Tages Safran. Eine einjährige Schäferhündin.
»Sie war früher mal Polizeihund«, sagte er stolz und ließ sie
zu uns auf den Rücksitz, wo sie prompt alles vollgeschissen hat. Im Zuge intensiverer Recherchen stellte sich dann heraus, dass sie wirklich Polizeihund gewesen war. Aber nur die eine Woche, die die Polizeihund-Ausbilder gebraucht haben, um festzustellen, dass sie nicht nur schwer einen an der Waffel hat, sondern obendrein unüberwindbare Angst vor:
1) lauten Geräuschen
2) der Dunkelheit
3) grundsätzlich allen Menschen
4) grundsätzlich allen Hunden
5) weiteren Stressauslösern aller Art.
Und dass sie auf Stress - ebenfalls grundsätzlich - mit heftigem Durchfall reagiert.
Trotzdem ist sie mein Hund und damit genau genommen der einzige Freund, den ich habe, der nicht blutsverwandt mit mir ist.
»Komm her, alter Kumpel«, sage ich zu ihr, schneuze mich in meinen Ärmel und beschließe, ab sofort wieder gute Laune zu haben. »Heute passiert bestimmt noch was ganz Tolles!«
Nachdem ich mit Weinen fertig bin, klettere ich über den Gartenzaun und betrete mein Zuhause durch die Hintertür. Mama ist in der Küche dabei, »die Geburtstagsparty vorzubereiten«.
»Ab ins Wohnzimmer!«, ruft sie mir zu. »Setz dich da hin und warte! Und wehe, du wirfst einen Blick auf deinen Geburtstagskuchen! Das ist eine Überraschung!«
Das Wohnzimmer ist bereits vollgestopft mit all meinen Geschwistern, die hier aus sämtlichen Ecken und Winkeln des Hauses zusammengeströmt sind. 1988 sind wir zu sechst. Und am Ende des Jahrzehnts werden wir sogar zu acht sein. Bei meiner Mutter geht's zu wie bei Ford am Fließband: Mit der Präzision eines Uhrwerks produziert sie alle zwei Jahre ein sabberndes Baby. Wohl so lange, bis unser Häuschen aus allen Nähten platzt.
Caz - zwei Jahre jünger als ich, rothaarig, von Natur aus unfreundlich - liegt quer über dem Sofa, als ich reinkomme. Sie macht keine Anstalten aufzustehen. Eine andere freie Sitzgelegenheit ist nirgends zu entdecken.
»Ähm!«, sage ich und zeige auf den Button an meiner Jacke. »Ich habe heute GEBURTSTAG«, steht darauf. Dass ich gerade noch geweint habe, ist schon wieder fast vergessen. Darüber bin ich so gut wie hinweg.
»Der ist doch sowieso in sechs Stunden vorbei«, sagt Caz trocken, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Da können wir das ganze Theater genauso gut jetzt schon beenden.«
»He, ich hab immerhin noch ganze sechs Stunden!«, rufe ich. »Sechs Stunden Geburtstagsfreuden! Die will ich genießen! Wer weiß, was noch alles passiert! In diesem Irrenhaus ist doch nichts unmöglich!«
Im Großen und Ganzen bin ich eben eine hoffnungslose Optimistin. Man könnte auch sagen: Ich lege dieselbe anspruchslose Begeisterungsfähigkeit an den Tag, durch die sich gemeinhin Volltrottel auszeichnen. Gestern zum Beispiel habe ich in mein Tagebuch geschrieben: »In Küche auf Arbeitsplatte neuen Platz für Fritteuse gefunden. Sieht TOLL aus!«
Mein absoluter Lieblingsort auf der ganzen Welt ist der Südstrand von Aberystwyth. Obwohl ein Abwasserrohr mittendurch führt.
Und ich bin auch felsenfest davon überzeugt, dass unser dummer neuer Hund eine Reinkarnation unseres alten Hun-des ist. Obwohl der erst gestorben ist, als der neue schon zwei Jahre alt war.
