Himmelsfeuer (ePub)
Roman
Lesegenuss von Bestsellerautorin Barbara Wood:
Ein Erdrutsch in den Hügeln von Los Angeles legt eine Höhle mit uralten Wandmalereien mystischer Sonnenmotive frei. Die junge Archäologin Erica Tyler entdeckt dort die Mumie einer Indianerin. Aber sie muss um...
Ein Erdrutsch in den Hügeln von Los Angeles legt eine Höhle mit uralten Wandmalereien mystischer Sonnenmotive frei. Die junge Archäologin Erica Tyler entdeckt dort die Mumie einer Indianerin. Aber sie muss um...
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Produktinformationen zu „Himmelsfeuer (ePub)“
Lesegenuss von Bestsellerautorin Barbara Wood:
Ein Erdrutsch in den Hügeln von Los Angeles legt eine Höhle mit uralten Wandmalereien mystischer Sonnenmotive frei. Die junge Archäologin Erica Tyler entdeckt dort die Mumie einer Indianerin. Aber sie muss um diese Ausgrabung kämpfen: gegen die Grundstückseigentümer der Gegend, gegen Kunsträuber - und vor allem gegen ihren Widersacher Jared Black, der die Rechte der Indianer vertritt. Als ein Anschlag auf Erica verübt wird, ist ihr Retter ausgerechnet Jared. Kann sie ihm vertrauen?
»Eine Saga voller Spannung und Sinnlichkeit.« Cosmopolitan
Ein Erdrutsch in den Hügeln von Los Angeles legt eine Höhle mit uralten Wandmalereien mystischer Sonnenmotive frei. Die junge Archäologin Erica Tyler entdeckt dort die Mumie einer Indianerin. Aber sie muss um diese Ausgrabung kämpfen: gegen die Grundstückseigentümer der Gegend, gegen Kunsträuber - und vor allem gegen ihren Widersacher Jared Black, der die Rechte der Indianer vertritt. Als ein Anschlag auf Erica verübt wird, ist ihr Retter ausgerechnet Jared. Kann sie ihm vertrauen?
»Eine Saga voller Spannung und Sinnlichkeit.« Cosmopolitan
Lese-Probe zu „Himmelsfeuer (ePub)“
Himmelsfeuer von Barbara WoodAus dem Amerikanischen von Susanne Dickerhof-Kranz und Veronika Cordes
Kapitel 1
Das Lenkrad fest umklammert, jagte Erica den Geländewagen über den Feldweg, wich Buckeln aus, rumpelte durch Schlaglöcher. Neben ihr saß, aschfahl und verschreckt, ihr Assistent Luke, Mitte zwanzig, der nach bestandenem Examen jetzt an seiner Dissertation arbeitete. Luke hatte das lange blonde Haar zu einem Pferdeschwanz gebunden und trug ein T-Shirt mit dem Aufdruck Archäologen stehen auf ältere Semester.
»Soll wüst aussehen, Dr. Tyler«, sagte er jetzt, als Erica die gewundene Zufahrtsstraße hinaufpreschte. »Angeblich ist der Swimmingpool in der Versenkung verschwunden, einfach so.« Er schnippte mit den Fingern. »In den Nachrichten hieß es, die Doline zieht sich über die gesamte Länge der Mesa, das heißt, sie verläuft unterhalb der Villen von Filmstars, auch der von diesem Rocksänger, der im Fernsehen war, und von dem Baseballspieler, der letztes Jahr sämtliche Runs für sich verbucht hat, und von einem berühmten Schönheitschirurgen. Unter ihren Häusern. Sie können sich vorstellen, was das bedeutet.«
Erica war nicht sicher, was das bedeutete. Ihre Gedanken drehten sich nur um eins: die erstaunliche Entdeckung, die damit einherging.
... mehr
Zur Zeit des Unglücks hatte sie an einem staatlichen Projekt oben im Norden gearbeitet. Das Erdbeben vor zwei Tagen, mit einer Stärke von 7.4, war bis San Luis Obispo im Norden und bis San Diego im Süden zu spüren gewesen und hatte im südlichen Kalifornien Millionen Einwohner aus dem Schlaf gerissen. Es war das schwerste Beben seit Menschengedenken und dem Vernehmen nach der Auslöser dafür, dass tags darauf ein Swimmingpool von hundert Fuß Länge, mit Sprungbrett, Rutschbahn und allem Drum und Dran, wie vom Erdboden verschluckt worden war.
Etwas Erstaunliches hatte sich fast unmittelbar darauf ereignet: Als der Pool versank, war Erdreich nachgerutscht und hatte menschliche Knochen sowie die Öffnung zu einer bis dahin unbekannten Höhle freigelegt.
»Das könnte der Fund des Jahrhunderts sein!« Luke wandte den Blick kurz von der Straße und sah seine Chefin an. Da es noch dunkel und die Bergstraße nicht beleuchtet war, hatte Erica die Armaturenbeleuchtung des Wagens angeknipst. Das Licht fiel auf ihr schulterlanges, leicht gelocktes kastanienbraunes Haar und die vom jahrelangen Aufenthalt in der Sonne gebräunte Haut. Dr. Erica Tyler, mit der Luke seit sechs Monaten zusammenarbeitete, war Mitte dreißig, und obwohl er sie nicht unbedingt als Schönheit bezeichnet hätte, fand er sie doch auf andere, nicht unbedingt von Äußerlichkeiten bestimmte Weise reizvoll. »Eine tolle Chance für einen Archäologen, sich zu profilieren«, fügte er hinzu.
»Warum wohl haben wir gerade sämtliche Verkehrsregeln missachtet, um hier runterzubrettern?«, grinste sie ihn an und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, rechtzeitig genug, um einem erschrockenen Eselhasen auszuweichen.
Sie erreichten das Plateau der Mesa, von wo aus man in der Ferne das Lichtermeer von Malibu sah. Das übrige Panorama, im Osten Los Angeles, im Süden der Pazifische Ozean, wurde von Bäumen, höheren Bergspitzen und den Villen von Millionären verstellt. Erica manövrierte den Jeep an herumstehenden Feuerwehrautos vorbei, an Einsatzwagen der Polizei, Lastern, Übertragungswagen und jeder Menge PKW, die entlang der von der Polizei mit gelbem Band markierten Absperrung parkten. Schaulustige saßen auf Kühlerhauben und Autodächern, um von dort aus das Geschehen zu verfolgen, Bier zu trinken und Betrachtungen über Katastrophen und deren Bedeutung anzustellen oder auch nur um eine Zeit lang das Spektakel zu genießen, ungeachtet der per Megaphon verbreiteten Warnungen, dass das Gelände gefährdet sei.
»In den zwanziger Jahren soll die gesamte Mesa der Schlupfwinkel von einer ausgeflippten Spiritistin gewesen sein«, sagte Luke, als der Wagen zum Stehen kam. »Die Leute kamen hier rauf, um mit Geistern zu sprechen.«
Erica erinnerte sich an Wochenschauen aus der Stummfilmära, in denen über Sister Sarah berichtet worden war, eine schillernde Persönlichkeit aus Los Angeles, die nicht nur für Hollywood- Größen wie Rudolph Valentino und Charlie Chaplin Séancen abgehalten hatte, sondern auch bei Massenveranstaltungen in Theatern und Auditorien aufgetreten war; als ihre Anhänger dann in die Hunderttausende gingen, war sie in die Berge gezogen und hatte hier in diesem Tal die Kirche der Geister gegründet.
»Wissen Sie, wie dieser Ort ursprünglich genannt wurde?«, fragte Luke und löste den Sicherheitsgurt. »Ich meine, bevor die Spiritisten ihn mit Beschlag belegten? Lange davor«, sagte er, wobei er mit lange davor gleichsam Pergamentrollen mit Wachssiegeln und Duelle im Morgengrauen heraufbeschwor. »Cañon de Fantasmas.« Theatralisch ließ er die verstaubten Worte auf der Zunge zergehen. »Tal der Geister. Klingt unheimlich!« Er schüttelte sich.
Erica lachte. »Luke, wenn Sie's als Archäologe zu was bringen wollen, dürfen Sie sich nicht von Geistern ins Bockshorn jagen lassen.« Sie selbst hatte ständig mit Phantomen und Gespenstern, Geistern und Kobolden zu tun. Sie spukten in ihren Träumen herum und begleiteten ihre Ausgrabungen, und wenn sie ihr auch immer wieder entwischten, sie verwirrten, neckten und frustrierten, hatten sie sie doch niemals verschreckt.
