Alles wegen Dänen! / Ullstein eBooks (ePub)
Überleben mit Smørrebrød
Es ist was los im Staate Dänemark! Als der Journalist Elmar Jung nach Dänemark zieht, erwartet er Carlsberg, Pølser und Smørrebrød - und vor allem Gemütlichkeit. Stattdessen erlebt er Kopenhagen zunächst als ziemlich raues Pflaster: Restaurantbesuche...
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Produktinformationen zu „Alles wegen Dänen! / Ullstein eBooks (ePub)“
Es ist was los im Staate Dänemark! Als der Journalist Elmar Jung nach Dänemark zieht, erwartet er Carlsberg, Pølser und Smørrebrød - und vor allem Gemütlichkeit. Stattdessen erlebt er Kopenhagen zunächst als ziemlich raues Pflaster: Restaurantbesuche geraten zu Exkursionen in die Servicewüste, die Anmeldung seines Autos wird zur Herkulesaufgabe und auch sonst läuft in Hamlets Heimat längst nicht alles rund. Zum Glück gibt es Elmars Freundin Sara, die ihm doch noch zeigt, wie hyggelig das Leben mit Dänen sein kann.
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Alles wegen Dänen! von Elmar JungPROLOG
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Eigentlich könnten sich die Autohersteller das Einbauen von Hupen sparen. Zumindest bei allen Fahrzeugen, die für den dänischen Markt bestimmt sind. Es macht sowieso niemand von ihnen Gebrauch. Auch jetzt, an diesem Augustabend, bleiben die Dänen hinter dem Steuer gelassen, obwohl der sonst eher beschauliche Berufsverkehr während der diesjährigen Fashion Week bedrohlich anschwillt. Die Modewoche lässt die Kopenhagener noch besser aussehen als sonst schon. An der Kalvebod Brygge am Hafenbecken strömen Geschäftsleute in gutsitzenden Anzügen durch die Drehtüren sonnendurchfluteter Konferenzzentren, die Silhouetten noch besser gekleideter Models spiegeln sich in der schwarzen Glasfassade der Königlichen Bibliothek, Autos quälen sich der Ampel Ecke Hammerichsgade entgegen. Und ich bin der Einzige, der hupt.
Wir waren bei Verwandten am anderen Ende der Stadt zu Besuch, als bei meiner Freundin Sara die Wehen einsetzten. Obwohl es nur noch fünf Tage bis zum errechneten Geburtstermin waren, kam das für uns völlig überraschend.
»So schnell haben wir dann doch nicht damit gerechnet «, hatte ich unseren Freunden noch zugerufen, als wir überstürzt ihre Wohnung verließen. »Alles Gute«, riefen sie uns hinterher.
Jetzt stecke ich mit unserem klapprigen BMW in der Innenstadt fest und bin ziemlich nervös. Werden wir es rechtzeitig in den Kreißsaal schaffen? Ich blicke zu Sara, die ihre Augen geschlossen hat und sich auf ihre Atmung konzentriert. Ansonsten scheint sie relativ entspannt zu sein. Ganz im Gegensatz zu mir.
»Hältst du durch?«, frage ich sie in einer etwas längeren Wehenpause.
»Mir bleibt kaum etwas anderes übrig«, antwortet sie kurzatmig. »Oder traust du dir zu, das Kind im Auto zur Welt zu bringen?« Jetzt grinst sie, aber mich beruhigt ihre Aussage nicht wirklich. Im Gegenteil.
Mit quietschenden Reifen biege ich auf Höhe des Schwarzen Diamanten links ab. Die Neue Carlsberg Glyptothek, der Tivoli und das Rathaus rauschen an uns vorbei. Normalerweise genieße ich es, den Hans Christian Andersens Boulevard entlangzufahren, aber jetzt ist mein Sichtfeld eingeengt zu einem Tunnelblick, und meine Augen richten sich starr auf die Straße vor uns.
»Keine Sorge«, versuche ich Sara und ein klein bisschen auch mich selbst zu beruhigen, »gleich sind wir da.« Doch sie reagiert nicht, und als ich zur Seite blicke, bemerke ich, dass sie gerade vor sich hin döst. Sie atmet jetzt ganz ruhig. Offenbar gönnen die Wehen ihrem Körper gerade eine längere Pause.
Jetzt sind es nur noch wenige hundert Meter bis zum Rigshospital, der zentralen Universitätsklinik Dänemarks. Dort werden jedes Jahr etwa 6000 Babys geboren, und wenn alles gutgeht, auch bald unser Sohn. Nur noch einmal links abbiegen und wir sind da. Aber als ich kurz in den Rückspiegel schaue, bemerke ich zu meinem Entsetzen Blaulicht. Es ist die Polizei, die mir mit der Lichthupe zu verstehen gibt, dass der Einsatz mir gilt und ich rechts ranfahren soll. Mist! Widerwillig leiste ich der Anweisung Folge und bringe den Wagen zum Stehen. Als ich das Seitenfenster herunterfahre, trifft mich der Schlag.
»Das darf doch nicht wahr sein. Du schon wieder!«, flucht der Polizeibeamte, der anscheinend genauso überrascht ist wie ich. Kopenhagen ist wirklich ein Dorf. Vor mir steht ausgerechnet der Polizist, dem ich in den letzten zehn Monaten schon zweimal bei einer Verkehrskontrolle begegnet bin. Und dieses Mal wird er mich wohl nicht so einfach davonkommen lassen.
