Ich will nur dein Glück / Barron Bd.2
Roman. Deutsche Erstausgabe
Romanze mit Hindernissen
Als Nash Barron die attraktive Kelly auf der Hochzeit seines Bruders kennenlernt, funkt es gewaltig zwischen ihnen. Nash ist fasziniert von Kellys Schönheit und Warmherzigkeit, doch für ihn steht fest,...
Als Nash Barron die attraktive Kelly auf der Hochzeit seines Bruders kennenlernt, funkt es gewaltig zwischen ihnen. Nash ist fasziniert von Kellys Schönheit und Warmherzigkeit, doch für ihn steht fest,...
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Produktinformationen zu „Ich will nur dein Glück / Barron Bd.2 “
Romanze mit Hindernissen
Als Nash Barron die attraktive Kelly auf der Hochzeit seines Bruders kennenlernt, funkt es gewaltig zwischen ihnen. Nash ist fasziniert von Kellys Schönheit und Warmherzigkeit, doch für ihn steht fest, dass sie ihrer Leidenschaft nicht nachgeben dürfen. Dadurch würde er das Vertrauensverhältnis zu seiner Halbschwester Tess gefährden, die die Barron-Familie erst kürzlich aufgenommen hat. Sie braucht nun seine ganze Unterstützung. Doch Tess ist nicht das einzige Hindernis zwischen den beiden. Auch Kelly hat ihre Gründe, auf Distanz zu gehen: Sie verheimlicht Nash etwas, das er ihr nie verzeihen würde ...
Als Nash Barron die attraktive Kelly auf der Hochzeit seines Bruders kennenlernt, funkt es gewaltig zwischen ihnen. Nash ist fasziniert von Kellys Schönheit und Warmherzigkeit, doch für ihn steht fest, dass sie ihrer Leidenschaft nicht nachgeben dürfen. Dadurch würde er das Vertrauensverhältnis zu seiner Halbschwester Tess gefährden, die die Barron-Familie erst kürzlich aufgenommen hat. Sie braucht nun seine ganze Unterstützung. Doch Tess ist nicht das einzige Hindernis zwischen den beiden. Auch Kelly hat ihre Gründe, auf Distanz zu gehen: Sie verheimlicht Nash etwas, das er ihr nie verzeihen würde ...
Klappentext zu „Ich will nur dein Glück / Barron Bd.2 “
Romanze mit HindernissenAls Nash Barron die attraktive Kelly auf der Hochzeit seines Bruders kennenlernt, funkt es gewaltig zwischen ihnen. Nash ist fasziniert von Kellys Schönheit und Warmherzigkeit, doch für ihn steht fest, dass sie ihrer Leidenschaft nicht nachgeben dürfen. Dadurch würde er das Vertrauensverhältnis zu seiner Halbschwester Tess gefährden, die die Barron-Familie erst kürzlich aufgenommen hat. Sie braucht nun seine ganze Unterstützung. Doch Tess ist nicht das einzige Hindernis zwischen den beiden. Auch Kelly hat ihre Gründe, auf Distanz zu gehen: Sie verheimlicht Nash etwas, das er ihr nie verzeihen würde ...
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Ich will nur dein Glück von Carly Phillips ... mehr
Kapitel 1
Nash Barron mochte dem Leben und seit Kurzem auch der Liebe gegenüber reichlich zynisch eingestellt sein, aber sogar er fand Hochzeiten normalerweise romantisch. Das heutige Ereignis bildete jedoch eine Ausnahme. In der Einladung hatte es geheißen, es würden ›enge Freunde und Familienmitglieder‹ zugegen sein, und Nash fragte sich, ob ihm als Einzigem die Ironie daran aufgefallen war.
Der Bräutigam und seine beiden Brüder, darunter auch Nash, hatten zehn Jahre lang keinerlei Kontakt miteinander gehabt, und das heutige Blumenmädchen, ihre kürzlich aufgetauchte Halbschwester Tess, kannten sie erst seit sechs Wochen. Der Vater der Braut saß im Gefängnis, weshalb selbige von ihrem exzentrischen Freund, einem schwulen Innenausstatter, zum Altar geführt worden war, während sich ihre Mutter schon den ganzen Nachmittag mit Wein betrank, um den Verlust ihrer geliebten Villa zu betrauern, in der die Hochzeit stattfand. Das pompöse Herrenaus, das auf einem Hügel ihrer Heimatstadt Serendipity unweit von New York stand, befand sich nämlich mittlerweile im Besitz des Bräutigams Ethan Barron.
Wenn Nash so darüber nachdachte, war die Ironie der Situation wahrscheinlich das Einzige, das er am heutigen Tag bislang so richtig genossen hatte.
Das und die Gegenwart von Kelly Moss, jener Frau, die in einiger Entfernung von ihm auf dem sattgrünen Rasen im Garten der Villa stand und an ihrem Champagner nippte.
Tess war Nashs Halbschwester, hervorgegangen aus einer Affäre seines Vaters mit Tess' Mutter, und ihre Halbschwester Kelly war eine Frau mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal, die ihn abwechselnd frustrierte, faszinierte und antörnte. Ihr Verhältnis zueinander war kompliziert und zugleich so einfach, dass man es in einem Satz zusammenfassen konnte: Kelly Moss war eine schöne Frau, mit der er in keinster Weise blutsverwandt war.
Was sein Interesse an ihr allerdings auch nicht akzeptabler machte. Es war wohl das Klügste, wenn er die Bekanntschaft mit ihr nicht weiter vertiefte. Nash fühlte sich in der Gegenwart der Moss-Schwestern ohnehin stets irgendwie unbehaglich, und er konnte sich nicht erklären, warum es ihm nicht gelang, eine Beziehung zu seiner vierzehnjährigen Halbschwester aufzubauen, die wild entschlossen schien, ihm weiterhin die kalte Schulter zu zeigen.
Auch von Kelly hatte Nash nicht unbedingt einen guten ersten Eindruck bekommen, hatte sie doch ihre Halbschwester im Sommer kurzerhand bei Ethan abgesetzt, der für Tess damals noch ein völlig fremder Mensch gewesen war. Sie hatte von Ethan verlangt, den aufsässigen Teenager in seine Obhut zu nehmen. Dieser hatte die widerspenstige Kleine innerhalb kürzester Zeit gezähmt, wie Nash zugeben musste, obwohl er Ethan nur ungern Anerkennung zollte. Trotzdem war Kellys Verhalten in seinen Augen inakzeptabel. Und dann war sie plötzlich wieder aufgetaucht, nur um kurz darauf sogar nach Serendipity zu ziehen. Er war ihr - verständlicherweise, wie er fand - mit Argwohn begegnet, hatte zugleich aber auch feststellen müssen, dass er sich erschreckend heftig zu ihr hingezogen fühlte. Und daran hatte sich seit ihrer ersten Begegnung nichts geändert.
Nash wandte sich ab, und sein Blick fiel auf seinen Bruder Ethan, dessen Leben nun eindeutig eine Wendung zum Guten genommen zu haben schien. Es war ein perfekter Tag für eine Hochzeit. Obwohl es schon Anfang Oktober war, zeigte das Thermometer zwanzig Grad Celsius an, weshalb die Feierlichkeiten im Freien stattfinden konnten. Ethan hatte den Arm um seine Frau Faith gelegt und unterhielt sich gerade mit Dare, dem Jüngsten von ihnen, der Ethan die Fehler der Vergangenheit inzwischen offenbar verziehen hatte.
Doch Nash brachte es nicht über sich, Ethan gegenüber eine derartige Nachsicht walten zu lassen, nachdem er ihn und Dare vor zehn Jahren einfach im Stich gelassen hatte.
Er warf einen Blick auf die Uhr und kam zu dem Schluss, dass er nun lange genug hier gewesen war. Das Brautpaar war vermählt, die Torte angeschnitten, der Brautstrauß geworfen. Er trank seinen Champagner aus, stellte das leere Glas auf dem Tablett einer vorbei gehenden Kellnerin ab und machte sich auf den Weg zum Haus.
»Willst du etwa schon gehen?«, fragte eine vertraute weibliche Stimme.
»Naja, im Grunde ist es vorbei.« Er drehte sich zu der Frau um, der eben noch seine Gedanken gegolten hatten.
