Sanft kommt der Tod / Eve Dallas Bd.24
Roman
Lt. Eve Dallas leitet die Untersuchung eines Todesfalls an einer Privatschule: Ein junger Geschichtslehrer wurde vergiftet. Seine Ehefrau wirkt verdächtig. Was wissen die Schüler? Dazu hat Eve noch ein dickes privates Problem: Ihr steinreicher Mann trifft sich mit einer Blondine.
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Produktinformationen zu „Sanft kommt der Tod / Eve Dallas Bd.24 “
Lt. Eve Dallas leitet die Untersuchung eines Todesfalls an einer Privatschule: Ein junger Geschichtslehrer wurde vergiftet. Seine Ehefrau wirkt verdächtig. Was wissen die Schüler? Dazu hat Eve noch ein dickes privates Problem: Ihr steinreicher Mann trifft sich mit einer Blondine.
Klappentext zu „Sanft kommt der Tod / Eve Dallas Bd.24 “
Liebe, Skandale und IntrigenLieutenant Eve Dallas muss in ihrem neuesten Fall ausgerechnet an einer Privatschule mit dem dubiosen Namen »Sarah Child Academy« ermitteln. Dort wurde in der Mittagspause ein junger Geschichtslehrer tot aufgefunden. In seinem Blut entdeckt man Spuren eines tödlichen Giftes. Hat ihn seine frisch Angetraute auf dem Gewissen? Oder hatte er Feinde in der Schule? Und was wissen die Schüler? Die Leiche des Lehrers ist aber nicht Eves einziges Problem. Eine attraktive Blondine wird immer häufiger an der Seite von Roarke gesehen, Eves steinreichem und äusserst attraktivem Ehemann ...
Lese-Probe zu „Sanft kommt der Tod / Eve Dallas Bd.24 “
Sanft kommt der Tod von J.D. RobbI
Unangekündigte Tests waren einfach mörderisch. Wie Heckenschützen erfüllten sie die Opfer mit Furcht und Abscheu, den Jager hingegen mit einem gewissen schwindelerregenden Gefühl der Macht.
Als Craig Foster in die Mittagspause ging, um dort den Test noch einmal durchzugehen, wusste er genau, wie sein Geschichtskurs der fünften Klasse reagieren würde. Die Kinder würden stöhnen oder leise keuchen, unglücklich die Gesichter verziehen oder in nackte Panik ausbrechen. Was er sehr gut verstand. Schließlich hatte er mit seinen sechsundzwanzig Jahren längst noch nicht vergessen, welchen Schmerz und welche Angst man als Schüler vor Prüfungen empfand.
Er packte den Thermosbehälter mit seinem Mittagessen aus. Er war ein Gewohnheitsmensch und wusste, seine Frau hatte ihm ein Geflügelsandwich, einen Apfel, ein paar Sojafritten sowie seine geliebte heiße Schokolade eingepackt. War es nicht fantastisch, verheiratet zu sein? Er hatte sie noch nie darum gebeten, ihm ein Lunchpaket zu machen oder dafür zu sorgen, dass er immer frisch gewaschene und ordentlich paarweise zusammengelegte Socken in der rechten Hälfte der obersten Schublade seiner Kommode fand. Sie sagte einfach, sie täte das gern für ihn.
Die sieben Monate seit ihrer Trauung waren die schönsten seines Lebens gewesen. Dabei hatte er es vorher auch nicht gerade schlecht gehabt.
Er hatte eine Arbeit, die er liebte und auch ausgezeichnet machte, dachte er mit einem Anflug von Stolz. Er und Lissette hatten ein mehr als anständiges Apartment, von dem aus er in wenigen Minuten zu Fuß zur Schule kam. Seine Schüler und Schülerinnen waren aufgeweckt und interessant und, was das Allerbeste war, er war bei ihnen ausnehmend beliebt.
Natürlich würden sie wegen des Tests ein wenig murren und vielleicht auch schwitzen, doch sie kamen
... mehr
ganz bestimmt damit zurecht.
Bevor er sich an die Arbeit machte, schickte er noch eine kurze Mail an seine Braut.
Hey, Lissy!
Was hältst du davon, wenn ich heute Abend auf dem Heimweg einen großen Salat und die Suppe hole, die du so gerne isst?
Ich vermisse dich und Liebe jeden süßen Zentimeter von dir!
Du weißt schon, wer.
Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sie lächeln würde, wenn sie diese Nachricht läse, wandte sich dann aber wieder seiner Arbeit zu und blickte auf den Bildschirm, als er sich die erste Tasse heißer Schokolade in den Becher schenkte und in das mit dünnen Sojascheiben, die sich als Geflügelbrust ausgaben, gefüllte Sandwich biss.
Es gab so viel zu lehren und so viel zu lernen. Die Geschichte dieses Landes war dramatisch, vielfaltig und reich an Tragödien, Komödien, Romantik, Heldentum, Feigheit und Verrat. All das wollte er seinen Schülern nahebringen, wollte ihnen zeigen, wie die Welt, in der sie lebten, sich zu dem entwickelt hatte, was sie jetzt, in den ersten Monaten des Jahres 2060, war.
Er aß, löschte ein paar Fragen, fügte andere ein und trank einen großen Schluck seiner geliebten heißen Schokolade, während lautlos blütenweißer Schnee vor dem Fenster seines Klassenzimmers auf die Erde fiel.
Während seine eigene kurze Geschichte ihrem Ende von Minute zu Minute näher kam.
Sie bekam noch immer Zustände, wenn sie in eine Schule kam. Was für einen zähen, toughen Cop ziemlich blamabel war. Trotzdem war es so. Lieutenant Eve Dallas, eindeutig die beste und bekannteste Ermittlerin in Mordsachen von ganz New York, wäre lieber auf der Suche nach einem psychotischen Junkie auf Zeus durch eine verlassene Fabrikhalle gestapft als durch die jungfraulichen Flure der eindeutig der oberen Mittelklasse verschriebenen Sarah Child Akademie.
Trotz der in freundlichen Primärfarben gestrichenen Fußböden und Wände und der blank geputzten Fenster kam Eve das Gebäude wie die reinste Folterkammer vor.
In den meisten Raumen, deren Türen offen standen, war außer Tischen, Stühlen, Bildschirmen und Tafeln nichts zu sehen.
Eve blickte auf Rektorin Arnette Mosebly, eine leicht gedrungene, beinahe statuenhafte Frau von vielleicht fünfzig Jahren, mit dank ihres gemischtrassigen Erbes rauchig blauen Augen und karamellfarbener Haut. lhr schimmernd schwarzes Haar fiel in dichten Korkenzieherlöckchen um ihr etwas strenges Gesicht, sie trug einen langen schwarzen Rock unter einer kurzen roten Jacke, und die Absätze ihrer vernünftigen Schuhe klackerten vernehmlich auf dem Boden, als sie neben Eve den Flur im ersten Stock hinunterlief.
»Wo sind die Kinder?., fragte Eve.
Ich habe sie in die Aula bringen lassen, bis ihre Eltern oder Betreuer sie abholen können. Auch die meisten Lehrer halten sich dort auf. Ich hielt es für das Beste und vor allem für ein Zeichen des Respekts, den Nachmittagsunterricht ausfallen zu lassen.«
Ein paar Meter vor der Tür, vor der ein Polizist in Uniform mit ausdrucksloser Miene Position bezogen hatte, blieb sie stehen.
»Lieutenant, das ist eine furchtbare Tragödie für uns alle und vor allem für die Kinder. Craig...« Sie presste die Lippen aufeinander und wandte sich kurz ab. »Er war Jung, intelligent und enthusiastisch. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich, und ...« Wieder brach sie ab und hob eine Hand, während sie um Fassung rang. "Mir ist klar, dass es Routine ist, dass die Polizei in einen solchen Fall miteinbezogen wird. Aber trotzdem hoffe ich, dass Ihre Arbeit möglichst schnell erledigt ist und dass wir mit dem ... dem Abtransport des Leichnams warten können, bis der letzte Schüler das Gebäude verlassen hat..
Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Ich verstehe einfach nicht, wie der junge Mann plötzlich so krank werden konnte. Weshalb ist er heute überhaupt gekommen, wenn ihm unwohl war? Seine Frau - er ist erst seit ein paar Monaten verheiratet - ich habe sie noch nicht über die Sache informiert. Ich war mir nicht sicher ...«
Das überlassen Sie am besten uns. Und jetzt lassen Sie uns bitte kurz allein.«
»Ja. Ja, natürlich.«
»Peabody, schalten Sie den Rekorder an«, sagte Eve zu ihrer Partnerin, nickte dem Polizisten zu, der einen Schritt zur Seite trat, öffnete die Tür und blieb auf der Schwelle stehen.
Sie war eine große, schlanke Frau mit kurzem, braunem Haar und braunen Augen, die noch nicht einmal die allerkleinste Regung zeigten, als sie sich in dem Raum umsah. Mit fließenden Bewegungen zog sie eine Dose Versiegelungsspray aus dem Untersuchungsbeutel, den sie bei sich trug, und sprühte ihre Hände und die Stiefel ein.