EINS
Fünfzehn Monate früher, im Mai 2011, rollen wir mit unserem Wagen langsam durch verkehrsberuhigte Straßen. Immer mal wieder überfahren wir eine Abbremsschwelle, und der Blick aus der Frontscheibe verrutscht. Wir bewegen uns deshalb im Schritttempo. Unseren künftigen Nachbarn scheint das nur recht zu sein. So haben sie mehr Zeit, sich die Neuen genau anzuschauen.
Für Sara und mich ist es ein ganz besonderer Samstag. Denn heute ziehen wir endlich zusammen. Lange haben wir nach einer Mietwohnung suchen müssen, die uns gefällt, gut liegt und zugleich erschwinglich ist, bis wir am Ende dann doch noch in einer idyllischen Ecke von Østerbro, einem Viertel im Nordosten Kopenhagens, fündig wurden. In Zukunft werden wir Teil dieser Nachbarschaft sein, die uns gerade so aufmerksam begutachtet.
Eine ältere Frau lässt die Schere sinken, mit der sie gerade die Zierkirsche in ihrem Vorgarten bearbeitet hat, und schaut uns neugierig hinterher. Drei junge Männer mit Baseballmützen, die sich eben noch euphorisch zugeprostet haben, nehmen die Tuborg-Dosen vom Mund. Vielleicht feiern sie immer noch, dass der FC Kopenhagen gestern sein Heimspiel gegen den Lokalrivalen Brøndby gewonnen hat. Jedenfalls machen alle Köpfe einen Schwenk in unsere Fahrtrichtung.
Nachdem wir die richtige Hausnummer gefunden und eine Parklücke erspäht haben, halte ich den Wagen an.
»Neugierige Nachbarn. Genau das, was ich brauche «, murmele ich, während ich rückwärts einparke. »Haben die noch nie zwei Menschen in einem Auto gesehen? «
»Doch«, entgegnet Sara. »Aber das Nummernschild ...«
Sie braucht den Satz nicht zu beenden. Sofort ist es wieder da, das flaue Gefühl im Magen. Es überfällt mich immer dann, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe. Ich habe mein Glück schon viel zu lange überstrapaziert. Eigentlich hätten mich Polizei oder Finanzamt längst erwischen müssen. Denn wer nach Dänemark zieht und sein Auto nicht innerhalb von zwei Wochen ummeldet, der muss mit einer saftigen Strafe rechnen. Und ich lebe schon seit über zwei Jahren hier - mit einem Auto, für dessen Besitz ich nach dänischem Gesetz richtig tief in die Tasche greifen müsste. Was die Angelegenheit so teuer macht, ist allerdings weniger das Auto selbst als die weiß-roten dänischen Nummernschilder: Denn die sind fast so kostbar, als wären sie aus Gold gestanzt. Bis zu 180 Prozent des aktuellen Verkehrswertes eines Autos will der dänische Staat für sie haben. Für einen zehn Jahre alten BMW wie meinen wären daher mindestens 100 000 Kronen, also umgerechnet mehr als 13 000 Euro fällig. Dies ist der Grund, warum ich mit meinem Münchner Kennzeichen schon gefühlte 120 Wochen zu lang in meiner neuen Heimat unterwegs bin.
Nachdem wir ausgestiegen sind, kneife ich denn auch gleich misstrauisch die Augen zusammen und mustere die Leute unserer neuen Nachbarschaft. Doch die haben sich schon wieder von uns abgewandt und machen da weiter, wo sie gerade aufgehört haben: Die drei Jungs mit den Tuborg-Dosen prosten sich noch einmal gut gelaunt zu, und die Gärtnerin ist schon wieder mit den Zierkirschen beschäftigt. Nur ein Mann mit zerzaustem Haar, der seinen Kopf aus einem Fenster im ersten Stock steckt, beobachtet uns immer noch. Ich befürchte das Schlimmste: Bestimmt notiert er gleich unser Kennzeichen, um es an die Steuerbehörden weiterzureichen.
»Du, ich glaube, der da oben greift gleich zum Hörer und verpfeift uns. Würde mich nicht wundern bei einem Dänen«, raune ich Sara zu, die sich gerade unser neues Haus ansieht. Seitdem ich einmal im ZDF-Auslandsjournal eine Reportage über angebliche Stasi- Verhältnisse in Dänemark gesehen habe, hält sich bei mir das Vorurteil vom denunzierenden Dänen hartnäckig - wenn auch zu Unrecht.
»Jetzt übertreib mal nicht«, pfeift mich Sara zurück. Kein Wunder: Sie ist Dänin. »Die sehen doch alle ganz nett aus. Und jetzt schau mal, wie toll wir hier wohnen. «
Sie hat ja recht. Unser neues Viertel ist selbst für Kopenhagener Verhältnisse außergewöhnlich schön gelegen: Rote Backsteinhäuser aus dem Ende des 19. Jahrhunderts reihen sich aneinander. Die Witterung hat die Dachschindeln aus Ziegel in verschiedenste Rottöne getaucht. Ovale Messingschilder mit den Namen der Bewohner zieren die blauen Eingangstüren, und in den von weißen Holzzäunen umgebenen Gärten wiegen die Rhododendren sich im Sommerwind. Es ist herrlich ruhig, obwohl Østerbro eigentlich ein sehr geschäftiger Stadtteil ist: Supermärkte, Banken und Cafés reihen sich hier aneinander. Das Fußballstadion Parken, das auch oft für Konzerte genutzt wird, ist nicht weit, und viele Familien mit kleinen Kindern sorgen für Lebendigkeit.