Kelly trat zu ihm, so nah, dass ihm ihr warmer, verlockender Zitronenduft in die Nase stieg. Sie hatte sich das Haar locker am Hinterkopf hochgesteckt, und ein paar Strähnen fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern.
Kelly war eine Frau, die Grenzen überschritt, und Nash war ein Mann, der es nicht gern hatte, wenn man ihm zu sehr auf die Pelle rückte. Und trotzdem verspürte er aus unerklärlichen Gründen nicht das Bedürfnis, sich in Sicherheit zu bringen.
»Die Band spielt aber noch«, bemerkte sie.
»Es wird niemandem auffallen, dass ich gegangen bin.«
Und es würde sich auch niemand daran stören. Im Gegenteil, einige Leute würden vermutlich sogar erleichtert aufatmen.
»Mir schon.« Sie sah ihn aus einfühlsamen braunen Augen an. Intelligente Augen, die hinter die Maske der Gleichgültigkeit zu blicken schienen, die Nash vor der Welt zur Schau trug. Eine Maske, die er sich schon als Teenager zugelegt hatte, als sein Leben nach dem Tod seiner Eltern völlig auf den Kopf gestellt worden war und Ethan sowohl ihn als auch Dare verlassen hatte.
»Warum sollte es dir etwas ausmachen?«, fragte er, obwohl er wusste, dass er lieber einfach hätte gehen sollen.
Sie zuckte aufreizend die Schulter, sodass seine Aufmerksamkeit auf ihre makellose Haut gelenkt wurde.
»Weil du hier genauso fehl am Platz wirkst wie ich ... Mit dem Unterschied, dass du im Gegensatz zu mir kein Fremder in dieser Stadt und in dieser Familie bist.«
Fehl am Platz. Diese Formulierung traf den Nagel auf den Kopf. Wie kam es, dass sie das sogleich erkannt hatte, wo es doch sonst nie jemand zu bemerken schien?
»Ich muss jetzt wirklich los«, sagte er, weil er sich nun noch unwohler in seiner Haut fühlte.
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. »Du musst etwas ganz anderes, nämlich dich entspannen«, erwiderte sie und zog grinsend an seiner Krawatte. »Komm, lass uns tanzen.«
Er spähte hinüber zur Tanzfläche, um die sich die übrige Familie versammelt hatte. »Ich habe eigentlich keine Lust, mich hier vor allen zum Affen zu machen.«
»Das musst du auch nicht.« Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn um die Ecke. Unter einer alten Trauerweide angelangt, blieb sie stehen.
Hier konnte man die romantische Musik noch gut hören, aber die Tanzfläche nicht mehr sehen - was bedeutete, dass auch sie nicht gesehen werden konnten. Kelly umklammerte seine Hand etwas fester. Er sollte jetzt wohl das Kommando übernehmen, sonst würde sie ihn führen statt umgekehrt. Also schlang er ihr einen Arm um die Taille, ergriff ihre Hand und begann, sich langsam im Takt zur Musik zu wiegen, eingehüllt in ihren Duft und die Körperwärme, die von ihr ausging.
Eine leichte Brise zauste die langen, herabhängenden Äste des Baumes, worauf Kelly schauderte und sich enger an ihn schmiegte.
Er ließ die Hand nach oben gleiten, auf ihren bloßen Rücken. »Kalt?«, murmelte er mit rauer Stimme.
»Jetzt nicht mehr.«
Er sah ihr in die Augen, in denen sich sein eigenes Begehren widerspiegelte, dann streifte sein Blick ihre vollen Lippen. In seinem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken, doch nichts hätte ihn davon abhalten können, seinen Mund auf ihre willigen Lippen zu drücken. Bei der leichten Berührung war ihm, als würde ein Stromstoß durch seinen Körper gehen. Ihr Mund war weich und schmeckte nach Champagner, eine berauschende Kombination. Nash hätte nicht sagen können, wie lange der Kuss dauerte, er wusste nur, dass er sich bei Weitem nicht so unschuldig anfühlte, wie er für einen Außenstehenden wirken musste.
Er spürte, wie sein Körper aus dem Dornröschenschlaf erwachte, in den er seit der Scheidung vor zwei Jahren gefallen war. Dass es ausgerechnet Kelly Moss war, die ihn wach küsste, überraschte ihn und brachte ihn zugleich aus der Fassung. Er wollte mehr spüren. Er ließ die Finger über die weiche Haut ihres Rückens nach oben wandern und schmiegte die Hand an ihren Hinterkopf. Als sie einen süßen Seufzer hervorstieß und den Mund öffnete, sodass er sie richtig kosten konnte, ging eine Welle der Hitze und des Verlangens durch seinen Körper.
»Igitt! Da kommt mir ja die Hochzeitstorte hoch!«, rief Tess hinter ihnen angeekelt.
Nash fuhr zurück. »Was zum Teufel machst du hier?«, bellte er, verärgert über die unwillkommene Unterbrechung.
»Ich suche Kelly. Und was macht ihr da?« Tess stemmte die Hände in die Hüften und musterte die beiden fragend.
Ist das nicht offensichtlich? Nash schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Stöhnen. Das Mädchen war wirklich die größte Nervensäge, die ihm je über den Weg gelaufen war.
»Jetzt hast du mich ja gefunden«, sagte Kelly, die bedeutend ruhiger wirkte als er. Als hätte sie die Szene kein bisschen aus der Fassung gebracht. Aber vielleicht war sie ja auch bloß eine verdammt gute Schauspielerin. Jedenfalls schien sie die ganze Sache vollkommen gelassen zu nehmen, während er Tess angeblafft hatte, weil ihn immer noch die von Kelly geweckte Begierde quälte.
»Ethan und Faith wollen mit dir reden«, brummte Tess missmutig.
Offenbar gefiel ihr nicht, was zwischen ihm und ihrer großen Schwester vorgefallen war. Nash dagegen hatte es ausnehmend gut gefallen.
Zu gut eigentlich.
Doch Tess' bitterbösem Blick nach zu urteilen bedeuteten der Kuss und die Tatsache, dass Nash sie dann auch noch angefahren hatte, einen gewaltigen Rückschritt in seinen Bemühungen, eine Beziehung zu der Kleinen aufzubauen. Mist. Und er hatte gedacht, schlimmer könnte es nicht werden. So konnte man sich täuschen.
»Sag ihnen doch bitte, dass ich gleich komme, ja?«, bat Kelly ihre Halbschwester geduldig. Das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn ich keine Lust dazu habe?«
Kelly hob eine Augenbraue. »Soweit ich weiß, bin ich diejenige, die auf dich aufpasst, solange Ethan auf Hochzeitsreise ist, und wenn du nicht die ganze Zeit über auf deinem Zimmer hocken willst, dann solltest du jetzt lieber tun, was ich dir sage.«
Tess verdrehte die Augen und stampfte mit dem Fuß auf - was nicht sonderlich beeindruckend wirkte, da sie zur Feier des Tages ein violettes Kleid und Pumps mit niederen Absätzen trug -, dann stürmte sie von dannen.
»Gut gemacht«, sagte Nash bewundernd, weil Kelly es geschafft hatte, Tess zum Gehorchen zu bewegen, ohne die Stimme zu erheben oder sie anzufahren.
»Ja, ich habe wohl etwas souveräner reagiert als du.« Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Aber das ist nicht mein Verdienst. Du hast ja erlebt, wie sie war, bevor Ethan sie unter seine Fittiche genommen hat. Dieser Wandel geht auf seinen Einfluss zurück, nicht auf mich.« Es schien sie zu bekümmern, dass sie bei Tess nicht so erfolgreich gewesen war.
Dieses Gefühl kam ihm bekannt vor. »Ach, hör mir bloß mit dem heiligen Ethan auf.«
Sie hob eine Augenbraue. »Warum gibt es zwischen Ethan und dir eigentlich ständig Reibereien?«, wollte sie wissen.
Doch Nash hatte nicht die geringste Lust, sich mit ihr über seinen Bruder oder über seine Vergangenheit zu unterhalten. Er stellte ihr eine Gegenfrage, um vom Thema abzulenken. »Erkundigst du dich jetzt nach meinem Leben, um nicht über den Kuss reden zu müssen?«
Ein Lächeln umspielte überraschend ihre Lippen. »Warum sollte ich nicht darüber reden wollen, wo er doch so schön war?«, fragte sie und zog erneut an seiner Krawatte.
