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  • 5 Sterne

    35 von 52 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Bücherfreundin, 03.10.2021

    Ich habe ausser "Der Vorleser" mit grosser Begeisterung bereits einige andere Bücher von Bernhard Schlink gelesen und mich daher sehr auf sein neues Buch gefreut.

    Bernhard Schlink erzählt in seinem neuen Buch "Die Enkelin" die Geschichte von Kaspar und Birgit, zweier junger Studenten, die sich in den sechziger Jahren ineinander verlieben. Kaspar verhilft Birgit, die in Ostberlin lebt, zur Flucht nach Westdeutschland.
    50 Jahre später, Kaspar ist mittlerweile 70 Jahre alt, findet er Birgit in der gemeinsamen Wohnung tot auf. Wochen später entdeckt er im Nachlass seiner Frau das Manuskript zu einem Buch über ihr Leben. Birgit hatte viele Geheimnisse, und sie war auf der Suche nach ihrer seinerzeit zurückgelassenen Tochter, von deren Existenz Kaspar nichts wusste. Für den Witwer wird diese Suche zum Vermächtnis, und er macht sich auf den Weg in Birgits alte Heimat. Kaspar findet nicht nur Birgits Tochter, er findet auch eine Enkelin. Sie leben auf dem Land in einer völkischen Gemeinschaft. Kaspar bemüht sich sehr, Zugang zu beiden zu finden. Es wird ihm nicht leicht gemacht, denn sie leben in vollkommen unterschiedlichen Welten ....

    Der Roman zeigt neben der sensibel erzählten Geschichte von Kaspar und Birgit und der Annäherung Kaspars an seine 14jährige Enkelin sehr eindrucksvoll die Probleme nach der Wiedervereinigung unseres Landes auf, die Enttäuschungen, aber auch die unterschiedlichen Lebensauffassungen.

    Das Buch hat mich sofort in seinen Bann gezogen, ich konnte es kaum aus der Hand legen. Bernhard Schlink ist ein brillanter Erzähler, sein gewohnt ruhiger, aber dennoch kraftvoller Sprachstil fesselte und begeisterte mich bis zum Ende. Ein Meisterwerk!

    Das zarte Mädchenportrait auf dem Cover ist sehr ansprechend, das Buch hochwertig in Leinen gebunden.

    Absolute Leseempfehlung von mir für diese wunderbare Lektüre eines der grössten Schriftsteller unserer Zeit und hochverdiente 5 Sterne!

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  • 5 Sterne

    39 von 62 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Magnolia, 28.10.2021

    Kaspar liest. Die ganzen Jahre hat sie in ihrer Dachkammer aufgeschrieben, was ihr Leben war, hat sich ihre Vergangenheit von der Seele geschrieben. Birgit ist tot und er liest von ihrem gemeinsamen Leben, aber mehr noch zieht Birgits Leben an ihm vorüber. Das, von dem er weiss und das andere, welches sie vor ihm verborgen hielt. Und so macht er sich auf die Suche nach Birgits Tochter, von der er nichts wusste, die sie nach der Geburt gleich weggeben hat, gar nicht sehen wollte. Damals wäre er zu ihr in den Osten gegangen, aber sie wollte lieber im Westen leben. Er hat ihr geholfen, zu fliehen, die DDR hinter sich zu lassen.

    Der Autor nimmt seine Leser mit in eine völkische Gemeinschaft, die nach wie vor dem verbohrten Idealismus der Nationalsozialisten nacheifert, alles Nicht-Deutsche verurteilt, den Holocaust mit all seinen Schrecken vehement leugnet, deren Geist ein ewig gestriger ist. Sie leben ihre Überzeugung, sind in ihrem Enthusiasmus gefangen. Hier findet er Birgits Tochter, die nach ihrem heftigen Vorleben in dieser Gemeinschaft ihrem Leben eine andere Richtung gibt und deren rechte Gesinnung sie auch ihrer 14jährigen Tochter nahebringt. Sigrun heisst sie, Birgits Enkelin ist sie und ihn, Kaspar, nennt sie bald Grossvater.

    „Er musste Sigrun eine andere Welt erleben und andere Erfahrungen machen lassen, als ihre Eltern es ihr boten.“ Eine grosse Aufgabe – ob sie wenigsten ansatzweise lösbar ist? Diese andere Welt hat Kaspar ihr gezeigt, ihre Eltern werden nicht begeistert gewesen sein. „…und wenn man die Franzosen nicht mag, macht man es sich schwer, die liebenswerten Franzosen zu finden.“ Ein so richtiger Satz, es kommt nicht darauf an, welche Nationalität einer hat, der einzelne Mensch zählt. Seine Haltung, seine Empathie, seine Weitsicht. Leben und leben lassen.

    Bernhard Schlink schaut genau hin. Sein ruhiger, sehr präziser Erzählstil legt die Verirrungen seiner Charaktere offen, ohne anklagend zu sein. Wiederum lese ich vom Holocaust wie schon beim „Vorleser“. Ein Thema, über das niemals geschwiegen werden darf. Er lässt Sigrun ihre eingeimpfte Sichtweise darlegen, um dagegenzuhalten - sachlich, authentisch, historisch belegt ohne langatmig zu sein. Da ich erst vor kurzem ein ehemaliges KZ besuchte, liess mich Sigrun und Kaspars Besichtigung der Gedenkstätte Ravensbrück und ihr unsägliches Geplapper der „guten Gesichter“ wütend zurück.

    Der Autor findet den richtigen Ton, zeigt die Sichtweisen aller sehr deutlich auf. Zwei Welten prallen aufeinander, sie werden sich wohl nie näherkommen. Er lässt es so stehen – wertfrei. Überlässt es seinen Lesern, zu werten.

    „Die Enkelin“ lässt mich sehr nachdenklich zurück. Ein Buch, eine Geschichte, die nachhallt, die man nicht so schnell vergisst. In seiner schnörkellosen, aber so lebendigen Sprache vermittelt Schlink ein akkurates Bild, macht die Gegensätze Ost-West, die es leider immer noch gibt, nur allzu deutlich.

    Das Geschichtliche verwebt Schlink mit dieser Geschichte vom Suchen und Finden. Ein Roman, der mich sehr berührt hat, den ich sehr gerne weiterempfehle. Er ist es wert, gelesen zu werden.

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  • 5 Sterne

    14 von 19 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    schokoflocke, 30.11.2021