Østerbro, das seinen Namen von einer Brücke, zu Dänisch bro, trägt, die im Mittelalter zum Stadttor Østerport führte, schließt im Nordosten direkt an die Kopenhagener Altstadt an. Es entstand Mitte des 17. Jahrhunderts im Rahmen der vierten großen Stadterweiterung. Im Zentrum bestimmen Altbauten das Straßenbild, die jedoch mit zunehmender Entfernung vom Stadtkern von kleinen Einfamilien- und Reihenhäusern abgelöst werden, fast alles schöne Klinkerbauten mit unregelmäßigem Mauerwerk. Sara ist Architektin, weshalb sie sich sogleich für dieses Detail begeistert: »Toll, dass die Häuser nicht so glatt und perfekt sind. Das hat viel mehr Charme!« Da der Lieferwagen unseres Umzugsunternehmens noch immer nicht in Sicht ist, drehen wir noch eine kleine Runde durch unsere Straße und gehen dann zu unserem neuen Heim. Auf der Schwelle des Hauses (natürlich auch aus rotem Backstein), dessen Parterrewohnung wir gemietet haben, liegt ein fetter schwarzer Kater und lässt sich die Sonne auf den Pelz brennen. Er ist so entspannt, dass er noch nicht einmal hochschreckt, als plötzlich die Tür aufgeht: Eine distinguierte Dame in einem beigen Hosenanzug und High Heels tritt ins Freie. Ihr Gesicht ist fast weiß geschminkt, sie trägt dunkelgrauen Lidschatten, der ihre eisgrauen Augen noch mehr hervorhebt. Auch ihr langes glattes Haar, kunstvoll zu einem Zopf geflochten und mit zwei sich kreuzenden Nadeln nach oben gesteckt, ist fast weiß. Eine beeindruckende Erscheinung. Vorsichtig steigt sie über den Kater, der überhaupt keine Anstalten macht, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Erst danach hebt die Frau ihren Blick und stellt sich uns als Ellen vor.
Von unseren Vermietern wissen wir, dass Ellen in der Wohnung über uns lebt. Früher einmal hatte ihrem Mann das ganze Haus mit allen drei Wohnungen gehört, doch nach seinem Tod vor ein paar Jahren war es ihr zu viel geworden, die alleinige Verantwortung für das Anwesen zu tragen. Also verkaufte sie die Wohnung unter dem Dach an eine junge Familie und die im Erdgeschoss an Hanne und Ole, ein älteres Baptisten- Pärchen, das derzeit in Südschweden missioniert und seine Wohnung an uns untervermietet. Vor drei Wochen meldeten sich die beiden auf unser Suchinserat, das wir in der Lokalzeitung geschaltet hatten. Obwohl ich Katholik bin, Sara sogar konfessionslos ist und wir fortan in wilder Ehe zusammenleben werden, haben sich Hanne und Ole für uns entschieden. Für die Besichtigung blieb nicht viel Zeit, weil die beiden schon wieder auf dem Sprung waren, »denn unsere Arbeit ruht nie«, wie Hanne uns erklärte. Wir wurden deshalb durch die Wohnung mehr gejagt denn geführt. Da sie uns auf den ersten Blick zusagte und erschwinglicher Wohnraum in Kopenhagen nicht einfach zu finden ist, sagten wir kurzerhand zu. Selbst wenn wir Gefahr liefen, zum Umzugstermin schon wieder vergessen zu haben, wie unser neues Zuhause aussah.
»Ihr seht aber ganz schön zerknittert aus«, sagt Ellen trocken, ohne sich die Mühe zu machen, das Gespräch mit ein paar freundlichen Floskeln einzuleiten. Dänen halten Small Talk für reine Zeitverschwendung - eine Eigenart, die ich auch an Sara sofort bemerkt habe, als ich sie vor einem guten Jahr kennenlernte. Sie spricht die Dinge am liebsten direkt und ohne Umschweife an. Mir kommt das ehrlich gesagt entgegen. Auch ich bin nicht gut darin, erst einmal stundenlang um den heißen Brei zu reden, bevor ich mein eigentliches Anliegen äußern kann. Außerdem sehen wir gerade wirklich nicht wie das blühende Leben aus. Ich entscheide mich, Ellen einfach zuzustimmen.
»Da hast du wohl recht. Wir haben gestern noch bis spät in die Nacht Kisten gepackt. Und dann schläft man vor einem Umzug ja nie wirklich gut. Die ganze Aufregung und so.«
Ellen nickt verständnisvoll, wobei sich eine ihrer Haarnadeln löst und zu Boden fällt. Als sie sich bückt, fällt ihr Blick auf das Kennzeichen meines Autos.
»Da macht euch mal keine Sorgen«, sagt sie, offenbar davon ausgehend, dass sie es hier mit jemandem zu tun hat, der sich schon viel zu lange um die Gebühr für dänische Nummernschilder drückt. »Hier wird euch niemand bei den Behörden melden. Ich schon gar nicht. Ich halte die Zulassungsgebühr sowieso für vollkommen idiotisch. Viele meiner Bekannten hat die Angst vor den Behörden schon auf die absurdesten Ideen gebracht. « Ellen erzählt mit glockenklarer Stimme von gefälschten Nummernschildern und von Leuten, die die Dinger einfach klauen, um sie sich dann ans eigene Auto zu schrauben. »Helt sindsygt - total verrückt«, beendet sie ihren Kurzausflug in die Abgründe dänischer Abgaben- und Steuergaunerei. »Aber was rede ich hier so lange herum. Kommt doch schnell auf einen Kaffee zu mir in die Wohnung.«
»Wir würden wirklich gerne, aber das Umzugsauto kommt bestimmt ...«, beginne ich, aber da unterbricht mich schon Sara.
