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  • 5 Sterne

    25 von 42 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Wedma _., 17.09.2017

    Auf rund 350 Seiten in 15 Kapitel, chronologisch aufgebaut, plus Prolog und Epilog aufgeteilt, erzählt Souad Mekhennet spannende Dinge von ihren Begegnungen mit führenden Persönlichkeiten des Jihad, die sie ihren aussergewöhnlichen Kontakten zu verdanken hat. Man reist mit ihr nach Jordanien und Libanon in 2007 (Kap. 5 und 6), nach Algerien in 2008 (Kap. 7), Pakistan in 2009 (Kap. 8), Ägypten, Tunesien, Bahrain, Iran in 2011 (Kap. 9-11). In England 2014-2015 ist man mit ihr auf der Spur von Jihadi John, dessen Identität und Werdegang dann offengelegt werden. Anfangs ist man mit der kleinen Souad in Deutschland und Marokko in 1978-1993 und im Prolog in der Türkei 2014, wo sie mit einem ganz hohen Anführer des IS sprach. Es ist eine bemerkenswerte Reise, die nicht nur im geografischen Sinne spannend ist, bei der es hier und da beschrieben wird, was man dort für Sitten pflegt und was auf den Tisch kommt, wie z.B. im Kap. 8, vielmehr ist es eine Reise durch die Weltanschauung der radikalen Islamisten, bei der sie ihren Werdegang, ihre Überzeugungen und Motive in Gesprächen mit Souad offenlegen. Klar wird dabei, dass diese Menschen, mit ethnischen Wurzeln in arabischen, nordafrikanischen, etc. Ländern, die in Westeuropa grossgeworden sind und einige ihre Studienabschlüsse dort erworben haben, nun erbittert gegen den Westen kämpfen, der ihnen seine politische Federführung und noch einiges mehr aufzudrängen versucht, so ihre Auffassung; im Gegenzug aber keine Möglichkeit eingeräumt hat, sich in den westlichen Ländern zu integrieren und auf einer Augenhöhe über die gegenwärtigen Probleme zu reden. Sprache wäre da nicht das Problem. Diese Leute sind in der Regel gut gebildet und mehrsprachig. Klar ist auch, dass diese Menschen die hegemoniale Führung der USA nicht länger akzeptieren wollen und auch gegen diese nun aktiv ankämpfen, s. z.B. S.12, 165, 194, 233, 320. Souad redet mit diesen Kämpfern, um ihren Standpunkt zu verstehen, um ihren Lesern zu zeigen, wer hinter IS steht und warum sie ihre Interessen ausschliesslich auf kriegerischem Wege durchzusetzen versuchen. Aber nicht alles dreht sich um Politik. Manches liest sich wie ein gutes Stück Literatur. Hin und wieder gibt es auch humorige Momente, z.B. als sich ein Sultan in Souad verliebt und ihr die Stelle seiner zweiten Frau, die seiner ersten im Haushalt und bei der Kindererziehung aushelfen sollte, bei einem üppigen Dinner in Pakistan angeboten hat.
    Parallel erzählt Souad ihre eigene Geschichte, sowie das Leben ihrer Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen: Mutter aus der Türkei, Vater aus Marokko; auch die Lebensgeschichten ihrer Grosseltern. Über ihre Grossmutter, eine starke Frau in Marokko des XX Jh., die ihre drei Kinder allein grossgezogen hatte, über das Leben und Sitten dort, die Souad als Kleinkind vermittelt bekam, habe ich gern gelesen. Hier las sich das Buch wie ein historischer Roman, wie auch an einigen anderen Stellen: Die Lebensgeschichten der Einwanderer nach Deutschland, zwischen denen Souad und ihre Schwestern aufgewachsen waren, spiegeln einen Teil der europäischen Geschichte dieser Zeit. Hier war kaum etwas erfunden. Die Personen und ihre Lebensgeschichten waren echt. Souad erzählt personennah und familienbetont, sie lässt die Leser bei ihren Familiengesprächen teilhaben, um zu zeigen, dass die meisten Probleme wie Sunniten/Schiiten Konflikt, der auch in ihrer Familie präsent ist (Mutter Schiitin, Vater Sunnit), auch ohne Blutvergiessen lösbar sind, wenn man einander zuhört.
    Souad versucht nicht, ihre Leser mit grauenvollen Schilderungen der Blutbäder der Terroranschläge zu beeindrucken. Die Spannung, die sie aufbaut, ist viel subtiler Natur. Souad teilt ihre Erfahrungen, die sie während ihrer Arbeit gesammelt hatte. Und da lauerte die Gefahr fast an jeder Ecke. Wie viel Mut und Fingerspitzengefühl war nötig, um auf der Messers Schneide so souverän auftreten zu können!
    Souad schliesst mit: „Die Welt steuert keinem Krieg der Zivilisationen oder Kulturen entgegen, sondern einer Konfrontation zwischen den Vermittlern, die Brücken bauen wollen, und denjenigen, für die alles stets schwarz oder weiss ist, die Hass verbreiten und Spaltung betreiben. Und so schwierig der Brückenbau sein mag: in jeder Generation gibt es Menschen, die Gemeinsamkeiten finden und Einigkeit schaffen wollen. Meine Eltern und meine Grosseltern haben mich gelehrt, was alles möglich ist.“ S. 362.
    Souad hat durch ihre Arbeit bewiesen, dass sie eine überzeugende Brückenbauerin im Sinne der Tradition ihrer Familie geworden ist. Sie schreibt auch weiter: „Wer legt die Regeln fest? Diese Frage stellt sich nicht nur für die muslimische Welt; sie ist ebenso ein Problem des Westens. Man kann keine Toleranz erwarten, wenn man sie anderen nicht zugesteht. In dem Moment, in dem jemand unbedingt recht behalten will, ist jede Grundlage für einen weiteren Dialog verloren.“ S. 363.

