Hannah Arendt
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Hannah Ahrendt von Kurt Sontheimer
LESEPROBE
Vorwort
Dreissig Jahre nach ihrem Tod in New York im Jahre 1975 gilt die 1906 inHannover geborene Hannah Arendt als eine herausragende Gestalt des westlichenpolitischen Denkens im 20. Jahrhundert. Gewiss hattesie sich schon zu ihren Lebzeiten eine beachtliche Reputation als politischeTheoretikerin und Publizistin erworben und zog in wachsendem Masse durch ihrePublikationen, ihre Vorlesungen und Vorträge das Interesse auf sich, aber erstin den vergangenen Jahrzehnten wurde sie zu einer historisch bedeutsamen Figurerhoben, zu einer grossen politischen Denkerin. Ihre Arbeiten und dieBesonderheiten ihres Lebens und ihrer Persönlichkeit wurden von einerwachsenden Zahl interessierter Wissenschaftler und Intellektueller entdeckt, sodass sie heute als eine der kreativsten und anregendsten Persönlichkeiten des westlichen Kulturkreisesangesehen wird. Zahlreiche wissenschaftliche Symposien haben sich mit ihremWerk beschäftigt, die Sekundärliteratur über Hannah Arendt schwillt Jahr fürJahr an; es gibt Hannah-Arendt-Strassen, Hannah-Arendt-ICE-Züge,Hannah-Arendt-Preise für politisches Denken, Hannah-Arendt-Zentren und-Institute für die Erforschung ihres Werkes und die Fortführung ihrer grossenThemen. Es gibt sogar das Kuriosum, dass aus Anlass des fünfzigjährigen Erscheinens ihres Hauptwerkessich im Jahre 2001 in Zürich Hunderte von andächtigen Zuhörern über Wochenhinweg versammelten, um sich einen so langen und schwierigen Text wie dasTotalitarismus-Buch anzuhören, der stundenweise von bekannten Schauspielern, Politikernund Intellektuellen vorgetragen wurde. Das alles ist ziemlich erstaunlich undbelegt die Behauptung, die ich in einem Text des Hannah-Arendt-Diskurses fand,sie sei eine Ikone, d.h. eine Symbolfigur unserer Zeit geworden, zu der manaufblickt.
Hannah Arendt wäre vermutlich misstrauisch gewesengegenüber dieser Vermarktung ihres Namens, und sie hätte sich auch kaumvorstellen können, dass ihr extravagantes Denken, wiesie es einmal nannte, so viel Aufmerksamkeit und Interesse finden würde. Es istein unabhängiges Denken, ein Denken zwischen den Stühlen, d.h. zwischen denherrschenden geistigen Schulen und Strömungen ihrer Zeit. Ihr Werk sichert ihrbereits einen festen Platz unter den akkreditierten politischen Denkern des 20.Jahrhunderts, von denen es nur eine Handvoll gibt. Bemerkenswert an diesem Werkist vor allem, dass es trotz seiner offenkundigenZeitgebundenheit und seiner Beschäftigung mit den politischen Grundfragen einerbereits zurückliegenden Epoche seine Wirkung bis hinein in das 21. Jahrhundertentfaltet, ja erst nach ihrem Tod eine weltweite und tiefergehendeWirkung zu gewinnen scheint.
