Eisige Nähe / Sören Henning Bd.3
Kriminalroman
"Herrlicher Krimistoff mit wundervoll schwarzem Humor. Ungemein fesselnd!"
GONG
Der skandalumwitterte Kieler Musikproduzent Peter Bruhns wird zusammen mit seiner jungen Geliebten tot aufgefunden. Eine Beziehungstat? Oder das Werk...
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Produktinformationen zu „Eisige Nähe / Sören Henning Bd.3 “
"Herrlicher Krimistoff mit wundervoll schwarzem Humor. Ungemein fesselnd!"
GONG
Der skandalumwitterte Kieler Musikproduzent Peter Bruhns wird zusammen mit seiner jungen Geliebten tot aufgefunden. Eine Beziehungstat? Oder das Werk eines persönlichen Feindes? Davon gibt es mehr als genug, wie die Ermittlungen ergeben. Doch dann nimmt der Fall eine völlig unerwartete Wendung.
Klappentext zu „Eisige Nähe / Sören Henning Bd.3 “
Der Kieler Musikproduzent Peter Bruhns wird zusammen mit seiner jungen Geliebten tot in einem Penthouse aufgefunden. Eine Beziehungstat? Oder das Werk eines persönlichen Feindes, von denen es nicht wenige gibt? Bei den Untersuchungen wird ein Gift nachgewiesen, das den Kommissaren Sören Henning und Lisa Santos Rätsel aufgibt. Der Fall nimmt eine ungeahnte Wendung, als am Tatort auch noch DNA sichergestellt wird, die in Deutschland bereits mit verschiedenen Morden in Verbindung gebracht wird. Handelt es sich hier nicht um eine Einzeltat, sondern um das Werk eines Massenmörders?
Lese-Probe zu „Eisige Nähe / Sören Henning Bd.3 “
Eisige Nähe von Andreas FranzDas scheinbar Gute ist nicht immer gut,
das scheinbar Böse nicht immer böse. Es ist der Mensch mit vielen Masken,
die vieles verdecken.
Beides wohnt im Menschen, das Gute und das Böse.
SAMSTAG, 7. MÄRZ 2009
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Hans Schmidt war pünktlich am frühen Nachmittag in Hamburg gelandet. Er holte den für ihn reservierten BMW bei der Autovermietung ab und fuhr nach Kiel. Es war kalt, viel kälter als in Lissabon, die Temperatur lag kaum über null Grad, während es in Portugal in den letzten Tagen beinahe zwanzig Grad gewesen waren, nur die Nächte waren kühl, aber immer noch wärmer als die Tage hier in Norddeutschland. Der Verkehr war fließend, und er brauchte kaum eine Stunde, bis er sein Haus in dem vornehmen Kieler Stadtteil Düsternbrook erreichte.
Es gab zwei Gründe, weshalb er nach Kiel gereist war: Der erste und offizielle betraf das Erstellen von Expertisen für ein paar sehr alte und vermutlich sehr wertvolle Handschriften, eine davon angeblich aus dem elften Jahrhundert, und zwei Bücher von Niccolò Machiavelli, Il Principe und Discorsi, beide mit handschriftlichen Anmerkungen versehen.
Woher der Klient die Bücher hatte, interessierte Schmidt nicht, obwohl es heutzutage fast unmöglich war, an solche nahezu unbezahlbare Originalausgaben zu gelangen, ohne kriminelle Wege zu beschreiten.
Der zweite und hauptsächliche Grund war er war gekommen, um zu töten. Nicht viel, und er hätte seine Lebensgefährtin Maria mitgebracht, aber sie war glücklicherweise unabkömmlich, die Handwerker wollten am Montag den neuen Kamin einsetzen, den Maria sich schon so lange gewünscht hatte, ein Wunsch, den er ihr nicht hatte abschlagen können. Dabei war es in Lissabon selten so kühl, dass man einen Kamin benötigte, aber sie hatte immer wieder betont, wie schön es doch aussehen würde, wenn ...
Er hatte es sich ein paarmal geduldig angehört und ihr schließlich vorgeschlagen, ein Unternehmen damit zu beauftragen, was sie sich natürlich nicht zweimal sagen ließ. Vielleicht war es auch ganz gut so, dass sie in Lissabon geblieben war, denn die vor ihm liegende Mission erforderte seine vollste Konzentration, obwohl Maria ihn nicht gestört hätte, sie war eine zwar stets präsente, aber sich doch immer im Hintergrund haltende Frau, die keine unnötigen Fragen stellte. Sie fragte nicht, wohin er ging, wie lange er blieb, wann sie ihn zurückerwarten könne.
Nichts von alledem, keine Klette wie viele oder die meisten anderen Frauen, die er im Laufe seines Lebens kennengelernt hatte. Sie war eine Perle, wie man sie nur unter Tausenden fand, schön, unprätentiös, fleißig, sie las ihm beinahe jeden Wunsch von den Augen ab, und manchmal war es ihm sogar unangenehm, wenn sie in seine Gedankenwelt einzutauchen schien, auch wenn dies eigentlich unmöglich war, denn wäre es ihr möglich gewesen, sie hätte Dinge erblickt, die sie nie hätte sehen wollen, die kaum ein Mensch hätte sehen wollen. Entweder hätte sie ihn oder sich längst umgebracht, oder sie wäre einfach gegangen, ohne ein Wort zu verlieren, denn sie war eine stolze und höchst verschwiegene Frau.
Und sie war, neben einer anderen, die einzige Person, von der er meinte, sie sei ihm ebenbürtig, auch wenn sie zeitweise in zwei völlig verschiedenen Welten lebten. Sie war wie ein Hurrikan in sein Leben getreten, und das nur, weil er eine Haushälterin gesucht hatte. So stand sie mit einem Mal vor ihm, diese aparte, anfangs unnahbare Frau, die ihn von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen hatte. Halblange, fast schwarze Haare, hellbrauner Teint, eine markante Stirn und noch markantere Wangenknochen, eine fast porenlose Haut und Augen, wie er sie noch bei keiner anderen Frau gesehen hatte, ein tiefes Blau, das einen beinahe unnatürlichen Kontrast zu den Braun- und Schwarztönen bildete. Zarte, fragile Hände und eine Figur, die in jedem Mann unweigerlich ein Feuer entfachen musste.
Das Schönste an ihr war jedoch der Mund, diese feingeschwungenen, nicht zu vollen Lippen, die sich perfekt diesem ohnehin perfekten Gesicht anpassten. Er hatte sie gesehen und sich in sie verliebt, obwohl er nie vorgehabt hatte, sich jemals in eine Frau zu verlieben. Aber sie stand vor ihm, und er wusste, er würde nie wieder eine andere Frau ansehen, vorausgesetzt, Maria erwiderte seine Gefühle. Er hatte nie nach ihr gesucht, er hatte überhaupt nie nach einer Frau gesucht, sondern immer nur die sich ihm bietenden Gelegenheiten genutzt, doch in all den Jahren hatte es keine Frau gegeben, mit der er sein Leben hätte verbringen wollen. Vielleicht war es Bestimmung oder weil er nie nach ihr gesucht hatte. Sein Motto lautete: Versuche nie, etwas zu erzwingen, lass alles auf dich zukommen. Dies betraf aber nur den privaten und den offiziellen Teil seines geschäftlichen Lebens. Sie war die Nummer zwölf der Bewerberinnen gewesen, ein Volltreffer, mehr wert als ein Sechser im Lotto. Er konnte sich an nichts in seinem Leben erinnern, das der ersten Begegnung mit Maria auch nur im Ansatz gleichkam. Außer einer Sache, aber das war etwas anderes gewesen, so unterschiedlich wie Sonne und Mond. Und doch auf eine gewisse Weise prickelnd, erregend, sinnlich. Sein erster Mord.
In Auftrag gegeben von einer von Eifersucht zerfressenen Frau, die es leid war, dass ihr Mann sich ständig mit jungen Mädchen vergnügte. Dabei war diese Frau erst Mitte dreißig, aber für ihren damaligen Mann schon zu alt, obwohl er selbst bereits neunundvierzig war. Ein schwerreicher Immobilienmogul aus Frankfurt, der nie der Pubertät entwachsen war.
Einer, der sich in allen Betten rumtrieb, nur kaum einmal in seinem eigenen. Der aber seine Frau und die beiden Kinder wie in einem goldenen Käfig gefangen hielt, aus dem sie sich und die Kinder unbedingt befreien wollte. Nicht nur aus dem Käfig, sondern auch von ihrem Mann, den sie zu hassen gelernt hatte, wie nur Frauen hassen können. Was wirklich hinter diesem Auftrag stand, das sollte Schmidt erst später erfahren. Hans Schmidt war damals gerade zweiundzwanzig, doch er hatte die Lebenserfahrung eines Mittvierzigers.