»Ein Kaffee kann nie schaden«, sagt sie. »Und wenn der LKW vorfährt, kriegen wir das schon mit.« Typisch Sara: Während in mir bereits die Ungeduld aufsteigt, hat sie die Ruhe weg.
Als wir Ellens Wohnung im ersten Stock betreten, fällt mir sofort auf, wie angenehm luftig und leicht sie eingerichtet ist. Keine schweren Vitrinenschränke aus dunklem, poliertem Holz, kein staubiger Barocksessel oder Porzellanfigürchen auf dem Fenstersims, wie ich es aus Deutschland von Wohnungen etwas betagterer Menschen gewohnt bin. Stattdessen stehen im Esszimmer auf dem hellgeölten Dielenboden ein weißer ovaler Holztisch, dazu sechs Stühle in passender Farbe des dänischen Designers Arne Jacobsen. Über dem Ensemble hängt eine ausladende Deckenleuchte von Louis Poulsen. An den Sprossenfenstern werfen olivgrüne Vorhänge aus dünnem Tuch ihre Falten. Ellen bittet uns, auf einem grauen Ecksofa Platz zu nehmen, das sich trotz der schlichten Polsterung als sehr bequem erweist.
Das Beste an dänischem Design ist, dass es nicht nur gut aussieht, sondern auch funktioniert. Reduktion aufs Wesentliche, ohne dass dabei die Wärme verlorengeht. Ich komme mir in Ellens Wohnung vor wie in einem Einrichtungsmagazin. Gemütlich ist es trotzdem.
Bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Schokoladenkuchen erfahren wir, warum gerade Ellen eine der erbittertsten Gegnerinnen der dänischen Kfz-Registrierungsgebühr ist. Als Informationschefin von Citroën Dänemark ist sie qua Profession wegen der ganzen Sache gar nicht gut auf den Staat zu sprechen. Das finde ich als Journalist natürlich spannend: »Darf ich dich zitieren, wenn ich darüber mal einen Artikel schreibe?«
»Na klar.«
»Auch wörtlich, also ohne abgeschwächte Formulierungen? Es wäre schade, wenn am Ende nur noch die Hälfte von deinen Erzählungen übrig bliebe.«
»Da mach dir mal keine Sorgen. Wir sind hier in Dänemark. « Dänen nehmen nur ungern ein Blatt vor den Mund, was sie in meinen Augen nicht nur sehr sympathisch macht, sondern für einen Journalisten auch zu idealen Gesprächspartnern. Wir könnten ewig mit Ellen Kaffee trinken, Schokoladenkuchen essen und über Merkwürdigkeiten im Staate Dänemark sprechen. Doch irgendwann müssen wir uns auch mal um unseren Umzug kümmern.
Als Sara und ich eine Stunde später die Wohnung betreten - der Umzugswagen ist immer noch nicht da -, staunen wir. So groß hatten wir sie nicht in Erinnerung. Bei der ersten Besichtigung vor drei Wochen war sie noch vollgestellt mit Möbeln, jetzt offenbart sich uns eine riesige, mediterran anmutende Küche mit dunkelroten Terrakotta-Fliesen, die über zwei Stufen in das leicht erhöhte, mit breiten Holzplanken ausgelegte Wohnzimmer übergeht. Lediglich ein schwarzer Holzofen, der, wie wir uns zuvor vergewissert haben, nicht nur Zierde ist, trennt die Zimmer voneinander. Zudem gibt es ein Schlaf- und ein Gästezimmer sowie ein kleines Büro. Und was ganz wichtig und hier eine echte Rarität ist: ein Badezimmer mit Badewanne! Da Kopenhagen im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen weitgehend verschont blieb, hat die Stadt eine vergleichsweise alte Bausubstanz. Bunte, 300 Jahre alte Giebelhäuser, historische Villen mit herrschaftlichen Fassaden und pittoresken Türmchen, rote Backsteinhäuser: Das ist zwar alles schön anzuschauen, vieles auch repräsentativ und erhaben. Aber die Badezimmer sind meist nicht mehr als Nischen in einer Felswand.
Während wir darauf warten, dass die inzwischen eingetroffenen Hünen vom Umzugsdienst mit dem Auspacken beginnen, durchschreiten wir gemeinsam die Räume und richten sie in Gedanken ein. Als wir zu dem Zimmer treten, in dem ich eigentlich mein künftiges Büro sehe, meint Sara: »Og det skal være børneværelset. « Und das wird das Kinderzimmer.
Mir wird etwas schwindelig. »Wieso Kinderzimmer? Bist du etwa schwanger?«, huste ich, während sich auf meiner Stirn erste Perlen von Angstschweiß bilden.
»Schwanger? Nein. Wie kommst du denn darauf?« Sara lacht und lässt sich auf dem Holzboden nieder, während ich dastehe wie ein begossener Pudel. Aber meine unsouveräne Reaktion scheint sie wenig zu stören. Als sie mir den Schrecken anmerkt, steht sie wieder auf, umarmt mich und klopft mir beruhigend auf den Rücken.
