Zwei Zimmer, Küche, Geist
Roman. Deutsche Erstausgabe
'Eve kann ihr Glück nicht fassen: Ein traumhaft schönes Apartment im angesagtesten Viertel New Yorks, und noch dazu spottbillig. Wo ist der Haken? Der Haken heisst Donald, ist permanent schlecht gelaunt und tot. Der Geist eines erfolglosen Dichters geht Eve...
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Produktinformationen zu „Zwei Zimmer, Küche, Geist “
'Eve kann ihr Glück nicht fassen: Ein traumhaft schönes Apartment im angesagtesten Viertel New Yorks, und noch dazu spottbillig. Wo ist der Haken? Der Haken heisst Donald, ist permanent schlecht gelaunt und tot. Der Geist eines erfolglosen Dichters geht Eve schwer auf die Nerven und zwingt sie, seine miesen Texte aufzuschreiben, damit die Welt endlich sieht, dass er zu Unrecht erfolglos war. Noch dazu mischt er sich in ihr (Liebes-)Leben ein und seine Dating- Tipps sind leider mindestens so schlecht wie seine Gedichte. Blöd für Eve, lustig für die Leserin!
Lese-Probe zu „Zwei Zimmer, Küche, Geist “
Zwei Zimmer, Küche, Geist von Lorna GrahamKapitel 1
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Eve presste die Finger fest an ihre Schläfen, und er bewegte sich ein wenig. Der Schmerz ließ kurz nach, setzte sich dann aber hinter ihrem linken Auge fest. Sie blinzelte, trank den letzten Schluck Tee, der ihre Nerven auch nicht hatte beruhigen können, und stellte die angeschlagene Tasse ins Spülbecken. Speziell heute wünschte sie sich, dass Donald einfach nur verschwinden würde.
»Das habe ich gehört«, sagte er, und es brummte ein wenig hinter ihrem Ohr. »Ich gehe nirgendwohin. Und versuch gar nicht erst, das Thema zu wechseln. Wir waren gerade bei diesem Vorstellungsgespräch, und du wolltest mir nicht sagen, worum es dabei geht.« »Nicht jetzt. Ich komme noch zu spät«, wich Eve aus. Während sie den Gürtel ihres Kimonos festerzog, eilte sie den engen Flur ihres Appartements hinab, öffnete dann die Flügeltüren des Schlafzimmerschranks und griff nach der baumelnden Schnur am Lichtschalter. Sie ließ den Blick über die Regale schweifen, wild entschlossen, etwas zu finden, das elegant und professionell wirkte und vor allem eines war - ein Glücksbringer.
»Du bräuchtest keinen Glücksbringer, wenn du dich nicht immer für so unsinnige Jobs bewerben würdest«, meldete sich Donald wieder. »Was war es noch beim letzten Mal? Partyplaner? Nie gehört. Wer plant denn schon eine Party? Eine Gitarre und ein paar Trips - und da hast du deine Party. Und was war das davor?« Er überlegte. »Videospiele an Teenager verkaufen? Was genau sind eigentlich Videospiele?«
»Ruhe jetzt!«, befahl Eve. Sie studierte den Schrankinhalt und ließ ihre Hand über Tweed, Seide und Wildleder gleiten, alles Kleider, die sie von ihrer Mutter Penelope geerbt hatte. Als Eve endlich alt genug war, um sie zu tragen, musste überhaupt nichts mehr daran geändert werden. Zur Ausbeute gehörten gemusterte Röcke, Kostümchen und hübsche Blusen, kesse Schuhe mit Kitten Heels und fließende Seidenschals. Ihr Blick fiel auf ein pfauenblaues Etuikleid von Pauline Tigère, ein Lieblingsstück ihrer Mutter, und sie nahm es prüfend in die Hand.