Ihre feuchten Lippen schimmerten, verlockend wie ihr neu erwachtes Interesse. Nash vergrub die Hände in den Hosentaschen. Auf diese Weise war es leichter, sie bei sich zu behalten.
»Kelly! Wir warten!«, rief Tess ungeduldig und unterbrach sie damit erneut, was ihn daran erinnerte, weshalb er sich von Kelly ab sofort fernhalten musste.
»Ich komme!«, rief Kelly über die Schulter, ehe sie Nash ein letztes Mal in die Augen blickte. »Wie es aussieht, bekommst du einen Aufschub.« Ihre Augen blitzten schelmisch auf.
Das Funkeln wirkte ansteckend. Sie hatte Mumm, und sie wirkte selbstbewusst und unabhängig. Seine Ex- Frau war das genaue Gegenteil gewesen: süß und schutzbedürftig.
Kelly konnte offensichtlich ganz gut auf sich selbst achtgeben.
Aber Nash hatte nicht vor, sie gleich die Oberhand gewinnen zu lassen. »Ich weiß nicht, was du meinst«, flunkerte er.
Sie tätschelte ihm die Wange. »Mach dir ruhig weiterhin etwas vor.«
Genau das hatte er vor. So lange, bis er sich selbst davon überzeugt hatte, dass diese Frau nur Schwierigkeiten machen und ein Hindernis auf dem Weg zu einer Beziehung mit Tess darstellen würde.
Kelly Moss stand am Fuße der geschwungenen Treppe im Haus von Ethan Barron, das man eigentlich schon als Villa bezeichnen musste. »Nun komm schon, Tess!«, rief sie ins obere Stockwerk. »Wenn du vor der Schule noch etwas essen willst, musst du jetzt mal einen Zahn zulegen!« Es war das dritte Mal binnen fünf Minuten, dass sie Tess zum Frühstück rief.
»Ich komm ja schon!«, ertönte von oben die mürrische Antwort.
Ethan und Faith waren gestern Vormittag zu ihrer Hochzeitsreise aufgebrochen. Sie verbrachten eine Woche auf einer herrlichen einsamen Karibikinsel, wo sie eine eigene Villa mit Butler hatten. Die beiden sind echt zu beneiden, dachte Kelly. Dabei konnte sie sich über ihr eigenes Leben im Augenblick auch nicht beklagen, schließlich durfte sie in diesem riesigen Herrenhaus mit eigener Haushälterin wohnen, solange die beiden fort waren.
Tess knallte ihre Zimmertür hinter sich zu, und das Krachen riss Kelly aus ihren Gedanken.
Als ihre Schwester die Treppe heruntergestampft kam, fühlte sich Kelly unwillkürlich an die alten Zeiten erinnert, als sie Tess allein aufgezogen hatte, was ihr mehr schlecht als recht gelungen war. Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Was hast du denn?« Kelly hoffte, dass es ein leicht lösbares Problem war und keines, auf Grund dessen Tess wieder anfangen würde, sich wie eine Wilde aufzuführen.
»Na, was wohl?« Tess zerrte an ihrem marineblauen Faltenrock, der genau wie ihre weiße Bluse und die Kniestrümpfe zu der Schuluniform gehörte, die sie an ihrer neuen Privatschule tragen musste. »Ich hasse diesen Aufzug. «
Kelly verkniff sich wohlweislich, dass dieses Outfit wesentlich kleidsamer war als die schwarzen Grufti- Klamotten, die Tess früher getragen hatte, einschließlich der alten Militärjacke und der Springerstiefel. »Du gewöhnst dich schon noch daran.«
Tess marschierte an Kelly vorbei in die Küche. »Es ist schon ein Monat rum, und ich hasse es immer noch.«
Die Kleider oder die Schule?, fragte sich Kelly, während sie ihrer Schwester in die Küche folgte. »Liegt es daran, dass du keine Röcke magst? Obwohl, auf der Hochzeit hast du freiwillig ein Kleid getragen.« Und sie hatte darin wie eine richtige kleine Lady ausgesehen.
»Es liegt daran, dass ich es tragen muss. Ich hasse es, wenn mir jemand sagt, was ich zu tun habe.«
»Das ist ja ganz was Neues«, murmelte Kelly, die schon seit sie denken konnte für die Erziehung ihrer Schwester zuständig war.
»Das hab ich gehört.«
Kelly grinste. Tess war wirklich wie ausgewechselt, seit sie bei Ethan lebte. Kelly schauderte, wenn sie sich ausmalte, wie es wohl gekommen wäre, wenn sie diese drastische Maßnahme nicht ergriffen hätte.
Leah Moss, ihre Mutter, war eine schwache Frau, von Männern abhängig und nicht in der Lage, sich um Tess zu kümmern. Früher war sie anders gewesen, als Kelly noch klein gewesen war. Aber vielleicht bildete sich Kelly das bloß ein. Möglicherweise lag es auch daran, dass damals noch ihr Vater gelebt und einen positiven Einfluss auf ihre Mutter ausgeübt hatte.
Doch das würde sie wohl nie mehr herausfinden, denn ihr Vater war an einem Herzinfarkt gestorben, als Kelly zwölf gewesen war. Leah hatte sich sofort auf die Suche nach einem Ersatz gemacht, und hatte sich auf eine Affäre mit Mark Barron, ihrem Chef, eingelassen. Obwohl es vom moralischen Standpunkt aus falsch gewesen war, hatte dieser Umstand dafür gesorgt, dass die darauffolgenden Jahre für Kelly einigermaßen ruhig verlaufen waren, selbst nach der Geburt ihrer Halbschwester Tess. Doch nach dem Tod von Mark Barron vor zehn Jahren war es mit Leah endgültig bergab gegangen, und sowohl Kelly als auch Tess hatten darunter gelitten.
Leah hatte sofort ihre Siebensachen gepackt und Tomlin's Cove, der Nachbarstadt von Serendipity, den Rücken gekehrt, um mit den Mädchen in ein heruntergekommenes Viertel von New York zu ziehen. Offiziell hatte sie ein neues Leben beginnen wollen, doch in Wahrheit hatte sie ihren neuen Wohnort nur deshalb ausgewählt, weil sie hoffte, dort leichter einen neuen Liebhaber zu finden, der sich ihrer annahm. Leider war die Suche nach dem neuen Märchenprinzen erfolglos verlaufen. Leah war zusehends dem Alkohol verfallen und hatte einen abstoßenden Kerl nach dem anderen angeschleppt.
Tess war damals erst vier gewesen, also hatte Kelly mit ihren sechzehn Jahren die Rolle der Erziehungsberechtigten übernommen. Sie hatte es geschafft, die Highschool abzuschließen, gefolgt von einer Ausbildung, die sie sich mit diversen Jobs finanziert hatte. Und dazwischen hatte sie immer wieder für Tess gesorgt.
Glücklicherweise hatten sie damals in einer Privatpension gewohnt, deren Besitzerin, eine großherzige ältere Dame, Kelly unterstützt hatte.
Doch dann war Leah im Vorjahr mit irgendeinem Typen durchgebrannt und hatte ihre jüngste Tochter einfach im Stich gelassen, und danach war Tess schwer traumatisiert gewesen. Gekränkt und voller Zorn hatte sie sich in einen aggressiven, rebellischen Teenager verwandelt und war zu allem Überfluss auch noch an die falschen Leuten geraten. Sie hatte getrunken und geraucht und war schließlich sogar verhaftet worden. In ihrer Verzweiflung hatte sich Kelly an den einzigen Menschen gewandt, an den sie sich aus der Zeit in Tomlin's Cove noch erinnern konnte - Richard Kane, einen Anwalt in Serendipity, der ihr dann von Ethan Barron erzählt hatte.
Es hatte Kelly schier das Herz gebrochen, ihre kleine Schwester vor der Tür dieses wildfremden Menschen abzusetzen und ihm zu sagen, er solle seiner Rolle als großer Bruder gerecht werden. Doch Kelly hatte gespürt, dass das ihre letzte Hoffnung war. Zum Glück - wer weiß, was sonst aus Tess geworden wäre. Ein paar Monate später war Kelly nun ebenfalls nach Serendipity gezogen, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Endlich hat sich unser Leben zum Guten gewendet, dachte sie, während sie Tess erneut zur Eile antrieb.