    Grossartig

    " Er sah sie an und sah im verwüsteten Gesicht das Unversehrte, das Gesicht der guten Tage, das bei verschiedenen Stimmungen so verschieden aussehen konnte, dass es ihn manchmal verwirrte, das aber immer, selbst wenn verschlafen, erschöpft oder schlechtgelaunt, voller Leben war."
    Birgit und Kaspar - das war Liebe auf den ersten Blick und es war sofort klar, dass sie beide zusammen gehören. Ohne gross zu überlegen leiht sich Kaspar das nötige Geld zusammen und organisiert Birgits Flucht aus der DDR. Ohne gross zu überlegen verlässt Birgit ihre Familie und lässt ihr ganzes Leben hinter sich zurück. Die Ehe hält lange, auch wenn sie nicht ganz harmonisch und glanzvoll verläuft. Erst nach Birgits Tod erfährt Kaspar das grosse Geheimnis - Birgit hatte eine Tochter, die sie ind der DDR zurückgelassen hat. Sie wollte das Mädchen unbedingt finden, hatte aber nicht die Mut dazu, diese Sehnsucht, Angst und schlechtes Gewissen haben sie immer begleitet und wahrscheinlich waren sie auch der Grund für ihre Depressionen und Alkoholsucht. In Kaspar wächst der Wunsch Birgits unbekannte Tochter zu finden und das zu Ende bringen , was seine Frauimmer wollte, aber nicht geschafft hat. Es gelingt ihm auch, er findet die Tochter, Svenja, zusammen mit dem Ehemann und Tochter Sigrun in einer völlkischen Gemeinschaft . Das erste Treffen ist sehr schwirieg, da sie in jeder Hinsicht Fremde sind. Als Sigrun fragt " Bist du mein Grossvater ?" antwortet Kaspar sofort mit "Ja". Von diesem Moment tut er alles um tatsächlich der Grossvater für Sigrun zu sein, was in Anbetracht der Unterschiede im Denken und Lebensstil keineswegs einfach ist.
    Ich schätze Bernhard Schlink ais Autor sehr, deswegen waren meine Erwartungen an das Buch ziemlich gross. Dennoch hab ich nicht erwartet, dass mich die Geschichte dermassen fesselt und mitten ins Herz trifft. Thematisch ist das Buch vielseitig und interessant, wunderbar erzählt, leicht politisch und gesellschaftskritisch, aber vorallem sehr klug und emotional, ohne sentimental zu werden. Für mich war die Figur von Kaspar das Herzstück des Romans, in die hab ich mich von anfang an verliebt...So klug und weise, besonnen und zurückhaltend, immer für andere da, sensibel und einfühlsam...So einen Grossvater würde sich wahrscheinlich jeder wünschen. Sein Umgang mit Sigrun ist einfach bemerkenswert und das obwohl das Mädchen manchmal Sachen von sich gibt, die Haare auf dem Kopf stehen lassen.
    Es ist eine aussagestarke und kraftvolle Geschichte, die meistens doch in zarten Tönen erzählt wird und trotz der schweren Thematik angenehm zum lesen ist. Für mich ein Meisterwerk, das unbedingt gelesen werden sollte.

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  • 3 Sterne

    2 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Ruth L., 15.12.2021

    Zwiespältiger Eindruck
    Bernhard Schlink ist seit seinem „ Vorleser“ ein Autor, dessen Bücher regelmässig auf den Bestsellerlisten landen. Sein Thema ist immer wieder die Frage nach Schuld und Verantwortung und er zeigt anhand fiktiver Figuren, wie historische Umstände und Zeitgeschichte auf menschliche Schicksale einwirken. So auch in seinem neuesten Roman „ Die Enkelin“.
    Sein Protagonist ist Kaspar, ein Berliner Buchhändler, Anfang 70. Verheiratet ist er mit Birgit. Die beiden haben sich 1964 kennengelernt beim Pfingsttreffen der deutschen Jugend in Ostberlin. Kaspar, der Westberliner Student, verliebt sich gleich in die ostdeutsche Studentin und er wäre bereit gewesen, zu ihr nach Ostberlin zu ziehen. Aber die lebenshungrige Birgit möchte in den Westen. „ Ich wollte nicht das bisschen Land zwischen Erzgebirge und Ostsee. Ich wollte die Welt.“ Kaspar organisiert die Flucht, über Prag nach Westberlin. Die beiden heiraten, bauen gemeinsam eine Buchhandlung auf. Doch Birgit bleibt ruhelos, immer auf der Suche, nie kommt sie wirklich an. Kaspar hat Verständnis für die Umtriebe seiner Frau und liebt sie noch immer. Obwohl sie es ihm nicht leicht macht. Schon lange ist der Alkohol Birgits Begleiter, doch mittlerweile trinkt sie, um ihre Depressionen zu verdrängen. So oft kommt Kaspar von der Arbeit nach Hause und findet seine Frau völlig betrunken vor. Doch dieses Mal ist sie tot, ertrunken in der Badewanne.
    Kaspar ist voller Trauer, trotz der Entfremdung der letzten Jahre. Als er von einem Verleger nach Birgits Manuskript gefragt wird, ist er überrascht. Dass seine Frau geschrieben haben soll, davon wusste er nichts. Er macht sich auf die Suche nach den Aufzeichnungen und als er diese findet, muss er feststellen, dass seine Frau ein weitaus grösseres Geheimnis vor ihm verborgen hielt.
    Birgit war vor ihrer Flucht schwanger und hat damals das Neugeborene zur Adoption freigegeben. Dem Kindsvater, ein verheirateter Funktionär, wollte sie die Tochter nicht lassen.
    Kaspar, erschüttert vom Gelesenen, macht sich nun auf die Suche nach der Tochter seiner verstorbenen Frau. Er findet sie in einer völkischen Siedlung in Mecklenburg. Svenja ist verheiratet und hat eine 14jährige Tochter, Sigrun. Kaspar merkt schnell, dass er keinen Zugang findet zu der verbitterten Svenja, aber das junge Mädchen weckt grossväterliche Gefühle in ihm. Er möchte Sigrun aus dem Nazi- Milieu herausholen. Gegen Geld bekommt er die Zusage, das Mädchen in den Ferien zu sich zu holen. Unter den Bedingungen „ kein Fernsehen und kein Kino, keine Zigaretten, keine Jeans, keinen Lippenstift, kein Piercing“ darf Sigrun zu ihm nach Berlin.
    Vorsichtig versucht Kaspar sich seiner „ Enkelin“ zu nähern. Er will ihr eine Welt jenseits der Nazi- Ideologie nahebringen, besucht deshalb mit ihr Museen und klassische Konzerte, gibt ihr Bücher zum Lesen. Er entdeckt ihr musikalisches Interesse und bezahlt ihr Klavierstunden. Bei Diskussionen über ihr Weltbild will er behutsam Zweifel säen, ihr die Augen öffnen. „ Er musste Sigrun eine andere Welt erleben und andere Erfahrungen machen lassen, als ihre Eltern sie ihr boten.“ Dabei riskiert er, dass ihm Sigrun wieder entzogen wird.
    Der Roman besteht aus zwei Teilen, wobei jeder für sich genug Stoff für ein Buch geboten hätte. Dabei ist für mich der Anfang der wesentlich gelungenere Teil. Einfühlsam beschreibt Schlink das Leben und die Gefühlslage dieses unterschiedlichen Paares. Kaspar und Birgit sind beide ambivalente Figuren. Kaspar ist der immer Gute, der Verständnisvolle, - „ Ich bin ein bisschen aus der Zeit gefallen.“- , aber auch derjenige, der die offene Konfrontation scheut.
    Mit Birgits Geschichte wechselt Schlink die Perspektive. Ihre Aufzeichnungen sind ein „ Roman im Roman“. Als Nachkriegskind wächst sie auf im Osten Deutschlands auf, mit einem „ Schattenvater“, der zwar im Krieg geblieben ist, für das Kind aber präsent bleibt. „ … er warf seinen Schatten auf es….Den Schatten der alten bösen Zeit. Das Mädchen wollte Teil der guten neuen Zeit sein.“
    Doch das Leben im neuen Staat wird ihr bald zu eng. Aber im Westen fühlt sie sich auch nicht heimisch. „ Mir passierte im Kleinen, was ich den Ostdeutschen nach der Wende im Grossen passieren sah.“
    Auch was es bedeutet, lebenslang ein Geheimnis mit sich zu tragen, schildert der Autor einfühlsam und nachvollziehbar. „ Ich wusste nicht, was Verschweigen langfristig anrichtet.“ lässt er Birgit aufschreiben.
    Schlink hätte hier die Geschichte von Kaspar und Birgit erzählen können , von Ost - und Westdeutschland, die unterschiedliche Sozialisation und damit einhergehend die verschiedene Wahrnehmung.
    Doch dem Autor war ein weiteres Thema wichtig, nämlich die der wieder erstarkenden Nazi- Ideologie. In den ewig Unzufriedenen, in den Verlierern der Wende fällt das völkische Denken auf einen guten Nährboden. Gerade im Osten gibt es etliche völkische Siedlungen auf dem Land. Erschreckend ist deren Gedankengut und deren Vorhaben, mehr Einfluss zu gewinnen. Darauf aufmerksam zu machen ist ein Verdienst dieses Romans.
    Allerdings wirkt dieser zweite Teil, Kaspars Unternehmungen, Sigrun von ihrer Nazi- Ideologie zu befreien, sehr unrealistisch. Es ist naiv zu glauben, mit ein bisschen humanistischer Bildung könnte man dem entgegensteuern. Die Dialoge zwischen Kaspar und Sigrun sind dementsprechend hölzern und wirken auf den Leser reichlich didaktisch. Auch das Figurenpersonal im zweiten Teil wirkt nicht mehr glaubwürdig. Hier greift Schlink auf bekannte Klischees zurück. Und Sigrun entspricht so garnicht dem Bild einer Vierzehnjährigen, auch wenn man berücksichtigt, wie sie aufgewachsen ist.
    Um seine Geschichte voranzutreiben, muss der Autor einige Unwahrscheinlichkeiten einbauen. Vieles geht zu glatt und zu schnell.
    Dafür entschädigt wieder der Schluss des Romans. Hier vermeidet Schlink zum Glück ein allzu gefälliges Happy- End.
    Der Roman hinterlässt bei mir ein zwiespältiges Gefühl. Reichlich konstruiert, eine zum Teil altbackene Sprache, dazu wenig lebendige Figuren, das sind die Negativpunkte. Andererseits gibt der Roman tiefe Einblicke in das völkische Leben und zeigt, wie schwierig ein Gespräch mit Menschen aus diesem Umfeld ist. Die leisen Töne im ersten Teil des Buchs lohnen ebenfalls die Lektüre.

