Die Welt hinter Wien (ePub)
Fünfzig Expeditionen
Martin Leidenfrost ist Österreicher und lebt seit 2004 im slowakischen Grenzort Devínska Nová Ves, auf der langsam vernarbenden Naht des Eisernen Vorhangs. Von dort sind es nur wenige hundert Meter nach Österreich, dreissig Kilometer nach Ungarn und fünfzig...
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Produktinformationen zu „Die Welt hinter Wien (ePub)“
Martin Leidenfrost ist Österreicher und lebt seit 2004 im slowakischen Grenzort Devínska Nová Ves, auf der langsam vernarbenden Naht des Eisernen Vorhangs. Von dort sind es nur wenige hundert Meter nach Österreich, dreissig Kilometer nach Ungarn und fünfzig in die Tschechische Republik.
»Die Welt hinter Wien« versammelt Geschichten aus einer Gegend, die auf vier Staaten, vier Staatssprachen und Dutzende Ethnien verteilt ist, und doch liegt alles ums Eck. Das Gebiet bezeichnet den mitteleuropäischen Zentralraum zwischen Alpen und Karpaten, irgendwo um die Städte Wien und Bratislava, Györ und Brno herum. Sie hat einige Bezeichnungen erhalten, Namen wie »Centrope« etwa, doch kaum ein Bewohner empfindet diesen von Grenzen zerfurchten Raum als eine organische Region. Von Devínska Nová Ves aus betrachtet erscheint sie indessen als eine natürliche Einheit.
Ein Jahr lang tauchte Leidenfrost Woche für Woche in eine andere Sphäre, in eine andere Sprache, in ein anderes Milieu ein. Aus der Summe dieser Wanderungen entstand das Porträt einer verblüffend vielfältigen Region. »Die Welt hinter Wien« erzählt von Anziehung und Abstossung, von Stammesfehden und Megalopolen-Utopien, von der Schönheit, Traurigkeit und Wirklichkeit der europäischen Integration.
»Die Welt hinter Wien« ist das Buch zur Serie, die im Spectrum der Tageszeitung Die Presse erschienen ist und mit dem Journalistenpreis »Writing for CEE 2007« ausgezeichnet wurde.
»Die Welt hinter Wien« versammelt Geschichten aus einer Gegend, die auf vier Staaten, vier Staatssprachen und Dutzende Ethnien verteilt ist, und doch liegt alles ums Eck. Das Gebiet bezeichnet den mitteleuropäischen Zentralraum zwischen Alpen und Karpaten, irgendwo um die Städte Wien und Bratislava, Györ und Brno herum. Sie hat einige Bezeichnungen erhalten, Namen wie »Centrope« etwa, doch kaum ein Bewohner empfindet diesen von Grenzen zerfurchten Raum als eine organische Region. Von Devínska Nová Ves aus betrachtet erscheint sie indessen als eine natürliche Einheit.
Ein Jahr lang tauchte Leidenfrost Woche für Woche in eine andere Sphäre, in eine andere Sprache, in ein anderes Milieu ein. Aus der Summe dieser Wanderungen entstand das Porträt einer verblüffend vielfältigen Region. »Die Welt hinter Wien« erzählt von Anziehung und Abstossung, von Stammesfehden und Megalopolen-Utopien, von der Schönheit, Traurigkeit und Wirklichkeit der europäischen Integration.
»Die Welt hinter Wien« ist das Buch zur Serie, die im Spectrum der Tageszeitung Die Presse erschienen ist und mit dem Journalistenpreis »Writing for CEE 2007« ausgezeichnet wurde.
Lese-Probe zu „Die Welt hinter Wien (ePub)“
Die Schwelle (S. 66-67)Diese Zeilen handeln von Scham. Zunächst von meiner Neugier, dann von meinem Schrecken, zuletzt von meiner Scham. Dabei habe ich mich nur ein wenig umsehen wollen.
Viele Jahre hatte ich geglaubt, dass die elenden Slums, die der Slowakei in Europa Schande machen, weit im Osten liegen. Erst spät stieß ich darauf, dass es auch im Westen einige dieser abgesonderten Siedlungen gibt, die meisten in der Marchebene Záhorie. Die größte in Plavecký Štvrtok, drei Dörfer nördlich von Devínska, zehn Kilometer von der österreichischen Grenze. Das Ghetto wird von 500 Roma bewohnt und »Kolónia« genannt. Ich fand Plavecký Štvrtok auf der Karte und rieb mir die Augen. Die aktuelle Wanderkarte von Záhorie wies am östlichen Ortsrand einen allzu passenden Eintrag aus: »U cigánov« – »bei den Zigeunern«. Sollte die gesuchte Siedlung tatsächlich so unkorrekt bezeichnet sein? Vor dem Bahnschranken rechts abbiegen, und schon bin ich da?