Hannah Arendts Weg zu Anerkennung und Erfolg war keineswegs ohne Hindernisseund Beschwernisse, sondern, wie es in der offenen Diskussion in einer freienGesellschaft die Regel ist, gesäumt von Kritik und polemischenAuseinandersetzungen, durch die sie sich jedoch nicht beirren liess. Heute gibtes einen beachtlichen Kreis von Forschern in mehreren westlichen Ländern, derenHauptbeschäftigung den Werken der Hannah Arendt gewidmet ist. Es gilt alsinteressant, wenn nicht gar als schick, über Hannah Arendt zu arbeiten, undzweifellos hat das anhaltende Interesse an ihrem Werk auch mit ihrer starkenPersönlichkeit und mit ihrer Sonderstellung in der geistigen Welt zu tun. Diebekannte ungarische Philosophin Agnes Heller hat diese Sonderstellung Arendtsim politisch-philosophischen Diskurs so umschrieben:
»Das Faszinierendste für mich war immer Hannah Arendts Marginalität (= am Randestehen, K. S.). Sie ist nie eine offizielle akademische Philosophin gewesen.Philosophie... war für sie Leben, war Verantwortung und Sinn. Die Sache derPhilosophie war die Sache des Lebens und des Todes. Und diese Haltung, dieimmer eine marginale Haltung ist, ist deshalb so wichtig, weil... das Neueimmer von den Grenzen kommt und nicht vom Mittelpunkt. Der Mittelpunkt istversteinert, ist nicht mehr dynamisch. Das Denken, das aus der Peripheriekommt, ist dynamisch.«
In ihrer Dankesrede beim Empfang des Hannah-Arendt-Preises für politischesDenken machte Agnes Heller auf einige Züge im Denken und Leben dieser Frauaufmerksam, die ihren erstaunlichen Erfolg bis in unsere Gegenwart hinein zuerklären vermögen: »Hannah Arendt ist auch einer meiner Freunde im Denken. Weilsie der Versuchung widerstanden hat, ein System zu schaffen, weil sie alleIsmen verabscheute, weil sie die Marginalität akzeptierte, ohne sich damitselbst weh zu tun oder zu verbittern. Weil sie in den Begriffen vonVergänglichkeit und Endlichkeit dachte. Weil sie unserem Zeitalter und unseremWissen keine privilegierte Position in der sogenanntenGeschichte zuordnete; weil sie ihrer Fehlbarkeit bewusstwar; weil sie leidenschaftlich war, aber nie zornig; ... weil ihre Philosophiefreundlich und einladend ist. ... Weil sie keine Angst hatte, Fehler zu machen;weil sie - zu Recht oder zu Unrecht - übertrieb; weil sie unsere Zeiten alsfinster erkannte, aber sich nie im Grand Hotel Abgrund einrichtete. ... Wegenihrer Liebe zur Gebürtlichkeit, der Freude daran, indiese Welt einzutauchen und wieder von vorne anzufangen.«
Der grosse Historiker der Französischen Revolution, François Furet,fand für die Leistung Hannah Arendts als Denkerin ebenfalls rühmende Worte. Siesei eine der ersten gewesen, die versucht habe, »Licht in das Dunkel dereuropäischen Geschichte zu bringen. Hannah Arendt ist die erste Denkerin, diein diesem Jahrhundert angefangen hat, die Geschichte, die Ereignisse in derGeschichte Europas als Bewusstsein der europäischenGeschichte zu formulieren. Sie ist eine der ersten, die das denken konnten, wasneu war, was sie beobachtet, was sie erlebt hatten, und sie ist eine derersten, die in der Lage waren, es zu verstehen und zu analysieren. ... Ihregrosse Gestalt, ihr Denken, ihr Wesen ist etwas, das überall gegenwärtig ist -von Chicago über Paris bis herüber in dieses Land (Deutschland) bleibt sie eineder entscheidenden Denkerinnen.«
Man kann solche bewundernden Urteile in Fülle zusammentragen, wenn man esdarauf anlegt, und gewiss könnte man in der vielfältigenLiteratur über Hannah Arendt auch fündig werden, suchte man nach Stellen, diedieses Lob relativieren oder stark in Zweifel ziehen. Hannah Arendts Mut, fürsich zu denken, trug Früchte, weil es ihr als Einzelgängerin gelang, sich mitihren Ideen in der geistigen Welt ihrer Zeit bemerkbar zu machen. So wie sieselbst ihr Denken zeitlich in den Zwischenraum »zwischen Vergangenheit undZukunft« stellte, so füllte es örtlich eine Lücke aus, die sich zwischen dengrossen Denkströmungen progressiver und konservativer Art aufgetan hatte. Derneueste, treffsichere Interpret ihres Werkes, J.-C. Poizat,hat sie als penseur dans labrèche, als Denkerin in der Lücke, bezeichnet. Siewurde als politische Theoretikerin besonders beachtet, seit 1989 mit demZusammenbruch des Sowjetimperiums der Kalte Krieg zu Ende ging, der ein Kriegder Ideologien war. Hannah Arendt wurde nun in den osteuropäischen Ländern fürIntellektuelle und Politiker wie Václav Havel wichtig, die sich dank ihrerfriedlichen und sanften Revolution aus dem eisernen Band des sowjetischenTotalitarismus befreien konnten. Politik als Freiheit zu begreifen war dasIdeal, das Hannah Arendt für sie zum Leuchten gebracht hatte, eine posthumeKrönung ihres Lebenswerks.