»Warum zum Teufel kannst du nicht einfach das machen, was ich getan habe?«, fragte Donald. »Böden wischen, Teller waschen, Kunden bedienen. Im Schweiße deines Angesichts! Gute, einfache Arbeit. Die Art von Arbeit, die die Boheme seit Jahrhunderten macht. Und denk nur daran, wie viel Zeit du hättest, um meine Geschichten aufzuschreiben.«
»Zum hundertsten Mal, Donald, wir leben nicht mehr in den Fünfzigern«, knurrte Eve ungeduldig. »Niemand kann sich nur mit Tellerwaschen eine Wohnung in Greenwich Village leisten.« Mit einem feuchten Lappen betupfte sie einen Fleck auf dem Kleid. »Das ist eine der teuersten Gegenden der Stadt, hier wohnen lauter Banker und Anwälte, erinnerst du dich? Sie waren deine Mieter, wie du mir erzählt hast.«
»Was ist es denn dann für ein Job?« Donald ließ nicht locker.
Eve wusste, dass er richtig in Fahrt kommen würde, wenn er die Wahrheit erführe, also konzentrierte sie sich ganz darauf, ob sie Ballerinas oder die cremefarbenen Spectator-Pumps tragen sollte - ein sicheres Mittel, um ihn abzulenken.
»Ganz eindeutig die cremefarbenen mit der schwarzen Spitze«, kommentierte Donald trocken. »Gut, dann sagst du es mir eben nicht. Ist mir doch egal. Wir müssen nämlich über unsere nächste Geschichte sprechen, die mit dem Gummihandschuh, der Manhattan verschlingt. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir anfangen müssen. Nämlich in der Mitte.«
Eve warf ihren Kopf zurück und sah zur Decke. »Also erstens ist es nicht ›unsere‹ Geschichte, es ist deine. Und zweitens habe ich jetzt absolut keine Zeit für ein Diktat, wenn du das meinst. Ich brauche meinen Kopf jetzt mal ein paar Minuten lang für mich selbst.« Normalerweise hatte Eve nichts dagegen, Donald zuzuhören, denn sie hielt sich für eine gute Zuhörerin. Aber normalerweise hatte man auch die Wahl, wann und wem man zuhörte.
Der Schmerz fraß sich nun richtig ein, breitete sich weiter und tiefer aus. Sie brauchte ein Aspirin - obwohl das auch nicht helfen würde. Es gab so unglaublich viele Pillen auf der Welt für so viele verschiedene Leiden: Muskelschmerzen, Allergien, Depression. Aber was wirklich fehlte, war eine für Heimsuchungen. »Für schmerzhafte Symptome, verursacht vom Geist eines Toten, der auf den Gehirnsynapsen Gitarre spielt und sich darüber beschwert, dass man seine pulitzerpreisverdächtigen Kurzgeschichten nicht zu Papier bringt« könnte auf der Verpackung stehen. Davon würde sie eine Wagenladung voll nehmen.
»Hilft wohl alles nichts gegen deine üble Laune heute«, sagte Donald. »Aber gib mir nur eine Minute. Das war nämlich die Geschichte, an der ich gerade arbeitete, als ich, na ja, du weißt schon, ging.« Donald wollte partout nicht zugeben, dass er gestorben war, und verwendete daher normalerweise mindestens ein halbes Dutzend beschönigende Umschreibungen. »Und neulich hatte ich eine Idee, wie ich sie aufziehen könnte. Es geht ja um diesen Fäustling, der eigentlich ein Fingerhandschuh sein will ... « Jetzt geriet er richtig ins Labern; es fühlte sich an wie Schmirgelpapier im Gehirn.
Eve stöhnte und warf sich aufs Bett. Das Schlimmste am Leben mit einem Hausgeist war, dass man niemandem davon erzählen konnte. Na ja, man könnte, wenn man aus einer dieser Südstaatenfamilien stammte, die ohnehin einen Hang zum Dramatischen hatten. Oder wenn man ein Kind war. Aber unter den sozialen Aufsteigern Manhattans hatten Geister nichts zu suchen. Wie hörte sich das denn an: »Ich wohne auf 50 Quadratmetern in einem Stadthaus von 1845, alles komplett mit Stuck, offenem Kamin - und einem toten Dichter, der von mir verlangt, dass ich ihm helfe, sein Lebenswerk zu vollenden«?
