Kein Schweigen, das nicht endet (ePub)

Ihr Kampf, durch die Härte der Geiselnehmer und die brutalen Erniedrigungen, denen sie ausgesetzt war, nicht sich selbst zu verlieren ist es, der diesen knapp 730 Seiten in 82 Kapiteln eine intensive Dichte und einen fulminanten Tiefgang verleiht.
Hier, an den verschiedenen Orten ihrer Gefangenschaft, zwischen Hoffnung und Resignation, Versuchen der Flucht und Ohnmacht gegenüber den Geiselnehmern, entscheidet sich nicht nur das nackte Überleben (das sowieso), hier schält sich auch der Kern ihrer Persönlichkeit heraus und sie hat gelernt, dass es nichts auf dieser Welt geben wird, was ihr dies irgendwann nehmen könnte.
Der temporeichen, atemlosen Schilderung und den klaren Beschreibungen Ingrid Betancourt kann man sich bereits auf diesen ersten Seiten nicht entziehen. Man mag ihr vieles vorwerfen, aber hier legt sie Rechenschaft über 6 verlorene Jahre ab und das sehr beeindruckend.

Brandaktuell: der gerade wiedergewählte kolumbianische Präsident Santos will endlich nach 50 Jahren Bürgerkrieg auf dem Verhandlungsweg sein Land befrieden. So wie vor mehr als 20 Jahren die spätere Präsidentschaftkandidatin Ingrid Betancourt durch direkte Gespräche mit den FARC-Guerilla dieses Ziel zu erreichen versuchte. Das machte sie besonders wertvoll als Geisel. Ihre Entführung durch die FARC, ihre 6-jährige Verschleppung, ihre vergeblichen Fluchtversuche schildert sie in ihrem Buch mit schmerzhafter Eindringlichkeit. Obwohl sehr subjektiv schildert sie glaubwürdig ihre eigenen Gefühle von unbändigem Willen, sich aus dieser Situation vollständigen Ausgeliefertseins selbst zu befreien, bis zur totalen Resignation. Sowohl Verständnis für die Situation der teils noch sehr jungen BewacherInnen als auch tiefe Enttäuschung über fehlende Solidarität unter den Mitgefangenen bewegen. Stark!

Da ich sowieso am liebsten Bücher über und aus Südamerika lese, ist dieses Buch natuerlich wieder genau das Richtige für mich. Aber auch für alle anderen ist dies ein absolut empfehlenswertes Buch. Man erinnert sich vielleicht noch an Ingrid Betancourt aus den Nachrichten. Man hört auch nicht immer nur Gutes über sie, aber ich finde, sie beschreibt das Erlebte sehr einfühlsam und das Buch liest sich wie ein Roman, sie kritisiert auch ihr eigenes Verhalten und berichtet wie man sich in der Gefangenschaft verändern kann. Ich bin sehr froh, dieses Buch gelesen zu haben, und möchte es allen empfehlen, ob sie sich für das Thema interessieren oder nicht, es ist wirklich diese Reise in das Amazonasgebiet wert.