»Man sieht doch eindeutig, dass das die Augen von Sparky sind!«, sage ich immer, wenn ich den dummen Hund anschaue. »In Wirklichkeit ist Sparky immer noch bei uns!«
Caz verdreht die Augen und überreicht mir die Geburtstagskarte, die sie für mich gemalt hat. Vorne prangt ein Porträt von
mir - wobei meine Nase darauf ungefähr drei Viertel meines Kopfes ausmacht. Und auf der Rückseite steht: »Vergiss nicht, dass du versprochen hast, an deinem 18. Geburtstag auszuziehen, damit ich endlich das Zimmer haben kann. Nur noch fünf Jahre! Es sei denn, du stirbst vorher! Alles Liebe, Caz.«
Die Geburtstagskarte meiner neunjährigen Schwester Weena ist ebenfalls meinem zukünftigen Auszug und dem Anspruch auf das frei werdende Zimmer gewidmet. Aber immerhin hat sie als Deko nicht mich, sondern einen sprechenden Roboter gemalt, was ihr Anliegen insgesamt gesehen etwas weniger direkt rüberkommen lässt.
Bei uns zu Hause herrscht nun mal akuter Platzmangel - was sich übrigens allein daran zeigt, dass ich immer noch nicht weiß, wo ich mich hinsetzen soll. Gerade habe ich beschlossen, der Einfachheit halber auf meinem Bruder Eddie Platz zu nehmen, da kommt meine Mutter mit einer Kuchenplatte ins Wohnzimmer, erleuchtet von den brennenden Kerzen.
»Zum Geburtstag viel Glück«, singen jetzt alle. Ergriffen setze ich mich auf den Boden und höre zu.
»Im alten Jahr, im alten Jahr warst du ein fettes Schwein, im neuen Jahr, im neuen Jahr wird's auch nicht anders sein!«
Mama kniet sich vor mich und hält mir die Kuchenplatte unter die Nase.
»Blas die Kerzen aus und wünsch dir was!«, sagt sie fröhlich.
»Das ist ja gar kein Geburtstagskuchen«, sage ich. »Das ist ein Baguette.«
»Stimmt genau«, sagt meine Mutter. »Und zwar gefüllt mit Philadelphia!«
»Es ist ein Baguette«, wiederhole ich störrisch. »Und es sind auch nur sieben Kerzen.«
»Du bist jetzt aus dem Geburtstagskuchenalter raus«, sagt meine Mutter und bläst die Kerzen selber aus. »Und die Kerzen zählen alle doppelt.«
»Dann müsste ja heute mein vierzehnter Geburtstag sein.<< »Jetzt sei halt nicht so pingelig!<<
Ich esse mein Geburtstagsbaguette. Und finde es toll. Ich liebe Philadelphia. Philadelphia ist toll! So cool! So cremig!
Als ich an diesem Abend im Bett liege - ich teile es mit meiner dreijährigen Schwester Prinnie -, schreibe ich in mein Tagebuch: »Heute bin ich 13 geworden! Haferflocken zum Frühstück, Würstchen mit Pommes zum Abendessen und ein Baguette-Geburtstagskuchen. Habe insgesamt £ 20 bekommen, außerdem 4 Geburtstagskarten und 2 Briefe. Ab morgen grüner (Jugendlichen-)Bibliotheksausweis!!!! Nachbar hat gefragt, ob wir Stühle von ihm wollen. Hätte er sonst auf den Sperrmüll geworfen. Haben alle genommen!<<
Ich starre den Tagebucheintrag an. Ich sollte ehrlich sein und alles aufschreiben, denke ich. Ich kann doch nicht einfach die Sachen weglassen, die nicht so toll waren.
