Rowohlt Monographie / Gregor Gysi
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Gregor Gysi - Eine Biographie von Jens König
LESEPROBE
Eine Lebensgeschichte mit Pointe
Als HeinerMüller ein Problem mit seiner Neubauwohnung hatte, war Gregor Gysi seine letzteHoffnung. Müller, der bekannte Dramatiker, wollte, dass Gysi, der bekannteAnwalt, ihm bei dem Streit mit seinem Vermieter hilft. Müller erklärte alsoeine Viertelstunde lang, worum es ging. Als er fertig war, sagte Gysi: «Müller,ich erinnere mich gerade an einen sehr schönen Satz von Ihnen. In Ihrer <Weiberkomödie>schreiben Sie: <Ja, ja, das Gras wächst von hüben nach drüben, nur derMensch braucht Papiere.>»
Müller warverwirrt. Er fragte Gysi, war dieser ihm sagen wolle.
«Müller,Sie können das ganze Schicksal der DDR in einem einzigen Satz beschreiben», antworteteGysi. «Aber Ihr kleines Mietproblem können Sie nicht mal in einerViertelstunde erklären.»
«Gysi»,erwiderte Müller, «glauben Sie, ich würde schreiben, wenn ich reden könnte?»
Gregor Gysikann reden, und wie! Aber man tritt ihm sicher nicht zu nahe, wenn man, freinach Heiner Müller, behauptet, dass sich gerade deswegen seine Fähigkeit zuschreiben in Grenzen hält.
Gysi hatdrei Bücher über sein Leben verfasst. Er schreibt darin über seine Kindheit,seine Arbeit als Rechtsanwalt in der DDR, seinen rauschhaften Aufstieg in derWendezeit 1989/90, seine Medienkarriere im vereinigten Deutschland, seineBegeisterung für Politik, aber auch sein Leiden an ihr. Er steht gern imMittelpunkt. Und doch erfährt man nicht viel von ihm, schon gar nicht von derPrivatperson Gregor Gysi. Ebenso im persönlichen Gespräch: Gysi wirkt sympathisch,man kommt leicht an ihn heran, er plaudert sofort drauflos, auch über scheinbarpersönliche Dinge. Aber je länger man ihm zuhört, desto mehr wird deutlich,dass er nicht wirklich etwas von sich preisgibt. Gysi geht es wie vielen Eitlen- er ist empfindlich. Er will gesehen werden und sich gleichzeitig verstecken.
Das hatzunächst mit einem Defekt zu tun, unter dem viele Spitzenpolitiker leiden. Sieglauben, den Voyeurismus ihres Publikums bedienen zu müssen, geben sich abergleichzeitig der Illusion hin, das Interesse der Medien steuern zu können. AlsGysi im Sommer 2005 entschied, trotz mehrerer Herzinfarkte und einerGehirnoperation ins politische Geschäft zurückzukehren, dachte er offenbar, derÖffentlichkeit einen Beweis für seine Gesundheit schuldig zu sein. Er erlaubteseinem Arzt, mit der Bild-Zeitung zu sprechen, allerdings nur über «allgemeine»Fragen, wie er versichert. Die Boulevard-Reporter erledigten ihr Geschäftgewohnt gründlich. Bild präsentierte zwei Tage nach dem Arztbesuch Gysis angeblicheKrankenakte. «Gysi zeigt sein Gehirn», stand gross auf Seite 1, daneben einFoto: «Gysis Gehirn im Computer-Tomographen. Die roten Flecken zeigen Blutströme.»Gysi war beim Tanz auf dem schmierigen Boulevard ausgerutscht. Sein Arztbeteuerte, die Fotos zeigten nicht das Gehirn seines prominenten Patienten,sondern das eines anderen Menschen. Gysi sah seine Privatsphäre verletzt undklagte gegen Bild.
Gysis Empfindlichkeitgegen öffentliches Zurschaustellen hat aber noch einen anderen Grund. Am Anfangseiner politischen Karriere ist er in einem heute kaum vorstellbaren Massangegriffen und ausgegrenzt worden. Diejenigen Politiker und Medien, die an denAngriffen beteiligt waren, lassen sich nur ungern daran erinnern. Als Gysi imSommer 2000 den PDS-Fraktionsvorsitz im Bundestag niederlegte, erklärte er ineinem Interview, dass er nie ganz verstanden habe, warum er in der Politikjahrelang persönlich gejagt worden sei, Konkurrenz- und Neidgefühle würden daals Erklärung nicht ausreichen. «Diese Verletzungen bleiben», sagte er. «Ichbin anderen Menschen gegenüber dadurch leider etwas misstrauisch geworden.»
Gysi hatnicht vergessen, dass es im vereinigten Deutschland mal eine Zeit gab, in deres ein Makel war, seinen Namen zu tragen. Gabriele Gysi, Theaterschauspielerinund Regisseurin, bekam zwischen 1990 und 1992 kein einziges Engagement, wederim Osten noch im Westen - weil sie die Schwester des vielerorts verhasstenPolitikers war. Gregor Gysis Mutter hat bis heute kein Namensschild an ihrer Haustür.
Wenn es umsein eigenes Leben und das seiner Familie geht, versteht Gysi keinen Spass. Daverlassen ihn sein Witz und seine Ironie, auf die er doch sonst so stolz ist.Er will Herr über seine Geschichte bleiben. Gysi war deswegen nicht bereit, andieser Biographie mitzuarbeiten. Er stand zu keinem einzigen Interview für dasBuch zur Verfügung. Entsprechende Anfragen über mehrere Jahre hinweg hat erabgelehnt. Er finde eine Biographie über sich zu Lebzeiten nicht angemessen,liess er wissen.
Das ersteBuch, das Gysi geschrieben hat («Das war's. Noch lange nicht!»), erschien 1995.Es trug den Untertitel «Autobiographische Notizen». Der Autor war noch nichteinmal fünfzig Jahre alt.
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© 2005 by Rowohlt Berlin Verlag, Berlin
- Autor: Jens König
- 2005, 2. Aufl., 352 Seiten, 16 Schwarz-Weiss-Abbildungen, mit Abbildungen, Masse: 15 x 22 cm, Gebunden, Deutsch
- Verlag: Rowohlt, Berlin
- ISBN-10: 3871344532
- ISBN-13: 9783871344534
- Erscheinungsdatum: 05.08.2005
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