Verbotene Bisse / Chicagoland Vampires Bd.2
Roman
Nach ihrer Verwandlung in eine Vampirin zieht Merit in das Haus Cadogan ein. Im Auftrag ihres neuen "Meisters", dem Vampir Ethan Sullivan, soll sie fortan die Rolle der Vermittlerin zwischen Menschen und Vampiren spielen. Doch irgendjemand hat es darauf...
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Produktinformationen zu „Verbotene Bisse / Chicagoland Vampires Bd.2 “
Klappentext zu „Verbotene Bisse / Chicagoland Vampires Bd.2 “
Nach ihrer Verwandlung in eine Vampirin zieht Merit in das Haus Cadogan ein. Im Auftrag ihres neuen "Meisters", dem Vampir Ethan Sullivan, soll sie fortan die Rolle der Vermittlerin zwischen Menschen und Vampiren spielen. Doch irgendjemand hat es darauf abgesehen, Zwietracht zwischen Sterblichen und Unsterblichen zu säen, und droht, eines der dunkelsten Geheimnisse der Vampire an die Öffentlichkeit zu bringen. Zu allem Überfluss beginnt Merit eine Affäre mit dem neuen Oberhaupt von Haus Navarre. Schon bald muss sie jedoch feststellen, dass sie noch immer Gefühle für Ethan hegt, dessen widersprüchliche Natur ihr wieder und wieder Rätsel aufgibt ...
Lese-Probe zu „Verbotene Bisse / Chicagoland Vampires Bd.2 “
Chicagoland Vampires Verbotene Bisse von Chloe Neill Ich hatte gerade die leeren Seesäcke zusammengelegt und in
der untersten Kommodenschublade verstaut, als der Piepser an
meiner Hüfte zu vibrieren begann. Piepser waren für die Wachen
Cadogans verpflichtend, damit wir bei fangzahnbezogenen
Notfällen so schnell wie möglich reagieren konnten. Jetzt, wo ich
offiziell das Haus bewohnte - und nicht mehr zwanzig Fahrminuten
nördlich zu Hause war -, konnte ich in Rekordzeit reagieren.
Ich nahm den Piepser kurz ab und las den Text im Display.
Darauf stand: OPER ZTRL. 911.
Nicht besonders poetisch, aber die Aussage war deutlich genug.
Es musste einen Notfall geben, weswegen wir uns in der
Operationszentrale treffen sollten, dem Hauptquartier der Wachen
im Keller des Hauses Cadogan. Ich schnallte meinen Piepser
wieder fest, schnappte mir mein Katana und lief nach unten.
»Es interessiert mich nicht, ob sie euch fotografieren, um Autogramme
bitten oder zu einem Drink einladen! Das. Ist. Völlig.
Inakzeptabel.«
Luc, Hauptmann der Wachen des Hauses Cadogan, knurrte
uns wütend an. Es stellte sich heraus, dass sich der Notfall
tagsüber ereignet hatte und wohl auf unserem eigenen Mist
gewachsen war. Diese Standpauke gehörte zu den unliebsamen
Konsequenzen.
Hier waren wir, saßen um einen Hightech-Konferenztisch in
der ebenso Hightech-, filmreifen Operationszentrale - Peter, Juliet,
Lindsey, Kelley und ich, die Wachen (und die Hüterin), die
für das Wohlergehen und die Sicherheit der Vampire Cadogans
verantwortlich waren.
... mehr
Wir bekamen gerade von einem blonden Wuschelkopfcowboy,
der irgendwann in einen Vampir verwandelt worden war, die
Leviten gelesen. Er warf uns eine »lasche Haltung« vor, die er auf
unsere erst kürzlich erworbene Popularität in der Öffentlichkeit
zurückführte.
Um ehrlich zu sein - wir fühlten uns nicht gerade geliebt.
»Wir tun schon unser Bestes«, betonte Juliet, eine leicht entrückt
wirkende Rothaarige, die schon länger Vampir war als
ich auf der Erde. »Letzte Woche sind Lindsey einige Reporter
gefolgt«, sagte sie und deutete auf eine andere Wache. Lindsey
war blond, ziemlich frech und glücklicherweise auf meiner Seite.
»Ja«, sagte Luc und hob eine Ausgabe der Chicago World
Weekly vom Konferenztisch hoch, »dafür gibt es Beweise.« Er
drehte die Zeitung so, dass wir alle einen Blick auf Lindsey werfen
konnten, deren ganzseitiges Foto die Titelseite schmückte.
Sie trug ihren üblichen blonden Pferdeschwanz, Designer-Jeans,
Stöckelschuhe und eine überdimensionierte Sonnenbrille. Sie
war in der Bewegung fotografiert worden, während sie jemanden
abseits der Kamera anlächelte. Zufälligerweise wusste ich, dass
die Person, die sie anlächelte, genau wie ich einer der neuen
Vampire Cadogans war. Lindsey war mit Connor kurz nach der
Aufnahmezeremonie, bei der er und ich in das Haus aufgenommen
worden waren, zusammengekommen - zu Lucs großem
Entsetzen.
»Das entspricht nicht ganz der von Cadogan akzeptierten
Uniform«, wies Luc sie zurecht.
»Aber diese Jeans ist süß«, flüsterte ich.
»Ich weiß, nicht wahr?« Sie erwiderte mein Grinsen. »Und
total günstig.«
»Deinen kleinen Hintern als Titelbild auf der Weekly zu sehen,
ist nicht der direkte Weg zu meinem Herzen, Blondie«, sagte Luc.
»Dann habe ich es ja genau richtig gemacht.«
Luc gab ein Knurren von sich, denn er verlor langsam die
Geduld. »Ist das wirklich das Beste, was du für dieses Haus tun kannst?«
Lindseys ständige Streitereien mit Luc hinterließen bei mir
den Eindruck, dass sie in Wirklichkeit leidenschaftlich in ihn
verliebt war. Allerdings vermutete man das kaum, wenn man
sah, wie wütend sie ihn anfunkelte. Sie hob den Zeigefinger und
begann zu zählen.
»Erstens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu werden.
