Das Paradies liegt in Afrika / Ein Südafrika-Roman Bd.2 (ePub)
Trotz bitterer Schicksalsschläge kann die schöne Witwe Karoline Ruhland das ertragreiche Weingut Hopeland in der dritten Generation weiterführen. Zusammen mit ihrer Schwiegermutter übersteht sie Intrigen und Gefahren. Doch als sie endlich einen neuen Mann...
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Produktinformationen zu „Das Paradies liegt in Afrika / Ein Südafrika-Roman Bd.2 (ePub)“
Trotz bitterer Schicksalsschläge kann die schöne Witwe Karoline Ruhland das ertragreiche Weingut Hopeland in der dritten Generation weiterführen. Zusammen mit ihrer Schwiegermutter übersteht sie Intrigen und Gefahren. Doch als sie endlich einen neuen Mann und die grosse Liebe findet, flammen alte Feindschaften wieder auf. Ihre Liebe gerät in Gefahr. Denn was Karoline leben will, ist im Südafrika des 19. Jahrhunderts undenkbar. Aber Karoline kämpft um ihre Zukunft.
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Das Paradies liegt in Afrika von Elfie Ligensa1
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Langsam stieg die Sonne hinter den östlich gelegenen Weinbergen auf. Ein goldrotes Tuch legte sich über das Land, und die Tautropfen, die eben noch auf den zartgrünen Blättern der Rebstöcke geglitzert hatten, verdampften innerhalb weniger Minuten.
Karl Ruhland ließ den Blick weit über die grünen Hügel schweifen, und wie immer wurde sein Herz weit beim Anblick dieses von Gott gesegneten Fleckens Erde. Hopeland bestand erst seit fünfundsechzig Jahren, doch es war bereits eins der größten und bedeutendsten Weingüter Südafrikas. Mit Besonnenheit und viel Fleiß hatte Karls Vater das Gut aufgebaut, er hatte die schwarzen Arbeiter von Beginn an bezahlt, keine Sklaven gehalten, sondern dafür Sorge getragen, dass es allen Menschen auf Hopeland gut ging. Mit Fleiß und Treue war es ihm gedankt worden.
»Guten Morgen, Lieber.« Von Karl unbemerkt war Sophie hinter ihn getreten. Zart legte sie den Kopf an seine Schulter, schaute mit ihm hinaus auf die sonnendurchglühten Rebhänge. »Es wird heiß werden heute. Hoffentlich hat Kimani mit seinen Leuten gestern noch einmal die Grenzzäune an der Ostseite geprüft. Du weißt, mit den Leuten von Gut Summerset gibt es immer wieder Ärger.« Sie biss sich auf die Lippen. »Verzeih, ich wollte nicht an die alten Wunden rühren.« Für einen Moment verhärtete sich Karl Ruhlands Gesicht. »Ach, weißt du, ich denke auch viel an meine Schwester und ihren Mann. Die beiden haben so viel Leid über unsere Familie gebracht. Ich werde es Madeleine nie verzeihen können, dass sie den Mörder meines Bruders geheiratet hat. Mutter hat es das Herz gebrochen.« Karl Ruhland, mit seinen einundsechzig Jahren immer noch stattlich, wandte Sophie sein sonnengebräuntes Gesicht zu. »Aber du hast recht, davon wollen wir heute nicht reden. Diese Familienfehde soll uns die Tage in Kapstadt nicht verderben.«
»Ich mache mir aber Sorgen. Ich ...« Sophie biss sich kurz auf die Lippen. »Ich habe so ein ungutes Gefühl. Madeleine hat lange nichts von sich hören lassen. Vor zwei Jahren hat sie das letzte Mal geschrieben.«
»Und Geld haben wollen. Als ich ihr nicht die gewünschte Summe transferiert habe, sondern nur einen Bruchteil davon, hat sie sich nicht mehr gemeldet.« »Eben. Das stimmt mich besorgt. Und ihr Verwalter drüben auf Summerset ist auch beängstigend ruhig.« Karl lächelte, ein kleiner Faltenkranz entstand dabei um seine dunklen Augen. »Vielleicht hat er endlich eingesehen, dass er nichts gegen uns ausrichten kann. Mit dem Besitz geht es immer mehr bergab, ich bin sicher, dass Madeleine über kurz oder lang verkaufen muss. Aber das soll uns nicht kümmern. Komm, gehen wir hinunter zu Christopher. Er will gleich nach unserer Abreise mit einem Kontrollritt beginnen.« Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er hinzufügte: »Er macht seine Sache ausgezeichnet, unser Sohn. Ich habe es nicht eine Stunde lang bereut, ihm vor einem Jahr die Verantwortung für Hopeland übertragen zu haben.« Er wies hinunter zum Gutshof. »Schau nur, er geht schon zum Stall.«
Es schien, als hätte Christopher gespürt, dass seine Eltern ihn beobachteten. Er schaute kurz hoch zum Gutshaus, hob die Hand und winkte den beiden zu. Gerade als er die Stalltür erreicht hatte, wurde diese von innen geöffnet. Der junge Stallmeister führte einen gesattelten Apfelschimmel auf den Hof. Karl Ruhland lachte leise. »Da haben Josy und Kimani ihren Enkel aber früh aus den Federn geworfen!«
Sophie lächelte. »Seit du ihn zum Stallmeister gemacht hast, ist Pandu ungemein fleißig geworden. Unsere treue Josy ist sehr stolz auf ihn, und das mit Recht!« »Er hat sich ja auch wirklich gut entwickelt.« Karl wandte sich ins Zimmer zurück. »Vor zwei Jahren, kurz nach dem Tod seiner Eltern, war er noch undiszipliniert und leichtsinnig. Um nicht zu sagen arbeitsscheu. Aber inzwischen ...« Er zog sich einen leichten Hausmantel über, »inzwischen ist er unserem Sohn eine wirkliche Stütze.«
Sophie Ruhland, mit ihren dreiundfünfzig Jahren immer noch eine sehr schöne Frau mit schlanker Gestalt, nickte. Sie trat ebenfalls vom Fenster zurück und ging zu ihrem kleinen Frisiertisch, der an der rechten Seite des geräumigen Schlafraums stand. Sophies langes dunkles Haar wies nur vereinzelt graue Fäden auf, sie kämmte es sorgfältig, dann steckte sie es geschickt mit drei breiten Schildpattkämmen auf. Während sie ganz mechanisch diese Handgriffe tätigte, gingen ihre Gedanken um drei Jahrzehnte zurück. Madeleine, Karls Schwester, war ein wildes junges Mädchen gewesen. Klug, aber eigensinnig. Neugierig auf die große, unbekannte Welt und leidenschaftlich. Und genau diese Neugier und Leidenschaft hatten sie in die Arme von Johannes Lammersburg getrieben, einem mehr als zwanzig Jahre älteren Mann, dessen Vater von Beginn an der größte Feind der Ruhlands gewesen war.
Als der junge Ben Ruhland im Jahr 1795 ans Kap gekommen war, um sich hier als Winzer eine Existenz aufzubauen, gab es gleich zu Beginn handgreifliche Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn, den Lammersburgs. Die Herren von Gut Summerset beanspruchten die Wasserrechte für sich allein, sie zerstörten die Gräben, die der junge Ben mühevoll errichtet hatte, sie gingen keinem Händel aus dem Weg. Eines Tages griffen sie den deutschstämmigen Winzer sogar massiv an, nur mit Mühe konnte Ben sein Leben retten. Tagelang lag er mit starkem Wundfieber in der armseligen Hütte, die seine erste Behausung war. Gepflegt wurde er von Sina, einer bildhübschen schwarzen Sklavin, der er am Tag seiner Ankunft in Kapstadt begegnet war und die er aus Mitleid von ihrem brutalen Herrn freigekauft hatte. Sinas Sohn Will, damals ein kleiner Junge von fünf Jahren, war nun Kellermeister auf Hopeland. Treu und sehr ergeben arbeitete er für den Sohn des Mannes, der ihm und seiner Mutter einst die Freiheit geschenkt hatte.
Kaum jemand ahnte, wie sehr auch Sina und Will unter den Lammersburgs gelitten hatten. Sina hatte Ben nie genau erzählt, was sie mit ihren ersten Herren erlebt - und durch sie erlitten hatte. Doch sie hasste Johannes Lammersburg und seinen brutalen Vater mindestens so sehr, wie Ben Ruhland es tat.
Es gab nur einen Menschen auf Hopeland, der damals mit den streitsüchtigen Nachbarn Kontakt hielt: Sebastian, Ben Ruhlands zweitgeborener Sohn. Leicht fertig war er, fast so gewissenlos wie Johannes Lammersburg, sein älterer Freund, mit dem er nur zu gern die Wirtshäuser und Bordelle von Kapstadt aufsuchte. Tagelang konnten sich die beiden Männer auf diese Weise amüsieren. Auch die Jagdleidenschaft teilten sie - ein Vergnügen, das eines Tages in einem tragischen Unglück endete: Bei der Jagd auf wilde Paviane erschoss Johannes versehentlich seinen Freund. Dieses Geschehen vertiefte den Graben zwischen den beiden Familien noch mehr.
Johannes mied Gut Hopeland lange Zeit hindurch, geplagt von seinem schlechten Gewissen und der Angst, sich für seine Tat doch noch verantworten zu müssen. Dann aber sah er Madeleine - und verfiel dem jungen, leidenschaftlichen Mädchen mit Haut und Haar. Immer wieder trafen sie sich heimlich, und wenn sich Ben Ruhlands Tochter auch darüber klar war, dass sie ihren Eltern mit ihrem Verhalten das Herz brach, so konnte sie doch gegen ihre Gefühle nicht an. Bar jeder Moral gab sie sich Johannes hin und ging eines Tages mit ihm fort in die Fremde.