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  • 5 Sterne

    5 von 7 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Anne H., 13.10.2021

    Familienbande
    Birgit hatte ein schweres Päckchen zu tragen. Das war Kaspar immer klar. Ihre Liebe (oder seine Liebe?) war gross, so gross, dass sie in der Lage war, die innerdeutsche Grenze im Jahr 1964 zu überwinden. So gross, dass sie Birgits Suche nach ihrem Weg im Leben getragen und ertragen hat, ihr Scheitern, ihre Neuanfänge, ihre Fluchten in ein mäandrierendes in den Tag hinein leben, schreiben und trinken. Ein Leben als Flucht, deren Ausmasse Kaspar sich erst vollständig offenbaren, als er – genau so still wie er mit ihr gelebt hat – Abschied von Birgit nehmen muss. Er will ihr nah sein, bricht ein Tabu und sieht ihre Unterlagen, ihre Recherchen und ihre Texte durch und findet ein gigantisch grosses Geheimnis, das ihm seine Frau ganz neu erklärt. Mit Neugier und sehr grosser Akzeptanz für die Sache an sich, geht er dieses alte neue Kapitel seines Lebens an und findet Menschen, die ihm fremd sind, durch die er aber die Verbindung zu seiner Frau spürt und lange Vergangenes nicht einfach ruhen lässt, sondern eine Aufgabe für sich daraus generiert. Er findet „die Enkelin“ Sigrun.
    Ein Mädchen, dass in so vielem an seine Birgit erinnert, aber vollkommen anders erzogen und aufgewachsen ist. Eine Haltung zum Leben, zur Politik, zur Geschichte, die er nicht vertritt und weit davon entfernt ist, sie auch nur in Ansätzen gutzuheissen, doch Sigrun ist ihm wichtiger…
    Bernhard Schlink zeichnet das Bild eines Protagonisten, der in unvorstellbar grosser Akzeptanz und Toleranz einem Umstand begegnet, mit dem die absolute Mehrzahl der Menschen ihre heftigen Probleme haben dürfte. Kaspar versucht nicht, sich einzumischen, er versucht Impulse zu geben, Horizonte zu weiten. Wenn er eingreift, dann auf eine absolut konstruktive Art, nicht unterbindend. Er streitet nicht, aber er stimmt auch nicht zu, er widerspricht, aber belegt dies mit Argumenten. Manche fallen sofort auf fruchtbaren Boden, andere müssen keimen. Diese wertschätzende, altruistische Einstellung hat mich sehr beeindruckt und an das Buch gebunden. Kaspar ist für mich der Prototyp eines leisen Menschen, passend dazu sein Beruf des Buchhändlers. Seine Ruhe ist dabei jederzeit mehr Stoa als Phlegma – was man ja ebenfalls vermuten könnte. Kapsar ergibt sich nicht in Situationen, er nimmt sie an.
    Die Schilderung der Beziehung und deren Entwicklung zwischen Sigrun und Kaspar ist gerade in ihrer Unaufgeregtheit fesselnd. Schlink zeigt dabei keinen gerade Weg auf, mahnt nicht mit erhobenem Zeigefinger, masst sich nicht an, zu behaupten, dass Sigrun „gerettet“ werden muss, ruft dem Leser nicht zu „hier guck an, der Grossvater bringt das Mädchen ruckzuck auf den rechten Weg, alles total einfach“. Im Gegenteil agiert er – oder er lässt Kaspar so agieren, wie seinen Erzählstil fliessen – bedacht, beharrlich, auch im Wissen, dass ein Scheitern möglich ist und das man auch dieses akzeptieren kann und muss.
    Fazit: eine bewegende Geschichte über eine traurige Frau, einen bewundernswert altruistischen Mann, ein Mädchen, dass dachte, sein Weg sei schnurgerade und plötzlich Biegungen und Kreuzungen entdeckt. Lesenswert!

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  • 5 Sterne

    3 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Ursula U., 03.11.2021

    Nach dem Tod seiner Frau Birgit findet Kaspar in ihren Unterlagen ein Fragment ihres Lebens vor. Birgit schreibt seit Jahren an einem Roman, den er nicht zu lesen bekam. Nun findet er ihre Gedanken und ihre Gefühle niedergeschrieben. Birgit hatte sich im Osten Berlins in den Westberliner Kaspar verliebt und ihm verheimlicht, dass sie von dem verheirateten Leo schwanger war. Mit Hilfe ihrer Freundin und Krankenschwester Paula hat sie heimlich eine Tochter zur Welt gebracht, die ihre Freundin an der Kirche aussetzen sollte. Kurz danach ist ihre Flucht in den Westen geglückt. Ihr Leben hat sich dadurch radikal geändert, sie hat mehrere Berufe angefangen und nie ihren Weg gefunden. Sie war auf der Suche nach ihrer Tochter, sie hat über Kinderheime in der DDR recherchiert und verstörendes entdeckt, doch wirklich ernsthaft hat sie die Suche nicht vorangetrieben. Kaspar, selbst kinderlos, sucht und findet nicht nur seine Stieftochter sondern auch seine Enkelin. Sie leben in einer völkischen Gemeinde und leben ihre Rechtsradikalität aus. Mit einem Trick gelingt es Kaspar seine Enkelin Sigruns für ein paar Wochen im Jahr nach Berlin zu holen, ihr eine andere Welt, besonders die Musik und das Klavierspielen zu zeigen. Er merkt, dass er bei der Jugendlichen mit Diskussionen und dem Aufzeigen der Wahrheit nicht weiterkommt, sie muss die Wahrheit selbst erkennen, doch reichen dafür die wenigen Wochen?
    Die Radikalität der völkischen Gemeinde wie auch der Autonomen in Berlin wird dem geselligen Gemeindeleben, dem Zusammenhalt in ländlicher Umgebung gegenüber gestellt. Wie kann man gewaltbereite zu aufgeschlossen
    Menschen umerziehen. Mit Belehrungen wird es nicht gehen, dass hat Kaspar erlebt. Nach der Lektüre kann man die Beweggründe Svenjas, Birgits Tochter, verstehen, dass sie Halt in dieser Gemeinschaft gesucht und gefunden hat. Sigrun ist noch auf der Suche nach ihrem Leben und wie es für sie weitergehen kann.
    Bis auf wenige, langatmige Passagen in denen die Aufzeichnungen Birgits beschrieben werden ist es ein spannender und hochinteressanter Roman, der zum Nachdenken einlädt. Schriftstellerisch hervorragend gelungen.