Zweitens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu
werden. Drittens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu
werden.« Sie hob die Augenbrauen in Richtung Luc. »Verstehst
du, was ich sagen will? Jetzt mal ganz ehrlich. Diese Sache
mit dem ›Kann man auf Fotos nicht sehen‹ ist eine verdammte
Legende.«
Luc murmelte etwas von Befehlsverweigerung und fuhr sich
mit der Hand durchs Haar. »Leute, wir sind an einem Wendepunkt.
Wir haben uns geoutet, der Kongress hat uns durch die
Mangel gedreht, und jetzt haben wir alle Paparazzi dieser Welt
am Hals. Außerdem haben wir herausgefunden, dass in wenigen
Wochen Gabriel Keene, der Chef von Zentral-Nordamerika,
unserer schönen Stadt einen Besuch abstatten wird.«
»Keene ist auf dem Weg hierher?«, fragte Peter. »Nach Chicago?
« Peter lehnte sich vor, die Ellbogen auf dem Konferenztisch.
Peter war groß gewachsen und schlank, hatte braune Haare und
wirkte wie etwa dreißig. Mit seiner legeren Kleidung und seiner
gelassenen Haltung vermittelte er den Eindruck eines Mannes,
der in seinem Leben (als Mensch oder Vampir) über eine Menge
Geld verfügt hat.
»Nach Chicago«, bestätigte Luc. »Die Menschen wissen vielleicht
noch nicht, dass die Formwandler existieren, wir aber
schon. Bedauerlicherweise für alle.«
Unter den Wachen gab es einiges Gekicher. Vampire und
Formwandler waren nicht gerade die besten Freunde, und die
Spannungen hatten in letzter Zeit zugenommen - ich hatte gehört,
dass Gabriel die Stadt besuchen wollte, um sie als möglichen
Tagungsort für seine Formwandler zu begutachten. Sein
Besuch und die Möglichkeit, dass Formwandler massenhaft in
Chicago auftauchen würden, waren in den Tagesaufgaben -
dem täglichen Nachrichtenüberblick für die Wachen Cadogans -
mehr als einmal aufgetaucht.
»Okay, Leute, wir sollten nicht einen auf naiv machen und
glauben, dass unsere frisch erlangte Popularität ewig bestehen
wird, klar? Die Menschen - und das ist nicht böse gemeint,
Hüterin, die du hier der letzte Neuzugang bist - sind ein wankelmütiger
Haufen. Wir wissen, was geschieht, wenn sie von uns
genervt sind.«
Luc bezog sich auf die Säuberungen, das vampirische Gegenstück
zur Hexenverfolgung. In Europa hatte es zwei gegeben, die
erste 1611 in Deutschland und die zweite 1789 in Frankreich.
Tausende Vampire, ein ziemlich großer Teil unserer europäischen
Bevölkerung, wurden während dieser beiden Ereignisse
ausgelöscht - gepfählt, verbrannt, ausgeweidet und zum Sterben
liegen gelassen. Die Formwandler hatten von der Zweiten Säuberung
gewusst, aber sich nicht eingemischt; daher rührte eine
gewisse Feindseligkeit zwischen den beiden Spezies.
»Und jetzt kommt's«, sagte Luc. »Wir haben mitbekommen,
dass die Weekly eine mehrteilige Enthüllungsgeschichte über
geheime Vampiraktivitäten veröffentlichen will.«
»Geheim?«, fragte Kelley. »Was tun wir denn, das so furchtbar
geheim ist?«
»Genau das will ich herausfinden«, sagte Luc und deutete mit
dem Finger nach oben. »Ich treffe mich gleich mit eurem und
meinem Meister. Aber bevor ich die Gelegenheit bekomme, mit
dem Chef zu plaudern, lasst mich euch noch an einige Dinge
erinnern, die ihr offensichtlich dringend wieder lernen müsst.«
»Wir existieren«, fuhr Luc fort, »um unseren Meister glücklich
zu machen, nicht, um noch mehr auf seine Schultern zu laden.
Von nun an werdet ihr euch als Vertreter des Hauses Cadogan in
der Welt der Menschen betrachten und euch so verhalten, wie
es sich für Vampire des Hauses Cadogan gehört. Das habt ihr
offensichtlich nicht von Anfang an begriffen.« Er kniff die Augen
zusammen, als er zu Lindsey hinüberblickte. »Und wenn das
bedeutet, frühmorgens nicht mehr mit Vampirneulingen feiern
zu gehen, dann ist das so.«
Sie warf ihm einen Blick zu, der zugleich wütend und schmollend
war, aber sie verkniff sich einen Kommentar.
Da er offensichtlich davon überzeugt war, ihr seinen Standpunkt
klargemacht zu haben, wandte er sich wieder uns zu.
»Egal, was ihr da draußen macht, außerhalb des Hauses, es wird
sich auf uns alle auswirken, vor allem jetzt, wo unsere Ärsche
offensichtlich eine Schlagzeile wert sind. Das bedeutet auch,
dass ihr möglicherweise aufgefordert werdet, Fragen zum Haus
oder Vampiren allgemein zu beantworten.«
Er öffnete die Mappe vor sich, zog einige Papiere heraus und
reichte sie an Lindsey weiter, die ihm am nächsten saß. Sie nahm
sich eins und gab die übrigen weiter.
»Antwortliste?«, las Kelly den Titel des Dokuments vor. Kelley
war auf eine exotische Art schön - blasse Haut, rabenschwarze
Haare, leicht schräg stehende Augen. Ihr Blick ließ deutlich
erkennen, dass sie von dem Stück Papier, das sie vorsichtig zwischen
den Fingerspitzen hielt, nicht beeindruckt war.
»Antwortliste«, wiederholte Luc mit einem Nicken. »Das
Papier beinhaltet Antworten, die ihr bevollmächtig seid zu
geben - und wenn ich sage ›bevollmächtigt‹, dann meine ich
›gezwungen‹ -, wenn euch ein Reporter in eine politisch heikle
Diskussion verwickeln will. Lest das Blatt, lernt es auswendig
und tragt es passend vor. Haben wir uns verstanden?«
»Ja, Sir«, antworteten wir gehorsam im Chor.
Luc machte sich nicht die Mühe, darauf zu reagieren, sondern
stand einfach auf und fing an, die restlichen Dokumente auf
dem Tisch zusammenzuräumen. Wir verstanden den Hinweis -
Sitzung vertagt - und schoben unsere Stühle zurück. Ich stand
auf, faltete das Blatt mit der »Antwortliste« zusammen und wollte
gerade hinausgehen, als Luc nach mir rief.