Er lebte in Kiel, hatte aber vor, baldmöglichst seine Zelte dort abzubrechen und sich irgendwo anders niederzulassen, einen gutbezahlten Job anzunehmen und Karriere zu machen. Er, zu dem Zeitpunkt ein von der Hand in den Mund lebender Student, schaltete mehrere Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen, und auf eine davon meldete sich diese Frau. Sie suchte einen Gärtner für das Anwesen, und da Schmidt angegeben hatte, auch Gartenarbeiten auszuführen, dachte er, dies könnte die Gelegenheit sein, aus seiner Heimatstadt herauszukommen. Ihre erste Begegnung fand in Kiel statt, wo die Frau angeblich zu tun hatte, doch ihm war klar, dass sie nur seinetwegen gekommen war. Er würde diese erste Begegnung nie vergessen, sollte sie doch sein Leben von Grund auf verändern. Es war in einem Café in Düsternbrook, dem Viertel, in das er später ziehen sollte. Ein Viertel, das zum größten Teil jenen vorbehalten war, die es sich leisten konnten, dort zu wohnen.
Bei dem Treffen merkte er, wie diese unglaublich schöne und elegante Dame ihn zwar unauffällig und doch unentwegt musterte und begutachtete, obwohl sie anfangs nur über den Job als Gärtner für das Anwesen in Hofheim, einer kleinen Stadt an der Peripherie Frankfurts, sprachen.
Allein, wie sie sich die Zigarette anzündete, wie sie dezent und doch mit überwältigender Erotik die Beine übereinanderschlug, war es wert gewesen, mit ihr diesen Nachmittag zu verbringen. Mit Sarah Schumann, so hatte sie sich ihm vorgestellt. Er solle nach Hofheim ziehen, Kost und Logis seien frei, dazu werde er einen guten Lohn erhalten, und außerdem könne er in Frankfurt weiterstudieren, mit ein wenig Planung ließe sich alles unter einen Hut bringen.
Es klang wie Musik in seinen Ohren, seine noch verschwommenen Pläne erhielten zum ersten Mal klare Konturen. Schließlich lud sie ihn noch für denselben Abend zu sich in ihr Kieler Haus ein, um, wie sie wörtlich sagte, die Details zu fixieren. Der Abend verlief jedoch völlig anders, als er erwartet hatte. Nie hätte er für möglich gehalten, dass durch die Annonce sein Leben in eine Bahn gelenkt werden würde, an die er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen zu denken gewagt hätte.
Sarah Schumann fragte ihn wie beiläufig, ob er ganz langsam wenig Geld verdienen wolle oder lieber ganz viel in kurzer Zeit. Er wusste nicht, was er mit dieser Frage anfangen sollte, doch er antwortete, dass wohl jeder am liebsten schnell viel Geld verdienen möge. Mit einem Mal stand sie splitternackt vor ihm, sie verbrachten die Nacht zusammen, und es war ein großartiges Gefühl, mit einer Frau zu schlafen, die zwölf oder dreizehn Jahre älter war. Sie hatte nicht nur einen Traumkörper, sondern auch Intellekt und Charisma und Charme, dem er sich nicht zu entziehen vermochte.
Unmittelbar nach dem Sex rauchte sie schweigend eine Zigarette und trank ein Glas Rotwein, beobachtete Hans Schmidt eine Weile, als wollte sie seine Gedanken lesen oder in sein Innerstes eintauchen, dorthin, wo bisher nur er zu schauen imstande war, bis sie sagte, was sie wirklich von ihm wollte. Sie berichtete von ihrem Mann, seinen permanenten Seitensprüngen mit jungen Frauen, manchmal sogar Minderjährigen, seiner aktuellen Affäre mit einer Fünfzehnjährigen und dass sie es mit diesem pädophilen Hurensohn nicht länger aushalte.
Vor allem hatte sie Angst, dass er sich an den gemeinsamen zehn und zwölf Jahre alten Töchtern vergehen könnte. Schließlich rückte sie mit der vollen Wahrheit heraus, die Worte kamen kühl und emotionslos über ihre Lippen, sie legte ein Foto ihres Mannes auf den Tisch und sagte, sie suche jemanden, der sie von ihm befreie. Und zwar für immer.
Ob er, Hans Schmidt, dazu bereit sei, es solle nicht zu seinem Schaden sein. Dabei zeigte sich außer einem Aufblitzen in den Augen keinerlei Regung, während sie im Gegenzug jede noch so winzige Reaktion von Schmidt registrierte und analysierte. Er tat verwirrt und erschrocken (obwohl das nicht ganz richtig ist, denn anfangs, ganz am Anfang, direkt nachdem sie ihr Anliegen vorgebracht hatte, war er tatsächlich verwirrt und erschrocken gewesen, aber nur für ein paar Sekunden) und sagte, er habe so etwas noch nie gemacht, aber sie antwortete gelassen und beinahe klischeehaft, es gäbe für alles ein erstes Mal.
Die ersten Schritte, das erste Hinfallen, der erste Schultag, die erste große Liebe ... Sie könne sich vorstellen, es sei wie der erste Sex, man hat Angst und verspürt gleichzeitig dieses unbeschreibliche Kribbeln, das durch den ganzen Körper zieht, man will es und ziert sich doch, aber schließlich tut man es, weil die Lust auf die Erforschung des Unbekannten übermächtig wird.
So oder ähnlich müsse es wohl mit dem ersten Mord sein. Sie erklärte, und es klang aufrichtig, wie oft sie den Mord an ihrem Mann durchgespielt hatte, wie sie ihren untreuen Gatten erschoss, wie er langsam zu Boden sank und seine Augen sie flehend und bettelnd ansahen und sie breitbeinig über ihm stand und ihn kalt anlächelte, während allmählich der letzte Hauch Leben aus seinem Körper wich. »Ich hasse ihn abgrundtief für das, was er mir und den Kindern angetan hat. Ich könnte jetzt noch viel mehr über ihn sagen, aber das würde zu lange dauern und tut auch nichts zur Sache. Vielleicht erzähle ich dir eines Tages die ganze Geschichte.«
Auf Schmidts Frage, warum sie es denn nicht selbst in die Hand nähme, antwortete sie mit einem unvergleichlichen Lächeln (etwas kühl und doch irgendwie entrückt), sie würde es ja liebend gerne, aber der Verdacht würde natürlich sofort auf sie fallen. Sie brauche für diese Aufgabe jemanden, den niemand in ihrem Umfeld kenne, der kommen und wieder gehen würde. Lautlos, spurlos, wie ein Phantom. Sie habe sofort gespürt, schon nach der nur Sekunden dauernden Begrüßung im Café, er sei der richtige Mann dafür, denn wenn sie eines sei, dann eine hervorragende Menschenkennerin, die vom ersten Eindruck noch nie getäuscht worden war. Eine Ausnahme allerdings hatte es gegeben, die Begegnung mit ihrem Mann, einem Schauspieler allererster Güte. Er fühlte sich geschmeichelt, und er sagte nicht nein, auch wenn er sich fragte, wie er es anstellen sollte, einen Menschen zu töten, den er nur auf einem Foto gesehen hatte und von dem er nichts wusste als das, was seine Frau ihm erzählt hatte ganz abgesehen davon, dass er keine Gewähr dafür hatte, ob ihre Geschichte überhaupt der Wahrheit entsprach. Er fragte auch nicht danach, denn es war ihm gleich. Seltsamerweise empfand er keine Angst bei dem Gedanken, einen Menschen zu töten, was vielleicht daran lag, dass er noch nie in seinem Leben wirklich Angst vor irgendetwas gehabt hatte, denn er hatte schon früh lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich durchzusetzen. Hatte er Skrupel empfunden? Vielleicht. Ein schlechtes Gewissen? Möglicherweise.
Letztlich wusste er nicht mehr, was damals in ihm vorgegangen war, weil alles fast surreal gewirkt hatte. Aber und das war das Entscheidende sie hatte ihm hunderttausend Mark geboten, wenn er bereit wäre, ihren Mann zu beseitigen oder, wie sie es ausdrückte, zu liquidieren und somit aus ihrem Leben ein für alle Mal zu entfernen. Und weitere hunderttausend, sobald der Auftrag erledigt war. Vorausgesetzt, niemand könne die Spur zu ihm und ihr zurückverfolgen. Er hatte nicht lange überlegt, ihr Angebot war ein Vermögen für jemanden, der sich bis dahin mit wenig lukrativen Gelegenheitsjobs neben seinem Studium über Wasser gehalten hatte. Sie besprachen den genauen Ablauf: Wenn sie ihn in den nächsten Tagen kontaktieren würde, müsse er umgehend nach Frankfurt kommen, wo er in einem First-Class-Hotel unterkommen würde. In einem Schließfach im Hauptbahnhof wäre eine Waffe hinterlegt, und er bekäme den Schlüssel per Kurier in sein Hotel geliefert. Sie hatte an alles gedacht. Sie selbst würde sich in diesen Tagen bei einer Freundin im Ausland aufhalten und erst zurückkehren, sobald sie vom Tod ihres Mannes durch die Polizei oder jemanden aus der Familie erfahren würde. Den Rest des Geldes würde er ein paar Tage später wieder in einem Schließfach finden, der Schlüssel dazu würde im Hotel abgegeben werden.
