Tribunen, Solisten, Visionäre (PDF)
Politische Führung in der Bundesrepublik
Der Begriff »Führung« ist unscharf und schillernd. Ein und derselben Figur werden Führungsqualitäten einmal zu- und dann wieder abgesprochen. Der visionäre Ost- und Friedenspolitiker Willy Brandt galt vielen Betrachtern in den frühen 1960er Jahren als...
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Der Begriff »Führung« ist unscharf und schillernd. Ein und derselben Figur werden Führungsqualitäten einmal zu- und dann wieder abgesprochen. Der visionäre Ost- und Friedenspolitiker Willy Brandt galt vielen Betrachtern in den frühen 1960er Jahren als oberflächliches Kennedy-Imitat. Kurt Biedenkopf wurde zunächst als »Wunderknabe« emphatisch beklatscht, um bald darauf als »wunder Knabe« verspottet zu werden. Noch schneller verglühte der kurzzeitig hell leuchtende Stern Ralf Dahrendorfs - und auch die Urteile über die Vorsitzenden von PDS und Linkspartei schwanken im Zeitverlauf erratisch. Was aber bedeutet das für politische Führung? Basieren die Umschläge in der öffentlichen Meinung auf einem plötzlichen Verlernen beziehungsweise dem ebenso spontanen Erwerb politischer Führungsfähigkeiten? Oder gibt es bloss keinen Königsweg für die Eroberung und Sicherung politischer Macht, ist Führung also stets abhängig vom Zeitpunkt und vom Standort des Betrachters? Eben darum soll es hier gehen: Welche persönlichen Eigenschaften begünstigen Aufstieg und Verbleib in Führungsämtern? Inwiefern begrenzen oder erweitern institutionelle, soziale und kulturelle Einflüsse Gestaltungsräume? Und lassen sich Erfolgsindikatoren von Führung in Parteien und Politik identifizieren?
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"5. Eine Partei ist keine Firma – Kurt Biedenkopf als Generalsekretr der CDU (S. 223-224)Als Kurt Biedenkopf auf dem Düsseldorfer Parteitag imMärz 1977 seinen letzten Rechenschaftsbericht als CDU-Generalsekretär gehalten hatte und die Leitung der Bundesgeschäftsstelle an seinen Nachfolger, Heiner Geißler, übergab, zeigten sich die Delegierten davon wenig beeindruckt. Von verhaltenen Reaktionen, ja einem »kühlen Lebewohl«610 für den scheidenden Amtsträger war hernach die Rede. Dabei waren seine Dienstjahre nach allen statistischen Kennzahlen eine durchweg erfolgreiche Zeit für die Partei gewesen.
Die Zahl der CDU-Mitglieder schnellte in den vier Biedenkopf-Jahren, zwischen 1973 und 1977, von 422.968 auf 652.010 Beitragszahler hoch, was einer Zuwachsrate von 43 Prozent entspricht. Bisher weiß gebliebene Flecken auf der Organisationslandkarte wurden jetzt für die Partei erschlossen, neue Regionalverbände gegründet und im Zuge dieser Ausdehnung und Verdichtung der Parteistrukturen 1975 vom Mannheimer Parteitag zwei neue Organisationsstufen in die Statuten aufgenommen. Unterhalb der bisherigen Basiseinheiten, der Kreisverbände, entstanden seither Stadt- beziehungsweise Gemeindeverbände, die in Mitgliederhochburgen noch durch sogenannte Ortsverbände untergliedert werden konnten.
Bei Landtagswahlen schließlich erzielten die Christdemokraten zwischen 1974 und 1976 von Kiel bis München Höchstwerte, republikweit im Durchschnitt 51,4 Prozent – ein Niveau, das sie weder zuvor noch nachher je wieder erreichen sollten. Nur in Hamburg und Bremen konnten die Sozialdemokraten in jenen Jahren ihre Führungsrolle behaupten. In allen anderen Bundesländern und also auch in der SPD-Hochburg Berlin, der Stadt Willy Brandts, war die CDU/CSU wählerstärkste Kraft, in den Flächenländern Baden-Württemberg,
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Bayern, Rheinland-Pfalz und Schleswig-Holstein gar mit absolutenMehrheiten. Nun liegt es nahe, den Undank der Delegierten mit der Schwierigkeit zu erklären, Erfolg in der Politik zu messen. Im Unterschied beispielsweise zum Wirtschaftsbereich und der Tätigkeit von Managern gibt es im politischen Sektor keine unbestrittenen Indikatoren zur Messung von Triumph und Scheitern. Was wäre etwa das politische Äquivalent für die unternehmerischen Erfolgsziffern Umsatzplus, Gewinnsteigerung und Zuwachs bei Marktanteilen?
Eine rigide ökonomische Angebotspolitik samt einer Konsolidierung der Staatsfinanzen und dem Abbau der Sozialausgaben zugunsten zusätzlicher Innovationen und neuen Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich? Oder, im Gegenteil, eine strikte Nachfrageförderung mit der Folge zusätzlicher Subventionen für Geringverdiener, einer möglichst umfassenden Wohlstandsumverteilung und einer nochmaligen Ausweitung des Sozialbudgets? Muss daher alternativ als entscheidendes Erfolgskriterium in der Politik die Höhe der erreichten Position herhalten, ist also derjenige, der – und sei es mit fremder Hilfe – zum Bundeskanzler aufgestiegen ist, politisch erfolgreicher als jener, der sich – wenn auch gegenWiderstände und alleine – bis in ein Ministeramt hochgekämpft hat? Oder ist die Amtsdauer wichtiger, die Zeitspanne, während der man sich in der Spitzenposition halten kann?"
Eine rigide ökonomische Angebotspolitik samt einer Konsolidierung der Staatsfinanzen und dem Abbau der Sozialausgaben zugunsten zusätzlicher Innovationen und neuen Arbeitsplätzen im Niedriglohnbereich? Oder, im Gegenteil, eine strikte Nachfrageförderung mit der Folge zusätzlicher Subventionen für Geringverdiener, einer möglichst umfassenden Wohlstandsumverteilung und einer nochmaligen Ausweitung des Sozialbudgets? Muss daher alternativ als entscheidendes Erfolgskriterium in der Politik die Höhe der erreichten Position herhalten, ist also derjenige, der – und sei es mit fremder Hilfe – zum Bundeskanzler aufgestiegen ist, politisch erfolgreicher als jener, der sich – wenn auch gegenWiderstände und alleine – bis in ein Ministeramt hochgekämpft hat? Oder ist die Amtsdauer wichtiger, die Zeitspanne, während der man sich in der Spitzenposition halten kann?"
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Autoren-Porträt von Matthias Micus
Dr. Matthias Micus ist Akademischer Rat am Göttinger Institut für Demokratieforschung.
Bibliographische Angaben
- Autor: Matthias Micus
- 2010, 1. Auflage 2010, 316 Seiten, Deutsch
- Verlag: V&R unipress
- ISBN-10: 3862340988
- ISBN-13: 9783862340989
- Erscheinungsdatum: 08.04.2010
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