Er ging zur Tür und bedeutete mir mit zwei Fingern, ihm zu folgen.
Verdammt! Ich wusste schon, was auf mich zukam, und das
auch noch zum zweiten Mal heute.
»Hüterin, du begleitest mich«, sagte er. Ich atmete langsam
aus, um mich auf ein erneutes Treffen mit dem stursten Vampir
der Welt geistig vorzubereiten.
»Sir«, sagte ich, stopfte die »Antwortliste« in eine Tasche meines
Kostüms und rückte das Katana an meiner Hüfte zurecht.
Lindsey warf mir einen mitfühlenden Blick zu, den ich mit einem
Nicken beantwortete, und dann folgte ich ihm nach draußen.
Wir gingen die Treppe zum Erdgeschoss hinauf, den Flur bis
zu Ethans Bürotür entlang und fanden sie geschlossen vor. Luc
öffnete sie ohne weitere Ankündigung. Ich zupfte kurz am Saum
meiner schwarzen Kostümjacke und folgte ihm hinein.
Ethan telefonierte gerade. Er nickte Luc zu, dann auch mir
und hob den Zeigefinger, um uns zu sagen, dass das Gespräch
nicht lange dauern würde.
»Natürlich«, sagte er. »Das verstehe ich vollkommen.« Er deutete
auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. Gehorsam
setzte sich Luc auf den rechten, ich setzte mich auf den linken.
»Ja, Sire«, sagte er. »Die Information liegt mir in diesem Augenblick
vor.« Als Meister des Hauses Cadogan erhielt Ethan
den Ehrentitel »Lehnsherr«, aber »Sire« war mir ein Rätsel. Ich
sah zu Luc hinüber.
Er lehnte sich zu mir. »Darius«, flüsterte er, und ich nickte
zum Zeichen, dass ich den Hinweis verstanden hatte. Es musste
sich um Darius West handeln, den Präsidenten des Greenwich Presidium.
»Das haben wir bereits in Betracht gezogen«, sagte Ethan,
nickte und schrieb sich eine kurze Notiz auf einen Block, »aber
Sie kennen die Risiken. Ich persönlich würde davon abraten.«
Er nickte erneut, dann spannten sich seine Schultern an, und
er sah auf.
Und sah mir direkt in die Augen.
»Ja«, sagte Ethan, als er seine unwiderstehlich grünen Augen
auf mich richtete, »diese Option können wir natürlich prüfen.«
Ich schluckte reflexartig, denn die Aussicht, eine »Option« zu
sein, die man »prüfen« wollte, gefiel mir gar nicht.
»Egal, worum es geht,« sagte Luc, der sich wieder zu mir
lehnte, »es wird dir nicht gefallen.«
»Es wird mir ganz bestimmt nicht gefallen«, pflichtete ich ihm
leise bei. Das Gespräch dauerte noch einige Minuten, hier und
da unterbrochen durch ein Nicken oder zustimmende Bemerkungen
von Ethan, und endlich verabschiedete er sich. Er legte
den Hörer auf und sah uns an, eine Sorgenfalte zwischen den
Augen. Diese Falte hatte ich früher schon mal gesehen. Sie war
normalerweise kein gutes Zeichen.
»Die Chicago World Weekly«, fing er an, »die sich offensichtlich
sehr für vampirische Aktivitäten interessiert, wird die Raves
untersuchen. Sie werden daraus eine dreiteilige Serie machen,
einen Artikel pro Woche, und sie fangen damit nächsten Freitag an.«
»Verdammt«, fluchte Luc, bevor er einen bedeutungsvollen
Blick mit Ethan wechselte, der deutlich erkennen ließ, dass er
durchaus wusste, warum das ein Problem war.
Ich nahm an, dass es sich um die »geheimen« Details handelte,
auf die Luc gewartet hatte. Unglücklicherweise konnte
ich damit fast gar nichts anfangen. Ich hatte schon einmal von
den Raves unter den Vampiren gehört; Catcher hatte sie kurz
erwähnt, sich dann aber geweigert, mehr darüber zu erzählen.
Meine nachfolgende Recherche im Kanon hatte mich auch nicht
weitergebracht. Worum es sich auch handelte, Vampire sprachen
nicht gerne darüber.
Ich hob eine Hand. »Raves? Sie untersuchen Partys?«
»Nicht Partys«, sagte Luc. »Die Menschen haben den Begriff
von uns entlehnt. Raves in der Welt der Übernatürlichen sind
natürlich auch Zusammenkünfte, aber sie sind viel ...« Er verstummte,
rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und sah
zu Ethan, der seinen Blick auf mich richtete.
»Blutiger«, sagte Ethan in einem sachlichen Ton. »Sie sind
blutiger.«
Raves, so erklärte mir Ethan, seien die Vampirvariante von
Flashmobs. Es handelte sich im Grunde genommen um Massenfütterungen.
Vampire wurden informiert (natürlich elektronisch),
wo und wann der Treffpunkt war, und dort erwartete sie
eine Gruppe Menschen. Menschen, die an uns glaubten, schon
bevor wir der Welt unsere Existenz bekannt gegeben hatten.
Menschen, die uns nahe sein wollten, die kosten wollten, wie die
verbotene Finsternis schmeckte.
Allerdings war ich mir nicht sicher, wie »verboten« und »finster
« wir wirklich waren, wenn man die Autoaufkleber, Fan-
Wimpel und Lindseys Position als neues amtierendes Vampir-
Covergirl bedachte.
»Sie wollen ein Teil unserer Welt sein, sie wollen sehen und
gesehen werden«, sagte Ethan, »aber unsere Fangzähne wollen
sie nicht unbedingt in der Nähe ihrer Halsschlagadern haben.
Doch genau das passiert. Sie werden gebissen.«
»Es ist ein Festmahl«, fügte Luc hinzu.
»Aber sicherlich stimmen doch einige Menschen auch zu,
gebissen zu werden«, meinte ich und sah von Luc zu Ethan. »Mal
ehrlich, wer freiwillig auf eine Art Vampirfütterung geht, muss
doch wissen, dass er nicht auf dem Weg zu einer Gartenparty ist.