Zweihunderttausend Mark, ein Vermögen für Hans Schmidt, der bis dahin neben seinem Studium der Germanistik und Romanistik mit Ach und Krach über die Runden gekommen war. Zweihunderttausend Mark für einen Mord an einem untreuen Ehemann. Er hatte so etwas schon im Kino gesehen, aber dass er selbst eines Tages einen Auftragsmord ausführen würde, hätte er bis zu jenem Abend des 12. Oktober 1984 niemals für möglich gehalten. In seiner damals noch vorhandenen Naivität hatte er Sarah gefragt, wann er denn die Stelle als Gärtner antreten solle, worauf sie lachend geantwortet hatte: »Glaubst du ernsthaft, ich würde mich wegen eines Gärtners auf den langen Weg nach Kiel machen?
Bei uns im Rhein-MainGebiet gibt es so viele Gärtner, da brauche ich keinen von hier oben. Ich bin nur aus einem einzigen Grund gekommen, und den habe ich dir genannt. Mich hat deine Annonce angesprochen, ich wusste sofort, du bist der richtige Mann für diese Aufgabe. Bis jetzt hast du mich keines Besseren belehrt. Oder sollte ich mich doch getäuscht haben?«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin der Richtige«, hatte er geantwortet. »Gut. Es wird dein Schaden nicht sein.« Nur drei Tage später rief Sarah Schumann ihn an und teilte ihm mit, der Zeitpunkt sei gekommen. Er fuhr nach Frankfurt und checkte in einem First-Class-Hotel ein, wo ein Umschlag mit zweitausend Mark für ihn hinterlegt worden war.
Die Luxussuite im Herzen von Frankfurt war für eine Woche im Voraus bezahlt. Zwei Tage verbrachte er fast ausschließlich in seinem Zimmer und wartete, bis Sarah endlich anrief und ihm mitteilte, dass ihr Mann den nächsten Tag in seiner Jagdhütte im Taunus verbringe.
Angeblich, um sich vom Stress der vergangenen Wochen zu erholen. Noch am selben Abend wurde ihm von einem Kurier ein wattierter Umschlag mit einer Karte, auf der die Hütte eingezeichnet war, sowie dem Schlüssel für das Bahnhofsschließfach übergeben. Dort fand er eine Sporttasche vor, in der sich eine großkalibrige Pistole mit Schalldämpfer und die versprochene Anzahlung von hunderttausend Mark befanden.
Hans Schmidt mietete sich einen Wagen und fuhr zu einem Waldparkplatz, der etwa fünfhundert Meter von der Jagdhütte entfernt war. Neben der Hütte parkte ein Range Rover, wie es ihm von Sarah Schumann beschrieben worden war. Schmidt ging durch das angelehnte Tor, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass niemand ihn beobachtete. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Er klopfte mehrfach gegen die Tür, bis ein hochgewachsener, bulliger Mann in Unterhemd und Shorts öffnete unverkennbar Sarahs Gatte. Hans Schmidt behauptete, er habe sich verlaufen und wisse nicht mehr, wie er zur Hauptstraße käme. Der mürrische Hausherr wollte ihn so schnell wie möglich loswerden, deutete mit der Hand Richtung Westen und murmelte ein paar kaum verständliche Worte. Dann ging alles sehr schnell, Schumann bekam kaum mit, wie mit einem Mal die große Pistole mit dem Schalldämpfer gegen seine Brust gedrückt und er in die Hütte gedrängt wurde, wie Schmidt einen Finger auf den Mund legte und meinte, dass er keinen Mucks von sich geben sollte.
Dann erst sah er das Mädchen, das splitternackt auf dem Bett saß und ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Ein sehr junges und sehr hübsches Mädchen, eine sich mitten in der Pubertät befindende Schönheit mit slawischen Gesichtszügen. Blond, blaue Augen und eine Figur, die erst in ein oder zwei Jahren ausgereift wäre.
Vielleicht dreizehn, vielleicht auch schon vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Ein Mädchen, das Sarah Schumann nicht erwähnt hatte, von dem sie vermutlich nicht einmal etwas wusste. Er würde später mit ihr darüber sprechen. Eines aber stand fest: Er konnte, er durfte das Mädchen nicht am Leben lassen, es wäre zu gefährlich gewesen. Sie hätte ihn identifizieren können. Eine Flasche Champagner und zwei Gläser standen auf dem Tisch, leise Musik spielte. An all das erinnerte sich Hans Schmidt, als wäre es gestern gewesen. Im Gesicht des Mannes hatte blanke Todesangst gestanden, er stammelte wirres Zeug, das Schmidt nicht interessierte.
Er kickte die Tür mit dem Absatz hinter sich zu, runzelte die Stirn und drückte zweimal ab. Der erste Schuss traf den Mann in die Brust, der zweite in den Kopf, so hatte es Schmidt in einem Mafiathriller gesehen. Das Mädchen hielt sich ein Kissen vor das Gesicht, die Augen weit aufgerissen, kein Laut kam über ihre Lippen, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis auch ihre Augen brachen.
Was Sarah erzählt hatte, war die Wahrheit gewesen: ein alternder Mann, der es am liebsten mit jungen Mädchen trieb. Ein Mann, der das Geld hatte, sich alles leisten zu können, kleine Mädchen inklusive. Und doch war Schmidt selbstverständlich davon ausgegangen, Schumann alleine anzutreffen. Es war ein einfacher Job gewesen, Schmidt hatte auf die beiden Toten herabgesehen, als wären sie Puppen, hatte die Hütte verlassen und war gemäßigten Schrittes zu seinem Wagen gegangen. Wieder war er niemandem begegnet. Auf der Fahrt zurück nach Frankfurt hatte er überlegt, die Waffe wegzuwerfen, aber dann doch beschlossen, sie zu behalten.
Ein Souvenir vom ersten Mal, sozusagen. Die Waffe besaß er noch immer, sie war auch mehrfach benutzt worden, zuletzt vor einem halben Jahr. Später im Hotel ließ er die Tat Revue passieren. Dabei dachte er mehr und mehr über das Mädchen nach, dessen Leben beendet war, bevor es richtig begonnen hatte. Für eine kurze Zeit hatte er ein schlechtes Gewissen, auch wenn er davon überzeugt war, dass sie so oder so bald gestorben wäre, denn die Zwangsprostituierten, vor allem junge Mädchen, überlebten selten die ersten drei Jahre, so hatte er einmal gelesen.
Entweder starben sie an einer Überdosis Heroin oder an einer Kombination aus Drogen und Alkohol oder sie wurden umgebracht. Dennoch beschloss er, nie wieder Kinder oder Jugendliche zu töten, und bis zum heutigen Tag hatte er dieses Versprechen gehalten.
Wochenlang berichteten die Zeitungen über den heimtückischen Mord an dem angesehenen Immobilienmogul Manfred Schumann und einer jungen Frau, deren Namen man nie herausfand. Die Ermittler gingen davon aus, dass es sich um eine junge Frau aus Osteuropa handelte, die vermutlich mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt worden war, wie so viele Mädchen und Frauen, die trotz des Eisernen Vorhangs in immer größeren Scharen in das vermeintliche Paradies Deutschland kamen. Das Alter der jungen Frau wurde stets mit achtzehn bis zwanzig angegeben, eine Lüge, denn Schmidt hatte das Mädchen gesehen. Je länger die Ermittlungen andauerten, desto weiter führte die Spur in den Osten.
Es stellte sich heraus, dass Schumann dubiose Geschäfte in Polen, der CSSR, der Sowjetunion und den damals noch zur Sowjetunion zählenden baltischen Staaten getätigt und vermutlich auch mit Menschenhändlern in Kontakt gestanden hatte. Für einige Wochen war sein bislang guter Name mit einem Makel befleckt, doch schon bald wurde das Mädchen aus der Berichterstattung gestrichen, als hätte es nie existiert. Zwanzig Jahre später wurden ein Hochhaus und eine kleine Straße nach Schumann benannt, der sich so sehr um Frankfurt verdient gemacht hatte.
Vom Täter fehlte weiter jede Spur. Schließlich ging man davon aus, dass er von einem Rivalen aus der Bau- oder Immobilienbranche beseitigt worden sein könnte, doch es fanden sich keinerlei Beweise. Natürlich war seine Frau unter die Lupe genommen worden, aber sie konnte ein einwandfreies Alibi vorweisen und gab offen zu, dass ihre Ehe nicht gerade vorbildlich gewesen war, wobei sie ihren Mann immer geliebt habe, auch wenn sie von den unzähligen Affären ihres Mannes wusste wie so viele in ihrem Umfeld.
