Gibt es einen Fussballgott?
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Eine liebenswerte Fussballgeschichte über die Macht der Träume, erzählt vom Wortkünstler Jan Weiler, federleicht und hintergründig illustriert von Hans Traxler.
Gibt es einen Fussballgott? von Jan Weiler und Hans Traxler
LESEPROBE
DieFussballschuhe drückten gegen seine kleinen Zehen, der Spann schmerzte, dieFerse war gerötet, und unter seiner linken Fusssohle wölbte sich eine Blase,gross wie eine Euromünze. Adrian zog die Schuhe aus und warf sie auf den Boden. Trotzder Anstrengungen in diesem Spiel war es ihm nicht gelungen, seinen Trainer vonsich zu überzeugen. Der hatte ihn in der 51. Minute ausgewechselt, kurz nacheinem verheerenden Fehlpass, der seine Mannschaft auf die Verliererstrasse brachte.
DiesesSpiel heute war nicht seins, genau wie die Spiele davor. Eigentlich war die ganzeSaison nicht seine gewesen und die davor auch nicht. Adrian war kein guterFussballer.
Er hattemit zehn Jahren angefangen, sich von Saison zu Saison in der Mannschaftgehalten und war nie mehr gewesen als ein kleiner Läufer, ein Mittelläufer, einMitläufer. In den sechs Jahren seiner sportlichen Karriere im Verein derVorstadt, in der er wohnte, hatte er im Ganzen vier Treffer erzielt. Zwei davonwaren schwer abseitsverdächtig gewesen, einmal wurde er unglücklich von einem Gegnerangeschossen, und nur der vierte Treffer hatte spielentscheideneBedeutung. In einem Turnier trat er als Elfmeterschütze auf, weil alle anderen Spielerbereits geschossen hatten und sein Trainer ihn aufstellen musste. Immerhin trafer mitten ins Tor, wenn auch begünstigt durch den Umstand, dass der gegnerischeTorwart die Ballfreigabe durch den Schiedsrichter nicht mitbekommen hatte und geradeeinen Schluck aus seiner Flasche trank. Jedenfalls war Adrian das, was man inMannschaftskreisen eine Gurke nannte: leidliche Kondition, aber nullSpielverständnis und eine geradezu lächerliche Ballbeherrschung.
DieAuswechslung machte ihm nicht viel aus, immerhin warsie erst in der zweiten Spielhälfte vollzogen worden, und das wertete Adrianals Erfolg.
Ausserdemgab sie ihm die Möglichkeit, vor sich hin zu träumen, ohne weiterekatastrophale Fehlpässe zu fabrizieren. Wenn Adrian auf der Ersatzbank sass, hatteer einen Traum, einen immer wiederkehrenden Traum, eine Vision, die er mitniemandem teilte, aus Angst, dass sich seine Wunschträume nicht erden er füllten, wenn er sie preisgab. Das war die grössteKatastrophe, die er sich vorstellen konnte. Jemandem von seinem geheimstenWunsch zu erzählen, auf dass dieser für den anderen und nicht für ihn inErfüllung gehen würde. Erst die zweitgrösste Katastrophe war, dass man ihn fürseinen Traum auslachen könnte. Der Wunsch sah so aus: Wenn es einen Gott gäbe,dann sollte der zu ihm, Adrian Pfeffer, herabsteigen und ihn zu einembegnadeten Fussballer machen. Dafür würde er Gott lobpreisen und jeden Tag an ihndenken und machen, was immer Gott von ihm verlangte. Aber eben nur dann undnicht vorher. Vorschusslorbeeren für dieses göttliche Wunder hätten ihn imFalle einer Nichterfüllung seines Herfüllten, Herzenswunsches völlig aus derBahn gebracht. Gott sollte zeigen, dass es ihn gab, dann würde Adrian ihnentsprechend dafür belohnen. Ein fairer Deal, fand Adrian, der den Rest desSpieles damit zubrachte, warme Limonade zu trinken und im Geiste Interviews imFernsehen zu geben. Adrian Pfeffer, live aus dem Mannschaftsquartier derdeutschen Fussballnationalelf.
Oder:Adrian Pfeffer, wie er Strassenkindern in Brasilien Fussbälle schenkt, die voneinem koreanischen Autohersteller mit dessen Logo bedruckt wurden. Adrian warin seinen Träumen nicht nur auf dem Spielfeld von einer geradezu unheimlichen Integrität,sondern, ist doch klar, auch als Privatmann. Diese sehnsüchtigen und immerleicht kitschigen Filme verfolgten Adrian bei jedem Training und in jedemSpiel. Besser wurde er indes nicht davon, rauschhafte Torszenen spielten sichnur in seiner Phantasie ab oder bei seinen begabterenMitspielern. Aber nicht nur tagsüber erschienen ihm Wunderdinge, sondern auchabends im Bett.
EinesNachts träumte er davon, das Endspiel der Champions Leaguezu gewinnen. In der 89.