In fast einem Dutzend Jahren bei der Polizei hatte sie bereits erheblich Schlimmeres gesehen als den verlorenen Geschichtslehrer, der in seinem eigenen Erbrochenen und seinen eigenen Ausscheidungen bäuchlings auf dem Boden lag.
Eve gab Ort und Zeit in den Rekorder ein. »Die alarmierten Sanitäter waren um vierzehn Uhr sechzehn da und haben das als Craig Foster identifizierte Opfer um vierzehn Uhr neunzehn für tot erklärt.«
»Zum Glück haben die Sanis den Leichnam nicht bewegt«, bemerkte Peabody. »Armer Hund.«
»Weshalb hat er sein Mittagessen hier an seinem Schreibtisch zu sich genommen? An einem Ort wie diesem gibt´s doch sicher eine Cafeteria für die Angestellten oder so.« Eve stand noch immer auf der Türschwelle und legte ihren Kopf ein wenig schräg. »Auf dem Boden liegen eine große Thermosflasche und ein umgeworfener Stuhl.«
»Sieht mehr nach einem Anfall aus als nach einem Kampf. « Peabody schob sich mit leicht quietschenden Airboots an der Wand des Raums entlang, rüttelte an den Fenstern, kommentierte »Abgeschlossen«, beugte sich ein wenig vor und sah sich den Schreibtisch und den Toten von der anderen Seite an.
Auch wenn ihr Körper so wie der von Arnette Mosebly leicht gedrungen war, wäre sie doch niemals statuenhaft. Sie hatte ihre dunklen Haare etwas wachsen lassen und die Spitzen - was Eve nie verstehen würde - kess nach außen gefönt.
»Er hat während des Essens gearbeitet«, bemerkte sie. »Hat wahrscheinlich entweder die nächste Stunde vorbereitet oder Arbeiten korrigiert. Vielleicht hat er ja auf irgendwas, was er gegessen hat, allergisch reagiert.«
»Auf jeden Fall.« Eve trat vor den Leichnam und hockte sich vor ihn hin. Sie würde noch seine Fingerabdrücke abnehmen, den genauen Todeszeitpunkt bestimmen und all das andere Zeug. Erst einmal sah sie sich den Toten aber einfach an.
Das Weiß von seinen Augen wurde von geplatzten Äderchen durchzogen, die wie Spinnenbeine aussahen, Schaum und Reste von Erbrochenem klebten an seinem halb offenen Mund. »Er hat versucht, zur Tür zu kriechen, als ihm schlecht geworden ist«, murmelte sie. »Identifizieren Sie ihn und überprüfen Sie den Todeszeitpunkt, Peabody.«
Eve stand wieder auf, machte einen vorsichtigen Bogen um die Pfützen, die der Ärmste auf dem Boden hinterlassen hatte, hob den schwarzen Thermosbecher auf und schnupperte daran.
»Glauben Sie, jemand hat den armen Kerl vergiftet?«, fragte Peabody.
»Ich rieche heiße Schokolade. Und noch etwas anderes.. Eve tütete den Becher ein. .Die Farbe des Erbrochenen, die Hinweise auf einen Krampf und große Schmerzen. Ja, ich denke an Gift. Aber genau wissen wir es natürlich erst nach der Obduktion. Wir brauchen die Erlaubnis seiner nächsten Angehörigen, seine Krankenakte einzusehen. Arbeiten Sie weiter hier. Ich werde noch mal mit Mosebly sprechen und knöpfe mir danach die Zeugen vor.«
Arnette Mosebly stapfte, einen kleinen Handcomputer in der Hand, unruhig vor dem Zimmer auf und ab.
»Ms Mosebly? Ich muss Sie bitten, niemanden zu kontaktieren und mit niemandem zu sprechen. «
»Oh... ich... Ich habe nur... Sie drehte den Computer so, dass Eve den Minibildschirm sah. »EM Wortspiel. Etwas, um mich abzulenken. Lieutenant, ich mache mir Sorgen um Lissette. Craigs Frau. Jemand muss es ihr sagen. «
»Das werden wir. Aber erst mal würde ich mich gern mit lhnen unterhalten, möglichst an einem ungestörten Ort. Und dann muss ich mit den Schülerinnen sprechen, die den Toren gefunden haben.«
»Rayleen Straffo und Melodic Branch. Der Beamte, der als Erster kam, meinte, sie dürften das Gebäude nicht verlassen und auch nicht zusammen warten.« lhre plötzlich schmalen Lippen drückten überdeutlich aus, was sie davon hielt. »Diese Mädchen sind traumatisiert, Lieutenant. Sie waren vollkommen hysterisch, wie man es von Kindern unter derartigen Umständen nicht anders erwarten kann. Ich habe Rayleen zu unserem Psychologen und Melodic zu unserer Krankenschwester geschickt. Inzwischen dürften die Eltern der beiden bei ihnen sein.«
»Sie haben ihre Eltern angerufen?«
»Sie haben Ihre Vorschriften, Lieutenant, und ich habe meine.« Sie bedachte Eve mit dem herablassenden Nicken, das man sicher bei der Ausbildung zur Schulleiterin beigebracht bekam. »Mir geht es in erster Linie um die Gesundheit und die Sicherheit von meinen Schülerinnen. Diese Mädchen sind gerade mal zehn Jahre alt und haben dieses Szenario gesehen.« Sie nickte in Richtung der Tür, hinter der der tote Lehrer lag. »Gott weiß, was für einen emotionalen Schaden das bei ihnen angerichtet hat.«
»Craig Foster fühlt sich ebenfalls bestimmt nicht allzu wohl.«
»Ich muss alles Erforderliche tun, um meine Schülerinnen zu beschützen. Meine Schule ...«
»Momentan ist dies nicht Ihre Schule, sondern ein Ort, an dem ein Verbrechen geschehen ist.«
»Ein Verbrechen?« Die Rektorin wurde kreidebleich. »Was wollen Sie damit sagen? Was für ein Verbrechen?«
»Das werde ich noch herausfinden. Ich möchte, dass Sie mir die beiden Zeuginnen nacheinander bringen. Wahrscheinlich ist Ihr Büro der beste Ort für die Vernehmungen. Während des Gesprächs ist ein Elternteil oder Betreuer pro Kind erlaubt.«
»Also gut, dann... Kommen Sie mit.«
»Officer?. Eve blickte über ihre Schulter auf den Polizisten, der noch immer vor der Tür des Klassenzimmers Wache stand. »Sagen Sie Detective Peabody, dass ich ins Büro der Schulleiterin gehe.«
Obwohl seine Mundwinkel unmerklich zuckten, nickte er. »Zu Befehl, Madam.«
Es war etwas völlig anderes, merkte Eve, wenn man plötzlich die Chefin war und nicht das arme Wesen auf dem heißen Stuhl. Nicht, dass sie während ihrer Schulzeit allzu große Probleme mit der Disziplin gehabt hatte, erinnerte sie sich. Sie hatte größtenteils versucht, möglichst unsichtbar zu sein, alles einfach irgendwie zu überstehen und den Knast, als den sie die Schule angesehen hatte, an dem Tag zu verlassen, an dem es ihr von Rechts wegen gestattet war.
Nur, dass ihr das nicht immer gelungen war. Ihre vorlaute Art und ihre negative Einstellung zum Unterricht hatten ihr des Öfteren einen Besuch beim Rektor eingebracht.
Sie hatte Dankbarkeit empfinden sollen, weil ihr als Mündel des Staats nicht nur ein Dach über dem Kopf und genug zu essen, sondern auch noch eine Ausbildung zuteil geworden war. Hatte Dankbarkeit empfinden sollen für die Kleider, die sie trug, auch wenn keines davon jemals neu gewesen war. Hatte danach streben sollen, sich beständig zu verbessern, was nicht gerade leicht gewesen war, denn sie hatte nicht genau gewusst, woher sie kam, das hieß, welches ihre Ausgangsposition gewesen war.
Woran sie sich vor allem erinnerte, waren die selbstgefälligen Vorträge und das enttäuschte Stirnrunzeln der Lehrer, die sie deutlich hatten spüren lassen, dass jemand wie sie ein Niemand war.
Und die endlose, alles durchdringende, tödliche Langeweile während beinahe des gesamten Unterrichts. Natürlich hatte sie keine schicke Privatschule mit hochmodernem Lehrmaterial, blitzsauberen Klassenzimmern, hübschen Uniformen sowie einem Lehrer-Schüler-Schlüssel von eins zu sechs besucht.
Sie würde ihren nächsten Gehaltsscheck darauf verwetten, dass es in der Sarah Child Akademie keine Faustkampfe in den Fluren und keine selbstgebastelten Sprengsätze in den Schließfächern gab.
Heute allerdings gab es zumindest einen Mord.
Während sie in Moseblys mit echten Grünpflanzen und einem hübschen Teegeschirr ausnehmend behaglichem Büro auf das erste Mädchen wartete, ging sie kurz die Personalien des Opfers durch.