Sie machten sich rasch über das Frühstück her, dann lieferte Kelly ihre Schwester in der Schule ab und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Ihren Job verdankte sie - wie so vieles in letzter Zeit - Richard Kane; er hatte ihr nämlich eine Stelle als Anwaltsassistentin angeboten.
Wie jeden Tag legte sie unterwegs einen Zwischen- stopp im Cuppa Café ein. Kelly hatte ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet und auch früh gelernt, sparsam zu sein, aber ihr gesamter Tag stand und fiel mit dem morgendlichen Kaffee. Stark und aromatisch musste er sein.
Als Kelly das Café betrat und ihr der köstliche Kaffeeduft in die Nase stieg, fühlte sie sich gleich ein gutes Stück wacher, fast als hätte sie das Koffein gleichsam durch Osmose in sich aufgenommen.
Sie goss sich gerade Milch in ihren großen Becher, da gesellte sich eine vertraute Gestalt mit langer blonder Lockenmähne zu ihr an den Tresen.
»Na, auch wieder da? Nach dir könnte man ja glatt die Uhr stellen«, scherzte Annie Kane.
Kelly grinste sie an. »Dasselbe könnte ich von dir behaupten. «
»Da hast du recht.« Annie lachte und prostete Kelly mit dem Becher zu.
Das Leben in einer Kleinstadt hatte Vor- und Nachteile, und dass einem ständig Bekannte über den Weg liefen, gehörte für Kelly eher in die erste Kategorie. Kelly und Annie kamen jeden Morgen zur selben Zeit ins Cuppa Café, und oft blieben sie auf einen Plausch. Annie entwickelte sich allmählich zu einer richtigen Freundin für Kelly - ihrer bislang einzigen in Serendipity, von Ethans Frau Faith Harrington einmal abgesehen.
Annie war Richard Kanes Tochter, kam allerdings eher nach ihrer Mutter als nach ihrem Vater, jedenfalls nach den Fotos auf Richards Schreibtisch zu urteilen. Sie war Kelly auf Anhieb sympathisch gewesen, als sie sich vor ein paar Wochen in Richards Kanzlei kennengelernt hatten.
Kelly nahm einen großen Schluck von ihrem Kaffee.
»Und, warum bist du jeden Tag so früh auf den Beinen? «
»Weil es mich jung hält«, antwortete Annie.
Kelly verdrehte die Augen. »Du bist jung.« Sie ließ den Blick über Annie gleiten, angefangen beim hellen Baumwollpullover über die Jeans bis hinunter zu den Slip-on- Sneakers. »Ich möchte wetten, dass wir ziemlich genau gleich alt sind.«
»In einem Monat werde ich siebenundzwanzig«, sagte Annie.
»Und ich im Dezember.«
Als Annie den Becher an die Lippen hob und einen Schluck nahm, fiel Kelly auf, dass Annies Hand zitterte.
Kelly hob eine Augenbraue, äußerte sich aber nicht dazu. Stattdessen beschloss sie, etwas für ihr soziales Leben in Serendipity zu tun. »Wie wär's, wenn wir uns mal zum Mittagessen verabreden, statt uns immer nur hier zwischen Tür und Angel zu unterhalten?« Kelly sehnte sich nach einer richtigen Freundin, nach jemandem, dem sie vertrauen und dem sie alles erzählen konnte. Sie liebte Tess über alles, aber eine Vierzehnjährige war nun einmal kein Ersatz für eine erwachsene Freundin.
»Gern!«, sagte Annie sogleich. »Ich gebe dir meine Nummer.« Als sie in ihre Handtasche griff, begann wie auf ein Stichwort hin ihr Handy zu klingeln. Sie warf einen Blick auf das Display, entschuldigte sich bei Kelly und nahm das Gespräch an. »Hallo?«
Kelly wandte den Blick ab, damit sich Annie nicht belauscht fühlte, kam aber natürlich nicht umhin, die Unterhaltung mitanzuhören.
»Es geht mir besser, danke ... Ja ... Nein, du musst nicht vorbeikommen. Ich habe den Installateur angerufen, und er meinte, er könnte gegen Abend bei mir vorbeischauen. « Annie schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort. »Ich kann es mir durchaus leisten. Es ist nicht nötig, dass du kommst. Für Klempnerarbeiten hattest du noch nie ein gutes Händchen, schon während unserer Ehe nicht«, sagte sie amüsiert.
Sie schwieg erneut, dann sagte sie: »Also gut, wenn du darauf bestehst ... Dann bis später.« Es klang eher verärgert als erfreut.
Sie legte auf und steckte das Handy wieder in die Tasche. »Mein Ex-Mann«, erklärte sie Kelly. »Er glaubt, nur weil ich MS habe, muss er mich ständig betüddeln.«
Kelly war überrascht von diesem unerwarteten Bekenntnis. Es tat ihr aufrichtig leid, dass Annie mit einer solchen Diagnose leben musste, noch dazu in diesem Alter. Richard redete in der Kanzlei über alles und jeden, aber die Krankheit seiner Tochter hatte er noch mit keinem Wort erwähnt. Doch Kelly konnte es ihm nicht verdenken, dass er nicht über derart persönliche Dinge sprach. Im Grunde überraschte es sie, dass Annie das Thema angeschnitten hatte.
»Dir ist bestimmt aufgefallen, dass meine Hände zittern, und da es ganz danach aussieht, als würden wir Freundinnen werden, kannst du auch gleich die Wahrheit erfahren«, sagte Annie, als hätte sie Kellys Gedanken gelesen.
Sie wirkte ziemlich gelassen. Offenbar hatte sie sich mit der Situation abgefunden.
Kelly sah ihr in die Augen. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Hey, falls ich also eines Tages spurlos verschwinde, dann weißt du wenigstens warum.« Sie zuckte die Achseln, als wäre das alles keine große Sache.
Kelly musste das, was ihr ihre neue Freundin da gerade anvertraut hatte, erst einmal verarbeiten. »Wenn du je irgendetwas brauchst, dann lass es mich wissen.«
Annie lächelte. »Danke, aber ich glaube, mein Ex wird ohnehin immer zur Stelle sein«, sagte sie mit einem etwas gezwungenen Lächeln.
»Ist doch nur von Vorteil, wenn man im Bedarfsfall immer jemanden hat, der einem auf Abruf zur Verfügung steht, oder?«, meinte Kelly.
»Nicht, wenn man eigentlich unabhängig sein will«, brummte Annie. Es klang frustriert, was Kelly durchaus nachvollziehen konnte.
Auch sie brauchte und wollte keinen Mann, der das Bedürfnis verspürte, sich um sie zu kümmern. Im Gegensatz zu ihrer Mutter wollte sie auf eigenen Beinen stehen, ganz egal, wie viele Hindernisse sie überwinden musste - und da kam in nächster Zeit wohl einiges auf sie zu. So stand ihr zum Beispiel noch eine Auseinandersetzung mit einem Mann bevor, den sie einst geliebt hatte. Die Affäre war längst vorbei, doch mit den Folgen würde sie sich wohl noch eine ganze Weile herumschlagen müssen. Kelly würde mit dem daraus resultierenden Chaos schon irgendwie fertigwerden, aber sie musste zusehen, dass Tess davon verschont blieb. Sie wollte nicht, dass die Kleine Klatsch und Tratsch und allerlei versteckten Andeutungen ausgesetzt war, wo sie sich doch gerade so gut entwickelte und nicht mehr ständig Dummheiten machte. Blieb nur zu hoffen, dass die Entfernung zwischen Manhattan und Serendipity helfen würde, Tess aus allem herauszuhalten, sobald die Schwierigkeiten losgingen.
»Männer verstehen uns Frauen einfach nicht«, stellte Annie fest und lieferte Kelly damit eine willkommene Ablenkung von ihren Sorgen.
Kelly schüttelte den Kopf und seufzte. »Nein, das tun sie nicht.«
»Du sprichst wohl auch aus Erfahrung, hm?«, erkundigte sich Annie.