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  • 5 Sterne

    3 von 4 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Milagro, 14.11.2021

    Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat.....welch für ein Schock für Kaspar, nicht nur den Tod der geliebten Frau verkraften zu müssen, sondern festzustellen, dass es jede Menge gab, von dem er nichts wusste. Die Geschichte ist ruhig, der Leser wird aber unmittelbar in diese Beziehung zwischen den beiden hineingezogen. Man hat beide vor Augen, durch die Rückblicke erlebt man die einzelnen Entscheidungen ganz konkret. Geschichte wird durch die Protagonisten erlebbar, auch für Leser, die die Trennung Deutschlands nicht selbst erlebt haben. Schlink schildert die Geschichte so, dass man einen wirklichen Eindruck bekommt, sowohl von der politischen als auch von der persönlichen Situation. Auch wird schon recht schnell deutlich, wie schwer sich Birgit mit ihrem Geheimnis tut, es hält sie gefangen, obwohl sie versucht rational mit den Folgen ihrer Entscheidungen umzugehen, zerreisst es sie doch. Die Entdeckung des Geheimnisses führt bei Kaspar zu einer eigenen Suche, die ihn nicht nur mit der Vergangenheit , sondern auch mit der Gegenwart zusammenprallen lässt. Das ist nicht einfach, es ist vielschichtig, so wie das Leben eben vielschichtig ist. Die Umsetzung ist Schlink ausgesprochen gut gelungen. Eine grossartige Geschichte.

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  • 5 Sterne

    2 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Kristall, 31.10.2021

    Klappentext:

    „Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen, für die Liebe und die Freiheit. Erst nach ihrem Tod entdeckt er, welchen Preis sie dafür bezahlt hat. Er spürt ihrem Geheimnis nach, begegnet im Osten den Menschen, die für sie zählten, erlebt ihre Bedrückung und ihren Eigensinn. Seine Suche führt ihn zu einer völkischen Gemeinschaft auf dem Land – und zu einem jungen Mädchen, das in ihm den Grossvater und in dem er die Enkelin sieht. Ihre Welten könnten nicht fremder sein. Er ringt um sie.“



    Ich muss gestehen, dass ich nach „Olga“ von Bernhard Schlink etwas müde war, etwas von diesem Autor zu lesen. „Die Enkelin“ aber wiederum lies mich erwachen, denn diese Geschichte hat es so dick und stramm hinter den Worten, dass man gar nicht anders kann, als begeistert zu sein. Die Analyse einerseits der Charaktere aber eben auch der damaligen politischen Lage/Zeit ist Schlink bravourös gelungen. Er spricht aus tiefer Seele zu seinen Lesern, er bleibt offen und direkt, verdreht nichts, fügt nichts sinnloses als Lückenfüller hinzu. Er bleibt immer auf dem Punkt. Die emotionale Geschichte rund um Birgit sitzt beim Leser tief, egal ob wir ihr Handeln nachvollziehen können oder nicht - sie ist eine verfluchte Seele, dank des Alkohols…Teufelszeug. Das Treffen mit ihrer Tochter und Kaspar hat etwas kaltes, etwas unnahbares aber dennoch spannendes mit sich. Hier hatte ich mal wieder so einige Parts zwei Mal gelesen. Das liegt nicht daran weil ich sie nicht verstanden habe, sondern weil mal wieder hier das lesen zwischen den Zeilen Sinn macht. Hier gilt: der aufmerksame Leser wird belohnt. Als dann das Buch auch seinem Titel gerecht wird und die Enkelin ins Spiel kommt, genau wie das Thema Nationalsozialismus, Rassismus…erleben wir Leser eine besondere Wendung . Schlink benutzt nicht immer vieler Worte und lässt einige Parts der Figuren eher an der Oberfläche - ich finde das äusserst gelungen, denn dadurch kann sich jeder selbst durch die eigene Fantasie jagen.

    Nach beenden des Buches tauchen so viele Fragen auf und man fragt sich, warum Kaspar sich so ruhig verhalten hat gegenüber seiner Enkelin….War es das erstaunen darüber? War es Sprachlosigkeit über dieses Bild? War es die Erkenntnis, dass das Thema Nationalsozialismus noch lange nicht ruht?

    Ein äusserst gelungener Roman mit besonderer Tiefe - 5 von 5 Sterne!

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  • 5 Sterne

    2 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Jill W., 16.11.2021

    Wir glauben, die engsten Menschen in unserem Leben zu kennen, ihre Vergangenheit, die Gegenwart und auch die Zukunft- alles ist manifestiert, gar asphaltiert, bis ein Schicksalsschlag diesen Pfad aufreisst, neue Wege formt und dich auf eine Reise voller Ungereimtheiten und Widersprüche schickt, die damit endet, dass du für dich Familie und Verbundenheit ganz neu interpretieren musst. Bernhard Schlink schafft mit seinem neuesten Roman "Die Enkelin" ein emotionales Epos, eine Achterbahnfahrt der Gefühle und ein Werk voller Konfrontation zwischen alt und jung, neuem und altem Gedankentum auf verquere Weise verdreht.

    Birgit und Kasper verbindet eine Liebesgeschichte seit 1965. Durch ihren plötzlichen Tod stösst Kaspar auf ein Manuskript, dass mehr Fragen aufwirft, als Antworten zu geben. Kaspar begibt sich auf eine Reise in Birgits Vergangenheit und findet Menschen und Familie. Doch was so leicht sein könnte, um den Kreis der Verbundenheit zu schliessen, stellt sich als das grösste Hindernis heraus.


    Der Stil ist angenehm, wenn auch die ersten Seiten den Leser direkt ins Geschehen stossen, in den Moment des plötzlichen Abschiednehmens, aber auch in eine Möglichkeit, das Ganze anders zu begreifen und einen Menschen neu zu verstehen in seiner Komplexität. Birgit bleibt dabei geheimnisvoll wie eine Stimme aus dem Offside. Kaspar hingegen erstaunt und fasziniert durch seine so authentische Darstellung, was es dem Leser so leicht gestaltet, ganz bei ihm zu bleiben. Sigrun ist das beste Beispiel dafür, dass Geschichte dich prägt und auch deine Eltern. Selbst wenn die Gedanken noch so frei sein dürfen, sind wir doch in unseren Mustern gefangen, solange wir die Ketten nicht durchzubrechen vermögen. Ein anspruchsvoller Roman voller Facetten, voller Tiefgang und eine Empfehlung für alle, die bereit sind für eine emotionale Reise durch die deutsche Geschichte.

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  • 4 Sterne

    2 von 3 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Lilli33, 22.11.2021 bei bewertet

    Berührende Begegnung

    Inhalt:
    Kaspar verhilft seiner ostdeutschen Freundin Birgit zur Flucht. Alles könnte so schön sein, doch Birgit trägt schwer an einer Last. Erst nach ihrem Tod erfährt Kaspar davon und macht sich auf, um Birgits unvollendeten Weg weiterzugehen. In einer völkischen Gemeinschaft findet er eine Enkelin, die ihm schnell ans Herz wächst, die er aber nicht aus ihrer Umgebung herauslösen darf. Ganz sachte entspinnt sich eine wunderbare Freundschaft.