Craig Foster, sechsundzwanzig Jahre. Keine Vorstrafen. Beide Eltern lebten noch und waren noch miteinander verheiratet. Sie lebten in New Jersey, wo der Sohn geboren und aufgewachsen war. Dann war er mit einem Teilstipendium an die Columbia-Universität gegangen, hatte dort sein Lehrerexamen gemacht und war dort, da er noch seinen Master in Geschichte hatte machen wollen, noch immer immatrikuliert.
Im Juli letzten Jahres hatte er Lissette Bolviar geehelicht.
Auf dem Foto sah er frisch und eifrig aus. Ein hübscher junger Mann mit einem klaren Teint in der Farbe gerosteter Kastanien, mit seelenvollen dunklen Augen sowie dunklem, an den Seiten und im Nacken kurz geschorenem und oben auf dem Kopf hochgebürstetem Haar.
Auch seine Schuhe waren echt modern, erinnerte sie sich. Schwarz-silberne, knöchelhohe geschnürte Gelboots. Nicht gerade billig, dachte sie. Wohingegen seine schmutzig braune Sportjacke an den Aufschlagen schon ziemlich abgewetzt gewesen war. Er trug eine anständige Uhr - sicher eine Kopie des Originals - und am Ringfinger der linken Hand blitzte ein goldener Ring.
Sie nahm an, wenn Peabody mit ihrer Arbeit fertig wäre, würde sie ihr sagen, dass in seinen Taschen nur ein bisschen Klimpergeld gewesen war.
Eilig schrieb sie sich ein paar Stichworte auf.
Woher war die heiße Schokolade gekommen?
Wer hatte Zugriff auf den Thermosbecher gehabt? Hatte Craig den Raum vielleicht mit jemandem geteilt? Wer hatte das Opfer wann zum letzten Mal lebend gesehen, und wer hatte den Leichnam entdeckt?
Gab es irgendwelche Versicherungspolicen, vielleicht eine Lebensversicherung? Wenn ja, wer bekäme dann das Geld?
Als die Tür geöffnet wurde, sah sie auf.
»Lieutenant?« Als Mosebly den Raum betrat, lag ihre Hand auf der Schulter eines dünnen, jungen Mädchens mit milchig weißer Haut, Sommersprossen und dazu passendem langem, zu einem glatten Zopf gekämmtem, karottenrotem Haar.
Zitternd stand die Kleine in ihrem marineblauen Blazer und der makellosen Khakihose da.
»Melodie, dies ist Lieutenant Dallas von der Polizei. Sie muss mit dir sprechen. Lieutenant Dallas, dies ist Melodies Mutter, Angela Miles-Branch.«
Die Kleine hatte Haar und Haut von ihrer Mom geerbt, bemerkte Eve. Und Mom sah nicht weniger erschüttert aus als sie.
»Lieutenant, ich frage mich, ob dieses Gespräch vielleicht bis morgen warten kann. Ich würde Melodie jetzt gerne erst mal mit nach Hause nehmen.« Ihre Hand lag wie ein Schraubstock um die Hand von ihrem Kind. »Meine Tochter fühlt sich nicht wohl. Was ja wohl verständlich ist.«
»Es ist für uns alle leichter, wenn wir dieses Gespräch jetzt gleich führen. Es wird bestimmt nicht lange dauern. Wenn Sie uns entschuldigen würden, Ms Mosebly...«
»Ich denke, als Vertreterin der Schule und des Kindes bleibe ich am besten hier.«
»Wir brauchen niemanden von der Schule, und als Vertreterin des Kindes ist die Mutter da. Lassen Sie uns also bitte allein.«
Moseblys Blick verriet, dass sie mit diesem Vorschlag alles andere als einverstanden war, dock sie presste die Lippen aufeinander und verließ den Raum.
»Warum setzt du dich nicht, Melodie?.
Aus jedem ihrer großen blauen Augen quoll eine fette Trane. »Ja, Ma'am. Mom?.
»lch bin hier. « Ohne ihre Tochter loszulassen, nahm Angela neben der Kleinen Platz. »Diese Sache hat sie furchtbar mitgenommen.«
»Das verstehe ich. Melodie, ich werde unsere Unterhaltung aufnehmen.«
Wieder kullerten zwei Tranen Uber Melodies Gesicht, und Eve fragte sich, warum in alter Welt sie nicht den Tatort übernommen hatte und Peabody hier bei dem Mädchen saß.
»Warum erzählst du mir nicht einfach, was passiert ist?«, fragte sie.
»Wir sind in Mr Fosters Klasse gegangen - hm, Rayleen und ich. Wir haben erst mal angeklopft, weil die Tür geschlossen war. Aber Mr Foster hat nichts dagegen, wenn man mit ihm sprechen muss. «
»Und ihr musstet mit Mr Foster sprechen.«
»Ober das Projekt. Ray und ich sind dabei Partnerinnen. Wir erstellen einen Multimedia-Bericht über die Freiheitsurkunde. Er muss in drei Wochen fertig sein und ist unser zweites großes Projekt in diesem Schuljahr. Er macht fünfundzwanzig Prozent der Note aus. Wir wollten, dass sich Mr Foster unseren Entwurf ansieht. Er hat nichts dagegen, wenn man ihm vor oder nach der Stunde Fragen stellt.«
»Okay. Wo wart ihr, bevor ihr zu Mr Fosters Klasse gegangen seid?«
»In unserer Lerngruppe. Ms Hallywell hat Ray und mir erlaubt, die Gruppe ein paar Minuten früher zu verlassen, um mit Mr Foster zu sprechen. Ich habe einen Erlaubnisschein.«
Sie wollte ihn aus ihrer Tasche ziehen, Eve aber wehrte ab.
»Schon gut. Ihr seid also in das Klassenzimmer gegangen ...«
»Wir wollten es. Wir haben miteinander geredet und dabei die Tür aufgemacht. Es hat fürchterlich gerochen. Ich habe zu Ray gesagt: >Meine Güte, hier stinkt's aber< «, Wieder brachen sich die Tranen Bahn. »Es tut mir leid, das ist mir einfach rausgerutscht.«
»Schon gut. Was ist dann passiert?«
»Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn auf dem Boden liegen sehen, und, oh, überall war Erbrochenes und so. Ray hat geschrien. Oder vielleicht auch ich. Oder wahrscheinlich wir beide. Dann sind wir wieder rausgerannt, Mr Dawson kam den Flur runtergelaufen und hat uns gefragt, was los ist. Er hat uns gesagt, dass wir stehen bleiben sollen, und ist in den Raum gegangen. Ich habe gesehen, dass er reingegangen ist. Dann kam er ganz schnell wieder raus und hat so gemacht..
Sie presste ihre freie Hand vor ihren Mund. .Ich glaube, dann hat er rein Handy aufgeklappt und Ms Mosebly angerufen. Als Ms Mosebly kam, hat sie die Krankenschwester gerufen. Und dann kam Schwester Brennan und hat uns mit in das Krankenzimmer genommen. Sie ist bei uns geblieben, bis Mr Kolfax kam und Ray mitgenommen hat. Ich bin bei Schwester Brennan geblieben, bis meine Mom gekommen ist.«
»Hast du sonst noch jemanden gesehen, der in Mr Fosters Klassenzimmer gegangen oder dort herausgekommen ist? «
»Nein, Ma'am.«
»Nast du auf dem Weg von deiner Lerngruppe zu seinem Klassenzimmer irgendwen gesehen?«
»Hm. Tut mir leid. Hm. Mr Bixley kam von der Jungentoilette, und außerdem ist uns Mr Dawson im Flur entgegengekommen. Wir haben ihm unseren Erlaubnisschein gezeigt. Ich glaube, das war alles, aber ich habe auch nicht weiter darauf geachtet, ob da sonst noch jemand war.«
»Woher habt ihr gewusst, wo ihr Mr Foster finden würdet?«
»Oh, er ist montags vor der fünften Stunde immer in seiner Klasse. Er isst Montagmittag immer dort. Und in der letzten Viertelstunde erlaubt er den Schülern, zu ihm zu kommen und mit ihm zu sprechen, wenn sie et-was auf dem Herzen haben. Man darf auch schon vorher zu ihm gehen, wenn es wirklich wichtig ist. Er ist so nett. Mom.«
»Ich weiß, Baby. Lieutenant, bitte ...«
»Gleich haben wir's geschafft. Melodie, hast du oder Rayleen Mr Foster oder irgendetwas in der Klasse angefasst?«
»0h, nein, nein, Ma'am. Wir sind einfach weggerannt. Es war schrecklich, und wir sind weggerannt.«
»Okay. Melodie, falls du dich sonst noch an irgendwas erinnerst, irgendeine Kleinigkeit, musst du mir das bitte sagen.«
Die Kleine erhob sich von ihrem Platz und sah Eve mit gro1en Augen an. »Lieutenant Dallas? Ma'am? «
»Ja?«
»Rayleen hat gesagt... als wir im Krankenzimmer waren, hat Rayleen gesagt, dass sie Mr Foster in einem großen schwarzen Sack aus der Schule tragen müssen. Müssen Sie das wirklich? Müssen Sie das wirklich tun?«
»Oh, Melodie.« Angela zog das Kind an ihre Brust und hielt es fest.