Nachdem Erica aus dem Wagen gestiegen war und den Nachtwind auf ihrem Gesicht spürte, starrte sie regungslos auf das Schreckensszenario. Sie hatte bereits Augenzeugenberichte gehört, wie das Erdbeben den Boden unterhalb der umzäunten Gemeinde von Emerald Hills Estates, einer exklusiven Wohnanlage in den Bergen von Santa Monica, zum Schwanken gebracht hatte und welche Gefahr der Erdrutsch für die umstehenden Villen darstellte. Aber auf das, was sie jetzt sah, war sie nicht vorbereitet.
Obwohl der Himmel im Osten bereits heller wurde, wölbte sich noch immer hartnäckig die Nacht über Los Angeles, weshalb in Abständen Scheinwerfer um das Gelände herum aufgebaut worden waren, um eine Gegend, aus der sich protzige Villen unter einem milchigen Mond wie marmorne Tempel abhoben, in grelles Licht zu tauchen. Im Zentrum dieser unwirklichen Szene befand sich ein schwarzer Krater - der Teufelsschlund, der den Swimmingpool des Filmproduzenten Harmon Zimmerman verschlungen hatte. Hubschrauber knatterten darüber hinweg, warfen grelle Lichtkegel auf Sachverständige, die Gerätschaft in Stellung brachten, auf mit Bohrern und Karten bewaffnete Geologen, auf Männer in Schutzhelmen, die mit wärmenden Kaffeetassen in den Händen den Anbruch des Tages erwarteten, auf Polizisten, die bemüht waren, Bewohner zu evakuieren, die sich sträubten, ihr Haus zu verlassen.
Erica zückte ihren Ausweis, der sie als Anthropologin im Dienste des Staatlichen Archäologischen Instituts legitimierte, und wurde mit ihrem Assistenten durch die gelbe Absperrung gewunken. Sie eilten zum Krater, wo die Feuerwehr von Los Angeles dabei war, den Rand der Abbruchstelle zu begutachten. Erica sah sich suchend nach dem Zugang zu der Höhle um.
»Da drüben?« Lukes magerer Arm deutete auf die gegenüberliegende Seite des Kraters. In etwa fünfundzwanzig Meter Tiefe konnte Erica nicht viel mehr als eine vertikale Spalte in der Klippe ausmachen. »Sieht gefährlich aus, Dr. Tyler. Wollen Sie da etwa reingehen?«
»Wäre nicht die erste Höhle, die ich betrete.«
»Was zum Teufel haben Sie denn hier verloren?!«
Erica fuhr herum und sah einen hochgewachsenen Mann mit grauer Löwenmähne und finsterer Miene auf sich zustapfen: Sam Carter, Leiter der Abteilung Archäologie beim Amt für Denkmalschutz in Kalifornien, ein Mann mit farbenfrohen Hosenträgern und Stentorstimme. Und sichtlich alles andere als begeistert, sie hier zu sehen.
»Sie wissen, warum, Sam.« Erica strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah auf das Chaos. Bewohner der bedrohten Häuser stritten sich mit der Polizei herum, beschwerten sich über die Zumutung, ihr Anwesen verlassen zu müssen. »Erzählen Sie mir von der Höhle. Waren Sie schon drin?«
Sam bemerkte zweierlei: dass in Ericas Augen ein inneres Fieber glühte und dass ihre Jacke schief geknöpft war. Sie hatte offenbar alles stehen und liegen lassen und war wie von Furien gehetzt von Santa Barbara herübergekommen. »Noch nicht«, sagte er. »Ein Geologe und ein paar Sachverständige überprüfen gerade die Beschaffenheit der Schichtung. Sobald sie grünes Licht geben, werd ich mal einen Blick reinwerfen.«
Er rieb sich das Kinn. Erica loszuwerden würde nicht leicht sein. Wenn diese Frau sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nicht abzuschütteln. »Was ist mit dem Gaviota-Projekt? Ich nehme doch an, Sie haben es in zuverlässigen Händen zurückgelassen? «
Erica hörte gar nicht zu. Sie starrte auf das gähnende Loch am Hang und stellte sich vor, wie jetzt klobige Stiefel auf der empfindlichen ökologischen Struktur der Höhle herumtrampelten, betete, dass dabei nicht wertvolle historische Hinweise unabsichtlich zerstört wurden. Archäologische Funde in diesem Bergland waren kümmerlich genug, ungeachtet der Tatsache, dass es seit zehntausend Jahren besiedelt war. Die wenigen Höhlen, die man entdeckt hatte, erwiesen sich als herzlich unergiebig, weil man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts diesem unwegsamen Gebirge mit Bulldozer und Dynamit zu Leibe gerückt war, zugunsten von Straßen, Brücken und dem Fortschritt schlechthin. Begräbnisstätten waren umgepflügt, Umfriedungen von Dörfern eingeebnet, alle Spuren menschlicher Besiedlung zerstört worden.
»Erica?«, versuchte es Sam abermals. »Ich muss da rein«, sagte sie.
Er wusste, dass sie die Höhle meinte. »Erica, Sie sollten gar nicht hier sein.«
»Übertragen Sie mir den Job, Sam. Sie werden doch hier graben. Zumal, wie es in den Nachrichten hieß, Knochen gefunden wurden.«
»Erica ...«
»Bitte.«
Unwillig machte Sam kehrt und stapfte zurück durch Zimmermans verwüsteten Garten und weiter bis zum Ende der Straße, wo man eine provisorische Einsatzzentrale eingerichtet hatte. Leute hielten Clipboards und sprachen hastig in ihr Handy, drängten sich um metallene Klapptische und Stühle; Sprechfunkgeräte und Überwachungskameras waren aufgestellt worden, dazu ein schwarzes Brett für Nachrichten. Ein unweit geparkter Imbisswagen wurde von unterschiedlich Uniformierten belagert, deren Dienstabzeichen sie als Mitarbeiter der südkalifornischen Gaswerke auswiesen, der Wasser- und Elektrizitätswerke, der Polizei von Los Angeles, des Bezirks- Einsatzkommandos. Sogar von der Humanitären Gesellschaft war jemand da und versuchte, verirrte Tiere aus der evakuierten Zone aufzuspüren.
Erica schloss zu ihrem Boss auf. »Was ist eigentlich passiert, Sam? Was führt dazu, dass ein halbes Grundstück plötzlich im Erdboden versinkt?«
»Um das herauszufinden, arbeiten Ingenieure aus der Gegend und staatliche Geologen rund um die Uhr. Die Männer da drüben« - er wies die Straße entlang, dorthin, wo man gerade unter grellem Scheinwerferlicht Bohrgerät einsatzbereit machte - »werden Bodenproben entnehmen, um den Untergrund der Wohnanlage genau zu analysieren.« Jetzt fuhr Sams kräftige Hand über die topographischen Karten und geologischen Gutachten, die auf den Tischen ausgebreitet und an den Ecken mit Steinen beschwert waren. »Diese Unterlagen kamen vor ein paar Stunden von der Stadtverwaltung. Das hier ist ein geologisches Gutachten von 1908. Und hier eins von 1956, als das Areal für eine Bebauung ins Auge gefasst, das Vorhaben dann aber nicht realisiert wurde.«
Erica studierte abwechselnd beide Karten. »Sie stimmen nicht überein.«
»Offenbar hat der jetzige Bauherr nicht überall auf dem Gelände Bodenproben durchführen lassen - was auch nicht Auflage war. Die Tests, die vorgenommen wurden, weisen fest gefügten Untergrund und gewachsenen Fels aus. Aber, wie sich jetzt herausgestellt hat, wurde nur der nördliche und südliche Rand der Mesa geprüft, das heißt die beiden Bergketten, die den Canyon umschließen. Erinnern Sie sich an Sister Sarah aus den zwanziger Jahren? Hier war ihr religiöses Refugium oder was immer das damals war, und es sieht ganz danach aus, als hätte sie den Canyon aufschütten lassen, ohne Erlaubnis dafür einzuholen oder die Behörden auch nur in Kenntnis zu setzen. An die üblichen Verdichtungsmaßnahmen hat natürlich kein Mensch gedacht, und die Aufschüttung dürfte weitgehend mit organischen Stoffen erfolgt sein - Holz, Pflanzen, Kompost - , die nach und nach verrottet und zusammengesunken sind.« Sam starrte mit müden Augen die Straße hinunter, wo inmitten gepflegter Rasenflächen Springbrunnen und exotische Bäume standen. »Die Leute hier haben auf einer Zeitbombe gesessen. Würde mich nicht wundern, wenn die ganze Gegend über kurz oder lang in sich zusammenstürzen würde.«
Während er sprach, ließ er Erica nicht aus den Augen, die die Hände in die Hüften gestemmt hatte und wie ein Sprinter, der kaum erwarten kann, dass das Rennen beginnt, von einem Fuß auf den anderen trat. So sah sie immer aus, wenn sie hinter etwas her war. Erica Tyler war eine der engagiertesten Wissenschaftlerinnen, die er kannte, auch wenn ihr die eigene Begeisterung gelegentlich zum Verhängnis wurde. »Ich weiß, weshalb Sie hier sind, Erica«, sagte er müde, »aber ich kann Ihnen den Job nicht geben.«
Sie wirbelte zu ihm herum, mit hochroten Wangen. »Sam, Sie haben mich verdammt noch mal lange genug Abalonemuscheln zählen lassen!«
Er wollte ja gar nicht abstreiten, dass Ericas Fähigkeiten und Wissen bei der Erforschung von Molluskenlagern völlig vergeudet waren. Aber nach dem Debakel mit dem Schiffswrack im vergangenen Jahr hatte er es für nötig gehalten, dass sie einige Zeit mal ein paar Warteschleifen in einem untergeordneten Job einlegte. Deshalb hatte sie das letzte halbe Jahr einen unlängst entdeckten Erdhügel erforscht, der Indianern als Zufluchtsort gedient hatte, die vor viertausend Jahren nördlich von Santa Barbara gelebt hatten. Ericas Arbeit bestand darin, die Tausende von Abalonemuscheln, die dort gefunden wurden, zu sortieren, zu klassifizieren und ihr Alter zu bestimmen.