»Ich meine ja nur, du hast schließlich gerade vom Kinderzimmer gesprochen«, versuche ich mich, halb lachend und halb stotternd, zu rechtfertigen.
© ullstein
Eigentlich könnten sich die Autohersteller das Einbauen von Hupen sparen. Zumindest bei allen Fahrzeugen, die für den dänischen Markt bestimmt sind. Es macht sowieso niemand von ihnen Gebrauch. Auch jetzt, an diesem Augustabend, bleiben die Dänen hinter dem Steuer gelassen, obwohl der sonst eher beschauliche Berufsverkehr während der diesjährigen Fashion Week bedrohlich anschwillt. Die Modewoche lässt die Kopenhagener noch besser aussehen als sonst schon. An der Kalvebod Brygge am Hafenbecken strömen Geschäftsleute in gutsitzenden Anzügen durch die Drehtüren sonnendurchfluteter Konferenzzentren, die Silhouetten noch besser gekleideter Models spiegeln sich in der schwarzen Glasfassade der Königlichen Bibliothek, Autos quälen sich der Ampel Ecke Hammerichsgade entgegen. Und ich bin der Einzige, der hupt.
Wir waren bei Verwandten am anderen Ende der Stadt zu Besuch, als bei meiner Freundin Sara die Wehen einsetzten. Obwohl es nur noch fünf Tage bis zum errechneten Geburtstermin waren, kam das für uns völlig überraschend.
»So schnell haben wir dann doch nicht damit gerechnet «, hatte ich unseren Freunden noch zugerufen, als wir überstürzt ihre Wohnung verließen. »Alles Gute«, riefen sie uns hinterher.
Jetzt stecke ich mit unserem klapprigen BMW in der Innenstadt fest und bin ziemlich nervös. Werden wir es rechtzeitig in den Kreißsaal schaffen? Ich blicke zu Sara, die ihre Augen geschlossen hat und sich auf ihre Atmung konzentriert. Ansonsten scheint sie relativ entspannt zu sein. Ganz im Gegensatz zu mir.
»Hältst du durch?«, frage ich sie in einer etwas längeren Wehenpause.
»Mir bleibt kaum etwas anderes übrig«, antwortet sie kurzatmig. »Oder traust du dir zu, das Kind im Auto zur Welt zu bringen?« Jetzt grinst sie, aber mich beruhigt ihre Aussage nicht wirklich. Im Gegenteil.
Mit quietschenden Reifen biege ich auf Höhe des Schwarzen Diamanten links ab. Die Neue Carlsberg Glyptothek, der Tivoli und das Rathaus rauschen an uns vorbei. Normalerweise genieße ich es, den Hans Christian Andersens Boulevard entlangzufahren, aber jetzt ist mein Sichtfeld eingeengt zu einem Tunnelblick, und meine Augen richten sich starr auf die Straße vor uns.
»Keine Sorge«, versuche ich Sara und ein klein bisschen auch mich selbst zu beruhigen, »gleich sind wir da.« Doch sie reagiert nicht, und als ich zur Seite blicke, bemerke ich, dass sie gerade vor sich hin döst. Sie atmet jetzt ganz ruhig. Offenbar gönnen die Wehen ihrem Körper gerade eine längere Pause.
Jetzt sind es nur noch wenige hundert Meter bis zum Rigshospital, der zentralen Universitätsklinik Dänemarks. Dort werden jedes Jahr etwa 6000 Babys geboren, und wenn alles gutgeht, auch bald unser Sohn. Nur noch einmal links abbiegen und wir sind da. Aber als ich kurz in den Rückspiegel schaue, bemerke ich zu meinem Entsetzen Blaulicht. Es ist die Polizei, die mir mit der Lichthupe zu verstehen gibt, dass der Einsatz mir gilt und ich rechts ranfahren soll. Mist! Widerwillig leiste ich der Anweisung Folge und bringe den Wagen zum Stehen. Als ich das Seitenfenster herunterfahre, trifft mich der Schlag.
»Das darf doch nicht wahr sein. Du schon wieder!«, flucht der Polizeibeamte, der anscheinend genauso überrascht ist wie ich. Kopenhagen ist wirklich ein Dorf. Vor mir steht ausgerechnet der Polizist, dem ich in den letzten zehn Monaten schon zweimal bei einer Verkehrskontrolle begegnet bin. Und dieses Mal wird er mich wohl nicht so einfach davonkommen lassen.
EINS
Fünfzehn Monate früher, im Mai 2011, rollen wir mit unserem Wagen langsam durch verkehrsberuhigte Straßen. Immer mal wieder überfahren wir eine Abbremsschwelle, und der Blick aus der Frontscheibe verrutscht. Wir bewegen uns deshalb im Schritttempo. Unseren künftigen Nachbarn scheint das nur recht zu sein. So haben sie mehr Zeit, sich die Neuen genau anzuschauen.
Für Sara und mich ist es ein ganz besonderer Samstag. Denn heute ziehen wir endlich zusammen. Lange haben wir nach einer Mietwohnung suchen müssen, die uns gefällt, gut liegt und zugleich erschwinglich ist, bis wir am Ende dann doch noch in einer idyllischen Ecke von Østerbro, einem Viertel im Nordosten Kopenhagens, fündig wurden. In Zukunft werden wir Teil dieser Nachbarschaft sein, die uns gerade so aufmerksam begutachtet.