Dank dieser Offenheit gegenüber der Polizei und Öffentlichkeit war sie schnell aus dem Visier der Fahnder verschwunden. Drei Tage nach dem Mord erhielt Schmidt das restliche Geld und schon kurz darauf den nächsten Auftrag. Vermittelt von der Frau, die, wie die Zeitungen vermeldeten, auf so sinnlose und tragische Weise ihren geliebten Mann verloren hatte.
Er war zweiundzwanzig gewesen, als er seinen ersten Auftragsmord beging, und bis dahin hatte er nicht einmal im Traum daran gedacht, jemals einem Menschen physisches Leid zuzufügen, geschweige denn, einen Mord zu begehen. Jetzt waren es gleich zwei auf einmal gewesen, und er hatte nichts oder zumindest nur wenig dabei empfunden. Keine Reue und auch nicht dieses berühmte schlechte Gewissen, das einen angeblich plagen sollte. Keine Alpträume, keine nächtlichen Schweißausbrüche, kein Gang zu einem Priester, um sich von der Last der Sünde zu befreien. Stattdessen fühlte er eine Art Stolz und Genugtuung, etwas getan zu haben, was sich nur die allerwenigsten trauten. Es war so unglaublich einfach gewesen, und für einen Moment, als er wieder im Auto saß, hatte ihn sogar ein nie gekanntes Glücksgefühl überkommen.
Und das alles durfte er nur erleben, weil diese ganz besondere Frau, Sarah Schumann, ihn über eine Anzeige kontaktiert hatte. Sie hatte sein Leben verändert und ihm eine Richtung verliehen, die so ganz anders als in seiner Vorstellung gewesen war. Ein Leben, das aller Wahrscheinlichkeit nach so langweilig und eintönig wie das so vieler Menschen verlaufen wäre.
Das Studium beenden, einen mehr oder minder gutbezahlten Job annehmen, eine Frau kennenlernen, heiraten, Kinder bekommen, abends nebeneinander vor dem Fernseher hocken und schweigend auf den Bildschirm starren, ein-, zwei- oder am Anfang auch dreimal in der Woche miteinander schlafen und das Leben zur unsäglichen Routine verkommen lassen. Das alles in einer endlosen Schleife bis zum bitteren Ende in vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren. Doch Hans Schmidt führte seit jenem Abend im Oktober 1984 ein sorgloses und ausgefülltes Leben, er hatte Geld und andere materielle Güter im Überfluss, er war körperlich und geistig topfit, alles passte, es gab nichts, worüber er sich Gedanken zu machen brauchte. Bis auf den ersten Fall hatte es sich in den folgenden Jahren ausschließlich um Zielpersonen gehandelt, die eine zwielichtige und kriminelle Rolle in der Gesellschaft spielten.
In all der Zeit hatte es nur einen einzigen Auftrag gegeben, der ihm persönliche Probleme bereitet und bei dessen Ausführung er Skrupel verspürt hatte. Er hatte eine Frau liquidieren müssen, mit der ihn eine langjährige tiefe Freundschaft und eine lose sexuelle Beziehung verband. Es hatte ihm fast das Herz zerrissen, aber ihm war keine Wahl geblieben. Hätte er diesen Auftrag abgelehnt, hätte er wohl nie wieder einen weiteren erhalten. Niemand wusste von seiner Affäre mit Julianne Cummings, der Frau des ehemals zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, von den Massen schon lange vor der Wahl wie ein Heilsbringer gefeiert, dessen demokratischem Konkurrenten, wer immer es auch sein mochte, kaum eine Chance eingeräumt worden war.
Cummings war in der Tat beeindruckend, geboren in Portland, Oregon, treues Mitglied einer einflussreichen Sekte, der schon seine Eltern und Großeltern angehörten, mit achtundzwanzig der jüngste Gouverneur aller Zeiten, mit Ende dreißig im Senat in Washington, mit Mitte vierzig höchst aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat.
Er war ein charismatischer Mann, rhetorisch unschlagbar, auf jedes Argument hatte er ein Gegenargument und wenn es ein Zitat aus der Bibel war. Was jedoch niemand außerhalb seines politischen Vertrautenkreises ahnte: Peter Cummings war verschlagen bis ins Mark.
Copyright © 2010 by Knaur Verlag.
Hans Schmidt war pünktlich am frühen Nachmittag in Hamburg gelandet. Er holte den für ihn reservierten BMW bei der Autovermietung ab und fuhr nach Kiel. Es war kalt, viel kälter als in Lissabon, die Temperatur lag kaum über null Grad, während es in Portugal in den letzten Tagen beinahe zwanzig Grad gewesen waren, nur die Nächte waren kühl, aber immer noch wärmer als die Tage hier in Norddeutschland. Der Verkehr war fließend, und er brauchte kaum eine Stunde, bis er sein Haus in dem vornehmen Kieler Stadtteil Düsternbrook erreichte.
Es gab zwei Gründe, weshalb er nach Kiel gereist war: Der erste und offizielle betraf das Erstellen von Expertisen für ein paar sehr alte und vermutlich sehr wertvolle Handschriften, eine davon angeblich aus dem elften Jahrhundert, und zwei Bücher von Niccolò Machiavelli, Il Principe und Discorsi, beide mit handschriftlichen Anmerkungen versehen.
Woher der Klient die Bücher hatte, interessierte Schmidt nicht, obwohl es heutzutage fast unmöglich war, an solche nahezu unbezahlbare Originalausgaben zu gelangen, ohne kriminelle Wege zu beschreiten.
Der zweite und hauptsächliche Grund war er war gekommen, um zu töten. Nicht viel, und er hätte seine Lebensgefährtin Maria mitgebracht, aber sie war glücklicherweise unabkömmlich, die Handwerker wollten am Montag den neuen Kamin einsetzen, den Maria sich schon so lange gewünscht hatte, ein Wunsch, den er ihr nicht hatte abschlagen können. Dabei war es in Lissabon selten so kühl, dass man einen Kamin benötigte, aber sie hatte immer wieder betont, wie schön es doch aussehen würde, wenn ...
Er hatte es sich ein paarmal geduldig angehört und ihr schließlich vorgeschlagen, ein Unternehmen damit zu beauftragen, was sie sich natürlich nicht zweimal sagen ließ. Vielleicht war es auch ganz gut so, dass sie in Lissabon geblieben war, denn die vor ihm liegende Mission erforderte seine vollste Konzentration, obwohl Maria ihn nicht gestört hätte, sie war eine zwar stets präsente, aber sich doch immer im Hintergrund haltende Frau, die keine unnötigen Fragen stellte. Sie fragte nicht, wohin er ging, wie lange er blieb, wann sie ihn zurückerwarten könne.
Nichts von alledem, keine Klette wie viele oder die meisten anderen Frauen, die er im Laufe seines Lebens kennengelernt hatte. Sie war eine Perle, wie man sie nur unter Tausenden fand, schön, unprätentiös, fleißig, sie las ihm beinahe jeden Wunsch von den Augen ab, und manchmal war es ihm sogar unangenehm, wenn sie in seine Gedankenwelt einzutauchen schien, auch wenn dies eigentlich unmöglich war, denn wäre es ihr möglich gewesen, sie hätte Dinge erblickt, die sie nie hätte sehen wollen, die kaum ein Mensch hätte sehen wollen. Entweder hätte sie ihn oder sich längst umgebracht, oder sie wäre einfach gegangen, ohne ein Wort zu verlieren, denn sie war eine stolze und höchst verschwiegene Frau.
Und sie war, neben einer anderen, die einzige Person, von der er meinte, sie sei ihm ebenbürtig, auch wenn sie zeitweise in zwei völlig verschiedenen Welten lebten. Sie war wie ein Hurrikan in sein Leben getreten, und das nur, weil er eine Haushälterin gesucht hatte. So stand sie mit einem Mal vor ihm, diese aparte, anfangs unnahbare Frau, die ihn von der ersten Sekunde an in ihren Bann gezogen hatte. Halblange, fast schwarze Haare, hellbrauner Teint, eine markante Stirn und noch markantere Wangenknochen, eine fast porenlose Haut und Augen, wie er sie noch bei keiner anderen Frau gesehen hatte, ein tiefes Blau, das einen beinahe unnatürlichen Kontrast zu den Braun- und Schwarztönen bildete. Zarte, fragile Hände und eine Figur, die in jedem Mann unweigerlich ein Feuer entfachen musste.