    Man kann noch viel über diese Buch schreiben, aber es ist besser, man liest es selbst.

    Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das sich manchmal wie ein Thriller und manchmal wie ein Roman liest. Man muss sich nicht gross für Politik interessieren, um Gefallen an diesem Werk zu finden. Das Buch ist sehr zugänglich und verständlich für alle, in einfacher, ausdruckstarker Sprache geschrieben worden. Menschenschicksale stehen dabei oft im Vordergrund und erzählen ihre bewegenden Geschichten.
    Hut ab vor Souad, dieser mutigen Frau, die auch in dieser vertrackten Situation versucht, den Dialog aufrechtzuerhalten und die Brücken zu schlagen. Auch wenn Pulitzer Preis 2017 bereits anderweitig vergeben ist, verdient dieses Werk eine ähnlich hohe Auszeichnung. Für mich ist dieses Buch das erste Highlight in diesem Lese-Herbst. 5 wohl verdiente Sterne und ein klare Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    6 von 11 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    StefanieFreigericht, 09.11.2017

    Erhellende Einblicke

    „Nur wenn du allein kommst“, diese Forderung hört die Journalistin Souad Mekhennet regelmässig, bevor sie sich mit ihren Interviewpartnern treffen kennen. Diese sind häufig Islamisten und sie vertrauen ihr aufgrund ihrer Abstammung: Sie wurde geboren in Frankfurt am Main, als Tochter einer schiitischen Mutter mit syrischer Abstammung, aber aus der Türkei, und eines sunnitischen Vaters aus Marokko. Die kleine Souad wuchs als Muslima auf in einer toleranten Familie, bei der sich die Eltern abarbeiteten, um den Kindern ein besseres Leben zu ermöglichen. „Die Einwanderer ihrer Generation, die Putzfrauen und Köche, muckten nicht auf, wären nie auf die Idee gekommen, die Autorität der 'richtigen Deutschen‘ infrage zu stellen.“ S. 53 Einige frühe Kindheitsjahre bei der Grossmutter in Marokko, dann das weitere Aufwachsen in Deutschland, Jugoslawienkrieg und Hoyerswerda, fremdenfeindliche Angriffe prägen die Heranwachsende, die sich entschliesst, nach dem Vorbild aus dem Film „Die Unbestechlichen“ zum Watergate-Skandal selbst Reporterin zu werden. „Statt meine Ängste die Oberhand gewinnen zu lassen, begann ich sie als Herausforderung zu begreifen, und daran hat sich bis heute nichts geändert.“ S. 44 Durch einen immer weiteren Ausbau ihrer Kontakte und dadurch, dass sie stets bemüht ist, jede Seite zu Wort kommen zu lassen, dabei aber in alle Richtungen kritisch bleibt, schafft sie sich bald ein Renommee.