»Auf der Wiese neben dem Spielplatz sind mir heute ein paar Jungs nachgerannt. Sie haben mir hässliche Sachen hinterhergeruhfen (sic)<<, schreibe ich langsam. »Das liegt da dran, dass ihre Pimmel immer größer werden.<<
Ich habe genug über das Phänomen der Pubertät gelesen, um zu wissen, dass es an ihrem überbordenden Sexualtrieb liegt, wenn halbwüchsige Jungen sich den Mädchen gegenüber grob verhalten.
Ich weiß allerdings auch, dass diese Jungs nicht etwa aufgrund unerfüllter sexueller Gelüste mit Steinen nach mir geworfen haben. Aber ich will nicht, dass mein Tagebuch Mitleid mit mir hat. Nein, meinem Tagebuch gegenüber darf kein Zweifel bestehen, dass ich in dieser Situation die geistig-moralisch überlegene Kraft war. Mein Tagebuch soll den ruhmreichen Ereignissen meines Lebens vorbehalten bleiben.
Ich starre auf meinen Geburtstagseintrag - und werde ohne Vorwarnung von einer Welle der Erkenntnis überspült. So sieht also mein Leben aus, schießt es mir durch den Kopf. Ich teile meine Matratze mit einem Krabbelkind.
(c) Ullstein TB (Verlag)
Der schrecklichste Geburtstag
meines Lebens
Wolverhampton, 5. April 1988
Heute ist mein 13. Geburtstag. Und ich renne. Ich renne weg vor den Jungs aus meinem Viertel.
»Guckt mal, der da!«
»Penner!«
»Sieht ja aus wie'n Junge!«
Ich flüchte vor den Halbstarken, die sich immer auf dem Spielplatz in der Nähe von unserem Haus rumtreiben. Der Spielplatz sieht so aus, wie englische Spielplätze in den achtziger Jahren eben aussehen. Fallschutzbelag, ergonomisch sinnvoll gestaltetes Spielgerät und dergleichen gibt es nicht. Noch nicht mal Bretter auf den Bänken. Dafür aber viel Beton, viel Unkraut und viele leere Bierflaschen.
Während ich renne, wird mir bewusst, dass ich ganz allein bin. Mein Atem geht schwer und rasselnd, mir ist kotzübel. Ich weiß, was gerade passiert, ich hab's so oder ähnlich schon in Tierfilmen gesehen. Ich habe die Rolle der »schwachen Antilope«, die von den Löwen »vom Rudel getrennt« wird. Die Löwen, das sind die halbstarken Typen, die hinter mir her rennen. Ich weiß, dass diese Geschichte für die Antilope in der Regel nicht sonderlich gut ausgeht. Dementsprechend sollte ich mich darauf vorbereiten, dass meine Rolle sich in Kürze ändern wird. Von »Antilope« zu »Festtagsbraten«.
»He! Asi!«
Ich habe Gummistiefel und die abgewetzte Militärjacke meines Vaters an und auf der Nase eine Kassenbrille, mit der ich aussehe wie Woody Allen. Zugegebenermaßen wirke ich nicht sehr feminin. Feminin - das Wort passt auf Lady Di. Auf Kylie Minogue. Ich hingegen bin ... feminichts. Da kann ich die Verwirrung meiner Verfolger durchaus verstehen. Sie sehen nicht so aus, als würden sie sich brennend für a) den Kleidungsstil der zeitgenössischen Gegenkultur oder für b) stilprägende Transvestie-Ikonen aller Art interessieren. Vermutlich waren sie genauso verwirrt, als sie zum ersten Mal Annie Lennox und Boy George bei Top of the Pops gesehen haben.
Wenn sie mir nicht wie die Wilden hinterherhetzen würden, würde ich wahrscheinlich versuchen, ihnen irgendwas in der Richtung zu erklären. Ich könnte ihnen zum Beispiel erzählen, dass ich den berühmten Roman Quell der Einsamkeit von Marguerite Radclyffe-Hall gelesen habe, die bereits vor über 100 Jahren bekennende Lesbe war und grundsätzlich nur Hosen trug - und dass sie schon allein deshalb in Erwägung ziehen sollten, sich von althergebrachten Vorstellungen hinsichtlich geschlechtsspezifischer Bekleidungsnormen zu lösen.