»Wir kümmern uns jetzt um Mr Foster«, antwortete Eve. »Es ist mein Job, jetzt für ihn da zu sein, und das bin ich auch. Dadurch, dass du mit mir sprichst, hilfst du mir, meinen Job zu machen und für Mr Foster da zu sein.« »Wirklich?« Melodie schniefte und stieß einen leisen Seufzer aus. »Danke. Ich möchte jetzt nach Hause. Darf ich jetzt nach Hause gehen?«
Eve sah in ihre tränennassen Augen, nickte stumm und wandte sich der Mutter zu. »Wir werden uns bestimmt noch mal bei lhnen melden. Aber schon mal vielen Dank für das Gespräch.«
»Diese Sache hat die Mädchen furchtbar mitgenommen. Es ist wirklich schwer für sie. Komm, Schätzchen. Wir gehen jetzt nach Hause.«
Angela legte einen Arm um die Schultern ihrer Tochter und geleitete sie aus dem Raum.
Auch Eve stieß sich vom Schreibtisch ab, folgte den beiden an die Tür und sah, dass Mosebly bereits auf die beiden zugelaufen kam.
»Ms Mosebly? Ich hatte da noch ein paar Fragen.« »Ich bringe Mrs Miles-Branch und Melodie nur noch schnell hinaus.«
»Die beiden finden den Weg doch sicher auch allein. Kommen Sie also bitte kurz in lhr Büro«
Eve ersparte sich die Mühe, sich zu setzen, und lehnte sich stattdessen einfach an den Schreibtisch.
Mit an den Seiten geballten Fäusten kam Mosebly hereingestapft.
»Lieutenant Dallas, auch wenn ich durchaus verstehe, dass Sie Ihre Arbeit machen müssen, entsetzt mich Ihre herablassende, arrogante Art.«
»Okay. Hat Mr Foster gewohnheitsmäßig sein eigenes Essen und seine eigenen Getränke mit hierher gebracht?« "Ich... ich glaube, ja. Oder zumindest meistens. Selbstverständlich haben wir eine von einer Ernährungsberaterin zertifizierte Cafeteria und auch staatlich kontrollierte Verkaufsautomaten im Haus. Aber viele unserer Angestellten bringen zumindest ab und zu lieber ihre eigenen Sachen mit.«
»Hat er oft allein an seinem Pult gegessen?«
Mosebly massierte sich die Stirn. »Soweit ich weiß, hat er sein Mittagessen an zwei, drei Tagen pro Woche in seinem Klassenzimmer eingenommen. Ein Lehrer kann seine Arbeit nicht im Rahmen der normalen Schulstunden erledigen. Er muss den Unterricht planen, Arbeiten korrigieren, Lektüre und Laborversuche vorbereiten und so weiter und so fort. Außerdem hat Craig sich wie die meisten anderen Lehrer auch parallel zu seiner Arbeit hier beruflich fortgebildet, was ebenfalls mit einigem Aufwand verbunden ist. Deshalb hat er oft in seinen Pausen an seinem Pult gegessen und während des Essens gearbeitet. Er war sehr pflichtbewusst.«
Der in ihr angestaute Zorn schien sich zu legen und mit rauer Stimme fügte sie hinzu: »Er war Jung und idealistisch. Er hat seinen Beruf geliebt, Lieutenant Dallas, das war nicht zu übersehen.«
»Hatte er irgendwelche Probleme mit Kolleginnen oder Kollegen?«
»Davon ist mir nichts bekannt. Er war ein freundlicher und umgänglicher junger Mann. Ich bin sowohl persönlich als auch beruflich der Ansicht, dass er ein großer Gewinn für unsere Schule war.«
»Gab es in letzter Zeit irgendwelche Entlassungen?« »Nein. Hier bei Sarah Child haben wir eine sehr geringe Fluktuation. Craig war seit zwei Jahren hier. Er hat die Lücke geschlossen, die durch die Pensionierung eines unserer Lehrer nach fünfzig Jahren im Schuldienst, davon achtundzwanzig hier bei uns, entstanden war.«
»Wie steht es mit Ihnen? Wie lange sind Sie selbst schon hier?«
»Ich bin seit drei Jahren Rektorin. lnsgesamt jedoch habe ich inzwischen fünfundzwanzig Jahre sowohl als Lehrkraft als auch in der Verwaltung an Schulen zugebracht.«
»Wann haben Sie Mr Foster zum letzten Mal gesehen?« »Heute Morgen, aber nur ganz kurz.« Mosebly trat vor einen kleinen Kühlschrank und nahm eine Wasserflasche heraus. »Er kam wie meistens etwas früher, um noch den Fitnessraum zu nutzen. Die Benutzung der Gerate und des Pools steht allen Angestellten frei. Craig hat diese Möglichkeit an den meisten Vormittagen noch vor Unterrichtsbeginn genutzt.«
Seufzend schenkte sie sich etwas von dem Wasser in ein Glas. »Möchten Sie auch etwas, Lieutenant?« »Danke.« Eve schüttelte den Kopf.
»Ich war selber heute Morgen schwimmen und habe den Poolbereich gerade verlassen, als er hereingekommen ist. Wir haben uns gegrüßt, über den Verkehr gejammert, und dann bin ich gegangen. Ich war ziemlich in Eile, hörte aber noch, wie er ins Wasser sprang.« Sie hob ihr Glas an ihren Mund. »Als ich die Tür des Umkleideraums geöffnet habe, habe ich es gehört. Oh, Gott.« »Wann genau war das?«
»Gegen sieben Uhr dreißig. Um acht hatte ich eine Telefon-Konferenz, und weil ich zu lange im Pool geblieben war, war ich etwas spät dran. Ich war wütend auf mich selbst und habe deshalb kaum mit Craig gesprochen.«
»Wo hat er sein Mittagessen aufbewahrt?«
»Nun, ich nehme an, in seinem Klassenzimmer. Vielleicht auch im Pausenraum, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich je gesehen habe, dass er etwas dort in den Kühlschrank gelegt oder herausgenommen hat.« »Ist das Klassenzimmer für gewöhnlich abgesperrt?« »Nein. Natürlich ist die Schule gut gesichert, aber die einzelnen Klassenräume stehen immer offen. Es gibt keinen Grund sie abzuschließen, da das Miteinander hier bei Sarah Child auf Vertrauen und Verantwortung basiert.« »In Ordnung. Sie können mir die zweite Zeugin schicken. Rayleen Straffo.«
Jetzt nickte Mosebly nicht mehr majestätisch, sondern eher resigniert. "Was ist mit den anderen Schülern? Und dem Personal?«
»Wir werden noch mit den Angestellten sprechen müssen, bevor irgendjemand das Gebäude verlasst. Die Schiller können Sie nach Hause schicken, aber drucken Sie mir bitte noch eine Namens- und Adressenliste aus.« »Okay.«
Als sie wieder alleine war, zog Eve ihr Handy aus der Tasche und rief Peabody an. »Und, wie sieht es aus?« »Der Leichnam wird gerade abtransportiert. Der Pathologe geht ebenfalls von einer Vergiftung aus, obwohl natürlich erst die Autopsie ergeben wird, ob es tatsachlich so war. Die Spurensicherung ist inzwischen auch da. Es sieht aus, als hätte das Opfer kurz vor Eintreten des Todes noch an seinem Computer gearbeitet und dort irgendeinen Test für seine nächste Stunde vorbereitet.«
»Das wäre ein mögliches Motiv«, erklärte Eve bierernst.
Ich habe Tests immer gehasst und hege ernste Zweifel, ob sie überhaupt verfassungsmäßig sind. Ich habe mir die Kiste angesehen und entdeckt, dass das Opfer um zwölf Uhr sechs eine E-Mail an LFoster@Blackburnpub.com gesendet hat. Außer dieser Mail und einem kurzen Antwortschreiben war dort für heute nichts.«
»Die Frau heißt Lissette. Was stand in der Mail?«
»Es war nur eine kurze Mitteilung an seinen Schatz, in der er ihm angeboten hat, etwas zum Abendessen mitzubringen, wenn er von der Arbeit kommt. Die Antwort war ebenfalls sehr liebevoll verfasst, kam um vierzehn Uhr achtundvierzig an, wurde aber nicht mehr aufgemacht.«
»Okay. Ich warte gerade auf die zweite Zeugin und schicke lhnen dafür die Rektorin. Bringen Sie sie irgendwo unter, ja? Und dann beginnen Sie mit der Befragung der Angestellten und stellen vor allem fest, wo wer von ihnen heute war. Ich übernehme auch ein paar der Leute, wenn ich mit der Kleinen fertig bin. Ach ja, und finden Sie heraus, ob die Ehefrau zu Hause oder bei der Arbeit ist. Wir benachrichtigen sie, wenn wir hier fertig sind.« »Der Spag bort einfach nie auf.«
Eve steckte ihr Handy wieder ein, und im selben Augenblick kam Mosebly, abermals die Hand auf der Schulter eines kleinen Mädchens, durch die Tür.