Das Schönste an ihr war jedoch der Mund, diese feingeschwungenen, nicht zu vollen Lippen, die sich perfekt diesem ohnehin perfekten Gesicht anpassten. Er hatte sie gesehen und sich in sie verliebt, obwohl er nie vorgehabt hatte, sich jemals in eine Frau zu verlieben. Aber sie stand vor ihm, und er wusste, er würde nie wieder eine andere Frau ansehen, vorausgesetzt, Maria erwiderte seine Gefühle. Er hatte nie nach ihr gesucht, er hatte überhaupt nie nach einer Frau gesucht, sondern immer nur die sich ihm bietenden Gelegenheiten genutzt, doch in all den Jahren hatte es keine Frau gegeben, mit der er sein Leben hätte verbringen wollen. Vielleicht war es Bestimmung oder weil er nie nach ihr gesucht hatte. Sein Motto lautete: Versuche nie, etwas zu erzwingen, lass alles auf dich zukommen. Dies betraf aber nur den privaten und den offiziellen Teil seines geschäftlichen Lebens. Sie war die Nummer zwölf der Bewerberinnen gewesen, ein Volltreffer, mehr wert als ein Sechser im Lotto. Er konnte sich an nichts in seinem Leben erinnern, das der ersten Begegnung mit Maria auch nur im Ansatz gleichkam. Außer einer Sache, aber das war etwas anderes gewesen, so unterschiedlich wie Sonne und Mond. Und doch auf eine gewisse Weise prickelnd, erregend, sinnlich. Sein erster Mord.
In Auftrag gegeben von einer von Eifersucht zerfressenen Frau, die es leid war, dass ihr Mann sich ständig mit jungen Mädchen vergnügte. Dabei war diese Frau erst Mitte dreißig, aber für ihren damaligen Mann schon zu alt, obwohl er selbst bereits neunundvierzig war. Ein schwerreicher Immobilienmogul aus Frankfurt, der nie der Pubertät entwachsen war.
Einer, der sich in allen Betten rumtrieb, nur kaum einmal in seinem eigenen. Der aber seine Frau und die beiden Kinder wie in einem goldenen Käfig gefangen hielt, aus dem sie sich und die Kinder unbedingt befreien wollte. Nicht nur aus dem Käfig, sondern auch von ihrem Mann, den sie zu hassen gelernt hatte, wie nur Frauen hassen können. Was wirklich hinter diesem Auftrag stand, das sollte Schmidt erst später erfahren. Hans Schmidt war damals gerade zweiundzwanzig, doch er hatte die Lebenserfahrung eines Mittvierzigers.
Er lebte in Kiel, hatte aber vor, baldmöglichst seine Zelte dort abzubrechen und sich irgendwo anders niederzulassen, einen gutbezahlten Job anzunehmen und Karriere zu machen. Er, zu dem Zeitpunkt ein von der Hand in den Mund lebender Student, schaltete mehrere Anzeigen in regionalen und überregionalen Zeitungen, und auf eine davon meldete sich diese Frau. Sie suchte einen Gärtner für das Anwesen, und da Schmidt angegeben hatte, auch Gartenarbeiten auszuführen, dachte er, dies könnte die Gelegenheit sein, aus seiner Heimatstadt herauszukommen. Ihre erste Begegnung fand in Kiel statt, wo die Frau angeblich zu tun hatte, doch ihm war klar, dass sie nur seinetwegen gekommen war. Er würde diese erste Begegnung nie vergessen, sollte sie doch sein Leben von Grund auf verändern. Es war in einem Café in Düsternbrook, dem Viertel, in das er später ziehen sollte. Ein Viertel, das zum größten Teil jenen vorbehalten war, die es sich leisten konnten, dort zu wohnen.
Bei dem Treffen merkte er, wie diese unglaublich schöne und elegante Dame ihn zwar unauffällig und doch unentwegt musterte und begutachtete, obwohl sie anfangs nur über den Job als Gärtner für das Anwesen in Hofheim, einer kleinen Stadt an der Peripherie Frankfurts, sprachen.
Allein, wie sie sich die Zigarette anzündete, wie sie dezent und doch mit überwältigender Erotik die Beine übereinanderschlug, war es wert gewesen, mit ihr diesen Nachmittag zu verbringen. Mit Sarah Schumann, so hatte sie sich ihm vorgestellt. Er solle nach Hofheim ziehen, Kost und Logis seien frei, dazu werde er einen guten Lohn erhalten, und außerdem könne er in Frankfurt weiterstudieren, mit ein wenig Planung ließe sich alles unter einen Hut bringen.
Es klang wie Musik in seinen Ohren, seine noch verschwommenen Pläne erhielten zum ersten Mal klare Konturen. Schließlich lud sie ihn noch für denselben Abend zu sich in ihr Kieler Haus ein, um, wie sie wörtlich sagte, die Details zu fixieren. Der Abend verlief jedoch völlig anders, als er erwartet hatte. Nie hätte er für möglich gehalten, dass durch die Annonce sein Leben in eine Bahn gelenkt werden würde, an die er nicht einmal in seinen kühnsten Träumen zu denken gewagt hätte.
Sarah Schumann fragte ihn wie beiläufig, ob er ganz langsam wenig Geld verdienen wolle oder lieber ganz viel in kurzer Zeit. Er wusste nicht, was er mit dieser Frage anfangen sollte, doch er antwortete, dass wohl jeder am liebsten schnell viel Geld verdienen möge. Mit einem Mal stand sie splitternackt vor ihm, sie verbrachten die Nacht zusammen, und es war ein großartiges Gefühl, mit einer Frau zu schlafen, die zwölf oder dreizehn Jahre älter war. Sie hatte nicht nur einen Traumkörper, sondern auch Intellekt und Charisma und Charme, dem er sich nicht zu entziehen vermochte.
Unmittelbar nach dem Sex rauchte sie schweigend eine Zigarette und trank ein Glas Rotwein, beobachtete Hans Schmidt eine Weile, als wollte sie seine Gedanken lesen oder in sein Innerstes eintauchen, dorthin, wo bisher nur er zu schauen imstande war, bis sie sagte, was sie wirklich von ihm wollte. Sie berichtete von ihrem Mann, seinen permanenten Seitensprüngen mit jungen Frauen, manchmal sogar Minderjährigen, seiner aktuellen Affäre mit einer Fünfzehnjährigen und dass sie es mit diesem pädophilen Hurensohn nicht länger aushalte.
Vor allem hatte sie Angst, dass er sich an den gemeinsamen zehn und zwölf Jahre alten Töchtern vergehen könnte. Schließlich rückte sie mit der vollen Wahrheit heraus, die Worte kamen kühl und emotionslos über ihre Lippen, sie legte ein Foto ihres Mannes auf den Tisch und sagte, sie suche jemanden, der sie von ihm befreie. Und zwar für immer.
Ob er, Hans Schmidt, dazu bereit sei, es solle nicht zu seinem Schaden sein. Dabei zeigte sich außer einem Aufblitzen in den Augen keinerlei Regung, während sie im Gegenzug jede noch so winzige Reaktion von Schmidt registrierte und analysierte. Er tat verwirrt und erschrocken (obwohl das nicht ganz richtig ist, denn anfangs, ganz am Anfang, direkt nachdem sie ihr Anliegen vorgebracht hatte, war er tatsächlich verwirrt und erschrocken gewesen, aber nur für ein paar Sekunden) und sagte, er habe so etwas noch nie gemacht, aber sie antwortete gelassen und beinahe klischeehaft, es gäbe für alles ein erstes Mal.
Die ersten Schritte, das erste Hinfallen, der erste Schultag, die erste große Liebe ... Sie könne sich vorstellen, es sei wie der erste Sex, man hat Angst und verspürt gleichzeitig dieses unbeschreibliche Kribbeln, das durch den ganzen Körper zieht, man will es und ziert sich doch, aber schließlich tut man es, weil die Lust auf die Erforschung des Unbekannten übermächtig wird.
So oder ähnlich müsse es wohl mit dem ersten Mord sein. Sie erklärte, und es klang aufrichtig, wie oft sie den Mord an ihrem Mann durchgespielt hatte, wie sie ihren untreuen Gatten erschoss, wie er langsam zu Boden sank und seine Augen sie flehend und bettelnd ansahen und sie breitbeinig über ihm stand und ihn kalt anlächelte, während allmählich der letzte Hauch Leben aus seinem Körper wich. »Ich hasse ihn abgrundtief für das, was er mir und den Kindern angetan hat. Ich könnte jetzt noch viel mehr über ihn sagen, aber das würde zu lange dauern und tut auch nichts zur Sache. Vielleicht erzähle ich dir eines Tages die ganze Geschichte.«
Auf Schmidts Frage, warum sie es denn nicht selbst in die Hand nähme, antwortete sie mit einem unvergleichlichen Lächeln (etwas kühl und doch irgendwie entrückt), sie würde es ja liebend gerne, aber der Verdacht würde natürlich sofort auf sie fallen. Sie brauche für diese Aufgabe jemanden, den niemand in ihrem Umfeld kenne, der kommen und wieder gehen würde. Lautlos, spurlos, wie ein Phantom. Sie habe sofort gespürt, schon nach der nur Sekunden dauernden Begrüßung im Café, er sei der richtige Mann dafür, denn wenn sie eines sei, dann eine hervorragende Menschenkennerin, die vom ersten Eindruck noch nie getäuscht worden war. Eine Ausnahme allerdings hatte es gegeben, die Begegnung mit ihrem Mann, einem Schauspieler allererster Güte. Er fühlte sich geschmeichelt, und er sagte nicht nein, auch wenn er sich fragte, wie er es anstellen sollte, einen Menschen zu töten, den er nur auf einem Foto gesehen hatte und von dem er nichts wusste als das, was seine Frau ihm erzählt hatte ganz abgesehen davon, dass er keine Gewähr dafür hatte, ob ihre Geschichte überhaupt der Wahrheit entsprach. Er fragte auch nicht danach, denn es war ihm gleich. Seltsamerweise empfand er keine Angst bei dem Gedanken, einen Menschen zu töten, was vielleicht daran lag, dass er noch nie in seinem Leben wirklich Angst vor irgendetwas gehabt hatte, denn er hatte schon früh lernen müssen, auf eigenen Beinen zu stehen und sich durchzusetzen. Hatte er Skrupel empfunden? Vielleicht. Ein schlechtes Gewissen? Möglicherweise.