    Das Sachbuch ist spannend geschrieben, ich hatte schon langweiligere Krimis und sprachlich schwieriger zugängliche „Unterhaltungsliteratur“, ich bin von dem Schreibstil sehr positiv überrascht. Acht Jahre älter als die Autorin, konnte ich mich an den genannten politischen Ereignissen sehr gut entlanghangeln – wer wenig Nachrichten liest oder sieht, wird vielleicht einiges nachschlagen müssen. Ich bin sehr beeindruckt über die Tiefe der Informationen zu den verschiedenen Ländern und Regionen, Irak, Libanon, Algerien,… - anhand derer sich das Buch in verschiedene Kapitel zu den jeweiligen Jahren gliedert. Ich gestehe eine gewisse Skepsis vor Aufnahme der Lektüre: Warum tut sich das jemand an, sich derart doch immer wieder in Gefahr zu begeben? Die Autorin macht ihre Motivation glaubwürdig, berichtet auch über Ängste und Nachteile ihres Lebens – nachvollziehbar, auch wenn sie und ich definitiv unterschiedliche Anteile des „Risiko-Gens“ mitbekommen haben.

    Was ich befürchtet hatte: Unsachlichkeit, zu starke Vereinnahmung durch die diversen Islamisten. Was ich stattdessen erhielt: die auch für mich beschämende Erkenntnis, das genau das die Vorbehalte waren, denen die Autorin sich ausgesetzt sah, von der Grundschule bis zum Einstieg in den Beruf, selbst später noch gegenüber diversen Diensten. Übrigens auch das häufig Ursache der Islamisierungen, die Ausgrenzung des Einwanderungslandes. Sie will verstehen, sucht die Diskussion. Stark, wie der kleine Sohn eines der Männer aus dem Gefolge ihres Interviewpartners stolz berichtet, wie er heute das Töten der Ungläubigen gespielt habe und sein Vater ihn zufrieden küsst – als sich die Journalistin später im Hotel daran erinnert, kommen ihr die Tränen. Ähnlich enden hier oft die Kapitel für mich mit einem Denkanstoss, ich mag nicht direkt weiterlesen. Wenn Kinder so aufwachsen, was kann aus ihnen nur werden? Und wie gehen wir selbst mit unseren Werten um, wenn man an den Fall el-Masri denkt, der wegen Terrorverdachts verschleppt und gefoltert wurde (von Mekhennet aufgedeckt)?

    Erhellend eine Diskussion mit einem schiitischen Fahrer in Bahrein, dessen mehrheitlich schiitische Bevölkerung von der sunnitischen Herrscherfamilie regiert wird. Er bemängelt, dass man für bestimmte Arbeiten Ausländer ins Land hole, statt „Bahreinis first“ zu praktizieren, gibt aber auf Nachfrage zu, eine Putzfrau aus Bangladesh zu beschäftigen, da diese Arbeiten unter der Würde seiner Frau und Kinder seien. Als die Reporterin die Tätigkeiten von ihren Eltern und ihr selbst zur Finanzierung des Studiums beschreibt, obwohl beide Eltern ihre Abstammung zum Propheten zurückverfolgen können, kratzt das reichlich am Weltbild des Fahrers. Das Weltbild der islamischen Welt wird so in Streifzügen für die jeweilige Region nachvollziehbarer.

    Über alle Kapitel hinweg ziehen sich Mekhennets Grundfragen nach dem „Warum“, warum kommt es zu dieser Radikalisierung. Aber auch der oft naive Umgang des Westens findet ausreichend Thematisierung. Ein starkes Buch und eine eindeutige Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    5 von 9 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Gertie G., 05.10.2017

    Mit diesem Buch entführt uns die Autorin Souad Mekhennet in die (Gedanken)Welt der radikalen Islamisten.
    Die bekannte Reporterin ist wie keine zweite berufen, sich dieses Themas anzunehmen. Sie ist eine Wanderin zwischen Orient und Okzident. In Deutschland als Tochter von marokkanisch-türkischen Eltern geboren, wächst sie als gläubige Muslima und moderne Frau auf. Allerdings
    kennt sie die schiefen Blicke der anderen und das Gefühl „Nicht-dazu-gehören“. Mit Ehrgeiz und Beharrlichkeit hat sie sich ihren Platz im politischen Journalismus erkämpft.