Und jeder von uns hat Underworld gesehen. Ich bin mir sicher,
dass es durchaus einige Menschen gibt, die darin einen ... Reiz sehen.«
Ethan nickte. »Einige Menschen stimmen dem zu, weil sie
sich bei den Vampiren beliebt machen wollen, weil sie glauben,
sie würden damit näher an die Position eines Renfields kommen
- eines Dieners -, oder weil es einen erotischen Reiz auf
sie ausübt.«
»Sie halten es für unheimlich sexy«, lautete Lucs vereinfachte
Darstellung.
»Sie glauben, dass es unheimlich sexy ist, sich oberflächlich
mit unserer Welt zu befassen«, wies Ethan ihn sarkastisch zu
recht. »Aber die Raves finden nicht unter Aufsicht der Meistervampire
statt. Sich bereit zu erklären, in der Gesellschaft von
Vampiren Zeit zu verbringen, mag vielleicht Zustimmung für den
einen oder anderen Schluck signalisieren. Aber wenn ein Vampir
bereit ist, an solchen Aktivitäten teilzunehmen - Aktivitäten, die
die Häuser strikt verboten haben -, dann wird er oder sie wahrscheinlich
nicht auf die Bitte eines Menschen reagieren, mit dem
Trinken aufzuhören.« Er sah mich mit ernstem Blick an. »Und
wir wissen, wie entscheidend die Zustimmung der Menschen ist,
wenn es um ihr Blut geht.«
Über das Thema Zustimmung wusste ich einiges, denn ich
hatte sie nicht erteilen können. Ethan hatte mich zu einer Unsterblichen
gemacht, um mich vor Celinas Lakaien zu retten,
aber diese Entscheidung hatte er innerhalb von Sekundenbruchteilen
treffen müssen, ohne darüber sorgfältig nachdenken zu
können. Ich konnte das Gefühl des Missbrauchs nachempfinden,
wenn es um den unerwünschten Biss ging ... vor allem, wenn
der Vampir mehr als nur den einen oder anderen Schluck wollte.
»Wenn sie den Menschen erst mal ein paar Liter Blut ausgesaugt
haben«, meinte Luc, »machen die Vampire es nur noch
schlimmer: Damit die Menschen das Geschehene vergessen,
versuchen sie sie zu verzaubern. Und offen gesagt - die Vampire
auf den Raves stehen normalerweise nicht an der Spitze der
Nahrungskette. Was bedeutet, dass sie normalerweise auch nicht
besonders gut verzaubern können.«
Die Fähigkeit, einen Menschen zu verzaubern - ihn unter
die Kontrolle des Vampirs zu bringen -, war ein deutlicher Hinweis
auf die psychischen Kräfte des Vampirs, welche wiederum
eine der drei Kategorien darstellten, nach denen seine Macht
beurteilt wurde. Strategie (strategische und Bündnisinteressen)
und Physis (körperliche Stärke, Ausdauer, Geschick) waren die
beiden anderen. Ich für meinen Teil konnte überhaupt nicht
verzaubern, zumindest war ich die paarmal, die ich es versucht
hatte, kläglich gescheitert. Allerdings schien ich selbst auf merkwürdige
Art immun gegen jede Form von Verzauberung zu sein,
was nur einer von vielen Gründen war, warum Celina Desaulniers
mich nicht besonders mochte. Sie war die Meisterin des
Verzauberns, und es muss ihr wirklich auf die Nerven gegangen
sein, dass ich mich von ihr nicht kontrollieren ließ.
Um es noch mal zusammenzufassen: Ahnungslose Menschen
wurden nicht nur zu einem Vampirsnack, diese Verbrecher waren
noch nicht mal besonders geschickte Vampire. Wie auch immer,
die meisten Menschen würden sich bei solchen Szenarien
nicht besonders wohlfühlen. Ich fühlte mich nicht wohl dabei,
und ich war seit fast zwei Monaten kein Mensch mehr. Die Menschen
hatten sich nur unter der Voraussetzung bereit erklärt, mit
uns zusammenzuleben, dass die Vampire Menschen nicht mehr
bissen, sondern Blut tranken, das gespendet, verkauft oder in sterilen
Plastikbeuteln von Firmen wie Lebenssaft geliefert wurde.
Nur vier der zwölf amerikanischen Häuser, einschließlich Cadogan,
erlaubten sich das Ritual, direkt von der Quelle zu trinken.
Aber wer immer das machte, durfte es nur nach entsprechender
Zustimmung - im Haus, nach medizinischen Untersuchungen
und nachdem notariell beglaubigte Unterlagen unterschrieben
worden waren, die dies genehmigten. In dreifacher Ausfertigung.
(Wenn man mich fragte, so müsste ich eingestehen, dass
ich weder geistig noch emotional dazu bereit war, eine andere
Quelle als einen Plastikbeutel zu akzeptieren.)
Unglücklicherweise wurden Vampire, die Menschen bissen,
als abartig empfunden, oder zumindest war das das Bild, das
Celina vermittelt hatte, als sie das Coming-out der Vampire inszenierte.
Wild und unkontrolliert um sich beißende Blutsauger,
selbst wenn ein Mensch dem einen oder anderen Schluck zugestimmt
hatte, waren das größte anzunehmende PR-Desaster.
Da Vampire, die sich dazu entschlossen haben, Menschen
zu beißen, eigentlich dazu angehalten waren, diese Schutzmaßnahmen
zu ihrer eigenen Absicherung einzuhalten, warf dieser
potenzielle PR-Super-GAU eine Frage auf: »Welche Häuser
beteiligen sich an den Raves?«, fragte ich.
»Theoretisch kein einziges«, murmelte Luc, woraufhin Ethan mitfühlend nickte.
»Du weißt, dass eine Handvoll Häuser sich immer noch zum
Beißen bekennt«, antwortete Ethan. »Aber keins der Häuser
duldet die Raves.«
»Es könnten gewiefte Vampire aus den Häusern oder Abtrünnige
sein«, fügte Luc hinzu und spielte damit auf die wenigen
Vampire an, die außerhalb des Haus-Systems lebten. »Vielleicht
umherziehende Vampire aus anderen Städten, anderen Ländern.
