Ein Liebling der Götter
- Kreditkarte, Paypal, Rechnungskauf
- 30 Tage Widerrufsrecht
Ein Liebling der Göttervon SybilleBedford
LESEPROBE
Prolog
In einem Herbst Ende der zwanziger Jahre liessen wir
uns, wie es schien ohne ersichtlichen Grund, in Frankreich
nieder.
Der Zug hielt. Meine Mutter legte ihre behandschuhte
Hand an die Fensterscheibe: VENTIMIGLIA.
Wir nahmen beide wieder unser Buch auf. Eine Zeitlang
geschah nichts. Dann waren die Zöllner im Gang,
zu zweit, in ihren wenig eleganten Uniformen, mitumgehängten
Seitengewehren. Meine Mutter hielt sie geschickt
in Schach. Arme Tölpel, sagte sie, und dass man
auf Schwarz den Schmutz nicht sehe, könne nicht stimmen.
Sie gingen. Wir fuhren aber noch nicht weiter.
Wieder versuchten wir zu lesen. Da sah ich den Bruder
meiner Mutter in den Waggon steigen und rasch
auf uns zukommen. »Constanza!« »Du?« Er drückte ihr
einen Kuss auf die Wangen, rechts, links. Sie blieb einfach
sitzen. »Was willst du?« fragte sie mit ihrer kalten
Stimme. Er sah mich. »Ciao, Flavia«, sagte erbeiläufig.
»Ich bin mit dem Auto aus Sestriere gekommen, weil
ich dich noch erwischen wollte«, antwortete er auf englisch.
Ich mochte ihn nicht und verliess das Abteil; so
hörte ich nichts weiter.
Vom Bahnsteig aus sah ich die beiden durchs Abteilfenster,
meine Mutter sass mit sanfter, abwesender
Miene da, ruhig. Sie war damals eine sehr schöne Frau,
und auf dem leeren, staubigen, zugigen Bahnhof war sie
an jenem Nachmittag, wie so häufig, eine Erscheinung
wie aus einer anderen Welt. Ihr Bruder redete eindringlich
und gestikulierte lebhaft. Ich ging ein paar Schritte.
Etwas später sah ich ihn aus dem Zug springen, rasch
die Schienen überqueren und dem Ausgang zueilen. Ich
kehrte ins Abteil zurück. »Giorgio ist verrückt«, sagte
meine Mutter. »Zu dumm, dass Mama ihm gesagt hat,
wo er uns finden kann.« »Was wollte er denn?« »Weiss
der Himmel«, sagte sie, »er plant irgend etwas Aberwitziges.
« Meine Mutter mit ihrem analytischen Verstand
versuchte immer, Menschen, ihr Verhalten und ihre Motive
zu deuten, doch ihren Bruder nahm sie schon lange
nicht mehr ernst. Ich fragte nicht weiter. Bald setzte der
Zug sich auch in Bewegung, er rasselte über eine Brücke,
und wir waren in Frankreich. »Alles in Ordnung?« sagte
ich. »Ja«, sagte meine Mutter, »diesmal war ja auch
nichts Besonderes.« Und dann mussten wir bereits daran
denken, unsere Sachen zusammen zupacken. Wir wollten
in Nizza umsteigen und dort den D-Zug nach Calais
nehmen.
Wir fuhren ein, und ich wollte schon einen Gepäckträger
herbeiwinken, da griff sich meine Mutter an die
Hand und sagte: »Mein Ring.« »Welcher Ring?« sagte
ich. »Papas Ring«, erwiderte sie barsch, »der Rubin.«
»Oh«, sagte ich, und mir wurde bang. »Hast du ihn getragen?
« »Du weisst, dass ich ihn immer trage«, sagte
sie. Das stimmte; ich konnte mich nicht erinnern, sie je
ohne diesen Ring gesehen zu haben. Es war ein grosser,
schwerer Ring, ein Geschenk ihres Vaters, des Fürsten
in Rom. So nannte ich ihn für mich, obwohl er mein
Grossvater war. Aber ich hatte ihn noch nie gesehen.
Wir suchten auf dem Boden, wir suchten unter den Sitzen,
besonders gründlich tasteten wir die Polster ab. Wir
suchten, wie man in einer solchen Situation eben sucht.