Johannes Lammersburg ... wie sehr ihn die Ruhlands hassten und verachteten! Doch Madeleine liebte ihn - und folgte ihm erst nach Kairo, dann nach Cornwall und Brighton. Wo sie im Augenblick lebte, wusste niemand auf Hopeland.
Entschlossen verdrängte Sophie die Gedanken an die Schwägerin und die tristen Erinnerungen, die ihr immer wieder die gute Stimmung zu verderben pflegten. »Lass uns hinuntergehen und frühstücken«, sagte sie und stand auf. »Wenn wir uns beeilen, sind wir noch vor der Mittagshitze in der Stadt.« Hopeland lag östlich von Kapstadt, etwa drei Stunden Kutschfahrt musste man einkalkulieren, um zu dem weitläufigen Besitz zu gelangen. Karl konnte sich noch gut daran erinnern, dass er als kleiner Junge die Fahrten in die Stadt als Abenteuer empfunden hatte. Wenn sein Vater ihn mit zum Hafen nahm, war dies für Karl immer wie ein Ausflug in eine andere Welt gewesen. Die fremden Gerüche, die Menschen aus vielerlei Nationen, die durch die Straßen liefen oder sich in den Kneipen trafen ... exotisch war das für Karl gewesen.
Auch heutzutage war die Gegend nahe am Wasser noch ein Kosmos für sich. Kleine Häuser standen dicht an dicht; teilweise waren sie windschief oder drohten zu verfallen, da sie noch aus dem siebzehnten Jahrhundert stammten, aus der Zeit, da Jan van Riebeeck diesen Ort dazu ausersehen hatte, Anlaufstelle für die Handelsschiffe auf dem Weg nach Indien zu sein. Morsche Holzschuppen, neuere Lagerhallen, düstere Kneipen und massiv gebaute Verwaltungsgebäude der verschiedenen Handelsgesellschaften wechselten sich ab. Dazwischen fanden sich immer wieder Wirtshäuser mit düsteren Hinterhöfen und Bordelle, in denen es wie eh und je hoch herging, wenn wieder ein neues Schiff in den Hafen einlief.
Es war eine Welt, die sich von dem Leben im Stadtkern von Kapstadt gravierend unterschied.
In den letzten Jahrzehnten waren immer größere, prachtvollere Häuser errichtet worden. Weiß oder gelb getüncht und mit Ornamenten verziert, zeugten sie vom neuen Reichtum der Bewohner, die aus England, Holland, dem preußischen oder habsburgischen Reich hergekommen waren und am Kap eine neue Heimat gefunden hatten. Seit 1859 wurde an der Eisenbahn strecke von Kapstadt nach Wellington, der nordöstlich gelegenen Siedlung im Weinland, gebaut. Für die meisten Bewohner der Region war diese neumodische Errungenschaft wie ein Wunder, jeder wollte dieses Gefährt bestaunen, doch viele gestanden ein, dass sie Angst hätten, einmal einen Zug zu besteigen.
Sophie und Karl hingegen waren gespannt darauf, zum ersten Mal mit einer Eisenbahn fahren zu können. Mit dem Amerikaner Cornelius Vanderbilt stand Sophie in regem Schriftwechsel. Ihr Vater, vor drei Jahren verstorben, war mit dem visionären Reeder, der sein Vermögen einst mit dem Betrieb von Segelschiffen gemacht hatte und nun in Amerika einige Eisenbahnlinien betrieb, gut bekannt gewesen. Vor einigen Monaten bereits hatte Cornelius Vanderbilt die Ruhlands eingeladen, ihn zu besuchen. Während Karl die weite Seereise scheute, war Sophie begierig darauf, die Neue Welt kennenzulernen, und hatte diese Einladung angenommen - wenn der Termin der Reise auch noch nicht feststand.
Josy, die Schwarze, die seit mehr als vier Jahrzehnten auf dem Gut lebte, schenkte Kaffee aus. Als blutjunges Ding war sie einst nach Hopeland gekommen und war der Familie eng verbunden. »Wir fahren gleich nach dem Frühstück los«, sagte Sophie. »Hast du alles gepackt, Josy?«
»Alles ist fertig, Missis Sophie. Die Kutsche steht bereit, die Koffer sind aufgeladen.« »Danke.« Sophie nickte ihr zu. »Ist meine Schwiegertochter schon aufgestanden?« Ein Lächeln glitt über Josys Gesicht. »Sie stillt das Baby. Klein Charlotte war ziemlich unruhig in der letzten Nacht.« »Sie ist doch nicht krank?«, erkundigte sich Karl Ruhland besorgt.
»Aber nein! Ich denke, die ersten Zähnchen machen ihr Probleme.« Sie wandte sich um, als ein kleiner Junge mit lockigem, braunschwarzem Haar ins Zimmer stürmte. Er trug kurze dunkelblaue Hosen und dazu ein hellblaues Leinenhemd, das er nicht ganz zugeknöpft hatte. »Victor! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst warten, bis ich komme und dich hole?«, schimpfte Josy liebevoll. »Hab aber jetzt Hunger!« Der Vierjährige lief zu Sophie und schmiegte sich an sie. »Granny, bekomme ich heute Pfannkuchen mit Sirup?« Er schob trotzig die Unterlippe vor. »Victor hat keinen Hunger auf Brei. Bin doch kein Baby mehr!« Sophie strich ihrem ältesten Enkel zärtlich übers Haar. »Natürlich bekommst du Pfannkuchen.« »Oder magst du lieber Eier mit Speck?« Karl schob ein Stück des knusprigen Frühstücksspecks auf die Gabel. »Schmeckt sehr gut. Und macht stark!« »Ja. Das mag ich auch!« Victor, der seinen Namen in Anlehnung an Queen Victoria bekommen hatte, nickte begeistert und kletterte neben seinen Großvater auf einen hochbeinigen Mahagonistuhl.
»Ich hole ihm noch eine Portion«, bot Josy an. »Ach was, er kann meinen Rest essen. Ich bin satt.« Karl schob dem kleinen Jungen seinen Teller hin. »Lass es dir schmecken, Junior.« »Danke.« Victor nahm das erste Stück Bacon, dazu etwas Ei, und kaute begeistert. Dass sein Hemd ein paar Fettspritzer abbekam, störte ihn nicht. Als seine Großmutter ihm eine Leinenserviette reichte, legte der kleine Junge sie achtlos beiseite.
»Lass ihn heute mal«, meinte Karl, »er genießt sein Frühstück, dass es eine Freude ist, ihm zuzusehen.« Sophie sah ebenfalls lächelnd auf den Vierjährigen, der in diesem Moment versuchte, ein besonders großes Stück des knusprigen Frühstücksspecks auf die Gabel zu spießen. Als es nicht gelang, nahm er einfach die Finger. Sophie wollte ihn ermahnen, doch dann ließ sie es, sie wollte Victor die Freude an dem außergewöhnlichen Frühstück nicht nehmen. Stattdessen nestelte sie ihre goldene Taschenuhr, die an der Rückseite mit einer Rose aus kleinen Flussperlen geschmückt war, hervor und warf einen Blick darauf. »Wir müssen gleich aufbrechen«, sagte sie mahnend.
»Ich bin fertig.« Karl schob seinen Stuhl zurück. »Dir noch einen guten Appetit, mein Kleiner. Gleich kommt deine Mama und leistet dir Gesellschaft.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, da kam Karoline Ruhland herein, das Baby auf dem Arm, das satt und zufrieden den Kopf an die Schulter der Mutter gelegt hatte. An diesem Morgen trug Karoline ihr blondes Haar offen, nur an den Seiten hatte sie es mit Perlen- kämmen locker festgesteckt. Im Nacken rieselten die weichen Locken bis fast zur Taille. »Ihr wollt gleich losfahren, nicht wahr?« Sie ging zu Sophie und küsste sie auf die Wange. »Ich würde euch so gern begleiten! Prinz Alfred aus der Nähe sehen zu können, stelle ich mir aufregend vor!«
»Er legt nur den Grundstein für ein Hafenbecken«, warf Karl Ruhland ein. »Ich glaube nicht, dass sich Seine Hoheit lange an der Table Bay aufhalten wird.«
»Trotzdem ... wann sieht man mal ein Mitglied des englischen Königshauses?« Karoline nahm ihrer kleinen Tochter eine Locke aus der Hand. »Du, das tut mir weh«, lachte sie dabei. Dann wandte sie sich wieder an die Schwiegereltern. »Mutter, du musst mir hinterher genau erzählen, wie er ausgesehen hat - und was die Damen in seiner Begleitung anhatten. - Ach, ich beneide euch! Aber solange ich stille, bin ich hier angebunden.« Sie lachte ihre kleine Tochter an. »Das hört bald auf, mein Schatz! Du bekommst schon Zähnchen, kannst Brei essen und brauchst mich dann nicht mehr.« »Dann kannst du mit deinem Mann eine Fahrt nach Kapstadt machen und dich entspannen.« Karl Ruhland ging zur Tür. »Wenn wir zurück sind, soll sich Christopher ein paar Tage freinehmen.«
Karoline trat dicht vor ihn und gab ihm einen Kuss. »Danke, ihr seid so lieb zu mir - zu uns«, korrigierte sie sich rasch. »Und du bist die beste Schwiegertochter, die wir bekommen konnten«, gab Sophie zurück. Sie hatte Karoline von Stetten vom ersten Augenblick an sehr gemocht. Die Tochter eines deutschen Winzers war nicht nur hübsch und charmant, sie war auch sehr klug und verstand viel von der Arbeit auf einem Weingut. Die Familie stammte aus dem Badischen, hatte dort über vierzig Jahre lang drei große Weinberge bearbeitet. Ein Erbschaftsstreit mit seinem Bruder hatte den jungen Witwer Hanno von Stetten schließlich bewogen, vor elf Jahren nach Südafrika auszuwandern und dort neu zu beginnen. Ein Weingut in der Nähe von Groot Constantia stand zum Verkauf, er erwarb den heruntergekommenen Besitz und machte ihn bald zu einem der bedeutendsten Güter des Landes. Karoline war seine einzige Tochter, er liebte sie sehr und war zunächst nicht erfreut gewesen, als Christopher Ruhland um sie warb. Inzwischen schätzte er seinen Schwiegersohn, war mit Sophie und Karl befreundet und ein gerngesehener Gast auf Hopeland.
