Riskante Kindheit / Schriften des Sigmund-Freud-Instituts: Reihe 3: Psychoanalytische Sozialpsychologie (PDF)
Psychoanalyse und Bildungsprozesse
»Kindheit« gilt als ein besonderer Lebensabschnitt, der vom gesellschaftlich herrschenden Handlungsdruck befreit ist. Dieser Schutz- und Schonraum soll der allmählichen Vorbereitung auf ein sozial integriertes Leben dienen. Kindern ausreichend Zeit zu...
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Produktinformationen zu „Riskante Kindheit / Schriften des Sigmund-Freud-Instituts: Reihe 3: Psychoanalytische Sozialpsychologie (PDF)“
»Kindheit« gilt als ein besonderer Lebensabschnitt, der vom gesellschaftlich herrschenden Handlungsdruck befreit ist. Dieser Schutz- und Schonraum soll der allmählichen Vorbereitung auf ein sozial integriertes Leben dienen. Kindern ausreichend Zeit zu lassen, um zu einer Persönlichkeit zu reifen, geschieht in der Erwartung, dass sie in dieser Zeit die bürgerlichen Werte verinnerlichen, so dass die Gesellschaft ohne grossen Aufwand an sozialer Kontrolle auskommt. Kindergärten, Schulen sowie alle anderen sozialen und pädagogischen Institutionen bieten in der Realität nur bedingt Freiräume. Vor allem die Schule soll ein Arbeiten lehren, das alles Spielerische hinter sich lässt.Kindheits- und Jugendforscher sind sich weitgehend einig, dass der Schutz- und Schonraum heutzutage bedroht ist. »Kindheit« verschwindet auf breiter Front, indem sich die Lebenswelt von Kindern immer mehr der Lebenswelt von Erwachsenen angleicht. Damit einher geht ein enormer Anstieg der gesundheitlichen, körperlichen und psychischen Belastungen von Kindern und Jugendlichen. Von zunehmenden Allergien bis zu zunehmenden Angststörungen und Depressionen reicht die alarmierende Bestandsaufnahme heutiger »Kinderkrankheiten«. Die gesellschaftlichen Anpassungsleistungen überfordern die heutigen Kindern und Jugendlichen. Sie reagieren darauf gesteigerter Gewaltbereitschaft oder selbstdestruktivem Drogenkonsum. Experten bemühen sich, die Risikofaktoren der modernen Lebensbedingungen zu verringern - kurativ, besser noch aber präventiv. So geraten Kinder und Jugendliche heute mehr den jemals zuvor in den Einflussbereich professionellen Handelns: von Erziehern, Lehrern, Sozialarbeitern, Therapeuten. Die Beiträge dieses Buches lassen sich als multiprofessionelle Momentaufnahmen aus einer Erwachsenenwelt und deren Institutionen lesen, die, soll Kinderfreundlichkeit mehr als ein Lippenbekenntnis sein, immer auch ihre eigenen Selbstverständlichkeiten in Frage stellen muss.
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Bildung als Beziehungsarbeit (S. 167-168)Jürgen Körner
Psychoanalyse und Bildung
Sigmund Freud (1925) nannte in seinem Vorwort zu Aichhorns »Verwahrloste Jugend« drei »unmögliche« Berufe: »Erziehen, Kurieren, Regieren« (S. 565).Was ist das Unmögliche im Erziehen und im Kurieren? Ist es die Unerreichbarkeit diffuser, aber hochgesteckter Ziele? Die Unerfüllbarkeit der Erwartungen? Die Widersetzlichkeit der Subjekte, denen Erzieher und Therapeut begegnen?
All dies lässt sich behaupten, aber es kommt wohl noch hinzu, dass beide, Erzieher und Therapeut, nicht genau zu beschreiben wissen, was sie eigentlich tun, schon deswegen, weil sie selbst die Werkzeuge sein müssen, die zum Einsatz zu bringen sind, so dass sie, wenn sie über ihre Arbeit nachdenken, sogleich auch über sich selbst ins Gröbeln geraten und niemals das Glück geniessen dürfen, ganz von aussen auf ihre Profession und ihre Instrumente schauen zu dürfen, wie dies die Juristen und die Steuerberater in Seelenruhe zu tun pflegen. So kommt es, dass wohl kein Berufsstand so ausgiebig und intensiv über sich selbst nachdenkt wie Psychoanalytiker und Pädagogen.
Geradezu unablässig veranstalten Psychoanalytiker Fachtagungen und Weiterbildungen, in denen sie über die Frage nachdenken, wie es ist, ein Psychoanalytiker zu sein, und wie sie damit zurechtkommen, dass sie sich in das Schicksal ihres Patienten so sehr verstricken, dass sie oft Mühe haben, wieder herauszufinden aus der unbewussten Allianz mit ihm. Hat man je einen Juristen fragen hören, wie es ist, ein Jurist zu sein?