    Meine Meinung:
    Anfangs konnte Bernhard Schlink mich nicht gleich abholen. Die Geschichte der Flucht und der entstehenden Liebe zwischen Kaspar und Birgit fesselten mich nur wenig. Die Erzählung erschien mir zu verzettelt.

    Die titelgebende Enkelin erscheint praktisch erst in der zweiten Hälfte des Buches. Ab hier war ich nun endlich ganz dabei. Mir gefiel die sanfte Annäherung zwischen zwei Menschen, die sich gerade erst kennenlernten und doch relativ offen füreinander sind, obwohl sie aus ganz unterschiedlichen Welten kommen. Kaspars Bemühungen um die vierzehnjährige Sigrun berührten mich sehr. Gespannt verfolgte ich, wie sich die beiden einander annähern und hoffte mit ihnen auf ein gutes Ende.

    Bernhard Schlinks Schreibstil ist dabei leicht zu lesen und trotzdem etwas Besonderes.

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Petra L., 05.12.2021

    Der Buchhändler Kaspar findet eines Abends, als er nachhause kommt, seine geliebte Frau Birgit tot in der Badewanne. Ob es ein Unfall war, oder Selbstmord, wird er nie erfahren. Das Zusammenleben mit Birgit war nie einfach, obwohl ihre Liebe sehr gross war und Birgit vor vielen Jahren für Kaspar aus der DDR in den Westen geflohen ist. Dass sie aber nie wirklich vollkommen in ihrer neuen Heimat angekommen ist und vor allem, was sie für das gemeinsame Leben mit Kaspar zurückgelassen hat, erfährt er erst nach Birgits Tod, durch ihre ganz persönlichen Aufzeichnungen, die sie vor ihm geheim hielt. So kommt Kaspar hinter ein grosses Geheimnis in Birgits früherem Leben in der DDR, erfährt, dass sie damals ihr Baby zurückgelassen hat und nun wird auch verständlicher, weshalb Birgit nie ganz glücklich war und sich immer öfter in den Alkohol flüchtete. Ihr grosser Wunsch war wohl immer, ihre verlorene Tochter eines Tages wieder zu finden, doch dazu kam es bis zu ihrem Tod nicht.

    Kaspar reagiert erstaunlich cool auf dieses ungeheuerliche Geheimnis und er möchte Birgits Suche nach ihrer zurückgelassenen Tochter für sie übernehmen. Und es gelingt ihm auch tatsächlich, Birgits Tochter zu finden , die inzwischen selbst Mutter einer Tochter ist. Zu dieser Stiefenkelin möchte Kaspar gerne eine Beziehung aufbauen, was allerdings gar nicht so leicht ist, denn sie und ihre Eltern leben in einer völkischen Gemeinschaft, mit deren rechtsextremen Gedankengut Kaspar so gar nicht klarkommt. Trotzdem versucht, er, in dieser für ihn völlig fremden Welt, den Kontakt zur Enkelin zu vertiefen und ihr mit Hilfe der Musik und Literatur, auch andere Werte näherzubringen, was ihm zunächst auch gelingt. Doch ihrer Familie gefällt das gar nicht, dass Kaspar sich zu sehr in das Leben der Enkelin einmischt.

    Bernhard Schlink hat einen ganz eigenen Schreibstil. In eher nüchternen und kurzen Sätzen erzählt er zunächst , wie alles begann zwischen Kaspar und Birgit. Das Kennenlernen, ihre Flucht in den Westen für ein gemeinsames Leben mit Kaspar. Ihre Alkoholsucht und schliesslich ihr Tod, nach dem Kaspar hinter ihr grosses Geheimnis kommt, das Birgit ihr Leben lang vor ihm verheimlicht hat und ihm wird nun erst nach ihrem Tod klar, was sie wirklich damals für ihn aufgegeben hat. Und dann begibt er sich auf die Suche nach ihrer Tochter und er lernt Menschen kennen, die eine völlig andere Lebensweise und völlig entgegengesetzte Weltanschauungen zu seiner eigenen haben. Und obwohl er diese Menschen, die so viel Hass ausstrahlen, überhaupt nicht verstehen kann, möchte er nicht aufgeben und irgendwie den Kampf um Birgits Enkelin, die sie selbst nie kennenlernen durfte, aufnehmen.

    Ein Buch, das mich von der ersten Seite an gefesselt hat und das ich nicht mehr weglegen konnte. Man erfährt jede Menge über deutsche Gegenwartsgeschichte, völkische Gruppen, die voller Hass ihr rechtes Gedankengut verbreiten, aber es geht auch um Liebe, Trauer, Familie , eine vielschichtige , emotionale Geschichte, die sich sehr leicht lesen lässt und die einfach mitten aus dem Leben erzählt.

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    ninchenpinchen, 06.01.2022

    Die Abnabelung aus der alten Welt
    In Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ geht es zunächst um einen Todesfall. Birgit, die Ehefrau des Buchhändlers Kaspar, stirbt plötzlich und unerwartet. Möglicherweise hat sie auch nachgeholfen, diese genauere Interpretation wird dem Leser überlassen. Der Fund der toten Ehefrau gestaltet sich schon ein wenig gruselig, so möchte wohl niemand seine bessere Hälfte vorfinden. Auch unerwartet sind die Inhalte von Birgits hinterlassenen Aufzeichnungen, die eigentlich zum Roman anwachsen sollten. Es gab sogar schon einen interessierten Verleger. Kaspar entdeckt also seit Birgits Tod täglich Neues und Unerwartetes und muss sich erst einmal damit arrangieren. Aus Birgits Notizen geht hervor, dass sie zur Zeit ihres Kennenlernens sogar schwanger war und später eine Tochter geboren hat. Der Freundin und Geburtshelferin wurde von Birgit auferlegt, das frisch geborene Mädchen gleich wegzugeben. Kaspar hatte von alledem nichts bemerkt und auch keinen Verdacht in irgendeiner Beziehung. Kaspar erzählt später von Birgit: „Sie hat ihren Ort in der Welt nicht gefunden.“ Seite 229.
    Kaspar geht nun auf die Suche und findet die Tochter, Svenja, deren Ehemann und die „Enkelin“. Mit vielen Demütigungen, auch derben finanziellen Zugeständnissen erreicht der nun einsame Mann gelegentliche Besuche von Sigrun, der Enkelin.
    Svenja, Birgits Tochter, die ihre Mutter nie kennenlernen durfte, sagt zu Kaspar: „Wir werden die neue Welt nicht erleben. Wir können nur für sie kämpfen. Aber sie wird kommen.“ (Seite 256) Das mutet fast so an, als spräche sie über unsere Gegenwart.
    Sigrun, die Heranwachsende, geht in diesem Roman auf ihre ganz persönliche Heldenreise. Und Kaspar, der Stiefgrossvater, gibt Sigrun Hilfestellung dabei. Wie man vielleicht merkt, beschäftigt mich gerade sehr das Thema „Herr der Ringe“. Und ähnlich wie Frodo oder zuvor Bilbo verlässt unsere Sigrun hier das Auenland, sprich die völkische (rechte) Siedlung. Kaspar, der Stiefgrossvater wirkt hier als Verstärker, indem er der Enkelin andere Möglichkeiten aufzeigt. Der Gartenzaun wird also gleichermassen eingerissen und die Protagonistin erweitert ihr Erlebnisfeld. Die ihr aufgezwungenen Begrenzungen funktionieren nicht mehr. Neue Erlebniswelten werden entdeckt und je nach Möglichkeit tiefergehend erkundet. Es geht hier um wenige Jahre vom Teenager zum jungen Erwachsenen.
    Fazit: Welche politische Richtung wir auch vertreten, wir müssen lernen, die andere Seite zu akzeptieren, uns nach Möglichkeit kooperativ zu verhalten. Also in etwa so, wie sich Kaspar Sigrun gegenüber verhält. Vielleicht ist es das, was wir aus dieser Lektüre mitnehmen können. 5 Sterne, verdiente Sterne.