»Ja, leider.« Kelly verzog das Gesicht. Die Erinnerungen an das vergangene Jahr, als man ihr Vertrauen missbraucht und ihr das Herz gebrochen hatte, waren noch allzu frisch.
»Das tut mir leid.« Annie atmete tief durch. »Ich weiß ja nicht, wie es bei dir ist, aber mein Ex meint es nur gut. Er nimmt lediglich das Wort ›Verantwortung‹ viel zu ernst.«
Kelly schluckte schwer. »Und mein Ex-Freund hat das Wort ›Zweierbeziehung‹ viel zu wenig ernst genommen.«
Übersetzung: Ursula C. Sturm
Vollständige deutsche Erstausgabe 11/2012 Copyright © 2012 by Karen Drogin Copyright © 2012 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Printed in Germany 2012
Kapitel 1
Nash Barron mochte dem Leben und seit Kurzem auch der Liebe gegenüber reichlich zynisch eingestellt sein, aber sogar er fand Hochzeiten normalerweise romantisch. Das heutige Ereignis bildete jedoch eine Ausnahme. In der Einladung hatte es geheißen, es würden ›enge Freunde und Familienmitglieder‹ zugegen sein, und Nash fragte sich, ob ihm als Einzigem die Ironie daran aufgefallen war.
Der Bräutigam und seine beiden Brüder, darunter auch Nash, hatten zehn Jahre lang keinerlei Kontakt miteinander gehabt, und das heutige Blumenmädchen, ihre kürzlich aufgetauchte Halbschwester Tess, kannten sie erst seit sechs Wochen. Der Vater der Braut saß im Gefängnis, weshalb selbige von ihrem exzentrischen Freund, einem schwulen Innenausstatter, zum Altar geführt worden war, während sich ihre Mutter schon den ganzen Nachmittag mit Wein betrank, um den Verlust ihrer geliebten Villa zu betrauern, in der die Hochzeit stattfand. Das pompöse Herrenaus, das auf einem Hügel ihrer Heimatstadt Serendipity unweit von New York stand, befand sich nämlich mittlerweile im Besitz des Bräutigams Ethan Barron.
Wenn Nash so darüber nachdachte, war die Ironie der Situation wahrscheinlich das Einzige, das er am heutigen Tag bislang so richtig genossen hatte.
Das und die Gegenwart von Kelly Moss, jener Frau, die in einiger Entfernung von ihm auf dem sattgrünen Rasen im Garten der Villa stand und an ihrem Champagner nippte.
Tess war Nashs Halbschwester, hervorgegangen aus einer Affäre seines Vaters mit Tess' Mutter, und ihre Halbschwester Kelly war eine Frau mit einer gehörigen Portion Sex-Appeal, die ihn abwechselnd frustrierte, faszinierte und antörnte. Ihr Verhältnis zueinander war kompliziert und zugleich so einfach, dass man es in einem Satz zusammenfassen konnte: Kelly Moss war eine schöne Frau, mit der er in keinster Weise blutsverwandt war.
Was sein Interesse an ihr allerdings auch nicht akzeptabler machte. Es war wohl das Klügste, wenn er die Bekanntschaft mit ihr nicht weiter vertiefte. Nash fühlte sich in der Gegenwart der Moss-Schwestern ohnehin stets irgendwie unbehaglich, und er konnte sich nicht erklären, warum es ihm nicht gelang, eine Beziehung zu seiner vierzehnjährigen Halbschwester aufzubauen, die wild entschlossen schien, ihm weiterhin die kalte Schulter zu zeigen.
Auch von Kelly hatte Nash nicht unbedingt einen guten ersten Eindruck bekommen, hatte sie doch ihre Halbschwester im Sommer kurzerhand bei Ethan abgesetzt, der für Tess damals noch ein völlig fremder Mensch gewesen war. Sie hatte von Ethan verlangt, den aufsässigen Teenager in seine Obhut zu nehmen. Dieser hatte die widerspenstige Kleine innerhalb kürzester Zeit gezähmt, wie Nash zugeben musste, obwohl er Ethan nur ungern Anerkennung zollte. Trotzdem war Kellys Verhalten in seinen Augen inakzeptabel. Und dann war sie plötzlich wieder aufgetaucht, nur um kurz darauf sogar nach Serendipity zu ziehen. Er war ihr - verständlicherweise, wie er fand - mit Argwohn begegnet, hatte zugleich aber auch feststellen müssen, dass er sich erschreckend heftig zu ihr hingezogen fühlte. Und daran hatte sich seit ihrer ersten Begegnung nichts geändert.
Nash wandte sich ab, und sein Blick fiel auf seinen Bruder Ethan, dessen Leben nun eindeutig eine Wendung zum Guten genommen zu haben schien. Es war ein perfekter Tag für eine Hochzeit. Obwohl es schon Anfang Oktober war, zeigte das Thermometer zwanzig Grad Celsius an, weshalb die Feierlichkeiten im Freien stattfinden konnten. Ethan hatte den Arm um seine Frau Faith gelegt und unterhielt sich gerade mit Dare, dem Jüngsten von ihnen, der Ethan die Fehler der Vergangenheit inzwischen offenbar verziehen hatte.
Doch Nash brachte es nicht über sich, Ethan gegenüber eine derartige Nachsicht walten zu lassen, nachdem er ihn und Dare vor zehn Jahren einfach im Stich gelassen hatte.
Er warf einen Blick auf die Uhr und kam zu dem Schluss, dass er nun lange genug hier gewesen war. Das Brautpaar war vermählt, die Torte angeschnitten, der Brautstrauß geworfen. Er trank seinen Champagner aus, stellte das leere Glas auf dem Tablett einer vorbei gehenden Kellnerin ab und machte sich auf den Weg zum Haus.
»Willst du etwa schon gehen?«, fragte eine vertraute weibliche Stimme.
»Naja, im Grunde ist es vorbei.« Er drehte sich zu der Frau um, der eben noch seine Gedanken gegolten hatten.
Kelly trat zu ihm, so nah, dass ihm ihr warmer, verlockender Zitronenduft in die Nase stieg. Sie hatte sich das Haar locker am Hinterkopf hochgesteckt, und ein paar Strähnen fielen ihr in sanften Wellen über die Schultern.
Kelly war eine Frau, die Grenzen überschritt, und Nash war ein Mann, der es nicht gern hatte, wenn man ihm zu sehr auf die Pelle rückte. Und trotzdem verspürte er aus unerklärlichen Gründen nicht das Bedürfnis, sich in Sicherheit zu bringen.
»Die Band spielt aber noch«, bemerkte sie.
»Es wird niemandem auffallen, dass ich gegangen bin.«
Und es würde sich auch niemand daran stören. Im Gegenteil, einige Leute würden vermutlich sogar erleichtert aufatmen.
»Mir schon.« Sie sah ihn aus einfühlsamen braunen Augen an. Intelligente Augen, die hinter die Maske der Gleichgültigkeit zu blicken schienen, die Nash vor der Welt zur Schau trug. Eine Maske, die er sich schon als Teenager zugelegt hatte, als sein Leben nach dem Tod seiner Eltern völlig auf den Kopf gestellt worden war und Ethan sowohl ihn als auch Dare verlassen hatte.
»Warum sollte es dir etwas ausmachen?«, fragte er, obwohl er wusste, dass er lieber einfach hätte gehen sollen.
Sie zuckte aufreizend die Schulter, sodass seine Aufmerksamkeit auf ihre makellose Haut gelenkt wurde.
»Weil du hier genauso fehl am Platz wirkst wie ich ... Mit dem Unterschied, dass du im Gegensatz zu mir kein Fremder in dieser Stadt und in dieser Familie bist.«
Fehl am Platz. Diese Formulierung traf den Nagel auf den Kopf. Wie kam es, dass sie das sogleich erkannt hatte, wo es doch sonst nie jemand zu bemerken schien?
»Ich muss jetzt wirklich los«, sagte er, weil er sich nun noch unwohler in seiner Haut fühlte.
Sie legte ihm eine Hand auf die Schulter, um ihn zurückzuhalten. »Du musst etwas ganz anderes, nämlich dich entspannen«, erwiderte sie und zog grinsend an seiner Krawatte. »Komm, lass uns tanzen.«
Er spähte hinüber zur Tanzfläche, um die sich die übrige Familie versammelt hatte. »Ich habe eigentlich keine Lust, mich hier vor allen zum Affen zu machen.«
»Das musst du auch nicht.« Sie nahm ihn an der Hand und führte ihn um die Ecke. Unter einer alten Trauerweide angelangt, blieb sie stehen.