    Was veranlasst sie nun, hinter die Kulissen des IS zu blicken?
    Souad Mekhennet will ergründen, warum sich vor allem junge Menschen dem Aufruf zum Dschihad folgen. Sie spricht mit Frauen und Männern. Dabei entdeckt sie Ähnlichkeiten mit ihrer eigenen Herkunft. Doch anders als die enttäuschten Jugendlichen, die vor allem den Westen für ihre Situation verantwortlich machen, hat Souad die ihr angebotenen Chancen genützt. Sie hat hart für ihren Erfolg gearbeitet.

    Auf ihren Reisen in die arabischen Staaten wird sie mehrmals verschleppt, mit dem Tod bedroht und kann das eine oder andere Mal nur mit viel Glück entkommen.
    Während des arabischen Frühling ist sie in Ägypten, wird verhaftet und lernt eines der berüchtigten ägyptischen Gefängnisse von innen kennen.
    Doch nicht nur den islamischen Staaten ist sie suspekt. Nein, auch die westlichen Staaten beäugen die Journalisten argwöhnisch. Ist sie gar eine von „denen“?

    Schonungslos listet sie die Fehler, die den westlichen Politikern unterlaufen sind. Schon lange vor den Anschlägen in Paris, Brüssel oder London hat die Top-Journalistin vor radikalisierten Jugendlichen gewarnt. Allein, man hat sie nicht ernst genommen.

    Doch nicht nur der Westen schlägt eine falsche Richtung ein. Auch die islamische Welt ist in sich zerstritten. Sunniten bekämpfen Schiiten, gehen für diese Kämpfe allerlei Allianzen ein, die sich dann verselbständigen.
    Für sie ist es klar, dass die Beseitigung eines Diktators à la Saddam Hussein nur ein Vakuum entstehen hat lassen, das nun von diversen Gruppen aufgefüllt wird. Die handelnden Politiker scheinen hier nicht weiter gedacht zu haben. Die Folgen spüren wir auf der ganzen Welt.

    In sachlichen Worten und mit vielen Details aus ihrem nicht ganz ungefährlichen Reisen, gibt uns Souad Mekhennet Einblick in die Gedankenwelt der radikalisierten Islamisten. Ich gebe zu, ich habe bislang nicht allzu viel darüber gewusst.

    Dieses Buch ist ein wichtiger Beitrag, um eine andere als die westliche Sicht zu bekommen. Allerdings fürchte ich, der Terror wird uns noch länger beschäftigen.

    Fazit:

    Ein Buch, das unbedingt gelesen werden sollte. 5 Sterne und eine absolute Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    6 von 12 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Wedma B., 17.09.2017 bei bewertet