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Maria B., 12.10.2021

    Menschen in Ost und West

    Birgit ist noch vor der Wende von der DDR zu einem Freund nach Westdeutschland geflohen. Sie hat jedoch ihr neugeborenes Kind zurückgelassen, denn von ihm wusste Kaspar nichts. Zudem wäre die Flucht noch schwieriger geworden.
    Keinesfalls wollte sie es dem Kindsvater übergeben, der sie im Stich gelassen hatte und nun mit seiner unfruchtbaren Frau das Baby aufziehen möchte. Doch ihre Freundin und Geburtshelferin Paula brachte es nicht über sich, das Baby auf die Stufen eines Waisenhauses zu legen.
    Birgit kommt mit dem Verlust ihres Kindes und der Ungewissheit über seinen Verbleib nicht zurecht, wird zur Alkoholikerin und stirbt, bevor sie die Suche starten kann. Ihr Mann Kaspar findet ihre Aufzeichnungen, forscht nach der Tochter und findet im Osten Deutschlands ein rechtsextremes Milieu vor, das ihn abstösst. Dennoch will er seiner Stieftochter ihr Erbe zukommen lassen.
    Beim Lesen habe ich erschrocken mitverfolgt, wie verkehrt alles läuft, auf welche Vorurteile und Feindschaften ein Mann stösst, der verantwortungsbewusst handeln will, vor allem gegenüber Stieftochter Svenja. Sie und die gemeinsame Tochter Sigrun stehen unter der Fuchtel des gewaltbereiten, völkisch-faschistisch ausgerichteten Ehemannes Björn. Mit Freude las ich jedoch, was der Stief-Grossvater seiner intelligenten und begabten Enkelin geben, welche Welt er ihr eröffnen kann. Doch im dritten Teil erfolgt eine unerwartete Kehrtwende, vieles läuft noch einmal in die falsche Richtung, in eine andere Welt, letztlich in einen anderen Erdteil.
    Bernhard Schlink ist Jurist, und selbstverständlich kann er diesbezüglich in einem weiten Themenfeld schürfen. In den drei Teilen des Romans geht um Recht und Unterdrückung, um die völkische Gemeinschaft und um Vorurteile, um rechtsextreme Strömungen, Rassismus und Habgier. Meine Sympathien sind bei keiner Person ungeteilt. Birgit war Alkoholikerin und allzu unschlüssig, Kaspar scheint mir bei aller liebenden Fürsorge reichlich schwach. Svenja unterwirft sich zu sehr ihrem Mann Björn, Enkelin Sigrun schwankt zwischen den Welten. Doch Paula als Bindeglied ist die selbstlose Vermittlerin, der starke Angelpunkt, die vieles zum Guten lenkt.
    Ein mitreissender Roman, spannend von A bis Z. Der Stil ist voller Leben, angefüllt mit Bildern, die Handlung hat einen flotten Drive. Viele Themen kommen zur Sprache, tiefgründig geht Schlink den Problemen und Missverständnissen nach. Mit wieviel Freude und Hoffnung hat man die deutsche Wiedervereinigung gefeiert, und wie schwierig ist sie teils noch heute. Seit längerem wieder der erste Roman, bei dem ich gleich hineingefunden und kein einziges Mal quergelesen habe.

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  • 5 Sterne

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    tansmariechen, 13.10.2021

    Birgit ist tot. Der Buchhändler Kaspar kommt nach Hause und findet seine alkoholkranke Frau Birgit tot in der Badewanne. War es ein natürlicher Tod? War es Selbstmord? War es ein Unfall? Während Kaspar sich mit dem Nachlass seiner Frau beschäftigt, stellt er fest, dass er Birgit gar nicht kannte. Er begibt sich auf Spurensuche in Birgits Vergangenheit. Er spricht mit Menschen, die für sie wichtig waren, bevor sie aus dem Osten zu ihm in den Westen geflohen ist. Er entdeckt, was sie alles zurück gelassen hat.
    Den Roman “Die Enkelin” hat Bernhard Schlink gemeinsam mit dem Verlag Diogenes am 27.10.2021 herausgebracht. Das Cover ist in dem klassischen Stil des Diogenes Verlages gestaltet und zeigt Sigrun im Porträt. Die junge Frau hat mich sofort fasziniert. Den Blick konnte ich nicht von ihr wenden. Ich habe mir die Frage gestellt, was sie zu erzählen hat, wer sie ist und was sie bewegt. Mit diesem Gedanken habe ich das Buch aufgeschlagen. Es ist die erste Geschichte von Bernhard Schlink, die ich lese. Ganz sicher ist, das ich mich mit weiteren Werken des Autors beschäftigen werde, denn mich hat diese Geschichte in allen Teilen gefesselt. Schlink ist Jurist. Selten habe ich einen Roman gelesen, in dem der Handlungsstrang so ruhig, so sachlich und aus so vielen Blickwinkeln erzählt wird. Gleichzeitig gelingt es ihm, die Gefühle und Empfindungen seiner Personen mit nur wenigen Worten zu beschreiben. So werden sie in meinem Kopf lebendig. Gemeinsam mit Kaspar habe ich mich auf die Suche nach Birgits Leben im Osten vor ihrer Flucht in den Westen gemacht. Beinahe beiläufig vermittelt der Autor einiges an Wissen über die deutsch-deutsche Geschichte, die Anspannungen und Schwierigkeiten in der Ost-West-Beziehung und die völkische Gemeinschaft auf dem Land. Seine Persönlichkeiten sind vielschichtig aufgebaut. Ich habe mich intensiv mit Kaspar, seiner alkoholkranken Frau Birgit und deren Enkelin Sigrun beschäftigt. Je weiter ich gelesen habe, desto besser konnte ich sie verstehen. In sich sind die Charaktere alle stimmig aufgebaut. In ihrer Zusammensetzung sind Konflikte vorprogrammiert. Ihre Handlungen und Gedankengänge sind allesamt nachvollziehbar. Sie sind menschlich und nicht immer richtig. Doch wer macht schon immer alles richtig? Mit diesem Buch habe ich viele unterhaltsame Lesestunden verbracht. Gerne empfehle ich es weiter.
    Bernhard Schlink unterhält aus dem Blickwinkel des Beobachters mit einer Mischung aus vielen Formen der Liebe, verschiedenen Facetten der Menschlichkeit und der deutsch-deutschen Geschichte in einer aussergewöhnlichen Erzählkunst. Von mir eine klare Leseempfehlung für alle, die das zu schätzen wissen.