Bring diese Gruppen zusammen, und du stichst in ein
Hornissennest aus durstigen Vampiren und naiven Menschen,
die gerne Vampire sein möchten. Ganz schlechte Kombination.«
Ich verschränkte die Arme und sah Ethan an. »Ich verstehe
deine Besorgnis, aber gibt es einen Grund, warum die Hüterin
des Hauses erst jetzt von diesen Raves erfährt?«
»Wir machen nicht gerade Werbung für sie«, antwortete Ethan
sanft. »Allerdings glauben wir, dass du uns gute Dienste leisten
kannst, jetzt, wo du Bescheid weißt.« Er zog eine graue Mappe
vom Papierstapel auf seinem Schreibtisch, schlug sie auf und
brachte mehrere Seiten zum Vorschein, die von Büroklammern
gehalten wurden. Obendrauf befand sich ein kleines Farbfoto.
»Wir haben gehört, dass dieser Reporter hier gerade Hintergrundrecherchen
zu den Raves durchführt.« Ethan löste das
Foto und drehte es um, damit ich es sehen konnte. »Und ich
glaube, ihr zwei seid miteinander bekannt.«
Ich griff nach dem Foto, nahm es vorsichtig von Ethan entgegen
und starrte auf das vertraute Gesicht. »Hallo, Jamie!«
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
Wir bekamen gerade von einem blonden Wuschelkopfcowboy,
der irgendwann in einen Vampir verwandelt worden war, die
Leviten gelesen. Er warf uns eine »lasche Haltung« vor, die er auf
unsere erst kürzlich erworbene Popularität in der Öffentlichkeit
zurückführte.
Um ehrlich zu sein - wir fühlten uns nicht gerade geliebt.
»Wir tun schon unser Bestes«, betonte Juliet, eine leicht entrückt
wirkende Rothaarige, die schon länger Vampir war als
ich auf der Erde. »Letzte Woche sind Lindsey einige Reporter
gefolgt«, sagte sie und deutete auf eine andere Wache. Lindsey
war blond, ziemlich frech und glücklicherweise auf meiner Seite.
»Ja«, sagte Luc und hob eine Ausgabe der Chicago World
Weekly vom Konferenztisch hoch, »dafür gibt es Beweise.« Er
drehte die Zeitung so, dass wir alle einen Blick auf Lindsey werfen
konnten, deren ganzseitiges Foto die Titelseite schmückte.
Sie trug ihren üblichen blonden Pferdeschwanz, Designer-Jeans,
Stöckelschuhe und eine überdimensionierte Sonnenbrille. Sie
war in der Bewegung fotografiert worden, während sie jemanden
abseits der Kamera anlächelte. Zufälligerweise wusste ich, dass
die Person, die sie anlächelte, genau wie ich einer der neuen
Vampire Cadogans war. Lindsey war mit Connor kurz nach der
Aufnahmezeremonie, bei der er und ich in das Haus aufgenommen
worden waren, zusammengekommen - zu Lucs großem
Entsetzen.
»Das entspricht nicht ganz der von Cadogan akzeptierten
Uniform«, wies Luc sie zurecht.
»Aber diese Jeans ist süß«, flüsterte ich.
»Ich weiß, nicht wahr?« Sie erwiderte mein Grinsen. »Und
total günstig.«
»Deinen kleinen Hintern als Titelbild auf der Weekly zu sehen,
ist nicht der direkte Weg zu meinem Herzen, Blondie«, sagte Luc.
»Dann habe ich es ja genau richtig gemacht.«
Luc gab ein Knurren von sich, denn er verlor langsam die
Geduld. »Ist das wirklich das Beste, was du für dieses Haus tun kannst?«
Lindseys ständige Streitereien mit Luc hinterließen bei mir
den Eindruck, dass sie in Wirklichkeit leidenschaftlich in ihn
verliebt war. Allerdings vermutete man das kaum, wenn man
sah, wie wütend sie ihn anfunkelte. Sie hob den Zeigefinger und
begann zu zählen.
»Erstens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu werden.
Zweitens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu
werden. Drittens, ich habe nicht darum gebeten, fotografiert zu
werden.« Sie hob die Augenbrauen in Richtung Luc. »Verstehst
du, was ich sagen will? Jetzt mal ganz ehrlich. Diese Sache
mit dem ›Kann man auf Fotos nicht sehen‹ ist eine verdammte
Legende.«
Luc murmelte etwas von Befehlsverweigerung und fuhr sich
mit der Hand durchs Haar. »Leute, wir sind an einem Wendepunkt.
Wir haben uns geoutet, der Kongress hat uns durch die
Mangel gedreht, und jetzt haben wir alle Paparazzi dieser Welt
am Hals. Außerdem haben wir herausgefunden, dass in wenigen
Wochen Gabriel Keene, der Chef von Zentral-Nordamerika,
unserer schönen Stadt einen Besuch abstatten wird.«
»Keene ist auf dem Weg hierher?«, fragte Peter. »Nach Chicago?
« Peter lehnte sich vor, die Ellbogen auf dem Konferenztisch.
Peter war groß gewachsen und schlank, hatte braune Haare und
wirkte wie etwa dreißig. Mit seiner legeren Kleidung und seiner
gelassenen Haltung vermittelte er den Eindruck eines Mannes,
der in seinem Leben (als Mensch oder Vampir) über eine Menge
Geld verfügt hat.
»Nach Chicago«, bestätigte Luc. »Die Menschen wissen vielleicht
noch nicht, dass die Formwandler existieren, wir aber
schon. Bedauerlicherweise für alle.«
Unter den Wachen gab es einiges Gekicher. Vampire und
Formwandler waren nicht gerade die besten Freunde, und die
Spannungen hatten in letzter Zeit zugenommen - ich hatte gehört,
dass Gabriel die Stadt besuchen wollte, um sie als möglichen
Tagungsort für seine Formwandler zu begutachten. Sein
Besuch und die Möglichkeit, dass Formwandler massenhaft in
Chicago auftauchen würden, waren in den Tagesaufgaben -
dem täglichen Nachrichtenüberblick für die Wachen Cadogans -
mehr als einmal aufgetaucht.