»Viel Vergnügen - und kommt gesund zurück.« Karoline ging mit Sophie und Karl hinunter in den weitläufigen, mit grauen Granitsteinen gepflasterten Hof und sah zu, wie sie die Kutsche bestiegen, die schon mit drei großen Koffern beladen war. »Auf Wiedersehen, ihr beiden.« Sophie küsste erst ihre kleine Enkelin, dann die Schwiegertochter. »Wir sind in zwei Wochen zurück.«
»Wenn nicht schon früher«, sagte Karl. »Du willst nicht lange von Hopeland fernbleiben, ich kenne dich«, meinte Sophie schmunzelnd. »Aber ich möchte mal wieder ins Theater gehen, ein paar Freunde in der Stadt treffen und, wie gesagt, mit der Eisenbahn bis Wellington fahren. Der kleine Ort soll sich sehr schnell entwickeln und ganz bezaubernd sein.«
»Die gesamte Kapprovinz entwickelt sich rasant«, sinnierte Karl. »Was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, ist gewaltig. Aus einer kleinen Garnison, einem Vorposten der Europäer auf dem Weg nach Indien, ist eine der wichtigsten Kolonien Ihrer Majestät, Queen Victoria, geworden. Jede Woche kommen neue Siedler. Wie ich hörte, sogar Inder, die auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten sollen.« »Die Welt verändert sich - und wir sind ein Teil des Fortschritts.« Sophie hakte sich bei ihm ein und zog ihn zur Tür.
2
Kapstadt hatte sich herausgeputzt, um den zweiten Sohn der englischen Königin gebührend zu empfangen. Fahnen wehten auf dem Gebäude der englischen Garnison, auch im Stadtinnern waren einige Häuser geschmückt. Im Hafengebiet war wochenlang versucht worden, die größten Schandflecke zu beseitigen und den Unrat zu entfernen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Ratten und Hunde kamen immer wieder aus ihren Verstecken und fraßen die Abfälle, die sich am Straßenrand oder in den Hinterhöfen der Spelunken ansammelten.
»Da liegt die Euryalus, schau nur!« Mit ausgestrecktem Arm deutete Karl Ruhland zum Hafen, wo die Fregatte vertäut lag. Es war ein schnelles Kriegsschiff, mit dem der Prinz, der eine seemännische Ausbildung genossen hatte, die Kapkolonie besuchte. »Er ist nicht zu sehen«, stellte Sophie ein wenig enttäuscht fest. »Aber Liebling, Seine Hoheit wird sich gewiss noch in der Garnison aufhalten.« »Ob wir ihm auf dem Ball, den der Gouverneur zu seinen Ehren geben wird, wohl vorgestellt werden?«, sinnierte Sophie. »Du, ich bin ganz aufgeregt bei diesem Gedanken.« Sie gingen weiter, erreichten nach einer halben Stunde die Tribüne, die extra zu diesem Zweck aufgebaut worden war. »Welch ein Glück, dass ich nur einen kleinen Hut aufgesetzt habe. So eine Enge herrscht hier ... man muss ja Angst haben, zerquetscht zu werden.« Sophie Ruhland atmete auf, als sie mit Karl die ihr zugewiesenen Ehrenplätze erreicht hatte. Sie richtete rasch das weite blau-weiß gestreifte Kleid aus teurem Taft, dann steckte sie den dunkelblauen kleinen Strohhut, der mit weißen Ripsbändern und einer Seidenkamelie verziert war, mit einer langen Hutnadel wieder fest. »Jeder will bei der Grundsteinlegung dabei sein.« Karl deutete hinüber zum Hafen. »Da! Prinz Alfred mit Gefolge ist soeben eingetroffen! Drüben steht er, rechts von der großen Landungsbrücke!«
Der stattliche Prinz in der blauen Uniform eines Leutnants zur See war umringt von Soldaten und Zivilisten, sein persönlicher Adjutant hatte Mühe, dem hohen Besucher den Weg hinüber zum Ufer zu ebnen, wo Prinz Alfred, nach einigen Ansprachen, den Grundstein für das neu zu errichtende Hafenbecken und die tausend Meter lange Wellenbrechermauer legte. Symbolisch warf er die ersten Steine ins Meer. Mit diesem Bauwerk würde das Anlanden in der Table Bay wesentlich gefahrloser vonstatten gehen können; der Hafen könnte von größeren Schiffen angelaufen werden.
Während die Honoratioren der Stadt, die ranghohen Militärs und Gesandten anderer Nationen dem Festakt beiwohnten, kam es auf der anderen Seite der Landungsbrücke zu Tumulten. Viele der Bootsbesitzer, die bislang mit ihren kleinen Schiffen die Ladung von den Handelsschiffen, die nicht in der Tafelbucht ankern konnten, gelöscht hatten, sahen ihre Existenz bedroht. Ebenso erging es den Lastenträgern, die laut rebellierten.
Es war immer noch besser, stundenlang bis zur Brust im eisig kalten Wasser zu stehen und eine Schiffsladung zu löschen, als ohne jede Arbeit zu sein. Der Fortschritt, so begrüßenswert er für viele auch sein mochte - für Hunderte von Schwarzen war er ein Schritt ins Elend. Darüber dachten die Feiernden nicht nach, die sich nach dem Festakt im Gouverneurspalast versammelten und gemeinsam mit Prinz Alfred ein üppiges Festbankett genossen. Sophie und Karl saßen am unteren Ende der Tafel, sie unterhielten sich angeregt mit Olivier de Meunière, einem französischen Diplomaten, der vor vier Tagen aus Wellington gekommen war. »Ein aufblühender Ort«, erzählte er. »Einst haben ihn die Hugenotten gegründet, und vieles dort erinnert noch an meine Vorfahren. In der Umgebung wird nicht nur Wein angebaut, es gibt Obstplantagen von einer Größe, wie Ihr sie noch nie gesehen habt. Ihr werdet angetan sein von der Landschaft - und den Menschen.« Seine Augen blitzten vor Begeisterung, während er sprach. »Ich freue mich nun noch mehr auf diese Reise«, versicherte ihm Sophie. »Es ist eine Freude, Euch zuzuhören. « »Hoffentlich langweile ich Euch nicht.« Olivier, etwa fünfzig Jahre alt, schlank und fast zwei Meter groß, deutete im Sitzen eine Verbeugung an. »Ich gestehe, dass ich erst seit wenigen Wochen in Afrika bin, und jeden Tag werde ich neu fasziniert von diesem Land.«
»Das verstehe ich gut.« Sophie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ihr müsst uns unbedingt besuchen kommen. « Nur wenn Ihr mir gleich, wenn der Ball eröffnet ist, den zweiten Tanz versprecht«, entgegnete der Franzose charmant.
3
Das darf nicht wahr sein!« Christopher Ruhland war unter der Sonnenbräune blass geworden. Sein Atem ging rasch und schwer, als er sich zu der dritten Reihe Reben wandte - und auch hier feststellen musste, dass die jungen Triebe schlaff und kraftlos waren. »Kimani, was ist mit der Bewässerungsanlage? Warum gibt es kein Wasser?« Der Vorarbeiter saß mit zusammengepressten Lippen auf seinem Pferd. Er sah Christopher nicht in die Augen, als er erklärte: »Seit vorgestern arbeiten wir daran, die Gräben zu reinigen und diesen Hang wieder mit Wasser zu versorgen. Aber das Gelände ist steinig, vier der Zuläufe sind ganz verschüttet nach dem Erdrutsch vorige Woche. Ich habe versucht, mit meinen Männern alles zu richten, aber wir haben es nicht geschafft.«
»Dann schick mehr Leute los, um Himmels willen! Wir dürfen nicht riskieren, dass die jungen Triebe verdorren! Das ist wichtiger als die Rodung der nördlichen Gebiete, die Vater im Frühjahr hinzugekauft hat.« Er schwang sich auf seinen Apfelschimmel, ein hochbeiniges Tier, das er vor Jahren selbst zugeritten hatte. Wotan gehorchte aufs Wort, Christopher musste ihn nicht anbinden, er blieb stets in der Nähe seines Herrn. »Das ist schon veranlasst. Aber wir müssen auch an der östlichen Grenze mehr Leute einsetzen. Da wüten drei Pavianhorden. Ich habe mir gestern erst den Schaden angesehen, den diese Mistviecher angerichtet haben. Wir müssen sie abknallen.« »Wenn es denn gelingt. Mehr als drei oder vier kann man nie erwischen. Sie flüchten ja schon beim ersten Schuss.« Er ließ sein Pferd in leichten Trab fallen. »Warum hast du mir nicht gestern schon Bescheid gesagt, Kimani?« Der Schwarze, der mehr als ein halbes Leben auf Hopeland verbracht hatte, hasste die Affen, die nicht nur Schäden in der Landwirtschaft und in den Weinbergen anrichteten, sondern immer wieder Kleinvieh angriffen und sogar vor Attacken auf Menschen nicht zurückschreckten, wenn sie sich bedroht fühlten. Will, der alte Kellermeister von Hopeland, hatte vor Jahren drei Finger durch einen Pavianbiss verloren. »Ich hatte gehofft, Euch damit nicht behelligen zu müssen.« Der Vorarbeiter zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.« »Schon gut, ihr werdet es aber hoffentlich heute schaffen.« Christopher tippte sich an den breitrandigen hellen Hut, der schon verschwitzt war. »Ich reite zurück zum Gut.« Es war drückend heiß, hoch stand die Sonne am Himmel, und im Westen ballten sich über dem weitläufigen Massiv des Tafelbergs die ersten Wolken zusammen. »Ob es ein Gewitter gibt?«
»Glaub ich nicht.« Kimani schüttelte den Kopf, und der alte löchrige Strohhut, ohne den man ihn nie sah, rutschte ein Stück in den Nacken. »Wenn es überhaupt regnet, dann nur in den Bergen.« »Dann wird Prinz Alfred ja auch nicht nass.« Christopher lachte auf. »Heute Abend ist das große Bankett in der Garnison - Mutter wird aufgeregt sein wie nie zuvor.« Er zog Wotans Zügel an. »Ich reite zurück zum Gut und schicke dir noch vier Männer hoch zu den Bewässerungsgräben.« Kimani nickte, dann gab er seinem Pferd leicht die Sporen und ritt hügelaufwärts. Christopher kontrollierte noch den alten Weinberg, der dem Gut am nächsten lag. Hier hatte einst sein Großvater, Ben Ruhland, die ersten Rebstöcke gepflanzt. Es gab auch noch etwa fünfzig sehr alte, knorrige Stöcke - um 1770 von Johannes Ruhland gepflanzt. Der Urahn war einst aus der deutschen Heimat ausgewandert, hatte im fernen Afrika ein neues Leben beginnen wollen. Doch allzu große Entbehrungen und Krankheiten hatten ihn scheitern lassen. Er musste nach Hause zurückkehren. Seine Sehnsucht nach dem fernen Kontinent war jedoch geblieben, er hatte sie seinem Enkel Benjamin vererbt. Und dieser hatte dann ebenfalls versucht, in Afrika sein Glück zu machen. Es war ihm gelungen! Hopeland war inzwischen ein weitläufiger, sehr ertragreicher Besitz, der vielen Menschen eine Heimat und Arbeit gab.