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Donald.
»Bald muss ich über meine eigenen Texte nachdenken«, rutschte ihr heraus, ehe sie sich bremsen konnte. Doch dass nach diesen Worten das Summen in Eves Kopf schlagartig verstummte, konnte sie trotzdem genießen.
»Wovon zur Hölle sprichst du?«
»Mein Vorstellungsgespräch. Es geht um so einen Autoren-Job. Ich werde auch Autorin.« Es war ungeheuer befriedigend, das zu sagen. »Was hältst du davon?«
Einen Augenblick lang war es beunruhigend still. »So was wie einen ›Autoren-Job‹ gibt es nicht«, ließ Donald mit bedeutungsschwerer Stimme verlauten - ein sicheres Zeichen für eine aufziehende Schimpftirade. Eve steckte ihren Kopf unter ein großes Kissen mit Spitzenborte. »Auf eines kannst du dich verlassen«, setzte er an, »Schreiben ist kein 8-Stunden-Bürojob! Es ist nichts, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Entweder du bist Schriftsteller oder eben nicht. Entweder du hast das Talent dazu, oder du hast es nicht. Entweder stellst du dich deiner Berufung, oder du verkümmerst. Entweder du -«
»Es ist ein Autoren-Job fürs Fernsehen«, unterbrach sie ihn in gewichtigem Ton.
»Fernsehen! Diese Büchse der Pandora?«
Sofort bereute Eve, ihm überhaupt etwas erzählt zu haben.
»Dieses Ding, das uns unsere wachen Stunden stiehlt, uns mit Propaganda hypnotisiert, uns doppelzüngig an Unternehmen binden will und uns unserer Menschlichkeit beraubt? Du willst ein Rädchen dieser Teufelsmaschinerie werden, eine Arbeiterbiene, die der fetten Königin der Mittelmäßigkeit dient, plappernder Bote der kommerziellen Kolonialisierung? Kommt nicht in Frage - auf gar keinen Fall.«
Eve zog sich das Kissen vom Kopf, um Luft zu holen, und sagte trotzig: »Als Geist, der sich nicht materialisieren kann, wirst du mich wohl kaum davon abhalten. Und ganz ab - gesehen davon: Wenn ich den Job nicht kriege, stecken wir beide ganz schön in Schwierigkeiten. Ich kann die Miete für den nächsten Monat nicht bezahlen. Nicht mal annähernd. Ich fliege raus, und deine Geschichten werden niemals gedruckt, kapiert? Dann muss ich zurück nach Hause.«
Eigentlich hatte sie Donald nur ein wenig einschüchtern wollen, aber als sie es aussprach, lief ihr selbst ein Schauer über den Rücken. Sie hatte vorher nie mit Geld haushalten müssen, und gestern Abend hatte sie bei einem Blick auf ihre Kontoauszüge mit Schrecken festgestellt, dass ihr Guthaben von 4000 auf 400 Dollar zusammengeschrumpft war - in nur sechs Wochen! In den nächsten paar Wochen würde sie viermal so viel brauchen für Mr De Fief; und der gehörte zu der Sorte von Vermietern, die am Monatsersten »als kleine Gefälligkeit« stämmige junge Männer schickten, die die Miete abholten. Der Gedanke an eine Rückkehr nach Hause war zu schrecklich, um sich damit zu beschäftigen. Sie konnte New York nicht verlassen. Noch nicht.
Eve beugte sich vor, um das Schlafzimmerfenster aufzumachen und zu lüften, jetzt, da der Regen aufgehört hatte. Das alte Holz war durch die Feuchtigkeit aufgequollen, und sie musste mehrere Male kräftig ziehen, bis das Fenster ein paar Zentimeter aufging. Sie schlüpfte in das Trigère-Kleid, spürte die weich anliegende Seide auf der Haut und betrachtete sich in dem großen Spiegel an der Innenseite der Schranktür. Ihr pechschwarzer Bob stand ihr gut, obwohl kleine Sorgenschatten die Haut unter ihren großen, haselnussbraunen Augen ein wenig verdunkelten.