»Sam«, beschwor sie ihn und griff nach seinem Arm. »Ich brauche diesen Job. Es geht um meine Karriere. Ich muss die Scharte mit Chadwick auswetzen ...«
»Erica, die Chadwick-Panne ist genau der Grund, weshalb ich Ihnen den Job nicht übertragen kann. Es mangelt Ihnen an Disziplin. Sie sind impulsiv, lassen den nötigen wissenschaftlichen Abstand und die Objektivität außer Acht.«
»Ich habe meine Lektion gelernt, Sam.« Erica war zum Heulen zumute. Das »Chadwick-Fiasko« hatte man im Kollegenkreis Erica Tylers Schiffbruch genannt. Sollte sie für den Rest des Lebens dafür büßen? »Ich werde besonders sorgfältig sein.«
Er runzelte die Stirn. »Erica, Sie haben mein Institut zu einer Lachnummer gemacht.«
»Und mich tausendmal dafür entschuldigt! Sam, seien Sie doch einsichtig. Sie wissen, dass ich alles an Felsmalerei auf dieser Seite des Rio Grande erforscht habe. Niemand ist besser qualifiziert. Als ich im Fernsehen die Höhlenmalerei hier sah, wusste ich: Das ist genau mein Job.«
Sam fuhr sich durch die dichte Mähne. Typisch Erica, von jetzt auf gleich alles stehen und liegen zu lassen. Hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht, einen anderen mit dem Gaviota- Projekt zu betrauen?
»Kommen Sie, Sam. Lassen Sie mich bei einem Projekt mitmachen, für das ich geboren bin.«
Er blickte in ihre Bernsteinaugen und sah Verzweiflung darin. Er wusste nicht, wie es war, beruflich diskreditiert, von Kollegen verhöhnt zu werden, und konnte nur ahnen, wie sehr die vergangenen zwölf Monate Erica zugesetzt hatten. »Ich sag Ihnen was«, meinte er. »Ein Mitglied der Suchmannschaft hat sich erboten, nochmals in die Höhle reinzugehen und Fotos zu machen. Sie dürften in Kürze vorliegen. Sie können sie sich anschauen, mal sehen, wie Sie die Piktogramme deuten.«
»Eine Suchmannschaft?«
»Nachdem der Pool abgerutscht war, stellte sich heraus, dass Zimmermans Tochter vermisst wurde. Deshalb ordnete der Sheriff die Suche nach ihr in diesen Erdmassen an. Und so kam's, dass man auf die Höhlenmalerei stieß.«
»Und das Mädchen?«
»Tauchte von allein wieder auf. Scheint zur Zeit des Erdbebens mit ihrem Freund in Las Vegas gewesen zu sein. Hören Sie, Erica, es bringt nichts, hier noch länger rumzuhängen. Ich setze Sie nicht auf diese Sache an. Fahren Sie zurück nach Gaviota.«
In dem Augenblick, da er das sagte, wusste Sam bereits, dass sie seiner Anordnung nicht Folge leisten würde. Wenn Erica Tyler sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unmöglich, ihr das auszureden. Wie letztes Jahr, als Irving Chadwick das versunkene Schiffswrack entdeckt und behauptet hatte, es sei ein vor der kalifornischen Küste gesunkenes chinesisches Boot und damit ein Beweis seiner Theorie, dass Asiaten Amerika nicht nur über die Beringstraße, sondern auch übers offene Meer erreicht hätten. Erica hatte sich bereits für Chadwicks Hypothese erwärmt; als er sie dann einlud, im Schiffswrack gefundene Töpfereien zu begutachten, stand für sie fest, dass dies tatsächlich ein Beweis dafür war.
Sam hatte schon damals versucht, sie davon abzuhalten, voreilige Schlüsse zu ziehen, und sie beschworen, langsam und bedacht die Sache anzugehen. Aber Ericas zweiter Name war Überschwang. Sie verkündete weiterhin lauthals, die Töpfereien seien echt, und eine Zeit lang hatten sie und Irving Chadwick sich im Rampenlicht gesonnt. Als sich später dann herausstellte, dass das Schiffswrack eine Fälschung war, und Chadwick zugab, dies alles selbst in Szene gesetzt zu haben, war es für Erica Tyler zu spät. Ihr Ruf war ruiniert.
»In den Nachrichten hieß es, man habe Knochen gefunden«, sagte sie jetzt. »Was haben Sie denn darüber schon herauskriegen können?«
Sam griff nach einem Clipboard, wohl wissend, dass sie versuchte, Zeit zu gewinnen. »Alles, was wir haben, sind kleine Fragmente. Da sich immerhin auch Pfeilspitzen darunter befanden, war das Grund genug, mein Büro anzurufen. Hier ist der Bericht des Coroners.«
Während Erica einen Blick darauf warf, sagte Sam: »Wie Sie sehen, beträgt die Menge an stickstoffhaltigen Komponenten im Knochen weniger als vier Gramm. Und der Benzidinsäuretest weist keinerlei eiweißhaltige Substanz nach.«
»Was bedeutet, dass die Knochen älter als hundert Jahre sind. Konnte der Coroner sagen, wie viel älter?«
»Leider nicht. Und durch Bodenanalysen ist das auch nicht festzustellen, weil wir nicht genau bestimmen können, in welcher Schicht die Knochen lagen. Dieser Canyon wurde vor siebzig Jahren aufgeschüttet, und voriges Jahr, bei den Ausschachtungsarbeiten für den Swimmingpool, wurde das Erdreich umgeschichtet. Als der Untergrund verwässerte und dann bei dem Beben der Boden nachgab, rutschten die Erdmassen an den Seiten nach. Alles hat sich miteinander vermischt. Trotzdem haben wir Pfeilspitzen gefunden und primitives Werkzeug aus Feuerstein.«
»Was auf eine indianische Begräbnisstätte hindeutet.« Sie reichte ihm das Clipboard. »Die NAHC ist doch sicher schon informiert worden?«, fragte sie und sah sich nach jemandem um, der ein Abgesandter der State of California Native American Heritage Commission sein mochte, der Kommission zur Wahrnehmung von Besitzansprüchen der Indianer.
»Selbstverständlich«, kam es gepresst von Sam. »Und sie ist bereits hier. Das heißt, er.«
Sie las Sams Blick. »Jared Black?«
»Ihr alter Gegner.«
Erica und Black waren in der Vergangenheit bereits wegen rechtlicher Angelegenheiten der amerikanischen Ureinwohner aneinander geraten, mit höchst unerfreulichem Ausgang.