    Auf rund 350 Seiten in 15 Kapitel, chronologisch aufgebaut, plus Prolog und Epilog aufgeteilt, erzählt Souad Mekhennet spannende Dinge von ihren Begegnungen mit führenden Persönlichkeiten des Jihad, die sie ihren aussergewöhnlichen Kontakten zu verdanken hat. Man reist mit ihr nach Jordanien und Libanon in 2007 (Kap. 5 und 6), nach Algerien in 2008 (Kap. 7), Pakistan in 2009 (Kap. 8), Ägypten, Tunesien, Bahrain, Iran in 2011 (Kap. 9-11). In England 2014-2015 ist man mit ihr auf der Spur von Jihadi John, dessen Identität und Werdegang dann offengelegt werden. Anfangs ist man mit der kleinen Souad in Deutschland und Marokko in 1978-1993 und im Prolog in der Türkei 2014, wo sie mit einem ganz hohen Anführer des IS sprach. Es ist eine bemerkenswerte Reise, die nicht nur im geografischen Sinne spannend ist, bei der es hier und da beschrieben wird, was man dort für Sitten pflegt und was auf den Tisch kommt, wie z.B. im Kap. 8, vielmehr ist es eine Reise durch die Weltanschauung der radikalen Islamisten, bei der sie ihren Werdegang, ihre Überzeugungen und Motive in Gesprächen mit Souad offenlegen. Klar wird dabei, dass diese Menschen, mit ethnischen Wurzeln in arabischen, nordafrikanischen, etc. Ländern, die in Westeuropa grossgeworden sind und einige ihre Studienabschlüsse dort erworben haben, nun erbittert gegen den Westen kämpfen, der ihnen seine politische Federführung und noch einiges mehr aufzudrängen versucht, so ihre Auffassung; im Gegenzug aber keine Möglichkeit eingeräumt hat, sich in den westlichen Ländern zu integrieren und auf einer Augenhöhe über die gegenwärtigen Probleme zu reden. Sprache wäre da nicht das Problem. Diese Leute sind in der Regel gut gebildet und mehrsprachig. Klar ist auch, dass diese Menschen die hegemoniale Führung der USA nicht länger akzeptieren wollen und auch gegen diese nun aktiv ankämpfen, s. z.B. S.12, 165, 194, 233, 320. Souad redet mit diesen Kämpfern, um ihren Standpunkt zu verstehen, um ihren Lesern zu zeigen, wer hinter IS steht und warum sie ihre Interessen ausschliesslich auf kriegerischem Wege durchzusetzen versuchen. Aber nicht alles dreht sich um Politik. Manches liest sich wie ein gutes Stück Literatur. Hin und wieder gibt es auch humorige Momente, z.B. als sich ein Sultan in Souad verliebt und ihr die Stelle seiner zweiten Frau, die seiner ersten im Haushalt und bei der Kindererziehung aushelfen sollte, bei einem üppigen Dinner in Pakistan angeboten hat.
    Parallel erzählt Souad ihre eigene Geschichte, sowie das Leben ihrer Eltern, die als Gastarbeiter nach Deutschland kamen: Mutter aus der Türkei, Vater aus Marokko; auch die Lebensgeschichten ihrer Grosseltern. Über ihre Grossmutter, eine starke Frau in Marokko des XX Jh., die ihre drei Kinder allein grossgezogen hatte, über das Leben und Sitten dort, die Souad als Kleinkind vermittelt bekam, habe ich gern gelesen. Hier las sich das Buch wie ein historischer Roman, wie auch an einigen anderen Stellen: Die Lebensgeschichten der Einwanderer nach Deutschland, zwischen denen Souad und ihre Schwestern aufgewachsen waren, spiegeln einen Teil der europäischen Geschichte dieser Zeit. Hier war kaum etwas erfunden. Die Personen und ihre Lebensgeschichten waren echt. Souad erzählt personennah und familienbetont, sie lässt die Leser bei ihren Familiengesprächen teilhaben, um zu zeigen, dass die meisten Probleme wie Sunniten/Schiiten Konflikt, der auch in ihrer Familie präsent ist (Mutter Schiitin, Vater Sunnit), auch ohne Blutvergiessen lösbar sind, wenn man einander zuhört.
    Souad versucht nicht, ihre Leser mit grauenvollen Schilderungen der Blutbäder der Terroranschläge zu beeindrucken. Die Spannung, die sie aufbaut, ist viel subtiler Natur. Souad teilt ihre Erfahrungen, die sie während ihrer Arbeit gesammelt hatte. Und da lauerte die Gefahr fast an jeder Ecke. Wie viel Mut und Fingerspitzengefühl war nötig, um auf der Messers Schneide so souverän auftreten zu können!
    Souad schliesst mit: „Die Welt steuert keinem Krieg der Zivilisationen oder Kulturen entgegen, sondern einer Konfrontation zwischen den Vermittlern, die Brücken bauen wollen, und denjenigen, für die alles stets schwarz oder weiss ist, die Hass verbreiten und Spaltung betreiben. Und so schwierig der Brückenbau sein mag: in jeder Generation gibt es Menschen, die Gemeinsamkeiten finden und Einigkeit schaffen wollen. Meine Eltern und meine Grosseltern haben mich gelehrt, was alles möglich ist.“ S. 362.
    Souad hat durch ihre Arbeit bewiesen, dass sie eine überzeugende Brückenbauerin im Sinne der Tradition ihrer Familie geworden ist. Sie schreibt auch weiter: „Wer legt die Regeln fest? Diese Frage stellt sich nicht nur für die muslimische Welt; sie ist ebenso ein Problem des Westens. Man kann keine Toleranz erwarten, wenn man sie anderen nicht zugesteht. In dem Moment, in dem jemand unbedingt recht behalten will, ist jede Grundlage für einen weiteren Dialog verloren.“ S. 363.