Hier konnte man die romantische Musik noch gut hören, aber die Tanzfläche nicht mehr sehen - was bedeutete, dass auch sie nicht gesehen werden konnten. Kelly umklammerte seine Hand etwas fester. Er sollte jetzt wohl das Kommando übernehmen, sonst würde sie ihn führen statt umgekehrt. Also schlang er ihr einen Arm um die Taille, ergriff ihre Hand und begann, sich langsam im Takt zur Musik zu wiegen, eingehüllt in ihren Duft und die Körperwärme, die von ihr ausging.
Eine leichte Brise zauste die langen, herabhängenden Äste des Baumes, worauf Kelly schauderte und sich enger an ihn schmiegte.
Er ließ die Hand nach oben gleiten, auf ihren bloßen Rücken. »Kalt?«, murmelte er mit rauer Stimme.
»Jetzt nicht mehr.«
Er sah ihr in die Augen, in denen sich sein eigenes Begehren widerspiegelte, dann streifte sein Blick ihre vollen Lippen. In seinem Kopf schrillten sämtliche Alarmglocken, doch nichts hätte ihn davon abhalten können, seinen Mund auf ihre willigen Lippen zu drücken. Bei der leichten Berührung war ihm, als würde ein Stromstoß durch seinen Körper gehen. Ihr Mund war weich und schmeckte nach Champagner, eine berauschende Kombination. Nash hätte nicht sagen können, wie lange der Kuss dauerte, er wusste nur, dass er sich bei Weitem nicht so unschuldig anfühlte, wie er für einen Außenstehenden wirken musste.
Er spürte, wie sein Körper aus dem Dornröschenschlaf erwachte, in den er seit der Scheidung vor zwei Jahren gefallen war. Dass es ausgerechnet Kelly Moss war, die ihn wach küsste, überraschte ihn und brachte ihn zugleich aus der Fassung. Er wollte mehr spüren. Er ließ die Finger über die weiche Haut ihres Rückens nach oben wandern und schmiegte die Hand an ihren Hinterkopf. Als sie einen süßen Seufzer hervorstieß und den Mund öffnete, sodass er sie richtig kosten konnte, ging eine Welle der Hitze und des Verlangens durch seinen Körper.
»Igitt! Da kommt mir ja die Hochzeitstorte hoch!«, rief Tess hinter ihnen angeekelt.
Nash fuhr zurück. »Was zum Teufel machst du hier?«, bellte er, verärgert über die unwillkommene Unterbrechung.
»Ich suche Kelly. Und was macht ihr da?« Tess stemmte die Hände in die Hüften und musterte die beiden fragend.
Ist das nicht offensichtlich? Nash schüttelte den Kopf und unterdrückte ein Stöhnen. Das Mädchen war wirklich die größte Nervensäge, die ihm je über den Weg gelaufen war.
»Jetzt hast du mich ja gefunden«, sagte Kelly, die bedeutend ruhiger wirkte als er. Als hätte sie die Szene kein bisschen aus der Fassung gebracht. Aber vielleicht war sie ja auch bloß eine verdammt gute Schauspielerin. Jedenfalls schien sie die ganze Sache vollkommen gelassen zu nehmen, während er Tess angeblafft hatte, weil ihn immer noch die von Kelly geweckte Begierde quälte.
»Ethan und Faith wollen mit dir reden«, brummte Tess missmutig.
Offenbar gefiel ihr nicht, was zwischen ihm und ihrer großen Schwester vorgefallen war. Nash dagegen hatte es ausnehmend gut gefallen.
Zu gut eigentlich.
Doch Tess' bitterbösem Blick nach zu urteilen bedeuteten der Kuss und die Tatsache, dass Nash sie dann auch noch angefahren hatte, einen gewaltigen Rückschritt in seinen Bemühungen, eine Beziehung zu der Kleinen aufzubauen. Mist. Und er hatte gedacht, schlimmer könnte es nicht werden. So konnte man sich täuschen.
»Sag ihnen doch bitte, dass ich gleich komme, ja?«, bat Kelly ihre Halbschwester geduldig. Das Mädchen verschränkte die Arme vor der Brust. »Und wenn ich keine Lust dazu habe?«
Kelly hob eine Augenbraue. »Soweit ich weiß, bin ich diejenige, die auf dich aufpasst, solange Ethan auf Hochzeitsreise ist, und wenn du nicht die ganze Zeit über auf deinem Zimmer hocken willst, dann solltest du jetzt lieber tun, was ich dir sage.«
Tess verdrehte die Augen und stampfte mit dem Fuß auf - was nicht sonderlich beeindruckend wirkte, da sie zur Feier des Tages ein violettes Kleid und Pumps mit niederen Absätzen trug -, dann stürmte sie von dannen.
»Gut gemacht«, sagte Nash bewundernd, weil Kelly es geschafft hatte, Tess zum Gehorchen zu bewegen, ohne die Stimme zu erheben oder sie anzufahren.
»Ja, ich habe wohl etwas souveräner reagiert als du.« Sie warf ihm einen amüsierten Blick zu. »Aber das ist nicht mein Verdienst. Du hast ja erlebt, wie sie war, bevor Ethan sie unter seine Fittiche genommen hat. Dieser Wandel geht auf seinen Einfluss zurück, nicht auf mich.« Es schien sie zu bekümmern, dass sie bei Tess nicht so erfolgreich gewesen war.
Dieses Gefühl kam ihm bekannt vor. »Ach, hör mir bloß mit dem heiligen Ethan auf.«
Sie hob eine Augenbraue. »Warum gibt es zwischen Ethan und dir eigentlich ständig Reibereien?«, wollte sie wissen.
Doch Nash hatte nicht die geringste Lust, sich mit ihr über seinen Bruder oder über seine Vergangenheit zu unterhalten. Er stellte ihr eine Gegenfrage, um vom Thema abzulenken. »Erkundigst du dich jetzt nach meinem Leben, um nicht über den Kuss reden zu müssen?«
Ein Lächeln umspielte überraschend ihre Lippen. »Warum sollte ich nicht darüber reden wollen, wo er doch so schön war?«, fragte sie und zog erneut an seiner Krawatte.
Ihre feuchten Lippen schimmerten, verlockend wie ihr neu erwachtes Interesse. Nash vergrub die Hände in den Hosentaschen. Auf diese Weise war es leichter, sie bei sich zu behalten.
»Kelly! Wir warten!«, rief Tess ungeduldig und unterbrach sie damit erneut, was ihn daran erinnerte, weshalb er sich von Kelly ab sofort fernhalten musste.
»Ich komme!«, rief Kelly über die Schulter, ehe sie Nash ein letztes Mal in die Augen blickte. »Wie es aussieht, bekommst du einen Aufschub.« Ihre Augen blitzten schelmisch auf.
Das Funkeln wirkte ansteckend. Sie hatte Mumm, und sie wirkte selbstbewusst und unabhängig. Seine Ex- Frau war das genaue Gegenteil gewesen: süß und schutzbedürftig.
Kelly konnte offensichtlich ganz gut auf sich selbst achtgeben.
Aber Nash hatte nicht vor, sie gleich die Oberhand gewinnen zu lassen. »Ich weiß nicht, was du meinst«, flunkerte er.
Sie tätschelte ihm die Wange. »Mach dir ruhig weiterhin etwas vor.«
Genau das hatte er vor. So lange, bis er sich selbst davon überzeugt hatte, dass diese Frau nur Schwierigkeiten machen und ein Hindernis auf dem Weg zu einer Beziehung mit Tess darstellen würde.
Kelly Moss stand am Fuße der geschwungenen Treppe im Haus von Ethan Barron, das man eigentlich schon als Villa bezeichnen musste. »Nun komm schon, Tess!«, rief sie ins obere Stockwerk. »Wenn du vor der Schule noch etwas essen willst, musst du jetzt mal einen Zahn zulegen!« Es war das dritte Mal binnen fünf Minuten, dass sie Tess zum Frühstück rief.