Dieses Buch hat sich zum Ziel gesetzt, den Leser mit der ausserordentlichenPersönlichkeit der Hannah Arendt und dem Weg ihres Denkens vertraut zu machen.Das ist schon in zahlreichen früheren Veröffentlichungen versucht worden, dochder zeitliche Abstand erlaubt es heute, die Konturen eines Gesamtbilds dieserDenkerin zu entwerfen, das ihrer grossen Wirkung bis in unsere GegenwartRechnung trägt. Freilich bringt es die Verwandlung zur Ikone einer grossen Frauund Denkerin auch mit sich, dass man oft nicht mehrrecht weiss, warum die Arendt auf diesem ehrwürdigen Podest steht, einemEinstein vergleichbar, der gross bleibt, auch wenn man seinen kompliziertenDenkwegen nicht folgen kann.
Deshalb kam es mir darauf an, Hannah Arendt wieder etwas bodenständigererscheinen zu lassen, d.h. sie unmittelbar aus ihrem Leben und der Entfaltungihres Denkens heraus zu verstehen und zu zeigen, worauf ihre Wirkung beruht.Ich will mich auf das Wesentliche konzentrieren und dieses so verständlich wiemöglich darbieten, zumal manche Interpreten der Hannah Arendt sich dazu habenverleiten lassen, komplizierter sein zu wollen als sie selbst. Deshalb kam eineAuseinandersetzung mit der höchst unterschiedlichen wissenschaftlichenLiteratur über Hannah Arendt nicht in Betracht, noch konnte ich mit Neuigkeitenüber sie als Person aufwarten. So ist dieses Buch eine Würdigung der Arendtsozusagen im Kompaktformat und hoffentlich gerade darum geeignet, einembreiten, interessierten Publikum nahezubringen, waswir von ihrem Denken und von ihr als Vorbild lernen können.
Ebendies war auch der Wunsch des Piper Verlags an seinen Autor. Bei Piper sindfast alle wichtigen Arendt-Texte erschienen - zuletzt noch 2002 in zwei Bändenihr Denktagebuch - und greifbar. Dem bedeutenden Verleger Klaus Piper war esunter grossem Einsatz gelungen, die Arendt für seinen Verlag zu gewinnen. Bisherfehlte im Arendt-Programm des Verlages jedoch ein orientierendes Begleitbuch,das in die Lebens- und Geisteswelt dieser grossen Denkerin hineinführt und dazuanregt, sich ihrem vielseitigen Werk zu nähern. Der hier vorliegende Text willdiese Lücke füllen.
Bei der Arbeit an diesem Buch wurde mir klar, dass esbei der Beschäftigung mit Hannah Arendt weniger darauf ankommt, sich mit allenAspekten und Einzelheiten ihrer Theorie auseinanderzusetzen, wie dies in derForschung zu Recht geschieht, als auf ihren sense ofhuman priorities, wie Sir Bernard Crickes genannt hat, zu achten, d.h., dem Menschlichen den Vorrang zu geben. IhrZiel war es, durch Denken daran mitzuwirken, die Menschen zu befähigen, dieGestaltung ihrer Welt in die eigene Hand zu nehmen. Das Beste an ihrem Werk undan ihrer Person sind die Leidenschaft und die Ernsthaftigkeit, mit der sie diefür die Menschen wichtigen Fragen stellt. Am meisten lernt man freilich vonihr, wenn man sich ihrem so vielschichtigen Werk zuwendet. Auch dazu willdieser Bericht anregen.
Ich danke Herrn Dr. Klaus Stadler vom Piper Verlag für seine Anregung zu diesemBuch. Frau Ursula Ludz, der die Arendt-Forschungeinige editorische und bibliographische Glanzleistungen verdankt, bin ichdankbar für Ermunterung und guten Rat. Frau Renate Dörner war mir als Lektorineine gute Hilfe.
Murnau, im März 2005
Kurt Sontheimer
© Piper Verlag
- Autor: Kurt Sontheimer
- 2006, 5. Aufl., 304 Seiten, 32 Abbildungen, Masse: 12,1 x 19 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Piper
- ISBN-10: 3492248241
- ISBN-13: 9783492248242
- Erscheinungsdatum: 26.09.2006
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