Als ich an jener Stelle einbog, erblickte ich aus dem Autofenster sauberen Asphalt, geschnittene Hecken, propere Einfamilienhäuser. Ich fuhr zurück, über den Bahnübergang, zu verlebten Wirtschaftsgebäuden, an den Dorfsee, an alle Enden des Dorfes. Ich begann den Wirtshausbrüdern an der Kreuzung aufzufallen. Sollte die Kolónia in einem der umliegenden Kiefernwälder verborgen sein? Ich hielt beim Bahnschranken und wartete, bis auf seinem Fahrrad ein alter Rom vorbeikam, seinen Einkauf in einem zerschlissenen Plastiksack balancierend.
Dort, wo der Alte verschwand, war ich schon gewesen – gleich zu Beginn. Am Ende der Asphaltstraße stellte ich den Wagen ab. Vor mir, zwischen zwei Obstbäumen, die auf einer kniehohen Böschung standen, zeichnete sich eine schmale Spur ab, hart getretene Erde,
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der Beginn eines Weges. Hinter mir schaute die Hausfrau des letzten Einfamilienhauses aus dem Fenster, sah mich missgünstig an und schloss das Fenster. Ich ging die zehn Meter nach vor, trat zwischen die Obstbäume und stand auf der Schwelle. Ich sah und hörte die Kolónia im selben Augenblick. Sie lag einen Steinwurf entfernt, hinter einer hohen Mauer, dahinter ein Anschein von Betonbaracken.
Wütendes Gezeter, Schläge und Kinderlachen hingen in der Luft. Gebannt blieb ich stehen. Von der Schwelle führte ein gewundener Lehmweg zur Kolónia. Von hüfthohen und aus allerlei Plastikzeug geformten Müllwellen eingefasst, stach der steinharte ockergelbe Weg wie eine leuchtende Schlange hervor. Ich überlegte, ob ich nähertreten sollte, da radelte ein Halbwüchsiger mit nacktem Oberkörper aus der Kolónia heraus. Erschrocken wandte ich mich ab, wich instinktiv zurück.
Er kam auf mich zu, rief mir etwas zu, es klang wie »Koledate«. War es eine Frage, eine Anrede, ein Befehl? Ängstlich eilte ich zum Auto und sperrte auf. Der Zigeunerjunge machte auf der Schwelle Halt, stieg vom Fahrrad und fragte mich ein weiteres Mal: »Koho hledate?« Ich verstand wieder nicht, winkte entschuldigend ab, murmelte ein kopfloses Dankeschön. Alles schoss mir durch den Kopf:
Wütendes Gezeter, Schläge und Kinderlachen hingen in der Luft. Gebannt blieb ich stehen. Von der Schwelle führte ein gewundener Lehmweg zur Kolónia. Von hüfthohen und aus allerlei Plastikzeug geformten Müllwellen eingefasst, stach der steinharte ockergelbe Weg wie eine leuchtende Schlange hervor. Ich überlegte, ob ich nähertreten sollte, da radelte ein Halbwüchsiger mit nacktem Oberkörper aus der Kolónia heraus. Erschrocken wandte ich mich ab, wich instinktiv zurück.
Er kam auf mich zu, rief mir etwas zu, es klang wie »Koledate«. War es eine Frage, eine Anrede, ein Befehl? Ängstlich eilte ich zum Auto und sperrte auf. Der Zigeunerjunge machte auf der Schwelle Halt, stieg vom Fahrrad und fragte mich ein weiteres Mal: »Koho hledate?« Ich verstand wieder nicht, winkte entschuldigend ab, murmelte ein kopfloses Dankeschön. Alles schoss mir durch den Kopf:
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Autoren-Porträt von Martin Leidenfrost
Martin Leidenfrost, geboren 1972 in Amstetten, studierte Buch und Dramaturgie an der Wiener Filmhochschule und an der Filmhochschule Babelsberg. Drehbuchautor und freier Autor von Essays, Reportagen, Feuilletons und Kolumnen. Für seine Kolumnen erhielt er 2007 und 2015 den "Writing for CEE"-Preis. Martin Leidenfrost lebt und arbeitet in Devínska Nová Ves in der Slowakei. Im Picus Verlag erschienen die Kolumnenbände "Die Welt hinter Wien. Fünfzig Expeditionen", "Brüssel zartherb. Fünfzig europäische Expeditionen" sowie "Expedition Europa. Fünfzig exzessive Selbstversuche".
Bibliographische Angaben
- Autor: Martin Leidenfrost
- 2011, 1. Auflage, 240 Seiten, Deutsch
- Verlag: Picus Verlag GmbH
- ISBN-10: 371175077X
- ISBN-13: 9783711750778
- Erscheinungsdatum: 01.12.2011
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