Diese Kleine war blond und hielt ihre dichte Lockenpracht mit einem veilchenblauen Reif in Schach. Der Reif hatte die Farbe ihrer Augen, die, auch wenn sie momentan rot und verquollen waren, ein Gesicht beherrschten, das mit seiner kleinen Stupsnase und dem zitternden, rosigen Schmollmund wie das einer kleinen Madame aussah. Sie trug dieselbe Uniform wie Melodie, hatte jedoch noch einen kleinen goldenen Stern am Aufschlag ihres Blazers festgemacht.
»Rayleen, das hier ist Lieutenant Dallas. Lieutenant, Rayleen ist mit ihrem Vater, Oliver Straffo, hier. Falls Sie mich brauchen, warte ich draußen vor der Tür.«
»Setz dich, Rayleen.«
»Lieutenant.« Oliver hielt die Hand der Tochter fest. Seine Stimme war so klar und durchdringend wie die von einem guten Schauspieler. Er war groß und blond wie seine Tochter, sah Eve jedoch aus kalten, stahlgrauen Augen an. Sie waren sich bereits des Öfteren begegnet. Vor Gericht.
Er war einer der besten, teuersten und angesehensten Strafverteidiger von ganz New York.
Was für ein Scheiß.
Übersetzung: Uta Hege
Copyright © 2010 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
Bevor er sich an die Arbeit machte, schickte er noch eine kurze Mail an seine Braut.
Hey, Lissy!
Was hältst du davon, wenn ich heute Abend auf dem Heimweg einen großen Salat und die Suppe hole, die du so gerne isst?
Ich vermisse dich und Liebe jeden süßen Zentimeter von dir!
Du weißt schon, wer.
Er musste grinsen, als er daran dachte, wie sie lächeln würde, wenn sie diese Nachricht läse, wandte sich dann aber wieder seiner Arbeit zu und blickte auf den Bildschirm, als er sich die erste Tasse heißer Schokolade in den Becher schenkte und in das mit dünnen Sojascheiben, die sich als Geflügelbrust ausgaben, gefüllte Sandwich biss.
Es gab so viel zu lehren und so viel zu lernen. Die Geschichte dieses Landes war dramatisch, vielfaltig und reich an Tragödien, Komödien, Romantik, Heldentum, Feigheit und Verrat. All das wollte er seinen Schülern nahebringen, wollte ihnen zeigen, wie die Welt, in der sie lebten, sich zu dem entwickelt hatte, was sie jetzt, in den ersten Monaten des Jahres 2060, war.
Er aß, löschte ein paar Fragen, fügte andere ein und trank einen großen Schluck seiner geliebten heißen Schokolade, während lautlos blütenweißer Schnee vor dem Fenster seines Klassenzimmers auf die Erde fiel.
Während seine eigene kurze Geschichte ihrem Ende von Minute zu Minute näher kam.
Sie bekam noch immer Zustände, wenn sie in eine Schule kam. Was für einen zähen, toughen Cop ziemlich blamabel war. Trotzdem war es so. Lieutenant Eve Dallas, eindeutig die beste und bekannteste Ermittlerin in Mordsachen von ganz New York, wäre lieber auf der Suche nach einem psychotischen Junkie auf Zeus durch eine verlassene Fabrikhalle gestapft als durch die jungfraulichen Flure der eindeutig der oberen Mittelklasse verschriebenen Sarah Child Akademie.
Trotz der in freundlichen Primärfarben gestrichenen Fußböden und Wände und der blank geputzten Fenster kam Eve das Gebäude wie die reinste Folterkammer vor.
In den meisten Raumen, deren Türen offen standen, war außer Tischen, Stühlen, Bildschirmen und Tafeln nichts zu sehen.
Eve blickte auf Rektorin Arnette Mosebly, eine leicht gedrungene, beinahe statuenhafte Frau von vielleicht fünfzig Jahren, mit dank ihres gemischtrassigen Erbes rauchig blauen Augen und karamellfarbener Haut. lhr schimmernd schwarzes Haar fiel in dichten Korkenzieherlöckchen um ihr etwas strenges Gesicht, sie trug einen langen schwarzen Rock unter einer kurzen roten Jacke, und die Absätze ihrer vernünftigen Schuhe klackerten vernehmlich auf dem Boden, als sie neben Eve den Flur im ersten Stock hinunterlief.
»Wo sind die Kinder?., fragte Eve.
Ich habe sie in die Aula bringen lassen, bis ihre Eltern oder Betreuer sie abholen können. Auch die meisten Lehrer halten sich dort auf. Ich hielt es für das Beste und vor allem für ein Zeichen des Respekts, den Nachmittagsunterricht ausfallen zu lassen.«
Ein paar Meter vor der Tür, vor der ein Polizist in Uniform mit ausdrucksloser Miene Position bezogen hatte, blieb sie stehen.
»Lieutenant, das ist eine furchtbare Tragödie für uns alle und vor allem für die Kinder. Craig...« Sie presste die Lippen aufeinander und wandte sich kurz ab. »Er war Jung, intelligent und enthusiastisch. Er hatte noch sein ganzes Leben vor sich, und ...« Wieder brach sie ab und hob eine Hand, während sie um Fassung rang. "Mir ist klar, dass es Routine ist, dass die Polizei in einen solchen Fall miteinbezogen wird. Aber trotzdem hoffe ich, dass Ihre Arbeit möglichst schnell erledigt ist und dass wir mit dem ... dem Abtransport des Leichnams warten können, bis der letzte Schüler das Gebäude verlassen hat..
Sie richtete sich zu ihrer ganzen Größe auf. »Ich verstehe einfach nicht, wie der junge Mann plötzlich so krank werden konnte. Weshalb ist er heute überhaupt gekommen, wenn ihm unwohl war? Seine Frau - er ist erst seit ein paar Monaten verheiratet - ich habe sie noch nicht über die Sache informiert. Ich war mir nicht sicher ...«
Das überlassen Sie am besten uns. Und jetzt lassen Sie uns bitte kurz allein.«
»Ja. Ja, natürlich.«
»Peabody, schalten Sie den Rekorder an«, sagte Eve zu ihrer Partnerin, nickte dem Polizisten zu, der einen Schritt zur Seite trat, öffnete die Tür und blieb auf der Schwelle stehen.
Sie war eine große, schlanke Frau mit kurzem, braunem Haar und braunen Augen, die noch nicht einmal die allerkleinste Regung zeigten, als sie sich in dem Raum umsah. Mit fließenden Bewegungen zog sie eine Dose Versiegelungsspray aus dem Untersuchungsbeutel, den sie bei sich trug, und sprühte ihre Hände und die Stiefel ein.
In fast einem Dutzend Jahren bei der Polizei hatte sie bereits erheblich Schlimmeres gesehen als den verlorenen Geschichtslehrer, der in seinem eigenen Erbrochenen und seinen eigenen Ausscheidungen bäuchlings auf dem Boden lag.
Eve gab Ort und Zeit in den Rekorder ein. »Die alarmierten Sanitäter waren um vierzehn Uhr sechzehn da und haben das als Craig Foster identifizierte Opfer um vierzehn Uhr neunzehn für tot erklärt.«
»Zum Glück haben die Sanis den Leichnam nicht bewegt«, bemerkte Peabody. »Armer Hund.«
»Weshalb hat er sein Mittagessen hier an seinem Schreibtisch zu sich genommen? An einem Ort wie diesem gibt´s doch sicher eine Cafeteria für die Angestellten oder so.« Eve stand noch immer auf der Türschwelle und legte ihren Kopf ein wenig schräg. »Auf dem Boden liegen eine große Thermosflasche und ein umgeworfener Stuhl.«
»Sieht mehr nach einem Anfall aus als nach einem Kampf. « Peabody schob sich mit leicht quietschenden Airboots an der Wand des Raums entlang, rüttelte an den Fenstern, kommentierte »Abgeschlossen«, beugte sich ein wenig vor und sah sich den Schreibtisch und den Toten von der anderen Seite an.
Auch wenn ihr Körper so wie der von Arnette Mosebly leicht gedrungen war, wäre sie doch niemals statuenhaft. Sie hatte ihre dunklen Haare etwas wachsen lassen und die Spitzen - was Eve nie verstehen würde - kess nach außen gefönt.
»Er hat während des Essens gearbeitet«, bemerkte sie. »Hat wahrscheinlich entweder die nächste Stunde vorbereitet oder Arbeiten korrigiert. Vielleicht hat er ja auf irgendwas, was er gegessen hat, allergisch reagiert.«
»Auf jeden Fall.« Eve trat vor den Leichnam und hockte sich vor ihn hin. Sie würde noch seine Fingerabdrücke abnehmen, den genauen Todeszeitpunkt bestimmen und all das andere Zeug. Erst einmal sah sie sich den Toten aber einfach an.