»Okay, Leute, wir sollten nicht einen auf naiv machen und
glauben, dass unsere frisch erlangte Popularität ewig bestehen
wird, klar? Die Menschen - und das ist nicht böse gemeint,
Hüterin, die du hier der letzte Neuzugang bist - sind ein wankelmütiger
Haufen. Wir wissen, was geschieht, wenn sie von uns
genervt sind.«
Luc bezog sich auf die Säuberungen, das vampirische Gegenstück
zur Hexenverfolgung. In Europa hatte es zwei gegeben, die
erste 1611 in Deutschland und die zweite 1789 in Frankreich.
Tausende Vampire, ein ziemlich großer Teil unserer europäischen
Bevölkerung, wurden während dieser beiden Ereignisse
ausgelöscht - gepfählt, verbrannt, ausgeweidet und zum Sterben
liegen gelassen. Die Formwandler hatten von der Zweiten Säuberung
gewusst, aber sich nicht eingemischt; daher rührte eine
gewisse Feindseligkeit zwischen den beiden Spezies.
»Und jetzt kommt's«, sagte Luc. »Wir haben mitbekommen,
dass die Weekly eine mehrteilige Enthüllungsgeschichte über
geheime Vampiraktivitäten veröffentlichen will.«
»Geheim?«, fragte Kelley. »Was tun wir denn, das so furchtbar
geheim ist?«
»Genau das will ich herausfinden«, sagte Luc und deutete mit
dem Finger nach oben. »Ich treffe mich gleich mit eurem und
meinem Meister. Aber bevor ich die Gelegenheit bekomme, mit
dem Chef zu plaudern, lasst mich euch noch an einige Dinge
erinnern, die ihr offensichtlich dringend wieder lernen müsst.«
»Wir existieren«, fuhr Luc fort, »um unseren Meister glücklich
zu machen, nicht, um noch mehr auf seine Schultern zu laden.
Von nun an werdet ihr euch als Vertreter des Hauses Cadogan in
der Welt der Menschen betrachten und euch so verhalten, wie
es sich für Vampire des Hauses Cadogan gehört. Das habt ihr
offensichtlich nicht von Anfang an begriffen.« Er kniff die Augen
zusammen, als er zu Lindsey hinüberblickte. »Und wenn das
bedeutet, frühmorgens nicht mehr mit Vampirneulingen feiern
zu gehen, dann ist das so.«
Sie warf ihm einen Blick zu, der zugleich wütend und schmollend
war, aber sie verkniff sich einen Kommentar.
Da er offensichtlich davon überzeugt war, ihr seinen Standpunkt
klargemacht zu haben, wandte er sich wieder uns zu.
»Egal, was ihr da draußen macht, außerhalb des Hauses, es wird
sich auf uns alle auswirken, vor allem jetzt, wo unsere Ärsche
offensichtlich eine Schlagzeile wert sind. Das bedeutet auch,
dass ihr möglicherweise aufgefordert werdet, Fragen zum Haus
oder Vampiren allgemein zu beantworten.«
Er öffnete die Mappe vor sich, zog einige Papiere heraus und
reichte sie an Lindsey weiter, die ihm am nächsten saß. Sie nahm
sich eins und gab die übrigen weiter.
»Antwortliste?«, las Kelly den Titel des Dokuments vor. Kelley
war auf eine exotische Art schön - blasse Haut, rabenschwarze
Haare, leicht schräg stehende Augen. Ihr Blick ließ deutlich
erkennen, dass sie von dem Stück Papier, das sie vorsichtig zwischen
den Fingerspitzen hielt, nicht beeindruckt war.
»Antwortliste«, wiederholte Luc mit einem Nicken. »Das
Papier beinhaltet Antworten, die ihr bevollmächtig seid zu
geben - und wenn ich sage ›bevollmächtigt‹, dann meine ich
›gezwungen‹ -, wenn euch ein Reporter in eine politisch heikle
Diskussion verwickeln will. Lest das Blatt, lernt es auswendig
und tragt es passend vor. Haben wir uns verstanden?«
»Ja, Sir«, antworteten wir gehorsam im Chor.
Luc machte sich nicht die Mühe, darauf zu reagieren, sondern
stand einfach auf und fing an, die restlichen Dokumente auf
dem Tisch zusammenzuräumen. Wir verstanden den Hinweis -
Sitzung vertagt - und schoben unsere Stühle zurück. Ich stand
auf, faltete das Blatt mit der »Antwortliste« zusammen und wollte
gerade hinausgehen, als Luc nach mir rief.
Er ging zur Tür und bedeutete mir mit zwei Fingern, ihm zu folgen.
Verdammt! Ich wusste schon, was auf mich zukam, und das
auch noch zum zweiten Mal heute.
»Hüterin, du begleitest mich«, sagte er. Ich atmete langsam
aus, um mich auf ein erneutes Treffen mit dem stursten Vampir
der Welt geistig vorzubereiten.
»Sir«, sagte ich, stopfte die »Antwortliste« in eine Tasche meines
Kostüms und rückte das Katana an meiner Hüfte zurecht.
Lindsey warf mir einen mitfühlenden Blick zu, den ich mit einem
Nicken beantwortete, und dann folgte ich ihm nach draußen.
Wir gingen die Treppe zum Erdgeschoss hinauf, den Flur bis
zu Ethans Bürotür entlang und fanden sie geschlossen vor. Luc
öffnete sie ohne weitere Ankündigung. Ich zupfte kurz am Saum
meiner schwarzen Kostümjacke und folgte ihm hinein.
Ethan telefonierte gerade. Er nickte Luc zu, dann auch mir
und hob den Zeigefinger, um uns zu sagen, dass das Gespräch
nicht lange dauern würde.
»Natürlich«, sagte er. »Das verstehe ich vollkommen.« Er deutete
auf die beiden Stühle vor seinem Schreibtisch. Gehorsam
setzte sich Luc auf den rechten, ich setzte mich auf den linken.
»Ja, Sire«, sagte er. »Die Information liegt mir in diesem Augenblick
vor.« Als Meister des Hauses Cadogan erhielt Ethan
den Ehrentitel »Lehnsherr«, aber »Sire« war mir ein Rätsel. Ich
sah zu Luc hinüber.
Er lehnte sich zu mir. »Darius«, flüsterte er, und ich nickte
zum Zeichen, dass ich den Hinweis verstanden hatte. Es musste
sich um Darius West handeln, den Präsidenten des Greenwich Presidium.