Eine ältere Frau lässt die Schere sinken, mit der sie gerade die Zierkirsche in ihrem Vorgarten bearbeitet hat, und schaut uns neugierig hinterher. Drei junge Männer mit Baseballmützen, die sich eben noch euphorisch zugeprostet haben, nehmen die Tuborg-Dosen vom Mund. Vielleicht feiern sie immer noch, dass der FC Kopenhagen gestern sein Heimspiel gegen den Lokalrivalen Brøndby gewonnen hat. Jedenfalls machen alle Köpfe einen Schwenk in unsere Fahrtrichtung.
Nachdem wir die richtige Hausnummer gefunden und eine Parklücke erspäht haben, halte ich den Wagen an.
»Neugierige Nachbarn. Genau das, was ich brauche «, murmele ich, während ich rückwärts einparke. »Haben die noch nie zwei Menschen in einem Auto gesehen? «
»Doch«, entgegnet Sara. »Aber das Nummernschild ...«
Sie braucht den Satz nicht zu beenden. Sofort ist es wieder da, das flaue Gefühl im Magen. Es überfällt mich immer dann, wenn ich ein schlechtes Gewissen habe. Ich habe mein Glück schon viel zu lange überstrapaziert. Eigentlich hätten mich Polizei oder Finanzamt längst erwischen müssen. Denn wer nach Dänemark zieht und sein Auto nicht innerhalb von zwei Wochen ummeldet, der muss mit einer saftigen Strafe rechnen. Und ich lebe schon seit über zwei Jahren hier - mit einem Auto, für dessen Besitz ich nach dänischem Gesetz richtig tief in die Tasche greifen müsste. Was die Angelegenheit so teuer macht, ist allerdings weniger das Auto selbst als die weiß-roten dänischen Nummernschilder: Denn die sind fast so kostbar, als wären sie aus Gold gestanzt. Bis zu 180 Prozent des aktuellen Verkehrswertes eines Autos will der dänische Staat für sie haben. Für einen zehn Jahre alten BMW wie meinen wären daher mindestens 100 000 Kronen, also umgerechnet mehr als 13 000 Euro fällig. Dies ist der Grund, warum ich mit meinem Münchner Kennzeichen schon gefühlte 120 Wochen zu lang in meiner neuen Heimat unterwegs bin.
Nachdem wir ausgestiegen sind, kneife ich denn auch gleich misstrauisch die Augen zusammen und mustere die Leute unserer neuen Nachbarschaft. Doch die haben sich schon wieder von uns abgewandt und machen da weiter, wo sie gerade aufgehört haben: Die drei Jungs mit den Tuborg-Dosen prosten sich noch einmal gut gelaunt zu, und die Gärtnerin ist schon wieder mit den Zierkirschen beschäftigt. Nur ein Mann mit zerzaustem Haar, der seinen Kopf aus einem Fenster im ersten Stock steckt, beobachtet uns immer noch. Ich befürchte das Schlimmste: Bestimmt notiert er gleich unser Kennzeichen, um es an die Steuerbehörden weiterzureichen.
»Du, ich glaube, der da oben greift gleich zum Hörer und verpfeift uns. Würde mich nicht wundern bei einem Dänen«, raune ich Sara zu, die sich gerade unser neues Haus ansieht. Seitdem ich einmal im ZDF-Auslandsjournal eine Reportage über angebliche Stasi- Verhältnisse in Dänemark gesehen habe, hält sich bei mir das Vorurteil vom denunzierenden Dänen hartnäckig - wenn auch zu Unrecht.
»Jetzt übertreib mal nicht«, pfeift mich Sara zurück. Kein Wunder: Sie ist Dänin. »Die sehen doch alle ganz nett aus. Und jetzt schau mal, wie toll wir hier wohnen. «
Sie hat ja recht. Unser neues Viertel ist selbst für Kopenhagener Verhältnisse außergewöhnlich schön gelegen: Rote Backsteinhäuser aus dem Ende des 19. Jahrhunderts reihen sich aneinander. Die Witterung hat die Dachschindeln aus Ziegel in verschiedenste Rottöne getaucht. Ovale Messingschilder mit den Namen der Bewohner zieren die blauen Eingangstüren, und in den von weißen Holzzäunen umgebenen Gärten wiegen die Rhododendren sich im Sommerwind. Es ist herrlich ruhig, obwohl Østerbro eigentlich ein sehr geschäftiger Stadtteil ist: Supermärkte, Banken und Cafés reihen sich hier aneinander. Das Fußballstadion Parken, das auch oft für Konzerte genutzt wird, ist nicht weit, und viele Familien mit kleinen Kindern sorgen für Lebendigkeit.