»Ich komm ja schon!«, ertönte von oben die mürrische Antwort.
Ethan und Faith waren gestern Vormittag zu ihrer Hochzeitsreise aufgebrochen. Sie verbrachten eine Woche auf einer herrlichen einsamen Karibikinsel, wo sie eine eigene Villa mit Butler hatten. Die beiden sind echt zu beneiden, dachte Kelly. Dabei konnte sie sich über ihr eigenes Leben im Augenblick auch nicht beklagen, schließlich durfte sie in diesem riesigen Herrenhaus mit eigener Haushälterin wohnen, solange die beiden fort waren.
Tess knallte ihre Zimmertür hinter sich zu, und das Krachen riss Kelly aus ihren Gedanken.
Als ihre Schwester die Treppe heruntergestampft kam, fühlte sich Kelly unwillkürlich an die alten Zeiten erinnert, als sie Tess allein aufgezogen hatte, was ihr mehr schlecht als recht gelungen war. Sie ballte die Hände zu Fäusten. »Was hast du denn?« Kelly hoffte, dass es ein leicht lösbares Problem war und keines, auf Grund dessen Tess wieder anfangen würde, sich wie eine Wilde aufzuführen.
»Na, was wohl?« Tess zerrte an ihrem marineblauen Faltenrock, der genau wie ihre weiße Bluse und die Kniestrümpfe zu der Schuluniform gehörte, die sie an ihrer neuen Privatschule tragen musste. »Ich hasse diesen Aufzug. «
Kelly verkniff sich wohlweislich, dass dieses Outfit wesentlich kleidsamer war als die schwarzen Grufti- Klamotten, die Tess früher getragen hatte, einschließlich der alten Militärjacke und der Springerstiefel. »Du gewöhnst dich schon noch daran.«
Tess marschierte an Kelly vorbei in die Küche. »Es ist schon ein Monat rum, und ich hasse es immer noch.«
Die Kleider oder die Schule?, fragte sich Kelly, während sie ihrer Schwester in die Küche folgte. »Liegt es daran, dass du keine Röcke magst? Obwohl, auf der Hochzeit hast du freiwillig ein Kleid getragen.« Und sie hatte darin wie eine richtige kleine Lady ausgesehen.
»Es liegt daran, dass ich es tragen muss. Ich hasse es, wenn mir jemand sagt, was ich zu tun habe.«
»Das ist ja ganz was Neues«, murmelte Kelly, die schon seit sie denken konnte für die Erziehung ihrer Schwester zuständig war.
»Das hab ich gehört.«
Kelly grinste. Tess war wirklich wie ausgewechselt, seit sie bei Ethan lebte. Kelly schauderte, wenn sie sich ausmalte, wie es wohl gekommen wäre, wenn sie diese drastische Maßnahme nicht ergriffen hätte.
Leah Moss, ihre Mutter, war eine schwache Frau, von Männern abhängig und nicht in der Lage, sich um Tess zu kümmern. Früher war sie anders gewesen, als Kelly noch klein gewesen war. Aber vielleicht bildete sich Kelly das bloß ein. Möglicherweise lag es auch daran, dass damals noch ihr Vater gelebt und einen positiven Einfluss auf ihre Mutter ausgeübt hatte.
Doch das würde sie wohl nie mehr herausfinden, denn ihr Vater war an einem Herzinfarkt gestorben, als Kelly zwölf gewesen war. Leah hatte sich sofort auf die Suche nach einem Ersatz gemacht, und hatte sich auf eine Affäre mit Mark Barron, ihrem Chef, eingelassen. Obwohl es vom moralischen Standpunkt aus falsch gewesen war, hatte dieser Umstand dafür gesorgt, dass die darauffolgenden Jahre für Kelly einigermaßen ruhig verlaufen waren, selbst nach der Geburt ihrer Halbschwester Tess. Doch nach dem Tod von Mark Barron vor zehn Jahren war es mit Leah endgültig bergab gegangen, und sowohl Kelly als auch Tess hatten darunter gelitten.
Leah hatte sofort ihre Siebensachen gepackt und Tomlin's Cove, der Nachbarstadt von Serendipity, den Rücken gekehrt, um mit den Mädchen in ein heruntergekommenes Viertel von New York zu ziehen. Offiziell hatte sie ein neues Leben beginnen wollen, doch in Wahrheit hatte sie ihren neuen Wohnort nur deshalb ausgewählt, weil sie hoffte, dort leichter einen neuen Liebhaber zu finden, der sich ihrer annahm. Leider war die Suche nach dem neuen Märchenprinzen erfolglos verlaufen. Leah war zusehends dem Alkohol verfallen und hatte einen abstoßenden Kerl nach dem anderen angeschleppt.
Tess war damals erst vier gewesen, also hatte Kelly mit ihren sechzehn Jahren die Rolle der Erziehungsberechtigten übernommen. Sie hatte es geschafft, die Highschool abzuschließen, gefolgt von einer Ausbildung, die sie sich mit diversen Jobs finanziert hatte. Und dazwischen hatte sie immer wieder für Tess gesorgt.
Glücklicherweise hatten sie damals in einer Privatpension gewohnt, deren Besitzerin, eine großherzige ältere Dame, Kelly unterstützt hatte.
Doch dann war Leah im Vorjahr mit irgendeinem Typen durchgebrannt und hatte ihre jüngste Tochter einfach im Stich gelassen, und danach war Tess schwer traumatisiert gewesen. Gekränkt und voller Zorn hatte sie sich in einen aggressiven, rebellischen Teenager verwandelt und war zu allem Überfluss auch noch an die falschen Leuten geraten. Sie hatte getrunken und geraucht und war schließlich sogar verhaftet worden. In ihrer Verzweiflung hatte sich Kelly an den einzigen Menschen gewandt, an den sie sich aus der Zeit in Tomlin's Cove noch erinnern konnte - Richard Kane, einen Anwalt in Serendipity, der ihr dann von Ethan Barron erzählt hatte.
Es hatte Kelly schier das Herz gebrochen, ihre kleine Schwester vor der Tür dieses wildfremden Menschen abzusetzen und ihm zu sagen, er solle seiner Rolle als großer Bruder gerecht werden. Doch Kelly hatte gespürt, dass das ihre letzte Hoffnung war. Zum Glück - wer weiß, was sonst aus Tess geworden wäre. Ein paar Monate später war Kelly nun ebenfalls nach Serendipity gezogen, um sich hier eine neue Existenz aufzubauen. Endlich hat sich unser Leben zum Guten gewendet, dachte sie, während sie Tess erneut zur Eile antrieb.
Sie machten sich rasch über das Frühstück her, dann lieferte Kelly ihre Schwester in der Schule ab und machte sich auf den Weg zur Arbeit. Ihren Job verdankte sie - wie so vieles in letzter Zeit - Richard Kane; er hatte ihr nämlich eine Stelle als Anwaltsassistentin angeboten.
Wie jeden Tag legte sie unterwegs einen Zwischen- stopp im Cuppa Café ein. Kelly hatte ihr ganzes Leben lang hart gearbeitet und auch früh gelernt, sparsam zu sein, aber ihr gesamter Tag stand und fiel mit dem morgendlichen Kaffee. Stark und aromatisch musste er sein.
Als Kelly das Café betrat und ihr der köstliche Kaffeeduft in die Nase stieg, fühlte sie sich gleich ein gutes Stück wacher, fast als hätte sie das Koffein gleichsam durch Osmose in sich aufgenommen.
Sie goss sich gerade Milch in ihren großen Becher, da gesellte sich eine vertraute Gestalt mit langer blonder Lockenmähne zu ihr an den Tresen.
»Na, auch wieder da? Nach dir könnte man ja glatt die Uhr stellen«, scherzte Annie Kane.
Kelly grinste sie an. »Dasselbe könnte ich von dir behaupten. «
»Da hast du recht.« Annie lachte und prostete Kelly mit dem Becher zu.
Das Leben in einer Kleinstadt hatte Vor- und Nachteile, und dass einem ständig Bekannte über den Weg liefen, gehörte für Kelly eher in die erste Kategorie. Kelly und Annie kamen jeden Morgen zur selben Zeit ins Cuppa Café, und oft blieben sie auf einen Plausch. Annie entwickelte sich allmählich zu einer richtigen Freundin für Kelly - ihrer bislang einzigen in Serendipity, von Ethans Frau Faith Harrington einmal abgesehen.