»Das haben wir bereits in Betracht gezogen«, sagte Ethan,
nickte und schrieb sich eine kurze Notiz auf einen Block, »aber
Sie kennen die Risiken. Ich persönlich würde davon abraten.«
Er nickte erneut, dann spannten sich seine Schultern an, und
er sah auf.
Und sah mir direkt in die Augen.
»Ja«, sagte Ethan, als er seine unwiderstehlich grünen Augen
auf mich richtete, »diese Option können wir natürlich prüfen.«
Ich schluckte reflexartig, denn die Aussicht, eine »Option« zu
sein, die man »prüfen« wollte, gefiel mir gar nicht.
»Egal, worum es geht,« sagte Luc, der sich wieder zu mir
lehnte, »es wird dir nicht gefallen.«
»Es wird mir ganz bestimmt nicht gefallen«, pflichtete ich ihm
leise bei. Das Gespräch dauerte noch einige Minuten, hier und
da unterbrochen durch ein Nicken oder zustimmende Bemerkungen
von Ethan, und endlich verabschiedete er sich. Er legte
den Hörer auf und sah uns an, eine Sorgenfalte zwischen den
Augen. Diese Falte hatte ich früher schon mal gesehen. Sie war
normalerweise kein gutes Zeichen.
»Die Chicago World Weekly«, fing er an, »die sich offensichtlich
sehr für vampirische Aktivitäten interessiert, wird die Raves
untersuchen. Sie werden daraus eine dreiteilige Serie machen,
einen Artikel pro Woche, und sie fangen damit nächsten Freitag an.«
»Verdammt«, fluchte Luc, bevor er einen bedeutungsvollen
Blick mit Ethan wechselte, der deutlich erkennen ließ, dass er
durchaus wusste, warum das ein Problem war.
Ich nahm an, dass es sich um die »geheimen« Details handelte,
auf die Luc gewartet hatte. Unglücklicherweise konnte
ich damit fast gar nichts anfangen. Ich hatte schon einmal von
den Raves unter den Vampiren gehört; Catcher hatte sie kurz
erwähnt, sich dann aber geweigert, mehr darüber zu erzählen.
Meine nachfolgende Recherche im Kanon hatte mich auch nicht
weitergebracht. Worum es sich auch handelte, Vampire sprachen
nicht gerne darüber.
Ich hob eine Hand. »Raves? Sie untersuchen Partys?«
»Nicht Partys«, sagte Luc. »Die Menschen haben den Begriff
von uns entlehnt. Raves in der Welt der Übernatürlichen sind
natürlich auch Zusammenkünfte, aber sie sind viel ...« Er verstummte,
rutschte unruhig auf seinem Stuhl hin und her und sah
zu Ethan, der seinen Blick auf mich richtete.
»Blutiger«, sagte Ethan in einem sachlichen Ton. »Sie sind
blutiger.«
Raves, so erklärte mir Ethan, seien die Vampirvariante von
Flashmobs. Es handelte sich im Grunde genommen um Massenfütterungen.
Vampire wurden informiert (natürlich elektronisch),
wo und wann der Treffpunkt war, und dort erwartete sie
eine Gruppe Menschen. Menschen, die an uns glaubten, schon
bevor wir der Welt unsere Existenz bekannt gegeben hatten.
Menschen, die uns nahe sein wollten, die kosten wollten, wie die
verbotene Finsternis schmeckte.
Allerdings war ich mir nicht sicher, wie »verboten« und »finster
« wir wirklich waren, wenn man die Autoaufkleber, Fan-
Wimpel und Lindseys Position als neues amtierendes Vampir-
Covergirl bedachte.
»Sie wollen ein Teil unserer Welt sein, sie wollen sehen und
gesehen werden«, sagte Ethan, »aber unsere Fangzähne wollen
sie nicht unbedingt in der Nähe ihrer Halsschlagadern haben.
Doch genau das passiert. Sie werden gebissen.«
»Es ist ein Festmahl«, fügte Luc hinzu.
»Aber sicherlich stimmen doch einige Menschen auch zu,
gebissen zu werden«, meinte ich und sah von Luc zu Ethan. »Mal
ehrlich, wer freiwillig auf eine Art Vampirfütterung geht, muss
doch wissen, dass er nicht auf dem Weg zu einer Gartenparty ist.
Und jeder von uns hat Underworld gesehen. Ich bin mir sicher,
dass es durchaus einige Menschen gibt, die darin einen ... Reiz sehen.«
Ethan nickte. »Einige Menschen stimmen dem zu, weil sie
sich bei den Vampiren beliebt machen wollen, weil sie glauben,
sie würden damit näher an die Position eines Renfields kommen
- eines Dieners -, oder weil es einen erotischen Reiz auf
sie ausübt.«
»Sie halten es für unheimlich sexy«, lautete Lucs vereinfachte
Darstellung.
»Sie glauben, dass es unheimlich sexy ist, sich oberflächlich
mit unserer Welt zu befassen«, wies Ethan ihn sarkastisch zu
recht. »Aber die Raves finden nicht unter Aufsicht der Meistervampire
statt. Sich bereit zu erklären, in der Gesellschaft von
Vampiren Zeit zu verbringen, mag vielleicht Zustimmung für den
einen oder anderen Schluck signalisieren. Aber wenn ein Vampir
bereit ist, an solchen Aktivitäten teilzunehmen - Aktivitäten, die
die Häuser strikt verboten haben -, dann wird er oder sie wahrscheinlich
nicht auf die Bitte eines Menschen reagieren, mit dem
Trinken aufzuhören.« Er sah mich mit ernstem Blick an. »Und
wir wissen, wie entscheidend die Zustimmung der Menschen ist,
wenn es um ihr Blut geht.«
Über das Thema Zustimmung wusste ich einiges, denn ich
hatte sie nicht erteilen können. Ethan hatte mich zu einer Unsterblichen
gemacht, um mich vor Celinas Lakaien zu retten,
aber diese Entscheidung hatte er innerhalb von Sekundenbruchteilen
treffen müssen, ohne darüber sorgfältig nachdenken zu
können. Ich konnte das Gefühl des Missbrauchs nachempfinden,
wenn es um den unerwünschten Biss ging ... vor allem, wenn
der Vampir mehr als nur den einen oder anderen Schluck wollte.