Falls die Jungs mit Marguerite Radclyffe-Hall eher wenig anfangen können, ließe sich auch Chrissie Hynde in die Konversation einwerfen, immerhin ist sie nicht nur erfolgreiche Rocksängerin und Gitarristin, sondern auch bekannt für ihre maskulinen Outfits. Ich könnte natürlich auch Julie Andrews erwähnen - in Victor/Victoria sah sie als Mann wirklich süg aus!
»He! Asi!«
Die Typen bleiben einen Moment stehen, offenbar um sich zu beraten. Daraufhin breche ich meinen Sprint ab und lehne mich keuchend gegen einen Baum. Ich bin völlig erledigt. Mit 82 Kilo Lebendgewicht bin ich für spannende Verfolgungsrennen nicht wirklich geeignet. Vom Typ her tendiere ich einfach
mehr in Richtung Obelix als in Richtung Asterix. Während ich langsam wieder zu Atem komme, denke ich über meine Lage nach.
Es wäre toll, sage ich mir, wenn ich einen Hund hätte. Einen gut abgerichteten Schäferhund zum Beispiel. Der könnte diesen Jungs mal so richtig zeigen, wo es langgeht. Ein Hund halt, der die Ängste und Befürchtungen seiner Besitzerin kennt und perfekt kompensiert.
Ich werfe einen Blick auf meinen Hund. Safran ist eine Schäferhündin. Knapp 200 Meter von mir entfernt wälzt sie sich selig in einem Haufen Fuchsscheiße, alle vier Pfoten in der Luft. Sie sieht glücklich aus. Kein Wunder, heute ist wirklich ein guter Tag für sie: Dieser Gassi-Gang ist wesentlich länger und wesentlich temporeicher als sonst.
Für mich ist heute ganz offensichtlich kein so guter Tag. Trotzdem bin ich überrascht, als die Jungs kurz nach Ende ihrer Beratungen anfangen, Steine nach mir zu werfen. Das ist jetzt echt übertrieben, finde ich. Und fange wieder an zu rennen.
Ihr braucht euch gar nicht so anzustrengen, um mich fertigzumachen!, denke ich entrüstet. Ich bin doch schon längst am Ende! Ehrlich, allein dieses »Asi!« hat mir schon gereicht!
Immerhin werde ich nur von einigen wenigen Steinen getroffen. Und die tun mir nicht weh: Meine Jacke hat schon mindestens einen Krieg erlebt, wenn nicht zwei. Kieselsteine können ihr nichts anhaben, höchstens Handgranaten.
Doch die Absicht ist das, was zählt. Schließlich hätten diese Typen die Zeit, die sie in die Jagd auf mich stecken, auch in lohnendere Aktivitäten investieren können. Pattex schnüffeln zum Beispiel. Oder Mädchen befummeln, und zwar solche, die sich auch anziehen wie echte Mädchen.
Als hätten sie meine Gedanken gelesen, verlieren meine Verfolger kurze Zeit später das Interesse an mir. Als Antilope bin ich offenbar out. Ich renne zwar noch, aber die Jungs sind inzwischen stehengeblieben und werfen nur noch hier und
da halbherzig einen Stein nach mir, bis ich endgültig außer Reichweite bin. Brüllen tun sie allerdings immer noch.
»Du Kerl!«, brüllt der Größte von ihnen meinem Rücken zum Abschied hinterher. »Du ... Schwuchtel!«
Als ich nach Hause komme, weine ich erst mal. Allerdings nur vor der Tür. Drinnen ist einfach kein Platz dafür. Ich habe schon versucht, im Haus zu weinen, aber es ist immer dasselbe: Jemand fragt, was los ist, ich versuche, zwischen meinen Schluchzern zu erklären, warum ich weine, und wenn ich mit meiner Geschichte gerade mal halb fertig bin, kommt der Nächste rein, fragt, was los ist, ich muss noch mal von vorne anfangen, und ehe ich michs versehe, habe ich die schlimmsten Stellen sechsmal erzählt und werde darüber so hysterisch, dass ich den Rest des Tages an nervösem Schluckauf leide.