Letztlich wusste er nicht mehr, was damals in ihm vorgegangen war, weil alles fast surreal gewirkt hatte. Aber und das war das Entscheidende sie hatte ihm hunderttausend Mark geboten, wenn er bereit wäre, ihren Mann zu beseitigen oder, wie sie es ausdrückte, zu liquidieren und somit aus ihrem Leben ein für alle Mal zu entfernen. Und weitere hunderttausend, sobald der Auftrag erledigt war. Vorausgesetzt, niemand könne die Spur zu ihm und ihr zurückverfolgen. Er hatte nicht lange überlegt, ihr Angebot war ein Vermögen für jemanden, der sich bis dahin mit wenig lukrativen Gelegenheitsjobs neben seinem Studium über Wasser gehalten hatte. Sie besprachen den genauen Ablauf: Wenn sie ihn in den nächsten Tagen kontaktieren würde, müsse er umgehend nach Frankfurt kommen, wo er in einem First-Class-Hotel unterkommen würde. In einem Schließfach im Hauptbahnhof wäre eine Waffe hinterlegt, und er bekäme den Schlüssel per Kurier in sein Hotel geliefert. Sie hatte an alles gedacht. Sie selbst würde sich in diesen Tagen bei einer Freundin im Ausland aufhalten und erst zurückkehren, sobald sie vom Tod ihres Mannes durch die Polizei oder jemanden aus der Familie erfahren würde. Den Rest des Geldes würde er ein paar Tage später wieder in einem Schließfach finden, der Schlüssel dazu würde im Hotel abgegeben werden.
Zweihunderttausend Mark, ein Vermögen für Hans Schmidt, der bis dahin neben seinem Studium der Germanistik und Romanistik mit Ach und Krach über die Runden gekommen war. Zweihunderttausend Mark für einen Mord an einem untreuen Ehemann. Er hatte so etwas schon im Kino gesehen, aber dass er selbst eines Tages einen Auftragsmord ausführen würde, hätte er bis zu jenem Abend des 12. Oktober 1984 niemals für möglich gehalten. In seiner damals noch vorhandenen Naivität hatte er Sarah gefragt, wann er denn die Stelle als Gärtner antreten solle, worauf sie lachend geantwortet hatte: »Glaubst du ernsthaft, ich würde mich wegen eines Gärtners auf den langen Weg nach Kiel machen?
Bei uns im Rhein-MainGebiet gibt es so viele Gärtner, da brauche ich keinen von hier oben. Ich bin nur aus einem einzigen Grund gekommen, und den habe ich dir genannt. Mich hat deine Annonce angesprochen, ich wusste sofort, du bist der richtige Mann für diese Aufgabe. Bis jetzt hast du mich keines Besseren belehrt. Oder sollte ich mich doch getäuscht haben?«
»Nein, natürlich nicht. Ich bin der Richtige«, hatte er geantwortet. »Gut. Es wird dein Schaden nicht sein.« Nur drei Tage später rief Sarah Schumann ihn an und teilte ihm mit, der Zeitpunkt sei gekommen. Er fuhr nach Frankfurt und checkte in einem First-Class-Hotel ein, wo ein Umschlag mit zweitausend Mark für ihn hinterlegt worden war.
Die Luxussuite im Herzen von Frankfurt war für eine Woche im Voraus bezahlt. Zwei Tage verbrachte er fast ausschließlich in seinem Zimmer und wartete, bis Sarah endlich anrief und ihm mitteilte, dass ihr Mann den nächsten Tag in seiner Jagdhütte im Taunus verbringe.
Angeblich, um sich vom Stress der vergangenen Wochen zu erholen. Noch am selben Abend wurde ihm von einem Kurier ein wattierter Umschlag mit einer Karte, auf der die Hütte eingezeichnet war, sowie dem Schlüssel für das Bahnhofsschließfach übergeben. Dort fand er eine Sporttasche vor, in der sich eine großkalibrige Pistole mit Schalldämpfer und die versprochene Anzahlung von hunderttausend Mark befanden.
Hans Schmidt mietete sich einen Wagen und fuhr zu einem Waldparkplatz, der etwa fünfhundert Meter von der Jagdhütte entfernt war. Neben der Hütte parkte ein Range Rover, wie es ihm von Sarah Schumann beschrieben worden war. Schmidt ging durch das angelehnte Tor, nicht ohne sich vorher vergewissert zu haben, dass niemand ihn beobachtete. Weit und breit war kein Mensch zu sehen. Er klopfte mehrfach gegen die Tür, bis ein hochgewachsener, bulliger Mann in Unterhemd und Shorts öffnete unverkennbar Sarahs Gatte. Hans Schmidt behauptete, er habe sich verlaufen und wisse nicht mehr, wie er zur Hauptstraße käme. Der mürrische Hausherr wollte ihn so schnell wie möglich loswerden, deutete mit der Hand Richtung Westen und murmelte ein paar kaum verständliche Worte. Dann ging alles sehr schnell, Schumann bekam kaum mit, wie mit einem Mal die große Pistole mit dem Schalldämpfer gegen seine Brust gedrückt und er in die Hütte gedrängt wurde, wie Schmidt einen Finger auf den Mund legte und meinte, dass er keinen Mucks von sich geben sollte.
Dann erst sah er das Mädchen, das splitternackt auf dem Bett saß und ihn mit weit aufgerissenen Augen anstarrte. Ein sehr junges und sehr hübsches Mädchen, eine sich mitten in der Pubertät befindende Schönheit mit slawischen Gesichtszügen. Blond, blaue Augen und eine Figur, die erst in ein oder zwei Jahren ausgereift wäre.
Vielleicht dreizehn, vielleicht auch schon vierzehn oder fünfzehn Jahre alt. Ein Mädchen, das Sarah Schumann nicht erwähnt hatte, von dem sie vermutlich nicht einmal etwas wusste. Er würde später mit ihr darüber sprechen. Eines aber stand fest: Er konnte, er durfte das Mädchen nicht am Leben lassen, es wäre zu gefährlich gewesen. Sie hätte ihn identifizieren können. Eine Flasche Champagner und zwei Gläser standen auf dem Tisch, leise Musik spielte. An all das erinnerte sich Hans Schmidt, als wäre es gestern gewesen. Im Gesicht des Mannes hatte blanke Todesangst gestanden, er stammelte wirres Zeug, das Schmidt nicht interessierte.
Er kickte die Tür mit dem Absatz hinter sich zu, runzelte die Stirn und drückte zweimal ab. Der erste Schuss traf den Mann in die Brust, der zweite in den Kopf, so hatte es Schmidt in einem Mafiathriller gesehen. Das Mädchen hielt sich ein Kissen vor das Gesicht, die Augen weit aufgerissen, kein Laut kam über ihre Lippen, doch es dauerte nur wenige Sekunden, bis auch ihre Augen brachen.
Was Sarah erzählt hatte, war die Wahrheit gewesen: ein alternder Mann, der es am liebsten mit jungen Mädchen trieb. Ein Mann, der das Geld hatte, sich alles leisten zu können, kleine Mädchen inklusive. Und doch war Schmidt selbstverständlich davon ausgegangen, Schumann alleine anzutreffen. Es war ein einfacher Job gewesen, Schmidt hatte auf die beiden Toten herabgesehen, als wären sie Puppen, hatte die Hütte verlassen und war gemäßigten Schrittes zu seinem Wagen gegangen. Wieder war er niemandem begegnet. Auf der Fahrt zurück nach Frankfurt hatte er überlegt, die Waffe wegzuwerfen, aber dann doch beschlossen, sie zu behalten.