Ein junger Mann kam auf sie zugelaufen, mit schmutzverkrustetem Gesicht und Schutzhelm. Er reichte ihnen die Polaroidfotos, die er in der Höhle gemacht hatte, und entschuldigte sich für deren amateurhafte Qualität. Sam dankte dem jungen Burschen und teilte die Aufnahmen zwischen sich und Erica auf.
»Mein Gott«, flüsterte Erica, als sie eins nach dem anderen betrachtete. »Wirklich ... wunderschön. Und diese Symbole ...« Sie stockte.
»Na, was halten Sie davon?«, brummte Sam mit Blick auf die Fotos. »Hinweise auf einen bestimmten Stamm?«
Als sie nicht antwortete, blickte er sie an. Erica starrte mit leicht geöffneten Lippen auf das Material in ihrer Hand. Einen Augenblick lang meinte Sam, sie sei leichenblass geworden, bis ihm klar wurde, dass dieser Effekt wohl vom fluoreszierenden Licht herrührte, das man hastig um die Unglücksstelle herum installiert hatte. »Erica?«
Sie zwinkerte, als ob sie aus einem Trancezustand erwachte. Als sie ihn ansah, hatte Sam ganz kurz das komische Gefühl, dass sie gar nicht wusste, wer er war. Dann kehrte Leben in ihr Gesicht zurück. »Das ist der Fund des Jahrhunderts, Sam«, sagte sie. »Diese Malereien sind umwerfend und außerdem besser erhalten als alles, was ich bisher gesehen habe. Überlegen Sie mal, welche Lücken in der Geschichte der Ureinwohner wir füllen könnten, sobald diese Piktogramme entziffert sind. Sam, bitte schicken Sie mich nicht zurück zu diesen Abalonemuscheln.«
Er seufzte tief. »Also gut. Schauen Sie sich ein, zwei Tage hier um, und lassen Sie uns eine vorläufige Analyse zukommen. Anschließend aber«, sagte er und hob die Hand, »geht's wieder nach Gaviota. Ich kann Sie nicht mit diesem Projekt beauftragen, Erica. Tut mir Leid. Interne Gründe.«
»Aber Sie sind doch der Boss ...« Sie brach unvermittelt ab.
Er folgte ihrem Blick und wusste, was sie abgelenkt hatte. In dieser kühlen Stunde kurz vor Tagesanbruch, zwischen übernächtigt wirkenden, unrasierten Männern, die nach Kaffee lechzten und Schlaf und sauberen Sachen, wirkte Commissioner Jared Black, perfekt gestylt in einem dreiteiligen Maßanzug mit feinem Nadelstreifen, seidener Krawatte und auf Hochglanz polierten Schuhen, als hätte er eben einen Gerichtssaal verlassen. Als er näher kam, sah man die funkelnden dunklen Augen unter den gerunzelten Brauen.
»Dr. Tyler. - Dr. Carter.«
»Commissioner.«
Obwohl er sich vehement für die Interessen der Indianer einsetzte, war Jared Black ein reiner Angloamerikaner. Es sei seiner irischen Abstammung zuzuschreiben, hatte er einmal erklärt, dass er sich für die Nöte unterdrückter Völker engagiere. »Wann«, wandte er sich an Sam Carter, »rechnen Sie damit, die Stammeszugehörigkeit der Höhlenmalereien zu identifizieren?« Seinem Ton nach erwartete er umgehend Antwort.
»Das hängt von den Leuten ab, die ich mit dieser Aufgabe betraue.«
Jared würdigte Erica keines Blicks. »Es versteht sich wohl von selbst, dass ich meine eigenen Experten hinzuziehe.«
»Nachdem wir unsere Voruntersuchungen abgeschlossen haben«, entgegnete Carter. »Ich brauche Sie wohl nicht darauf hinzuweisen, in welcher Reihenfolge das gehandhabt wird.«
Jared Blacks Augen flackerten. Zwischen ihm und dem Leiter des Staatlichen Archäologischen Instituts herrschte keine Sympathie. Carter hatte sich gegen Blacks Berufung in die Kommission ausgesprochen und als Grund dafür Jareds massive Abneigung gegen akademische und wissenschaftliche Institutionen angeführt.
Ericas Zusammenprall mit Jared Black lag vier Jahre zurück. Damals war ein gewisser Mr Reddman, ein wohlhabender Mann, der sich in die Einsamkeit zurückgezogen hatte, gestorben und hatte eine bemerkenswerte Kollektion indianischer Artefakte hinterlassen. Sie sollten in seinem Haus ausgestellt werden, das laut Verfügung in ein nach ihm benanntes Museum umzuwandeln war. Man hatte Erica hinzugezogen, um die unschätzbare Sammlung zuzuordnen und zu katalogisieren, und als sie sie einem kleinen Stamm aus der Gegend zuschrieb, beauftragte dieser Stamm den Anwalt Jared Black, spezialisiert auf Grundbesitz- und Eigentumsrechte, vor Gericht Anspruch auf die Objekte zu erheben. Erica ersuchte den Staat, der Klage entgegenzutreten, da der Stamm plane, die Objekte ohne vorherige historische Analyse wieder zu vergraben. »Die Vergangenheit, von der diese Knochen und Artefakte zeugen«, hatte sie vorgebracht, »ist nicht nur die der Indianer, sondern die aller Amerikaner.« Der Prozess hatte hohe Wellen geschlagen, vor dem Gerichtsgebäude waren demonstrierende Gruppen aufmarschiert - amerikanische Ureinwohner, die die Rückgabe all ihres Landes und ihrer Kultgegenstände forderten; Lehrer, Historiker und Archäologen, die für die Errichtung eines Reddman- Museums eintraten. Jared Blacks Frau, ein Stammesmitglied der Maidu und eine leidenschaftliche Verfechterin der Rechte der Indianer - einmal hatte sie sich sogar vor einen Bulldozer geworfen, um zu verhindern, dass eine Autobahn durch Indianerland gebaut wurde - war unter denen gewesen, die sich am lautstärksten dafür eingesetzt hatten, »die Kollektion nicht in die Hand des weißen Mannes zu geben.«
Der Prozess schleppte sich über Monate hin, bis Jared schließlich auf ein bislang unbekanntes Detail stieß: Reddman hatte ohne Wissen der Behörden die Objekte auf seinem eigenen Grundstück, einem Grundstück von fünfhundert Morgen, ausgegraben und unerlaubterweise behalten. Weil zudem die Objekte auf einen altindianischen Erdwall schließen ließen - und Erica, obwohl sie für die andere Seite arbeitete, zugeben musste, dass das Anwesen aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Boden eines uralten Dorfes errichtet worden war -, erklärte Jared Black, dass folglich das Grundstück dem Gesetz nach nicht Mr Reddman gehört habe, sondern den Nachfahren der damaligen Dorfbewohner. Die fünfhundert Morgen sowie weit mehr als tausend indianische Relikte - darunter seltene Töpfer- und Flechtwaren, Bogen und Pfeile - wurden dem Stamm ausgehändigt, der aus genau sechzehn Mitgliedern bestand. Reddmans Museum wurde niemals gebaut, die Artefakte nie mehr gesehen.
Erica dachte daran zurück, wie die Medien den Kampf zwischen ihr und Jared inner- und außerhalb des Gerichtssaals hochgespielt hatten. Ein inzwischen berühmtes Foto der beiden Streithähne, aufgenommen auf den Stufen vor dem Gerichtsgebäude, war an die Boulevardpresse verkauft worden und unter der Überschrift »Heimlich ein Liebespaar?« veröffentlicht worden. Der Lichteinfall und das unglückliche Timing des Kameraauslösers hatten Erica und Jared in einer jener überspannten, nur Bruchteile von Sekunden dauernden Posen festgehalten, die genau das Gegenteil von dem vermuten lassen, was Sache ist: Erica scheint ihm erwartungsvoll entgegenzusehen, mit weit aufgerissenen Augen, die Zunge zwischen die Lippen geschoben, während Black, der auf der oberen Stufe und damit über ihr steht, die Arme ausstreckt, als wollte er sie im nächsten Augenblick stürmisch umarmen. Beide waren über das Foto und die missverständliche Deutung empört gewesen, kamen aber überein, die Sache auf sich beruhen zu lassen, schon um dem Klatsch nicht noch weiter Vorschub zu leisten.