Østerbro, das seinen Namen von einer Brücke, zu Dänisch bro, trägt, die im Mittelalter zum Stadttor Østerport führte, schließt im Nordosten direkt an die Kopenhagener Altstadt an. Es entstand Mitte des 17. Jahrhunderts im Rahmen der vierten großen Stadterweiterung. Im Zentrum bestimmen Altbauten das Straßenbild, die jedoch mit zunehmender Entfernung vom Stadtkern von kleinen Einfamilien- und Reihenhäusern abgelöst werden, fast alles schöne Klinkerbauten mit unregelmäßigem Mauerwerk. Sara ist Architektin, weshalb sie sich sogleich für dieses Detail begeistert: »Toll, dass die Häuser nicht so glatt und perfekt sind. Das hat viel mehr Charme!« Da der Lieferwagen unseres Umzugsunternehmens noch immer nicht in Sicht ist, drehen wir noch eine kleine Runde durch unsere Straße und gehen dann zu unserem neuen Heim. Auf der Schwelle des Hauses (natürlich auch aus rotem Backstein), dessen Parterrewohnung wir gemietet haben, liegt ein fetter schwarzer Kater und lässt sich die Sonne auf den Pelz brennen. Er ist so entspannt, dass er noch nicht einmal hochschreckt, als plötzlich die Tür aufgeht: Eine distinguierte Dame in einem beigen Hosenanzug und High Heels tritt ins Freie. Ihr Gesicht ist fast weiß geschminkt, sie trägt dunkelgrauen Lidschatten, der ihre eisgrauen Augen noch mehr hervorhebt. Auch ihr langes glattes Haar, kunstvoll zu einem Zopf geflochten und mit zwei sich kreuzenden Nadeln nach oben gesteckt, ist fast weiß. Eine beeindruckende Erscheinung. Vorsichtig steigt sie über den Kater, der überhaupt keine Anstalten macht, sich auch nur einen Millimeter zu rühren. Erst danach hebt die Frau ihren Blick und stellt sich uns als Ellen vor.
Von unseren Vermietern wissen wir, dass Ellen in der Wohnung über uns lebt. Früher einmal hatte ihrem Mann das ganze Haus mit allen drei Wohnungen gehört, doch nach seinem Tod vor ein paar Jahren war es ihr zu viel geworden, die alleinige Verantwortung für das Anwesen zu tragen. Also verkaufte sie die Wohnung unter dem Dach an eine junge Familie und die im Erdgeschoss an Hanne und Ole, ein älteres Baptisten- Pärchen, das derzeit in Südschweden missioniert und seine Wohnung an uns untervermietet. Vor drei Wochen meldeten sich die beiden auf unser Suchinserat, das wir in der Lokalzeitung geschaltet hatten. Obwohl ich Katholik bin, Sara sogar konfessionslos ist und wir fortan in wilder Ehe zusammenleben werden, haben sich Hanne und Ole für uns entschieden. Für die Besichtigung blieb nicht viel Zeit, weil die beiden schon wieder auf dem Sprung waren, »denn unsere Arbeit ruht nie«, wie Hanne uns erklärte. Wir wurden deshalb durch die Wohnung mehr gejagt denn geführt. Da sie uns auf den ersten Blick zusagte und erschwinglicher Wohnraum in Kopenhagen nicht einfach zu finden ist, sagten wir kurzerhand zu. Selbst wenn wir Gefahr liefen, zum Umzugstermin schon wieder vergessen zu haben, wie unser neues Zuhause aussah.
»Ihr seht aber ganz schön zerknittert aus«, sagt Ellen trocken, ohne sich die Mühe zu machen, das Gespräch mit ein paar freundlichen Floskeln einzuleiten. Dänen halten Small Talk für reine Zeitverschwendung - eine Eigenart, die ich auch an Sara sofort bemerkt habe, als ich sie vor einem guten Jahr kennenlernte. Sie spricht die Dinge am liebsten direkt und ohne Umschweife an. Mir kommt das ehrlich gesagt entgegen. Auch ich bin nicht gut darin, erst einmal stundenlang um den heißen Brei zu reden, bevor ich mein eigentliches Anliegen äußern kann. Außerdem sehen wir gerade wirklich nicht wie das blühende Leben aus. Ich entscheide mich, Ellen einfach zuzustimmen.
»Da hast du wohl recht. Wir haben gestern noch bis spät in die Nacht Kisten gepackt. Und dann schläft man vor einem Umzug ja nie wirklich gut. Die ganze Aufregung und so.«
Ellen nickt verständnisvoll, wobei sich eine ihrer Haarnadeln löst und zu Boden fällt. Als sie sich bückt, fällt ihr Blick auf das Kennzeichen meines Autos.
»Da macht euch mal keine Sorgen«, sagt sie, offenbar davon ausgehend, dass sie es hier mit jemandem zu tun hat, der sich schon viel zu lange um die Gebühr für dänische Nummernschilder drückt. »Hier wird euch niemand bei den Behörden melden. Ich schon gar nicht. Ich halte die Zulassungsgebühr sowieso für vollkommen idiotisch. Viele meiner Bekannten hat die Angst vor den Behörden schon auf die absurdesten Ideen gebracht. « Ellen erzählt mit glockenklarer Stimme von gefälschten Nummernschildern und von Leuten, die die Dinger einfach klauen, um sie sich dann ans eigene Auto zu schrauben. »Helt sindsygt - total verrückt«, beendet sie ihren Kurzausflug in die Abgründe dänischer Abgaben- und Steuergaunerei. »Aber was rede ich hier so lange herum. Kommt doch schnell auf einen Kaffee zu mir in die Wohnung.«
»Wir würden wirklich gerne, aber das Umzugsauto kommt bestimmt ...«, beginne ich, aber da unterbricht mich schon Sara.
»Ein Kaffee kann nie schaden«, sagt sie. »Und wenn der LKW vorfährt, kriegen wir das schon mit.« Typisch Sara: Während in mir bereits die Ungeduld aufsteigt, hat sie die Ruhe weg.