Das Weiß von seinen Augen wurde von geplatzten Äderchen durchzogen, die wie Spinnenbeine aussahen, Schaum und Reste von Erbrochenem klebten an seinem halb offenen Mund. »Er hat versucht, zur Tür zu kriechen, als ihm schlecht geworden ist«, murmelte sie. »Identifizieren Sie ihn und überprüfen Sie den Todeszeitpunkt, Peabody.«
Eve stand wieder auf, machte einen vorsichtigen Bogen um die Pfützen, die der Ärmste auf dem Boden hinterlassen hatte, hob den schwarzen Thermosbecher auf und schnupperte daran.
»Glauben Sie, jemand hat den armen Kerl vergiftet?«, fragte Peabody.
»Ich rieche heiße Schokolade. Und noch etwas anderes.. Eve tütete den Becher ein. .Die Farbe des Erbrochenen, die Hinweise auf einen Krampf und große Schmerzen. Ja, ich denke an Gift. Aber genau wissen wir es natürlich erst nach der Obduktion. Wir brauchen die Erlaubnis seiner nächsten Angehörigen, seine Krankenakte einzusehen. Arbeiten Sie weiter hier. Ich werde noch mal mit Mosebly sprechen und knöpfe mir danach die Zeugen vor.«
Arnette Mosebly stapfte, einen kleinen Handcomputer in der Hand, unruhig vor dem Zimmer auf und ab.
»Ms Mosebly? Ich muss Sie bitten, niemanden zu kontaktieren und mit niemandem zu sprechen. «
»Oh... ich... Ich habe nur... Sie drehte den Computer so, dass Eve den Minibildschirm sah. »EM Wortspiel. Etwas, um mich abzulenken. Lieutenant, ich mache mir Sorgen um Lissette. Craigs Frau. Jemand muss es ihr sagen. «
»Das werden wir. Aber erst mal würde ich mich gern mit lhnen unterhalten, möglichst an einem ungestörten Ort. Und dann muss ich mit den Schülerinnen sprechen, die den Toren gefunden haben.«
»Rayleen Straffo und Melodic Branch. Der Beamte, der als Erster kam, meinte, sie dürften das Gebäude nicht verlassen und auch nicht zusammen warten.« lhre plötzlich schmalen Lippen drückten überdeutlich aus, was sie davon hielt. »Diese Mädchen sind traumatisiert, Lieutenant. Sie waren vollkommen hysterisch, wie man es von Kindern unter derartigen Umständen nicht anders erwarten kann. Ich habe Rayleen zu unserem Psychologen und Melodic zu unserer Krankenschwester geschickt. Inzwischen dürften die Eltern der beiden bei ihnen sein.«
»Sie haben ihre Eltern angerufen?«
»Sie haben Ihre Vorschriften, Lieutenant, und ich habe meine.« Sie bedachte Eve mit dem herablassenden Nicken, das man sicher bei der Ausbildung zur Schulleiterin beigebracht bekam. »Mir geht es in erster Linie um die Gesundheit und die Sicherheit von meinen Schülerinnen. Diese Mädchen sind gerade mal zehn Jahre alt und haben dieses Szenario gesehen.« Sie nickte in Richtung der Tür, hinter der der tote Lehrer lag. »Gott weiß, was für einen emotionalen Schaden das bei ihnen angerichtet hat.«
»Craig Foster fühlt sich ebenfalls bestimmt nicht allzu wohl.«
»Ich muss alles Erforderliche tun, um meine Schülerinnen zu beschützen. Meine Schule ...«
»Momentan ist dies nicht Ihre Schule, sondern ein Ort, an dem ein Verbrechen geschehen ist.«
»Ein Verbrechen?« Die Rektorin wurde kreidebleich. »Was wollen Sie damit sagen? Was für ein Verbrechen?«
»Das werde ich noch herausfinden. Ich möchte, dass Sie mir die beiden Zeuginnen nacheinander bringen. Wahrscheinlich ist Ihr Büro der beste Ort für die Vernehmungen. Während des Gesprächs ist ein Elternteil oder Betreuer pro Kind erlaubt.«
»Also gut, dann... Kommen Sie mit.«
»Officer?. Eve blickte über ihre Schulter auf den Polizisten, der noch immer vor der Tür des Klassenzimmers Wache stand. »Sagen Sie Detective Peabody, dass ich ins Büro der Schulleiterin gehe.«
Obwohl seine Mundwinkel unmerklich zuckten, nickte er. »Zu Befehl, Madam.«
Es war etwas völlig anderes, merkte Eve, wenn man plötzlich die Chefin war und nicht das arme Wesen auf dem heißen Stuhl. Nicht, dass sie während ihrer Schulzeit allzu große Probleme mit der Disziplin gehabt hatte, erinnerte sie sich. Sie hatte größtenteils versucht, möglichst unsichtbar zu sein, alles einfach irgendwie zu überstehen und den Knast, als den sie die Schule angesehen hatte, an dem Tag zu verlassen, an dem es ihr von Rechts wegen gestattet war.
Nur, dass ihr das nicht immer gelungen war. Ihre vorlaute Art und ihre negative Einstellung zum Unterricht hatten ihr des Öfteren einen Besuch beim Rektor eingebracht.
Sie hatte Dankbarkeit empfinden sollen, weil ihr als Mündel des Staats nicht nur ein Dach über dem Kopf und genug zu essen, sondern auch noch eine Ausbildung zuteil geworden war. Hatte Dankbarkeit empfinden sollen für die Kleider, die sie trug, auch wenn keines davon jemals neu gewesen war. Hatte danach streben sollen, sich beständig zu verbessern, was nicht gerade leicht gewesen war, denn sie hatte nicht genau gewusst, woher sie kam, das hieß, welches ihre Ausgangsposition gewesen war.
Woran sie sich vor allem erinnerte, waren die selbstgefälligen Vorträge und das enttäuschte Stirnrunzeln der Lehrer, die sie deutlich hatten spüren lassen, dass jemand wie sie ein Niemand war.
Und die endlose, alles durchdringende, tödliche Langeweile während beinahe des gesamten Unterrichts. Natürlich hatte sie keine schicke Privatschule mit hochmodernem Lehrmaterial, blitzsauberen Klassenzimmern, hübschen Uniformen sowie einem Lehrer-Schüler-Schlüssel von eins zu sechs besucht.
Sie würde ihren nächsten Gehaltsscheck darauf verwetten, dass es in der Sarah Child Akademie keine Faustkampfe in den Fluren und keine selbstgebastelten Sprengsätze in den Schließfächern gab.
Heute allerdings gab es zumindest einen Mord.
Während sie in Moseblys mit echten Grünpflanzen und einem hübschen Teegeschirr ausnehmend behaglichem Büro auf das erste Mädchen wartete, ging sie kurz die Personalien des Opfers durch.
Craig Foster, sechsundzwanzig Jahre. Keine Vorstrafen. Beide Eltern lebten noch und waren noch miteinander verheiratet. Sie lebten in New Jersey, wo der Sohn geboren und aufgewachsen war. Dann war er mit einem Teilstipendium an die Columbia-Universität gegangen, hatte dort sein Lehrerexamen gemacht und war dort, da er noch seinen Master in Geschichte hatte machen wollen, noch immer immatrikuliert.
Im Juli letzten Jahres hatte er Lissette Bolviar geehelicht.
Auf dem Foto sah er frisch und eifrig aus. Ein hübscher junger Mann mit einem klaren Teint in der Farbe gerosteter Kastanien, mit seelenvollen dunklen Augen sowie dunklem, an den Seiten und im Nacken kurz geschorenem und oben auf dem Kopf hochgebürstetem Haar.
Auch seine Schuhe waren echt modern, erinnerte sie sich. Schwarz-silberne, knöchelhohe geschnürte Gelboots. Nicht gerade billig, dachte sie. Wohingegen seine schmutzig braune Sportjacke an den Aufschlagen schon ziemlich abgewetzt gewesen war. Er trug eine anständige Uhr - sicher eine Kopie des Originals - und am Ringfinger der linken Hand blitzte ein goldener Ring.
Sie nahm an, wenn Peabody mit ihrer Arbeit fertig wäre, würde sie ihr sagen, dass in seinen Taschen nur ein bisschen Klimpergeld gewesen war.
Eilig schrieb sie sich ein paar Stichworte auf.
Woher war die heiße Schokolade gekommen?
Wer hatte Zugriff auf den Thermosbecher gehabt? Hatte Craig den Raum vielleicht mit jemandem geteilt? Wer hatte das Opfer wann zum letzten Mal lebend gesehen, und wer hatte den Leichnam entdeckt?
Gab es irgendwelche Versicherungspolicen, vielleicht eine Lebensversicherung? Wenn ja, wer bekäme dann das Geld?
Als die Tür geöffnet wurde, sah sie auf.
»Lieutenant?« Als Mosebly den Raum betrat, lag ihre Hand auf der Schulter eines dünnen, jungen Mädchens mit milchig weißer Haut, Sommersprossen und dazu passendem langem, zu einem glatten Zopf gekämmtem, karottenrotem Haar.
Zitternd stand die Kleine in ihrem marineblauen Blazer und der makellosen Khakihose da.