Hätte sie in jener Nacht, als sie beschloss, nach New York zu ziehen, auch nur die leiseste Ahnung gehabt, dass sie nicht nur bald ein relativ günstiges Appartement in Greenwich Village finden würde - wo doch alle gesagt hatten, das sei unmöglich -, sondern es auch noch mit dem Geist eines Schriftstellers teilen würde, hätte sie vor Freude in die Hände geklatscht. Sie hätte in genüsslichen Tagträumen darüber geschwelgt, wie sie entspannt mit Henry James plauderte, der mitsamt Weste und Spazierstock sanft, hell und durchsichtig schimmerte, während sie über Erzählperspektiven und französisches Essen parlierten. Oder ein Gespräch mit Edith Wharton, die mit Federhut und Turnüre über dem Boden schwebte und mit ihrem berühmten Sinn für Dekoration Eve dabei beraten würde, wo sie ihre wachsende Sammlung von Kunstdrucken aufhängen sollte. Oder wie sie mit Mark Twain Poker spielte und Witze riss, während er seine Karten über dem Tisch in der Luft segeln ließ.
Aber solches Glück war ihr nicht beschieden. Eve war hier mit Donald Bellows gelandet - dem Beatnik aus der Hölle.
Er hatte weder den Ruhm noch den Stil der Vorgenannten. Er war unsicher, aufbrausend und verbittert, weil er gestorben war, ehe er seine »meisterhafte Sammlung« von Avantgarde-Geschichten hatte fertigstellen können. Und er war nicht mal so gnädig, sich tatsächlich zu zeigen! Keine Erscheinung waberte in der Luft vor ihrem Bett, keine Türen quietschten in der Nacht, kein Buuuuhuuuhuuu drang aus dem Speiseaufzug. Das alles wäre okay gewesen, vielleicht sogar lustig; hätte ihrem modernen Leben einen altmodischen, romantischen Touch verliehen. Aber die zischende, oft ungehobelte Stimme in ihrem Kopf? Romantisch ist was anderes.
Was andererseits auch wieder passte, denn Donald selbst war überhaupt nicht romantisch. Er stammte aus einer Zeit, wie er ihr mitgeteilt hatte, in der Frauen von der Ehe und dazugehörigen Haushaltsgeräten nichts wissen wollten, sondern sich dem geistigen Leben zuwandten. Ganz sicher erwarteten sie keine Ritterlichkeit. Und für ihn zählte jede Form von Höflichkeit zu Ritterlichkeit. Solche »Masken« waren nichts für denkende Menschen.
Eve griff nach ihrer Schmuckschatulle und versank über den Strassohrringen ihrer Mutter in Gedanken. Sie nahm ein übergroßes Paar in die Hand, das sie sich zum ersten Mal angesteckt hatte, als sie ungefähr sechs war. An diesen Augenblick würde sie sich ihr Leben lang erinnern, denn als sie sich vom Waschtisch zu Penelope umgedreht hatte, sah ihre Mutter von ihrem Buch auf und brach in Gelächter aus - ein Geräusch, das selten in ihrem Haus zu hören gewesen war.
Penelope. Sie und das Geheimnis, das sie tief in ihrem Herzen vergraben hatte, gehörten zu den wichtigsten Gründen, warum Eve jetzt hier war, wild entschlossen zu bleiben. Aber sie musste sehr genau kalkulieren. Kein Gelegenheitsjob würde genug abwerfen für die Miete dieser relativ »günstigen« Village-Wohnung, die - verglichen mit anderen Städten - gigantisch war. Und dann kamen noch die Strom- und Telefonrechnungen dazu. Und Essen. Takeaway war sündhaft teuer, so dass jedes Gericht für zwei Mahlzeiten reichen musste und Eve das Loch in ihrem Bauch mit Müsli auffüllte. Andere Leute beschwerten sich, dass sie von einem Gehaltsscheck zum nächsten lebten. Sie würde dafür töten. Sie brauchte dringend einen richtigen Job, und zwar pronto!