    Man kann noch viel über diese Buch schreiben, aber es ist besser, man liest es selbst.

    Fazit: Ein sehr lesenswertes Buch, das sich manchmal wie ein Thriller und manchmal wie ein Roman liest. Man muss sich nicht gross für Politik interessieren, um Gefallen an diesem Werk zu finden. Das Buch ist sehr zugänglich und verständlich für alle, in einfacher, ausdruckstarker Sprache geschrieben worden. Menschenschicksale stehen dabei oft im Vordergrund und erzählen ihre bewegenden Geschichten.
    Hut ab vor Souad, dieser mutigen Frau, die auch in dieser vertrackten Situation versucht, den Dialog aufrechtzuerhalten und die Brücken zu schlagen. Auch wenn Pulitzer Preis 2017 bereits anderweitig vergeben ist, verdient dieses Werk eine ähnlich hohe Auszeichnung. Für mich ist dieses Buch das erste Highlight in diesem Lese-Herbst. 5 wohl verdiente Sterne und ein klare Leseempfehlung!

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  • 5 Sterne

    4 von 8 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Sigrid K., 26.09.2017 bei bewertet

    Eine faszinierende Frau, die Mut beweist

    Souad Mekhennet, Journalistin, türkisch-marokkanischer Abstammung, in Deutschland aufgewachsen, hat sich ein gefährliches Ziel gesetzt – sie versucht Brücken zwischen dem Islam und dem Christentum zu bauen, zwischen den arabischen Ländern und dem sogenannten Westen, zwischen Personen diverser Terrororganisationen und der Öffentlichkeit. Sie hat sich somit einiges vorgenommen und ihre Geschichte in diesem Buch zeigt von vielen gefährlichen Situationen, von wunderbaren zwischenmenschlichen Begegnungen, von der Suche nach der Wahrheit, von Zufällen aber auch hartnäckigem Recherchieren – kurzum: von einem rasanten Leben.

    Das Buch beginnt mit einem Prolog, ein Treffen mit einem ISIS-Mitglied, das sie unter schwierigen Bedingungen zu bewältigen hatte:

    „Ich sollte allein kommen. Ohne Ausweispapiere oder sonstige Dokumente; Handy, Aufnahmegerät, Uhr und Handtasche sollte ich in meinem Hotel in Antakya lassen. Erlaubt waren lediglich ein Notizbuch und ein Kugelschreiber.“

    Sie erzählt uns von ihrer Kindheit und Jugend in Deutschland, vom Anderssein, von ihrer Beziehung zur Grossmutter in Marokko und ihren Eltern, die sie gelehrt haben Gemeinsamkeiten und Einigkeit zu schaffen – egal welcher Nationalität und Konfession diese Menschen sind. Hier wurde wohl die Grundlage für ihren Beruf gelegt, in dem sie gefordert ist nicht nur Mut, sondern vor allem Empathie und Entschlossenheit an den Tag zu legen. Langsam erkämpft sie sich ihren Status als Journalistin, baut sich ein Netzwerk innerhalb bekannter Medien ebenso auf wie diverse Kontaktpersonen, die sie bei ihren Recherchetätigkeiten tatkräftig unterstützen.

    Sie hat wohl eine besondere Gabe: Sie hört den Menschen zu, verurteilt sie nicht nach ihren Taten und versucht objektiv zu berichten, auch wenn sie sich dadurch Feinde macht oder sich teilweise den Herausgebern beugen muss. Souad gibt den Islamisten die Möglichkeit, dass auch ihre Sicht der Dinge gehört wird, gibt ihnen eine Stimme – und macht sich viele zum Feind (nicht nur Dschihadisten, sondern auch westliche Regierungen und Geheimdienste). Sie erfährt in ihren Interviews welche Ursachen teilweise zur Radikalisierung dieser Menschen führte, wie diese den Westen hassen, weil sie dort keine Chance bekamen und als Menschen zweiter Klasse interagieren mussten.