»Und ich brauche Sie wohl nicht darauf hinzuweisen, Dr. Carter«, sagte er zu Sam, »dass ich hier bin, um sicherzustellen, dass Sie Ihre Schändung auf ein Minimum beschränken, und dass ich, sobald die MLD feststehen, Sie und Ihre Mitgrabräuber persönlich und mit besonderer Freude von diesem Gelände begleiten werde.«
Als sie seinen Abgang beobachteten, bohrte Sam die Hände in die Taschen und brummte: »Dieser Kerl ist wirklich nicht mein Fall.«
»Dann tun Sie wohl gut daran«, meinte Erica, »mich in dieses Projekt nicht einzubinden. Denn das würde bei Jared Black das Fass zum Überlaufen bringen.«
Sam sah sie an und bemerkte den Anflug eines Lächelns um ihre Mundwinkel. »Sie wollen diesen Job unbedingt, wie?«
»War ich zu ironisch?«
»Also gut«, sagte er und rieb sich den Nacken. »Eigentlich bin ich dagegen, aber ich denke doch, dass Gaviota ein anderer übernehmen kann.«
»Sam!« Sie konnte nicht anders, als ihm um den Hals zu fallen. »Sie werden es nicht bereuen, Ehrenwort!« Und dann packte sie ihren Assistenten am Arm, schlug ihm dadurch die angeknabberte Bärentatze aus der Hand und sagte: »Luke, an die Arbeit!«
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Zur Zeit des Unglücks hatte sie an einem staatlichen Projekt oben im Norden gearbeitet. Das Erdbeben vor zwei Tagen, mit einer Stärke von 7.4, war bis San Luis Obispo im Norden und bis San Diego im Süden zu spüren gewesen und hatte im südlichen Kalifornien Millionen Einwohner aus dem Schlaf gerissen. Es war das schwerste Beben seit Menschengedenken und dem Vernehmen nach der Auslöser dafür, dass tags darauf ein Swimmingpool von hundert Fuß Länge, mit Sprungbrett, Rutschbahn und allem Drum und Dran, wie vom Erdboden verschluckt worden war.
Etwas Erstaunliches hatte sich fast unmittelbar darauf ereignet: Als der Pool versank, war Erdreich nachgerutscht und hatte menschliche Knochen sowie die Öffnung zu einer bis dahin unbekannten Höhle freigelegt.
»Das könnte der Fund des Jahrhunderts sein!« Luke wandte den Blick kurz von der Straße und sah seine Chefin an. Da es noch dunkel und die Bergstraße nicht beleuchtet war, hatte Erica die Armaturenbeleuchtung des Wagens angeknipst. Das Licht fiel auf ihr schulterlanges, leicht gelocktes kastanienbraunes Haar und die vom jahrelangen Aufenthalt in der Sonne gebräunte Haut. Dr. Erica Tyler, mit der Luke seit sechs Monaten zusammenarbeitete, war Mitte dreißig, und obwohl er sie nicht unbedingt als Schönheit bezeichnet hätte, fand er sie doch auf andere, nicht unbedingt von Äußerlichkeiten bestimmte Weise reizvoll. »Eine tolle Chance für einen Archäologen, sich zu profilieren«, fügte er hinzu.
»Warum wohl haben wir gerade sämtliche Verkehrsregeln missachtet, um hier runterzubrettern?«, grinste sie ihn an und richtete ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Straße, rechtzeitig genug, um einem erschrockenen Eselhasen auszuweichen.
Sie erreichten das Plateau der Mesa, von wo aus man in der Ferne das Lichtermeer von Malibu sah. Das übrige Panorama, im Osten Los Angeles, im Süden der Pazifische Ozean, wurde von Bäumen, höheren Bergspitzen und den Villen von Millionären verstellt. Erica manövrierte den Jeep an herumstehenden Feuerwehrautos vorbei, an Einsatzwagen der Polizei, Lastern, Übertragungswagen und jeder Menge PKW, die entlang der von der Polizei mit gelbem Band markierten Absperrung parkten. Schaulustige saßen auf Kühlerhauben und Autodächern, um von dort aus das Geschehen zu verfolgen, Bier zu trinken und Betrachtungen über Katastrophen und deren Bedeutung anzustellen oder auch nur um eine Zeit lang das Spektakel zu genießen, ungeachtet der per Megaphon verbreiteten Warnungen, dass das Gelände gefährdet sei.
»In den zwanziger Jahren soll die gesamte Mesa der Schlupfwinkel von einer ausgeflippten Spiritistin gewesen sein«, sagte Luke, als der Wagen zum Stehen kam. »Die Leute kamen hier rauf, um mit Geistern zu sprechen.«
Erica erinnerte sich an Wochenschauen aus der Stummfilmära, in denen über Sister Sarah berichtet worden war, eine schillernde Persönlichkeit aus Los Angeles, die nicht nur für Hollywood- Größen wie Rudolph Valentino und Charlie Chaplin Séancen abgehalten hatte, sondern auch bei Massenveranstaltungen in Theatern und Auditorien aufgetreten war; als ihre Anhänger dann in die Hunderttausende gingen, war sie in die Berge gezogen und hatte hier in diesem Tal die Kirche der Geister gegründet.
»Wissen Sie, wie dieser Ort ursprünglich genannt wurde?«, fragte Luke und löste den Sicherheitsgurt. »Ich meine, bevor die Spiritisten ihn mit Beschlag belegten? Lange davor«, sagte er, wobei er mit lange davor gleichsam Pergamentrollen mit Wachssiegeln und Duelle im Morgengrauen heraufbeschwor. »Cañon de Fantasmas.« Theatralisch ließ er die verstaubten Worte auf der Zunge zergehen. »Tal der Geister. Klingt unheimlich!« Er schüttelte sich.
Erica lachte. »Luke, wenn Sie's als Archäologe zu was bringen wollen, dürfen Sie sich nicht von Geistern ins Bockshorn jagen lassen.« Sie selbst hatte ständig mit Phantomen und Gespenstern, Geistern und Kobolden zu tun. Sie spukten in ihren Träumen herum und begleiteten ihre Ausgrabungen, und wenn sie ihr auch immer wieder entwischten, sie verwirrten, neckten und frustrierten, hatten sie sie doch niemals verschreckt.
Nachdem Erica aus dem Wagen gestiegen war und den Nachtwind auf ihrem Gesicht spürte, starrte sie regungslos auf das Schreckensszenario. Sie hatte bereits Augenzeugenberichte gehört, wie das Erdbeben den Boden unterhalb der umzäunten Gemeinde von Emerald Hills Estates, einer exklusiven Wohnanlage in den Bergen von Santa Monica, zum Schwanken gebracht hatte und welche Gefahr der Erdrutsch für die umstehenden Villen darstellte. Aber auf das, was sie jetzt sah, war sie nicht vorbereitet.
Obwohl der Himmel im Osten bereits heller wurde, wölbte sich noch immer hartnäckig die Nacht über Los Angeles, weshalb in Abständen Scheinwerfer um das Gelände herum aufgebaut worden waren, um eine Gegend, aus der sich protzige Villen unter einem milchigen Mond wie marmorne Tempel abhoben, in grelles Licht zu tauchen. Im Zentrum dieser unwirklichen Szene befand sich ein schwarzer Krater - der Teufelsschlund, der den Swimmingpool des Filmproduzenten Harmon Zimmerman verschlungen hatte. Hubschrauber knatterten darüber hinweg, warfen grelle Lichtkegel auf Sachverständige, die Gerätschaft in Stellung brachten, auf mit Bohrern und Karten bewaffnete Geologen, auf Männer in Schutzhelmen, die mit wärmenden Kaffeetassen in den Händen den Anbruch des Tages erwarteten, auf Polizisten, die bemüht waren, Bewohner zu evakuieren, die sich sträubten, ihr Haus zu verlassen.
Erica zückte ihren Ausweis, der sie als Anthropologin im Dienste des Staatlichen Archäologischen Instituts legitimierte, und wurde mit ihrem Assistenten durch die gelbe Absperrung gewunken. Sie eilten zum Krater, wo die Feuerwehr von Los Angeles dabei war, den Rand der Abbruchstelle zu begutachten. Erica sah sich suchend nach dem Zugang zu der Höhle um.