Wenn man mit fünf jüngeren Geschwistern in einem sehr kleinen Sozialbau wohnt, ist es wirklich wesentlich vernünftiger, alleine zu weinen. Und schneller vorbei ist es auch.
Ich schaue meinen Hund an.
Wenn du ein guter, treuer Hund wärst, würdest du mir jetzt die Tränen vom Gesicht lecken, denke ich.
Stattdessen leckt Safran sich lautstark ihr Geschlecht.
Safran ist unser neuer Hund - »der dumme neue Hund«. Außerdem ist sie sozusagen auch ein »krummer Hund«. Schließlich hat mein Vater sie bei einem der Deals »beschafft«, die er regelmäßig im Hollybush Pub macht, während wir stundenlang im Auto sitzen müssen und von ihm sporadisch mit Cola und Chips versorgt werden. In der Regel kommt er irgendwann aus dem Pub geschossen, unterm Arm so seltsame Beutestücke wie einen Sack Kies oder eine kopflose Fuchsplastik aus Beton.
»Da drinnen geht's gerade hoch her«, sagt er dann meistens, bevor er wieder reinstürmt, hochmotiviert und sternhagelvoll.
Und eines dieser seltsamen Beutestücke war eben eines Tages Safran. Eine einjährige Schäferhündin.
»Sie war früher mal Polizeihund«, sagte er stolz und ließ sie
zu uns auf den Rücksitz, wo sie prompt alles vollgeschissen hat. Im Zuge intensiverer Recherchen stellte sich dann heraus, dass sie wirklich Polizeihund gewesen war. Aber nur die eine Woche, die die Polizeihund-Ausbilder gebraucht haben, um festzustellen, dass sie nicht nur schwer einen an der Waffel hat, sondern obendrein unüberwindbare Angst vor:
1) lauten Geräuschen
2) der Dunkelheit
3) grundsätzlich allen Menschen
4) grundsätzlich allen Hunden
5) weiteren Stressauslösern aller Art.
Und dass sie auf Stress - ebenfalls grundsätzlich - mit heftigem Durchfall reagiert.
Trotzdem ist sie mein Hund und damit genau genommen der einzige Freund, den ich habe, der nicht blutsverwandt mit mir ist.
»Komm her, alter Kumpel«, sage ich zu ihr, schneuze mich in meinen Ärmel und beschließe, ab sofort wieder gute Laune zu haben. »Heute passiert bestimmt noch was ganz Tolles!«
Nachdem ich mit Weinen fertig bin, klettere ich über den Gartenzaun und betrete mein Zuhause durch die Hintertür. Mama ist in der Küche dabei, »die Geburtstagsparty vorzubereiten«.
»Ab ins Wohnzimmer!«, ruft sie mir zu. »Setz dich da hin und warte! Und wehe, du wirfst einen Blick auf deinen Geburtstagskuchen! Das ist eine Überraschung!«
Das Wohnzimmer ist bereits vollgestopft mit all meinen Geschwistern, die hier aus sämtlichen Ecken und Winkeln des Hauses zusammengeströmt sind. 1988 sind wir zu sechst. Und am Ende des Jahrzehnts werden wir sogar zu acht sein. Bei meiner Mutter geht's zu wie bei Ford am Fließband: Mit der Präzision eines Uhrwerks produziert sie alle zwei Jahre ein sabberndes Baby. Wohl so lange, bis unser Häuschen aus allen Nähten platzt.