Schon Ben Ruhland, der Erbauer des Gutes, hatte es abgelehnt, Sklaven zu kaufen. Er entlohnte seine schwarzen Arbeiter gerecht, behandelte sie fair und wurde geachtet und geliebt. So hielten es auch sein Sohn und sein Enkel; wer auf Hopeland arbeitete, hatte hier eine Heimat gefunden.
Christopher war stolz auf das Weingut, das zu den vier besten Weinerzeugern der Region gehörte. Mit leuchtenden Augen sah er sich um, während er den Heimweg antrat. Weinberge erstreckten sich über alle Hügel der Umgebung. So weit das Auge reichte, sah man exakt gezogene Reihen von Rebstöcken. Der kleine Bachlauf, der im Norden entsprang und von dem ihm sein Vater oft erzählt hatte, dass es wegen dieses kostbaren Nasses viel Ärger mit den Nachbarn, den Lammersburgs, gegeben hatte, war inzwischen in viele kleine Kanäle geleitet worden. Das Bewässerungssystem hatte Karl vor mehr als zwanzig Jahren perfekt ausbauen lassen. Ebenso waren damals die Häuser für die Gutsarbeiter errichtet worden. Ein kleines Dorf war am südwestlichen Rand des Besitzes entstanden. Es war sauber dort, überall gab es Abwässerrinnen und sogar separat angebrachte Aborte. Karl Ruhland legte Wert auf Hygiene, und so waren seine Arbeiter gesund und die Weinkeller penibel sauber. Die großen Eichenfässer, in denen der kostbare Rebensaft lagerte, kontrollierte er am liebsten persönlich, er wusste, was es für Konsequenzen nach sich zog, wenn die Fässer schmutzig waren. Die Arbeit von Monaten konnte dann zunichte- gemacht werden. Als Christopher in den gepflasterten Gutshof einritt, fiel ihm gleich die ungewohnte Stille auf. Niemand war im Stall, als er Wotan in seine Box stellte. Und auch von den Küchenmädchen war keine zu sehen. Um diese Zeit saßen sie gern auf der Bank, die Kimani vor Jahren unter drei großen Eichen, die am nördlichen Rand des Gutshofes standen, gezimmert hatte.
»Was ist nur los?«, murmelte der Mann, als er den Stall verließ. Mit langen Schritten ging er aufs Wohngebäude zu, aus dem - es war höchst ungewöhnlich - kein Laut drang. Das weitläufige Haus im kapholländischen Stil war weiß getüncht und strahlte in der Sonne, der geschwungene Giebel über der Haustür war mit stilisierten Weinranken geschmückt. Auf den beiden Terrassen, der östlich gelegenen und der südlichen, standen in hohen Tonkübeln Rosenstöcke und Jasminbüsche, die süßen Duft verströmten. Alles wirkte so friedlich ... und doch spürte Christopher fast körperlich das Unheil, das geschehen sein musste.
Er ging ums Hauseck, hinüber zu den ersten Häusern der schwarzen Arbeiter. In einer der ältesten Hütten lebten Josy und Kimani. Gleich nebenan, in einem schmalen, schlichten Haus, vor dem nur drei alte Weinstöcke als Schmuck standen, wohnte Will, der altgediente Kellermeister.
Er saß, wie Christopher erleichtert feststellte, vor dem Haus in einem Schaukelstuhl. Das helle Korbgeflecht knarrte normalerweise im Wiegerhythmus, wenn Will darin saß und sich ausruhte. Es war dann so, als gäbe der Stuhl so den Vögeln, die in den alten Eichen sangen, den Takt vor. Heute aber war es still ...
Die Sonne brannte und tat seinen Augen weh. Leichter Wind wehte vom Atlantik herüber, kühlte die erhitzte Stirn und drohte die Zettel, die auf dem kleinen Tisch aus Zedernholz lagen, zur Erde zu wehen. Will beugte sich im Schaukelstuhl vor, stellte rasch eine Weinkaraffe auf die Blätter. Dann nahm er einen Schluck aus dem Glas, das griffbereit stand, ließ den Wein im Mund kreisen. Ja, das war ein exzellenter Jahrgang! Der beste seit langem! Will seufzte. Er spürte ein heftiges Stechen im Kopf, hin und wieder verschwamm die Landschaft, die er so gut kannte wie die Taschen seiner alten Leinenjacke, vor seinen Augen. Der große Schwarze, dessen krauses Haar mit den Jahren weiß geworden war, wischte sich übers Gesicht. Dann nahm er noch einen Schluck Wein, schloss die Augen und lauschte wieder dem Gesang der Vögel, die ein neues Lied zu üben schienen und sich auch durch die Hitze nicht stören ließen. Es kam Will so vor, als hätten sie nie zuvor so laut, so intensiv gesungen wie heute. Die Sonne verschwand hinter den Bäumen, wie Filigran wirkte das Blätterwerk der Eichen, die Will gemeinsam mit Ben Ruhland vor mehr als sechzig Jahren gepflanzt hatte. Der goldene Schein verklärte die Landschaft, und der alte Mann wollte die Hand vor die Augen legen, um besser über die Rebhänge sehen zu können. Dieses Land war auch sein Land. Hopeland war seine Heimat! Im Geist sah Will die Gesichter von Charlotte und Ben Ruhland vor sich. Die beiden winkten ihm zu. Und hinter ihnen stand Sina, seine Mutter. Sie und Ben Ruhland hatten einst Hopeland aufgebaut. Sina, die schwarze Sklavin, die der junge Winzer Ben gleich am ersten Tag seiner Ankunft in Kapstadt gekauft hatte, als man sie und ihren kleinen Sohn Will grausam zusammenschlagen wollte ...
»Onkel Will! Onkel Will! Hast du schon gehört, was passiert ist?« Auf ihren kleinen Beinchen kam Rahima auf ihn zu. Die Zöpfe, die ihre Mutter ihr gebunden hatte, standen wie kleine dicke Nägel von ihrem Köpfchen ab. Rahima wohnte mit ihren Eltern zwei Hütten weiter und war ein aufgewecktes Mädchen, das sich immer wieder zu Will schlich. Der alte Mann konnte so aufregende Geschichten erzählen! Heute aber reagierte Onkel Will kaum, er hob nur kurz die Hand und winkte ihr zu. Er atmete schwer, und als Rahima auf seinen Schoß klettern wollte, rutschte sie immer wieder ab, weil der alte Mann sie nicht aufnahm und stützte. »Onkel Will! Schläfst du?« Mit schräggelegtem Köpfchen, die großen dunklen Augen weit aufgerissen, sah das kleine Mädchen den Mann im Schaukelstuhl an. Seine Hand hielt ein Weinglas, aber er hatte alles verschüttet. Komisch, das machten Erwachsene doch nicht!
»Rahima - hol Josy.« Christopher kam mit langen Schritten näher. Seine Stimme klang heiser, aber Rahima hatte verstanden, was er gesagt hatte, und eilte los, so schnell sie es vermochte. Schon wenige Minuten später beugte sich Josy über Will, sanft rüttelte sie ihn an der Schulter. »Will? Hey, was ist mit dir?« Ihre Stimme zitterte, Angst nahm ihr den Atem. Sie versuchte, die zusammengesunkene Gestalt aufzurichten, aber es gelang nicht. Christopher zog Josy zurück und schüttelte sachte den Kopf. »Lass ihn. Er schläft.« »Aber doch nicht um diese Zeit!«
Der junge Winzer zog die schwarze Wirtschafterin, die er fast so sehr liebte wie eine Großmutter, behutsam an sich. »Er schläft für immer«, sagte er.
»Nein!« Josys Stimme war kaum zu hören. »Das darf er nicht! Will ... lass mich nicht allein hier.« Sie fiel auf die Knie, begann zu beten - und so hockte sie auch noch, als Karoline herbeigeeilt kam. Bestürzt und unendlich traurig hielten sie mit den Schwarzen Totenwache, bis die Sonne unterging und der Mond am nachtschwarzen Himmel seine Bahn zog. Er verschwand immer wieder hinter Wolken - es schien, als weine auch der Himmel um Will.