Ein Souvenir vom ersten Mal, sozusagen. Die Waffe besaß er noch immer, sie war auch mehrfach benutzt worden, zuletzt vor einem halben Jahr. Später im Hotel ließ er die Tat Revue passieren. Dabei dachte er mehr und mehr über das Mädchen nach, dessen Leben beendet war, bevor es richtig begonnen hatte. Für eine kurze Zeit hatte er ein schlechtes Gewissen, auch wenn er davon überzeugt war, dass sie so oder so bald gestorben wäre, denn die Zwangsprostituierten, vor allem junge Mädchen, überlebten selten die ersten drei Jahre, so hatte er einmal gelesen.
Entweder starben sie an einer Überdosis Heroin oder an einer Kombination aus Drogen und Alkohol oder sie wurden umgebracht. Dennoch beschloss er, nie wieder Kinder oder Jugendliche zu töten, und bis zum heutigen Tag hatte er dieses Versprechen gehalten.
Wochenlang berichteten die Zeitungen über den heimtückischen Mord an dem angesehenen Immobilienmogul Manfred Schumann und einer jungen Frau, deren Namen man nie herausfand. Die Ermittler gingen davon aus, dass es sich um eine junge Frau aus Osteuropa handelte, die vermutlich mit falschen Versprechungen in den Westen gelockt worden war, wie so viele Mädchen und Frauen, die trotz des Eisernen Vorhangs in immer größeren Scharen in das vermeintliche Paradies Deutschland kamen. Das Alter der jungen Frau wurde stets mit achtzehn bis zwanzig angegeben, eine Lüge, denn Schmidt hatte das Mädchen gesehen. Je länger die Ermittlungen andauerten, desto weiter führte die Spur in den Osten.
Es stellte sich heraus, dass Schumann dubiose Geschäfte in Polen, der CSSR, der Sowjetunion und den damals noch zur Sowjetunion zählenden baltischen Staaten getätigt und vermutlich auch mit Menschenhändlern in Kontakt gestanden hatte. Für einige Wochen war sein bislang guter Name mit einem Makel befleckt, doch schon bald wurde das Mädchen aus der Berichterstattung gestrichen, als hätte es nie existiert. Zwanzig Jahre später wurden ein Hochhaus und eine kleine Straße nach Schumann benannt, der sich so sehr um Frankfurt verdient gemacht hatte.
Vom Täter fehlte weiter jede Spur. Schließlich ging man davon aus, dass er von einem Rivalen aus der Bau- oder Immobilienbranche beseitigt worden sein könnte, doch es fanden sich keinerlei Beweise. Natürlich war seine Frau unter die Lupe genommen worden, aber sie konnte ein einwandfreies Alibi vorweisen und gab offen zu, dass ihre Ehe nicht gerade vorbildlich gewesen war, wobei sie ihren Mann immer geliebt habe, auch wenn sie von den unzähligen Affären ihres Mannes wusste wie so viele in ihrem Umfeld.
Dank dieser Offenheit gegenüber der Polizei und Öffentlichkeit war sie schnell aus dem Visier der Fahnder verschwunden. Drei Tage nach dem Mord erhielt Schmidt das restliche Geld und schon kurz darauf den nächsten Auftrag. Vermittelt von der Frau, die, wie die Zeitungen vermeldeten, auf so sinnlose und tragische Weise ihren geliebten Mann verloren hatte.
Er war zweiundzwanzig gewesen, als er seinen ersten Auftragsmord beging, und bis dahin hatte er nicht einmal im Traum daran gedacht, jemals einem Menschen physisches Leid zuzufügen, geschweige denn, einen Mord zu begehen. Jetzt waren es gleich zwei auf einmal gewesen, und er hatte nichts oder zumindest nur wenig dabei empfunden. Keine Reue und auch nicht dieses berühmte schlechte Gewissen, das einen angeblich plagen sollte. Keine Alpträume, keine nächtlichen Schweißausbrüche, kein Gang zu einem Priester, um sich von der Last der Sünde zu befreien. Stattdessen fühlte er eine Art Stolz und Genugtuung, etwas getan zu haben, was sich nur die allerwenigsten trauten. Es war so unglaublich einfach gewesen, und für einen Moment, als er wieder im Auto saß, hatte ihn sogar ein nie gekanntes Glücksgefühl überkommen.
Und das alles durfte er nur erleben, weil diese ganz besondere Frau, Sarah Schumann, ihn über eine Anzeige kontaktiert hatte. Sie hatte sein Leben verändert und ihm eine Richtung verliehen, die so ganz anders als in seiner Vorstellung gewesen war. Ein Leben, das aller Wahrscheinlichkeit nach so langweilig und eintönig wie das so vieler Menschen verlaufen wäre.
Das Studium beenden, einen mehr oder minder gutbezahlten Job annehmen, eine Frau kennenlernen, heiraten, Kinder bekommen, abends nebeneinander vor dem Fernseher hocken und schweigend auf den Bildschirm starren, ein-, zwei- oder am Anfang auch dreimal in der Woche miteinander schlafen und das Leben zur unsäglichen Routine verkommen lassen. Das alles in einer endlosen Schleife bis zum bitteren Ende in vierzig, fünfzig oder sechzig Jahren. Doch Hans Schmidt führte seit jenem Abend im Oktober 1984 ein sorgloses und ausgefülltes Leben, er hatte Geld und andere materielle Güter im Überfluss, er war körperlich und geistig topfit, alles passte, es gab nichts, worüber er sich Gedanken zu machen brauchte. Bis auf den ersten Fall hatte es sich in den folgenden Jahren ausschließlich um Zielpersonen gehandelt, die eine zwielichtige und kriminelle Rolle in der Gesellschaft spielten.
In all der Zeit hatte es nur einen einzigen Auftrag gegeben, der ihm persönliche Probleme bereitet und bei dessen Ausführung er Skrupel verspürt hatte. Er hatte eine Frau liquidieren müssen, mit der ihn eine langjährige tiefe Freundschaft und eine lose sexuelle Beziehung verband. Es hatte ihm fast das Herz zerrissen, aber ihm war keine Wahl geblieben. Hätte er diesen Auftrag abgelehnt, hätte er wohl nie wieder einen weiteren erhalten. Niemand wusste von seiner Affäre mit Julianne Cummings, der Frau des ehemals zukünftigen Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika, von den Massen schon lange vor der Wahl wie ein Heilsbringer gefeiert, dessen demokratischem Konkurrenten, wer immer es auch sein mochte, kaum eine Chance eingeräumt worden war.
Cummings war in der Tat beeindruckend, geboren in Portland, Oregon, treues Mitglied einer einflussreichen Sekte, der schon seine Eltern und Großeltern angehörten, mit achtundzwanzig der jüngste Gouverneur aller Zeiten, mit Ende dreißig im Senat in Washington, mit Mitte vierzig höchst aussichtsreicher Präsidentschaftskandidat.
Er war ein charismatischer Mann, rhetorisch unschlagbar, auf jedes Argument hatte er ein Gegenargument und wenn es ein Zitat aus der Bibel war. Was jedoch niemand außerhalb seines politischen Vertrautenkreises ahnte: Peter Cummings war verschlagen bis ins Mark.
Copyright © 2010 by Knaur Verlag.
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Autoren-Porträt von Andreas Franz
Andreas Franz' große Leidenschaft war von jeher das Schreiben. Bereits mit seinem ersten Erfolgsroman "Jung, blond, tot" gelang es ihm, unzählige Krimileser in seinen Bann zu ziehen. Seitdem folgte Bestseller auf Bestseller, die ihn zu Deutschlands erfolgreichstem Krimiautor machten. Seinen ausgezeichneten Kontakten zu Polizei und anderen Dienststellen ist die große Authentizität seiner Kriminalromane zu verdanken. Andreas Franz starb im März 2011. Er war verheiratet und hatte fünf Kinder.
Autoren-Interview mit Andreas Franz
Interview mit Andreas Franz Herr Franz, was hat Sie persönlich dazu gebracht, ausgerechnet Krimis zu schreiben?
Andreas Franz: Ganz ehrlich, es hat sich einfach so ergeben. Und dann hat alles eine Eigendynamik gewonnen, die ich nicht erklären kann. Aber ich möchte natürlich auch irgendwann in andere Bereiche schnuppern, aber mehr dazu, wenn die Zeit dafür reif ist.
Sie sagen selbst, dass viele Ihrer Krimi-Plots auf wahren Begebenheiten beruhen. Woher nehmen Sie die Infos zu Tätern oder Mordumständen, wie recherchieren Sie und was muss eine Information haben, dass sie es schafft, als Grundlage für Ihre Geschichten zu dienen?
Andreas Franz: Polizeiinformationen oder auch nur schnöde Meldungen in den Medien. Verzeihen Sie, wenn ich jetzt nicht zu sehr ins Detail gehe, aber die genaue Recherche und meine Quellen bleiben mein kleines, aber wohlgehütetes Geheimnis.
In heutigen Krimis und Thrillern wird Gewalt und Brutalität sehr viel detaillierter dargestellt als noch zu Zeiten der klassischen Detektivgeschichte von Agatha Christie & Co. Glauben Sie, dass die Welt brutaler geworden ist oder man die Realität einfach authentischer abbildet?