Caz - zwei Jahre jünger als ich, rothaarig, von Natur aus unfreundlich - liegt quer über dem Sofa, als ich reinkomme. Sie macht keine Anstalten aufzustehen. Eine andere freie Sitzgelegenheit ist nirgends zu entdecken.
»Ähm!«, sage ich und zeige auf den Button an meiner Jacke. »Ich habe heute GEBURTSTAG«, steht darauf. Dass ich gerade noch geweint habe, ist schon wieder fast vergessen. Darüber bin ich so gut wie hinweg.
»Der ist doch sowieso in sechs Stunden vorbei«, sagt Caz trocken, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Da können wir das ganze Theater genauso gut jetzt schon beenden.«
»He, ich hab immerhin noch ganze sechs Stunden!«, rufe ich. »Sechs Stunden Geburtstagsfreuden! Die will ich genießen! Wer weiß, was noch alles passiert! In diesem Irrenhaus ist doch nichts unmöglich!«
Im Großen und Ganzen bin ich eben eine hoffnungslose Optimistin. Man könnte auch sagen: Ich lege dieselbe anspruchslose Begeisterungsfähigkeit an den Tag, durch die sich gemeinhin Volltrottel auszeichnen. Gestern zum Beispiel habe ich in mein Tagebuch geschrieben: »In Küche auf Arbeitsplatte neuen Platz für Fritteuse gefunden. Sieht TOLL aus!«
Mein absoluter Lieblingsort auf der ganzen Welt ist der Südstrand von Aberystwyth. Obwohl ein Abwasserrohr mittendurch führt.
Und ich bin auch felsenfest davon überzeugt, dass unser dummer neuer Hund eine Reinkarnation unseres alten Hun-des ist. Obwohl der erst gestorben ist, als der neue schon zwei Jahre alt war.
»Man sieht doch eindeutig, dass das die Augen von Sparky sind!«, sage ich immer, wenn ich den dummen Hund anschaue. »In Wirklichkeit ist Sparky immer noch bei uns!«
Caz verdreht die Augen und überreicht mir die Geburtstagskarte, die sie für mich gemalt hat. Vorne prangt ein Porträt von
mir - wobei meine Nase darauf ungefähr drei Viertel meines Kopfes ausmacht. Und auf der Rückseite steht: »Vergiss nicht, dass du versprochen hast, an deinem 18. Geburtstag auszuziehen, damit ich endlich das Zimmer haben kann. Nur noch fünf Jahre! Es sei denn, du stirbst vorher! Alles Liebe, Caz.«
Die Geburtstagskarte meiner neunjährigen Schwester Weena ist ebenfalls meinem zukünftigen Auszug und dem Anspruch auf das frei werdende Zimmer gewidmet. Aber immerhin hat sie als Deko nicht mich, sondern einen sprechenden Roboter gemalt, was ihr Anliegen insgesamt gesehen etwas weniger direkt rüberkommen lässt.
Bei uns zu Hause herrscht nun mal akuter Platzmangel - was sich übrigens allein daran zeigt, dass ich immer noch nicht weiß, wo ich mich hinsetzen soll. Gerade habe ich beschlossen, der Einfachheit halber auf meinem Bruder Eddie Platz zu nehmen, da kommt meine Mutter mit einer Kuchenplatte ins Wohnzimmer, erleuchtet von den brennenden Kerzen.
»Zum Geburtstag viel Glück«, singen jetzt alle. Ergriffen setze ich mich auf den Boden und höre zu.
»Im alten Jahr, im alten Jahr warst du ein fettes Schwein, im neuen Jahr, im neuen Jahr wird's auch nicht anders sein!«
Mama kniet sich vor mich und hält mir die Kuchenplatte unter die Nase.
»Blas die Kerzen aus und wünsch dir was!«, sagt sie fröhlich.