Minuteerzielte Adrian Pfeffer, der sich im eigenen Strafraum den Ball geschnappt undüber das ganze Feld getrieben hatte, mit einem Kunstschuss aus 22 Metern dasentscheidende Tor. Unbeschreiblicher Jubel, Adrian dankte auf Knien demSchöpfer für seine göttliche Gabe, auf der Stehtribüne huldigten die einfachenLeute ihrem Adrian. Nebelkerzen und andere Feuerwerkskörper leuchteten rot, derQualm zog durch das ganze Stadion, sodass fast nichts mehr zu sehen war.Plötzlich verwandelte sich der Rauch, verformte sich zu einer riesigen rosa Quellwolke,und bald war es Adrian, als entstünde daraus ein Bild. Das Stadion verschwanddahinter, und die Leinwand in Adrians Traumkino war erfüllt von einemrauschebärtigen Gesicht, das ihn eindringlich ansah.
«Hallo,Adrian», sagte das Gesicht mit ruhiger und würdevoller Stimme.
«Wer bistdu?», fragte Adrian ängstlich.
«Ich binder Fussballgott.»
«Es gibteinen Fussballgott?»
«Jawoll.»
«Ehrlich?»
«Wenn iches dir doch sage», sagte der Fussballgott etwas ärgerlich.
«Du bistdie Erfüllung meiner geheimsten Wünsche », sagte Adrian demutsvoll undverschwieg die Tatsache, dass er sich eigentlich den richtigen, den grossen, denObergott gewünscht hatte. Aber wenn es denn einen Fussballgott gab, sollte derauch reichen. «Ich kenne deine Wünsche und muss dir eines sagen: In puncto Ehrgeiz und Talent bist du wirklich die grösstePflaume, die mir je untergekommen ist.»
Das mussteAdrian wirklich niemand mehr sagen. Der Fussballgott fuhr fort: «Aber was dieImpertinenz deiner Träume angeht, bist du tatsächlich einzigartig. Der Grösste, denich je in seinen Träumen beobachtet habe. Einsame Klasse, wirklich.»
Adrianverstand nicht ganz, worauf dieses Gespräch hinauslaufen sollte.
«Also habeich in Absprache mit den Göttern des Fussballweltverbandes und einigen Wolkenpupenden Funktionärsgöttern beschlossen, dir eine Chance zu geben.»
AdriansHerz schlug wie wild. Sein Adrenalinspiegel stieg bis in die Ohren. Er trautesich nicht, auch nur einen Mucks der Freude auszustossen. «Hör mir zu: Du wirstin jeder Saison so viele Tore schiessen, wie es Pflichtspiele gibt. Pro Spielein Tor. Falls du mal nicht spielst, werden dir im nächsten Spiel so viele Toregelingen, wie du Spiele versäumt hast, kapiert?»
«Kapiert,in jeder Saison so viele Tore, wie es Spiele gibt.»
«Aber nurunter einer Bedingung: Du darfst nie, nie, nie mit einer Menschenseele darübersprechen. Nie darfst du verraten, woher du deine Fähigkeiten hast. Wenn duplauderst, ist es aus, klar?»
«Warum ich,warum nicht jemand anders?»
«Erstensweil ich deine Träume nicht mehr mit ansehen kann. Du kannst dir einfach nichtvorstellen, wie furchtbar es ist, jede Nacht und jeden zwei- ten Nachmittagdeine Spinnereien zu ertragen. Und zweitens hast du bisher auch nicht überdeine Träume geredet. Wenn es dabei bleibt, sind wir Partner.»
«Ja, gut,ich schwöre es. Und ich will dich auch immer verehren, und ich werde jedenSonntag eine kleine Kerze für dich aufstellen.»
«Jaja, geschenkt. Hauptsache, du hältst die Klappe.»
«Danke,danke, danke, lieber Gott.»
«Dankenicht mir, sondern deiner blühenden Phantasie. So, ich muss jetzt wieder los.Wiedersehen.»
Damitverschwand der Fussballgott und hinterliess ein paar unförmige Nebelschwaden, diesich langsam verzogen. Dahinter wurde wieder das StatenSta- dion sichtbar, aberdie Ränge waren leer, und nur ein paar Papierschnipsel tanzten im Wind.
© RowohltVerlag
Jan Weiler, 1967 in Düsseldorf geboren, ist Journalist und Schriftsteller. Er war viele Jahre Chefredakteur des SZ Magazins. Sein erstes Buch «Maria, ihm schmeckt's nicht!» gilt als eins der erfolgreichsten Romandebüts der Nachkriegszeit. Es folgten unter anderem: «Antonio im Wunderland» (2005), «In meinem kleinen Land» (2006), «Drachensaat» (2008), «Mein Leben als Mensch» (2009), «Das Pubertier» (2014), «Kühn hat zu tun» (2015) und «Im Reich der Pubertiere» (2016). Jan Weiler verfasst zudem Hörspiele und Hörbücher, die er auch selber spricht. Er lebt mit seiner Frau und seinen zwei Kindern in der Nähe von München.
- Autoren: Jan Weiler , Hans Traxler
- 2006, Originalausgabe., 69 Seiten, mit farbigen Abbildungen, Masse: 14,5 x 18,5 cm, Gebunden, Deutsch
- Mitarbeit: any.way; Hanke, Barbara; Schmidt, Cordula; Traxler, Hans
- Verlag: Kindler
- ISBN-10: 3463405016
- ISBN-13: 9783463405018
- Erscheinungsdatum: 17.03.2006
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