    „Nicht die Religion radikalisiert den Menschen; der Mensch radikalisiert die Religion.“

    Ihr Buch liest sich spannend wie ein Thriller, sie erklärt sachlich und dann wieder emotional, als der Terror bis in ihre Familie hineingreift. Eine Mischung, die ihr Authentizität und Glaubwürdigkeit verleiht und - ja, man darf auch Tränen zulassen!

    Ein sehr empfehlenswertes Buch für jedermann, der genug hat von den einseitig berichtenden Medien und die Unterschiede zwischen westlicher und arabischer Welt hinterfragen will.

    „Wenn ich eins gelernt habe, dann dies: Die Schreie einer Mutter, die ihr getötetes Kind beweint, klingen immer gleich, egal ob sie nun schwarz, braun oder weiss, Muslimin, Jüdin, Christin, Schiitin oder Sunnitin ist.“

    Dem ist nichts hinzuzufügen.

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  • 5 Sterne

    5 von 10 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Janine V., 29.12.2017

    Die Journalistin Souad Mekhennet ist in Deutschland geboren, aber ihre Wurzeln sind marrokanisch-türkisch.  Dank ihrer Eltern weiss sie von klein auf, dass ein Zusammenleben von Schhiten und Sunniten möglich ist. Doch in der islamischen Welt prallen die verschiedenen Glaubsrichtungen imemr wieder aufeinander.  Viele Islamisten sind ausserdem nicht gut auf den Westen zu sprechen. Die Journalistin wagt sich vor in diese gefährliche Welt und interviewt Warlords und Führer von al-Qaida. Dabei enthüllt sie Identitäten und geheime Machenschaften.

    Die Journalistin erzählt ihre Lebensgeschichte und somit auch über ihre Reportagen, Interviews und Arbeitsweise. Man erfährt, dass sie in Deutschland geboren wurde, aber einen gewissen Teil ihrer Kindheit bei ihrer Grossmutter in Marroko verbracht hat. Sie kann daher sehr gut Deutsch und Arabisch sprechen, was ihr später sehr viele Türen öffnen wird. Aussderm ist sie sehr mit dem Islam vertraut. Früh ist Mekhennet klar, das sie Journalistin werden will und schaffst es shcliesslich in Hamburg auf die Henri-Nannen-Schule. Ihre islamischen Wurzeln erlauben es ihr in Gebiete vorzudringen und Menschen zu interviewen, zu denen deutsche Journalisten niemals Zutritt bekämen. Sie weiss wie man sich zu verhalten hat und taucht entsprechend verschleiert zu ihren Inteviews auf. Ausserdem lässt sie nicht lockert und lässt sich niemals einschüchtern. Das imponiert so einigen Anführern, so dass sie exklusive Interviews erhält.
    Ihr journalistische Reise beginnt mit dem 11. September 2001 und führt sie über den islanischen Frühling bis in die Gegenwart. Man bekommt die andere Seite zu sehen, lernt deren Beweggründe kennen. Warum schliessen sich so viele, junge Männer dem Dschiad an? Was versprechen sie sich vom Kalifat? Warum hat sie der Westen enttäuscht?
    Mekhennet hat einen ganz eigenen Charakter, der sie prädestiniert für den Job als Jourlanistin. Sie hinterfragt die Dinge, sie traut sich in Krisengebiete und hört tatsächlich zu ohne zu verurteilen oder jemals nur die eine Seite zu beleuchten. Sie lässt sich auch nicht von Entführungen, Verhaftungen oder Drohungen einschüchtern. Es ist spannend sie auf ihren Reisen und Interviews zu begleiten. Mitzufiebern, wenn sie versucht geheime Identitäten und Machenschaften aufzudecken. Sie berichtet von Einzelschicksalen, bringt sie in den grossen Zusammenhang und ist stets vor Ort, mittendrin in den grössten Tumulten und Auseinandersetzungen.
    Gerade als Westler weiss man oft nicht allzu viel über den Islam und warum sich junge Menschen zu radikalisierten Islamisten werden. Die Journalistin vermag auf eindringliche Art und Weise eine uns fast geheime Welt zu beleuchtet, in dem sie hinter die Kulissen schaut und sich nicht abschrecken lässt. Der Mut dieser Frau lässt einen neue Einblicke gewähren, die unbedingt jedem zuteil werden sollten. Daher gebe ich eine ganz klare Leseempfehlung, denn jede Medaille hat zwei Seiten.

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