Eve schüttelte den Kopf, als könnte sie damit ihre Sorgen verscheuchen. Sie würde sich hier nicht rauswerfen lassen. Jedenfalls nicht so bald.
Eve presste die Finger fest an ihre Schläfen, und er bewegte sich ein wenig. Der Schmerz ließ kurz nach, setzte sich dann aber hinter ihrem linken Auge fest. Sie blinzelte, trank den letzten Schluck Tee, der ihre Nerven auch nicht hatte beruhigen können, und stellte die angeschlagene Tasse ins Spülbecken. Speziell heute wünschte sie sich, dass Donald einfach nur verschwinden würde.
»Das habe ich gehört«, sagte er, und es brummte ein wenig hinter ihrem Ohr. »Ich gehe nirgendwohin. Und versuch gar nicht erst, das Thema zu wechseln. Wir waren gerade bei diesem Vorstellungsgespräch, und du wolltest mir nicht sagen, worum es dabei geht.« »Nicht jetzt. Ich komme noch zu spät«, wich Eve aus. Während sie den Gürtel ihres Kimonos festerzog, eilte sie den engen Flur ihres Appartements hinab, öffnete dann die Flügeltüren des Schlafzimmerschranks und griff nach der baumelnden Schnur am Lichtschalter. Sie ließ den Blick über die Regale schweifen, wild entschlossen, etwas zu finden, das elegant und professionell wirkte und vor allem eines war - ein Glücksbringer.
»Du bräuchtest keinen Glücksbringer, wenn du dich nicht immer für so unsinnige Jobs bewerben würdest«, meldete sich Donald wieder. »Was war es noch beim letzten Mal? Partyplaner? Nie gehört. Wer plant denn schon eine Party? Eine Gitarre und ein paar Trips - und da hast du deine Party. Und was war das davor?« Er überlegte. »Videospiele an Teenager verkaufen? Was genau sind eigentlich Videospiele?«
»Ruhe jetzt!«, befahl Eve. Sie studierte den Schrankinhalt und ließ ihre Hand über Tweed, Seide und Wildleder gleiten, alles Kleider, die sie von ihrer Mutter Penelope geerbt hatte. Als Eve endlich alt genug war, um sie zu tragen, musste überhaupt nichts mehr daran geändert werden. Zur Ausbeute gehörten gemusterte Röcke, Kostümchen und hübsche Blusen, kesse Schuhe mit Kitten Heels und fließende Seidenschals. Ihr Blick fiel auf ein pfauenblaues Etuikleid von Pauline Tigère, ein Lieblingsstück ihrer Mutter, und sie nahm es prüfend in die Hand.
»Warum zum Teufel kannst du nicht einfach das machen, was ich getan habe?«, fragte Donald. »Böden wischen, Teller waschen, Kunden bedienen. Im Schweiße deines Angesichts! Gute, einfache Arbeit. Die Art von Arbeit, die die Boheme seit Jahrhunderten macht. Und denk nur daran, wie viel Zeit du hättest, um meine Geschichten aufzuschreiben.«
»Zum hundertsten Mal, Donald, wir leben nicht mehr in den Fünfzigern«, knurrte Eve ungeduldig. »Niemand kann sich nur mit Tellerwaschen eine Wohnung in Greenwich Village leisten.« Mit einem feuchten Lappen betupfte sie einen Fleck auf dem Kleid. »Das ist eine der teuersten Gegenden der Stadt, hier wohnen lauter Banker und Anwälte, erinnerst du dich? Sie waren deine Mieter, wie du mir erzählt hast.«
»Was ist es denn dann für ein Job?« Donald ließ nicht locker.
Eve wusste, dass er richtig in Fahrt kommen würde, wenn er die Wahrheit erführe, also konzentrierte sie sich ganz darauf, ob sie Ballerinas oder die cremefarbenen Spectator-Pumps tragen sollte - ein sicheres Mittel, um ihn abzulenken.