»Denk nach«, sagte ich. Wir gingen den Tag durch. »Du
hast dir die Hände gewaschen.« Ich wollte im Waschraum
nach sehen, doch der Gang war jetzt voller Reisender
mit ihren Koffern, und der Waschraum war
verschlossen. Wir suchten in Gepäckstücken, Mantel und
Jackentaschen. »Mummy«, sagte ich, »wir müssen
aussteigen.« Unsere Betten im Nachtzug nach Calais
waren gebucht. Unsinn, sagte sie, der Zug könne warten,
wir würden eben ein wenig später an der Küste umsteigen,
er halte doch bestimmt in Cannes und in all den
anderen Orten. »Ohne den Ring steige ich nicht aus diesem
Zug.«
Wir riefen den Schaffner, der rief den chef du train.
Sie suchten genauso wie wir, nur fachmännischer. Unter
ihren Händen klappten Sitze und Polster auseinander
wie grosse Stücke eines Zickzackpuzzles. Ans Tageslicht
kamen hauptsächlich Haarklemmen und abgebrannte
Streichhölzer. Die Männer wirkten ebenso enttäuscht
wie meine Mutter. Sie schienen auf ihrer Seite zu
stehen.
»Une bague de valeur, Madame?«
»Valeur sentimentale.« Ihr Französisch war einklein
wenig harsch, so wie die Italiener es sprechen. »Aber da
Sie fragen - ja. Es ist ein Rubin, und ganz und garungewöhnlich.
O ja, ein wertvoller Ring.«
Wir fuhren in den Bahnhof von Cannes ein, als sie
dabei waren, die Formalitäten zu erledigen. »Hör auf,
immer auf deine Uhr zu schauen, Flavia«, sagte meine
Mutter. Den Ring, gab sie zu Protokoll, habe sie noch
in Alassio am Finger gehabt; sie erinnere sich, ihn berührt
zu haben, als wir einstiegen. Das Abteil sei leer
gewesen. Der Personenzug, ein Bummelzug, habe über-
all gehalten. Doch damals gab es wenig kleinen Grenzverkehr
nach Frankreich. Meine Mutter redete; die
Männer notier ten ihren Namen und ihren Mädchennamen.
»Nom de jeune fille de la mère?Lieu de naissance de la
mère?«
Obwohl meine Mutter für derlei Lappalien sonst
keine Geduld aufbrachte, ertrug sie dieses Procedere
gelassen und buchstabierte alles hilfsbereit.
»Providence?« wiederholte der Zugführer. »Et où cela
se trouve?«
»En Amérique du Nord«, sagte meine Mutter und
lächelte ihn an.
»Bougre.«
Nun sagte meine Mutter, sie habe Hunger. Sie zückte
ihr Portemonnaie. Ob sie wohl so freundlich wären und
uns vom Buffetwagen eine Kleinigkeit besorgen würden?
Die Männer erwiderten, sie solle ihr Geld nicht für
ein vertrocknetes Hühnerbein, einen harten Pfirsich und
ein Schlückchen Wein verschwenden. Guten Wein hätten
wir selbst reichlich, sagte meine Mutter. Der Zugführer
sagte: »Si Madame me permet«, und wickelte etwas
aus einem braunen Papier. Meine Mutter nahm sich ein
grosses Kalbfleisch-Sandwich.
»Et la petite Mademoiselle?«
So sah ich mich eigentlich nicht. Ich war schon damals
grossgewachsen und fühlte mich - ohne überheblich
zu sein, glaube ich - sehr viel älter, als ich war,
nämlich bald sechzehn. Mein Hauptinteresse galt Büchern
und politischen Utopien, bildete ich mir jedenfalls
ein. Ich wollte nach Oxford, ich wollte Schriftstellerin
werden, doch ich war wie meine Mutter, jederzeit bereit,
den schönen Dingen des Lebens Vorrang zu geben.
© SchirmerGraf Verlag 2005
Übersetzung: Sigrid Ruschmeier
- Autor: Sybille Bedford
- 2005, 380 Seiten, Masse: 13,4 x 21,1 cm, Leinen, Deutsch
- Übersetzer: Sigrid Ruschmeier
- Verlag: Schirmer/Mosel
- ISBN-10: 3865550215
- ISBN-13: 9783865550217
Zustand | Preis | Porto | Zahlung | Verkäufer | Rating |
---|
Schreiben Sie einen Kommentar zu "Ein Liebling der Götter".
Kommentar verfassen