»Da drüben?« Lukes magerer Arm deutete auf die gegenüberliegende Seite des Kraters. In etwa fünfundzwanzig Meter Tiefe konnte Erica nicht viel mehr als eine vertikale Spalte in der Klippe ausmachen. »Sieht gefährlich aus, Dr. Tyler. Wollen Sie da etwa reingehen?«
»Wäre nicht die erste Höhle, die ich betrete.«
»Was zum Teufel haben Sie denn hier verloren?!«
Erica fuhr herum und sah einen hochgewachsenen Mann mit grauer Löwenmähne und finsterer Miene auf sich zustapfen: Sam Carter, Leiter der Abteilung Archäologie beim Amt für Denkmalschutz in Kalifornien, ein Mann mit farbenfrohen Hosenträgern und Stentorstimme. Und sichtlich alles andere als begeistert, sie hier zu sehen.
»Sie wissen, warum, Sam.« Erica strich sich das Haar aus dem Gesicht und sah auf das Chaos. Bewohner der bedrohten Häuser stritten sich mit der Polizei herum, beschwerten sich über die Zumutung, ihr Anwesen verlassen zu müssen. »Erzählen Sie mir von der Höhle. Waren Sie schon drin?«
Sam bemerkte zweierlei: dass in Ericas Augen ein inneres Fieber glühte und dass ihre Jacke schief geknöpft war. Sie hatte offenbar alles stehen und liegen lassen und war wie von Furien gehetzt von Santa Barbara herübergekommen. »Noch nicht«, sagte er. »Ein Geologe und ein paar Sachverständige überprüfen gerade die Beschaffenheit der Schichtung. Sobald sie grünes Licht geben, werd ich mal einen Blick reinwerfen.«
Er rieb sich das Kinn. Erica loszuwerden würde nicht leicht sein. Wenn diese Frau sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war sie nicht abzuschütteln. »Was ist mit dem Gaviota-Projekt? Ich nehme doch an, Sie haben es in zuverlässigen Händen zurückgelassen? «
Erica hörte gar nicht zu. Sie starrte auf das gähnende Loch am Hang und stellte sich vor, wie jetzt klobige Stiefel auf der empfindlichen ökologischen Struktur der Höhle herumtrampelten, betete, dass dabei nicht wertvolle historische Hinweise unabsichtlich zerstört wurden. Archäologische Funde in diesem Bergland waren kümmerlich genug, ungeachtet der Tatsache, dass es seit zehntausend Jahren besiedelt war. Die wenigen Höhlen, die man entdeckt hatte, erwiesen sich als herzlich unergiebig, weil man zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts diesem unwegsamen Gebirge mit Bulldozer und Dynamit zu Leibe gerückt war, zugunsten von Straßen, Brücken und dem Fortschritt schlechthin. Begräbnisstätten waren umgepflügt, Umfriedungen von Dörfern eingeebnet, alle Spuren menschlicher Besiedlung zerstört worden.
»Erica?«, versuchte es Sam abermals. »Ich muss da rein«, sagte sie.
Er wusste, dass sie die Höhle meinte. »Erica, Sie sollten gar nicht hier sein.«
»Übertragen Sie mir den Job, Sam. Sie werden doch hier graben. Zumal, wie es in den Nachrichten hieß, Knochen gefunden wurden.«
»Erica ...«
»Bitte.«
Unwillig machte Sam kehrt und stapfte zurück durch Zimmermans verwüsteten Garten und weiter bis zum Ende der Straße, wo man eine provisorische Einsatzzentrale eingerichtet hatte. Leute hielten Clipboards und sprachen hastig in ihr Handy, drängten sich um metallene Klapptische und Stühle; Sprechfunkgeräte und Überwachungskameras waren aufgestellt worden, dazu ein schwarzes Brett für Nachrichten. Ein unweit geparkter Imbisswagen wurde von unterschiedlich Uniformierten belagert, deren Dienstabzeichen sie als Mitarbeiter der südkalifornischen Gaswerke auswiesen, der Wasser- und Elektrizitätswerke, der Polizei von Los Angeles, des Bezirks- Einsatzkommandos. Sogar von der Humanitären Gesellschaft war jemand da und versuchte, verirrte Tiere aus der evakuierten Zone aufzuspüren.
Erica schloss zu ihrem Boss auf. »Was ist eigentlich passiert, Sam? Was führt dazu, dass ein halbes Grundstück plötzlich im Erdboden versinkt?«
»Um das herauszufinden, arbeiten Ingenieure aus der Gegend und staatliche Geologen rund um die Uhr. Die Männer da drüben« - er wies die Straße entlang, dorthin, wo man gerade unter grellem Scheinwerferlicht Bohrgerät einsatzbereit machte - »werden Bodenproben entnehmen, um den Untergrund der Wohnanlage genau zu analysieren.« Jetzt fuhr Sams kräftige Hand über die topographischen Karten und geologischen Gutachten, die auf den Tischen ausgebreitet und an den Ecken mit Steinen beschwert waren. »Diese Unterlagen kamen vor ein paar Stunden von der Stadtverwaltung. Das hier ist ein geologisches Gutachten von 1908. Und hier eins von 1956, als das Areal für eine Bebauung ins Auge gefasst, das Vorhaben dann aber nicht realisiert wurde.«
Erica studierte abwechselnd beide Karten. »Sie stimmen nicht überein.«
»Offenbar hat der jetzige Bauherr nicht überall auf dem Gelände Bodenproben durchführen lassen - was auch nicht Auflage war. Die Tests, die vorgenommen wurden, weisen fest gefügten Untergrund und gewachsenen Fels aus. Aber, wie sich jetzt herausgestellt hat, wurde nur der nördliche und südliche Rand der Mesa geprüft, das heißt die beiden Bergketten, die den Canyon umschließen. Erinnern Sie sich an Sister Sarah aus den zwanziger Jahren? Hier war ihr religiöses Refugium oder was immer das damals war, und es sieht ganz danach aus, als hätte sie den Canyon aufschütten lassen, ohne Erlaubnis dafür einzuholen oder die Behörden auch nur in Kenntnis zu setzen. An die üblichen Verdichtungsmaßnahmen hat natürlich kein Mensch gedacht, und die Aufschüttung dürfte weitgehend mit organischen Stoffen erfolgt sein - Holz, Pflanzen, Kompost - , die nach und nach verrottet und zusammengesunken sind.« Sam starrte mit müden Augen die Straße hinunter, wo inmitten gepflegter Rasenflächen Springbrunnen und exotische Bäume standen. »Die Leute hier haben auf einer Zeitbombe gesessen. Würde mich nicht wundern, wenn die ganze Gegend über kurz oder lang in sich zusammenstürzen würde.«
Während er sprach, ließ er Erica nicht aus den Augen, die die Hände in die Hüften gestemmt hatte und wie ein Sprinter, der kaum erwarten kann, dass das Rennen beginnt, von einem Fuß auf den anderen trat. So sah sie immer aus, wenn sie hinter etwas her war. Erica Tyler war eine der engagiertesten Wissenschaftlerinnen, die er kannte, auch wenn ihr die eigene Begeisterung gelegentlich zum Verhängnis wurde. »Ich weiß, weshalb Sie hier sind, Erica«, sagte er müde, »aber ich kann Ihnen den Job nicht geben.«
Sie wirbelte zu ihm herum, mit hochroten Wangen. »Sam, Sie haben mich verdammt noch mal lange genug Abalonemuscheln zählen lassen!«
Er wollte ja gar nicht abstreiten, dass Ericas Fähigkeiten und Wissen bei der Erforschung von Molluskenlagern völlig vergeudet waren. Aber nach dem Debakel mit dem Schiffswrack im vergangenen Jahr hatte er es für nötig gehalten, dass sie einige Zeit mal ein paar Warteschleifen in einem untergeordneten Job einlegte. Deshalb hatte sie das letzte halbe Jahr einen unlängst entdeckten Erdhügel erforscht, der Indianern als Zufluchtsort gedient hatte, die vor viertausend Jahren nördlich von Santa Barbara gelebt hatten. Ericas Arbeit bestand darin, die Tausende von Abalonemuscheln, die dort gefunden wurden, zu sortieren, zu klassifizieren und ihr Alter zu bestimmen.