»Ganz eindeutig die cremefarbenen mit der schwarzen Spitze«, kommentierte Donald trocken. »Gut, dann sagst du es mir eben nicht. Ist mir doch egal. Wir müssen nämlich über unsere nächste Geschichte sprechen, die mit dem Gummihandschuh, der Manhattan verschlingt. Ich glaube, ich weiß jetzt, wie wir anfangen müssen. Nämlich in der Mitte.«
Eve warf ihren Kopf zurück und sah zur Decke. »Also erstens ist es nicht ›unsere‹ Geschichte, es ist deine. Und zweitens habe ich jetzt absolut keine Zeit für ein Diktat, wenn du das meinst. Ich brauche meinen Kopf jetzt mal ein paar Minuten lang für mich selbst.« Normalerweise hatte Eve nichts dagegen, Donald zuzuhören, denn sie hielt sich für eine gute Zuhörerin. Aber normalerweise hatte man auch die Wahl, wann und wem man zuhörte.
Der Schmerz fraß sich nun richtig ein, breitete sich weiter und tiefer aus. Sie brauchte ein Aspirin - obwohl das auch nicht helfen würde. Es gab so unglaublich viele Pillen auf der Welt für so viele verschiedene Leiden: Muskelschmerzen, Allergien, Depression. Aber was wirklich fehlte, war eine für Heimsuchungen. »Für schmerzhafte Symptome, verursacht vom Geist eines Toten, der auf den Gehirnsynapsen Gitarre spielt und sich darüber beschwert, dass man seine pulitzerpreisverdächtigen Kurzgeschichten nicht zu Papier bringt« könnte auf der Verpackung stehen. Davon würde sie eine Wagenladung voll nehmen.
»Hilft wohl alles nichts gegen deine üble Laune heute«, sagte Donald. »Aber gib mir nur eine Minute. Das war nämlich die Geschichte, an der ich gerade arbeitete, als ich, na ja, du weißt schon, ging.« Donald wollte partout nicht zugeben, dass er gestorben war, und verwendete daher normalerweise mindestens ein halbes Dutzend beschönigende Umschreibungen. »Und neulich hatte ich eine Idee, wie ich sie aufziehen könnte. Es geht ja um diesen Fäustling, der eigentlich ein Fingerhandschuh sein will ... « Jetzt geriet er richtig ins Labern; es fühlte sich an wie Schmirgelpapier im Gehirn.
Eve stöhnte und warf sich aufs Bett. Das Schlimmste am Leben mit einem Hausgeist war, dass man niemandem davon erzählen konnte. Na ja, man könnte, wenn man aus einer dieser Südstaatenfamilien stammte, die ohnehin einen Hang zum Dramatischen hatten. Oder wenn man ein Kind war. Aber unter den sozialen Aufsteigern Manhattans hatten Geister nichts zu suchen. Wie hörte sich das denn an: »Ich wohne auf 50 Quadratmetern in einem Stadthaus von 1845, alles komplett mit Stuck, offenem Kamin - und einem toten Dichter, der von mir verlangt, dass ich ihm helfe, sein Lebenswerk zu vollenden«?
»Hörst du mir überhaupt zu?«, fragte Donald.
»Bald muss ich über meine eigenen Texte nachdenken«, rutschte ihr heraus, ehe sie sich bremsen konnte. Doch dass nach diesen Worten das Summen in Eves Kopf schlagartig verstummte, konnte sie trotzdem genießen.
»Wovon zur Hölle sprichst du?«
»Mein Vorstellungsgespräch. Es geht um so einen Autoren-Job. Ich werde auch Autorin.« Es war ungeheuer befriedigend, das zu sagen. »Was hältst du davon?«
Einen Augenblick lang war es beunruhigend still. »So was wie einen ›Autoren-Job‹ gibt es nicht«, ließ Donald mit bedeutungsschwerer Stimme verlauten - ein sicheres Zeichen für eine aufziehende Schimpftirade. Eve steckte ihren Kopf unter ein großes Kissen mit Spitzenborte. »Auf eines kannst du dich verlassen«, setzte er an, »Schreiben ist kein 8-Stunden-Bürojob! Es ist nichts, womit man seinen Lebensunterhalt verdient. Entweder du bist Schriftsteller oder eben nicht. Entweder du hast das Talent dazu, oder du hast es nicht. Entweder stellst du dich deiner Berufung, oder du verkümmerst. Entweder du -«
»Es ist ein Autoren-Job fürs Fernsehen«, unterbrach sie ihn in gewichtigem Ton.