Andreas Franz: Die Welt ist nicht brutaler geworden, höchstens schneller, hektischer. Der Informationsfluss wurde breiter und ebenfalls schneller, vor allem detaillierter. War Jack the Ripper noch eine Weltsensation, so wäre er heute nur ein Serienkiller unter vielen. Und waren die Geschichten von Agatha Christie zu ihren Zeiten mit dem Gruselfaktor 10 belegt, so rangieren sie heute unter der Kategorie „Häkelkrimis". Und ja, die Realität wird von einigen Autoren authentischer abgebildet.
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Sie waren selbst lange Jahre als Musiker aktiv. Mit Ihrem neuesten Krimi »Eisige Nähe«, der von einem Mord an einem Musikproduzenten handelt, betreten Sie zum ersten Mal mit einem Krimi den Bereich der Musikwelt. Geht die Idee zu diesem Fall auf Ihre eigene Zeit in der Musikbranche zurück?
Andreas Franz: Kurz und knapp - NEIN! Aber wenn man sich die unzähligen Castingsshows ansieht, dann könnte man schon mal Mordgelüste gegenüber gewissen Personen bekommen. Kleiner Scherz, aber dort liegen oder sitzen meine Vorbilder für Peter Bruhns.
Ihre Krimis handeln von Korruption in der besseren Gesellschaft, organisiertem Verbrechen, Missbrauch, Menschenhandel, Serienmorden. Ist das Krimigenre für Sie auch ein Instrument, um gesellschaftliche oder soziale Probleme und Missstände darzustellen?
Andreas Franz: Auf jeden Fall. Es geht für mich z.B. überhaupt nicht, dass ein Kleinkrimineller für Jahre im Knast verschwindet, während die ganz großen Täter, die Unternehmen, Banken etc. und damit auch Existenzen durch kriminelle Aktivitäten zugrunde richten, praktisch ungeschoren davonkommen. Natürlich muss ein Mörder bestraft werden, aber dass sehr viele Morde, vor allem Auftragsmorde, völlig ungestraft bleiben, ist für mich unverständlich. Da wird entweder gar nicht erst ermittelt und damit kein Verfahren eingeleitet oder es wird ermittelt, aber Beweise gegen bestimmte Täter werden vernichtet und unliebsame Zeugen vor Gericht gar nicht erst zugelassen. Mal weg vom Mord: Nehmen wir die sogenannten Prozesse gegen Banker und Vorstandsvorsitzende in den vergangenen Jahren. Alles abgekartet, Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben sich vorher abgesprochen und das Urteil stand bereits vor Prozessbeginn fest. Das hat nichts Verschwörungstheorie zu tun, sondern mit Informationen.
Sie sind sehr religiös. Wie passt das zusammen: Glaube an Gott und das Schreiben über brutale Mordfälle und wie vereinbaren Sie für sich diesen Gegensatz?
Andreas Franz: Nur weil ich an Gott und damit noch an das Gute glaube, kann ich auch über das Schlechte schreiben. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Entscheidungsfreiheit bekommen, und wenn sich jemand dafür entscheidet, Verbrechen zu begehen und anderen Menschen damit zu schaden, so ist das seine Sache. Ich komme mir dabei sehr häufig wie ein Beobachter vor. Ich sehe die Dinge, schreibe darüber, aber das mindert in keinster Weise meinen Glauben an Gott. Eher im Gegenteil, mein Glaube verhindert, dass ich nur noch alles in Grau- und Schwarztönen sehe. Und noch etwas: Ich glaube an Gott, weil ich in meinem Leben schon zu viele einschneidende Erfahrungen mit IHM gemacht habe, die mir keiner nehmen kann.
Könnten Sie sich vorstellen, dem Krimi »adieu« zu sagen und einmal das Genre zu wechseln?
Andreas Franz: Aber ja doch. Wie schon in Frage 1 angedeutet, werde ich irgendwann in ein anderes Genre wechseln, damit aber dem Krimi nicht „adieu" sagen, ich will doch all die LeserInnen, die sich so sehr mit Julia Durant und Frank Hellmer, Peter Brandt und Elvira Klein, Sören Henning und Lisa Santos identifizieren, nicht enttäuschen. Außerdem sind mir all diese Figuren so sehr ans Herz gewachsen, ich will auch noch eine ganze Weile mit ihnen leben und befreundet sein J.
Welchen Krimi haben Sie selbst zuletzt gelesen?
Andreas Franz: Keinen. Und das seit mindestens fünfzehn Jahren. Das hat damit zu tun, dass ich Angst habe, wenn auch unbewusst bei andern Autoren abzukupfern. Meine Frau und Kinder lesen andere Krimis, erzählen mir hin und wieder davon, und das war´s. Ich habe fertig.
Andreas Franz: Kurz und knapp - NEIN! Aber wenn man sich die unzähligen Castingsshows ansieht, dann könnte man schon mal Mordgelüste gegenüber gewissen Personen bekommen. Kleiner Scherz, aber dort liegen oder sitzen meine Vorbilder für Peter Bruhns.
Ihre Krimis handeln von Korruption in der besseren Gesellschaft, organisiertem Verbrechen, Missbrauch, Menschenhandel, Serienmorden. Ist das Krimigenre für Sie auch ein Instrument, um gesellschaftliche oder soziale Probleme und Missstände darzustellen?
Andreas Franz: Auf jeden Fall. Es geht für mich z.B. überhaupt nicht, dass ein Kleinkrimineller für Jahre im Knast verschwindet, während die ganz großen Täter, die Unternehmen, Banken etc. und damit auch Existenzen durch kriminelle Aktivitäten zugrunde richten, praktisch ungeschoren davonkommen. Natürlich muss ein Mörder bestraft werden, aber dass sehr viele Morde, vor allem Auftragsmorde, völlig ungestraft bleiben, ist für mich unverständlich. Da wird entweder gar nicht erst ermittelt und damit kein Verfahren eingeleitet oder es wird ermittelt, aber Beweise gegen bestimmte Täter werden vernichtet und unliebsame Zeugen vor Gericht gar nicht erst zugelassen. Mal weg vom Mord: Nehmen wir die sogenannten Prozesse gegen Banker und Vorstandsvorsitzende in den vergangenen Jahren. Alles abgekartet, Verteidigung und Staatsanwaltschaft haben sich vorher abgesprochen und das Urteil stand bereits vor Prozessbeginn fest. Das hat nichts Verschwörungstheorie zu tun, sondern mit Informationen.
Sie sind sehr religiös. Wie passt das zusammen: Glaube an Gott und das Schreiben über brutale Mordfälle und wie vereinbaren Sie für sich diesen Gegensatz?
Andreas Franz: Nur weil ich an Gott und damit noch an das Gute glaube, kann ich auch über das Schlechte schreiben. Jeder Mensch hat seine ganz eigene Entscheidungsfreiheit bekommen, und wenn sich jemand dafür entscheidet, Verbrechen zu begehen und anderen Menschen damit zu schaden, so ist das seine Sache. Ich komme mir dabei sehr häufig wie ein Beobachter vor. Ich sehe die Dinge, schreibe darüber, aber das mindert in keinster Weise meinen Glauben an Gott. Eher im Gegenteil, mein Glaube verhindert, dass ich nur noch alles in Grau- und Schwarztönen sehe. Und noch etwas: Ich glaube an Gott, weil ich in meinem Leben schon zu viele einschneidende Erfahrungen mit IHM gemacht habe, die mir keiner nehmen kann.
Könnten Sie sich vorstellen, dem Krimi »adieu« zu sagen und einmal das Genre zu wechseln?
Andreas Franz: Aber ja doch. Wie schon in Frage 1 angedeutet, werde ich irgendwann in ein anderes Genre wechseln, damit aber dem Krimi nicht „adieu" sagen, ich will doch all die LeserInnen, die sich so sehr mit Julia Durant und Frank Hellmer, Peter Brandt und Elvira Klein, Sören Henning und Lisa Santos identifizieren, nicht enttäuschen. Außerdem sind mir all diese Figuren so sehr ans Herz gewachsen, ich will auch noch eine ganze Weile mit ihnen leben und befreundet sein J.
Welchen Krimi haben Sie selbst zuletzt gelesen?
Andreas Franz: Keinen. Und das seit mindestens fünfzehn Jahren. Das hat damit zu tun, dass ich Angst habe, wenn auch unbewusst bei andern Autoren abzukupfern. Meine Frau und Kinder lesen andere Krimis, erzählen mir hin und wieder davon, und das war´s. Ich habe fertig.
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Bibliographische Angaben
- Autor: Andreas Franz
- 2011, 9. Aufl., 592 Seiten, Masse: 11,5 x 18 cm, Taschenbuch, Deutsch
- Verlag: Droemer/Knaur
- ISBN-10: 3426639416
- ISBN-13: 9783426639412
- Erscheinungsdatum: 26.07.2011
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