Annie war Richard Kanes Tochter, kam allerdings eher nach ihrer Mutter als nach ihrem Vater, jedenfalls nach den Fotos auf Richards Schreibtisch zu urteilen. Sie war Kelly auf Anhieb sympathisch gewesen, als sie sich vor ein paar Wochen in Richards Kanzlei kennengelernt hatten.
Kelly nahm einen großen Schluck von ihrem Kaffee.
»Und, warum bist du jeden Tag so früh auf den Beinen? «
»Weil es mich jung hält«, antwortete Annie.
Kelly verdrehte die Augen. »Du bist jung.« Sie ließ den Blick über Annie gleiten, angefangen beim hellen Baumwollpullover über die Jeans bis hinunter zu den Slip-on- Sneakers. »Ich möchte wetten, dass wir ziemlich genau gleich alt sind.«
»In einem Monat werde ich siebenundzwanzig«, sagte Annie.
»Und ich im Dezember.«
Als Annie den Becher an die Lippen hob und einen Schluck nahm, fiel Kelly auf, dass Annies Hand zitterte.
Kelly hob eine Augenbraue, äußerte sich aber nicht dazu. Stattdessen beschloss sie, etwas für ihr soziales Leben in Serendipity zu tun. »Wie wär's, wenn wir uns mal zum Mittagessen verabreden, statt uns immer nur hier zwischen Tür und Angel zu unterhalten?« Kelly sehnte sich nach einer richtigen Freundin, nach jemandem, dem sie vertrauen und dem sie alles erzählen konnte. Sie liebte Tess über alles, aber eine Vierzehnjährige war nun einmal kein Ersatz für eine erwachsene Freundin.
»Gern!«, sagte Annie sogleich. »Ich gebe dir meine Nummer.« Als sie in ihre Handtasche griff, begann wie auf ein Stichwort hin ihr Handy zu klingeln. Sie warf einen Blick auf das Display, entschuldigte sich bei Kelly und nahm das Gespräch an. »Hallo?«
Kelly wandte den Blick ab, damit sich Annie nicht belauscht fühlte, kam aber natürlich nicht umhin, die Unterhaltung mitanzuhören.
»Es geht mir besser, danke ... Ja ... Nein, du musst nicht vorbeikommen. Ich habe den Installateur angerufen, und er meinte, er könnte gegen Abend bei mir vorbeischauen. « Annie schwieg eine Weile, dann fuhr sie fort. »Ich kann es mir durchaus leisten. Es ist nicht nötig, dass du kommst. Für Klempnerarbeiten hattest du noch nie ein gutes Händchen, schon während unserer Ehe nicht«, sagte sie amüsiert.
Sie schwieg erneut, dann sagte sie: »Also gut, wenn du darauf bestehst ... Dann bis später.« Es klang eher verärgert als erfreut.
Sie legte auf und steckte das Handy wieder in die Tasche. »Mein Ex-Mann«, erklärte sie Kelly. »Er glaubt, nur weil ich MS habe, muss er mich ständig betüddeln.«
Kelly war überrascht von diesem unerwarteten Bekenntnis. Es tat ihr aufrichtig leid, dass Annie mit einer solchen Diagnose leben musste, noch dazu in diesem Alter. Richard redete in der Kanzlei über alles und jeden, aber die Krankheit seiner Tochter hatte er noch mit keinem Wort erwähnt. Doch Kelly konnte es ihm nicht verdenken, dass er nicht über derart persönliche Dinge sprach. Im Grunde überraschte es sie, dass Annie das Thema angeschnitten hatte.
»Dir ist bestimmt aufgefallen, dass meine Hände zittern, und da es ganz danach aussieht, als würden wir Freundinnen werden, kannst du auch gleich die Wahrheit erfahren«, sagte Annie, als hätte sie Kellys Gedanken gelesen.
Sie wirkte ziemlich gelassen. Offenbar hatte sie sich mit der Situation abgefunden.
Kelly sah ihr in die Augen. »Danke, dass du es mir erzählt hast.«
»Hey, falls ich also eines Tages spurlos verschwinde, dann weißt du wenigstens warum.« Sie zuckte die Achseln, als wäre das alles keine große Sache.
Kelly musste das, was ihr ihre neue Freundin da gerade anvertraut hatte, erst einmal verarbeiten. »Wenn du je irgendetwas brauchst, dann lass es mich wissen.«
Annie lächelte. »Danke, aber ich glaube, mein Ex wird ohnehin immer zur Stelle sein«, sagte sie mit einem etwas gezwungenen Lächeln.
»Ist doch nur von Vorteil, wenn man im Bedarfsfall immer jemanden hat, der einem auf Abruf zur Verfügung steht, oder?«, meinte Kelly.
»Nicht, wenn man eigentlich unabhängig sein will«, brummte Annie. Es klang frustriert, was Kelly durchaus nachvollziehen konnte.
Auch sie brauchte und wollte keinen Mann, der das Bedürfnis verspürte, sich um sie zu kümmern. Im Gegensatz zu ihrer Mutter wollte sie auf eigenen Beinen stehen, ganz egal, wie viele Hindernisse sie überwinden musste - und da kam in nächster Zeit wohl einiges auf sie zu. So stand ihr zum Beispiel noch eine Auseinandersetzung mit einem Mann bevor, den sie einst geliebt hatte. Die Affäre war längst vorbei, doch mit den Folgen würde sie sich wohl noch eine ganze Weile herumschlagen müssen. Kelly würde mit dem daraus resultierenden Chaos schon irgendwie fertigwerden, aber sie musste zusehen, dass Tess davon verschont blieb. Sie wollte nicht, dass die Kleine Klatsch und Tratsch und allerlei versteckten Andeutungen ausgesetzt war, wo sie sich doch gerade so gut entwickelte und nicht mehr ständig Dummheiten machte. Blieb nur zu hoffen, dass die Entfernung zwischen Manhattan und Serendipity helfen würde, Tess aus allem herauszuhalten, sobald die Schwierigkeiten losgingen.
»Männer verstehen uns Frauen einfach nicht«, stellte Annie fest und lieferte Kelly damit eine willkommene Ablenkung von ihren Sorgen.
Kelly schüttelte den Kopf und seufzte. »Nein, das tun sie nicht.«
»Du sprichst wohl auch aus Erfahrung, hm?«, erkundigte sich Annie.
»Ja, leider.« Kelly verzog das Gesicht. Die Erinnerungen an das vergangene Jahr, als man ihr Vertrauen missbraucht und ihr das Herz gebrochen hatte, waren noch allzu frisch.
»Das tut mir leid.« Annie atmete tief durch. »Ich weiß ja nicht, wie es bei dir ist, aber mein Ex meint es nur gut. Er nimmt lediglich das Wort ›Verantwortung‹ viel zu ernst.«
Kelly schluckte schwer. »Und mein Ex-Freund hat das Wort ›Zweierbeziehung‹ viel zu wenig ernst genommen.«
Übersetzung: Ursula C. Sturm
Vollständige deutsche Erstausgabe 11/2012 Copyright © 2012 by Karen Drogin Copyright © 2012 der deutschen Ausgabe by Wilhelm Heyne Verlag, München, in der Verlagsgruppe Random House GmbH Printed in Germany 2012
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Autoren-Porträt von Carly Phillips
Carly Phillips, eine New-York-Times- und USA-Today-Bestsellerautorin, hat über 50 prickelnde Liebesromane geschrieben, mit heissen Männern, starken Frauen und den emotional fesselnden Geschichten, die ihre Leser*innen inzwischen erwarten und lieben. Sie ist glücklich verheiratet mit ihrer Collegeliebe, hat zwei fast erwachsene Töchter und drei verrückte Hunde, die auf ihrer Facebook-Fan-Page und ihrer Website zu bewundern sind. Carly Phillips liebt die sozialen Medien und steht in engem Kontakt mit ihren Leser*innen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Carly Phillips
- 2012, Deutsche Erstausgabe, 444 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Ursula C. Sturm
- Verlag: Heyne
- ISBN-10: 3453409574
- ISBN-13: 9783453409576
- Erscheinungsdatum: 08.10.2012
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