»Fernsehen! Diese Büchse der Pandora?«
Sofort bereute Eve, ihm überhaupt etwas erzählt zu haben.
»Dieses Ding, das uns unsere wachen Stunden stiehlt, uns mit Propaganda hypnotisiert, uns doppelzüngig an Unternehmen binden will und uns unserer Menschlichkeit beraubt? Du willst ein Rädchen dieser Teufelsmaschinerie werden, eine Arbeiterbiene, die der fetten Königin der Mittelmäßigkeit dient, plappernder Bote der kommerziellen Kolonialisierung? Kommt nicht in Frage - auf gar keinen Fall.«
Eve zog sich das Kissen vom Kopf, um Luft zu holen, und sagte trotzig: »Als Geist, der sich nicht materialisieren kann, wirst du mich wohl kaum davon abhalten. Und ganz ab - gesehen davon: Wenn ich den Job nicht kriege, stecken wir beide ganz schön in Schwierigkeiten. Ich kann die Miete für den nächsten Monat nicht bezahlen. Nicht mal annähernd. Ich fliege raus, und deine Geschichten werden niemals gedruckt, kapiert? Dann muss ich zurück nach Hause.«
Eigentlich hatte sie Donald nur ein wenig einschüchtern wollen, aber als sie es aussprach, lief ihr selbst ein Schauer über den Rücken. Sie hatte vorher nie mit Geld haushalten müssen, und gestern Abend hatte sie bei einem Blick auf ihre Kontoauszüge mit Schrecken festgestellt, dass ihr Guthaben von 4000 auf 400 Dollar zusammengeschrumpft war - in nur sechs Wochen! In den nächsten paar Wochen würde sie viermal so viel brauchen für Mr De Fief; und der gehörte zu der Sorte von Vermietern, die am Monatsersten »als kleine Gefälligkeit« stämmige junge Männer schickten, die die Miete abholten. Der Gedanke an eine Rückkehr nach Hause war zu schrecklich, um sich damit zu beschäftigen. Sie konnte New York nicht verlassen. Noch nicht.
Eve beugte sich vor, um das Schlafzimmerfenster aufzumachen und zu lüften, jetzt, da der Regen aufgehört hatte. Das alte Holz war durch die Feuchtigkeit aufgequollen, und sie musste mehrere Male kräftig ziehen, bis das Fenster ein paar Zentimeter aufging. Sie schlüpfte in das Trigère-Kleid, spürte die weich anliegende Seide auf der Haut und betrachtete sich in dem großen Spiegel an der Innenseite der Schranktür. Ihr pechschwarzer Bob stand ihr gut, obwohl kleine Sorgenschatten die Haut unter ihren großen, haselnussbraunen Augen ein wenig verdunkelten.
Hätte sie in jener Nacht, als sie beschloss, nach New York zu ziehen, auch nur die leiseste Ahnung gehabt, dass sie nicht nur bald ein relativ günstiges Appartement in Greenwich Village finden würde - wo doch alle gesagt hatten, das sei unmöglich -, sondern es auch noch mit dem Geist eines Schriftstellers teilen würde, hätte sie vor Freude in die Hände geklatscht. Sie hätte in genüsslichen Tagträumen darüber geschwelgt, wie sie entspannt mit Henry James plauderte, der mitsamt Weste und Spazierstock sanft, hell und durchsichtig schimmerte, während sie über Erzählperspektiven und französisches Essen parlierten. Oder ein Gespräch mit Edith Wharton, die mit Federhut und Turnüre über dem Boden schwebte und mit ihrem berühmten Sinn für Dekoration Eve dabei beraten würde, wo sie ihre wachsende Sammlung von Kunstdrucken aufhängen sollte. Oder wie sie mit Mark Twain Poker spielte und Witze riss, während er seine Karten über dem Tisch in der Luft segeln ließ.