»Wenn sie den Menschen erst mal ein paar Liter Blut ausgesaugt
haben«, meinte Luc, »machen die Vampire es nur noch
schlimmer: Damit die Menschen das Geschehene vergessen,
versuchen sie sie zu verzaubern. Und offen gesagt - die Vampire
auf den Raves stehen normalerweise nicht an der Spitze der
Nahrungskette. Was bedeutet, dass sie normalerweise auch nicht
besonders gut verzaubern können.«
Die Fähigkeit, einen Menschen zu verzaubern - ihn unter
die Kontrolle des Vampirs zu bringen -, war ein deutlicher Hinweis
auf die psychischen Kräfte des Vampirs, welche wiederum
eine der drei Kategorien darstellten, nach denen seine Macht
beurteilt wurde. Strategie (strategische und Bündnisinteressen)
und Physis (körperliche Stärke, Ausdauer, Geschick) waren die
beiden anderen. Ich für meinen Teil konnte überhaupt nicht
verzaubern, zumindest war ich die paarmal, die ich es versucht
hatte, kläglich gescheitert. Allerdings schien ich selbst auf merkwürdige
Art immun gegen jede Form von Verzauberung zu sein,
was nur einer von vielen Gründen war, warum Celina Desaulniers
mich nicht besonders mochte. Sie war die Meisterin des
Verzauberns, und es muss ihr wirklich auf die Nerven gegangen
sein, dass ich mich von ihr nicht kontrollieren ließ.
Um es noch mal zusammenzufassen: Ahnungslose Menschen
wurden nicht nur zu einem Vampirsnack, diese Verbrecher waren
noch nicht mal besonders geschickte Vampire. Wie auch immer,
die meisten Menschen würden sich bei solchen Szenarien
nicht besonders wohlfühlen. Ich fühlte mich nicht wohl dabei,
und ich war seit fast zwei Monaten kein Mensch mehr. Die Menschen
hatten sich nur unter der Voraussetzung bereit erklärt, mit
uns zusammenzuleben, dass die Vampire Menschen nicht mehr
bissen, sondern Blut tranken, das gespendet, verkauft oder in sterilen
Plastikbeuteln von Firmen wie Lebenssaft geliefert wurde.
Nur vier der zwölf amerikanischen Häuser, einschließlich Cadogan,
erlaubten sich das Ritual, direkt von der Quelle zu trinken.
Aber wer immer das machte, durfte es nur nach entsprechender
Zustimmung - im Haus, nach medizinischen Untersuchungen
und nachdem notariell beglaubigte Unterlagen unterschrieben
worden waren, die dies genehmigten. In dreifacher Ausfertigung.
(Wenn man mich fragte, so müsste ich eingestehen, dass
ich weder geistig noch emotional dazu bereit war, eine andere
Quelle als einen Plastikbeutel zu akzeptieren.)
Unglücklicherweise wurden Vampire, die Menschen bissen,
als abartig empfunden, oder zumindest war das das Bild, das
Celina vermittelt hatte, als sie das Coming-out der Vampire inszenierte.
Wild und unkontrolliert um sich beißende Blutsauger,
selbst wenn ein Mensch dem einen oder anderen Schluck zugestimmt
hatte, waren das größte anzunehmende PR-Desaster.
Da Vampire, die sich dazu entschlossen haben, Menschen
zu beißen, eigentlich dazu angehalten waren, diese Schutzmaßnahmen
zu ihrer eigenen Absicherung einzuhalten, warf dieser
potenzielle PR-Super-GAU eine Frage auf: »Welche Häuser
beteiligen sich an den Raves?«, fragte ich.
»Theoretisch kein einziges«, murmelte Luc, woraufhin Ethan mitfühlend nickte.
»Du weißt, dass eine Handvoll Häuser sich immer noch zum
Beißen bekennt«, antwortete Ethan. »Aber keins der Häuser
duldet die Raves.«
»Es könnten gewiefte Vampire aus den Häusern oder Abtrünnige
sein«, fügte Luc hinzu und spielte damit auf die wenigen
Vampire an, die außerhalb des Haus-Systems lebten. »Vielleicht
umherziehende Vampire aus anderen Städten, anderen Ländern.
Bring diese Gruppen zusammen, und du stichst in ein
Hornissennest aus durstigen Vampiren und naiven Menschen,
die gerne Vampire sein möchten. Ganz schlechte Kombination.«
Ich verschränkte die Arme und sah Ethan an. »Ich verstehe
deine Besorgnis, aber gibt es einen Grund, warum die Hüterin
des Hauses erst jetzt von diesen Raves erfährt?«
»Wir machen nicht gerade Werbung für sie«, antwortete Ethan
sanft. »Allerdings glauben wir, dass du uns gute Dienste leisten
kannst, jetzt, wo du Bescheid weißt.« Er zog eine graue Mappe
vom Papierstapel auf seinem Schreibtisch, schlug sie auf und
brachte mehrere Seiten zum Vorschein, die von Büroklammern
gehalten wurden. Obendrauf befand sich ein kleines Farbfoto.
»Wir haben gehört, dass dieser Reporter hier gerade Hintergrundrecherchen
zu den Raves durchführt.« Ethan löste das
Foto und drehte es um, damit ich es sehen konnte. »Und ich
glaube, ihr zwei seid miteinander bekannt.«
Ich griff nach dem Foto, nahm es vorsichtig von Ethan entgegen
und starrte auf das vertraute Gesicht. »Hallo, Jamie!«
© 2011 LYX verlegt durch EGMONT Verlagsgesellschaften mbH.
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Autoren-Porträt von Chloe Neill
Chloe Neill ist im Süden der USA aufgewachsen. Mit der Chicagoland Vampires-Serie gibt sie ihr Debüt als Autorin. Derzeit schreibt sie an einer neuen Urban-Fantasy-Serie.
Bibliographische Angaben
- Autor: Chloe Neill
- 2011, 448 Seiten, Masse: 12,7 x 18,3 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Marcel Bülles
- Verlag: LYX
- ISBN-10: 3802583639
- ISBN-13: 9783802583636
- Erscheinungsdatum: 06.07.2011
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