Langsam stieg die Sonne hinter den östlich gelegenen Weinbergen auf. Ein goldrotes Tuch legte sich über das Land, und die Tautropfen, die eben noch auf den zartgrünen Blättern der Rebstöcke geglitzert hatten, verdampften innerhalb weniger Minuten.
Karl Ruhland ließ den Blick weit über die grünen Hügel schweifen, und wie immer wurde sein Herz weit beim Anblick dieses von Gott gesegneten Fleckens Erde. Hopeland bestand erst seit fünfundsechzig Jahren, doch es war bereits eins der größten und bedeutendsten Weingüter Südafrikas. Mit Besonnenheit und viel Fleiß hatte Karls Vater das Gut aufgebaut, er hatte die schwarzen Arbeiter von Beginn an bezahlt, keine Sklaven gehalten, sondern dafür Sorge getragen, dass es allen Menschen auf Hopeland gut ging. Mit Fleiß und Treue war es ihm gedankt worden.
»Guten Morgen, Lieber.« Von Karl unbemerkt war Sophie hinter ihn getreten. Zart legte sie den Kopf an seine Schulter, schaute mit ihm hinaus auf die sonnendurchglühten Rebhänge. »Es wird heiß werden heute. Hoffentlich hat Kimani mit seinen Leuten gestern noch einmal die Grenzzäune an der Ostseite geprüft. Du weißt, mit den Leuten von Gut Summerset gibt es immer wieder Ärger.« Sie biss sich auf die Lippen. »Verzeih, ich wollte nicht an die alten Wunden rühren.« Für einen Moment verhärtete sich Karl Ruhlands Gesicht. »Ach, weißt du, ich denke auch viel an meine Schwester und ihren Mann. Die beiden haben so viel Leid über unsere Familie gebracht. Ich werde es Madeleine nie verzeihen können, dass sie den Mörder meines Bruders geheiratet hat. Mutter hat es das Herz gebrochen.« Karl Ruhland, mit seinen einundsechzig Jahren immer noch stattlich, wandte Sophie sein sonnengebräuntes Gesicht zu. »Aber du hast recht, davon wollen wir heute nicht reden. Diese Familienfehde soll uns die Tage in Kapstadt nicht verderben.«
»Ich mache mir aber Sorgen. Ich ...« Sophie biss sich kurz auf die Lippen. »Ich habe so ein ungutes Gefühl. Madeleine hat lange nichts von sich hören lassen. Vor zwei Jahren hat sie das letzte Mal geschrieben.«
»Und Geld haben wollen. Als ich ihr nicht die gewünschte Summe transferiert habe, sondern nur einen Bruchteil davon, hat sie sich nicht mehr gemeldet.« »Eben. Das stimmt mich besorgt. Und ihr Verwalter drüben auf Summerset ist auch beängstigend ruhig.« Karl lächelte, ein kleiner Faltenkranz entstand dabei um seine dunklen Augen. »Vielleicht hat er endlich eingesehen, dass er nichts gegen uns ausrichten kann. Mit dem Besitz geht es immer mehr bergab, ich bin sicher, dass Madeleine über kurz oder lang verkaufen muss. Aber das soll uns nicht kümmern. Komm, gehen wir hinunter zu Christopher. Er will gleich nach unserer Abreise mit einem Kontrollritt beginnen.« Stolz schwang in seiner Stimme mit, als er hinzufügte: »Er macht seine Sache ausgezeichnet, unser Sohn. Ich habe es nicht eine Stunde lang bereut, ihm vor einem Jahr die Verantwortung für Hopeland übertragen zu haben.« Er wies hinunter zum Gutshof. »Schau nur, er geht schon zum Stall.«
Es schien, als hätte Christopher gespürt, dass seine Eltern ihn beobachteten. Er schaute kurz hoch zum Gutshaus, hob die Hand und winkte den beiden zu. Gerade als er die Stalltür erreicht hatte, wurde diese von innen geöffnet. Der junge Stallmeister führte einen gesattelten Apfelschimmel auf den Hof. Karl Ruhland lachte leise. »Da haben Josy und Kimani ihren Enkel aber früh aus den Federn geworfen!«
Sophie lächelte. »Seit du ihn zum Stallmeister gemacht hast, ist Pandu ungemein fleißig geworden. Unsere treue Josy ist sehr stolz auf ihn, und das mit Recht!« »Er hat sich ja auch wirklich gut entwickelt.« Karl wandte sich ins Zimmer zurück. »Vor zwei Jahren, kurz nach dem Tod seiner Eltern, war er noch undiszipliniert und leichtsinnig. Um nicht zu sagen arbeitsscheu. Aber inzwischen ...« Er zog sich einen leichten Hausmantel über, »inzwischen ist er unserem Sohn eine wirkliche Stütze.«
Sophie Ruhland, mit ihren dreiundfünfzig Jahren immer noch eine sehr schöne Frau mit schlanker Gestalt, nickte. Sie trat ebenfalls vom Fenster zurück und ging zu ihrem kleinen Frisiertisch, der an der rechten Seite des geräumigen Schlafraums stand. Sophies langes dunkles Haar wies nur vereinzelt graue Fäden auf, sie kämmte es sorgfältig, dann steckte sie es geschickt mit drei breiten Schildpattkämmen auf. Während sie ganz mechanisch diese Handgriffe tätigte, gingen ihre Gedanken um drei Jahrzehnte zurück. Madeleine, Karls Schwester, war ein wildes junges Mädchen gewesen. Klug, aber eigensinnig. Neugierig auf die große, unbekannte Welt und leidenschaftlich. Und genau diese Neugier und Leidenschaft hatten sie in die Arme von Johannes Lammersburg getrieben, einem mehr als zwanzig Jahre älteren Mann, dessen Vater von Beginn an der größte Feind der Ruhlands gewesen war.
Als der junge Ben Ruhland im Jahr 1795 ans Kap gekommen war, um sich hier als Winzer eine Existenz aufzubauen, gab es gleich zu Beginn handgreifliche Auseinandersetzungen mit seinen Nachbarn, den Lammersburgs. Die Herren von Gut Summerset beanspruchten die Wasserrechte für sich allein, sie zerstörten die Gräben, die der junge Ben mühevoll errichtet hatte, sie gingen keinem Händel aus dem Weg. Eines Tages griffen sie den deutschstämmigen Winzer sogar massiv an, nur mit Mühe konnte Ben sein Leben retten. Tagelang lag er mit starkem Wundfieber in der armseligen Hütte, die seine erste Behausung war. Gepflegt wurde er von Sina, einer bildhübschen schwarzen Sklavin, der er am Tag seiner Ankunft in Kapstadt begegnet war und die er aus Mitleid von ihrem brutalen Herrn freigekauft hatte. Sinas Sohn Will, damals ein kleiner Junge von fünf Jahren, war nun Kellermeister auf Hopeland. Treu und sehr ergeben arbeitete er für den Sohn des Mannes, der ihm und seiner Mutter einst die Freiheit geschenkt hatte.
Kaum jemand ahnte, wie sehr auch Sina und Will unter den Lammersburgs gelitten hatten. Sina hatte Ben nie genau erzählt, was sie mit ihren ersten Herren erlebt - und durch sie erlitten hatte. Doch sie hasste Johannes Lammersburg und seinen brutalen Vater mindestens so sehr, wie Ben Ruhland es tat.
Es gab nur einen Menschen auf Hopeland, der damals mit den streitsüchtigen Nachbarn Kontakt hielt: Sebastian, Ben Ruhlands zweitgeborener Sohn. Leicht fertig war er, fast so gewissenlos wie Johannes Lammersburg, sein älterer Freund, mit dem er nur zu gern die Wirtshäuser und Bordelle von Kapstadt aufsuchte. Tagelang konnten sich die beiden Männer auf diese Weise amüsieren. Auch die Jagdleidenschaft teilten sie - ein Vergnügen, das eines Tages in einem tragischen Unglück endete: Bei der Jagd auf wilde Paviane erschoss Johannes versehentlich seinen Freund. Dieses Geschehen vertiefte den Graben zwischen den beiden Familien noch mehr.
Johannes mied Gut Hopeland lange Zeit hindurch, geplagt von seinem schlechten Gewissen und der Angst, sich für seine Tat doch noch verantworten zu müssen. Dann aber sah er Madeleine - und verfiel dem jungen, leidenschaftlichen Mädchen mit Haut und Haar. Immer wieder trafen sie sich heimlich, und wenn sich Ben Ruhlands Tochter auch darüber klar war, dass sie ihren Eltern mit ihrem Verhalten das Herz brach, so konnte sie doch gegen ihre Gefühle nicht an. Bar jeder Moral gab sie sich Johannes hin und ging eines Tages mit ihm fort in die Fremde.
Johannes Lammersburg ... wie sehr ihn die Ruhlands hassten und verachteten! Doch Madeleine liebte ihn - und folgte ihm erst nach Kairo, dann nach Cornwall und Brighton. Wo sie im Augenblick lebte, wusste niemand auf Hopeland.
Entschlossen verdrängte Sophie die Gedanken an die Schwägerin und die tristen Erinnerungen, die ihr immer wieder die gute Stimmung zu verderben pflegten. »Lass uns hinuntergehen und frühstücken«, sagte sie und stand auf. »Wenn wir uns beeilen, sind wir noch vor der Mittagshitze in der Stadt.« Hopeland lag östlich von Kapstadt, etwa drei Stunden Kutschfahrt musste man einkalkulieren, um zu dem weitläufigen Besitz zu gelangen. Karl konnte sich noch gut daran erinnern, dass er als kleiner Junge die Fahrten in die Stadt als Abenteuer empfunden hatte. Wenn sein Vater ihn mit zum Hafen nahm, war dies für Karl immer wie ein Ausflug in eine andere Welt gewesen. Die fremden Gerüche, die Menschen aus vielerlei Nationen, die durch die Straßen liefen oder sich in den Kneipen trafen ... exotisch war das für Karl gewesen.