»Das ist ja gar kein Geburtstagskuchen«, sage ich. »Das ist ein Baguette.«
»Stimmt genau«, sagt meine Mutter. »Und zwar gefüllt mit Philadelphia!«
»Es ist ein Baguette«, wiederhole ich störrisch. »Und es sind auch nur sieben Kerzen.«
»Du bist jetzt aus dem Geburtstagskuchenalter raus«, sagt meine Mutter und bläst die Kerzen selber aus. »Und die Kerzen zählen alle doppelt.«
»Dann müsste ja heute mein vierzehnter Geburtstag sein.<< »Jetzt sei halt nicht so pingelig!<<
Ich esse mein Geburtstagsbaguette. Und finde es toll. Ich liebe Philadelphia. Philadelphia ist toll! So cool! So cremig!
Als ich an diesem Abend im Bett liege - ich teile es mit meiner dreijährigen Schwester Prinnie -, schreibe ich in mein Tagebuch: »Heute bin ich 13 geworden! Haferflocken zum Frühstück, Würstchen mit Pommes zum Abendessen und ein Baguette-Geburtstagskuchen. Habe insgesamt £ 20 bekommen, außerdem 4 Geburtstagskarten und 2 Briefe. Ab morgen grüner (Jugendlichen-)Bibliotheksausweis!!!! Nachbar hat gefragt, ob wir Stühle von ihm wollen. Hätte er sonst auf den Sperrmüll geworfen. Haben alle genommen!<<
Ich starre den Tagebucheintrag an. Ich sollte ehrlich sein und alles aufschreiben, denke ich. Ich kann doch nicht einfach die Sachen weglassen, die nicht so toll waren.
»Auf der Wiese neben dem Spielplatz sind mir heute ein paar Jungs nachgerannt. Sie haben mir hässliche Sachen hinterhergeruhfen (sic)<<, schreibe ich langsam. »Das liegt da dran, dass ihre Pimmel immer größer werden.<<
Ich habe genug über das Phänomen der Pubertät gelesen, um zu wissen, dass es an ihrem überbordenden Sexualtrieb liegt, wenn halbwüchsige Jungen sich den Mädchen gegenüber grob verhalten.
Ich weiß allerdings auch, dass diese Jungs nicht etwa aufgrund unerfüllter sexueller Gelüste mit Steinen nach mir geworfen haben. Aber ich will nicht, dass mein Tagebuch Mitleid mit mir hat. Nein, meinem Tagebuch gegenüber darf kein Zweifel bestehen, dass ich in dieser Situation die geistig-moralisch überlegene Kraft war. Mein Tagebuch soll den ruhmreichen Ereignissen meines Lebens vorbehalten bleiben.
Ich starre auf meinen Geburtstagseintrag - und werde ohne Vorwarnung von einer Welle der Erkenntnis überspült. So sieht also mein Leben aus, schießt es mir durch den Kopf. Ich teile meine Matratze mit einem Krabbelkind.
(c) Ullstein TB (Verlag)
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Autoren-Porträt von Caitlin Moran
Caitlin Moran wuchs als das älteste von acht Kindern in einer Sozialbau-Siedlung in Wolverhampton auf. Mit 15 schrieb sie ihren ersten Roman, mit 16 die ersten Artikel für Melody Maker. Seit sie 17 ist, schreibt sie für die Times. Ihre satirische Kolumne "Celebrity Watch" gewann 2010 den British Press Award. Caitlin Moran ist 35 Jahre alt, verheiratet und hat zwei Kinder.
Bibliographische Angaben
- Autor: Caitlin Moran
- 2013, 2. Aufl., 384 Seiten, Masse: 12 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Susanne Reinker
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 354837493X
- ISBN-13: 9783548374932
- Erscheinungsdatum: 12.07.2013
Rezension zu „How to be a woman “
"Mit diesem Buch macht Feminismus Spass." Armgard Seegers Hamburger Abendblatt 20120511
Pressezitat
"Mit diesem Buch macht Feminismus Spass." Armgard Seegers Hamburger Abendblatt 20120511
Kommentar zu "How to be a woman"
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