»Sam«, beschwor sie ihn und griff nach seinem Arm. »Ich brauche diesen Job. Es geht um meine Karriere. Ich muss die Scharte mit Chadwick auswetzen ...«
»Erica, die Chadwick-Panne ist genau der Grund, weshalb ich Ihnen den Job nicht übertragen kann. Es mangelt Ihnen an Disziplin. Sie sind impulsiv, lassen den nötigen wissenschaftlichen Abstand und die Objektivität außer Acht.«
»Ich habe meine Lektion gelernt, Sam.« Erica war zum Heulen zumute. Das »Chadwick-Fiasko« hatte man im Kollegenkreis Erica Tylers Schiffbruch genannt. Sollte sie für den Rest des Lebens dafür büßen? »Ich werde besonders sorgfältig sein.«
Er runzelte die Stirn. »Erica, Sie haben mein Institut zu einer Lachnummer gemacht.«
»Und mich tausendmal dafür entschuldigt! Sam, seien Sie doch einsichtig. Sie wissen, dass ich alles an Felsmalerei auf dieser Seite des Rio Grande erforscht habe. Niemand ist besser qualifiziert. Als ich im Fernsehen die Höhlenmalerei hier sah, wusste ich: Das ist genau mein Job.«
Sam fuhr sich durch die dichte Mähne. Typisch Erica, von jetzt auf gleich alles stehen und liegen zu lassen. Hatte sie sich überhaupt die Mühe gemacht, einen anderen mit dem Gaviota- Projekt zu betrauen?
»Kommen Sie, Sam. Lassen Sie mich bei einem Projekt mitmachen, für das ich geboren bin.«
Er blickte in ihre Bernsteinaugen und sah Verzweiflung darin. Er wusste nicht, wie es war, beruflich diskreditiert, von Kollegen verhöhnt zu werden, und konnte nur ahnen, wie sehr die vergangenen zwölf Monate Erica zugesetzt hatten. »Ich sag Ihnen was«, meinte er. »Ein Mitglied der Suchmannschaft hat sich erboten, nochmals in die Höhle reinzugehen und Fotos zu machen. Sie dürften in Kürze vorliegen. Sie können sie sich anschauen, mal sehen, wie Sie die Piktogramme deuten.«
»Eine Suchmannschaft?«
»Nachdem der Pool abgerutscht war, stellte sich heraus, dass Zimmermans Tochter vermisst wurde. Deshalb ordnete der Sheriff die Suche nach ihr in diesen Erdmassen an. Und so kam's, dass man auf die Höhlenmalerei stieß.«
»Und das Mädchen?«
»Tauchte von allein wieder auf. Scheint zur Zeit des Erdbebens mit ihrem Freund in Las Vegas gewesen zu sein. Hören Sie, Erica, es bringt nichts, hier noch länger rumzuhängen. Ich setze Sie nicht auf diese Sache an. Fahren Sie zurück nach Gaviota.«
In dem Augenblick, da er das sagte, wusste Sam bereits, dass sie seiner Anordnung nicht Folge leisten würde. Wenn Erica Tyler sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, war es unmöglich, ihr das auszureden. Wie letztes Jahr, als Irving Chadwick das versunkene Schiffswrack entdeckt und behauptet hatte, es sei ein vor der kalifornischen Küste gesunkenes chinesisches Boot und damit ein Beweis seiner Theorie, dass Asiaten Amerika nicht nur über die Beringstraße, sondern auch übers offene Meer erreicht hätten. Erica hatte sich bereits für Chadwicks Hypothese erwärmt; als er sie dann einlud, im Schiffswrack gefundene Töpfereien zu begutachten, stand für sie fest, dass dies tatsächlich ein Beweis dafür war.
Sam hatte schon damals versucht, sie davon abzuhalten, voreilige Schlüsse zu ziehen, und sie beschworen, langsam und bedacht die Sache anzugehen. Aber Ericas zweiter Name war Überschwang. Sie verkündete weiterhin lauthals, die Töpfereien seien echt, und eine Zeit lang hatten sie und Irving Chadwick sich im Rampenlicht gesonnt. Als sich später dann herausstellte, dass das Schiffswrack eine Fälschung war, und Chadwick zugab, dies alles selbst in Szene gesetzt zu haben, war es für Erica Tyler zu spät. Ihr Ruf war ruiniert.
»In den Nachrichten hieß es, man habe Knochen gefunden«, sagte sie jetzt. »Was haben Sie denn darüber schon herauskriegen können?«
Sam griff nach einem Clipboard, wohl wissend, dass sie versuchte, Zeit zu gewinnen. »Alles, was wir haben, sind kleine Fragmente. Da sich immerhin auch Pfeilspitzen darunter befanden, war das Grund genug, mein Büro anzurufen. Hier ist der Bericht des Coroners.«
Während Erica einen Blick darauf warf, sagte Sam: »Wie Sie sehen, beträgt die Menge an stickstoffhaltigen Komponenten im Knochen weniger als vier Gramm. Und der Benzidinsäuretest weist keinerlei eiweißhaltige Substanz nach.«
»Was bedeutet, dass die Knochen älter als hundert Jahre sind. Konnte der Coroner sagen, wie viel älter?«
»Leider nicht. Und durch Bodenanalysen ist das auch nicht festzustellen, weil wir nicht genau bestimmen können, in welcher Schicht die Knochen lagen. Dieser Canyon wurde vor siebzig Jahren aufgeschüttet, und voriges Jahr, bei den Ausschachtungsarbeiten für den Swimmingpool, wurde das Erdreich umgeschichtet. Als der Untergrund verwässerte und dann bei dem Beben der Boden nachgab, rutschten die Erdmassen an den Seiten nach. Alles hat sich miteinander vermischt. Trotzdem haben wir Pfeilspitzen gefunden und primitives Werkzeug aus Feuerstein.«
»Was auf eine indianische Begräbnisstätte hindeutet.« Sie reichte ihm das Clipboard. »Die NAHC ist doch sicher schon informiert worden?«, fragte sie und sah sich nach jemandem um, der ein Abgesandter der State of California Native American Heritage Commission sein mochte, der Kommission zur Wahrnehmung von Besitzansprüchen der Indianer.
»Selbstverständlich«, kam es gepresst von Sam. »Und sie ist bereits hier. Das heißt, er.«
Sie las Sams Blick. »Jared Black?«
»Ihr alter Gegner.«
Erica und Black waren in der Vergangenheit bereits wegen rechtlicher Angelegenheiten der amerikanischen Ureinwohner aneinander geraten, mit höchst unerfreulichem Ausgang.
Ein junger Mann kam auf sie zugelaufen, mit schmutzverkrustetem Gesicht und Schutzhelm. Er reichte ihnen die Polaroidfotos, die er in der Höhle gemacht hatte, und entschuldigte sich für deren amateurhafte Qualität. Sam dankte dem jungen Burschen und teilte die Aufnahmen zwischen sich und Erica auf.
»Mein Gott«, flüsterte Erica, als sie eins nach dem anderen betrachtete. »Wirklich ... wunderschön. Und diese Symbole ...« Sie stockte.
»Na, was halten Sie davon?«, brummte Sam mit Blick auf die Fotos. »Hinweise auf einen bestimmten Stamm?«
Als sie nicht antwortete, blickte er sie an. Erica starrte mit leicht geöffneten Lippen auf das Material in ihrer Hand. Einen Augenblick lang meinte Sam, sie sei leichenblass geworden, bis ihm klar wurde, dass dieser Effekt wohl vom fluoreszierenden Licht herrührte, das man hastig um die Unglücksstelle herum installiert hatte. »Erica?«
Sie zwinkerte, als ob sie aus einem Trancezustand erwachte. Als sie ihn ansah, hatte Sam ganz kurz das komische Gefühl, dass sie gar nicht wusste, wer er war. Dann kehrte Leben in ihr Gesicht zurück. »Das ist der Fund des Jahrhunderts, Sam«, sagte sie. »Diese Malereien sind umwerfend und außerdem besser erhalten als alles, was ich bisher gesehen habe. Überlegen Sie mal, welche Lücken in der Geschichte der Ureinwohner wir füllen könnten, sobald diese Piktogramme entziffert sind. Sam, bitte schicken Sie mich nicht zurück zu diesen Abalonemuscheln.«
Er seufzte tief. »Also gut. Schauen Sie sich ein, zwei Tage hier um, und lassen Sie uns eine vorläufige Analyse zukommen. Anschließend aber«, sagte er und hob die Hand, »geht's wieder nach Gaviota. Ich kann Sie nicht mit diesem Projekt beauftragen, Erica. Tut mir Leid. Interne Gründe.«
»Aber Sie sind doch der Boss ...« Sie brach unvermittelt ab.