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  • 5 Sterne

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    lisbethsalander, 18.10.2021

    Verzwickte Familiengeschichte zwischen Ost und West
    Birgit flieht kurz nach dem Mauerbau über die deutsch-deutsche Grenze aus Ostberlin in den Westen, um mit Kaspar zusammen zu leben, den sie bei dessen Besuch in der DDR kurz zuvor kennengelernt hat. In ihrer alten Heimat lässt die junge Frau auch ihr Kind zurück, dass sie sofort nach der Geburt zur Adoption frei gegeben hat, da sie als Teenager ungewollt während einer Affäre mit einem verheirateten Mann schwanger geworden war. Die Existenz ihres Kindes, über dessen Aufenthaltsort Birgit selbst nichts weiss, verschweigt sie ihrem Ehemann Kaspar jedoch zeitlebens. Zwar trägt sich die Mutter lange mit dem Gedanken, sich auf die Spurensuche nach ihrer Tochter zu machen, nachdem dies durch die Öffnung zwischen den beiden deutschen Staaten und der Wiedervereinigung möglich geworden ist, doch kann sie das Vorhaben leider nicht in die Tat umsetzen. Zu früh verstirbt sie tragisch an den Folgen ihrer krankhaften Alkoholsucht. Durch schriftliche Hinterlassenschaften erfährt Kaspar von der Existenz der Tochter seiner toten Frau und macht sich selbst auf die Suche. Er findet nicht nur die Tochter selbst, sondern auch deren Familie. Auf diesem Wege wird er auch mit der Existenz einer quasi Stiefenkeltochter und seiner Rolle als plötzlicher Grossvater konfrontiert. Durch den Tod von Birgit nun auch recht einsam, engagiert sich Kaspar intensiv als Opa, obwohl ihm dies nicht wirklich leicht fällt, lebt die neu gefundene Familie doch einen recht unterschiedlichen Lebensstil als er selbst und hat vor allem komplett andere politische Einstellungen. Svenja und ihr Mann Björn sowie Tochter Sigrun leben in den neuen Bundesländern als sogenannte völkische Siedler und finden auf diese Art und Weise ihre Erfüllung. Der "neue Grossvater" lädt die Enkelin zu sich nach Berlin ein, zeigt ihr die Grossstadt, bringt ihr klassische Musik nahe, besucht mit ihr Konzerte, lässt sie im Klavierspiel unterrichten u. geniesst vor allem ihre Gesellschaft, auch wenn das Zusammensein nicht immer harmonisch und durchaus von kleineren Konflikten geprägt ist. Bernhard Schlink hat mich mit diesem Buch stark beeindruckt und teilweise sehr berührt! Seine klare,eindringliche, manchmal einfach wirkende, und doch so poetische Sprache macht dieses Geschichte zu einem grossartigen Leseerlebnis, von mir hierfür eine absolute Empfehlung! Für mich auf jeden Fall ein Werk mit Highlight-Potential!

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  • 5 Sterne

    1 von 2 Kunden fanden diese Bewertung hilfreich

    Larischen, 05.11.2021

    Auf den ersten Blick klingt die Liebesgeschichte von Birgit und Kaspar sehr romantisch: Sie ist für ihn in den Westen geflohen und die beiden haben sich dort ein gemeinsames Leben aufgebaut. Doch auf den zweiten Blick merkt man schnell, dass hinter der hübschen Fassade einiges zerbrochen ist. Nach Birgits tragischem Tod muss Kaspar feststellen, dass seine Frau wesentliche Teile ihrer Vergangenheit vor ihm geheim gehalten hat, die sie wiederum selbst nie loslassen konnte. Und so begibt sich Kaspar auf die Suche nach der Vergangenheit – auch um seine Frau besser kennenzulernen. Auf dieser Suche findet er völlig unerwartet eine Enkelin und ist wieder in der Situation ein junges Mädchen aus einer geschlossenen ideologischen Welt befreien zu wollen.

    Bernhard Schlinks Roman „Die Enkelin“ hat mich sehr bewegt und zum Nachdenken angeregt. Zunächst fand ich den Blick in die Vergangenheit – ein geteiltes Deutschland – und eine Liebesgeschichte zwischen den Welten sehr interessant. Doch dann steht die Handlung im Hier und Jetzt im Vordergrund und hat mich persönlich doch etwas überrascht. Ich habe mit dem was kommt, auf keinen Fall gerechnet, war aber total beeindruckt.
    Kaspar ist ein Protagonist, den ich als sehr überlegt und wertschätzend empfunden habe. Ich war beeindruckt von seiner Geduld und seiner sanftmütigen Beharrlichkeit. Obwohl Kaspar den Grossteil der Handlung weit von meiner Altersklasse entfernt ist, konnte ich mich sehr gut in ihn hineinversetzen.
    Schlinks Schreibstil gefällt mir sehr gut. Er erzählt von schwierigen Themen der unaufgeregt und bringt den Leser dazu, sich Gedanken zu machen. Denn wie man es aus „Der Vorleser“ kennt, liefert er kein vorgefertigtes Urteil, sondern zwingt den Leser sich selbst moralisch mit dem Thema auseinander zu setzen.
    Der einzige Kritikpunkt der mit einfällt ist, dass ich eine Gruppierung, die im Buch angesprochen wird, nicht mehr als so besonders aktuell empfinde. Diese hatte ihre Hochphase tendenziell eher Anfang des 21. Jahrhunderts. Mir hätte das Buch noch besser gefallen, wenn wir auch da aktueller gewesen wären. Unabhängig davon ist das Thema, Menschen aus Ideologien zu befreien, für mich aktueller denn je.
    „Die Enkelin“ von Bernhard Schlink hat mir ausgesprochen gut gefallen und zum Nachdenken angeregt – ein Buch, dass ich nur jedem empfehlen kann, der sich für Menschen und deren Distanzierung von Ideologien interessiert.

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  • 5 Sterne

    Webervogel, 21.11.2021

    Stimmig und fordernd

    Dass der kinderlose Buchhändler Kaspar Wettner je Grossvater werden würde, hat er selbst nicht kommen sehen. Doch nach dem Tod seiner Frau Brigit deckt er deren Lebenslüge auf: Birgit hatte eine Tochter, die sie gleich nach der Geburt weggegeben hat – nur wenige Monate, bevor sie 1965 aus der DDR zu ihm nach Westdeutschland geflohen ist, wo sich die beiden in Berlin ihr gemeinsames Leben aufgebaut haben. Nun erfährt Kaspar, dass seine Frau lange damit gerungen hat, die verlorene Tochter wiederzufinden und beschliesst, an ihrer Stelle zu suchen. Schliesslich begegnet er Birgits Enkelin. Die beiden trennt vieles – ihre einzige Gemeinsamkeit ist die Neugier aufeinander.

    In seinem neuesten Roman entführt Bernhard Schlink seine Leserinnen und Leser zunächst in eine andere Zeit und dann in eine andere Welt. Erst wird Birgits Geschichte erzählt, das Aufwachsen in der DDR thematisiert, ihre Abwendung vom Staat, ihre Flucht. Der westdeutsche Kaspar hat die DDR nur als Besucher erlebt, doch weitaus fremder als sie ist ihm die Welt, in der Birgits Enkelin Sigrun heranwächst: Sie lebt in einer völkischen Gemeinschaft mit klaren Feindbildern. Kaspar versucht, dem Mädchen seine Welt zu zeigen – unter den wachsamen Blicken der Eltern. Das fragile Band zwischen den beiden zieht sich über ein Spannungsfeld. Ich habe mitgebangt, ob es hält.

    Egal welcher Weltanschauung, welchem Stück Zeitgeschichte sich Bernhard Schlink annimmt – er schildert es virtuos und scheut dabei weder Widerspruch noch Kritik. Mit klarer, präziser Sprache hat er auch hier wieder einen Roman geschaffen, bei dem einfach alles stimmt. Die Geschichte ist tragisch, stimmig und aufwühlend in einem, die Figuren haben Ecken, Kanten und immer Tiefgang. Es gelingt dem Autor, alle unterschiedlichen Motivationen irgendwie verständlich erscheinen zu lassen, ohne dass er es einer der Hauptfiguren besonders leicht machen würde. Denn eine klare Einteilung in schwarz und weiss, gut und böse – die gibt es bei Schlink nie. Ein sehr lesenswerter Roman, der extrem unterschiedliche deutsche Leben porträtiert und seine Leserinnen und Leser auch immer wieder dazu herausfordert, Position zu beziehen.