Wohl kaum, und ihn kümmert seine Beziehung zum Mandanten nur in seltenen Grenzfällen. Weil diese beiden unmöglichen Berufe, die des Pädagogen und die des Psychoanalytikers, nur über wenig Handwerkszeug verfügen, das man definieren, vorzeigen und dessen Qualität man prüfen kann, endet die Ausbildung zum Psychoanalytiker auch nicht mit dem Erreichen klar definierter oder gar
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operationalisierter Lernziele, jedenfalls in der Hauptsache nicht, sondern in der Vergewisserung darüber, dass der zu examinierende Kandidat neben seinem Wissen über eine angemessene psychoanalytische Haltung verfügt, die ihn vermutlich in den Stand versetzen wird, mit einem Patienten psychoanalytisch zu arbeiten. »Er wird jemanden analysieren können«, so hofft sein Ausbildungsinstitut. Das ist im Akkusativ gesprochen, aber bei Lichte betrachtet nicht ganz korrekt.
Denn wenn wir sagen, wir analysieren unseren Patienten, dann meinen wir doch eher, dass wir ihm eine Beziehung und unsere Deutungen anbieten, um ihm zu helfen, sich selbst besser zu verstehen. Denn so einflussreich unsere Mitwirkung in der Arbeit mit ihm ist, so entschieden verlangen wir von unserem Patienten, dass er seine Analyse selbst unternimmt. Ganz ähnlich verlaufen Bildungsprozesse. Ebenso wenig, wie wir streng genommen sagen können, dass wir einen Menschen analysieren, ebenso wenig können wir davon sprechen, dass wir einen »Zögling « »bilden«. Wir können ihn ausbilden, oder wir können ihn erziehen es zumindest versuchen.
Aber »Bildung« bezeichnet einen inneren Prozess der Reifung und des Lernens ohne vorgegebene Ziele (und unterscheidet sich damit von der Erziehung darüber später mehr). Bildung ist Selbsttätigkeit, Selbstentwicklung, die der andere anregend begleiten, aber nicht herbeiführen kann. Es finden sich also Gemeinsamkeiten zwischen dem »Bilden« und dem »Psychoanalysieren«, beide sind von aussen nicht absichtsvoll steuerbar, nicht zielgerichtet, sondern wohlwollend begleitete Selbstentwicklung.
Denn wenn wir sagen, wir analysieren unseren Patienten, dann meinen wir doch eher, dass wir ihm eine Beziehung und unsere Deutungen anbieten, um ihm zu helfen, sich selbst besser zu verstehen. Denn so einflussreich unsere Mitwirkung in der Arbeit mit ihm ist, so entschieden verlangen wir von unserem Patienten, dass er seine Analyse selbst unternimmt. Ganz ähnlich verlaufen Bildungsprozesse. Ebenso wenig, wie wir streng genommen sagen können, dass wir einen Menschen analysieren, ebenso wenig können wir davon sprechen, dass wir einen »Zögling « »bilden«. Wir können ihn ausbilden, oder wir können ihn erziehen es zumindest versuchen.
Aber »Bildung« bezeichnet einen inneren Prozess der Reifung und des Lernens ohne vorgegebene Ziele (und unterscheidet sich damit von der Erziehung darüber später mehr). Bildung ist Selbsttätigkeit, Selbstentwicklung, die der andere anregend begleiten, aber nicht herbeiführen kann. Es finden sich also Gemeinsamkeiten zwischen dem »Bilden« und dem »Psychoanalysieren«, beide sind von aussen nicht absichtsvoll steuerbar, nicht zielgerichtet, sondern wohlwollend begleitete Selbstentwicklung.
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Autoren-Porträt von Rolf Haubl, Frank Dammasch, Heinz Krebs
Prof. Dr. Dr. Rolf Haubl ist Gruppenlehranalytiker, Gruppenanalytischer Supervisor und Organisationsberater. Er lehrte lange Jahre Soziologie und psychoanalytische Sozialpsychologie an der Universität Frankfurt/Main und war Direktor des Sigmund-Freud-Instituts in Frankfurt/Main.
Bibliographische Angaben
- Autoren: Rolf Haubl , Frank Dammasch , Heinz Krebs
- 2009, 1. Auflage 2009, 283 Seiten, Deutsch
- Herausgegeben: Rolf Haubl, Frank Dammasch, Heinz Krebs
- Verlag: Vandenhoeck & Ruprecht
- ISBN-10: 3647454141
- ISBN-13: 9783647454146
- Erscheinungsdatum: 20.05.2009
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