Er folgte ihrem Blick und wusste, was sie abgelenkt hatte. In dieser kühlen Stunde kurz vor Tagesanbruch, zwischen übernächtigt wirkenden, unrasierten Männern, die nach Kaffee lechzten und Schlaf und sauberen Sachen, wirkte Commissioner Jared Black, perfekt gestylt in einem dreiteiligen Maßanzug mit feinem Nadelstreifen, seidener Krawatte und auf Hochglanz polierten Schuhen, als hätte er eben einen Gerichtssaal verlassen. Als er näher kam, sah man die funkelnden dunklen Augen unter den gerunzelten Brauen.
»Dr. Tyler. - Dr. Carter.«
»Commissioner.«
Obwohl er sich vehement für die Interessen der Indianer einsetzte, war Jared Black ein reiner Angloamerikaner. Es sei seiner irischen Abstammung zuzuschreiben, hatte er einmal erklärt, dass er sich für die Nöte unterdrückter Völker engagiere. »Wann«, wandte er sich an Sam Carter, »rechnen Sie damit, die Stammeszugehörigkeit der Höhlenmalereien zu identifizieren?« Seinem Ton nach erwartete er umgehend Antwort.
»Das hängt von den Leuten ab, die ich mit dieser Aufgabe betraue.«
Jared würdigte Erica keines Blicks. »Es versteht sich wohl von selbst, dass ich meine eigenen Experten hinzuziehe.«
»Nachdem wir unsere Voruntersuchungen abgeschlossen haben«, entgegnete Carter. »Ich brauche Sie wohl nicht darauf hinzuweisen, in welcher Reihenfolge das gehandhabt wird.«
Jared Blacks Augen flackerten. Zwischen ihm und dem Leiter des Staatlichen Archäologischen Instituts herrschte keine Sympathie. Carter hatte sich gegen Blacks Berufung in die Kommission ausgesprochen und als Grund dafür Jareds massive Abneigung gegen akademische und wissenschaftliche Institutionen angeführt.
Ericas Zusammenprall mit Jared Black lag vier Jahre zurück. Damals war ein gewisser Mr Reddman, ein wohlhabender Mann, der sich in die Einsamkeit zurückgezogen hatte, gestorben und hatte eine bemerkenswerte Kollektion indianischer Artefakte hinterlassen. Sie sollten in seinem Haus ausgestellt werden, das laut Verfügung in ein nach ihm benanntes Museum umzuwandeln war. Man hatte Erica hinzugezogen, um die unschätzbare Sammlung zuzuordnen und zu katalogisieren, und als sie sie einem kleinen Stamm aus der Gegend zuschrieb, beauftragte dieser Stamm den Anwalt Jared Black, spezialisiert auf Grundbesitz- und Eigentumsrechte, vor Gericht Anspruch auf die Objekte zu erheben. Erica ersuchte den Staat, der Klage entgegenzutreten, da der Stamm plane, die Objekte ohne vorherige historische Analyse wieder zu vergraben. »Die Vergangenheit, von der diese Knochen und Artefakte zeugen«, hatte sie vorgebracht, »ist nicht nur die der Indianer, sondern die aller Amerikaner.« Der Prozess hatte hohe Wellen geschlagen, vor dem Gerichtsgebäude waren demonstrierende Gruppen aufmarschiert - amerikanische Ureinwohner, die die Rückgabe all ihres Landes und ihrer Kultgegenstände forderten; Lehrer, Historiker und Archäologen, die für die Errichtung eines Reddman- Museums eintraten. Jared Blacks Frau, ein Stammesmitglied der Maidu und eine leidenschaftliche Verfechterin der Rechte der Indianer - einmal hatte sie sich sogar vor einen Bulldozer geworfen, um zu verhindern, dass eine Autobahn durch Indianerland gebaut wurde - war unter denen gewesen, die sich am lautstärksten dafür eingesetzt hatten, »die Kollektion nicht in die Hand des weißen Mannes zu geben.«
Der Prozess schleppte sich über Monate hin, bis Jared schließlich auf ein bislang unbekanntes Detail stieß: Reddman hatte ohne Wissen der Behörden die Objekte auf seinem eigenen Grundstück, einem Grundstück von fünfhundert Morgen, ausgegraben und unerlaubterweise behalten. Weil zudem die Objekte auf einen altindianischen Erdwall schließen ließen - und Erica, obwohl sie für die andere Seite arbeitete, zugeben musste, dass das Anwesen aller Wahrscheinlichkeit nach auf dem Boden eines uralten Dorfes errichtet worden war -, erklärte Jared Black, dass folglich das Grundstück dem Gesetz nach nicht Mr Reddman gehört habe, sondern den Nachfahren der damaligen Dorfbewohner. Die fünfhundert Morgen sowie weit mehr als tausend indianische Relikte - darunter seltene Töpfer- und Flechtwaren, Bogen und Pfeile - wurden dem Stamm ausgehändigt, der aus genau sechzehn Mitgliedern bestand. Reddmans Museum wurde niemals gebaut, die Artefakte nie mehr gesehen.
Erica dachte daran zurück, wie die Medien den Kampf zwischen ihr und Jared inner- und außerhalb des Gerichtssaals hochgespielt hatten. Ein inzwischen berühmtes Foto der beiden Streithähne, aufgenommen auf den Stufen vor dem Gerichtsgebäude, war an die Boulevardpresse verkauft worden und unter der Überschrift »Heimlich ein Liebespaar?« veröffentlicht worden. Der Lichteinfall und das unglückliche Timing des Kameraauslösers hatten Erica und Jared in einer jener überspannten, nur Bruchteile von Sekunden dauernden Posen festgehalten, die genau das Gegenteil von dem vermuten lassen, was Sache ist: Erica scheint ihm erwartungsvoll entgegenzusehen, mit weit aufgerissenen Augen, die Zunge zwischen die Lippen geschoben, während Black, der auf der oberen Stufe und damit über ihr steht, die Arme ausstreckt, als wollte er sie im nächsten Augenblick stürmisch umarmen. Beide waren über das Foto und die missverständliche Deutung empört gewesen, kamen aber überein, die Sache auf sich beruhen zu lassen, schon um dem Klatsch nicht noch weiter Vorschub zu leisten.
»Und ich brauche Sie wohl nicht darauf hinzuweisen, Dr. Carter«, sagte er zu Sam, »dass ich hier bin, um sicherzustellen, dass Sie Ihre Schändung auf ein Minimum beschränken, und dass ich, sobald die MLD feststehen, Sie und Ihre Mitgrabräuber persönlich und mit besonderer Freude von diesem Gelände begleiten werde.«
Als sie seinen Abgang beobachteten, bohrte Sam die Hände in die Taschen und brummte: »Dieser Kerl ist wirklich nicht mein Fall.«
»Dann tun Sie wohl gut daran«, meinte Erica, »mich in dieses Projekt nicht einzubinden. Denn das würde bei Jared Black das Fass zum Überlaufen bringen.«
Sam sah sie an und bemerkte den Anflug eines Lächelns um ihre Mundwinkel. »Sie wollen diesen Job unbedingt, wie?«
»War ich zu ironisch?«
»Also gut«, sagte er und rieb sich den Nacken. »Eigentlich bin ich dagegen, aber ich denke doch, dass Gaviota ein anderer übernehmen kann.«
»Sam!« Sie konnte nicht anders, als ihm um den Hals zu fallen. »Sie werden es nicht bereuen, Ehrenwort!« Und dann packte sie ihren Assistenten am Arm, schlug ihm dadurch die angeknabberte Bärentatze aus der Hand und sagte: »Luke, an die Arbeit!«
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Autoren-Porträt von Barbara Wood
Barbara Wood ist international als Bestsellerautorin bekannt. Allein im deutschsprachigen Raum liegt die Gesamtauflage ihrer Romane weit über 13 Mio., mit Erfolgen wie ›Rote Sonne, schwarzes Land‹, ›Traumzeit‹, ›Kristall der Träume‹ und ›Dieses goldene Land‹. 2002 wurde sie für ihren Roman ›Himmelsfeuer‹ mit dem Corine-Preis ausgezeichnet.Barbara Wood stammt aus England, lebt aber seit langem in den USA in Kalifornien.
Bibliographische Angaben
- Autor: Barbara Wood
- 2012, 1. Auflage, 496 Seiten, Deutsch
- Übersetzer: Susanne Dickerhof-Kranz, Veronika Cordes
- Verlag: FISCHER E-Books
- ISBN-10: 3104022348
- ISBN-13: 9783104022345
- Erscheinungsdatum: 14.11.2012
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