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  • 5 Sterne

    Philo, 07.11.2021

    Das Cover schmückt das Gemälde einer jungen Frau von George Clausen. Es passt ganz hervorragend zum Buch. Bernhard Schlink spannt einen weiten Bogen um eine Familiengeschichte, die in der DDR beginnt und nach gut 50 Jahren mit dem Tod von Kaspars Frau Birgit endet. Für Kaspar begint nun eine Zeit der Suche. Er begreift, dass er all die Jahre neben seiner Frau gelebt hatte, aber eigentlich nichts von ihr wusste. Erst als er ihre Unterlagen und ihren Computer sichtet, kommt er ihren Geheimnissen auf die Spur, die sie in all den Jahren vor ihm geheimgehalten hat. Er erkennt, dass sie sich ihm nie geöffnet und anvertraut hat. Stattdessen war sie schwer depressiv und hat ihre Verzweiflung im Alkohol ertränkt.

    Birgit hat ihren Lebensweg in einem Roman beschrieben, aus dem hervorgeht, dass sie eine Tochter in der DDR zurückgelassen hat und die sie jetzt finden möchte. Dies ist ihr nicht mehr gelungen. Nun übernimmt Kaspar diese Aufgabe, und findet die Tochter mit ihrem Mann und deren Tochter. Es ist ein schwieriges Kennenlernen. Die Familie lebt in einer völkischen Gemeinschaft, die den Nationalsozialismus verherrlicht. In diesem Sinne wird Sigrun, die Kaspar Grossvater nennt, erzogen.

    Die Auseinandersetzung zwischen Kaspar und Sigrun, die den Grossvater in Abständen besuchen darf, hat mich bewegt und berührt. Wie sehr die junge Sigrun in ihrer Weltanschauung verhaftet war und mit welcher Hingabe Kaspar ihr zuhörte und versucht hat, sie davon abzubringen, gehört für mich zu den stärksten Eindrücken im Buch.

    Der Autor hat seinen Protagonisten mit einem starken Charakter ausgestattet. Kaspar ist den Menschen zugewandt, er will nicht werten und richten, sondern zuhören und versuchen, fehlgeleitete Ansichten zu korrigieren und hofft, dass ihm dies mit seiner Lebenserfahrung und Weltanschauung gelingt.

    "Die Enkelin" reiht sich ein in eine lange Reihe von Büchern, die der Autor geschrieben hat, und von denen ich die meisten gelesen habe. Es ist jedes Mal ein herausragendes Leseerlebnis. Und so möchte ich auch dieses neue Buch ganz herzlich empfehlen.

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  • 5 Sterne

    Michaela E., 28.10.2021

    Kaspar Wettner erfährt nach dem plötzlichen Tod seiner Frau, dass diese eine Tochter geboren hatte. Sie hatte sie damals in der DDR zurückgelassen, abgelegt auf den Stufen eines Pfarrhauses, oder eines Waisenheims. Seine Frau hatte ihm nie davon erzählt. Sie wollte ihre Tochter suchen und hatte gleichzeitig so viel Angst davor, dass sie nur Artikel über Waisenkinder im Ostblock zusammengetragen hat.

    Kaspar sieht in ihren Aufzeichnungen einen Auftrag und verfolgt die erste Spur, die ihm auch gleich weiterhelfen kann. Es ist gar nicht so schwer, die Tochter seiner Frau zu finden, doch eine Verbindung zu ihr kann er nicht aufbauen, denn sie lebt mit einer Gruppe Völkischer. Mit dieser Ideologie möchte Kaspar eigentlich nichts zu tun haben, doch er möchte die Enkelin kennenlernen, denn sie ist noch ein junges Mädchen.

    Mit einem Kniff bindet er das Mädchen an sich und zeigt ihr eine andere Welt. Er bringt ihr Musik näher und sie zeigt grosses Talent am Klavier. Mit Literatur versucht er ebenfalls ihren Horizont zu öffnen. Doch er verliert sie wieder, denn den Eltern gefallen diese Massnahmen gar nicht.

    Bernhard Schlink hat hier mehrere wichtige Themen aufgegriffen. Da ist einerseits die traurige Situation der Waisenkinder oder der schwierigen Kinder, die in Jugendwerkshöfen gelandet sind. Ausserdem greift er des Thema des rechtsradikalen Denkens auf, das in vielen Teilen der östlichen Bundesländer den Alltag prägt. Der Autor erläutert gut, wie es dazu kommt und zeigt auf, dass dem nur mit Bildung beizukommen ist.

    Mit Kaspar Wettner hat der Autor eine äusserst sympathischen und feinfühligen Protagonisten geschaffen, dem ich sehr gerne gefolgt bin, bei seinen Versuchen einem jungen Mädchen den Kopf zu öffnen und die Welt zu zeigen. In wie weit das gefruchtet hat, wird hier natürlich nicht verraten. Aber ich fand es sehr schön, diese Reise ins Erwachsen-werden lesend mitzuerleben. Ein interessantes uns liebenswertes Buch! Sehr lesenswert!

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  • 5 Sterne

    petra w., 17.10.2021

    Birgit ist zu Kaspar in den Westen geflohen. Jetzt ist sie tot. Selbstmord, Unfall?
    Sie hat viel zurück gelassen im Osten, wieviel, erfährt Kaspar erst nach ihrem Tod. Er macht sich auf die Suche nach den Menschen, nach ihrem Leben dort. Findet ihre Tochter von der er nichts wusste und eine Enkelin. Damit beginnt eine Beziehung die er so vorher nicht kannte.
    Das Buch ist in drei Teile aufgeteilt, für jede Frau eins, das Verbindende ist Kaspar, der Buchhändler, der Feingeist, der Liebende und Verständnisvolle. Alle Frauen bekommen den ihnen zustehenden Raum für Gefühle und Gedanken, ihre Handlungen werden beschrieben nicht bewertet. Nur Kaspar steht über allem, sein Gefühl und Denken wird seinem Handeln gleichgesetzt. Er ist Beobachter, Chronist, Mann, Grossvater und vor allem für jeden der Halt in einer Welt die überfordert. Er kommt nicht zu kurz in diesem Roman, aber am Ende habe ich ihn lieb gewonnen und hätte ihm gern mehr Raum gegeben.
    Es ist auch ein Roman über uns Deutsche, wie wir mit der Teilung und Wiedervereinigung umgehen, auch über dreissig Jahre danach. Das leise Mitleid und Unverständnis mit denen aus und im Osten. Das manchmal von Oben herab, das Unverständnis von uns Wessis zu den Aussagen aus dem Osten ( besonders auffällig wieder nach der Bundestagswahl ).
    Der Autor beschreibt die Seele der Menschen. Er zeigt die Zerrissenheit zwischen dem Handeln und dem Denken. Er beschreibt, bewertet aber nicht. Er überlässt es uns Lesern unsere eigenen Schlüsse zu ziehen. Er fordert das Nachdenken noch lange nach dem Buch.
    Jedes mal wenn ich ein Buch von Bernhard Schlink gelesen habe, frage ich mich, wie macht er das, dass ich einerseits Mitleid mit den Protagonisten habe, sie andererseits auffordern möchte, tu endlich etwas und dann wieder frage, wie hättest du reagiert. Er fordert mich mit dem ersten Satz auf, nicht nur zu lesen, sondern mit zu denken vielleicht in Gedanken andere Wege zu gehen.

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