»Melodie, dies ist Lieutenant Dallas von der Polizei. Sie muss mit dir sprechen. Lieutenant Dallas, dies ist Melodies Mutter, Angela Miles-Branch.«
Die Kleine hatte Haar und Haut von ihrer Mom geerbt, bemerkte Eve. Und Mom sah nicht weniger erschüttert aus als sie.
»Lieutenant, ich frage mich, ob dieses Gespräch vielleicht bis morgen warten kann. Ich würde Melodie jetzt gerne erst mal mit nach Hause nehmen.« Ihre Hand lag wie ein Schraubstock um die Hand von ihrem Kind. »Meine Tochter fühlt sich nicht wohl. Was ja wohl verständlich ist.«
»Es ist für uns alle leichter, wenn wir dieses Gespräch jetzt gleich führen. Es wird bestimmt nicht lange dauern. Wenn Sie uns entschuldigen würden, Ms Mosebly...«
»Ich denke, als Vertreterin der Schule und des Kindes bleibe ich am besten hier.«
»Wir brauchen niemanden von der Schule, und als Vertreterin des Kindes ist die Mutter da. Lassen Sie uns also bitte allein.«
Moseblys Blick verriet, dass sie mit diesem Vorschlag alles andere als einverstanden war, dock sie presste die Lippen aufeinander und verließ den Raum.
»Warum setzt du dich nicht, Melodie?.
Aus jedem ihrer großen blauen Augen quoll eine fette Trane. »Ja, Ma'am. Mom?.
»lch bin hier. « Ohne ihre Tochter loszulassen, nahm Angela neben der Kleinen Platz. »Diese Sache hat sie furchtbar mitgenommen.«
»Das verstehe ich. Melodie, ich werde unsere Unterhaltung aufnehmen.«
Wieder kullerten zwei Tranen Uber Melodies Gesicht, und Eve fragte sich, warum in alter Welt sie nicht den Tatort übernommen hatte und Peabody hier bei dem Mädchen saß.
»Warum erzählst du mir nicht einfach, was passiert ist?«, fragte sie.
»Wir sind in Mr Fosters Klasse gegangen - hm, Rayleen und ich. Wir haben erst mal angeklopft, weil die Tür geschlossen war. Aber Mr Foster hat nichts dagegen, wenn man mit ihm sprechen muss. «
»Und ihr musstet mit Mr Foster sprechen.«
»Ober das Projekt. Ray und ich sind dabei Partnerinnen. Wir erstellen einen Multimedia-Bericht über die Freiheitsurkunde. Er muss in drei Wochen fertig sein und ist unser zweites großes Projekt in diesem Schuljahr. Er macht fünfundzwanzig Prozent der Note aus. Wir wollten, dass sich Mr Foster unseren Entwurf ansieht. Er hat nichts dagegen, wenn man ihm vor oder nach der Stunde Fragen stellt.«
»Okay. Wo wart ihr, bevor ihr zu Mr Fosters Klasse gegangen seid?«
»In unserer Lerngruppe. Ms Hallywell hat Ray und mir erlaubt, die Gruppe ein paar Minuten früher zu verlassen, um mit Mr Foster zu sprechen. Ich habe einen Erlaubnisschein.«
Sie wollte ihn aus ihrer Tasche ziehen, Eve aber wehrte ab.
»Schon gut. Ihr seid also in das Klassenzimmer gegangen ...«
»Wir wollten es. Wir haben miteinander geredet und dabei die Tür aufgemacht. Es hat fürchterlich gerochen. Ich habe zu Ray gesagt: >Meine Güte, hier stinkt's aber< «, Wieder brachen sich die Tranen Bahn. »Es tut mir leid, das ist mir einfach rausgerutscht.«
»Schon gut. Was ist dann passiert?«
»Ich habe ihn gesehen. Ich habe ihn auf dem Boden liegen sehen, und, oh, überall war Erbrochenes und so. Ray hat geschrien. Oder vielleicht auch ich. Oder wahrscheinlich wir beide. Dann sind wir wieder rausgerannt, Mr Dawson kam den Flur runtergelaufen und hat uns gefragt, was los ist. Er hat uns gesagt, dass wir stehen bleiben sollen, und ist in den Raum gegangen. Ich habe gesehen, dass er reingegangen ist. Dann kam er ganz schnell wieder raus und hat so gemacht..
Sie presste ihre freie Hand vor ihren Mund. .Ich glaube, dann hat er rein Handy aufgeklappt und Ms Mosebly angerufen. Als Ms Mosebly kam, hat sie die Krankenschwester gerufen. Und dann kam Schwester Brennan und hat uns mit in das Krankenzimmer genommen. Sie ist bei uns geblieben, bis Mr Kolfax kam und Ray mitgenommen hat. Ich bin bei Schwester Brennan geblieben, bis meine Mom gekommen ist.«
»Hast du sonst noch jemanden gesehen, der in Mr Fosters Klassenzimmer gegangen oder dort herausgekommen ist? «
»Nein, Ma'am.«
»Nast du auf dem Weg von deiner Lerngruppe zu seinem Klassenzimmer irgendwen gesehen?«
»Hm. Tut mir leid. Hm. Mr Bixley kam von der Jungentoilette, und außerdem ist uns Mr Dawson im Flur entgegengekommen. Wir haben ihm unseren Erlaubnisschein gezeigt. Ich glaube, das war alles, aber ich habe auch nicht weiter darauf geachtet, ob da sonst noch jemand war.«
»Woher habt ihr gewusst, wo ihr Mr Foster finden würdet?«
»Oh, er ist montags vor der fünften Stunde immer in seiner Klasse. Er isst Montagmittag immer dort. Und in der letzten Viertelstunde erlaubt er den Schülern, zu ihm zu kommen und mit ihm zu sprechen, wenn sie et-was auf dem Herzen haben. Man darf auch schon vorher zu ihm gehen, wenn es wirklich wichtig ist. Er ist so nett. Mom.«
»Ich weiß, Baby. Lieutenant, bitte ...«
»Gleich haben wir's geschafft. Melodie, hast du oder Rayleen Mr Foster oder irgendetwas in der Klasse angefasst?«
»0h, nein, nein, Ma'am. Wir sind einfach weggerannt. Es war schrecklich, und wir sind weggerannt.«
»Okay. Melodie, falls du dich sonst noch an irgendwas erinnerst, irgendeine Kleinigkeit, musst du mir das bitte sagen.«
Die Kleine erhob sich von ihrem Platz und sah Eve mit gro1en Augen an. »Lieutenant Dallas? Ma'am? «
»Ja?«
»Rayleen hat gesagt... als wir im Krankenzimmer waren, hat Rayleen gesagt, dass sie Mr Foster in einem großen schwarzen Sack aus der Schule tragen müssen. Müssen Sie das wirklich? Müssen Sie das wirklich tun?«
»Oh, Melodie.« Angela zog das Kind an ihre Brust und hielt es fest.
»Wir kümmern uns jetzt um Mr Foster«, antwortete Eve. »Es ist mein Job, jetzt für ihn da zu sein, und das bin ich auch. Dadurch, dass du mit mir sprichst, hilfst du mir, meinen Job zu machen und für Mr Foster da zu sein.« »Wirklich?« Melodie schniefte und stieß einen leisen Seufzer aus. »Danke. Ich möchte jetzt nach Hause. Darf ich jetzt nach Hause gehen?«
Eve sah in ihre tränennassen Augen, nickte stumm und wandte sich der Mutter zu. »Wir werden uns bestimmt noch mal bei lhnen melden. Aber schon mal vielen Dank für das Gespräch.«
»Diese Sache hat die Mädchen furchtbar mitgenommen. Es ist wirklich schwer für sie. Komm, Schätzchen. Wir gehen jetzt nach Hause.«
Angela legte einen Arm um die Schultern ihrer Tochter und geleitete sie aus dem Raum.
Auch Eve stieß sich vom Schreibtisch ab, folgte den beiden an die Tür und sah, dass Mosebly bereits auf die beiden zugelaufen kam.
»Ms Mosebly? Ich hatte da noch ein paar Fragen.« »Ich bringe Mrs Miles-Branch und Melodie nur noch schnell hinaus.«
»Die beiden finden den Weg doch sicher auch allein. Kommen Sie also bitte kurz in lhr Büro«
Eve ersparte sich die Mühe, sich zu setzen, und lehnte sich stattdessen einfach an den Schreibtisch.
Mit an den Seiten geballten Fäusten kam Mosebly hereingestapft.