Als wir Ellens Wohnung im ersten Stock betreten, fällt mir sofort auf, wie angenehm luftig und leicht sie eingerichtet ist. Keine schweren Vitrinenschränke aus dunklem, poliertem Holz, kein staubiger Barocksessel oder Porzellanfigürchen auf dem Fenstersims, wie ich es aus Deutschland von Wohnungen etwas betagterer Menschen gewohnt bin. Stattdessen stehen im Esszimmer auf dem hellgeölten Dielenboden ein weißer ovaler Holztisch, dazu sechs Stühle in passender Farbe des dänischen Designers Arne Jacobsen. Über dem Ensemble hängt eine ausladende Deckenleuchte von Louis Poulsen. An den Sprossenfenstern werfen olivgrüne Vorhänge aus dünnem Tuch ihre Falten. Ellen bittet uns, auf einem grauen Ecksofa Platz zu nehmen, das sich trotz der schlichten Polsterung als sehr bequem erweist.
Das Beste an dänischem Design ist, dass es nicht nur gut aussieht, sondern auch funktioniert. Reduktion aufs Wesentliche, ohne dass dabei die Wärme verlorengeht. Ich komme mir in Ellens Wohnung vor wie in einem Einrichtungsmagazin. Gemütlich ist es trotzdem.
Bei einer Tasse Kaffee und einem Stück Schokoladenkuchen erfahren wir, warum gerade Ellen eine der erbittertsten Gegnerinnen der dänischen Kfz-Registrierungsgebühr ist. Als Informationschefin von Citroën Dänemark ist sie qua Profession wegen der ganzen Sache gar nicht gut auf den Staat zu sprechen. Das finde ich als Journalist natürlich spannend: »Darf ich dich zitieren, wenn ich darüber mal einen Artikel schreibe?«
»Na klar.«
»Auch wörtlich, also ohne abgeschwächte Formulierungen? Es wäre schade, wenn am Ende nur noch die Hälfte von deinen Erzählungen übrig bliebe.«
»Da mach dir mal keine Sorgen. Wir sind hier in Dänemark. « Dänen nehmen nur ungern ein Blatt vor den Mund, was sie in meinen Augen nicht nur sehr sympathisch macht, sondern für einen Journalisten auch zu idealen Gesprächspartnern. Wir könnten ewig mit Ellen Kaffee trinken, Schokoladenkuchen essen und über Merkwürdigkeiten im Staate Dänemark sprechen. Doch irgendwann müssen wir uns auch mal um unseren Umzug kümmern.
Als Sara und ich eine Stunde später die Wohnung betreten - der Umzugswagen ist immer noch nicht da -, staunen wir. So groß hatten wir sie nicht in Erinnerung. Bei der ersten Besichtigung vor drei Wochen war sie noch vollgestellt mit Möbeln, jetzt offenbart sich uns eine riesige, mediterran anmutende Küche mit dunkelroten Terrakotta-Fliesen, die über zwei Stufen in das leicht erhöhte, mit breiten Holzplanken ausgelegte Wohnzimmer übergeht. Lediglich ein schwarzer Holzofen, der, wie wir uns zuvor vergewissert haben, nicht nur Zierde ist, trennt die Zimmer voneinander. Zudem gibt es ein Schlaf- und ein Gästezimmer sowie ein kleines Büro. Und was ganz wichtig und hier eine echte Rarität ist: ein Badezimmer mit Badewanne! Da Kopenhagen im Zweiten Weltkrieg von Zerstörungen weitgehend verschont blieb, hat die Stadt eine vergleichsweise alte Bausubstanz. Bunte, 300 Jahre alte Giebelhäuser, historische Villen mit herrschaftlichen Fassaden und pittoresken Türmchen, rote Backsteinhäuser: Das ist zwar alles schön anzuschauen, vieles auch repräsentativ und erhaben. Aber die Badezimmer sind meist nicht mehr als Nischen in einer Felswand.
Während wir darauf warten, dass die inzwischen eingetroffenen Hünen vom Umzugsdienst mit dem Auspacken beginnen, durchschreiten wir gemeinsam die Räume und richten sie in Gedanken ein. Als wir zu dem Zimmer treten, in dem ich eigentlich mein künftiges Büro sehe, meint Sara: »Og det skal være børneværelset. « Und das wird das Kinderzimmer.
Mir wird etwas schwindelig. »Wieso Kinderzimmer? Bist du etwa schwanger?«, huste ich, während sich auf meiner Stirn erste Perlen von Angstschweiß bilden.
»Schwanger? Nein. Wie kommst du denn darauf?« Sara lacht und lässt sich auf dem Holzboden nieder, während ich dastehe wie ein begossener Pudel. Aber meine unsouveräne Reaktion scheint sie wenig zu stören. Als sie mir den Schrecken anmerkt, steht sie wieder auf, umarmt mich und klopft mir beruhigend auf den Rücken.
»Ich meine ja nur, du hast schließlich gerade vom Kinderzimmer gesprochen«, versuche ich mich, halb lachend und halb stotternd, zu rechtfertigen.
© ullstein
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Autoren-Porträt von Elmar Jung
Elmar Jung, geboren 1978, arbeitet seit 2009 als Skandinavien-Korrespondent in Dänemark, wo er u.a. für Die Welt und die Financial Times Deutschland schreibt. Mit seiner Freundin und seinem kleinen Sohn lebt er in Kopenhagen.
Bibliographische Angaben
- Autor: Elmar Jung
- 2013, 1. Auflage, 304 Seiten, Deutsch
- Verlag: Ullstein Taschenbuchvlg.
- ISBN-10: 3843704406
- ISBN-13: 9783843704403
- Erscheinungsdatum: 14.05.2013
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