Auch heutzutage war die Gegend nahe am Wasser noch ein Kosmos für sich. Kleine Häuser standen dicht an dicht; teilweise waren sie windschief oder drohten zu verfallen, da sie noch aus dem siebzehnten Jahrhundert stammten, aus der Zeit, da Jan van Riebeeck diesen Ort dazu ausersehen hatte, Anlaufstelle für die Handelsschiffe auf dem Weg nach Indien zu sein. Morsche Holzschuppen, neuere Lagerhallen, düstere Kneipen und massiv gebaute Verwaltungsgebäude der verschiedenen Handelsgesellschaften wechselten sich ab. Dazwischen fanden sich immer wieder Wirtshäuser mit düsteren Hinterhöfen und Bordelle, in denen es wie eh und je hoch herging, wenn wieder ein neues Schiff in den Hafen einlief.
Es war eine Welt, die sich von dem Leben im Stadtkern von Kapstadt gravierend unterschied.
In den letzten Jahrzehnten waren immer größere, prachtvollere Häuser errichtet worden. Weiß oder gelb getüncht und mit Ornamenten verziert, zeugten sie vom neuen Reichtum der Bewohner, die aus England, Holland, dem preußischen oder habsburgischen Reich hergekommen waren und am Kap eine neue Heimat gefunden hatten. Seit 1859 wurde an der Eisenbahn strecke von Kapstadt nach Wellington, der nordöstlich gelegenen Siedlung im Weinland, gebaut. Für die meisten Bewohner der Region war diese neumodische Errungenschaft wie ein Wunder, jeder wollte dieses Gefährt bestaunen, doch viele gestanden ein, dass sie Angst hätten, einmal einen Zug zu besteigen.
Sophie und Karl hingegen waren gespannt darauf, zum ersten Mal mit einer Eisenbahn fahren zu können. Mit dem Amerikaner Cornelius Vanderbilt stand Sophie in regem Schriftwechsel. Ihr Vater, vor drei Jahren verstorben, war mit dem visionären Reeder, der sein Vermögen einst mit dem Betrieb von Segelschiffen gemacht hatte und nun in Amerika einige Eisenbahnlinien betrieb, gut bekannt gewesen. Vor einigen Monaten bereits hatte Cornelius Vanderbilt die Ruhlands eingeladen, ihn zu besuchen. Während Karl die weite Seereise scheute, war Sophie begierig darauf, die Neue Welt kennenzulernen, und hatte diese Einladung angenommen - wenn der Termin der Reise auch noch nicht feststand.
Josy, die Schwarze, die seit mehr als vier Jahrzehnten auf dem Gut lebte, schenkte Kaffee aus. Als blutjunges Ding war sie einst nach Hopeland gekommen und war der Familie eng verbunden. »Wir fahren gleich nach dem Frühstück los«, sagte Sophie. »Hast du alles gepackt, Josy?«
»Alles ist fertig, Missis Sophie. Die Kutsche steht bereit, die Koffer sind aufgeladen.« »Danke.« Sophie nickte ihr zu. »Ist meine Schwiegertochter schon aufgestanden?« Ein Lächeln glitt über Josys Gesicht. »Sie stillt das Baby. Klein Charlotte war ziemlich unruhig in der letzten Nacht.« »Sie ist doch nicht krank?«, erkundigte sich Karl Ruhland besorgt.
»Aber nein! Ich denke, die ersten Zähnchen machen ihr Probleme.« Sie wandte sich um, als ein kleiner Junge mit lockigem, braunschwarzem Haar ins Zimmer stürmte. Er trug kurze dunkelblaue Hosen und dazu ein hellblaues Leinenhemd, das er nicht ganz zugeknöpft hatte. »Victor! Hab ich dir nicht gesagt, du sollst warten, bis ich komme und dich hole?«, schimpfte Josy liebevoll. »Hab aber jetzt Hunger!« Der Vierjährige lief zu Sophie und schmiegte sich an sie. »Granny, bekomme ich heute Pfannkuchen mit Sirup?« Er schob trotzig die Unterlippe vor. »Victor hat keinen Hunger auf Brei. Bin doch kein Baby mehr!« Sophie strich ihrem ältesten Enkel zärtlich übers Haar. »Natürlich bekommst du Pfannkuchen.« »Oder magst du lieber Eier mit Speck?« Karl schob ein Stück des knusprigen Frühstücksspecks auf die Gabel. »Schmeckt sehr gut. Und macht stark!« »Ja. Das mag ich auch!« Victor, der seinen Namen in Anlehnung an Queen Victoria bekommen hatte, nickte begeistert und kletterte neben seinen Großvater auf einen hochbeinigen Mahagonistuhl.
»Ich hole ihm noch eine Portion«, bot Josy an. »Ach was, er kann meinen Rest essen. Ich bin satt.« Karl schob dem kleinen Jungen seinen Teller hin. »Lass es dir schmecken, Junior.« »Danke.« Victor nahm das erste Stück Bacon, dazu etwas Ei, und kaute begeistert. Dass sein Hemd ein paar Fettspritzer abbekam, störte ihn nicht. Als seine Großmutter ihm eine Leinenserviette reichte, legte der kleine Junge sie achtlos beiseite.
»Lass ihn heute mal«, meinte Karl, »er genießt sein Frühstück, dass es eine Freude ist, ihm zuzusehen.« Sophie sah ebenfalls lächelnd auf den Vierjährigen, der in diesem Moment versuchte, ein besonders großes Stück des knusprigen Frühstücksspecks auf die Gabel zu spießen. Als es nicht gelang, nahm er einfach die Finger. Sophie wollte ihn ermahnen, doch dann ließ sie es, sie wollte Victor die Freude an dem außergewöhnlichen Frühstück nicht nehmen. Stattdessen nestelte sie ihre goldene Taschenuhr, die an der Rückseite mit einer Rose aus kleinen Flussperlen geschmückt war, hervor und warf einen Blick darauf. »Wir müssen gleich aufbrechen«, sagte sie mahnend.
»Ich bin fertig.« Karl schob seinen Stuhl zurück. »Dir noch einen guten Appetit, mein Kleiner. Gleich kommt deine Mama und leistet dir Gesellschaft.« Er hatte noch nicht ausgesprochen, da kam Karoline Ruhland herein, das Baby auf dem Arm, das satt und zufrieden den Kopf an die Schulter der Mutter gelegt hatte. An diesem Morgen trug Karoline ihr blondes Haar offen, nur an den Seiten hatte sie es mit Perlen- kämmen locker festgesteckt. Im Nacken rieselten die weichen Locken bis fast zur Taille. »Ihr wollt gleich losfahren, nicht wahr?« Sie ging zu Sophie und küsste sie auf die Wange. »Ich würde euch so gern begleiten! Prinz Alfred aus der Nähe sehen zu können, stelle ich mir aufregend vor!«
»Er legt nur den Grundstein für ein Hafenbecken«, warf Karl Ruhland ein. »Ich glaube nicht, dass sich Seine Hoheit lange an der Table Bay aufhalten wird.«
»Trotzdem ... wann sieht man mal ein Mitglied des englischen Königshauses?« Karoline nahm ihrer kleinen Tochter eine Locke aus der Hand. »Du, das tut mir weh«, lachte sie dabei. Dann wandte sie sich wieder an die Schwiegereltern. »Mutter, du musst mir hinterher genau erzählen, wie er ausgesehen hat - und was die Damen in seiner Begleitung anhatten. - Ach, ich beneide euch! Aber solange ich stille, bin ich hier angebunden.« Sie lachte ihre kleine Tochter an. »Das hört bald auf, mein Schatz! Du bekommst schon Zähnchen, kannst Brei essen und brauchst mich dann nicht mehr.« »Dann kannst du mit deinem Mann eine Fahrt nach Kapstadt machen und dich entspannen.« Karl Ruhland ging zur Tür. »Wenn wir zurück sind, soll sich Christopher ein paar Tage freinehmen.«
Karoline trat dicht vor ihn und gab ihm einen Kuss. »Danke, ihr seid so lieb zu mir - zu uns«, korrigierte sie sich rasch. »Und du bist die beste Schwiegertochter, die wir bekommen konnten«, gab Sophie zurück. Sie hatte Karoline von Stetten vom ersten Augenblick an sehr gemocht. Die Tochter eines deutschen Winzers war nicht nur hübsch und charmant, sie war auch sehr klug und verstand viel von der Arbeit auf einem Weingut. Die Familie stammte aus dem Badischen, hatte dort über vierzig Jahre lang drei große Weinberge bearbeitet. Ein Erbschaftsstreit mit seinem Bruder hatte den jungen Witwer Hanno von Stetten schließlich bewogen, vor elf Jahren nach Südafrika auszuwandern und dort neu zu beginnen. Ein Weingut in der Nähe von Groot Constantia stand zum Verkauf, er erwarb den heruntergekommenen Besitz und machte ihn bald zu einem der bedeutendsten Güter des Landes. Karoline war seine einzige Tochter, er liebte sie sehr und war zunächst nicht erfreut gewesen, als Christopher Ruhland um sie warb. Inzwischen schätzte er seinen Schwiegersohn, war mit Sophie und Karl befreundet und ein gerngesehener Gast auf Hopeland.