»Lieutenant Dallas, auch wenn ich durchaus verstehe, dass Sie Ihre Arbeit machen müssen, entsetzt mich Ihre herablassende, arrogante Art.«
»Okay. Hat Mr Foster gewohnheitsmäßig sein eigenes Essen und seine eigenen Getränke mit hierher gebracht?« "Ich... ich glaube, ja. Oder zumindest meistens. Selbstverständlich haben wir eine von einer Ernährungsberaterin zertifizierte Cafeteria und auch staatlich kontrollierte Verkaufsautomaten im Haus. Aber viele unserer Angestellten bringen zumindest ab und zu lieber ihre eigenen Sachen mit.«
»Hat er oft allein an seinem Pult gegessen?«
Mosebly massierte sich die Stirn. »Soweit ich weiß, hat er sein Mittagessen an zwei, drei Tagen pro Woche in seinem Klassenzimmer eingenommen. Ein Lehrer kann seine Arbeit nicht im Rahmen der normalen Schulstunden erledigen. Er muss den Unterricht planen, Arbeiten korrigieren, Lektüre und Laborversuche vorbereiten und so weiter und so fort. Außerdem hat Craig sich wie die meisten anderen Lehrer auch parallel zu seiner Arbeit hier beruflich fortgebildet, was ebenfalls mit einigem Aufwand verbunden ist. Deshalb hat er oft in seinen Pausen an seinem Pult gegessen und während des Essens gearbeitet. Er war sehr pflichtbewusst.«
Der in ihr angestaute Zorn schien sich zu legen und mit rauer Stimme fügte sie hinzu: »Er war Jung und idealistisch. Er hat seinen Beruf geliebt, Lieutenant Dallas, das war nicht zu übersehen.«
»Hatte er irgendwelche Probleme mit Kolleginnen oder Kollegen?«
»Davon ist mir nichts bekannt. Er war ein freundlicher und umgänglicher junger Mann. Ich bin sowohl persönlich als auch beruflich der Ansicht, dass er ein großer Gewinn für unsere Schule war.«
»Gab es in letzter Zeit irgendwelche Entlassungen?« »Nein. Hier bei Sarah Child haben wir eine sehr geringe Fluktuation. Craig war seit zwei Jahren hier. Er hat die Lücke geschlossen, die durch die Pensionierung eines unserer Lehrer nach fünfzig Jahren im Schuldienst, davon achtundzwanzig hier bei uns, entstanden war.«
»Wie steht es mit Ihnen? Wie lange sind Sie selbst schon hier?«
»Ich bin seit drei Jahren Rektorin. lnsgesamt jedoch habe ich inzwischen fünfundzwanzig Jahre sowohl als Lehrkraft als auch in der Verwaltung an Schulen zugebracht.«
»Wann haben Sie Mr Foster zum letzten Mal gesehen?« »Heute Morgen, aber nur ganz kurz.« Mosebly trat vor einen kleinen Kühlschrank und nahm eine Wasserflasche heraus. »Er kam wie meistens etwas früher, um noch den Fitnessraum zu nutzen. Die Benutzung der Gerate und des Pools steht allen Angestellten frei. Craig hat diese Möglichkeit an den meisten Vormittagen noch vor Unterrichtsbeginn genutzt.«
Seufzend schenkte sie sich etwas von dem Wasser in ein Glas. »Möchten Sie auch etwas, Lieutenant?« »Danke.« Eve schüttelte den Kopf.
»Ich war selber heute Morgen schwimmen und habe den Poolbereich gerade verlassen, als er hereingekommen ist. Wir haben uns gegrüßt, über den Verkehr gejammert, und dann bin ich gegangen. Ich war ziemlich in Eile, hörte aber noch, wie er ins Wasser sprang.« Sie hob ihr Glas an ihren Mund. »Als ich die Tür des Umkleideraums geöffnet habe, habe ich es gehört. Oh, Gott.« »Wann genau war das?«
»Gegen sieben Uhr dreißig. Um acht hatte ich eine Telefon-Konferenz, und weil ich zu lange im Pool geblieben war, war ich etwas spät dran. Ich war wütend auf mich selbst und habe deshalb kaum mit Craig gesprochen.«
»Wo hat er sein Mittagessen aufbewahrt?«
»Nun, ich nehme an, in seinem Klassenzimmer. Vielleicht auch im Pausenraum, aber ich kann mich nicht erinnern, dass ich je gesehen habe, dass er etwas dort in den Kühlschrank gelegt oder herausgenommen hat.« »Ist das Klassenzimmer für gewöhnlich abgesperrt?« »Nein. Natürlich ist die Schule gut gesichert, aber die einzelnen Klassenräume stehen immer offen. Es gibt keinen Grund sie abzuschließen, da das Miteinander hier bei Sarah Child auf Vertrauen und Verantwortung basiert.« »In Ordnung. Sie können mir die zweite Zeugin schicken. Rayleen Straffo.«
Jetzt nickte Mosebly nicht mehr majestätisch, sondern eher resigniert. "Was ist mit den anderen Schülern? Und dem Personal?«
»Wir werden noch mit den Angestellten sprechen müssen, bevor irgendjemand das Gebäude verlasst. Die Schiller können Sie nach Hause schicken, aber drucken Sie mir bitte noch eine Namens- und Adressenliste aus.« »Okay.«
Als sie wieder alleine war, zog Eve ihr Handy aus der Tasche und rief Peabody an. »Und, wie sieht es aus?« »Der Leichnam wird gerade abtransportiert. Der Pathologe geht ebenfalls von einer Vergiftung aus, obwohl natürlich erst die Autopsie ergeben wird, ob es tatsachlich so war. Die Spurensicherung ist inzwischen auch da. Es sieht aus, als hätte das Opfer kurz vor Eintreten des Todes noch an seinem Computer gearbeitet und dort irgendeinen Test für seine nächste Stunde vorbereitet.«
»Das wäre ein mögliches Motiv«, erklärte Eve bierernst.
Ich habe Tests immer gehasst und hege ernste Zweifel, ob sie überhaupt verfassungsmäßig sind. Ich habe mir die Kiste angesehen und entdeckt, dass das Opfer um zwölf Uhr sechs eine E-Mail an LFoster@Blackburnpub.com gesendet hat. Außer dieser Mail und einem kurzen Antwortschreiben war dort für heute nichts.«
»Die Frau heißt Lissette. Was stand in der Mail?«
»Es war nur eine kurze Mitteilung an seinen Schatz, in der er ihm angeboten hat, etwas zum Abendessen mitzubringen, wenn er von der Arbeit kommt. Die Antwort war ebenfalls sehr liebevoll verfasst, kam um vierzehn Uhr achtundvierzig an, wurde aber nicht mehr aufgemacht.«
»Okay. Ich warte gerade auf die zweite Zeugin und schicke lhnen dafür die Rektorin. Bringen Sie sie irgendwo unter, ja? Und dann beginnen Sie mit der Befragung der Angestellten und stellen vor allem fest, wo wer von ihnen heute war. Ich übernehme auch ein paar der Leute, wenn ich mit der Kleinen fertig bin. Ach ja, und finden Sie heraus, ob die Ehefrau zu Hause oder bei der Arbeit ist. Wir benachrichtigen sie, wenn wir hier fertig sind.« »Der Spag bort einfach nie auf.«
Eve steckte ihr Handy wieder ein, und im selben Augenblick kam Mosebly, abermals die Hand auf der Schulter eines kleinen Mädchens, durch die Tür.
Diese Kleine war blond und hielt ihre dichte Lockenpracht mit einem veilchenblauen Reif in Schach. Der Reif hatte die Farbe ihrer Augen, die, auch wenn sie momentan rot und verquollen waren, ein Gesicht beherrschten, das mit seiner kleinen Stupsnase und dem zitternden, rosigen Schmollmund wie das einer kleinen Madame aussah. Sie trug dieselbe Uniform wie Melodie, hatte jedoch noch einen kleinen goldenen Stern am Aufschlag ihres Blazers festgemacht.
»Rayleen, das hier ist Lieutenant Dallas. Lieutenant, Rayleen ist mit ihrem Vater, Oliver Straffo, hier. Falls Sie mich brauchen, warte ich draußen vor der Tür.«
»Setz dich, Rayleen.«
»Lieutenant.« Oliver hielt die Hand der Tochter fest. Seine Stimme war so klar und durchdringend wie die von einem guten Schauspieler. Er war groß und blond wie seine Tochter, sah Eve jedoch aus kalten, stahlgrauen Augen an. Sie waren sich bereits des Öfteren begegnet. Vor Gericht.
Er war einer der besten, teuersten und angesehensten Strafverteidiger von ganz New York.
Was für ein Scheiß.
Übersetzung: Uta Hege
Copyright © 2010 für die deutsche Ausgabe by Blanvalet Verlag, in der Verlagsgruppe Random House, München
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Autoren-Porträt von J. D. Robb
J. D. Robb ist das Pseudonym der international höchst erfolgreichen Autorin Nora Roberts. Nora Roberts wurde 1950 in Maryland geboren und veröffentlichte 1981 ihren ersten Roman. Inzwischen zählt sie zu den meistgelesenen Autorinnen der Welt: Ihre Bücher haben eine weltweite Gesamtauflage von 500 Millionen Exemplaren überschritten. Auch in Deutschland erobern ihre Bücher und Hörbücher regelmässig die Bestsellerlisten. Nora Roberts hat zwei erwachsene Söhne und lebt mit ihrem Ehemann in Maryland.Bibliographische Angaben
- Autor: J. D. Robb
- 2013, Erstmals im TB, 528 Seiten, Masse: 11,8 x 18,7 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Übersetzer: Uta Hege
- Verlag: Blanvalet
- ISBN-10: 3442370485
- ISBN-13: 9783442370481
- Erscheinungsdatum: 10.04.2013
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