Aber solches Glück war ihr nicht beschieden. Eve war hier mit Donald Bellows gelandet - dem Beatnik aus der Hölle.
Er hatte weder den Ruhm noch den Stil der Vorgenannten. Er war unsicher, aufbrausend und verbittert, weil er gestorben war, ehe er seine »meisterhafte Sammlung« von Avantgarde-Geschichten hatte fertigstellen können. Und er war nicht mal so gnädig, sich tatsächlich zu zeigen! Keine Erscheinung waberte in der Luft vor ihrem Bett, keine Türen quietschten in der Nacht, kein Buuuuhuuuhuuu drang aus dem Speiseaufzug. Das alles wäre okay gewesen, vielleicht sogar lustig; hätte ihrem modernen Leben einen altmodischen, romantischen Touch verliehen. Aber die zischende, oft ungehobelte Stimme in ihrem Kopf? Romantisch ist was anderes.
Was andererseits auch wieder passte, denn Donald selbst war überhaupt nicht romantisch. Er stammte aus einer Zeit, wie er ihr mitgeteilt hatte, in der Frauen von der Ehe und dazugehörigen Haushaltsgeräten nichts wissen wollten, sondern sich dem geistigen Leben zuwandten. Ganz sicher erwarteten sie keine Ritterlichkeit. Und für ihn zählte jede Form von Höflichkeit zu Ritterlichkeit. Solche »Masken« waren nichts für denkende Menschen.
Eve griff nach ihrer Schmuckschatulle und versank über den Strassohrringen ihrer Mutter in Gedanken. Sie nahm ein übergroßes Paar in die Hand, das sie sich zum ersten Mal angesteckt hatte, als sie ungefähr sechs war. An diesen Augenblick würde sie sich ihr Leben lang erinnern, denn als sie sich vom Waschtisch zu Penelope umgedreht hatte, sah ihre Mutter von ihrem Buch auf und brach in Gelächter aus - ein Geräusch, das selten in ihrem Haus zu hören gewesen war.
Penelope. Sie und das Geheimnis, das sie tief in ihrem Herzen vergraben hatte, gehörten zu den wichtigsten Gründen, warum Eve jetzt hier war, wild entschlossen zu bleiben. Aber sie musste sehr genau kalkulieren. Kein Gelegenheitsjob würde genug abwerfen für die Miete dieser relativ »günstigen« Village-Wohnung, die - verglichen mit anderen Städten - gigantisch war. Und dann kamen noch die Strom- und Telefonrechnungen dazu. Und Essen. Takeaway war sündhaft teuer, so dass jedes Gericht für zwei Mahlzeiten reichen musste und Eve das Loch in ihrem Bauch mit Müsli auffüllte. Andere Leute beschwerten sich, dass sie von einem Gehaltsscheck zum nächsten lebten. Sie würde dafür töten. Sie brauchte dringend einen richtigen Job, und zwar pronto!
Eve schüttelte den Kopf, als könnte sie damit ihre Sorgen verscheuchen. Sie würde sich hier nicht rauswerfen lassen. Jedenfalls nicht so bald.
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Autoren-Porträt von Lorna Graham
Lorna Graham hat vierzehn Jahre lang für TV-Formate wie Good Morning America und Dateline NBC geschrieben und ausserdem in diversen Printmedien veröffentlicht.
Bibliographische Angaben
- Autor: Lorna Graham
- 2011, 446 Seiten, Masse: 12,1 x 18,9 cm, Kartoniert (TB), Deutsch
- Übersetzung: Hertle, Marion
- Übersetzer: Marion Hertle
- Verlag: Ullstein TB
- ISBN-10: 3548283640
- ISBN-13: 9783548283647
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