»Viel Vergnügen - und kommt gesund zurück.« Karoline ging mit Sophie und Karl hinunter in den weitläufigen, mit grauen Granitsteinen gepflasterten Hof und sah zu, wie sie die Kutsche bestiegen, die schon mit drei großen Koffern beladen war. »Auf Wiedersehen, ihr beiden.« Sophie küsste erst ihre kleine Enkelin, dann die Schwiegertochter. »Wir sind in zwei Wochen zurück.«
»Wenn nicht schon früher«, sagte Karl. »Du willst nicht lange von Hopeland fernbleiben, ich kenne dich«, meinte Sophie schmunzelnd. »Aber ich möchte mal wieder ins Theater gehen, ein paar Freunde in der Stadt treffen und, wie gesagt, mit der Eisenbahn bis Wellington fahren. Der kleine Ort soll sich sehr schnell entwickeln und ganz bezaubernd sein.«
»Die gesamte Kapprovinz entwickelt sich rasant«, sinnierte Karl. »Was sich in den letzten Jahrzehnten verändert hat, ist gewaltig. Aus einer kleinen Garnison, einem Vorposten der Europäer auf dem Weg nach Indien, ist eine der wichtigsten Kolonien Ihrer Majestät, Queen Victoria, geworden. Jede Woche kommen neue Siedler. Wie ich hörte, sogar Inder, die auf den Zuckerrohrplantagen arbeiten sollen.« »Die Welt verändert sich - und wir sind ein Teil des Fortschritts.« Sophie hakte sich bei ihm ein und zog ihn zur Tür.
2
Kapstadt hatte sich herausgeputzt, um den zweiten Sohn der englischen Königin gebührend zu empfangen. Fahnen wehten auf dem Gebäude der englischen Garnison, auch im Stadtinnern waren einige Häuser geschmückt. Im Hafengebiet war wochenlang versucht worden, die größten Schandflecke zu beseitigen und den Unrat zu entfernen. Allerdings mit mäßigem Erfolg. Ratten und Hunde kamen immer wieder aus ihren Verstecken und fraßen die Abfälle, die sich am Straßenrand oder in den Hinterhöfen der Spelunken ansammelten.
»Da liegt die Euryalus, schau nur!« Mit ausgestrecktem Arm deutete Karl Ruhland zum Hafen, wo die Fregatte vertäut lag. Es war ein schnelles Kriegsschiff, mit dem der Prinz, der eine seemännische Ausbildung genossen hatte, die Kapkolonie besuchte. »Er ist nicht zu sehen«, stellte Sophie ein wenig enttäuscht fest. »Aber Liebling, Seine Hoheit wird sich gewiss noch in der Garnison aufhalten.« »Ob wir ihm auf dem Ball, den der Gouverneur zu seinen Ehren geben wird, wohl vorgestellt werden?«, sinnierte Sophie. »Du, ich bin ganz aufgeregt bei diesem Gedanken.« Sie gingen weiter, erreichten nach einer halben Stunde die Tribüne, die extra zu diesem Zweck aufgebaut worden war. »Welch ein Glück, dass ich nur einen kleinen Hut aufgesetzt habe. So eine Enge herrscht hier ... man muss ja Angst haben, zerquetscht zu werden.« Sophie Ruhland atmete auf, als sie mit Karl die ihr zugewiesenen Ehrenplätze erreicht hatte. Sie richtete rasch das weite blau-weiß gestreifte Kleid aus teurem Taft, dann steckte sie den dunkelblauen kleinen Strohhut, der mit weißen Ripsbändern und einer Seidenkamelie verziert war, mit einer langen Hutnadel wieder fest. »Jeder will bei der Grundsteinlegung dabei sein.« Karl deutete hinüber zum Hafen. »Da! Prinz Alfred mit Gefolge ist soeben eingetroffen! Drüben steht er, rechts von der großen Landungsbrücke!«
Der stattliche Prinz in der blauen Uniform eines Leutnants zur See war umringt von Soldaten und Zivilisten, sein persönlicher Adjutant hatte Mühe, dem hohen Besucher den Weg hinüber zum Ufer zu ebnen, wo Prinz Alfred, nach einigen Ansprachen, den Grundstein für das neu zu errichtende Hafenbecken und die tausend Meter lange Wellenbrechermauer legte. Symbolisch warf er die ersten Steine ins Meer. Mit diesem Bauwerk würde das Anlanden in der Table Bay wesentlich gefahrloser vonstatten gehen können; der Hafen könnte von größeren Schiffen angelaufen werden.
Während die Honoratioren der Stadt, die ranghohen Militärs und Gesandten anderer Nationen dem Festakt beiwohnten, kam es auf der anderen Seite der Landungsbrücke zu Tumulten. Viele der Bootsbesitzer, die bislang mit ihren kleinen Schiffen die Ladung von den Handelsschiffen, die nicht in der Tafelbucht ankern konnten, gelöscht hatten, sahen ihre Existenz bedroht. Ebenso erging es den Lastenträgern, die laut rebellierten.
Es war immer noch besser, stundenlang bis zur Brust im eisig kalten Wasser zu stehen und eine Schiffsladung zu löschen, als ohne jede Arbeit zu sein. Der Fortschritt, so begrüßenswert er für viele auch sein mochte - für Hunderte von Schwarzen war er ein Schritt ins Elend. Darüber dachten die Feiernden nicht nach, die sich nach dem Festakt im Gouverneurspalast versammelten und gemeinsam mit Prinz Alfred ein üppiges Festbankett genossen. Sophie und Karl saßen am unteren Ende der Tafel, sie unterhielten sich angeregt mit Olivier de Meunière, einem französischen Diplomaten, der vor vier Tagen aus Wellington gekommen war. »Ein aufblühender Ort«, erzählte er. »Einst haben ihn die Hugenotten gegründet, und vieles dort erinnert noch an meine Vorfahren. In der Umgebung wird nicht nur Wein angebaut, es gibt Obstplantagen von einer Größe, wie Ihr sie noch nie gesehen habt. Ihr werdet angetan sein von der Landschaft - und den Menschen.« Seine Augen blitzten vor Begeisterung, während er sprach. »Ich freue mich nun noch mehr auf diese Reise«, versicherte ihm Sophie. »Es ist eine Freude, Euch zuzuhören. « »Hoffentlich langweile ich Euch nicht.« Olivier, etwa fünfzig Jahre alt, schlank und fast zwei Meter groß, deutete im Sitzen eine Verbeugung an. »Ich gestehe, dass ich erst seit wenigen Wochen in Afrika bin, und jeden Tag werde ich neu fasziniert von diesem Land.«
»Das verstehe ich gut.« Sophie legte ihm die Hand auf den Arm. »Ihr müsst uns unbedingt besuchen kommen. « Nur wenn Ihr mir gleich, wenn der Ball eröffnet ist, den zweiten Tanz versprecht«, entgegnete der Franzose charmant.
3
Das darf nicht wahr sein!« Christopher Ruhland war unter der Sonnenbräune blass geworden. Sein Atem ging rasch und schwer, als er sich zu der dritten Reihe Reben wandte - und auch hier feststellen musste, dass die jungen Triebe schlaff und kraftlos waren. »Kimani, was ist mit der Bewässerungsanlage? Warum gibt es kein Wasser?« Der Vorarbeiter saß mit zusammengepressten Lippen auf seinem Pferd. Er sah Christopher nicht in die Augen, als er erklärte: »Seit vorgestern arbeiten wir daran, die Gräben zu reinigen und diesen Hang wieder mit Wasser zu versorgen. Aber das Gelände ist steinig, vier der Zuläufe sind ganz verschüttet nach dem Erdrutsch vorige Woche. Ich habe versucht, mit meinen Männern alles zu richten, aber wir haben es nicht geschafft.«
»Dann schick mehr Leute los, um Himmels willen! Wir dürfen nicht riskieren, dass die jungen Triebe verdorren! Das ist wichtiger als die Rodung der nördlichen Gebiete, die Vater im Frühjahr hinzugekauft hat.« Er schwang sich auf seinen Apfelschimmel, ein hochbeiniges Tier, das er vor Jahren selbst zugeritten hatte. Wotan gehorchte aufs Wort, Christopher musste ihn nicht anbinden, er blieb stets in der Nähe seines Herrn. »Das ist schon veranlasst. Aber wir müssen auch an der östlichen Grenze mehr Leute einsetzen. Da wüten drei Pavianhorden. Ich habe mir gestern erst den Schaden angesehen, den diese Mistviecher angerichtet haben. Wir müssen sie abknallen.« »Wenn es denn gelingt. Mehr als drei oder vier kann man nie erwischen. Sie flüchten ja schon beim ersten Schuss.« Er ließ sein Pferd in leichten Trab fallen. »Warum hast du mir nicht gestern schon Bescheid gesagt, Kimani?« Der Schwarze, der mehr als ein halbes Leben auf Hopeland verbracht hatte, hasste die Affen, die nicht nur Schäden in der Landwirtschaft und in den Weinbergen anrichteten, sondern immer wieder Kleinvieh angriffen und sogar vor Attacken auf Menschen nicht zurückschreckten, wenn sie sich bedroht fühlten. Will, der alte Kellermeister von Hopeland, hatte vor Jahren drei Finger durch einen Pavianbiss verloren. »Ich hatte gehofft, Euch damit nicht behelligen zu müssen.« Der Vorarbeiter zuckte mit den Schultern. »Tut mir leid.« »Schon gut, ihr werdet es aber hoffentlich heute schaffen.« Christopher tippte sich an den breitrandigen hellen Hut, der schon verschwitzt war. »Ich reite zurück zum Gut.« Es war drückend heiß, hoch stand die Sonne am Himmel, und im Westen ballten sich über dem weitläufigen Massiv des Tafelbergs die ersten Wolken zusammen. »Ob es ein Gewitter gibt?«
»Glaub ich nicht.« Kimani schüttelte den Kopf, und der alte löchrige Strohhut, ohne den man ihn nie sah, rutschte ein Stück in den Nacken. »Wenn es überhaupt regnet, dann nur in den Bergen.« »Dann wird Prinz Alfred ja auch nicht nass.« Christopher lachte auf. »Heute Abend ist das große Bankett in der Garnison - Mutter wird aufgeregt sein wie nie zuvor.« Er zog Wotans Zügel an. »Ich reite zurück zum Gut und schicke dir noch vier Männer hoch zu den Bewässerungsgräben.« Kimani nickte, dann gab er seinem Pferd leicht die Sporen und ritt hügelaufwärts. Christopher kontrollierte noch den alten Weinberg, der dem Gut am nächsten lag. Hier hatte einst sein Großvater, Ben Ruhland, die ersten Rebstöcke gepflanzt. Es gab auch noch etwa fünfzig sehr alte, knorrige Stöcke - um 1770 von Johannes Ruhland gepflanzt. Der Urahn war einst aus der deutschen Heimat ausgewandert, hatte im fernen Afrika ein neues Leben beginnen wollen. Doch allzu große Entbehrungen und Krankheiten hatten ihn scheitern lassen. Er musste nach Hause zurückkehren. Seine Sehnsucht nach dem fernen Kontinent war jedoch geblieben, er hatte sie seinem Enkel Benjamin vererbt. Und dieser hatte dann ebenfalls versucht, in Afrika sein Glück zu machen. Es war ihm gelungen! Hopeland war inzwischen ein weitläufiger, sehr ertragreicher Besitz, der vielen Menschen eine Heimat und Arbeit gab.
Schon Ben Ruhland, der Erbauer des Gutes, hatte es abgelehnt, Sklaven zu kaufen. Er entlohnte seine schwarzen Arbeiter gerecht, behandelte sie fair und wurde geachtet und geliebt. So hielten es auch sein Sohn und sein Enkel; wer auf Hopeland arbeitete, hatte hier eine Heimat gefunden.
Christopher war stolz auf das Weingut, das zu den vier besten Weinerzeugern der Region gehörte. Mit leuchtenden Augen sah er sich um, während er den Heimweg antrat. Weinberge erstreckten sich über alle Hügel der Umgebung. So weit das Auge reichte, sah man exakt gezogene Reihen von Rebstöcken. Der kleine Bachlauf, der im Norden entsprang und von dem ihm sein Vater oft erzählt hatte, dass es wegen dieses kostbaren Nasses viel Ärger mit den Nachbarn, den Lammersburgs, gegeben hatte, war inzwischen in viele kleine Kanäle geleitet worden. Das Bewässerungssystem hatte Karl vor mehr als zwanzig Jahren perfekt ausbauen lassen. Ebenso waren damals die Häuser für die Gutsarbeiter errichtet worden. Ein kleines Dorf war am südwestlichen Rand des Besitzes entstanden. Es war sauber dort, überall gab es Abwässerrinnen und sogar separat angebrachte Aborte. Karl Ruhland legte Wert auf Hygiene, und so waren seine Arbeiter gesund und die Weinkeller penibel sauber. Die großen Eichenfässer, in denen der kostbare Rebensaft lagerte, kontrollierte er am liebsten persönlich, er wusste, was es für Konsequenzen nach sich zog, wenn die Fässer schmutzig waren. Die Arbeit von Monaten konnte dann zunichte- gemacht werden. Als Christopher in den gepflasterten Gutshof einritt, fiel ihm gleich die ungewohnte Stille auf. Niemand war im Stall, als er Wotan in seine Box stellte. Und auch von den Küchenmädchen war keine zu sehen. Um diese Zeit saßen sie gern auf der Bank, die Kimani vor Jahren unter drei großen Eichen, die am nördlichen Rand des Gutshofes standen, gezimmert hatte.
»Was ist nur los?«, murmelte der Mann, als er den Stall verließ. Mit langen Schritten ging er aufs Wohngebäude zu, aus dem - es war höchst ungewöhnlich - kein Laut drang. Das weitläufige Haus im kapholländischen Stil war weiß getüncht und strahlte in der Sonne, der geschwungene Giebel über der Haustür war mit stilisierten Weinranken geschmückt. Auf den beiden Terrassen, der östlich gelegenen und der südlichen, standen in hohen Tonkübeln Rosenstöcke und Jasminbüsche, die süßen Duft verströmten. Alles wirkte so friedlich ... und doch spürte Christopher fast körperlich das Unheil, das geschehen sein musste.
Er ging ums Hauseck, hinüber zu den ersten Häusern der schwarzen Arbeiter. In einer der ältesten Hütten lebten Josy und Kimani. Gleich nebenan, in einem schmalen, schlichten Haus, vor dem nur drei alte Weinstöcke als Schmuck standen, wohnte Will, der altgediente Kellermeister.
Er saß, wie Christopher erleichtert feststellte, vor dem Haus in einem Schaukelstuhl. Das helle Korbgeflecht knarrte normalerweise im Wiegerhythmus, wenn Will darin saß und sich ausruhte. Es war dann so, als gäbe der Stuhl so den Vögeln, die in den alten Eichen sangen, den Takt vor. Heute aber war es still ...
Die Sonne brannte und tat seinen Augen weh. Leichter Wind wehte vom Atlantik herüber, kühlte die erhitzte Stirn und drohte die Zettel, die auf dem kleinen Tisch aus Zedernholz lagen, zur Erde zu wehen. Will beugte sich im Schaukelstuhl vor, stellte rasch eine Weinkaraffe auf die Blätter. Dann nahm er einen Schluck aus dem Glas, das griffbereit stand, ließ den Wein im Mund kreisen. Ja, das war ein exzellenter Jahrgang! Der beste seit langem! Will seufzte. Er spürte ein heftiges Stechen im Kopf, hin und wieder verschwamm die Landschaft, die er so gut kannte wie die Taschen seiner alten Leinenjacke, vor seinen Augen. Der große Schwarze, dessen krauses Haar mit den Jahren weiß geworden war, wischte sich übers Gesicht. Dann nahm er noch einen Schluck Wein, schloss die Augen und lauschte wieder dem Gesang der Vögel, die ein neues Lied zu üben schienen und sich auch durch die Hitze nicht stören ließen. Es kam Will so vor, als hätten sie nie zuvor so laut, so intensiv gesungen wie heute. Die Sonne verschwand hinter den Bäumen, wie Filigran wirkte das Blätterwerk der Eichen, die Will gemeinsam mit Ben Ruhland vor mehr als sechzig Jahren gepflanzt hatte. Der goldene Schein verklärte die Landschaft, und der alte Mann wollte die Hand vor die Augen legen, um besser über die Rebhänge sehen zu können. Dieses Land war auch sein Land. Hopeland war seine Heimat! Im Geist sah Will die Gesichter von Charlotte und Ben Ruhland vor sich. Die beiden winkten ihm zu. Und hinter ihnen stand Sina, seine Mutter. Sie und Ben Ruhland hatten einst Hopeland aufgebaut. Sina, die schwarze Sklavin, die der junge Winzer Ben gleich am ersten Tag seiner Ankunft in Kapstadt gekauft hatte, als man sie und ihren kleinen Sohn Will grausam zusammenschlagen wollte ...
»Onkel Will! Onkel Will! Hast du schon gehört, was passiert ist?« Auf ihren kleinen Beinchen kam Rahima auf ihn zu. Die Zöpfe, die ihre Mutter ihr gebunden hatte, standen wie kleine dicke Nägel von ihrem Köpfchen ab. Rahima wohnte mit ihren Eltern zwei Hütten weiter und war ein aufgewecktes Mädchen, das sich immer wieder zu Will schlich. Der alte Mann konnte so aufregende Geschichten erzählen! Heute aber reagierte Onkel Will kaum, er hob nur kurz die Hand und winkte ihr zu. Er atmete schwer, und als Rahima auf seinen Schoß klettern wollte, rutschte sie immer wieder ab, weil der alte Mann sie nicht aufnahm und stützte. »Onkel Will! Schläfst du?« Mit schräggelegtem Köpfchen, die großen dunklen Augen weit aufgerissen, sah das kleine Mädchen den Mann im Schaukelstuhl an. Seine Hand hielt ein Weinglas, aber er hatte alles verschüttet. Komisch, das machten Erwachsene doch nicht!
»Rahima - hol Josy.« Christopher kam mit langen Schritten näher. Seine Stimme klang heiser, aber Rahima hatte verstanden, was er gesagt hatte, und eilte los, so schnell sie es vermochte. Schon wenige Minuten später beugte sich Josy über Will, sanft rüttelte sie ihn an der Schulter. »Will? Hey, was ist mit dir?« Ihre Stimme zitterte, Angst nahm ihr den Atem. Sie versuchte, die zusammengesunkene Gestalt aufzurichten, aber es gelang nicht. Christopher zog Josy zurück und schüttelte sachte den Kopf. »Lass ihn. Er schläft.« »Aber doch nicht um diese Zeit!«
Der junge Winzer zog die schwarze Wirtschafterin, die er fast so sehr liebte wie eine Großmutter, behutsam an sich. »Er schläft für immer«, sagte er.
»Nein!« Josys Stimme war kaum zu hören. »Das darf er nicht! Will ... lass mich nicht allein hier.« Sie fiel auf die Knie, begann zu beten - und so hockte sie auch noch, als Karoline herbeigeeilt kam. Bestürzt und unendlich traurig hielten sie mit den Schwarzen Totenwache, bis die Sonne unterging und der Mond am nachtschwarzen Himmel seine Bahn zog. Er verschwand immer wieder hinter Wolken - es schien, als weine auch der Himmel um Will.
... weniger
Autoren-Porträt von Elfie Ligensa
Elfie Ligensa schreibt erfolgreich Romane und Drehbücher und lebt mit ihrem Mann und einer eigenwilligen Katze in der Nähe von Köln.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elfie Ligensa
- 2011, 1. Auflage, 432 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843701075
- ISBN-13: 9783843701075
- Erscheinungsdatum: 10.10.2011
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